S 35 SO 228/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
35
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 35 SO 228/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
  1. Der Streitgegenstand bei Rechtsstreitigkeiten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel SGB XII ist in Ansehen des § 44 Abs. 3 S. 1 SGB XII in zeitlicher Hinsicht regelmäßig auf einen Zeitraum von 12 Monaten begrenzt.

     

  2. Bei den Aufwendungen für Haftpflichtversicherungsbeiträge handelt es sich nicht um einen vom Regelbedarf umfassten Bedarf, der zwingende Voraussetzung für eine Gewährung von Leistungen als Darlehen nach § 37 Abs. 1 SGB XII ist. Es stellt einen Unterschied dar, ob der Gesetzgeber einen Versicherungsbeitrag der Bedarfsseite zurechnet oder es dem Einkommensbezieher ermöglicht, eine solche Versicherungsprämie vom anzurechnenden Einkommen abzusetzen.

Überschrift:

 

Gerichtsbescheid | Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – Übernahme von Haftpflichtversicherungsbeiträgen, kein vom Regelsatz umfasster Bedarf, Einkommensbereinigung, Beihilfe, ergänzendes Darlehen nach § 37 Abs. 1 SGB XII

 

 

 

 

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Übernahme von Haftpflichtversicherungsbeiträgen der Klägerin.

 

Die Klägerin stand in der Vergangenheit im laufenden Bezug von Leistungen nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII). Sie beantragte am 17.06.2020 die Übernahme eines Versicherungsbeitrages in Höhe von 66,37 Euro für den jährlichen Beitrag einer von ihr abgeschlossenen privaten Haftpflichtversicherung.

 

Am 22.06.2020 bat die Klägerin die Beklagte, ihr die Prämie als Darlehen – unter Direktzahlung an den Versicherer – zu gewähren und den zurückzuzahlenden Betrag in kleinen monatlichen Raten mit dem Regelsatz zu verrechnen.

 

Mit Ablehnungsbescheid vom 15.07.2020 lehnte die Beklagte die Übernahme der Haftpflichtversicherungsbeiträge ab. Zur Begründung trug sie vor, dass Beiträge zur Haftpflichtversicherung zwar im Rahmen der Einkommensbereinigung in angemessener Höhe einkommensmindernd berücksichtigt werden könnten. Die Klägerin verfüge aber über kein Einkommen, sodass der Betrag nicht berücksichtigt werden könne. Auch eine darlehensweise Übernahme des Beitrages komme nicht in Betracht.

 

Die Klägerin legte am 21.07.2020 Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 15.07.2020 ein. Zur Begründung trug sie vor, dass eine darlehensweise Übernahme nach § 37 SGB XII nicht möglich sei.

 

Die Beklagte hörte die Klägerin am 28.07.2020 dazu an, dass sie beabsichtige den Widerspruch als unbegründet zurückzuweisen.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.2020 wies die Beklagte sodann den Widerspruch gegen den Bescheid vom 15.07.2020 als unbegründet zurück. Zur Begründung trug sie dabei im Wesentlichen vor, dass die Gewährung einer zusätzlichen einmaligen Nebenleistung in Form der Übernahme des Beitrags für die Haftpflichtversicherung nicht vorgesehen sei. Auch eine darlehensweise Bewilligung komme nicht in Betracht. Die Beiträge für die Haftpflichtversicherung seien nicht vom Regelsatz erfasst. Berücksichtigte man solche bei der Ermittlung des Regelbedarfs, wäre eine Berücksichtigung bei der Einkommensbereinigung nicht notwendig. Leistungen, die nicht die gegenwärtige konkrete Notlage der leistungsberechtigten Person beträfen, sondern lediglich möglicherweise zukünftig eintretende Schadensfälle abdeckten, zählten nicht zum soziokulturellen Existenzminimum und könnten ohne konkrete gesetzliche Grundlage nicht beansprucht werden

 

Die Klägerin hat am 28.09.2020 Klage erhoben.

 

Sie trägt im Wesentlichen vor, dass sie bereits mehrfach Haftpflichtschäden verursacht habe und auf eine Privathaftpflichtversicherung angewiesen sei. Selbst die Beklagte erachte den Abschluss einer Haftpflichtversicherung als unbedingt notwendig und habe diesen sehr vehement von der rechtlichen Betreuerin der Klägerin gefordert. Weil sie sich aufgrund ihrer Erkrankungen weigere die Prämienlast zu zahlen, bestehe ein Anspruch gegen die Beklagte.

 

Die Klägerin hat ursprünglich am 28.09.2020 beantragt, (1.) die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 15.07.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.09.2020 zu verurteilen, ihr die Prämie für eine private Haftpflichtversicherung in Höhe von 66,37 Euro pro Jahr darlehensweise zu bewilligen und den Betrag an den Versicherer zu zahlen, (2.) hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 15.07.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.09.2020 zu verurteilen die Prämie der privaten Haftpflichtversicherung zulasten des Regelsatzes an den Versicherer zu zahlen und (3.) die Beklagte zu verurteilen, ihr den durch die Nichtzahlung entstandenen Schaden zu ersetzen.

 

Nach Klageerweiterung am 12.12.2020 und Korrektur der Klageanträge am 05.03.2022 beantragt die Klägerin nunmehr,

 

 

  1. die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 15.07.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.09.2020 zu verurteilen, ihr die Prämie für eine private Haftpflichtversicherung in Höhe von 66,37 Euro pro Jahr wiederkehrend darlehensweise zu bewilligen und den Betrag an den Versicherer zu zahlen.

     

  2. hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 15.07.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.09.2020 zu verurteilen, die Prämie der privaten Haftpflichtversicherung wiederkehrend zulasten des Regelsatzes an den Versicherer zu zahlen.

     

     

    Die Beklagte beantragt,

     

                                                    die Klage abzuweisen.

     

     

    Zur Begründung verweist sie vollumfänglich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren.

     

Die Beteiligten sind  gemäß § 105 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dazu gehört worden, dass das Gericht eine Entscheidung per Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGG beabsichtigt.

 

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands und bezüglich des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Das Gericht hat vorliegend durch Gerichtsbescheid entschieden. Gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 SGG entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Wesentlich ist, dass im Rahmen der Amtsermittlungspflicht entscheidungserhebliche tatsächliche Umstände nicht offenbleiben (Schmidt in: Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, SGG, 13. Auflage 2020, § 105 Rn. 7).

 

Gegenstand des Verfahrens ist die begehrte Bewilligung höherer Leistung nach dem SGB XII in Gestalt der Übernahme der von der Klägerin geltend gemachten Haftpflichtversicherungsprämien für den Zeitraum von einem Jahr. Auch wenn es sich bei der am 12.12.2020 getätigten Klageerweiterung um eine stets zulässige Klageänderung nach § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG handelt, ist die Übernahme der streitgegenständlichen Privathaftpflichtversicherungsbeiträge auf die Dauer von maximal 12 Monaten begrenzt. § 44 Abs. 3 SGB XII begrenzt den jeweiligen Streitgegenstand bei Rechtsstreitigkeiten der Grundsicherung nach dem SGB XII in zeitlicher Hinsicht auf die Dauer von maximal 12 Monaten (vgl. Bundessozialgericht, Beschluss vom 27. Oktober 2020 – B 4 AS 262/20 B zur Parallelregelung in § 41 SGB II).

 

Die zulässige Klage hat in der Sache sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag keinen Erfolg.

 

Die Klage ist in Haupt- und Hilfsantrag als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, Abs. 4 SGG zulässig.

 

Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid vom 15.07.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.09.2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die darlehensweise Übernahme der Beiträge für die von ihr abgeschlossene Haftpflichtversicherung und auch keinen Anspruch auf Zahlung der Beiträge aus dem ihr bewilligten Regelsatz.

 

Der Hauptantrag ist unbegründet. Ein Anspruch der auf darlehensweise Übernahme der Beiträge für die Haftpflichtversicherung besteht nicht. Der Anspruch folgt nicht aus § 37 Abs. 1 SGB XII. Zwar bezog die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII, wonach nach § 42 Nr. 1 SGB XII auch die Regelsätze nach den Regelbedarfsstufen nach Anlage zu § 28; § 27a Abs. 3 und Abs. 4 gehören. Bei den streitgegenständlichen Haftpflichtversicherungsbeiträgen handelt es sich entgegen der Auffassung der Klägerin aber gerade nicht um einen vom Regelbedarf umfassten Bedarf, der zwingende Voraussetzung für eine Gewährung von Leistungen als Darlehen ist. Kann im Einzelfall ein von den Regelbedarfen umfasster und nach den Umständen unabweisbar gebotener Bedarf auf keine andere Weise gedeckt werden, sollen auf Antrag hierfür nach § 37 Abs. 1 SGB XII notwendige Leistungen als Darlehen erbracht werden. § 37 Abs. 1 SGB XII knüpft die Gewährung eines Darlehens dabei bereits dem Wortlaut nach an die Voraussetzung, dass es um die Abdeckung eines Bedarfs gehen muss, der von den Regelbedarfen umfasst ist (Becker in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 37 SGB XII Rn. 21) Nach § 27a Abs. 1 SGB XII umfasst der für die Gewährleistung des Existenzminimums notwendige Lebensunterhalt zwar insbesondere die Bedarfe für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile, persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens sowie Unterkunft und Heizung. Ein Hinweis auf die Übernahme eines Beitrags für eine Privathaftpflichtversicherung findet sich jedoch im Wortlaut nicht. Auch aus dem Sinn und Zweck der §§ 41, 42 Nr. 1 i.V.m. § 27a SGB XII ergibt sich eine Zuordnung zum Regelsatz nicht. Die Sozialhilfe nach dem SGB XII soll nicht das Risiko des Verlustes oder der Beschädigung des Hausrats oder möglicherweise zukünftige Schäden Dritter abdecken, sondern den notwendigen Lebensunterhalt der leistungsberechtigten Person bereitstellen (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14. Juli 2005 – L 11 B 290/05 SO ER, m.w.N.). Aus den Bestimmungen zur Einkommensanrechnung nach den §§ 43 Abs. 2 i.V.m. § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII folgt gesetzessystematisch nichts anderes. Zwar sind danach bei der Bewilligung von Leistungen im Alter und bei Erwerbsminderung von einem etwaigen Einkommen Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, vom anzurechnenden Einkommen abzusetzen. Es stellt aber einen sachlichen Unterschied dar, ob der Gesetzgeber einen Versicherungsbeitrag der Bedarfsseite zurechnet oder es dem Einkommensbezieher ermöglicht, eine solche Versicherungsprämie vom anzurechnenden Einkommen abzusetzen (Bayerisches Landessozialgericht, a.a.O., Rn. 31).

 

Auch der hilfsweise gestellte Antrag zu 2.) ist nach den obigen Ausführungen unbegründet, da ein Anspruch auf darlehensweise Bewilligung nicht in Betracht kommt und die Beiträge zur Haftpflichtversicherung nicht zu den Beiträgen des Regelsatzes gehören. Zwar regelt § 9 Abs. 2 SGB XII, dass Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, entsprochen werden soll, soweit diese angemessen sind. Da die Beiträge zur Haftpflichtversicherung aber gerade nicht vom Regelsatz erfasst sind, kann auch aus der Vorschrift des § 9 Abs. 2 SGB XII folgerichtigerweise kein Anspruch auf Zahlung aus dem Regelsatz hergeleitet werden.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.

 

Gründe für eine Berufungszulassung, über die zu entscheiden ist, da um weniger als 750,00 Euro gestritten wird (§§ 105 Abs. 2 S. 1 SGG, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG), bestehen nicht.

Rechtskraft
Aus
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