L 1 KR 240/19 B

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 22 KR 644/15
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 240/19 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Es besteht keine Pflicht zu einer zeitlich gestaffelten Festsetzung des Streitwerts (§ 63 Abs. 2 GKG) wegen Reduzierung des Streitgegenstandes infolge eines Teilanerkenntnisses.

2. Vielmehr eröffnet in einem solchen Fall § 33 Abs. 1 RVG die Möglichkeit einer gesonderten Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit.

3. Zu der Frage, ob ein Anerkenntnis rechtsmissbräuchlich nur deshalb zunächst auf die Hauptforderung beschränkt wird, um dadurch den für die Terminsgebühr des Rechtsanwalts maßgeblichen Gegenstandswert auf die Nebenforderung zu drücken.

Bemerkung

keine zeitlich gestaffelte Streitwertfestsetzung bei teilweisem Anerkenntnis

 

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L 1 KR 240/19 B

S 22 KR 644/15 Leipzig

 

 

 

Sächsisches Landessozialgericht

Beschluss

In dem Beschwerdeverfahren

Z....

- Klägerin und Beschwerdegegnerin -

Prozessbevollmächtigte:         Rechtsanwälte B....
 

gegen

AOK PLUS - Die Gesundheitskasse für Sachsen und Thüringen, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Vorsitzenden des Vorstandes, Herrn Rainer Striebel, Sternplatz 7, 01067 Dresden

- Beklagte und Beschwerdeführerin -

hat der 1. Senat des Sächsischen Landessozialgerichts am 7. November 2022 in Chemnitz durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht Dr. Wahl, die Richterin am Landessozialgericht Fischer und die Richterin am Landessozialgericht Busse ohne mündliche Verhandlung beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Streitwertfestsetzung in Ziffer II des Beschlusses des Sozialgerichts Leipzig vom 17. Juni 2019 wird zurückgewiesen.
  2. Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

 

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Festsetzung des Streitwertes in einem sozialgerichtlichen Verfahren.

In dem Verfahren war eine Krankenhausvergütung in Höhe von 13.291,33 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.02.2014 streitig. Die Beklagte gab zunächst mit am 11.02.2019 beim Sozialgericht (SG) eingegangenen Schriftsatz vom 07.02.2019 ein Anerkenntnis für die eingeklagte Hauptforderung ab. Zur Übernahme der Zinsen erklärte sie sich nicht bereit, weil alle prüfrelevanten Unterlagen erst im Klageverfahren mit der Patientenakte vorgelegt worden seien; erst mit deren Vorlage habe die streitige Hauptdiagnose bestätigt werden können. Dieses Teil-Anerkenntnis nahm die Klägerin am 07.03.2019 unter Aufrechterhaltung der Klage im Übrigen (hinsichtlich der Zinsen) an. Am 05.06.2019 gab die Beklagte auch hinsichtlich der Zinsen ein Anerkenntnis ab, das die Klägerin am 17.06.2019 annahm.

Daraufhin hat das SG mit Beschluss vom 17.06.2019 der Beklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt (Ziffer I des Beschlusses) und den Streitwert auf 13.291,32 € festgesetzt (Ziffer II des Beschlusses).

Gegen Ziffer II dieses am 24.06.2019 zugestellten Beschlusses richtet sich die von der Beklagten am 09.08.2019 bei dem Sächsischen Landessozialgericht (LSG) eingelegte Beschwerde, mit der sie die Festsetzung eines Stufenstreitwertes (bis 07.02.2019 in Höhe von 13.291,32 € und danach in Höhe von 2.734,98 €) begehrt. Nach angenommenem Teil-Anerkenntnis seien lediglich noch die Zinsen streitig gewesen, mit der Folge, dass der Streitwert ab diesem Zeitpunkt zu senken sei. Die Streitwertbemessung sei auch für die Bemessung der wertabhängigen Rechtsanwaltsgebühren maßgebend. Eine abweichende Gegenstandswertfestsetzung komme mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 33 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) nicht in Betracht. In Anbetracht der Bindungswirkung nach § 23 Abs. 1 Satz 1, § 32 Abs. 1 RVG sei es geboten, streitwertrelevante Änderungen schon bei der gerichtlichen Streitwertbemessung nach § 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

Ziffer II des Beschlusses des Sozialgerichts Leipzig vom 17. Juni 2019 abzuändern und den Streitwert bis zum 07.02.2019 auf 13.291,32 € und danach auf
2.734,98 € festzusetzen.

Die Klägerin beantragt,

 

die Beschwerde zurückzuweisen.

Eine zeitlich gestaffelte Streitwertfestsetzung entbehre jeglicher Grundlage. Nach § 40 GKG sei für die Wertberechnung der Zeitpunkt der den Rechtszug einleitenden Antragstellung maßgeblich. Die Rechtsanwaltsgebühren berechneten sich dem Grunde nach gemäß § 32 RVG nach dem vom Gericht festgesetzten Wert. Sofern die Beklagte die Auffassung vertrete, dass für einzelne Gebührentatbestände der anwaltlichen Tätigkeit ein vom für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Wert abweichender Wert heranzuziehen sei, so gehe sie fehl in der Annahme, dass dies durch eine Entscheidung von Amts wegen zu erfolgen habe.

II.

Über die Streitwertbeschwerde entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern, nachdem die Berichterstatterin das Verfahren gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen hat und ehrenamtliche Richter gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 3 GKG nicht mitwirken.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob die Beschwerde nicht bereits unzulässig ist, weil der Beklagten zur Erreichung ihres Zieles die Möglichkeit der Beantragung einer Gegenstandswertfestsetzung nach § 33 RVG offen steht. Denn die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Das SG durfte den Streitwert auf 13.291,32 € und damit in Höhe der zunächst mit der Klage geltend gemachten Hauptforderung (§ 43 Abs. 1 GKG) festsetzen. Zur Festsetzung eines Stufenstreitwertes wegen der Änderung des Streitgegenstandes infolge der Annahme des Teilanerkenntnisses vom 07.02.2019 war das SG nicht verpflichtet.

 

Nach § 63 Abs. 2 GKG setzt das Gericht – sofern, wie hier, eine bindende Entscheidung nach § 62 Satz 1 GKG nicht vorliegt – den Streitwert für die zu erhebenden Gerichtsgebühren von Amts wegen durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergangen ist oder sich das Verfahren anderweitig erledigt hat. Die Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG dient dabei ausschließlich der Bemessung der Gerichtsgebühren. Die Kosten, die den Verfahrensbeteiligten selbst entstehen, insbesondere die Gebühren ihrer Prozessbevollmächtigten nach dem RVG, sind außergerichtliche Kosten, die vom Regelungsbereich des GKG nicht erfasst sind (Zimmermann in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Auf. 2021, § 1 GKG Rn. 5). Seit der Erstreckung des Pauschalgebührensystems (dazu BT-Drs. 15/1971, S. 141 f.) auf alle Gerichtsbarkeiten durch das (Erste) Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (KostRMoG) vom 05.05.2004 (BGBl. I S. 835) entsteht in einem sozialgerichtlichen (erstinstanzlichen) Prozessverfahren grundsätzlich nur noch eine 3,0-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 7110 KV GKG, die nach einem bestimmten Streitwert zu berechnen ist und sich unter bestimmten Umständen (z. B. Rücknahme, Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs) nach Nr. 7111 KV GKG auf eine 1,0-fache Verfahrensgebühr reduzieren kann. Eine Unterteilung in verschiedene Gebührentatbestände findet nicht mehr statt. Im Rahmen einer einzigen Wertgebühr bedarf es nicht der Festsetzung mehrerer Streitwerte. Hierfür besteht seit Abschaffung der sogenannten Urteilsgebühr im Kostenverzeichnis zum GKG mit Inkrafttreten des KostRMoG kein Anlass (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.08.2020 – L 11 KR 1639/20 B – juris Rn. 18; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 15.11.2018 – 1 E 996/18 – juris Rn. 26; Oberlandesgericht [OLG] Düsseldorf, Beschluss vom 04.04.2022 – I-12 W 5/22 – juris Rn. 5; OLG Bremen, Beschluss vom 05.01.2022 – 2 W 56/21 – juris Rn. 6).

 

Für die Wertberechnung der Gerichtsgebühren bestimmt § 40 GKG den Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung als maßgeblich, die den Rechtszug einleitet. Die Norm stellt klar, dass im Falle der Klageerweiterung für den zusätzlich eingeführten Streitgegenstand allein die erste sich hierauf beziehende Antragstellung maßgebend sein soll (BT-Drs. 15/1971, S. 154). Mit der Maßgeblichkeit des frühen Zeitpunktes soll § 40 GKG Neuberechnungen des Wertes bei Beendigung des Verfahrens weitgehend überflüssig machen (BT-Drs. 12/6962, S. 62 zur Vorgängerregelung in § 15 GKG a.F.). Eine Herabsetzung des Streitwerts für einzelne Verfahrensabschnitte nach teilweiser Erledigung des Rechtsstreits sieht § 40 GKG nicht vor. Ebenso wenig wie die pauschale Struktur der Gerichtsgebühren bietet diese Vorschrift einen Anhalt für eine Pflicht zu einer nach Zeitabschnitten gestaffelte Festsetzung des endgültigen Streitwerts.

 

Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus der in § 23 Abs. 1, § 32 Abs. 1 RVG vorgesehenen Kopplung des Gegenstandswertes an den Streitwert. Zwar ist nach § 32 Abs. 1 RVG der für die Gerichtsgebühren festgesetzte Streitwert auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend. Abweichend hiervon eröffnet jedoch § 33 Abs. 1 RVG unter den dort genannten Voraussetzungen die Möglichkeit der gesonderten Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit (OLG Dresden, Beschluss vom 19.07.2022 – 12 W 367/22 – juris Rn. 4; Beschluss vom 16.01.2019 – 8 W 8/19 – juris Rn. 9). Hiernach kann das Gericht des Rechtszugs den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf Antrag durch Beschluss selbstständig festsetzen, wenn sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert berechnen oder wenn es an einem solchen Wert fehlt. Sofern beim Rechtsanwalt im Vergleich zu den Gerichtsgebühren unterschiedliche Werte für verschiedene Gebühren maßgebend sein können und sich Verfahrens-, Termins- und Einigungsgebühr nicht zwangsläufig nach demselben Gegenstandswert richten wie die Gerichtsgebühren, bedingt dies daher – entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten – nicht die Notwendigkeit der Bildung von Stufenstreitwerten bereits im Rahmen der nach § 63 Abs. 2 Satz GKG vorzunehmenden Festsetzung (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.08.2020 – L 11 KR 1639/20 B – juris Rn. 18 unter Verweis auf: OLG München, Beschluss vom 13.12.2016 – 15 U 2407/16 – juris; Kammergericht Berlin, Beschluss vom 02.03.2018 – 26 W 62/17 – juris; KG Berlin, Beschluss vom 02.03.2018 – 26 W 62/17 – juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 12.10.2018 – 2 W 464/18 – juris; OLG Dresden – Beschluss vom 16.01.2019 – 8 W 8/19; OLG Rostock, Beschluss vom 08.01.2020 – 4 W 25/19 – juris).

 

Anders als die Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG erfolgt eine Gegenstandswertfestsetzung nach § 33 RVG zudem nicht von Amts wegen. Dabei kann im Hinblick auf die allein zu § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG ergangene Entscheidung des SG dahinstehen, ob die Beklagte einen Antrag nach § 33 RVG gestellt hat. Ein solcher wäre jedenfalls nicht im Rahmen einer Streitwertbeschwerde nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG zu prüfen.

 

Soweit in der Rechtsprechung mit Blick auf die Rechtsanwaltsgebühren die Festsetzung von Stufenstreitwerten für geboten gehalten wird (vgl. Bayerisches LSG 14.09.2011 – L 2 U 298/11 – juris Rn. 11; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.05.2008 – L 16 B 87/07 KR – juris Rn. 17), folgt der Senat dem nicht, weil der Charakter der Gerichtsgebühren als Pauschalgebühren und die Möglichkeit eines Antrages nach § 33 RVG unberücksichtigt bleiben. Es erscheint insoweit sachgerecht, es den Beteiligten zu überlassen, in Fällen unterschiedlicher Gegenstandswerte für die anwaltliche Tätigkeit, das Antragsverfahren nach § 33 Abs. 1 RVG zu wählen, anstatt das Gericht im Rahmen der Streitwertfestsetzung für die Gerichtsgebühren verpflichtet zu halten, solche Besonderheiten von Amts wegen zu berücksichtigen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.08.2020 – L 11 KR 1639/20 B – juris Rn. 17 f. m.w.N.). Antragsberechtigt ist nach § 33 Abs. 2 Satz 2 RVG auch der erstattungspflichtige Gegner, mithin hier die Beklagte. Diese hat geltend gemacht, dass gegebenenfalls der Wert für die (fiktive) Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) abweichend zu bestimmen sei. § 33 Abs. 1 RVG ist anwendbar, wenn sich die Werte der gerichtlichen und der anwaltlichen Tätigkeit nicht decken (Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 25. Aufl. 2021, Rn. 2f.). Dies ist auch der Fall, wenn – wie hier – einzelne Gebühren eines Rechtsanwalts – insbesondere die Terminsgebühr – nur nach einem Teilwert des gesamten Klageverfahrens entstanden sind (Sommerfeldt/Sommerfeldt in: BeckOK RVG, 57. Edition Stand: 01.09.2022, § 33 Rn. 3c). In einem solchen Fall ist die Streitwertfestsetzung abweichend von § 32 RVG für die Berechnung der Anwaltsgebühren nicht maßgebend.

 

Da das SG mit dem Beschluss vom 17.06.2019 lediglich über den Streitwert nach § 63 Abs. 2 GKG entschieden hat, war dieses nicht zu einer gestaffelten Streitwertfestsetzung für die Zeit bis zur Annahme des Teilanerkenntnisses hinsichtlich der Hauptforderung und für die nachfolgend nur noch hinsichtlich der Nebenforderung fortgeführte Klage verpflichtet; die Festsetzung eines solchen Stufenstreitwerts kann auch nicht durch die gegen diesen Beschluss gerichtete Streitwertbeschwerde erzwungen werden.

 

Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Entscheidung, ob hier eine Fallkonstellation vorliegt, in der das Anerkenntnis rechtsmissbräuchlich nur deshalb zunächst auf die Hauptforderung beschränkt worden wäre, um dadurch den für die Terminsgebühr des Rechtsanwalts maßgeblichen Gegenstandswert auf die Nebenforderung (§ 43 Abs. 2 GKG) zu drücken.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 Satz 1 und 2 GKG).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Rechtskraft
Aus
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