1. Die Verkündung der Berliner SARS-Cov-2-Eindämmungsverordnung in ihrer Fassung vom 14.03.2020 erfüllt die gesetzlichen und rechtsstaatlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Notverkündung gemäß § 2 Abs. 1 RVVerkG BE.
2. Vom pandemiebedingten Lockdown betroffene Maßnahmeträger haben gegenüber dem Jobcenter keinen Anspruch auf Kostenersatz für verordnungswidrig durchgeführte Maßnahmen.
GSW Sozialgericht Berlin |
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S 123 AS 4416/2 |
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(erste) Zustellung erfolgt am an
als Urkundsbeamter/in der Geschäftsstelle |
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
… GmbH,
vertr. d.d. Geschäftsführer … ,
in Sachen: …
- Klägerin -
Proz.-Bev.:
Rechtsanwalt …
gegen
Jobcenter Berlin Mitte,
-Rechtsstelle-
Seydelstr. 2-5, 10117 Berlin,
- Beklagter -
hat die 123. Kammer des Sozialgerichts Berlin ohne mündliche Verhandlung am 8. Dezember 2022 durch den Richter ... sowie die ehrenamtlichen Richter ... und ... für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt in der Sache die Zahlung weiterer 298,80 Euro vom Beklagten wegen der Durchführung einer Maßnahme zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt am 16.03.2020.
Mit Bescheid vom 17.02.2020 bewilligte der Beklagte einem im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) stehenden Leistungsberechtigten einen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein zwecks Teilnahme an einer Maßnahme bei der Klägerin im Zeitraum vom 26.02.2020 bis 18.04.2020. Hierbei regelte der Beklagte, dass die Maßnahmekosten direkt mit der Klägerin als Maßnahmeträgerin und nur für tatsächlich durchgeführte Maßnahmen bzw. Maßnahmeteile abgerechnet werden. Mit Schreiben vom 17.02.2020 informierte der Beklagte die Klägerin u.a. über diese Kostenregelung.
Am Samstag, den 14.03.2020 um 18:13 Uhr wurde die erste Fassung der SARS-Cov-2-Eindämmungsverordnung (SARS-CoV-2-EindV) vor dem Dienstgebäude des Regierenden Bürgermeisters-Senatskanzlei (Rotes Rathaus) und im Internet auf der Homepage des Regierenden Bürgermeisters-Senatskanzlei unter https://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles/rathaus-aktuell/2020/meldung.906890.php zum Zwecke der Verkündung veröffentlicht. § 8 der SARS-Cov-2-EindV in seiner ersten Fassung lautete:
„§ 8
Berufsbildende Schulen und sonstige Einrichtungen der Berufsausbildung
(1) Berufsbildende Schulen im Sinne des Berufsbildungsgesetzes vom 23. März 2005 (BGBl. I S. 931), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2522) geändert worden ist, Gesundheits- und Pflegefachschulen sowie sonstige Einrichtungen der Berufsausbildung dürfen nicht für den Lehrbetrieb geöffnet werden.
(2) § 7 Absatz 2 gilt entsprechend.“
Bis einschließlich zum 16.03.2020 führte die Klägerin die Maßnahme in Präsenz des teilnehmenden Leistungsberechtigten in ihren Büroräumlichkeiten durch. Danach brach die Klägerin die Maßnahme ab.
Mit Rechnung vom 06.07.2020 beantragte die Klägerin die Übernahme von 28 Unterrichtseinheiten zu je 74,70 Euro für das Persönlichkeits- und Integrationscoaching des Leistungsberechtigten für den Zeitraum vom 26.02.2020 bis 16.03.2020 bei einem Gesamtpreis in Höhe von 2.091,60 Euro. Der Beklagte übernahm von diesem Rechnungsbetrag insgesamt 1.792,80 Euro für 24 Unterrichtseinheiten. Mit Bescheid vom 17.02.2021 lehnte der Beklagte die Übernahme der übrigen vier Unterrichtseinheiten zu je 74,70 Euro, welche am 16.03.2020 in der Zeit von 14:30 Uhr bis 17:30 Uhr stattfanden, in Höhe von insgesamt 298,80 Euro ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, der Kostenübernahme stünde ein gesetzliches Verbot entgegen. Dieses Verbot folge zum einen aus den am 16.03.2020 von der Bundesregierung und den Regierungschefs der Bundesländer beschlossenen Leitlinien zum einheitlichen Vorgehen im Rahmen der Corona-Pandemie in Deutschland sowie zum anderen aus den Regelungen der SARS-CoV-2-EindV. Vor diesem Hintergrund entfalle die Pflicht zur Kostentragung des Beklagten aufgrund höherer Gewalt und der Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 17.02.2020 habe sich aufgrund rechtlicher Unmöglichkeit i.S.d. § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erledigt.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 10.03.2021 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, die Maßnahme sei rein tatsächlich durchgeführt worden und die Leitlinien der Bundesregierung und der Regierungschefs der Bundesländer erst am Tag der Maßnahme beschlossen worden. Bereits am 17.03.2020 erfolgte der sofortige Abbruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2021 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück und wiederholte im Wesentlichen die Begründung des angegriffenen Ablehnungsbescheids.
Die Klägerin ist der Ansicht, ein Anspruch folge schon aus der tatsächlichen Durchführung der Präsenzstunden am 16.03.2020. Dem stünden auch die Leitlinien der Bundesregierung und der Regierungschefs der Bundesländer vom 16.03.2020 sowie die SARS-CoV-2-EindV nicht entgegen. Hinsichtlich der Leitlinien folge dies bereits daraus, dass diese erst am Abend des 16.03.2020 veröffentlich wurden. Die SARS-CoV-2-EindV sei zudem erst am 19.03.2020 im Gesetz- und Verordnungsblatt von Berlin veröffentlicht worden und könne damit erst ab dem 19.03.2020 in Kraft getreten sein. Die Voraussetzungen einer Notverkündung gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Verkündung von Gesetzen und Rechtsverordnungen in Berlin (RVVerkG BE) seien mangels Unmöglichkeit rechtzeitiger Verkündung sowie Ungeeignetheit der gewählten Veröffentlichungsart nicht erfüllt. Schließlich erfasse der Anwendungsbereich der SARS-CoV-2-EindV den Betrieb der Klägerin nicht.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin weitere 298,80 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist im Wesentlichen auf sein Vorbringen im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Er ist der Ansicht, die SARS-CoV-2-EindV sei bereits am 14.03.2020 wirksam verkündet worden und erfasse in ihrem Anwendungsbereich auch die Klägerin.
Mit Schreiben vom 22.09.2021 und 27.09.2021 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Das Gericht hat Beweis erhoben über die Frage der Unmöglichkeit einer früheren Verkündung der SARS-Cov-2-EindV durch Einholung einer amtlichen Auskunft der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten.
Entscheidungsgründe
I.
Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
II.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Dahinstehen kann hierbei, ob dem klägerischen Anspruch bereits die Bestandskraft des von der – anwaltlich vertretenen – Klägerin ausdrücklich nicht mit der hiesigen Klage angefochtenen Ablehnungsbescheids vom 25.02.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 07.07.2021 entgegensteht. Denn bereits unabhängig von dieser entgegenstehenden Ablehnungsentscheidung steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch gegen den Beklagten nicht zu.
1.) Insbesondere hat die Klägerin gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung der begehrten 298,80 Euro nebst Prozesszinsen aus dem Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 17.02.2020 i.V.m. §§ 83 Abs. 2 S. 1, 45 Abs. 6 S. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. § 16 Abs. 2 S. 1 SGB II.
Dem steht entgegen, dass sich der streitgegenständliche Bescheid vom 17.02.2020 am 16.03.2020 bereits i.S.d. § 39 Abs. 2 SGB X erledigt hatte. Die SARS-CoV-2-EindV war entgegen der Ansicht der Klägerin bereits am 14.03.2020 und bzgl. ihres § 8 am 16.03.2020 wirksam in Kraft getreten (dazu nachfolgend lit. a), erfasste mit ihrem § 8 Abs. 1 den Betrieb der Klägerin (dazu nachfolgend lit. b) und führte schließlich auch zur Erledigung des Bescheids vom 17.02.2020 aufgrund rechtlicher Unmöglichkeit (dazu nachfolgend lit. c).
a) Die SARS-Cov-2-EindV ist entgegen der Ansicht der Klägerin am 14.03.2020 um 18:13 Uhr unmittelbar in Kraft getreten. Auch hinsichtlich ihres § 8 erfolgte das Inkrafttreten gemäß § 10 Abs. 2 S. 1 SARS-Cov-2-EindV bereits zum – hier maßgeblichen – 16.03.2020.
Gemäß § 2 Abs. 1 RVVerkG BE ist Voraussetzung für eine Notverkündung (i) die Unmöglichkeit „das Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin rechtzeitig erscheinen zu lassen“ sowie (ii) die Ersatzverkündung „durch die Tagespresse, durch Anschlag, durch den Rundfunk oder auf andere geeignete Art“. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Zum einen war es nicht möglich die SARS-Cov-2-EindV noch am Abend des 14.03.2020 im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin erscheinen zu lassen. Hiervon ist die Kammer aufgrund der amtlichen Auskunft der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin vom 07.07.2022 überzeugt. Hiernach hätte eine ordnungsgemäße Verkündung frühestens am 17.03.2020 erfolgen können. Soweit die Klägerin vorträgt, dass diese Auskunft der Unmöglichkeit eines rechtzeitigen Erscheinens entgegensteht, da zumindest eine Verkündung am 17.03.2020 möglich gewesen wäre, verkennt dies bereits im Ansatz das der gemäß § 32 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) a.F. zum Erlass einer Verordnung ermächtigten Landesregierung zuzubilligende Ermessen in Bezug auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Verordnung. Der Berliner Senat hat sich im vorliegenden Falle und im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungsprärogative aufgrund einer besonderen Notlage in Bezug auf den Gesundheitsschutz für die Berliner Bevölkerung dazu entschlossen, dass noch am Abend des 14.03.2020 unmittelbar wirkende Regelungen erforderlich sind. Soweit diese Einschätzung überhaupt einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist, ist sie jedenfalls nicht zu beanstanden – für eine rechtsmissbräuchliche Herbeiführung der Eilbedürftigkeit bestehen keine Anhaltspunkte (vgl. hierzu auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 05.06.2020 – 1 S 1623/20, juris, Rn. 22 f.). Auf diesen Zeitpunkt als maßgeblich bezogen lag mithin Unmöglichkeit eines rechtzeitigen Erscheinens vor. Eine abweichende Ansicht würde im Ergebnis dazu führen, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 RVVerkG BE stets unter Berufung auf ein nur wenige Tage andauerndes Zuwarten verneint werden könnten und letztlich kein Anwendungsbereich verbliebe.
Zum anderen war entgegen der Ansicht der Klägerin auch die hier gewählte Art der Veröffentlichung geeignet die Voraussetzungen einer Notverkündung nach § 2 Abs. 1 RVVerkG BE zu erfüllen. Dahinstehen kann hierbei, ob die klägerische Rechtsansicht, der Begriff des „Anschlags“ erfasse nur flächendeckende Aushänge, zutrifft. Denn jedenfalls erfolgte die Verkündung „auf andere geeignete Art“ i.S.d. § 2 Abs. 1 Var. 4 RVVerkG BE. Eine Definition dieses Begriffes oder weitergehende Anforderungen enthält das RVVerkG BE nicht. Insoweit finden die allgemeinen aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Anforderungen Anwendung, welche regelmäßig nur erfordern, dass Rechtsnormen der Öffentlichkeit in einer Weise förmlich zugänglich gemacht werden, dass die Betroffenen sich verlässlich Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen können (vgl. etwa BVerfG, Beschluss v. 22.11.1983 – 2 BvL 25/81, juris, Rn. 36; grundlegend auch BVerfG, Beschluss v. 02.04.1963 – 2 BvL 22/60, juris, Rn. 36 ff.). Konkrete weitere Gebote für die Ausgestaltung des Verkündungsvorganges im Einzelnen ergeben sich aus dem Rechtsstaatsprinzip unmittelbar nicht (BVerfG, Beschluss v. 22.11.1983, a.a.O.). Von daher genügt die gewählte Form diesen Mindestanforderungen. Mit der Veröffentlichung durch den Aushang vor dem Dienstgebäude sowie auf der Homepage des Regierenden Bürgermeisters-Senatskanzlei wurde die SARS-Cov-2-EindV der Öffentlichkeit in einer Weise förmlich zugänglich gemacht, dass die Betroffenen sich verlässlich und ohne unzumutbare Erschwernisse Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen konnten (zur Notverkündung im Internet vgl. auch VGH Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 24 f.; OVG Lüneburg, Beschluss v. 11.03.2021 – 13 MN 70/21, juris, Rn. 20; obwohl im Ergebnis offengelassen wohl ebenso OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 08.05.2020 – 3 R 77/20, juris, Rn. 26).
Schließlich wurde die SARS-Cov-2-EindV auch mit Bekanntmachung vom 16.03.2020 am 19.03.2020 sofort i.S.d. § 2 Abs. 2 RVVerkG sowie unter Einhaltung seiner weiteren Formvorschriften im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin bekanntgemacht (vgl. GVBl. 2020, 210); ohnehin handelt es sich hierbei aber um eine bloße Ordnungsvorschrift, deren mangelnde Beachtung durch den Verordnungsgeber die Wirksamkeit der Notverkündung an sich nicht berührt (vgl. etwa OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 21).
b) Nach der Überzeugung der Kammer ist der Betrieb der Klägerin zumindest insoweit dieser -Coachings und Schulungen – und damit die Durchführung der hier streitgegenständlichen Maßnahme – umfasst auch vom Anwendungsbereich der SARS-Cov-2-EindV erfasst.
Gemäß § 8 Abs. 1 SARS-Cov-2-EindV dürfen „[b]erufsbildende Schulen […], Gesundheits- und Pflegefachschulen sowie sonstige Einrichtungen der Berufsausbildung […] nicht für den Lehrbetrieb geöffnet werden.“ Der Begriff der „sonstigen Einrichtung der Berufsausbildung“ ist in der SARS-Cov-2-EindV nicht näher definiert. Zwar könnten die anderen Varianten des Abs. 1 mit ihrem Bezug auf berufsbildende Schulen i.S.d. Berufsbildungsgesetz (BBiG) sowie Gesundheits- und Pflegefachschulen dafürsprechen, dass auch im Rahmen der vierten Variante ein auf einen Abschluss gerichteter Lehrbetrieb erforderlich ist. Nach Ansicht der Kammer ist die vierte Variante indes weit zu verstehen und umfasst alle Einrichtungen der Erwachsenbildung, mithin auch den Schulungsbetrieb der Klägerin. Entgegen ihrer Ansicht steht der Anwendung des § 8 Abs. 1 SARS-Cov-2-EindV also gerade nicht entgegen, dass die Teilnehmer ihrer Coachings und Schulungen die allgemeinbildende Schule beendet und darüber hinaus ggf. auch bereits Berufe erlernt haben. Hiervon ging ursprünglich ersichtlich auch die Klägerin aus, die ihren Lehrbetrieb ab dem 17.03.2020 zunächst beendete.
Sinn und Zweck des § 8 Abs. 1 SARS-Cov-2-EindV in seiner ersten Fassung – und auch aller weiteren Fassungen – war ausweislich der Begründungen des Verordnungsgebers die Eingrenzung des „durch die Zusammenkunft einer großen Anzahl von Menschen verursachte[n] Infektionsrisiko[s]“ von „Lehr- bzw. Betreuungsbetrieb[en]“ (AGH-Drucks. 18/2655, S. 8 f.). Dieser Sinn und Zweck erfasst offenkundig nicht nur den Lehrbetrieb von allgemein- und berufsbildenden Schulen, sondern auch das mit dem Präsenzunterricht in der allgemeinen Erwachsenenbildung einhergehende Infektionsrisiko, mithin auch den Schulungsbetrieb der Klägerin. Dem steht unter systematischen Erwägungen auch nicht der Bezug der ersten Variante des § 8 Abs. 1 SARS-Cov-2-EindV auf das BBiG entgegen, welcher im Rahmen der vierten Variante ohnehin keine unmittelbare Anwendung findet, sondern nur einen ergänzenden Charakter im Rahmen der Auslegung haben kann. Zum einen erfasst das BBiG gerade nicht nur die auf einen Abschluss gerichtete Berufsausbildung im engeren Sinne, sondern gemäß § 1 Abs. 1 BBiG u.a. auch die eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzende (vgl. etwa BAG, Urt. v. 29.04.2015 – 9 AZR 78/14, juris, Rn. 22) „berufliche Fortbildung und die berufliche Umschulung“. Zum anderen kennt das BBiG zwar den Begriff der „sonstigen Einrichtung der Berufsausbildung“ nicht, verwendet aber den Begriff der „sonstigen Berufsbildungseinrichtungen“ (vgl. etwa § 2 Abs. 1 Nr. 3 BBiG). Dieser wird auch im Sinne des BBiG dahingehend weit definiert, dass er alle sonstigen Einrichtungen außerhalb der betrieblichen und schulischen Berufsbildung zusammenfasst (vgl. schon Legaldefinition sowie Hagen in BeckOK Arbeitsrecht, 65. Edition, 2022, § 2 BBiG, Rn. 4; Taubert in Taubert, BBiG, 3. Aufl., 2021, § 2, Rn. 27). Für ein weites Verständnis spricht auch die Verwendung der noch umfassenderen Begriffe der „Schulen und Bildungseinrichtungen“ in der Überschrift des Dritten Teils der SARS-Cov-2-EindV.
Auch die Wortlautgrenze steht dem gefunden Auslegungsergebnis nicht entgegen, welches schließlich auch durch einen Vergleich zu anderen Bundesländern sowie einer historischen Auslegung gestützt wird. Etwa im Land Brandenburg enthielt die erste Fassung der dortigen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung vom 17.03.2020 überhaupt keinen Bezug zu allgemein- und berufsbildenden Schulen, sondern erfasste in seinem § 5 ganz umfassend „die Wahrnehmung von Angeboten in Volkshochschulen, Musikschulen und sonstigen öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen im außerschulischen Bereich“. Dafür, dass der Berliner Senat bewusst eine im Vergleich zum Land Brandenburg geringeren Infektionsschutz beabsichtigt haben könnte, sind jedoch keine Anhaltspunkte ersichtlich. Zudem wurde in der SARS-Cov-2-EindV bereits in der ab dem 23.03.2020 geltenden Fassung des § 9 der ausdrückliche Bezug zum BBiG gestrichen, ohne dass der Verordnungsgeber vor dem Hintergrund eines immer dramatischeren Infektionsgeschehens ernsthaft eine Beschränkung beabsichtigt haben kann. Vielmehr dürfte er den nunmehr allein verwendeten Begriff der „sonstigen Einrichtung der Berufsausbildung“ als umfassend und damit ausreichend zur Eingrenzung der von Schulungen im weiteren Sinne ausgehenden Infektionsgefahren aufgefasst haben. Die explizite Erweiterung des § 13 in der ab dem 30.05.2020 geltenden Fassung um u.a. „Schulungen“ oder „berufsbezogene Fachseminare“ erfolgte dagegen nur um Ungleichbehandlungen zu vermeiden und die Anwendung neu geschaffener Ausnahmen klarzustellen (AGH-Drucks.18/2761-1, S. 60).
c) Der streitgegenständliche Bescheid vom 17.02.2020 hatte sich zudem mit Inkrafttreten des § 8 Abs. 1 SARS-Cov-2-EindV am 16.03.2020 aufgrund rechtlicher Unmöglichkeit erledigt. Nach allgemeiner Ansicht ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 39 Abs. 2 SGB X „auf andere Weise erledigt“, wenn sich alle von dem Verwaltungsakt ausgehenden Rechtswirkungen erschöpft haben. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Verwaltungsakt durch eine Änderung der Sach- oder Rechtslage nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu entfalten oder seine ihm innewohnende Steuerungsfunktion nachträglich entfallen ist, weil entweder der geregelte Sachverhalt selbst oder das Regelungsobjekt des Verwaltungsakts entfallen ist, oder die Ausführung seines Hauptverfügungssatzes rechtlich oder tatsächlich unmöglich bzw. sein Zweck vollständig erreicht oder auf Dauer unmöglich geworden ist (vgl. zum Ganzen m.w.N. unter vielen BSG, Urt. v. 16.05.2018 – B 6 KA 1/17 R, juris, Rn. 17; BSG, Urt. v. 24.03.2015 – B 8 SO 22/13 R, juris, Rn. 10; Roos/Blüggel in Schütze, SGB X, 9. Aufl., 2020, § 39, Rn. 14; Steinwedel in BeckOGK, 2021, § 39 SGB X, Rn. 24; Schneider-Danwitz in jurisPK-SGB X, 2. Aufl., 2017, § 39, Rn. 50; Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, 3. EL, 2022, § 39, Rn. 30 f.). Dies ist zwar nicht schon bei jeder schlichten Änderung der Sach- und / oder Rechtslage der Fall; anders liegt der Fall aber wenn dem Verwaltungsakt seine Voraussetzungen genommen werden und er für die veränderten Umstände keine Geltung mehr beansprucht (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 09.05.2012 – 6 C 3/11, juris, Rn. 20; m.w.N. auch Littmann, a.a.O.; Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl., 2022, § 43, Rn. 87 ff.). Das ist hier der Fall, da dem Hauptverfügungssatz des streitgegenständlichen Bescheids vom 17.02.2020, also die Teilnahme an der Maßnahme der Klägerin vom 26.02.2020 bis zum 18.04.2020, ab dem 16.03.2020 mit § 8 Abs. 1 SARS-Cov-2-EindV ein gesetzliches Verbot entgegenstand (siehe oben). Dieses Verbot stellte auch keine bloße Ordnungsvorschrift dar, sondern wollte aus Gründen des Infektionsschutzes gerade jeden zwischenmenschlichen Kontakt im Rahmen von Lehrveranstaltungen unterbinden. Damit lag ab dem 16.03.2020 eine zur Erledigung führende rechtliche Unmöglichkeit vor.
Schließlich ist zwar völlig offenkundig, dass die Klägerin an dieser Situation keinerlei Verschulden trifft – auf ein solches kommt es für die Frage der rechtlichen Unmöglichkeit mit seiner Folge der Erledigung des streitgegenständlichen Bescheids vom 17.02.2020 aber auch nicht an.
2.) Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten auch keinen Anspruch auf Zahlung der begehrten 298,80 Euro nebst Prozesszinsen aus einem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Dieser den §§ 812 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) im Wesentlichen nachgebildete und mittlerweile allgemein gewohnheitsrechtlich anerkannte Anspruch setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht wurden oder eine sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebung stattgefunden hat – in diesem Falle besteht ein Recht auf Herausgabe des Erlangten (vgl. zu den Voraussetzungen im sozialrechtlichen Kontext etwa BSG, Urt. v. 22.08.2013 – B 14 AS 75/12 R, juris, Rn. 13 ff.; BSG, Urt. v. 13.04.2011 – B 14 AS 101/10 R, juris, Rn. 22 f.; BSG, Urt. v. 13.04.2011 – B 14 AS 98/10 R, juris, Rn. 14 ff.; Stölting in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl., 2021, § 16d, Rn. 71 ff.; Harich in BeckOK Sozialrecht, 66. Edition, 2022, § 16d SGB II, Rn. 30 ff.Harich).
Im vorliegenden Falle ist aus Sicht der Kammer bereits nicht ersichtlich, was gerade der Beklagte aufgrund einer Leistung der Klägerin erlangt haben soll. Die Leistungen im Rahmen des durchgeführten Persönlichkeits- und Integrationscoaching ergingen vielmehr gegenüber dem am hiesigen Rechtsstreit nicht beteiligten Leistungsberechtigten. Gegenüber dem Beklagten kommt als Erlangtes i.d.S. dagegen lediglich die Befreiung des Beklagten von einer Verbindlichkeit gegenüber dem bei ihm Leistungsberechtigten in Betracht (vgl. zu den zivilrechtlichen Grundsätzen m.w.N. etwa Sprau in Grünberg, BGB, 81. Aufl., 2022, § 812, Rn. 10; Schwab in MünchKomm BGB, 8. Aufl., 2020, § 812, Rn. 16). Eine solche Verbindlichkeit des Beklagten gegenüber dem Leistungsberechtigten gerade auf Durchführung des konkreten Persönlichkeits- und Integrationscoachings bei der Klägerin kommt jedoch angesichts der Erledigung des Bescheids vom 17.02.2020 jedenfalls für die noch am 16.03.2020 durchgeführten Leistungen nicht mehr in Betracht (siehe oben).
Ob der Klägerin dagegen – etwa aus dem Gesichtspunkt eines Sonderopfers – staatshaftungsrechtliche Ansprüche gegenüber dem Land Berlin zustehen, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. hierzu aber BGH, Urt. v. 17.3.2022 – III ZR 79/21 = NJW 2022, 2252).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 197a SGG. Sie berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverfolgung.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da keiner der Zulassungsgründe des § 144 Abs. 2 SGG einschlägig ist. Insbesondere weist die hiesige Rechtssache aus Sicht der Kammer keine grundsätzliche Bedeutung auf.
Voraussetzung für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S.d. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wäre nach allgemeiner Ansicht nämlich, dass es in dem vorliegenden Rechtsstreit um eine klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfrage geht, deren Entscheidung über den Einzelfall hinaus für eine Vielzahl von Verfahren Bedeutung besitzt. Daran fehlt es insbesondere dann, wenn eine weitergehende Bedeutung für weitere Fälle nicht erkennbar ist oder die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des Rechtsstreits einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl. etwa BSG, Beschluss v. 05.11.2008 – B 6 KA 50/07 B = BeckRS 2008, 58197; Sommer in BeckOGK SGG, 2022, § 144, Rn. 39). So liegt der Fall hier. Streitentscheidend war im hiesigen Falle alleine die Frage der Wirksamkeit der SARS-CoV-2-EindV am 16.03.2020 sowie die darauf beruhenden Folgen für einen Anspruch eines Maßnahmeträgers auf Kostenübernahme. Das diese Konstellation einer Vielzahl von Verfahren zugrunde liegt ist für die Kammer nicht ersichtlich. Vielmehr handelt es sich um einen besonders gelagerten Einzelfall.