1. Hält sich der Versicherte in einer Einrichtung auf, bei der es sich um eine Räumlichkeit im Sinne des § 71 Abs. 4 SGB XI handelt, scheidet eine häusliche Pflege aus.
2. Zum Vorliegen einer Räumlichkeit nach § 71 Abs. 4 Nr. 3 a-c SGB XI.
3. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des § 43 a SGB XI bei Versicherten, die aufgrund vorhandenen eigenen Vermögens oder Einkommens über der Freigrenze für die Kosten der Leistungen der Eingliederungshilfe selbst aufkommen (Selbstzahler).
4. Zum Anspruch auf die Pauschale nach § 43 a S. 3 SGB XI.
5. Darin liegt kein Verstoß gegen verfassungsmäßige Recht des Versicherten.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. Juli 2021 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Der Kläger und Berufungskläger begehrt von der Beklagten und Berufungsbeklagten die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegegrad 3 anstelle der Pauschale gemäß § 43a des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI).
Der 1951 geborene Kläger ist von Geburt an geistig behindert. Er ist bei der beklagten Pflegekasse pflichtversichert und hat daneben einen Anspruch auf Beihilfe im Umfang von 50 %.
Seit 1998 lebt der Kläger in der Lebensgemeinschaft e.V. M im Landkreis N und bewohnt dort, wie vertraglich vereinbart, ein Einzelzimmer im Haus "S". Die Dorfgemeinschaft M steht erwachsenen Menschen mit einer geistigen oder Mehrfachbehinderung im Sinne des § 53 SGB XII (a.F.) aus dem ganzen Bundesgebiet offen und bietet diesen neben dem stationären Wohnen einen zweiten Lebensbereich an (Werkstatt für behinderte Menschen mit Berufsbildungsbereich oder Angebot zur Tagesgestaltung laut Wohn- und Betreuungsvertrag vom 30.06.2010).
Die Lebensgemeinschaft e.V. hat mit dem zuständigen Träger der Sozialhilfe, dem Bezirk Mittelfranken, Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen abgeschlossen. Diese Vereinbarungen und der "Bayerische Rahmenvertrag für teilstationäre und stationäre Einrichtungen" vom 20.12.2004 bilden die Grundlage des mit dem Kläger geschlossenen Vertrages. Die vorvertraglichen Informationen gemäß § 3 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) sind gleichfalls Vertragsgrundlage und wurden dem Kläger sowie dessen Vertreter am 20.05.2010 ausgehändigt (vgl. § 2 der ausführlichen Beschreibung des Vertrages). Die Leistungen der Dorfgemeinschaft M orientieren sich danach an der individuellen Lebenssituation und dem jeweiligen Bedarf der Bewohner sowie an der Konzeption der Dorfgemeinschaft. Sie umfassen insbesondere die Zurverfügungstellung von Wohnraum und Verpflegung, Angebote und Maßnahmen der Begleitung, Assistenz, Hilfe, Förderung oder Pflege sowie die Bereitstellung der betriebsnotwendigen Anlagen (vgl. § 3 der ausführlichen Beschreibung des Vertrages). Beim Kläger war zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Rahmen der Hilfebedarfsermittlung für Menschen mit Behinderung eine Einstufung in die Hilfebedarfsgruppe 3 vorgenommen worden.
Nach § 5 der Anlage 0 des am 30.06.2010 geschlossenen des Wohn- und Betreuungsvertrages zwischen dem Kläger und der Lebensgemeinschaft richtet sich das Entgelt nach der mit dem sachlich zuständigen Sozialhilfeträger, dem Bezirk Mittelfranken, jeweils getroffenen Vergütungsvereinbarung sowie dem Bayer. Landesrahmenvertrag vom 20.12.2004. Danach setzt sich das vom Kläger zu zahlende Entgelt zusammen aus der Grundpauschale (Pauschalen für Unterkunft und Verpflegung), einer Pauschale für Betreuungsleistungen und einem Investitionsbetrag. Der zwischen den Vertragsbeteiligten am 10.12.2019 geschlossene Anpassungsvertrag regelt in § 1, dass die bisherigen Regelungen zum Entgelt (in § 8 der Anlage 1) aufgehoben und durch die neue Entgeltregelung ersetzt würden. Danach betrage das Entgelt für Pflege und Betreuung 101,83 EUR/Tag, das Entgelt für Leistungen des Lebensunterhaltes 7,58 EUR/Tag sowie das Entgelt für Wohnraumüberlassung 16,48 EUR/Tag (insg. 125,89 EUR/Tag). Die Vergütungsvereinbarung nach § 123 ff. SGB IX zwischen der Lebensgemeinschaft und dem Bezirk Mittelfranken vom 05.11.2019 regelt für die Hilfebedarfsgruppe 3 eine Vergütung für Fachleistungen in Höhe von kalendertäglich 101,83 EUR.
Der Vertreter des Klägers beantragte am 25.10.2019 bei der Beklagten die Zahlung eines anteiligen (hälftigen) Pflegegeldes ab Januar 2020 gemäß Pflegegrad 3 für Beihilfeempfänger in Höhe von 272,50 EUR.
Der Kläger lebe in einer Behinderteneinrichtung und sei dort Selbstzahler, d.h. er erhalte keine Eingliederungsbeihilfe oder ähnliche Transferleistungen. Er habe somit keinen Anspruch auf die Pauschale gemäß § 43a SGB XI, sondern auf das wegen des Beihilfeanspruchs hälftige Pflegegeld gemäß § 37 Abs. 1 SGB XI entsprechend dem Pflegegrad 3 (272,50 EUR monatlich).
Dem Antrag beigefügt war eine Bestätigung der Lebensgemeinschaft e.V. M vom 24.05.2019; danach habe sich die bisherige Bezeichnung "stationäre Wohnform", in der der Kläger lebe, im Zuge der Veränderungen des Bundesteilhabegesetzes im SGB IX ab dem 01.01.2020 in eine "gesonderte" bzw. "besondere Wohnform" geändert. Beigefügt war ferner ein Bescheid des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe vom 17.03.2020, mit dem dieser einen Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe abgelehnt hatte. Zwar sei grundsätzlich ein Anspruch auf Eingliederungshilfe wegen der bestehenden Behinderung gegeben, der Kläger besitze jedoch Vermögen in Gestalt eines Mehrfamilienhauses, mit dem er weit über der Freigrenze von 57.330.- EUR liege. Das Vermögen sei vor Inanspruchnahme von Leistungen der Eingliederungshilfe einzusetzen. Zudem zahle der Kläger die Kosten des Wohnheimes aus seinen Mieteinnahmen und seiner Rente weiterhin selbst. Er sei somit nicht wirtschaftlich sozialhilfebedürftig.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 20.05.2020 den Antrag auf Zahlung des hälftigen Pflegegeldes ab. Die Einrichtung, in der der Kläger lebe, sei zum Stichtag 31.12.2019 eine anerkannte Einrichtung nach § 43a SGB XI gewesen. Eine Zahlung des hälftigen Pflegegeldes sei nicht möglich.
Mit seinem Widerspruch führte der gesetzliche Vertreter des Klägers aus, der Kläger lebe in der Dorfgemeinschaft wie in einer Großfamilie. Die Wohnform unterscheide sich nicht von einer häuslichen Umgebung. Die Hauseltern übernähmen auch die notwendigen Pflegeleistungen. Durch die Wahl der Wohnform habe der Kläger seine Pflege selbst sichergestellt und habe daher Anspruch auf Pflegegeld.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2020 zurück und führte aus, dass aufgrund der Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz zum 01.01.2020 die Differenzierung zwischen ambulanten, teilstationären und vollstationären Leistungen der Eingliederungshilfe aufgegeben worden sei. Es erfolge nun eine personenzentrierte Neuausrichtung der Eingliederungshilfe mit der Folge, dass die Leistungen der Eingliederungshilfe unabhängig vom Ort der Inanspruchnahme gewährt und zudem in Fachleistung und existenzsichernde Leistungen differenziert würden. Damit entfalle der bisherige Anknüpfungspunkt des § 43a SGB XI an die Leistungserbringung im Bereich der vollstationären Versorgung erwachsener Menschen mit Behinderungen.
Um eine Verschiebung der Leistungszuständigkeiten gegenüber dem Status quo zu verhindern, werde ab 01.01.2020 in § 71 Abs. 4 SGB XI bestimmt, wann keine stationäre Pflegeeinrichtung i.S.d. § 71 Abs. 2 SGB XI vorliege, sondern eine stationäre Einrichtung mit vorrangig anderer Zielsetzung als die der Pflege. Die Abgrenzung solcher Einrichtungen sei maßgeblich sowohl für die Anwendung der vertragsrechtlichen Regelungen des SGB XI als auch für den leistungsrechtlichen Anspruch des Versicherten. Die Regelung des § 71 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI erfasse in ihrer neuen Fassung "Räumlichkeiten, die dadurch geprägt sind, dass die Bewohnerinnen und Bewohner die Überlassung des Wohnraums sowie die Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe und gegebenenfalls darüber hinaus erforderliche Pflegeleistungen in einer Weise erhalten, die sich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung so darstellt, dass die Versorgung durch Leistungserbringer umfassend organisiert wird und die Mitbestimmungsmöglichkeiten vergleichbar wie in einer stationären Einrichtung eingeschränkt sind." Sie entspräche damit den von § 43a SGB XI und § 71 Abs. 4 SGB XI (in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassungen) erfassten stationären Einrichtungen, in denen Aufgaben der Eingliederungshilfe im Vordergrund stehen, oder sind diesen gleichzustellen (siehe Rundschreiben 2019/718 vom 19.12.2019 des GKV-Spitzenverbandes)
Auch wenn daher Pflegegeld nicht gezahlt werden könne, beteilige sich die Beklagte aber weiterhin an den Aufwendungen des Klägers mit einem monatlichen Betrag in Höhe von 133,00 EUR als Anspruch nach § 43a SGB XI.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben. Es könne ihm nicht entgegengehalten werden, dass er Leistungen nach § 43a SGB XI erhalte. Tatsächlich habe er als Selbstzahler keinen Anspruch darauf. Er beziehe keine "Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nach Teil 2 des SGB IX", da dieser Anspruch wegen seines eigenen Einkommens und Vermögens ausgeschlossen sei.
Das Sozialgericht hat die mit der Lebensgemeinschaft e.V. M getroffenen Vereinbarungen eingeholt (den Wohn- und Betreuungsvertrag vom 30.06.2010 mit Anpassung vom 01.01.2020; die mit dem Bezirk Mittelfranken abgeschlossene Leistungsvereinbarung vom 31.07.2012 sowie die aktuelle Vergütungsvereinbarung vom 05.11.2019). Der Verein hat ergänzend mitgeteilt, dass bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Volljährige ab 2020 zwischen der Leistungserbringung in einer Wohnung und in einer besonderen Wohnform unterschieden werde. Damit werde die Wohnstätte für Volljährige, wozu auch der Wohnbereich der Lebensgemeinschaft M zähle, ab 2020 für die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu einer "besonderen Wohnform". Der Wohnbereich sei als "Räumlichkeit" im Rahmen der Grundsicherung definiert (vgl. § 42a SGB XII). In der Eingliederungshilfe sei die Wohnstätte als Räumlichkeit eine "besondere Wohnform", in der Leistungen über Tag und Nacht erbracht werden (vgl. § 113 SGB IX). Im Sinne des WBVG biete ein Unternehmer in der Wohnstätte Verträge an, in denen er sich zur Überlassung von Wohnraum und zur Erbringung von Assistenz- und Betreuungsdienstleistungen verpflichte. Die Wohnstätte falle auch als Räumlichkeit unter das WBVG.
Das Inklusionsamt Soziale Teilhabe des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) hat die Auskunft erteilt, dass dem Kläger seit 2016 keine Hilfen mehr gewährt würden. Der Neuantrag sei abgelehnt worden.
Für den Kläger ist wiederholt darauf hingewiesen worden, dass er die Pflegeleistungen in der Einrichtung selbst finanziere. Es handle sich exakt um dieselbe Pflege wie im privaten Bereich, so dass ihm das ungekürzte Pflegegeld zustehe. Die Pauschale, die ihm nach § 43a SGB XI bewilligt werde, setze einen anderen Sachverhalt voraus.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30.07.2021 abgewiesen. Ein Anspruch auf die Gewährung von Pflegegeld nach dem Pflegegrad 3 stehe dem Kläger nicht zu. Die Beklagte gewähre dem Kläger zu Recht Leistungen nach § 43a SGB XI. Es werde die Auffassung der Beklagten geteilt, dass der pflegebedürftige Kläger in Räumlichkeiten im Sinne des § 71 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI lebe. Für die Kammer liege es auf der Hand, dass der Zweck des Wohnens von Menschen mit Behinderungen und der Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe im Vordergrund der Lebensgemeinschaft e.V. M stehe (vgl. § 71 Abs. 4 Nr. 3 a SGB XI). Auch sei der Anwendungsbereich des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes gemäß § 1 WBVG offensichtlich eröffnet (hierzu § 71 Abs. 4 Nr. 3 b SGB XI). Schließlich würden die Merkmale vorliegen, nach welchen der Umfang der Gesamtversorgung der in den Räumlichkeiten wohnenden Menschen mit Behinderungen durch Leistungserbringer regelmäßig einen Umfang erreicht, der weitgehend der Versorgung in einer vollstationären Einrichtung entspricht.
Sei der Kläger mithin bis zum 31.12.2019 im Hinblick auf § 43a SGB XI a.F. von der Gewährung von Pflegegeld ausgeschlossen gewesen, so sei er dies nach dem Willen des Gesetzgebers auch für die Zeit ab 01.01.2020 nach § 43a SGB XI n.F.
Der klägerische Einwand, der Kläger sei Selbstzahler und erhalte keine Leistungen der Eingliederungshilfe, greife deutlich zu kurz. Denn er verkenne, dass sein Bedarf an Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nach Teil 2 des Neunten Buches gedeckt werde, er mithin diese Leistungen im Sinne des Gesetzes tatsächlich "erhält". Wer die Kosten der Eingliederungshilfe trage, sei nach der gesetzlichen Regelung unerheblich. Der Anwendungsbereich des § 43a SGB XI sei weder auf Fälle beschränkt, in denen der Sozialhilfeträger die Kosten übernimmt, noch lasse sich dem Gesetzeswortlaut eine Beschränkung auf die Unterbringung in Einrichtungen ableiten, mit denen der Sozialhilfeträger Vergütungsvereinbarungen getroffen habe.
Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sei nicht erkennbar. Vielmehr seien die unterschiedlichen Leistungen der Pflegeversicherung durch sachliche Gründe gerechtfertigt (vgl. BSG zu § 43a SGB XI a.F.: Urt. v. 26.04.2001, B 3 P 11/00 R).
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen den am 07.08.2021 zugestellten Gerichtsbescheid am 17.08.2021 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung ist vorgetragen worden, der Anspruch auf Pflegegeld entfalle nicht, weil dem Kläger eine Sachleistung gewährt werde, denn die nach dem Vertrag mit der Lebensgemeinschaft gewährten Leistungen gehörten nicht zu den Pflegesachleistungen gemäß § 36 SGB XI. Auch § 43a SGB XI greife nicht: Unabhängig davon, ob der Wohnbereich M die formalen Voraussetzungen des § 71 Abs. 4 SGB XI erfülle oder nicht, regele § 43a SGB XI die "Abgeltung von Aufwendungen". Vorliegend gehe es aber nicht um die Abgeltung von Aufwendungen, sondern um Pflegegeld für notwendige Leistungen der ambulanten Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung. Ferner existiere hier kein Sozialleistungsträger, der Leistungen der Eingliederungshilfe im Sinne des § 43a SGB XII gewähre oder bewilligt habe. Vielmehr seien derartige Leistungen ausdrücklich abgelehnt worden. Der Kläger und die Lebensgemeinschaft hätten einen individuellen Vertrag geschlossen. Er erhalte auch nicht tatsächlich Leistungen nach dem SGB IX. Die Regelung des § 43a Satz 3 SGB XI schließe einen Anspruch auf Pflegegeld nach § 37 SGB XI nicht für den Fall aus, in dem der Pflegebedürftige die Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung, auf die er nach dem Pflegegutachten angewiesen sei, sich "selbst verschafft" habe. Jedenfalls aber sei § 43a SGB XI verfassungskonform auszulegen im Hinblick auf den Eigentumsschutz nach Art. 14 GG und dem Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GG.
Die "Kostenbeteiligung" betreffe die Kostenverteilung zwischen Pflegekasse und den Trägern der Eingliederungshilfe; diese Regelung ändere nichts an der Pflegebedürftigkeit des Klägers. § 43a SGB XI ändere auch nicht den Anspruch des Klägers auf Pflegegeld ab, soweit die Pflege ambulant durchgeführt werde. Schon gar nicht verändere § 43a SGB XI den Pflegegrad.
Unstreitig sei, dass der Kläger pflegebedürftig nach Pflegegrad 3 sei und nicht in einer Einrichtung der stationären Pflege nach dem SGB XI gepflegt werde, sondern die Pflegeleistungen der ambulanten Pflege zuzurechnen seien. Vor allem aber sei unstreitig, dass der Kläger 100 % der Kosten selbst trage, die für die Eingliederungshilfe anfielen. Faktisch verlange die Beklagte, dass der Kläger einen Teil der von der Beklagten geschuldeten Leistungen zur ambulanten Pflege selbst finanziere. Dies sei nicht Sinn und Zweck des § 43a SGB XI.
Der Kläger müsse es schließlich als Diskriminierung empfinden, dass er, der schwerbehindert sei und deshalb nicht nur auf Pflege, sondern auch auf Eingliederungshilfe angewiesen sei, im höheren Maße Kosten tragen müsse als dies für gleichermaßen pflegebedürftige Personen der Fall sei, die zuhause lebten. § 43a SGB XI sei im Lichte des Benachteiligungsverbots gemäß § 33c SGB I auszulegen und anzuwenden.
Die vom SG vertretene Rechtsauffassung bewirke, dass Leistungen der Pflegeversicherung in Abhängigkeit von der Einkommens- und Vermögenssituation gekürzt würden, was nach dem Gesetz unzulässig sei.
Vorgelegt worden ist ein Gutachten des W vom September 2015 für den Landeswohlfahrtsverband Hessen. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Regelungen in §§ 36 Abs. 1 Satz 2 2. HS, 43a SGB XI zumindest für die behinderten Menschen, die für Leistungen einer Behinderteneinrichtung ganz oder teilweise selbst bezahlen müssen oder Kostenbeiträge leisten, gegen das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG, gegen das Benachteiligungsverbot wegen einer Behinderung nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG verstießen und damit verfassungswidrig seien.
In der mündlichen Verhandlung vom 22.09.2022 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers ferner ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtags Rheinland-Pfalz vom 13.05.2020 zur Vereinbarkeit des § 43a Sätze 1 - 3 SGB XI mit dem GG und dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) vorgelegt. Auf die Niederschrift der Sitzung wird im Übrigen verwiesen.
Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hat auf die Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen. Durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) sei das System der Eingliederungshilfe zum 01.01.2020 grundlegend umgestaltet worden. Die Kostenbeteiligung habe sich durch das BTHG zum 01.01.2020 erheblich verändert. Insbesondere sei die Einkommensbeteiligung neu geregelt und ein deutlich höherer Vermögensfreibetrag eingeführt worden. Der Einwand des Klägerbevollmächtigten, der Kläger sei Selbstzahler und daher erhalte der Kläger tatsächlich keine Leistungen nach dem SGB IX, sei nicht zutreffend. Er erhalte nämlich tatsächlich Leistungen nach Teil 2 des SGB IX, unabhängig davon, wer diese Leistungen finanziere. Auch nach der Neuregelung des BTHG seien Leistungen der Eingliederungshilfe nach wie vor abhängig von Einkommen und Vermögen. Hätte der Gesetzgeber an diesem Punkt etwas ändern wollen, hätte er dies mit der Neuregelung getan, was nicht geschehen sei. Weiterhin lasse sich aus dem Gesetzeswortlaut des § 43a SGB XI und aus der Gesetzesbegründung keinerlei Einschränkungen ableiten, woraus sich ergäbe, dass der Anwendungsbereich des § 43a SGB XI auf Fälle einzuschränken bzw. nicht anzuwenden sei, sollte ein Versicherter Kosten der Eingliederungshilfe selbst tragen.
Die Regelung des § 43a SGB XI sei eindeutig. Die dort geregelte Leistung orientiere sich ihrer Höhe nach an dem durchschnittlichen Anteil pflegebedingter Kosten in den Pflege-sätzen von Einrichtungen der Behindertenpflege. Der Behinderte werde somit durch diese Leistung pauschal von den durch seinen Pflegebedarf verursachten Kosten entlastet. Die Regelung des § 43a SGB XI sei auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht als systemwidrig einzustufen. Die Voraussetzungen des § 43a SGB XI lägen hier vor.
Zur Verfassungsmäßigkeit des § 43a SGB XI hat die Beklagte auf Entscheidungen des BSG (BSG vom 13.03.2001, B 3 P 17/00 R; BSG vom 26.04.2002, B 3 P 11/00 R) verwiesen. Es handele sich um einen Kompromiss zur gemeinsamen Finanzierungsverantwortung von Bund und Ländern. Es liege keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG vor, weil der Gesetzgeber mit der Regelung in § 43a SGB XI eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung vorgenommen habe. Auch ein Verstoß gegen das in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG geregelte spezielle Benachteiligungsverbot liege vorliegend nicht vor. Der Umstand, dass der Versicherte Selbstzahler sei und keine Leistungen der Eingliederungshilfe erhalte, weil er über ausreichend Vermögen und Einkommen verfüge, begründe keinen Verstoß gegen das spezielle Benachteiligungsverbot. Dies sei durch sachliche Gründe gerechtfertigt, da mehrere Gesetze verschiedener Sozialgesetzbücher für die Gewährung von bestimmten Hilfen daran anknüpften, ob ausreichendes Eigentum oder Vermögen vorhanden sei.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.07.2021 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 20.05.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2020 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Pflegegeld nach dem Pflegegrad 3 (50 Prozent) anstelle der Pauschale gemäß § 43a SGB XI zu gewähren.
Hilfsweise beantragt er die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte, der Akte des Sozialgerichts (S 9 P 102/17) und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG), jedoch unbegründet.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) zulässig. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch, ihm Pflegegeld nach dem Pflegegrad 3 anstelle der Pauschalzahlung gemäß § 43a SGB XI zu gewähren, besteht jedoch nicht.
Das hier streitige Pflegegeld können Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 anstelle der häuslichen Pflegehilfe beantragen. Der Anspruch setzt voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderlichen körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung in geeigneter Weise selbst sicherstellt. Das Pflegegeld beträgt je Kalendermonat 545 Euro für Pflegebedürftige des Pflegegrades 3 (§ 37 Abs. 1 SGB XI).
Häusliche Pflegehilfe (Pflegesachleistung) wird nach § 36 Abs. 1 SGB XI dann gewährt, wenn "häusliche Pflege" gegeben ist. Sie ist nach § 36 Abs. 4 Satz 1 SGB XI auch zulässig, wenn Pflegebedürftige nicht in ihrem eigenen Haushalt gepflegt werden; sie ist nicht zulässig, wenn Pflegebedürftige in einer stationären Pflegeeinrichtung oder in einer Einrichtung oder in Räumlichkeiten im Sinne des § 71 Abs. 4 SGB XI gepflegt werden.
Das Pflegegeld tritt demnach bei entsprechender Wahl des Pflegebedürftigen an die Stelle der Sachleistung nach § 36 SGB XI. Es muss sich wie bei § 36 SGB XI um häusliche Pflege handeln mit der Folge, dass die Gewährung von Pflegegeld ausscheidet, wenn Pflegebedürftige in einer stationären Pflegeeinrichtung im Sinne des § 71 Abs. 2 SGB XI oder in einer Einrichtung im Sinne des § 71 Abs. 4 SGB XI gepflegt werden. Im Gegenschluss kommt die Gewährung von Pflegegeld auch in Betracht, wenn sich der Pflegebedürftige in einer Wohngruppe, in einem Altenwohnheim oder einer vergleichbaren Einrichtung aufhält.
Vorliegend steht fest, dass der Kläger sich in keiner stationären Pflegeeinrichtung nach § 71 Abs. 2 SGB XI, also keinem Pflegeheim, befindet. Ein entsprechender Versorgungsvertrag mit den Pflegekassen nach § 72 SGB XI besteht nicht.
Häusliche Pflege scheidet aber deswegen aus, weil sich der Kläger in einer Einrichtung im Sinne von § 71 Abs. 4 SGB XI aufhält. Hierunter fallen
1. Stationäre Einrichtungen, in denen die Leistungen zur medizinischen Vorsorge, zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben, zur Teilhabe an Bildung oder zur sozialen Teilhabe, die schulische Ausbildung oder die Erziehung kranker Menschen oder von Menschen mit Behinderungen im Vordergrund des Zweckes der Einrichtung stehen,
2. Krankenhäuser sowie
3. Räumlichkeiten,
a) in denen der Zweck des Wohnens von Menschen mit Behinderungen und der Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe für diese im Vordergrund steht,
b) auf deren Überlassung das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz Anwendung findet und
c) in denen der Umfang der Gesamtversorgung der dort wohnenden Menschen mit Behinderungen durch Leistungserbringer regelmäßig einen Umfang erreicht, der weitgehend der Versorgung in einer vollstationären Einrichtung entspricht; bei einer Versorgung der Menschen mit Behinderungen sowohl in Räumlichkeiten im Sinne der Buchstaben a und b als auch in Einrichtungen im Sinne der Nummer 1 ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, ob der Umfang der Versorgung durch Leistungserbringer weitgehend der Versorgung in einer vollstationären Einrichtung entspricht.
Die Voraussetzungen der Buchstaben a bis c müssen dabei kumulativ vorliegen (Groth in Hauck/Noftz SGB XI, § 71 Rn. 80 unter Verweis auf Ziffer 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 RL nach § 71 Abs. 5 Satz 1 SGB XI).
Bei der Lebensgemeinschaft M handelt es sich nicht um eine stationäre Einrichtung nach § 71 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI, weil hier nicht die dort genannten Zwecke, etwa der Rehabilitation oder Teilhabe am Arbeitsleben, im Vordergrund stehen.
Es liegt vielmehr auch zur Überzeugung des Senats eine Räumlichkeit nach § 71 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI vor, also eine Einrichtung, die vor der Reform der Eingliederungshilfe zum 01. 01. 2020 als vollstationäre Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen zu qualifizieren war.
Zutreffend hat das SG in diesem Zusammenhang festgestellt, dass sich die Lebensgemeinschaft M selbst als Einrichtung der "Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung", also Menschen, die ein im SGB IX oder SGB XII umschriebenes Recht auf Begleitung, Assistenz, Hilfe, Förderung oder Betreuung haben, beschreibt. Sie stehe erwachsenen Menschen mit einer geistigen oder Mehrfachbehinderung im Sinne des § 53 SGB XII (a.F.) aus dem ganzen Bundesgebiet offen und biete diesen neben dem (stationären) Wohnen einen zweiten Lebensbereich an (Werkstatt für behinderte Menschen mit Berufsbildungsbereich oder Angebot zur Tagesgestaltung laut Wohn- und Betreuungsvertrag vom 30.06.2010). Die Wohnstätte für Volljährige, wozu auch der Wohnbereich der Lebensgemeinschaft M gehört, zähle seit 2020 zu einer "besonderen Wohnform" für die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der Wohnbereich sei als "Räumlichkeit" im Rahmen der Grundsicherung definiert (vgl. § 42a SGB XII). Das Sozialgericht hat daher zutreffend daraus geschlossen, dass der Zweck des Wohnens von Menschen mit Behinderungen und der Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe für diese im Vordergrund der Lebensgemeinschaft steht (vgl. § 71 Abs. 4 Nr. 3 a SGB XI).
Auch der Anwendungsbereich des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes (WBVG) ist eröffnet, da sich die Lebensgemeinschaft in dem abgeschlossenen Wohn- und Betreuungsvertrag dazu verpflichtet hat, dem Kläger Wohnraum zu überlassen und selbst Pflege- oder Betreuungsleistungen zu erbringen, die der Bewältigung eines durch Behinderung bedingten Hilfebedarfs dienen (§ 1 Abs. 1 WBVG, vgl. § 71 Abs. 4 Nr. 3 b SGB XI).
Schließlich sind auch die Voraussetzungen des § 71 Abs. 4 Nr. 3 c SGB XI erfüllt, da in der Lebensgemeinschaft M der Umfang der Gesamtversorgung der dort wohnenden Menschen mit Behinderungen durch Leistungserbringer regelmäßig einen Umfang erreicht, der weitgehend der Versorgung in einer vollstationären Einrichtung entspricht. Zutreffend hat das SG ausgeführt, dass zur Prüfung dieses Tatbestandsmerkmals die einschlägigen Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes, nach § 71 Abs. 5 SGB XI, die Vereinbarungen nach §§ 123 ff SGB XI sowie die Einzelverträge zwischen der Einrichtung und den Bewohnern heranzuziehen sind. Hieraus folgt vorliegend, dass dem Kläger mit der Zurverfügungstellung von Wohnraum und Verpflegung, von Angeboten und Maßnahmen der Begleitung, Assistenz, Hilfe, Förderung oder Pflege sowie der Bereitstellung der betriebsnotwendigen Anlagen eine Gesamtversorgung geboten wird, die zumindest weitgehend einer Versorgung in einer vollstationären Einrichtung entspricht. Der Senat verweist insoweit auf die ausführliche Darstellung des Sozialgerichts. Hinzu kommt, dass sich am geschuldeten Leistungsangebot der Lebensgemeinschaft M zum Stichtag 31.12.2019 nichts geändert hat, sodass die Vermutung, dass eine Einrichtung, die vor dem Stichtag als vollstationäre Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen nach § 43a SGB XI (alte Fassung) anerkannt war, nun weiterhin eine Räumlichkeit nach § 71 Abs. 4 SGB XI darstellt, auch hier gilt (vgl. Richtlinie des GKV-Spitzenverbandes Ziff. 3 Nr. 1).
Zu keinem anderen Ergebnis führt das Vorbringen des Klägerbevollmächtigten, der Kläger habe sich die Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung, auf die er nach dem Pflegegutachten angewiesen sei, "selbst verschafft" und die Versorgung sei dem ambulanten Bereich zuzurechnen mit der Folge, dass Pflegegeld nach § 37 Abs. 1 SGB XI beansprucht werden könne.
Zwar trifft es zu, dass ambulant betreute Wohnformen, wie z.B. auch Wohngruppen, die Voraussetzungen des § 71 Abs. 4 SGB XI grundsätzlich nicht erfüllen (Reimer in Hauck/Noftz SGB XI, § 37 Rn. 11). In diesen Fällen ist vielmehr eine "Häuslichkeit" der Pflege jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Pflegebedürftige rechtlich und tatsächlich frei ist, seine Pflege selbst zu organisieren. Nach der Regelung des § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB XI ist der Gesetzgeber nämlich davon ausgegangen, dass der Pflegebedürftige mit dem bewilligten Pflegegeld selbst sicherstellt, dass die erforderlichen körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung in geeigneter Weise durchgeführt werden. Um einen Pflegegeldanspruch zu erhalten, muss der Pflegebedürftige danach rechtlich und tatsächlich in der Lage sein, selbst dafür zu sorgen, dass er sich die dem Umfang des Pflegegeldes entsprechenden Pflegeleistungen beschafft und darüber entscheiden, wer die Pflege in welchem Umfang erbringen soll.
Gemessen daran kann der Senat nicht erkennen, dass vorliegend tatsächlich eine ambulante Wohnsituation gegeben ist, in der der Kläger bzw. sein gesetzlicher Vertreter die Pflege selbst organisiert. Der Kläger lebt nach den Ausführungen seines gesetzlichen Vertreters auf dem Gelände der Lebensgemeinschaft M wie in einer Großfamilie, wobei die Hauseltern praktisch seine leiblichen Eltern ersetzten und die notwendigen Pflegeleistungen übernähmen. Die Argumentation des Bevollmächtigten, der Kläger habe sich für diese Wohnform bewusst entschieden und damit seine Pflege sichergestellt, für die er auch noch selbst bezahlen müsse, berücksichtigt nicht, dass mit der Lebensgemeinschaft ein Wohn- und Betreuungsvertrag geschlossen wurde, der neben der Zurverfügungstellung von Wohnraum auch Angebote und Maßnahmen der Pflege mitumfasst. Die Lebensgemeinschaft erbringt vertraglich vereinbarte pflegerische Leistungen in Form der Grundpflege, die der Kläger als Entgelt für Pflege und Betreuung bezahlt. Dies hat sich auch nach dem Ergänzungsvertrag vom 10.12.2019 nicht geändert. Daher hat sich der Kläger (bzw. sein gesetzlicher Vertreter) zwar bewusst für die Lebensgemeinschaft als dauernden Aufenthaltsort entschieden. Damit war aber auch verbunden, dass er die notwendige Pflege nicht mehr selbst organisieren und sicherstellen muss, sondern dies durch die Einrichtung bzw. durch das von ihr zur Verfügung gestellte Personal erledigt wird. Damit unterscheidet sich die Unterbringung des Klägers jedenfalls formal nicht von einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe, wie sie noch unter Geltung des § 43a SGB XI alte Fassung bestand.
Ein Pflegegeldanspruch gemäß §§ 37 Abs. 1, 36 Abs. 4 Satz 1 HS 2 in Verbindung mit § 71 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI ist daher ausgeschlossen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Regelung des § 43a SGB XI (idF des Gesetzes vom 23.12.2016, BGBl. I S. 3191). Danach übernimmt die Pflegekasse für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 in einer vollstationären Einrichtung im Sinne des § 71 Abs. 4 Nr. 1, in der die Teilhabe am Arbeitsleben, an Bildung oder die soziale Teilhabe, die schulische Ausbildung oder die Erziehung von Menschen mit Behinderungen im Vordergrund des Einrichtungszwecks stehen, zur Abgeltung der in § 43 Abs. 2 genannten Aufwendungen 15 Prozent der nach Teil 2 Kapitel 8 des Neunten Buches vereinbarten Vergütung (Satz 1). Die Aufwendungen der Pflegekasse dürfen im Einzelfall je Kalendermonat 266 Euro nicht überschreiten (Satz 2). Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 in Räumlichkeiten im Sinne des § 71 Abs. 4 Nr. 3, die Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nach Teil 2 des Neunten Buches erhalten (Satz 3).
Der Senat kann es dahingestellt lassen, ob der Kläger Anspruch auf die Pauschalleistung nach § 43a SGB XI hat, weil kein Wahlrecht zwischen der Geldleistung nach § 37 Abs. 1 SGB XI und der Pauschalleistung nach § 43a SGB XI besteht. Doch selbst wenn man davon ausginge, dass die Pauschalleistung dem Kläger zu Unrecht gezahlt werden würde (weil der Kläger - wie er meint - keine Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX "erhält" im Sinne von § 43a Satz 3 SGB XI), so hätte dies nicht zur Folge, dass der Kläger stattdessen Anspruch auf das hier streitige Pflegegeld nach § 37 Abs. 1 SGB XI hätte. Dem stünde weiterhin die Regelung des § 36 Abs. 4 Satz 1 HS 2 SGB XI entgegen, da der Kläger in einer Einrichtung nach § 71 Abs. 4 SGB XI gepflegt wird und damit ein Anspruch auf Pflegegeld ausgeschlossen ist.
Dessen ungeachtet geht auch der Senat davon aus, dass die Beklagte zu Recht die Pauschalleistung nach § 43a Satz 3 SGB XI erbringt, weil der Kläger tatsächlich in der von ihm bewohnten Einrichtung Leistungen der Eingliederungshilfe angeboten erhält und diese in Anspruch nimmt. Eine Ablehnung durch den Bescheid des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe vom 17.03.2020 erfolgte nur im Hinblick auf das Vermögen des Klägers. Nach Auffassung des Senats ist auch in einem derartigen Fall, in dem zwar grundsätzlich ein Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe besteht, der Anspruch aber nur wegen des Einkommens oder Vermögens des Antragstellers ausgeschlossen ist, die Pauschalleistung des § 43a S. 3 SGB XI zu zahlen. Maßgeblich ist auch hier darauf abzustellen, dass der Kläger die Leistungen tatsächlich erhält. Auf die Art der Finanzierung, hier als Selbstzahler, kommt es nicht an.
Der Senat sieht bei diesem Ergebnis auch keinen Verstoß gegen verfassungsmäßige Rechte des Klägers, so dass auch eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG gemäß dem Hilfsantrag nicht zu erfolgen hatte. Insbesondere teilt der Senat nicht die in den beiden Gutachten erfolgten Ausführungen zu einer angenommenen Verfassungswidrigkeit zumindest bei Personen, die für die Kosten selbst aufkommen.
Im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt keine willkürliche Regelung zu Lasten des Klägers vor. Wenn Versicherte bewusst stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen, obwohl sie wissen, dass aufgrund eigenen Vermögens kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für Leistungen der Eingliederungshilfe besteht, ist es nicht zu beanstanden, dass sie dennoch der Pauschalierungsregelung nach § 43a SGB XI unterliegen. Die Anwendung der Regelung auch auf den Kläger erscheint daher weder willkürlich noch unverhältnismäßig, sondern es ist von einem sachlichen Differenzierungsgrund auszugehen. Normzweck ist nämlich, aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung, eine pauschale Abgeltung der Pflegekosten zwischen den Leistungserbringern. Dabei sollte Zweck des § 43a SGB XI gerade sein, einer Ausgrenzung von Bewohnern in Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 90 ff SGB IX) entgegenzuwirken (KassKomm-Schmidt, § 71 SGB XI, Rn. 40). Es handelte sich um einen Kompromiss zur gemeinsamen Finanzierungsverantwortung von Bund und Ländern. Grundsätzlich ist dem Gesetzgeber hier ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen.
Auch einen Verstoß der Anwendung des § 43a SGB XI gegen das in Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG geregelte spezielle Benachteiligungsverbot liegt nicht vor. Danach darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die unterschiedlichen Leistungen der Pflegeversicherung knüpfen aber nicht am Bestehen oder Nichtbestehen einer Behinderung an, sondern allein an den Ort, an dem sich der Behinderte versorgen lässt. Einen derartigen Verstoß hat auch das BSG nicht gesehen (BSG, Urt. v. 26.04.2001, a.a.O., Rn. 25). Das BSG hat ausgeführt, das Vorliegen einer Behinderung sei vielmehr faktisch Voraussetzung für die Leistungspflicht der Pflegeversicherung. Zwar knüpfe das Gesetz nicht unmittelbar an das Vorliegen einer Behinderung, etwa im Sinne des Schwerbehindertengesetzes, an, sondern an einen Hilfebedarf bei den elementaren Verrichtungen des täglichen Lebens (§ 14 SGB XI). Diese Voraussetzung korrespondiere aber, da es sich um einen Dauerzustand handeln müsse (zumindest für sechs Monate, § 14 Abs. 1 SGB XI), nahezu zwangsläufig mit dem Vorliegen einer Behinderung. Die unterschiedliche Behandlung der Behinderten untereinander - je nachdem, wo sie untergebracht seien -, die nicht unter das spezielle Benachteiligungsverbot, sondern unter den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) falle, sei durch sachliche Gründe gerechtfertigt (so im Ergebnis auch die Kommentarliteratur: KassKomm-Leitherer, SGB XI, § 43a Rn. 3; Renn, in: Berchtold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, 2. Aufl. 2018, § 43a SGB XI Rn. 3).
Zu Recht weist die Beklagte im Übrigen darauf hin, dass auch der Umstand, dass der Versicherte Selbstzahler ist und ihm wegen ausreichendem Vermögen und Einkommen keine Leistungen der Eingliederungshilfe gewährt werden, keinen Verstoß gegen das spezielle Benachteiligungsverbot begründet. Im Hinblick auf die Solidargemeinschaft stellen mehrere Gesetze verschiedener Sozialgesetzbücher für die Gewährung von bestimmten Hilfen darauf ab, ob ausreichendes Eigentum oder Vermögen vorhanden ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass in der sozialen Pflegeversicherung nur eine Grundabsicherung bezweckt ist. Es liegen damit sachliche Gründe für eine Differenzierung vor.
Der vom Kläger geltend gemachten Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG ist entgegenzuhalten, dass das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht schrankenlos ist. Vielmehr besteht als Schranke nach Art. 2 Abs. 1 GG die "verfassungsmäßige Ordnung". Hierunter ist die verfassungsmäßige Rechtsordnung bzw. die Gesamtheit der Rechtsnormen, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind (BVerfGE 6, 37 f; 50, 262; 75, 148), zu verstehen. § 43a SGB XI ist unzweifelhaft in diesem Sinn Teil der verfassungsmäßigen Ordnung. Im Wesentlichen ist ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG damit nur gegeben, wenn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt ist (BVerfGE 17, 313 f u.a.). Einen derartigen Verstoß sieht der Senat aus den zu Art. 3 GG dargelegten Gründen nicht.
Soweit ein Rechtsstreit vorlag, bei dem die Regelung des § 43a SGB XI in der jeweiligen Fassung im Vordergrund stand, ist auch das BSG in der Vergangenheit nicht von einer Verfassungswidrigkeit ausgegangen. In der Entscheidung vom 13.03.2001 (BSG B 3 P 17/00 R - juris) hat es dargelegt, dass die pauschale Leistung der Pflegeversicherung bei Pflege in einer stationären Einrichtung der Behindertenpflege auch zu erbringen ist, wenn der Behinderte vorübergehend zu Hause gepflegt wird. Die Regelung des § 43a SGB XI sei unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht als systemwidrig einzustufen (BSG, a.a.O., juris Rn. 20; zur Entscheidung vom 26.04.2001, a.a.O.: siehe oben S. 16).
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).