1. Zwingend für die Kodierung des Symptoms als Hauptdiagnose ist bei bekannter Grunderkrankung, dass ausschließlich das Symptom behandelt wird. Dies erfordert, dass die Behandlung des Symptoms von der Behandlung der Grunderkrankung abgegrenzt werden kann, was nicht der Fall ist, wenn gerade durch eine Einwirkung auf die Grunderkrankung eine Linderung des durch sie verursachten Symptoms erreicht werden soll.
2. Für die Frage, ob das Symptom oder die zugrunde liegende Erkrankung als Hauptdiagnose zu kodieren ist, kommt es nicht darauf an, ob die Behandlung der Grunderkrankung Gegenstand medizinisch-wissenschaftlich fundierter Therapieansätze ist (entgegen LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22.04.2021 - L 6 KR 91/18 - juris Rn. 31 f.).
3. Daraus, dass ein Symptom Krankheitswert im Sinne des Leistungsrechts hat, folgt nichts für die bei der Abrechnung von Krankenhausbehandlung erforderliche Abgrenzung zwischen Symptom und zugrunde liegender Erkrankung.
Kodierung eines Symptoms (hier: spastische Paraparese) bei bekannter Grunderkrankung (hier: Multiple Sklerose) - Hauptdiagnose nach DKR D002f
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S 8 KR 552/13 Leipzig
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Sächsisches Landessozialgericht
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
A....
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B....
gegen
BARMER, vertreten durch den Vorstand, Axel-Springer-Straße 44, 10969 Berlin
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
hat der 1. Senat des Sächsischen Landessozialgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2022 in Chemnitz durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht Dr. Wahl, die Richterin am Landessozialgericht Fischer, die Richterin am Landessozialgericht Busse und die ehrenamtlichen Richter Herr Habermalz und Frau Manos für Recht erkannt:
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- Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 30. August 2016 wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
- Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 3.202,92 EUR festgesetzt.
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Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung von zwei stationären Krankenhausbehandlungen, insbesondere über die Kodierung der Hauptdiagnose.
Die Klägerin ist die Trägerin eines nach § 108 Fünftes Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenen Fachkrankenhauses. In dessen Klinik für Neurologie wurde die 1949 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte U.... (nachfolgend Versicherte) vom 25.11.2009 bis 30.11.2009 und vom 25.02.2010 bis 01.03.2010 vollstationär behandelt. Die Versicherte leidet seit 1980 unter Multipler Sklerose, die von Anfang an einen schleichend progredienten Verlauf zeigte. Die Krankenhausaufnahmen im November 2009 und Februar 2010 erfolgten bei durch die chronisch progrediente Multiple Sklerose bedingter linksbetonter spastischer Paraparese zur antispastischen intrathekalen Triamcinolon-Behandlung. Neben dieser Behandlung und begleitender Physiotherapie wurde während der Krankenhausaufenthalte die vorbestehende Medikation (Amantadin, Mictonorm, L-Thyroxin) fortgesetzt.
Die Klägerin stellte der Beklagten für die Krankenhausbehandlung vom 25.11.2009 bis 30.11.2009 einen Betrag von 4.471,61 € und für die Krankenhausbehandlung vom 25.02.2010 bis 01.03.2010 einen Betrag 4.010,08 € jeweils auf der Grundlage der Fallpauschale (Diagnosis Related Group [DRG]) B60A (nicht akute Paraplegie/Tetraplegie, mehr als ein Belegungstrag) in Rechnung. Zu dieser DRG gelangte die Klägerin jeweils dadurch, dass sie als Hauptdiagnose die ICD G82.19 (spastische Paraparese und Paraplegie: nicht näher bezeichnet) und als Nebendiagnose die ICD G35.30 (Multiple Sklerose mit sekundär chronischem Verlauf: ohne Angabe einer akuten Exazerbation oder Progression) angab.
Die Beklagte beglich die Rechnungen zunächst vollständig, leitete sodann aber am 06.01.2010 und 17.03.2010 Prüfverfahren des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein, weil die Klägerin bei vorherigen Krankenhausbehandlungen die ICD G35.30 als Hauptdiagnose angegeben habe.
Bei der ersten Krankenhausbehandlung (vom 25.11.2009 bis 30.11.2009) hielt der MDK in der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 18.01.2010 die von der Klägerin angegebene Hauptdiagnose für nicht nachvollziehbar, weil das Krankenhaus nicht nur das Symptom der Spastik, sondern auch die Grunderkrankung und weitere ihrer Symptome behandelt habe. Dies teilte die Beklagte der Klägerin unter dem 24.02.2010 mit und bat um Rechnungskorrektur. Dem widersprach die Klägerin mit der Begründung, Aufnahmegrund sei die Therapie der Spastik gewesen. Die durchgeführte intrathekale Triamcinolon-Therapie zur symptomatischen Behandlung der Spastik entspräche nicht dem Therapiemodell einer reinen Multiple-Sklerose-Behandlung. Der daraufhin nochmals befasste MDK führte in seinem Gutachten vom 13.09.2010 aus, als Hauptdiagnose sei die ICD G35.30 zu kodieren, weil mit neurogener Blasenstörung und Fatiguesymptomatik weitere Symptome der Grundkrankheit behandelt worden seien, wenn auch nur durch Fortführung der vorbestehenden medikamentösen Behandlung.
Bei der zweiten Krankenhausbehandlung (25.02.2010 bis 01.03.2010) hielt der MDK in der Sozialmedizinischen Stellungnahme vom 06.04.2010 daran fest, dass die Grunderkrankung Multiple Sklerose als Hauptdiagnose anzugeben sei, weil nicht nur das Symptom Spastik, sondern auch die Grunderkrankung und die neurogene Harnblasenstörung behandelt worden seien. Der daraufhin von der Beklagten unter dem 14.04.2010 erbetenen Rechnungskorrektur widersprach die Klägerin. Komme ein Patient in der chronischen Phase einer Paraparese zu deren Behandlung ins Krankenhaus sei dieses neurologische Symptom als Hauptdiagnose und die zugrunde liegende Erkrankung (z.B. Multiple Sklerose) als Nebendiagnose zu nennen. Bei der Versicherten, die wegen der Spastik aufgenommen worden sei, sei das Behandlungsprogramm zur Spastik durchgeführt worden, das sich von dem Modell einer reinen Multiple-Sklerose-Behandlung unterscheide. Selbst wenn eine simultane Behandlung der Grunderkrankung integriert werde, liege der Fokus doch immer auf der Spastikbehandlung, die auch den Großteil der Mittel verbrauche. Der nochmals befasste MDK vertrat in seinem Gutachten vom 06.11.2010 die Auffassung, dass in Fällen, in denen die Grunderkrankung selbst mit spezifischer immunmodulatorischer Medikation therapiert werde und/oder ein weiteres Symptom der Grunderkrankung behandelt werde, es sich nicht um die alleinige Therapie der Spastik handele und die Kodierung des Symptoms als Hauptdiagnose nicht in Betracht komme.
Bereits am 29.09.2010 hatte die Beklagte die Differenzbeträge von 1.639,49 € und 1.563,43 € zur DRG-Fallpauschale B68D (Multiple Sklerose und zerebellare Ataxie, ein Belegungstag oder ohne äußerst schwere CC, Alter > 15 Jahre, ohne komplexe Diagnose) mit anderen unstreitigen Forderungen der Klägerin verrechnet.
Am 23.12.2013 hat die Klägerin zum Sozialgericht (SG) Leipzig getrennte Klagen auf Zahlung der verrechneten Beträge erhoben, die das Gericht mit Beschluss vom 24.06.2014 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat.
Die Klägerin hat vorgebracht, die Versicherte sei nicht wegen der Grunderkrankung Multiple Sklerose aufgenommen worden, sondern wegen der die Beschwerden auslösenden spastischen Paraparese. Aus der Grunderkrankung folgten weitere behandlungsbedürftige Erkrankungen. Zu diesen zählten spastische Lähmungen an den Extremitäten, die das körperliche Wohlbefinden erheblich beeinträchtigten und Schmerzen verursachten. Daher habe die Klägerin die Versicherte einer schnelleren, gezielt auf die Therapie der Paraparesen abgestimmten Behandlung unterzogen, unter anderem mit einer Triamcinolon-Therapie mit Volon A, die Lumbalpunktionen erfordere. Gegen die Multiple Sklerose gebe es keine Therapie, weil diese Krankheit nicht heilbar sei. Es müsse zwischen der Behandlung eines Symptoms und der Behandlung einer zugrunde liegenden Erkrankung unterschieden werden. Die Behandlung der Symptome spastische Parese und Blasenstörung, sei keine Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Nach Einschätzung des MDK seien neben der Behandlung der spastischen Paraparese mit der Blasenentleerungsstörung und der Fatiguesymptomatik weitere Symptome der Grunderkrankung Multiple Sklerose behandelt worden. Daher sei als Hauptdiagnose die Multiple Sklerose mit der Folge zu kodieren, dass die Behandlung mit der DRG B68D abzurechnen sei.
Mit Urteil vom 30.08.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin könne von der Beklagten keine weitere Vergütung für die Krankenhausbehandlungen der Versicherten vom 25.11.2009 bis 30.11.2009 und vom 25.02.2010 bis 01.03.2010 verlangen. Denn diese Krankenhausaufenthalte seien nicht nach der DRG B60A, sondern nach der DRG B68D abzurechnen, weil Hauptdiagnose nicht die ICD G82.19, sondern die ICD G35.30 gewesen sei. Für die Auswahl der Hauptdiagnosen seien nach den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) die Umstände der Aufnahme entscheidend. Ursache der streitigen Krankenhausaufenthalte sei die Multiple Sklerose gewesen, die Spastik sei insoweit lediglich ein Symptom dieser Grunderkrankung. Wenn sich ein Patient mit einem Symptom vorstelle und die zugrunde liegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt sei und behandelt werde, sei nach den DKR die zugrunde liegende Krankheit, hier die Multiple Sklerose, als Hauptdiagnose zu kodieren. Nur für den speziellen Fall, dass sich ein Patient mit einem Symptom vorstelle und die zugrunde liegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt sei, aber nur das (eine) Symptom behandelt werde, sei das Symptom als Haupt- und die zugrunde liegende Krankheit als Nebendiagnose zu kodieren. Vorliegend sei der Krankenhausaufenthalt der Versicherten nicht allein durch die Therapie der Spastik bestimmt, sondern zugleich auch durch die neurogene Harnblasenstörung; diesbezüglich seien der Versicherten weiter die Arzneimittel Mictonorm und Amantadin verabreicht worden. Dem könne die Klägerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass sie die bisherige Arzneimittelgabe im Krankenhaus lediglich unverändert fortgeführt habe; denn auch der Fortführung einer bisherigen Medikation liege eine vom verantwortlichen Krankenhausarzt zu treffende, eigenständige ärztliche Entscheidung zugrunde. Zudem habe die Behandlung mit Volon A zugleich der Behandlung von Entzündungen am Skelettsystem gedient, wie bei Multipler Sklerose üblich. Durch die Gabe von Volon A sei also auch die Grunderkrankung Multiple Sklerose mitbehandelt worden. Daneben habe offensichtlich eine Fatiguesymptomatik bestanden, die ebenfalls mitbehandelt worden sei. Somit habe der Krankenhausaufenthalt nicht allein der Therapie der Spastik gedient. Dass die Spastikbehandlung aufwändiger gewesen sei als ein "bloßer" Aufenthalt wegen Multipler Sklerose, sei hingegen nicht streitentscheidend.
Gegen das ihr am 21.11.2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 13.12.2016 zum Sächsischen Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung der Klägerin. Die spastische Paraparese sei eine eigene Erkrankung, die neben der Multiplen Sklerose-Erkrankung bestehe und könne daher nicht als deren Symptom im Sinne der DKR D002f angesehen werden. Die spastische Paraparese gehe bei der Versicherten weit über ein Symptom hinaus und sei schon wegen der Beeinträchtigung der Versicherten als eigene Erkrankung zu werten. Demzufolge seien die spastischen Paraparesen in der ICD-10-GM unter dem Kapitel der Krankheiten und nicht in dem Kapitel der Symptome klassifiziert worden. Keine Symptome im Sinne der ICD-10-GM seien Folgeerkrankungen. Die Paraparese habe auch einen höheren Ressourcenverbrauch nach sich gezogen als die Multiple Sklerose, weshalb die Paraparese als Hauptdiagnose zu kodieren sei. Zudem sei die Formulierung der Behandlung "eines" Symptoms in DKR 002f nicht als Zahlwort, sondern als unbestimmter Artikel zu verstehen. Volon A sei nicht zur Behandlung der Multiplen Sklerose, sondern lediglich zur Behandlung der Spastik verabreicht worden. Bei der Gabe von Mictonorm und Amantadin habe es sich nicht um die Behandlung eines Symptoms der Multiplen Sklerose gehandelt, da die Senkung der Blasenentleerungsfrequenz keine kausale Behandlung der Multiplen Sklerose darstelle und das Medikament Amantadin zur Behandlung der Multiplen Sklerose gar nicht zugelassen sei. Die Fortführung einer laufenden Medikation bei einer Grunderkrankung stelle keine Behandlung der Grunderkrankung in einer solchen qualifizierten Art und Weise dar, dass damit die Hauptdiagnose verändert werde. Darüber hinaus ergebe sich aus der DKR 0603h, dass bei der Versicherten die Spastiken wegen ihrer chronischen Form als Hauptdiagnose hätten kodiert werden dürfen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 30. August 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.202,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 29. September 2010 zu zahlen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidend für die Hauptdiagnose seien die Umstände der Aufnahme, die vorliegend hauptsächlich durch die Multiple Sklerose veranlasst worden sei. Die Spastik stelle lediglich ein Symptom dieser Grunderkrankung dar. Ein Symptom könne aber nach den Kodierrichtlinien nur dann als Hauptdiagnose in Ansatz gebracht werden, wenn es das einzige Symptom gewesen sei, das behandelt worden sei. Würden mehrere Symptome behandelt, sei wieder die Grundregel maßgeblich, dass Hauptdiagnose diejenige Diagnose sei, die hauptsächlich für die Veranlassung der stationären Krankenhausbehandlung verantwortlich gewesen sei. Dies sei die Multiple Sklerose gewesen, die mit dem Medikament Volon A behandelt worden sei. Die DKR 0603h führe nicht weiter, da die Behandlung der Multiplen Sklerose nicht abgeschlossen gewesen sei.
Die Beklagte hat ein im Verfahren S 3 KR 688/16 (SG Leipzig) erstelltes Gutachten des damaligen Chefarztes der Klinik für Neurologie des Klinikums Z.... .... Prof. Dr. med. X.... vom 20.06.2019 vorgelegt und unter Bezugnahme auf das Gutachten ausgeführt, dass die Spastik keine eigenständige Erkrankung, sondern ein Symptom der Multiplen Sklerose sei. Die Annahme der Klägerin, dass eine Therapie der Grunderkrankung nicht stattgefunden habe, sei durch das Gutachten wiederlegt. Die Injektionsbehandlung mit Volon A in den lumbalen Liquorraum werde ausschließlich bei Patienten mit Multipler Sklerose durchgeführt, die eine Spastik aufwiesen. Mit der angewandten Therapieform – so der Gutachter – werde auf eine Besserung der Grunderkrankung in der Hoffnung abgezielt, das Symptom zu mildern oder zumindest dessen Verstärkung zu verhindern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge, die Patientenakten und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand des Verfahrens gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
1. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin stehen die von ihr im Gleichordnungsverhältnis zulässigerweise mit der echten Leistungsklage (dazu Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R – juris Rn. 9; Urteil vom 16.08.2021 – B 1 KR 18/20 R – juris Rn. 9) verfolgten Vergütungsansprüche aus der Behandlung anderer Versicherter nicht zu, weil die Beklagte wirksam mit Erstattungsansprüchen in derselben Höhe wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlungen der Versicherten in der Zeit vom 25.11.2009 bis 30.11.2009 und vom 25.02.2010 bis 01.03.2010 aufgerechnet hat.
a) Rechtsgrundlage der streitigen Vergütungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte für die stationären Krankenhausbehandlungen der Versicherten ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG), § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), § 1 Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2009 und 2010 sowie Anlage 1 der FPV 2009 und 2010 (Fallpauschalenkatalog). Das Gesetz regelt in diesen Vorschriften die Höhe der Vergütung der zugelassenen Krankenhäuser bei stationärer Behandlung gesetzlich Krankenversicherter und setzt das Bestehen des Vergütungsanspruchs als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht, erforderliche Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V zu gewähren (§ 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V), dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus (BSG, Urteil vom 19.03.2020 – B 1 KR 20/19 R – juris Rn. 11; vgl. auch Sächsisches LSG, Urteil vom 25.09.2019 – L 1 KR 142/14 – juris Rn. 17).
Der Vergütungsanspruch der Klägerin für die streitigen Krankenhausbehandlungen ist dem Grunde nach entstanden. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Der Vergütungsanspruch für eine Krankenhausbehandlung und dazu korrespondierend die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entstehen unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (BSG, Urteil vom 17.12.2019 – B 1 KR 19/19 R – juris Rn. 10; Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – juris Rn. 13; Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R – juris Rn.11). Dies war hier der Fall.
Streitig ist nur die Höhe des Vergütungsanspruchs. Diese bemisst sich im DRG-Vergütungssystem, in welches das Krankenhaus der Klägerin mit ihrer Abteilung Neurologie einbezogen ist (vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 04.11.2020 – L 1 KR 133/16 – juris Rn. 24), nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die Fallpauschalenvergütung für die stationäre Krankenhausbehandlung in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 KHEntgG und § 17b KHG. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normenverträge konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als "Vertragsparteien auf Bundesebene" mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KHEntgG Abrechnungsbestimmungen in der FPV.
Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich gemäß § 1 Abs. 6 Satz 1 FPV 2009 und 2010 rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten – insbesondere von Diagnosen und Prozeduren – in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert (näher dazu BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – juris Rn. 19 ff.). Dabei greift das Programm auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu letzteren gehören die FPV selbst, aber auch die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD) in der jeweiligen vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung (ICD-10-GM – hier in der Version 2009 und 2010) sowie die Klassifikation des vom DIMDI im Auftrag des BMG herausgegebenen Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS). Ebenso gehört zu den einbezogenen Regelungskomplexen die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarungen zu den DKR für die Jahre 2009 und 2010. Die Verbindlichkeit der in der FPV und den DKR angesprochenen Klassifikationssysteme folgt allein aus dem Umstand, dass sie in das vertraglich vereinbarte Fallpauschalensystem und insbesondere in dessen Kern, den Grouper, einbezogen sind (BSG, Urteil vom 19.06.2018 – B 1 KR 39/17 R – juris Rn. 13; Urteil vom 19.12.2017 – B 1 KR 19/17 R – juris Rn. 31; Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 21/14 R – juris Rn. 13; Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 26/13 R – juris Rn. 12).
Die Anwendung der DKR und der FPV-Abrechnungsbestimmungen einschließlich ICD und OPS ist nicht automatisiert und unterliegt grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Denn eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (BSG, Urteil vom 17.12.2019 – B 1 KR 19/19 R – juris Rn. 13; Urteil vom 30.07.2019 - B 1 KR 13/18 R – juris Rn. 13; Urteil vom 19.12.2017 – B 1 KR 18/17 R – juris Rn. 14). Soweit in solchen Vergütungsregelungen spezifisch medizinische Begriffe verwandt werden – und keine abweichenden Vorgaben bestehen –, kommt ihnen der Sinngehalt zu, der ihnen im medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch beigemessen wird (BSG, Beschluss vom 19.07.2012 – B 1 KR 65/11 B – juris Rn. 18; Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 21/14 R – juris Rn. 18; vgl. auch BSG, Urteil vom 26.09.2017 – B 1 KR 9/17 R – juris Rn.16). Dies gilt sowohl für ICD und OPS als auch für die DKR.
b) Streitig und für die Vergütungshöhe entscheidend ist, ob als Hauptdiagnose die ICD G82.19 (spastische Paraparese und Paraplegie: nicht näher bezeichnet) kodiert werden durfte, oder die ICD G35.20 (Multiple Sklerose mit primär-chronischem Verlauf) bzw. G35.30 (Multiple Sklerose mit sekundär-chronischem Verlauf) hätte kodiert werden müssen. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass der Anspruch der Klägerin auf die höhere Vergütung für die streitigen Krankenhausbehandlungen nach der DRG B60A statt nach der DRG B68D allein davon abhängt, welche dieser Diagnosen als Haupt- und welche als Nebendiagnose zu kodieren ist. Soweit – wie hier im Übrigen – Berechnungsergebnisse keinem Streit zwischen Beteiligten mit insoweit besonderer professioneller Kompetenz ausgesetzt sind, sind weitere Ermittlungen des Gerichts entbehrlich (BSG, Urteil vom 19.06.2018 – B 1 KR 39/17 R – juris Rn. 9; Urteil vom 21.04.2015 – B 1 KR 9/15 R – juris Rn. 29).
Die DRG-Fallpauschale B60A (Nicht akute Paraplegie / Tetraplegie, mehr als ein Belegungstag) wurde sowohl 2009 als auch 2010 nur unter Ansatz der ICD G82.19 als Hauptdiagnose angesteuert. Die ICD-10-GM bestimmt insoweit in den Versionen 2009 und 2010:
G82.- Paraparese und Paraplegie, Tetraparese und Tetraplegie
Hinw.: Diese Kategorie dient zur Verschlüsselung von Paresen und Plegien bei Querschnittlähmungen oder Hirnerkrankungen, wenn andere Schlüsselnummern nicht zur Verfügung stehen.
Diese Kategorie dient auch zur multiplen Verschlüsselung, um diese durch eine beliebige Ursache hervorgerufenen Krankheitszustände zu kennzeichnen.
Für den Gebrauch dieser Kategorie in der stationären Versorgung sind die Deutschen Kodierrichtlinien heranzuziehen.
…
Die folgenden fünften Stellen sind bei den Subkategorien G82.0-G82.5 zu verwenden:
…
9 Nicht näher bezeichnet
Zerebrale Ursache
G82.1- Spastische Paraparese und Paraplegie
Die DRG-Fallpauschale B68D (Multiple Sklerose und zerebellare Ataxie, ein Belegungstag oder ohne äußerst schwere CC, Alter > 15 Jahre, ohne komplexe Diagnose) wurde 2009 und 2010 angesteuert bei Zugrundelegung der ICD G35.20 oder G35.30 als Hauptdiagnose. Insoweit bestimmt die ICD-GM-10 in den Versionen 2009 und 2010:
G35.- Multiple Sklerose [Encephalomyelitis disseminata]
Inkl.: Multiple Sklerose:
• disseminiert
• generalisiert
• Hirnstamm
• Rückenmark
• o.n.A.
Die folgenden fünften Stellen sind bei den Subkategorien G35.1-G35.3 zu benutzen:
0 Ohne Angabe einer akuten Exazerbation oder Progression
…
G35.1 Multiple Sklerose mit vorherrschend schubförmigem Verlauf
G35.2 Multiple Sklerose mit primär-chronischem Verlauf
G35.3 Multiple Sklerose mit sekundär-chronischem Verlauf
Zur Kodierung von Haupt- und Nebendiagnose bestimmten die DKR in den Versionen 2009 und 2010 übereinstimmend:
D002f Hauptdiagnose
Die Hauptdiagnose wird definiert als:
„Die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist.”
Der Begriff „nach Analyse” bezeichnet die Evaluation der Befunde am Ende des stationären Aufenthaltes, um diejenige Krankheit festzustellen, die hauptsächlich verantwortlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes war. ...
Die nach Analyse festgestellte Hauptdiagnose muss nicht der Aufnahmediagnose oder Einweisungsdiagnose entsprechen.
Anmerkung 1: Es ist nicht auszuschließen, dass diese Definition der Hauptdiagnose vereinzelt im DRG-System keine adäquate Abbildung der Krankenhausleistung erlaubt. Im Rahmen der Entwicklung und Pflege des Entgeltsystems werden solche Fälle verfolgt und auf ggf. notwendige Maßnahmen geprüft.
…
Bei der Festlegung der Hauptdiagnose haben die vorliegenden Kodierrichtlinien Vorrang vor allen anderen Richtlinien. Die Hinweise zur Verschlüsselung mit den ICD-10-Verzeichnissen müssen beachtet werden (s.a. DKR D013 Im Systematischen Verzeichnis verwendete formale Vereinbarungen (Seite 29) und DKR D014 Im Alphabetischen Verzeichnis verwendete formale Vereinbarungen (Seite 33)).
Zuweisung der zugrunde liegenden Krankheit als Hauptdiagnose
Wenn sich ein Patient mit einem Symptom vorstellt und die zugrunde liegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt ist und behandelt wird bzw. während des Krankenhausaufenthaltes diagnostiziert wird, so ist die zugrunde liegende Krankheit als Hauptdiagnose zu kodieren. Zur Kodierung von Symptomen als Nebendiagnose siehe DKR D003 Nebendiagnosen.
Beispiel 2
Ein Patient wird zur Behandlung zunehmend starker Kopfschmerzen aufgenommen, die durch einen drei Monate vorher diagnostizierten Hirntumor hervorgerufen werden. Der Patient wird wegen Progression des Hirntumors operiert.
Hauptdiagnose: Hirntumor
Nebendiagnose(n): keine
Beispiel 3
Ein Patient wird mit akuten rechtseitigen Schmerzen im Unterbauch, Fieber und Unwohlsein stationär aufgenommen. Unter der klinischen Diagnose akute Appendizitis erfolgt eine Appendektomie.
Hauptdiagnose: Akute Appendizitis
Nebendiagnose(n): keine
Zuweisung eines Symptoms als Hauptdiagnose
Wenn sich ein Patient mit einem Symptom vorstellt und die zugrunde liegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt ist, jedoch nur das Symptom behandelt wird, ist das Symptom als Hauptdiagnose und die zugrunde liegende Krankheit als Nebendiagnose zu kodieren.
Beispiel 4
Ein Patient wird mit Aszites bei bekannter Leberzirrhose stationär aufgenommen. Es wird nur der Aszites durch eine Punktion behandelt.
Hauptdiagnose: Aszites
Nebendiagnose(n): Leberzirrhose
D003i Nebendiagnosen
Die Nebendiagnose ist definiert als:
„Eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickelt.”
Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist:
- therapeutische Maßnahmen
- diagnostische Maßnahmen
- erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand
Bei Patienten, bei denen einer dieser erbrachten Faktoren auf mehrere Diagnosen ausgerichtet ist, können alle betroffenen Diagnosen kodiert werden. ...
c) Der Klägerin steht gegen die Beklagte für die Krankenhausbehandlung vom 25.11.2009 bis 30.11.2009 nur ein Vergütungsanspruch in Höhe von 2.835,12 € und für die Krankenhausbehandlung vom 25.02.2010 bis 01.03.2010 nur ein Vergütungsanspruch in Höhe von 2.446,65 € zu. Denn die Klägerin durfte der Abrechnung dieser vollstationären Krankenhausbehandlungen lediglich die DRG B68D und nicht die höher zu vergütende DRG B60A zugrunde legen, weil als Hauptdiagnose die ICD G35.20 statt der ICD G82.19 zu kodieren ist.
Nach dem klaren Wortlaut der DKR D002f (Versionen 2009 und 2010) ist die zugrunde liegende Krankheit als Hauptdiagnose zu kodieren, wenn sich ein Patient mit einem Symptom vorstellt und die zugrunde liegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt ist und behandelt wird. Wird nur das Symptom behandelt, ist hingegen das Symptom als Hauptdiagnose zu kodieren. Letzteres ist vorliegend nicht der Fall, sodass nicht das Symptom der spastischen Parese (ICD G82.19), sondern die Grunderkrankung Multiple Sklerose als Hauptdiagnose zu kodieren ist – und zwar richtigerweise die ICD G35.20 (Multiple Sklerose mit primär-chronischem Verlauf) und nicht die ICD G35.30 (Multiple Sklerose mit sekundär-chronischem Verlauf), weil, wie aus dem Krankenhausentlassungsbericht vom 02.12.2009 und der Verordnung von Krankenhausbehandlung der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. Y.... vom 25.02.2010 hervorgeht, bei der Versicherten die Multiple Sklerose von Anfang an einen schleichend progredienten Verlauf zeigte, also gerade nicht zunächst schubförmig remittierend verlief und erst später (sekundär) progredient wurde.
Die Multiple Sklerose war bei der jeweiligen Krankenhausaufnahme als Grunderkrankung bekannt. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. In dem Entlassungsbericht des Krankenhauses der Klägerin vom 02.12.2009 heißt es, dass die Einweisung der Versicherten, bei der seit 1980 eine Multiple Sklerose bekannt ist, über die Multiple Sklerose-Ambulanz (des Krankenhauses) erfolgte, von der sie seit April 2009 betreut wird. Und die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. Y.... verordnete am 25.02.2010 der Versicherten Krankenhausbehandlung wegen Multipler Sklerose mit primär-chronischem Verlauf (G35.20) und einer daraus resultierenden Verschlechterung des gesundheitlichen Befindens.
Entgegen dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin handelt es sich bei der spastischen Parese im vorliegenden Fall um eine Symptomdiagnose. Im medizinischen Sprachgebrauch wird unter Symptom ein (typisches) Anzeichen oder Merkmal einer Krankheit verstanden. Dieses Verständnis liegt sowohl der ICD-10-GM zugrunde, wenn danach Symptome "auf eine bestimmte Diagnose hindeuten" (Kapitel XVIII ICD-10-GM), als auch den Kodierrichtlinien, wenn dort dem Symptom eine die Symptomatik "erklärende definitive Diagnose" gegenübergestellt wird (DKR D002f). Dementsprechend hat das BSG Wortlaut und Regelungssystem von DKR D002f und Kapitel XVIII ICD-10-GM entnommen, dass Krankheit insbesondere eine die Symptomatik erklärende definitive Krankheitsdiagnose meint (BSG, Urteil vom 20.03.2018 – B 1 KR 25/17 R – juris 16). Ob eine Diagnose eine die Symptomatik erklärende definitive Diagnose ist, bestimmt sich nicht nach einem außerhalb der Abrechnungsbestimmungen liegenden Maßstab im Sinne eines besonders qualifizierten medizinisch-wissenschaftlichen Verständnisses des Krankheitsgeschehens. Insbesondere geht es dabei auch nicht um die Feststellung einer "Letztursache". Maßstab sind vielmehr allein die Abrechnungsbestimmungen selbst. Ist in der ICD-10-GM eine Diagnose als erklärende definitive eingeordnet, schließt sie ungeachtet ihrer Erklärungstiefe die Kodierung einer Symptomdiagnose aus (BSG a.a.O.).
Die spastische Parese – dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig – ist bei der Versicherten durch die Multiple Sklerose hinreichend zu erklären. Die Multiple Sklerose ist durch entzündliche Veränderungen in Gehirn und Rückenmark gekennzeichnet, die die Erregungsleitung in den Nervenbahnen hindern. In der Folge entsteht u.a. eine spastische Parese. In dem von der Beklagten zu den Akten gereichten Gutachten des Prof. Dr. X...., das im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden kann, hat dieser dargelegt, dass die Spastik ein Phänomen eines erhöhten Muskeltonus bei Schädigung der Verbindung von Großhirn zum Rückenmark (Pyramidenbahn) ist. Bei jeder Schädigung dieser Verbindung kommt es zu Spastik. Multiple Sklerose ist eine typische Ursache einer solchen Pyramidenbahnschädigung und Spastik dementsprechend ein häufiger Symptomenkomplex bei Multipler Sklerose. Der Chefarzt der Klinik für Neurologie des klägerischen Krankenhauses ging denn auch in seinen Widersprüchen gegen die MDK-Stellungnahmen im Prüfverfahren davon aus, dass es sich bei der Paraparese um ein neurologisches Symptom handelt und die durchgeführte intrathekale Triamcinolon-Therapie der symptomatischen Behandlung der Multiplen Sklerose diente.
Zu keiner anderen Beurteilung führt das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die bei der Versicherten vorliegende spastische Paraparese gehe weit über ein Symptom hinaus und sei schon wegen der Beeinträchtigung der Versicherten als eigene Erkrankung zu werten und nicht mehr als Anzeichen einer Erkrankung. Unergiebig ist insoweit die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin herangezogene Definition des Krankheitsbegriffs in § 1 der Kaiserlichen Verordnung betreffend den Verkehr mit Arzneimitteln vom 22.10.1901 (RGBl. 380) durch den Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 21.03.1958 (2 StR 393/97 – NJW 1958, 916), wonach unter Krankheit jede Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers zu verstehen ist, die geheilt, d.h. beseitigt oder gelindert werden kann. Dieser Krankheitsbegriff ist nicht weiter als derjenige des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wonach Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung haben, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne dieser Norm ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (dazu nur: BSG, Urteil vom 10.03.2022 – B 1 KR 3/21 R – juris Rn. 10 m.w.N.). Krankheitswert in diesem Sinne können auch Symptome haben. Folglich können auch Symptome Leistungsansprüche der Versicherten begründen. Für das Leistungserbringungsrecht und die dort bei der Abrechnung von Krankenhausbehandlungen erforderliche Abgrenzung zwischen Symptom und zugrunde liegender Erkrankung folgt daraus indessen nichts. Ein vom Krankheitswert abhängiges Umschlagen von Symptomen in Erkrankungen ist den Abrechnungsbestimmungen in DKR und ICD-10-GM fremd.
Ebenso wenig steht einer Einordnung als Symptomdiagnose entgegen, dass die spastische Paraparese nicht im Kapitel XVIII ICD-10-GM aufgeführt ist. Denn in den Anmerkungen zu Beginn dieses Kapitels wird explizit darauf hingewiesen, dass Symptome, die mit ziemlicher Sicherheit auf eine bestimmte Diagnose hindeuten, unter den entsprechenden Kategorien in anderen Kapiteln aufgeführt sind. Der ICD-10-GM kann also keineswegs die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin befürwortete Systematik entnommen werden, wonach in den Kapiteln A00 bis N99 die Krankheiten aufgeführt werden und in den Kapiteln R00 bis R99 die Symptome. Vielmehr ergibt sich aus den einleitenden Anmerkungen zu Kapitel XVIII ICD-10-GM das Gegenteil.
Der Kodierung der somit als Symptomdiagnose einzuordnenden spastischen Paraparese und Paraplegie (G82.19) als Hauptdiagnose steht nicht bereits entgegen, dass neben der spastischen Parese auch andere Symptome der Multiplen Sklerose (Blasenstörung, Fatigue) behandelt wurden. Auch wenn in DKR D002f (Versionen 2009 und 2010) von "einem“ Symptom die Rede ist, kann daraus entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten und des SG nicht gefolgert werden, dass bei Behandlung von mehreren Symptomen stets die Grunderkrankung als Hauptdiagnose zu kodieren ist. Eine solche Auslegung lässt sich weder dem Wortlaut entnehmen noch ergäbe sie einen Sinn. Vielmehr ist bei der Behandlung von ausschließlich mehreren Symptomen wieder die Grundregel maßgeblich, wonach Hauptdiagnose diejenige Diagnose ist, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes verantwortlich ist, was auch die Symptomdiagnose sein kann (LSG Hamburg, Urteil vom 23. Juli 2015 – L 1 KR 96/13 – juris Rn. 26; SG Berlin, Urteil vom 09.11.2015 – S 81 KR 2480/12 – juris Rn. 40).
Dem Ansatz der ICD G82.19 als Hauptdiagnose steht aber entgegen, dass während der streitigen Krankenhausaufenthalte nicht – was die DKR D002f indessen verlangt – nur das Symptom behandelt wurde. Nach DKR D002f hängt die Kodierung eines Symptoms als Hauptdiagnose bei bekannter Grunderkrankung davon ab, ob nur das Symptom behandelt wird – dann ist dieses die Hauptdiagnose – oder ob (zumindest auch) die Grunderkrankung behandelt wird – dann stellt diese die Hauptdiagnose dar (LSG Hamburg, Urteil vom 23. Juli 2015 – L 1 KR 96/13 – juris Rn. 21). Zwingend für die Kodierung des Symptoms als Hauptdiagnose ist bei bekannter Grunderkrankung also, dass ausschließlich das Symptom behandelt wird (Schlottmann/Kaczmarek, Deutsche Kommentierung Kodierrichtlinien, 2016, S. 8). Dies erfordert eine Abgrenzbarkeit zwischen der Behandlung des Symptoms und der Behandlung der Grunderkrankung, die nicht vorliegt, wenn gerade durch eine Einwirkung auf die Grunderkrankung eine Linderung der durch sie verursachten Symptome erreicht werden soll.
Prof. Dr. X.... hat in dem von der Beklagten zur Akte gereichten und im Wege des Urkundsbeweises verwertbaren Gutachten dargelegt, dass die intrathekale Gabe von Triamcinolon bei Multipler Sklerose – einer entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems – aus der Überlegung heraus folgt, dass durch die lokale Anwendung im Liquorraum die Wirkung von Steroiden intensiver ist, dadurch die Aktivität der Grunderkrankung Multiple Sklerose im Rückenmark besser gedämpft wird und dann daraus eine Minderung des Symptoms Spastik folgt. Das Prinzip dieser Behandlung besteht in der lokalen Nutzung der entzündungshemmenden Wirkung am Rückenmark. Als Therapieform gegen Spastik wird die Injektion von Steroiden in den lumbalen Liquorraum ausschließlich bei Patienten mit Multipler Sklerose angewandt; bei keiner anderen Grunderkrankung wird eine solche Injektion als Therapie gegen Spastik auch nur erwogen. Aus diesen den Senat überzeugenden Darlegungen folgt: Auch wenn die intrathekalen Triamcinolon-Injektionen der Behandlung der Paraspastiken dienen sollen, handelt es sich dabei – anders als dies bei der Gabe von Antispastika bzw. Spasmolytika der Fall wäre – nach ihrer Wirkweise um eine Behandlung der durch die Grunderkrankung bedingten Entzündungsherde und damit um eine Behandlung der Grunderkrankung (so auch SG Berlin, Urteil vom 09.11.2015 – S 81 KR 2480/12 – juris Rn. 44; vgl. Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft [DMSG], Symptomatische Therapie der Multiplen Sklerose – Aktuelle Therapieempfehlungen [August 2004] Multiple Sklerose Therapie Konsensus Gruppe [MSTKG], S. 10 ff. abrufbar unter https://www.dmsg.de/dokumentearchiv/mstkgpaper2004_april_04_endfassung_aktuell_29052009.pdf).
Der Rechtsauffassung des LSG Sachsen-Anhalt in seinem Urteil vom 22.04.2021 (L 6 KR 91/18 – juris Rn. 31 f.), wonach die Kodierung der Grundkrankheit Multiple Sklerose als Hauptdiagnose gegenüber einer Spastik als Symptom dann ausscheidet, wenn eine denkbare Beeinflussung auch der Grundkrankheit nicht Gegenstand wissenschaftlich fundierter Therapie ist, vermag der Senat nicht zu folgen. Angesichts der streng nach dem Wortlaut auszulegenden Abrechnungsbestimmungen (BSG, Urteil vom 16.08.2021 – B 1 KR 11/21 R – juris Rn. 17) kann es für die Beantwortung der Frage, ob das Symptom oder die diesem zugrunde liegende Erkrankung als Hauptdiagnose zu kodieren ist, nicht entscheidungserheblich darauf ankommen, ob die Behandlung der Grunderkrankung Gegenstand medizinisch-wissenschaftlich fundierter Therapieansätze ist. Zum einen geht ein solches Verständnis über den Wortlaut der DKR hinaus; diese setzt in DKR D002f eine solche Prüfung bei der Ermittlung der Hauptdiagnose nicht voraus. Zum anderen führt das Fehlen von (wissenschaftlich-fundierten) Erkenntnissen zur Wirkung eines Medikaments auf die Grunderkrankung auch nicht zwingend zu der Feststellung, dass "nur" und ausschließlich das Symptom behandelt wird. Dies setzt die DKR zur maßgeblichen Hauptdiagnose für die Kodierung eines Symptoms als Hauptdiagnose aber gerade voraus. Im Übrigen hat Prof. Dr. X.... in seinem Gutachten dargelegt, dass die intrathekale Triamcinolon-Therapie von Spastiken bei Multipler Sklerose auf nur wenigen publizierten klinischen Beobachtungen von unzureichendem Evidenzgrad beruht. In Ermangelung einer medizinisch-wissenschaftlichen Fundierung des Therapieansatzes müsste in der Logik der Entscheidung des LSG Sachsen-Anhalt auch eine Kodierung des Symptoms als Hauptdiagnose ausscheiden.
Dass das Symptom (spastische Paraparese) die stationären Aufnahmen veranlasst hat, vermag die Rechtsauffassung der Klägerin nicht zu stützen. Denn nach DKR D002f kommt es – wie dargelegt – bei Symptomen allein darauf an, ob "nur", d.h. ausschließlich, dieses während des Krankenhausaufenthaltes behandelt wird. Dies war – wie ausgeführt – aber gerade nicht der Fall.
Soweit schließlich die DKR 0603h (Versionen 2009 und 2010) für die Behandlung der späten (chronischen) Phase einer Paraplegie/Tetraplegie nicht die Kodierung der Grunderkrankung, sondern den Ansatz eines Kodes aus ICD G82.- (Paraparese und Paraplegie, Tetraparese und Tetraplegie, Stelle „2“ oder „3“) vorsieht, vermag dies im vorliegenden Fall keine abweichende Beurteilung zu rechtfertigen. Denn von der späten (chronischen) Phase einer Paraplegie/Tetraplegie im Sinne der DKR 0603h kann nach den dortigen Erläuterungen nur die Rede sein, wenn die Behandlung der akuten Erkrankung, die die Lähmungen verursachte, abgeschlossen ist (SG Berlin, Urteil vom 09.11.2015 – S 81 KR 2480/12 – juris Rn. 42). Davon kann bei einer schleichend verlaufenden Grunderkrankung wie der chronisch progredienten Multiplen Sklerose der Klägerin gerade nicht ausgegangen werden.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
3. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
4. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 3, §§ 43, 47 Abs. 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz.