L 11 KR 1253/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 KR 1815/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 1253/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zum Anspruch eines Notfallsanitäters gegen den Rentenversicherungsträger auf Versorgung mit einem aufzahlungspflichtigen Hörgerät.

Die Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 23.03.2022 wird zurückgewiesen. Die Anschlussberufung der Beklagten wird als unzulässig verworfen.

Die Beigeladene trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.




Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung des Klägers mit einem Hörgerät streitig.

Der 1972 geborene Kläger ist bei der beklagten Krankenkasse krankenversichert und bei dem beigeladenen Rentenversicherungsträger rentenversichert. Er ist als Notfallsanitäter in der Notfallrettung bzw im Rettungsdienst beim D Kreisverband M in Vollzeit versicherungspflichtig beschäftigt.

Der S verordnete dem Kläger am 24.08.2020 wegen Innenohrschwerhörigkeit rechts eine Hörhilfe rechts (Erstverordnung). Ausweislich des Anpass- und Abschlussberichts vom 10.09.2020 passte der B GbR) das aufzahlungspflichtige Hörgerät S1 Insio 7Nx CIC (Hilfsmittel-Positionsnummer 13.20.12.8245: In-dem-Ohr<I>-Hörgerät mit einer maximalen Verstärkung bis 1,6 KHz: 66 dB, mit einem maximalen Ausgangsschalldruckpegel von 134 dB, einer programmierbaren digitalen Signalverarbeitung, 20 unabhängigen Kanälen, Störschallunterdrückung, Rückkoppelungsunterdrückung, 6 Hörprogrammen, 6 Hörsituationen im Mikrofonmodus, einer Ausgangsschalldruckbegrenzung, vorhandene Frequenzmodifikation) rechts an. Ohne Hörsystem ergab die Freifeldmessung mittels Freiburger Sprachtest zum Hörgewinn bei der Hörgeräteversorgung bei einem Nutzschall von 65 dB ein Hörvermögen von 65 % und bei einem Nutzschall von 65 dB mit Störschall von 60 dB von 30 %, mit dem gewünschten Hörsystem von 100 % und bei Nutzschall von 65 dB mit Störschall von 60 dB von 55 %. Die vergleichende Freifeldmessung mit dem aufzahlungsfreien Hörgerät Vitus BTE-micro (Hilfsmittel-Positionsnummer 13.20.22.0008: Hinter-dem-Ohr<HdO>-Hörgerät mit einer maximalen Verstärkung bei 1,6 KHz: 67 dB, maximalem Ausgangsschalldruckpegel 134 dB, programmierbarer digitaler Signalverarbeitung, 6 unabhängigen Kanälen, Störschallunterdrückung, Rückkoppelungsunterdrückung, 5 Hörprogrammen, 2 Situationen im Mikrofonmodus, Ausgangsschalldruckbegrenzung, fest einstellbarer Richtcharakteristik und adaptiver Richtcharakteristik, Frequenzmodifikation, Telefonspule) ergab bei einem Nutzschall von 65 dB ein Hörvermögen von 100 % sowie bei einem Nutzschall von 65 dB und Störschall von 60 dB von 55 %.

Am 15.09.2020 beantragte der Kläger bei der Beigeladenen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (berufliche Rehabilitation). Er sei Notfallsanitäter im Rettungsdienst und auf eine Hörhilfe rechts angewiesen. Er leide an einem Hörsturz mit Hörminderung des rechten Ohres. Er sei als Rettungsassistent auf den Rettungswagen tätig. Er arbeite auf der Straße, in Wohnungen, auf Baustellen und in öffentlichen Gebäuden. Er habe Notfallpatienten zu versorgen, zB bei Verkehrsunfällen, Betriebsunfällen, internistischen Notfällen. Seine Arbeit sei mit Lärm und Geräuschen, insbesondere Störgeräuschen verbunden. Die Entfernung zu Gesprächspartnern sei mal kurz und mal weit. Die Benutzung von Telefonen sei erforderlich. Er habe medizinische Geräte wie EKG und Absauggeräte zu bedienen. Er trage einen Infektionsschutzanzug, einen Helm, eine Schutzbrille, einen Mundschutz, eine Sicherheitsjacke, Handschuhe und Sicherheitsstiefel. Er sei wechselnden Geräuschkulissen mit Autobahn, Martinshorn, schreienden Patienten etc ausgesetzt. Dabei sei die Kommunikation mit anderen notwendig. Das Martinshorn komme zum Einsatz, zeitgleich müsse er den Funk hören. Auch arbeite er mit dem Stethoskop, müsse Patientengespräche in lauter Umgebung oder beim Fahren im Rettungswagen hören und mit seinen Kollegen kommunizieren. Das Benutzen von Stethoskop, Funkhörer, Schutzbrille, Infektionsschutzanzug, Feuerwehrhelm und einem HdO-Hörgerät sei nicht möglich. Er benötige das Hörgerät ausschließlich für den Beruf. Außerdem habe er dann Störgeräusche durch Wind, Martinshorn, Funk etc. Der Kläger legte seinem Antrag den Anpassungs- und Abschlussbericht des Hörgeräteakustikers vom 10.09.2020, die ärztliche Verordnung sowie einen Kostenvoranschlag für das Hörgerät S1 Insio 7 Nx CIC mit einem Eigenanteil iHv 2.112,80 € (Kassenanteil 816,94 €) vor.

Mit Schreiben vom 22.09.2020 leitete die Beigeladene den Antrag des Klägers an die Beklagte (Eingang dort am 28.09.2020) weiter. Eine materielle Zuständigkeit der Beigeladenen sei für die beantragten Hörhilfen nicht gegeben. Bei den in Betracht kommenden Leistungen handele es sich nicht um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Höranforderungen für die Berufsausübung als Notfallsanitäter beinhalteten keine spezifisch berufsbedingte Notwendigkeit der Hörgeräteversorgung. Persönliche oder telefonische Kommunikation im Zweier- oder Gruppengespräch - auch bei ungünstigen akustischen Bedingungen bzw störenden Umgebungsgeräuschen am Arbeitsplatz - stelle eine Anforderung an das Hörvermögen dar, die bei nahezu jeder Berufsausübung bestehe und daher keine spezifische berufsbedingte Bedarfslage begründen könne. Mit Schreiben vom gleichen Tag unterrichtete die Beigeladene den Kläger über die Weiterleitung seines Antrages.

Mit Bescheid vom 05.10.2020 übernahm die Beklagte eine Versorgungspauschale iHv 816,94 € (Hörgeräte inklusive Ohrpassstück und Reparaturkostenpauschale). Aus den Messergebnissen gehe hervor, dass ein objektiver Behinderungsausgleich mit einem Hörsystem, welches aufzahlungsfrei in Höhe der Versorgungspauschale abgegeben werde, möglich sei. Mit dem beantragten Hörgerät werde ein Sprachverstehen von 100 %/55 % erzielt, mit dem aufzahlungsfreien Hörgerät erreiche der Kläger ebenfalls eine Sprachverständlichkeit 100 %/55 %. Da sich der Kläger für ein höherwertiges Hörgerät entschieden habe, zahle er die Mehrkosten iHv 2103,42 € selbst. Dabei ging die Beklagte von einem HdO-Hörgerät aus.

Gegen den Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Er habe mehrere zuzahlungsfreie Geräte ausprobiert, jedoch könne ein objektiver Behinderungsausgleich vorliegend lediglich mit dem beantragten Hörgerät erreicht werden. Die anderen Geräte gewährleisteten gerade kein ausreichendes Verstehen in Gruppen und größeren Räumen sowie bei starken Hintergrundgeräuschen. Auch aufgrund seiner besonderen beruflichen Situation sei er auf das beantragte Hörgerät angewiesen, um insbesondere Gefahrsituationen ausreichend schnell zu erfassen und schnell handeln zu können. In dem Formular Arbeitsplatzbeschreibung vom 08.12.2020 gab der Kläger ua an, dass eine Kommunikation über Funksprechgeräte und Telefon mit mehreren Einsatzgruppen wie Polizei, Feuerwehr, THW und anderen Hilfsorganisationen, Patienten, Krankenhauspersonal sowohl in Gruppen als auch einzeln notwendig sei. Einen Gehörschutz könne er nicht tragen. Er sei immer auf das Tragen einer Hörhilfe angewiesen. Er sei derzeit nicht mit einem Hörgerät versorgt. Das Hörgerät benötige er auch im privaten Bereich.

Der Hörgeräteakustiker teilte auf Anfrage der Beklagten mit, dass der Kläger das Hörgerät S1 Insio 7 Nx CIC vom 27.08. bis 01.10.2020 und das Hörgerät Phonak Vitus BTE-micro vom 01.10.2020 bis 14.10.2020 getestet habe (Schreiben vom 08.01.2021). Das Hörgerät S1 Silk 3x (Hilfsmittelpositionsnummer 13.20.22.5214: I-Hörgerät mit maximaler Verstärkung: 45 dB, maximaler Ausgangsschalldruckpegel 114 dB, programmierbarer digitaler Signalverarbeitung, 12 unabhängigen Kanälen, Störschallunterdrückung, Rückkopplungsunterdrückung, 6 Hörprogrammen, 3 Hörsituationen im Mikrofonmodus, Ausgangsschalldruckbegrenzung, omnidirektionaler Charakteristik und adaptiver Richtcharakteristik, Frequenzmodifikation, Impulsschallunterdrückung, Windgeräuschunterdrückung) trage er seit dem 14.10.2020 leihweise immer noch. Die Testphase sei noch nicht abgeschlossen, bis die Mehrkosten geklärt seien. Der Kläger habe bis dato keine Mehrkosten bezahlt. Der Kläger sei telefonisch im Erstkontakt als auch bei seinem Ersttermin beim Akustiker über eine zuzahlungsfreie Versorgung informiert worden. Eine Mehrkostenerklärung sei bisher nicht unterschrieben worden. Der Kläger sei beruflich als Notfallsanitäter tätig. Er sei auch auf eine I-Versorgung angewiesen, da er viel im Freien arbeite. Er sei auf ein sehr gutes Sprachverstehen in geräuschvoller Umgebung im täglichen Patientenkontakt angewiesen. Er arbeite sehr viel mit einem Stethoskop. Das Martinshorn im Krankenwagen sei sehr laut, daher müssten sehr laute Geräusche gut gefiltert werden.

Die Beklagte schaltete den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein, der wiederum bei dem Beratungsdienst H ein Hilfsmittelgutachten einholte. Danach habe die Prüfung der vorgelegten Unterlagen ergeben, dass die Testung eines aufzahlungsfreien Hörsystems bzw eines Hörsystems zu Sätzen der Vertragspreise zu erkennen sei. Es handele sich um das Hörsystem Phonak Vitus BTE-micro. Für dieses Hörsystem würden vergleichbare Sprachverständlichkeitsquoten zum beantragten Hörsystem vom Akustiker geliefert. Nach Aktenlage werde mit den zum Vertragspreis angebotenen Hörsystem eine sachgerechte Versorgung ohne sprachaudiometrische Betrachtung sichergestellt. Unter Beachtung des Berufes des Versicherten könne die Notwendigkeit für eine Versorgung mit einem I-Hörsystem für die rechte Seite erkannt werden. Die Notwendigkeit für das hier beantragte Hörsystem könne jedoch nicht erkannt werden. So wäre schon die Versorgung mit einem aufzahlungsfrei angebotenen I-Hörsystem möglich. Warum ein solches Hörsystem vom Akustiker nicht angeboten worden sei, sei nicht nachvollziehbar. Selbst bei einer fiktiven Annahme für das Hörsystem mit einem I-Hörsystem oberhalb der Vertragspreise wären auch erheblich günstigere Geräte auf dem deutschen Markt verfügbar. Solche Geräte seien hier jedoch nicht mit vergleichbaren und nachvollziehbaren Werten dokumentiert.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2021 als unbegründet zurück. Es bestehe kein Anspruch auf Übernahme der Mehrkosten für eine rechtsseitige Hörgeräteversorgung mit dem Model S1 Insio 7Nx CIC. Der Anspruch auf Versorgung mit Hörmitteln richte sich nach § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Versorgung umfasse ua auch Hörhilfen, wenn diese im Einzelfall erforderlich seien, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen seien. Bei der Versorgung mit Hilfsmitteln seien die Wirtschaftlichkeitsgrundsätze zu beachten. Nach § 12 Abs 1 SGB V müssten die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürften das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich seien, könnten Versicherte nicht beanspruchen, dürften Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Wählten Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgingen, hätten sie die Mehrkosten und die dadurch bedingten höheren Folgekosten selber zu tragen (§ 33 Abs 1 Satz 5 SGB VI). § 36 SGB V sehe vor, dass der Spitzenverband Bund der Krankenkassen zunächst Hilfsmittel bestimme, für die Festbeträge festzusetzen seien, und im Folgenden für die Versorgung mit diesen bestimmten Hilfsmitteln einheitliche Festbeträge festsetze. Nach dem gemäß § 127 SGB V geschlossenen Vertrag zwischen dem Verband der Ersatzkassen, die Beklagte gehöre diesem Verband an, und der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker, zu deren Mitglied auch der Hörgeräteakustiker gehöre, sei für die Versorgung und Vergütung Schwerhöriger (WHO 2 und 3) und an Taubheit grenzender Schwerhöriger (WHO 4) eine unterschiedliche Regelung getroffen. So sei festgelegt worden, dass bei Versicherten der Qualifikation WHO 2 und 3 Hörhilfen der Produktgruppe 13.20.12 und bei WHO 4 Hörhilfen der Produktgruppe 13.20.10 eingesetzt würden. Gemäß den vertraglichen Vereinbarungen erhalte der Versicherte vom Akustiker mindestens ein eigenanteilsfreies Versorgungsangebot (ohne wirtschaftliche Aufzahlung, ausgenommen der gesetzlichen Zuzahlung, mit voll digitalen Hörsystemen). Damit der Versicherte grundsätzlich im Rahmen der Festbeträge und im Sachleistungsverfahren zu versorgen sei, seien entsprechende vertragliche Vereinbarungen getroffen worden. So sei in § 3 des Vertrages zur Hörgeräteversorgung festgelegt worden, dass der Versicherte für seine Hörsituation mindestens ein individuell geeignetes aufzahlungsfreies Versorgungsangebot mit voll digitalen Hörsystemen erhalte. Dafür habe der Akustiker ein ausreichendes Sortiment von aufzahlungsfreien Angeboten zum bestmöglichen Ausgleich des Hörverlustes vorzuhalten. Bei der Testung des Sprachverstehens mit und ohne Hörgerät im Hörstudio des Akustikers handelt es sich um ein objektives, anerkanntes Verfahren. Bei den Leistungsanträgen für Hörhilfen orientiere sich die Beklagte an den im Hörstudio ermittelten Werten. Sofern bei der vergleichbaren Anpassung mit dem aufzahlungspflichtigen Hörgerät ein besseres Sprachverstehen erzielt werde, sei in § 3.9 geregelt, dass ein weiteres aufzahlungsfreies Hörgerät zum Erreichen eines möglichst weitgehend gleichen Sprachverstehen getestet werden müsse (Messtoleranz 5 %). Unter Berücksichtigung der Messdaten sei festzustellen, dass durch das gewählte Hörsystem kein Hörgewinn erreicht werde, der nicht auch mit einer aufzahlungsfreien Alternative erzielt werde. Mit der aufzahlungsfreien Versorgung werde der Kläger nicht auf ein Basishörvermögen reduziert, sondern es ergäben sich ganz erhebliche Hörgewinne, die durch das gewählte Hörgerät nicht verbessert werden könnten. Insoweit werde auf die Angaben des Hörgeräteakustikers verwiesen, wonach der Kläger mit der aufzahlungsfreien Versorgungsalternative ein gleich gutes Hörvermögen wie mit dem ausgewählten Hörgerät erzielt habe. Ferner bestehe für den Kläger auch kein berufsbedingter Mehrbedarf. Ein berufsspezifischer Mehrbedarf würde sich beispielsweise in der Musikbranche (Dirigenten, Instrumentenbauer) und im Bereich der Qualitätssicherung (Geräuschfahrer) ergeben. Das Vorliegen eines solchen Mehrbedarfs sei seitens der Beigeladenen nicht festgestellt worden. Auch der MDK habe keinen berufsbedingten Bedarf festgestellt, der nicht durch eine Versorgung mit einem Hörsystem zum Vertragspreis hätte gedeckt werden können.

Dagegen hat der Kläger am 21.07.2021 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und eine Versorgung mit dem Hörgerät S1 Insio 7 Nx CIC über die Festbeträge hinaus begehrt. Die Beklagte verkenne, dass das von ihm beantragte Hörgerät einen arbeitsplatzspezifischen Gebrauchsvorteil biete, der für die weitere Berufsausübung von wesentlicher Bedeutung sei. Ausschlaggebend sei hierbei die Funktion der Filterung von Störgeräuschen und Hintergrundlärm. So seien herkömmliche, zuzahlungsfreie Geräte nicht in der Lage, störende Motorengeräusche, Sirenen oder anderweitige Umgebungsgeräusche herauszufiltern. Das begehrte Hörsystem S1 Insio verfüge hingegen über derartige Funktionen. Gerade durch die Möglichkeit der Anpassung des Hörvermögens des rechten Ohres an das des linken Ohres finde eine bessere Kommunikation von Gehör und Gehirn statt, die den eigentlichen natürlichen Ausgleichsprozess unterstütze und nicht behindere, wie dies bei zuzahlungsfreien Hörsystemen der Fall wäre. Zudem bestehe bei dem Hörsystem S1 Insio 7 eine 360 Grad Wahrnehmung, die im Zusammenhang mit einem intelligenten Hörsystem dazu in der Lage sei, Hintergrundlärm und Störgeräusche selbstständig zu erfassen und an das Hörvermögen des linken Ohres anzupassen. Ohne diese Funktion würden sämtliche Geräusche aufgefangen und unabhängig von ihrer tatsächlichen Lautstärke verstärkt weitergegeben. Für ihn - den Kläger - sei es gerade in beruflicher Hinsicht erforderlich, ein annähernd normales Hörvermögen zu besitzen. Neben dem normalen Straßenverkehrs- und Krankenhauslärm müsse der Lärm berücksichtigt werden, der durch die berufsbedingten Besonderheiten hervorgerufen werde. Neben den Sirenen, mehreren Gesprächsherden am Unfallort und einer örtlichen Nähe zum Straßenverkehr kämen noch extreme Wetterlagen, Hubschrauber, Infektionsschutzanzüge und Maschinenlärm dazu. Weiterhin befinde er sich für mehrere Stunden täglich in diesen Lärmfeldern. Anders als im beruflichen Alltag könne er im Privatleben die Situationen, in denen es auf ein gutes Hörverstehen ankomme, in der Regel beeinflussen und damit behinderungsentsprechend gestalten. Gerade bei der Tätigkeit als Notfallsanitäter müsse er sich lauten und unübersichtlichen Plätzen stellen, die vor allem akustische Problemfälle böten. Neben den beruflichen Lärmbedingungen sei auch hervorzuheben, in welcher Qualität er sein Umfeld wahrnehmen müsse. Als Notfallsanitäter sei er nicht nur darauf angewiesen, die jeweiligen Durchsagen per Funk, die Angaben der Opfer und auch berufliche Anweisungen am Unfallort zu verstehen, sondern weitere Gefahrenherde zu vermeiden. Würde er jedoch Anweisungen oder Umgebungsgeräusche nicht korrekt verstehen bzw interpretieren, so bestehe ein stark erhöhtes Gefährdungspotential. Fehlverhalten und Fehlinterpretationen aufgrund einer verminderten Hörfähigkeit würden bei seinem Beruf daher nicht nur eine Gefahr für Leib und Leben der zu rettenden Person, sondern auch für die übrigen Beteiligten bedeuten. Gerade auch das zuzahlungsfreie Hörgerät Vitus spiegele nicht die Besonderheiten wider. In der Zeit vom 18.06.2020 bis zu 10.12.2020 hätten bei dem Hörgeräteakustiker verschiedene Tests stattgefunden. Es seien 3 Hörgeräte getestet worden. Unter diesen Hörgeräten habe sich auch das zuzahlungsfreie Gerät sowie das streitgegenständliche zuzahlungspflichtige Gerät befunden. Während dieser Testphase sei herausgearbeitet worden, dass das beantragte Hörgerät geeignet sei, den besonderen beruflichen Situationen gerecht zu werden bzw Stand zu halten. Von entscheidender Bedeutung sei hierbei die Störfilterfunktion gewesen, die es ihm ermöglicht habe, eine bessere Kommunikation zwischen dem linken und dem rechten Ohr herzustellen und so Umgebungsgeräusche herauszufiltern. 

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Das SG hat mit Beschluss vom 28.10.2020 die Deutsche Rentenversicherung Bund gemäß § 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen. Die Beigeladene hat dahingehend Stellung genommen, dass eine Kostenübernahme für Hilfsmittel wie Hörgeräte als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nur dann durch den Rentenversicherungsträger in Betracht komme, wenn dieses Hilfsmittel ausschließlich zum Ausgleich einer Behinderung bei Ausübung eines bestimmten Berufes oder einer bestimmten beruflichen Bildungsmaßnahme benötigt werde, dh nicht lediglich die Funktionsstörung in medizinischer Hinsicht beseitige, sondern die Folgeerscheinungen der Behinderung für eine bestimmte berufliche Verrichtung ausgleiche. Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Tätigkeit des Klägers als Notfallsanitäter stelle nach Auffassung der Beigeladenen keine spezifisch berufsbedingten Anforderungen an das Hörvermögen, die über das übliche Maß jedweder beruflichen Tätigkeit hinausgingen. Die beschriebenen Situationen bei der unmittelbaren Gesprächsführung mit anderen Menschen unter Störgeräuschen fänden sich bei jeder beruflichen Tätigkeit und auch in vielen allgemeinen Lebensbereichen wieder. Die Möglichkeit zur persönlichen Kommunikation mit Menschen im Störlärm sei im gesamten Lebensbereich notwendig und sicher zu stellen. Störgeräusche seien ebenfalls in allen Lebensbereichen üblich und dürften ein gutes Verstehen nicht beeinträchtigen.

Das SG hat mit den Beteiligten am 23.03.2022 eine mündliche Verhandlung durchgeführt und den Kläger persönlich angehört. Mit Urteil vom 23.03.2022 hat es den Bescheid vom 05.10.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.06.2021 abgeändert und die Beklagte verurteilt, den Kläger mit einem Hörgerät S1 Insio 7 Nx CIC zu versorgen. Die Beklagte habe die Leistung zu Unrecht abgelehnt, nicht aber, weil sie als Krankenkasse zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Vielmehr sei die Leistung durch den erstangegangenen Leistungsträger (§ 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch <SGB IX>) nach den für die Beigeladene geltenden Vorschriften zu erbringen.

Gegen das ihr am 28.03.2022 zugestellte Urteil wendet sich die Beigeladene mit ihrer am 25.04.2022 eingelegten Berufung, die sie trotz mehrfacher Aufforderung (zB vom 08.07.2022, 09.08.2022) erst mit Schreiben vom 24.11.2022 begründet hat. Sie ist ua der Auffassung, dass die Prüfung der Hörgeräteversorgung im SGB V und SGB VI den gleichen Maßstäben folgen müsse. Entweder müsse die Krankenversorgungsleistung nachgebessert werden, wenn diese nicht ausreichend sei, um die streitige Höranforderung zu gewährleisten, oder durch die Klage müsse insgesamt abgewiesen werden, weil das Gleichziehen mit einem gesunden Hörenden bereits durch die Festbetragsversorgung gewährleistet sei. 

Die Beigeladene beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 23.03.2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Beklagten ist das Urteil am 30.03.2022 zugestellt worden. Sie hat am 09.05.2022 beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 23.03.2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Berufung gegen das Urteil zurückzuweisen.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 24.08.2022 ausgeführt, dass es sich bei ihrem Schriftsatz vom 09.05.2022 um eine unselbständige Anschlussberufung iSd § 202 SGG iVm § 524 Abs 1 Abs 2 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) handele. Die Berufung der Beigeladenen sei dabei auch zulässig. Diese sei durch das Urteil des SG beschwert. Das SG habe zwar die Beklagte zur Leistung verurteilt, aber gleichzeitig festgestellt, dass dieses nicht nach den Regeln des SGB V, sondern als zweitangegangener Träger nach den Regeln des SGB IX erfolgt sei. Sollte das Urteil des SG in Rechtskraft erwachsen, stehe ihr gegen die Beigeladene ein Erstattungsanspruch zu. In die gleiche Stoßrichtung ziele die unselbständige Anschlussberufung der Beklagten, nämlich sicherzustellen, dass entweder das LSG der Berufung der Beigeladenen folge und das erstinstanzliche Urteile in Gänze aufhebe, um zu verhindern, dass bei einem nur teilweisen Berufungserfolg der Beigeladenen die Beklagte beschwert werde.

Der Kläger hat beantragt,

die Berufung der Beigeladenen als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen und die Anschlussberufung der Beklagten als unzulässig zu verwerfen.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beigeladene durch das angefochtene Urteil des SG nicht beschwert sei. Ihr fehle es an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Einlegung des Rechtsmittels. Auch die Vorgehensweise der Beklagten sei nicht verständlich. Der Schriftsatz der Beklagten vom 09.05.2022 sei auch nicht als unselbständige Anschlussberufung zulässig.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.




Entscheidungsgründe

Die Berufungen der Beigeladenen und der Beklagten haben keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 SGG) eingelegte Berufung der Beigeladenen ist statthaft und zulässig, weil sie nicht der Zulassung bedarf (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr 1 SGG). Die Beigeladene ist auch rechtmittelbefugt. Sie war bereits in der Vorinstanz an dem Rechtsstreit beteiligt und ist durch das Urteil des SG beschwert. Die für das Rechtsmittel der Berufung eines Beigeladenen erforderliche materielle Beschwer liegt vor, wenn er geltend machen kann, dass er aufgrund der Bindungswirkung des angefochtenen Urteils bzw Gerichtsbescheids (§§ 141 Abs 1 Nr 1, 105 Abs 3 SGG) unmittelbar in seinen subjektiven Rechten beeinträchtigt ist (vgl LSG Baden-Württemberg 27.04.2021, L 11 KR 2082/19, juris, Rn 31; LSG Baden-Württemberg 25.06.2015, L 7 SO 1447/11, juris, Rn 60; Schmidt in Meyer-Ladewig ua, SGG, 13. Auflage 2020, § 75 Rn 19; Keller, ebenda, Vor § 143 Rn 4a, 8; Sommer in BeckOGK-SGG, Stand 01.08.2022, § 143 Rn 27; Straßfeld, ebenda, § 75 Rn 292, 298). Eine solche materielle Beschwer des Beigeladenen liegt insbesondere bei dessen Verurteilung nach § 75 Abs 2 SGG vor (vgl Keller in Meyer-Ladewig ua, SGG, 13. Auflage 2020, Vor § 143 Rn 8). Dagegen genügt für eine materielle Beschwer nicht allein die im SGG angeordnete Bindungswirkung rechtskräftiger Urteile (§ 141 Abs 1 Nr 1 SGG) auch für den zum Rechtsstreit Beigeladenen (BSG 24.03.2016, B 12 KR 6/14 R, SozR 4-2500 § 5 Nr 27, SozR 4-1500 § 54 Nr 40, SozR 4-1500 § 75 Nr 23; BSG 12.12.2014, B 6 KA 6/14 R, BSGE 118, 30). Denn auch aus dieser Bindung folgt eine Beschwer des Beigeladenen nur dann, wenn dieser aufgrund der Bindungswirkung (zusätzlich) unmittelbar in eigenen (subjektiven) Rechtspositionen beeinträchtigt sein kann, dh eine Beschwer nicht nur formal besteht (sog formelle Beschwer), sondern auch sachlich - materiell - von Bedeutung ist (sog materielle Beschwer) (BSG 14.09.2020, B 4 AS 212/20 B; BSG 24.03.2016, B 12 KR 6/14 R, SozR 4-2500 § 5 Nr 27, SozR 4-1500 § 54 Nr 40, SozR 4-1500 § 75 Nr 23).

Die materielle Beschwer der Beigeladenen ist vorliegend gegeben, weil sie durch die Entscheidung des SG unmittelbar in der Erfüllung des nur ihr gesondert übertragenen eigenständigen Aufgabenbereichs beeinträchtigt dadurch sein kann, dass sie zum Ausgleich gegenüber der verurteilten Beklagten verpflichtet wäre (BSG 14.09.2020, B 4 AS 212/20 B). Nach § 141 Abs 1 Nr 1 SGG binden rechtskräftige Entscheidungen die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Beteiligter in diesem Sinn ist auch die Beigeladene (§ 69 Nr 3 SGG). Die Bindung erstreckt sich nur auf den Inhalt der rechtskräftigen Entscheidung zum Streitgegenstand, dh auf das Ergebnis, welche Rechtsfolge sich aus einem bestimmten, festgestellten Teil der Entscheidung ergibt. Eine Belastung der Beigeladenen ergibt sich im hiesigen Verfahren nicht bereits aus der Urteilsformel der angefochtenen Entscheidung. Sie kann lediglich aus den Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen resultieren, dass sich der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte nicht aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ergibt, für das diese originär zuständig ist, sondern vielmehr aufgrund der Zuständigkeitsregelung des § 14 SGB IX aus dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, für das originär die Beigeladene zuständig wäre. Zwar nehmen die Entscheidungsgründe an der aus der Rechtskraft eines Urteils folgenden Bindungswirkung grundsätzlich nicht teil (Keller in Meyer-Ladewig ua, SGG, 13. Auflage 2020, § 141 Rn 7 ff), jedoch gilt eine Ausnahme im Falle der Präjudizialität für einen Folgeprozess (vgl (LSG Baden-Württemberg 02.02.2021, L 11 KR 2192/19; Schütz in jurisPK-SGG, 2. Auflage 2022, § 141 SGG Rn 41), die hier gegeben ist. Eine Präjudizialität liegt vor im Falle der direkten Abhängigkeit der im Zweitprozess geltend gemachten Rechtsfolge von der Rechtsfolge, über die im Erstprozess entschieden worden ist. Voraussetzung ist eine Identität der Streitgegenstände, dh eine Deckungsgleichheit des in dem früheren und in dem erneut anhängig gemachten Rechtsstreit erhobenen Anspruchs (BSG 06.02.1992, 7 RAr 78/90, SozR 3-1500 § 54 Nr 9). Das Urteil des SG ist präjudiziell in einem Prozess über die Erstattung der Aufwendungen der Beklagten durch die Beigeladene. In einem Prozess über die Erstattung kommt es entscheidend darauf an, dass bzw ob die Beklagte die Leistungen nach den für die Beigeladene geltenden materiellen Vorschriften und nicht aufgrund eigener originärer Zuständigkeit zu erbringen hatte. Eine Erstattungspflicht der Beigeladenen kann sich aus § 16 Abs 1 SGB IX ergeben. Nach dieser Vorschrift gilt Folgendes: Hat ein leistender Rehabilitationsträger nach § 14 Abs 2 Satz 4 SGB IX Leistungen erbracht, für die ein anderer Rehabilitationsträger insgesamt zuständig ist, erstattet der zuständige Rehabilitationsträger die Aufwendungen des leistenden Rehabilitationsträgers nach den für den leistenden Rehabilitationsträger geltenden Rechtsvorschriften. Für die Frage der Erstattung ist daher die Feststellung ausschlaggebend, ob die Beigeladene für die Leistung zuständig ist (vgl zur Präjudizialität im Rahmen des § 14 Abs 4 SGB IX aF ausführlich BSG 25.04.2013, B 8 SO 12/12 R, SozR 4-1500 § 141 Nr 2, Rn 11 f; ferner LSG Baden-Württemberg 02.02.2021, L 11 KR 2192/19). Ob tatsächlich ein Erstattungsanspruch nach § 16 Abs 1 SGB IX besteht, weil die Beklagte ggf erstangegangeneTrägerin ist, bedarf hiernach keiner Entscheidung, denn für die Rechtsmittelbefugnis genügt die Möglichkeit der Rechtsverletzung.

Das prozessuale Begehren der Beklagten stellt keine statthafte und zulässige unselbständige Anschlussberufung dar. Nachdem für die Beklagte, die durch das angegriffene und ihr am 30.03.2022 zugestellte Urteil des SG beschwert ist, die Berufungsfrist von 1 Monat (§ 151 Abs 1 SGG) am 09.05.2022 bereits abgelaufen war, kommt lediglich eine nicht fristgebundene Anschlussberufung in Betracht. Die Anschlussberufung ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 202 SGG iVm § 524 ZPO möglich (allgemeine Meinung, vgl zB BSG 26.10.2017, B 8 SO 12/16 R, SozR 4-1750 § 524 Nr 1, SozR 4-3500 § 13 Nr 3, SozR 4-1500 § 163 Nr 11 mwN). Die Anschlussberufung ist kein Rechtsmittel, sondern nur ein angriffsweise wirkender Antrag, mit dem sich der Gegner innerhalb des Rechtsmittels des Berufungsklägers an dessen Rechtsmittel anschließt. Sie bietet die Möglichkeit, die vom Berufungskläger angefochtene Entscheidung des SG auch zu seinen, des sich Anschließenden, Gunsten ändern zu lassen, ohne dass insoweit eine Beschwer vorliegen müsste (zB BSG 26.10.2017, B 8 SO 12/16 R, SozR 4-1750 § 524 Nr 1, SozR 4-3500 § 13 Nr 3, SozR 4-1500 § 163 Nr 11 mwN). Mit ihr können aber nicht Ansprüche zur Überprüfung des Berufungsgerichts gestellt werden, die von der Berufung gar nicht erfasst werden. Dabei ist die Anschlussberufung nicht fristgebunden und unterliegt auch nicht den Fristen der im Zivilprozess maßgeblichen Vorschrift des § 524 Abs 2 Satz 2 und Abs 3 ZPO (BSG 05.05.2010, B 6 KA 6/09 R, BSGE 106, 110; Sommer in BeckOGK SGG, § 143 Rn 30; Keller im Meyer-Ladewig ua, SGG, 13. Auflage 2020, § 143 Rn. 5; Littmann in LPK-SGG, 6. Auflage 2021, § 143 Rn 25; Schreiber in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Auflage 2020, § 143 Rn. 26), sodass die Rüge des Klägers, die Beklagte habe ihre Anschlussberufung nicht (rechtzeitig) begründet, ins Leere geht. Mit ihrem Antrag geht es der Beklagten jedoch nicht darum, die von der Beigeladenen als Berufungsklägerin angefochtene Entscheidung des SG zu ihren Gunsten (der Beklagten) zu ändern. Die Beklagte beschränkt sich darauf, den Berufungsantrag der Beigeladenen zu wiederholen (Aufhebung des Urteils des SG und Abweisung der Klage). Mehr als die Aufhebung des Urteils sowie die Abweisung der Klage kann nicht erreicht werden. Mit ihrem Hilfsantrag möchte die Beklagte sicherstellen, dass es bei dem erstinstanzlichen Urteil des SG verbleibt, mit dem sie lediglich als zweitangegangener Rehabilitationsträger zur Leistungsgewährung nicht in eigener materiell-rechtlicher Leistungszuständigkeit, sondern nach Maßgabe rentenrechtlicher Vorschriften verurteilt worden ist. Auch dazu bedarf es keiner Anschlussberufung. 

Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid vom 05.10.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.06.2021 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Versorgung des Klägers mit dem Hörgerät S1 Insio 7Nx CIC über den bewilligten Festbetrag hinaus abgelehnt hat. Auf die vom Kläger dagegen statthaft erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG) hat das SG, nachdem der Kläger sich das begehrte Hörgerät zwischenzeitlich nicht verschafft hat und auch mit keinem anderen Hörgerät versorgt ist, mit Urteil vom 23.03.2022 unter Abänderung des Bescheids vom 05.10.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.06.2021 die Beklagte verurteilt, diesen mit einem Hörgerät S1 Insio 7 Nx CIC für das rechte Ohr zu versorgen. Dieses Urteil greift die Beigeladene mit ihrer Berufung an und will die Abweisung der Klage erreichen.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, den Kläger mit dem Hörgerät S1 Insio 7 Nx CIC für das rechte Ohr zu versorgen.

Dabei ist die Beklagte leistender Rehabilitationsträger iSd § 14 SGB IX, der gegenüber dem Leistungsberechtigten (vorliegend dem Kläger) umfassend und ausschließlich zuständig ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die maßgebliche Antragstellung iSd § 14 SGB IX bei der Beklagten durch Übergabe der vertragsärztlichen Versorgung vom 24.08.2020 an den Hörgeräteakustiker (vgl zum Antragsgeschehen bei einer Hörgeräteversorgung BSG 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R, BSGE 113, juris Rn 40) oder durch Weiterleitung des Antrages durch die Beigeladene an die Beklagte erfolgt ist. In beiden Fällen ist der klägerische Antrag auf eine bestmögliche Versorgung mit einem Hörgerät rechts als Antrag auf Teilhabeleistungen auszulegen. Eine Aufspaltung des klägerischen Begehrens in zwei separate Leistungsanträge, nämlich in einen Antrag auf Bewilligung eines Festbetrages („Normalversorgung“, § 12 Abs 2 SGB V) und einen weiteren Antrag auf Bewilligung einer über den Festbetrag hinausgehenden, technisch anspruchsvolleren und teureren Versorgung („Premiumversorgung“), scheidet bei dieser Sachlage aus (vgl BSG 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R, BSGE 113, 40; BSG 30.10.2014, B 5 R 8/14 R, BSGE 117, 192). Eine Weiterleitung durch die Beklagte ist nicht erfolgt, sodass sie als erstangegangener Leistungsträger für die Hörgeräteversorgung des Klägers zuständig geworden ist (§ 14 Abs 2 Satz1 SGB IX). Der Kläger ist mit seinem Begehren nach einer Hörgeräteversorgung am 15.09.2020 an die Beigeladene als rentenversicherungsrechtlichen Leistungsträger (§ 16 Satz 1 SGB VI iVm § 49 Abs 3 Nr 7 und Abs 8 Satz 1 Nr 4 IX) herangetreten, um das von ihm gewünschte Hörgerät ohne die über den von der Beklagten getragenen Festbetrag hinausgehende Eigenbeteiligung iHv 2.112,80 € gewährt zu bekommen. Die Zuständigkeit der Beigeladenen als für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 9 Abs 1 Satz 1 SGB VI iVm § 5 Nr 2 und § 6 Abs 1 Nr 4 SGB IX) einstandspflichtigen Versicherungsträger kam hier in Betracht, weil der Kläger die Notwendigkeit der verbesserten Hörgeräteversorgung damit begründet hat, anderenfalls seine Beschäftigung als Notfallsanitäter nicht (mehr) ausüben zu können. Die Beigeladene hat den Leistungsantrag des Klägers vom 15.09.2022 mit Schreiben vom 21.09.2022 an die Beklagte, mithin rechtzeitig innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IX weitergeleitet, sodass diese als leistender Rehabilitationsträger nach § 14 Abs 2 Satz 1 und 4 SGB IX für das einheitliche Rehabilitationsgeschehen der Versorgung mit Hörhilfen umfassend im Verhältnis zum Kläger zuständig geworden ist. Die Zuständigkeit als erstangegangener Rehabilitationsträger (ohne Weiterleitung) und als zweitangegangener Rehabilitationsträger (nach Weiterleitung) erstreckt sich im Außenverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem leistenden Rehabilitationsträger auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind (zB BSG 15.03.2018, B 3 KR 18/17 R, BSGE 125, 198; BSG 24.04.2016, B 8 SO 20/14 R; BSG 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R, BSGE 113, 40 mwN). Dadurch wird eine nach außen verbindliche Zuständigkeit des leistenden Rehabilitationsträgers geschaffen, die intern - zwischen den verschiedenen Rehabilitationsträgern - die Verpflichtungen des eigentlich zuständigen Leistungsträgers unberührt lässt und die Träger insoweit auf den nachträglichen Ausgleich nach § 16 SGB IX und §§ 102 ff SGB X verweist (BSG 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R, BSGE 113, 40 mwN). Die Zuständigkeit des leistenden Rehabilitationsträgers gegenüber dem Leistungsberechtigten im Außenverhältnis begründet eine eigene gesetzliche Verpflichtung und bildet für den Leistungsberechtigten den Rechtsgrund für das Behaltendürfen der erbrachten Leistung (BSG 26.02.2020, B 5 R 1/19 R, juris Rn 12). Die Zuständigkeit des leistenden Rehabilitationsträgers im Außenverhältnis ist umfassend und ausschließlich, dh die Beklagte ist im Verhältnis zum Kläger für das Rehabilitationsgeschehen anlässlich der Versorgung mit dem Hörgerät S1 Insio 7 Nx CIC für das rechte Ohr allein zuständig (zB BSG 14.05.2014, B 11 AL 6/13 R).

Das SG hat in der Sache zu Recht entschieden, dass der Kläger zwar keinen Anspruch auf das begehrte Hörgerät nach den Vorschriften des SGB V hat. Jedoch folgt ein Anspruch auf Versorgung mit dem Hörgerät S1 Insio 7 Nx CIC für das rechte Ohr nach den für die Beigeladene geltenden Rechtsvorschriften.

Rechtsgrundlage des krankenversicherungsrechtlichen Sachleistungsanspruchs, für den die beklagte Krankenkasse zuständig ist, ist § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte ua Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln wie Hörhilfen, die im Einzelfall erforderlich sind, um ua die hier allein in Betracht zu ziehende Behinderung nach § 33 Abs 1 Satz 1, 3. Alt SGB V und damit die beeinträchtigte Körperfunktion (hier: das eingeschränkte Hören) auszugleichen. Der Kläger ist aufgrund seiner Innenohrschwerhörigkeit rechts auf eine Hörgeräteversorgung des rechten Ohres angewiesen. Dass er zum Ausgleich seiner Schwerhörigkeit einen Anspruch auf eine Versorgung mit einem Hörgerät rechts hat, das nach § 34 Abs 4 SGB V nicht aus der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen ist, wird von der Beklagten auch nicht in Frage gestellt.

Ein Sachleistungsanspruch auf die hier begehrten Hörgeräte besteht jedoch nicht, weil der Kläger mit diesem Hörgerät eine Hilfsmittelversorgung wünscht, die über das Maß des Notwendigen hinausgeht. Die Beklagte hat ihre (originäre, dh krankenversicherungsrechtliche) Leistungs-pflicht mit der Bewilligung des Festbetrages erfüllt (§ 12 Abs 2 SGB V). Beim Einsatz von Hilfsmitteln des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V ist nach deren Funktionalität und schwerpunktmäßiger Zielrichtung bzw Zwecksetzung zu differenzieren (vgl nur BSG 15.03.2018, B 3 KR 18/17 R, BSGE 125, 189 = SozR 4-2500 § 13 Nr 41, Rn 23 ff). Ein Hilfsmittel dient als Leistung zur medizinischen Rehabilitation dem „Ausgleich einer Behinderung“, wenn es seinem Zweck entsprechend die Auswirkungen der Behinderung beseitigt oder mindert und damit der Befriedigung eines Grundbedürfnisses dient. Für den Versorgungsumfang, insbesondere Qualität, Quantität und Diversität, kommt es entscheidend auf den Umfang der mit dem begehrten Hilfsmittel zu erreichenden Gebrauchsvorteile im Hinblick auf das zu befriedigende Grundbedürfnis an, ohne dass hierfür maßgeblich die Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Behinderungsausgleich heranzuziehen wäre (BSG 07.05.2020, B 3 KR 7/19 R, juris Rn 27 mwN). Hörbehinderten Menschen ist im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen sind die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 36 Nr 2, SozR 4-2500 § 33 Nr 28, Rn 19 ff; BSG 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R, SozR 4-3250 § 14 Nr 19, Rn 31). Der Anspruch auf eine Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V wird jedoch durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 SGB V begrenzt. Die Leistungen müssen danach „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein“ und dürfen „das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“; Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Demzufolge verpflichtet auch § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist; Mehrkosten sind andernfalls selbst zu tragen (§ 33 Abs 1 Satz 5 SGB V). Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine kostenaufwändige Versorgung dagegen dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet. Keine Leistungspflicht besteht dagegen für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Dasselbe gilt für lediglich ästhetische Vorteile. Desgleichen kann eine Leistungsbegrenzung zu erwägen sein, wenn die funktionalen Vorteile eines Hilfsmittels ausschließlich in bestimmten Lebensbereichen zum Tragen kommen. Weitere Grenzen der Leistungspflicht können schließlich berührt sein, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 36 Nr 2, SozR 4-2500 § 33 Nr 28, Rn 19 ff; BSG 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R, SozR 4-3250 § 14 Nr 19, Rn 31).

Gemessen an diesen Maßstäben geht die Versorgung des Klägers mit dem begehrten Hörgerät über das Maß des Notwendigen hinaus. Der Kläger leidet unter einer Innenohrschwerhörigkeit (WHO 3) rechts und hat daher Anspruch auf Versorgung mit einem Hörgerät für das rechte Ohr. Dies wird von der Beklagten auch nicht bezweifelt. Allerdings reicht das vom Akustiker angebotenen Festbetragsgerät aus, um den Hörverlust auszugleichen. Das aufzahlungsfreie Hörgerät Vitus BTE-micro ist ein digitales HdO-Hörgerät mit einer maximalen Verstärkung bei 1,6 KHz bis 67 dB, programmierbarer digitaler Signalverarbeitung, 6 unabhängigen Kanälen, Störschallunterdrückung, Rückkoppelungsunterdrückung, 5 Hörprogrammen, 2 Situationen im Mikrofonmodus, Ausgangsschalldruckbegrenzung, fest einstellbarer Richtcharakteristik und adaptiver Richtcharakteristik, Frequenzmodifikation sowie Telefonspule, was der Senat den im Hilfsmittelverzeichnis unter der Hilfsmittel-Positionsnummer 13.20.22.0008 hinterlegten Produktinformationen entnimmt. Hiermit werden dem Kläger auch eine Verständigung im Einzelgespräch unter direkter Ansprache, Hören und Verstehen in großen Räumen und bei störenden Nebengeräuschen sowie das Telefonieren ermöglicht. Der Kläger erreichte mit dem zuzahlungsfreien Hörgerät Vitus BTE-micro (Hilfsmittel-Positionsnummer 13.20.22.0008) ausweislich des Anpass- und Abschlussberichts des Hörgeräte-Akustikers im Freifeld mit 65 dB Nutzschall ein Sprachverstehen von 100 % und im Freifeld mit 65 dB Nutzschall und 60 dB Störschall ein Sprachverstehen von 55 %. Für das von ihm ausgewählte Hörsystem S1 Insio 7Nx CIC (Hilfsmittel-Positionsnummer 13.20.12.8245) ergab sich im Freifeld mit 65 dB Nutzschall ein Sprachverstehen von ebenfalls 100 % und im Freifeld mit 65 dB Nutzschall und 60 dB Störschall ein Sprachverstehen von 55 %. Das aufzahlungsfreie und das hochpreise Hörsystem haben also identische Ergebnisse im Sprachverstehen erbracht. Selbst ein Unterschied von 5%-Punkten bei Störschall wird nicht als wesentlich eingestuft, denn im Freiburger Sprachtest hat ein Wort bei der Austestung eine Wertigkeit von 5%. Ein Unterschied von 5% bzw einem Wort kann jedoch auch von Zufälligkeiten und der jeweiligen Tagesform abhängen (zB LSG Baden-Württemberg 30.11.2021, L 11 R 3540/20; LSG Baden-Württemberg 02.02.2021, L 11 KR 2192/19, Rn 29, juris). Dabei hat der Senat keine Zweifel, dass der Freiburger Sprachtest ein geeignetes Mittel ist, um die Güte eines Hörsystems bewerten zu können (zB zuletzt LSG Baden-Württemberg 30.11.2021, L 11 R 3540/20; ferner LSG Baden-Württemberg 22.01.2020, L 5 KR 241/18, Rn 42, juris; vgl auch LSG Berlin-Brandenburg 13.07.2017, L 9 KR 60/17 B ER, Rn 8, juris). Der Freiburger Sprachtest ist nach § 21 Abs 2 ff Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses ein normiertes Verfahren und ermöglicht einen objektiven Vergleich zwischen den getesteten Hörgeräten, und dies auch im Störschall (vgl § 21 Abs 3 sowie § 22 Abs 3 der Hilfsmittel-Richtlinie). Die Hilfsmittel-Richtlinie wurde mit Beschluss vom 24.11.2016 geändert, und es wurde eine Testung mit dem Freiburger Einsilbertest auch im Störgeräusch eingeführt. In den „Tragenden Gründen zum Beschluss“ (vgl https://www.g-ba.de/downloads/40-268-4059/2016-11-24_HilfsM-RL_Freiburger-Einsilbertest_TrG.pdf) wird ausgeführt, es handele sich bei dem Freiburger Einsilbertest um ein Testverfahren zur Überprüfung der Sprachverständlichkeit. Er stelle im deutschen Sprachraum die am häufigsten verwendete Hörprüfung mit Sprache dar. Da der Nachweis einer Gleichwertigkeit des Freiburger Einsilbertests im Störgeräusch mit den bisher beispielhaft aufgezählten Testverfahren nur anhand der vorhandenen Literatur nicht möglich gewesen sei, sei eine Expertenanhörung auf niedrigerer Evidenzstufe durchgeführt worden mit dem Ergebnis, dass der Freiburger Einsilbertest im Störgeräusch prinzipiell als geeignet angesehen werden könne (vgl Ziffer 2 Eckpunkte der Entscheidung, zu § 21 Abs 3 [neu]). Insofern mag es zwar verschiedene Verfahren auf dem Markt geben, um insbesondere im Störschall das Hörvermögen zu prüfen, doch folgt aus den zitierten „Tragenden Gründen“, dass bisher kein anderes Verfahren den Freiburger Sprachtest wegen besserer Qualität/Geeignetheit abgelöst hat. Vor diesem Hintergrund sieht auch der Senat keine Veranlassung, das Ergebnis des Freiburger Sprachtests im Falle des Klägers in Zweifel zu ziehen und noch weitere Ermittlungen durchzuführen. Das rein subjektive Hörverstehen nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Rein subjektive Schilderungen des Hörgeräteträgers sind durch die Krankenkassen und durch die Gerichte nicht überprüfbar und können deshalb nicht Grundlage für die Beurteilung sein, welches Hörgerät ausreicht, um die Behinderung auszugleichen (so auch LSG Mecklenburg-Vorpommern 19.08.2020, L 6 KR 36/16, Rn 48 ff, juris). Auch besteht die Gefahr, dass der subjektive Eindruck nicht unwesentlich durch Komfortausstattungen des teureren Gerätes beeinflusst wird, die nicht von der Krankenkasse zu tragen sind, aber subjektiv das Hörvermögen erleichtern. Das vom Kläger gewünschte Hörgerät bietet im Hinblick auf das zu befriedigende Grundbedürfnis Hören keinen Vorteil. Dies hat er in der Sache selbst dadurch eingeräumt, dass er das Hörgerät gerade wegen der besonderen beruflichen Situation ausgewählt hat.

Dagegen sind die Voraussetzungen des §§ 9, 16 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), § 49 Abs 1, 3 Nr 7 und Abs 8 Satz 1 Nr 4 SGB IX erfüllt. Die gesetzliche Rentenversicherung erbringt nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VI ua Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie ergänzende Leistungen, um (1.) den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und (2.) dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Nach § 9 Abs 2 SGB VI können diese Leistungen erbracht werden, wenn die persönlichen (§ 10 SGB VI) und versicherungsrechtlichen (§ 11 SGB VI) Voraussetzungen dafür erfüllt und die Leistungen nicht nach § 12 SGB VI ausgeschlossen sind. Der Leistungsumfang bestimmt sich im Einzelfall unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts des Versicherten iSd § 8 SGB IX und der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 13 Abs 1 Satz 1 SGB IX). Er werden die nach einer individuellen Prognose zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlichen Leistungen erbracht (vgl § 49 Abs 1 SGB IX; ferner Luik in jurisPK-SGB IX, 3. Auflage 2018, § 49 Rn 100 ff). Der Kläger hat die persönlichen Voraussetzungen erfüllt, weil seine Erwerbsfähigkeit in dem maßgeblichen Bezugsberuf als Notfallsanitäter (vgl BSG 12.03.2019, B 13 R 27/17 R, SozR 4-2600 § 10 Nr 4) durch die Hörbehinderung jedenfalls erheblich gefährdet ist (§ 10 Abs 1 Nr 1 und 2a SGB VI). Weiterhin erfüllt er auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 11 Abs 1 Nr 1 SGB VI) und es liegt auch kein Leistungsausschluss vor (§ 12 SGB VI). Dies alles ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig und wird insbesondere durch die Beigeladene (als zuständige Fachverwaltung) nicht in Abrede gestellt.

Schließlich ist die Versorgung des Klägers mit dem Hörgerät S1 Insio 7 Nx CIC im vorliegend zu beurteilenden Einzelfall auch aus spezifischen beruflichen Gründen erforderlich. Ein Anspruch auf eine Hörgeräteversorgung gegen den Rentenversicherungsträger setzt stets das Erfordernis besonderer beruflicher und/oder arbeitsplatzspezifischer Gebrauchsvorteile (BSG 30.10.2014, B 5 R 8/14 R, Rn 47, juris) und damit eine besondere berufliche Betroffenheit voraus (LSG Sachsen 25.06.2013, L 5 R 515/12, Rn 23, juris; vgl auch LSG Baden-Württemberg 13.12.2011, L 11 R 5774/09, Rn 21, juris). Die besondere berufliche Betroffenheit und die mit dem Beruf verbundenen Anforderungen an das Hörvermögen sind von den Anforderungen an das Hörvermögen abzugrenzen, die auch im privaten Alltag zu bewältigen sind. Zu jedem privaten und beruflichen Alltag gehören insbesondere Telefonate, Mehrpersonengespräche und Verständigungen unter Störgeräuschen. Störschall tritt auch in vielen Bereichen des täglichen Lebens, sei es im Straßenverkehr, in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Einkaufs- und kulturellen Einrichtungen auf. Nach diesen Maßstäben hat der Senat eine besondere berufliche Betroffenheit zB bei einem Automatiktürenmonteur im Kundendienst (LSG Baden-Württemberg 25.01.2022, L 11 KR 4050/20), einem Consultant (LSG Baden-Württemberg 30.11.2021, L 11 KR 265/21), einer Produktberaterin (LSG Baden-Württemberg 30.11.2021, L 11 R 3540/20), einer Sachbearbeiterin im Kundendienst einer Krankenkasse (LSG Baden-Württemberg 27.04.2021, L 11 KR 2082/19) und einer Kauffrau im Groß- und Einzelhandel (LSG Baden-Württemberg 13.12.2011, L 11 R 5774/09) verneint.

Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich jedoch erheblich von den dargestellten Fallkonstellationen. Der Senat ist - wie das SG - davon überzeugt, dass der maßgebliche Bezugsberuf des Klägers als Rettungssanitärer eine besondere bzw spezielle Hörfähigkeit voraussetzt, die die vom Kläger gewünschte Versorgung mit dem Hörgerät S1 Insio 7 Nx CIC erfordert. Dabei handelt es sich um ein I-Hörgerät mit einer maximalen Verstärkung bis 1,6 KHz/66 dB, mit einem maximalen Ausgangsschalldruckpegel von 134 dB, einer programmierbaren digitalen Signalverarbeitung, 20 unabhängigen Kanälen, Störschallunterdrückung, Rückkoppelungsunterdrückung, 6 Hörprogrammen, 6 Hörsituationen im Mikrofonmodus, einer Ausgangsschalldruckbegrenzung sowie Frequenzmodifikation. Im Rahmen der mehrmonatigen Hörgeräteanpassung haben der Kläger und der Hörgeräteakustiker herausgearbeitet, dass das gewünschte Hörgerät geeignet ist, den besonderen beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Dies entnimmt der Senat den detaillierten und widerspruchsfreien Angaben des Klägers zu seiner besonderen beruflichen Situation und den damit verbundenen spezifischen Höranforderungen, denen die Beigeladene zu keinem Zeitpunkt in dem seit September 2020 anhängigen Verfahren entgegengetreten ist. Die besondere berufliche Situation des Klägers wird einerseits durch wechselnde Geräuschkulissen mit Verkehrsgeräuschen, Hubschrauber und Martinshorn, am Unfall- bzw Einsatzort und bei extremen Wetterlagen geprägt. Auf der anderen Seite ist für die Tätigkeit als Rettungssanitäter ein sehr gutes Hörvermögen und Sprachverständnis erforderlich, damit eine zügige und reibungslose Kommunikation im Rettungsteam (insbesondere mit dem Arzt), mit dem Patienten sowie den anderen Einsatzkräften etc (Einsatzzentrale, Feuerwehr, Krankenhaus) sowie eine zuverlässige medizinische Versorgung des Patienten unter Einsatz medizinischer Geräte (zB Stethoskop, Blutdruckmess- und Beatmungsgeräte, Sekret-Absaugpumpen, Intubationsbestecke, Defibrillatoren) sichergestellt ist. Eine solche verlässliche Kommunikation muss wegen der besonderen Eilsituation eines Notfalles ohne zeitliche Verzögerung und ohne weitere Rückfragen gewährleistet sein. Weiterhin ist zu beachten, dass ein gutes Hörvermögen auch unter den erschwerten Bedingungen der zu tragenden Schutzausrüstung (ua Helm, Schutzbrille, derzeit Mundschutz und Infektionsschutzanzug) sichergestellt werden muss, was zB die Versorgung mit einem I-Hörgerät erforderlich macht. Während die Versorgung mit einem I-Hörgerät (bei einem identischen Hörgewinn nach dem Freiburger Sprachtest) dem Kläger im privaten Alltag nur einen ästhetischen Vorteil böte, verschafft die Versorgung mit einem solchen Hörgerät dem Kläger in seinem Beruf als Rettungssanitäter einen entscheidenden Gebrauchsvorteil. Im Hinblick auf die Corona-Pandemie und die derzeit praktizierten Maßnahmen des Infektionsschutzes (zB Mundschutz) wird die Kommunikation zusätzlich erschwert. Insofern hat der Kläger nachvollziehbar dargelegt, dass die notwendige Kommunikation durch das Tragen der Maske noch erschwert wird und er auf ein zuverlässiges I-Hörgerät mit einem guten Störschallmanagement angewiesen ist. Schließlich erfordert auch die zuverlässige medizinische Versorgung des Patienten unter Einsatz medizinischer Geräte (zB Stethoskop, Blutdruckmess- und Beatmungsgeräte, Sekret-Absaugpumpen, Intubationsbestecke, Defibrillatoren) ein gutes Hörvermögen, das im Falle des Klägers nur mit dem von ihm gewünschten Hörgerät gewährleistet werden kann. Unter Berücksichtigung dieser besonderen Umstände des Berufs des Klägers als Rettungs- bzw Notfallsanitäter ist der Senat der Auffassung, dass diese berufsspezifischen Anforderungen an das Hörvermögen weit über diejenigen, die auch im privaten Alltag zu bewältigen sind, hinausgehen und deshalb eine Versorgung mit dem Hörgerät S1 Insio 7 Nx CIC erforderlich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, da ein Grund hierfür (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) nicht vorliegt.

 

Rechtskraft
Aus
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