Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Mai 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Herabbemessung der Verletztenrente von einer MdE um 50 vH auf eine MdE um 30 vH.
Der 1982 geborene Kläger erlitt während seine Ausbildung zum Elektroinstallateur am 23. August 2002 einen schweren Verkehrsunfall. Auf seinem Heimweg von der Arbeit nahm ihm ein anderer PKW die Vorfahrt. Der Kläger kam mit seinem Fahrzeug von der Straße ab und zog sich Brüche am 1. und 2. Halswirbelkörper zu. Dieses Ereignis ist bestandskräftig als Arbeitsunfall anerkannt.
Mit Bescheid vom 2. März 2010 gewährte die Beklage dem Kläger ab dem 31. März 2003 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 40 vH. Die Entscheidung stützte sich auf das Gutachten des W, das neuroradiologische Zusatzgutachten von B sowie auf das neurologisch-psychiatrische Gutachten sowie ergänzenden Stellungnahmen von S nebst psychologischem Zusatzgutachten der V. S hatte die Einzel-MdE aufgrund der reaktiven Depression mit 20 vH bewertet und beschrieb im April 2009 eine objektivierte Depression, die in letzter Zeit deutlicher geworden sei. Die Depression sei begleitet von Schlafstörungen und einer reaktiven Befindlichkeitsstörung mit immer wieder emotionalen Ausbrüchen und Unausgeglichenheit.
Am 2. Juni 2011 erstattete L aus U ein Gutachten. Er stellte damals fest, dass eine Depression und eine Angststörung vorlägen und dass sicherlich der Unfall von 2002 als ursächlich anzusehen sei. L ging von einer Depression und Angst- sowie Anpassungsstörung aus. Die (damals orthopädischerseits) vorgeschlagene operative Intervention habe zu einer erneuten Akzentuierung der Beschwerden und einer Verschlimmerung der Ängste geführt. Die Lebens- und Gestaltungsfähigkeit sei deutlich eingeschränkt. Die bestehende Depression und Angst begründe aktuell eine MdE von 30 vH. Ab April des Jahres 2011 war aus seiner Sicht insgesamt von einer MdE von 50 vH auszugehen, unter Berücksichtigung einer Wirbelsäulen-MdE von 20 vH. Psychiatrisch/psychotherapeutische Maßnahmen, die seit Jahren überfällig seien, seien jetzt endlich eingeleitet, so dass eine Besserung zu erwarten sei.
K und G erstatteten am 30. Mai 2011 ein unfallchirurgisches Gutachten. Sie stellten als unfallabhängig eine Pseudarthrose fest, Osteolysen an der Schraubenspitze und posttraumatische Schmerzen sowie eine muskuläre Dysfunktion. Unfallchirurgisch bestehe eine MdE von 25 vH, unter Berücksichtigung des nervenärztlichen Gutachtens eine MdE von insgesamt 50 vH. Eine empfohlene weitere Bildgebung und eventuelle Intervention habe der Kläger abgelehnt.
Mit Bescheid vom 2. November 2011 stellte die Beklagte ab 1. Mai 2011 eine MdE um 50 vH neu fest. Als wesentliche Änderungen anerkannte sie: „die Vor- und Rückneigung der Halswirbelsäule ist aufgehoben, die Seitneigung nahezu aufgehoben; die Drehbeweglichkeit der Halswirbelsäule ist weiter vermindert; die reaktive Depression hat sich verschlimmert.“
Im Jahr 2011 wurde beim Kläger erstmalig eine Morbus-Crohn-Erkrankung diagnostiziert.
Anlässlich einer Nachbegutachtung im September 2014 berichtete L von einer weniger stark ausgeprägten Depressivität, die er nunmehr mit einer Einzel-MdE um 20 vH bewertete. Er beschrieb eine noch leicht ausgeprägte Depressivität und Angst (im Zuge einer prolongierten Anpassungsstörung). Unabhängig vom Unfall bestünden keine Leiden. Eine weitere Besserung hielt er für denkbar. Im ebenfalls im September 2014 erstellten chirurgischen Gutachten sahen D und G unfallchirurgisch einer MdE von 30 vH. Insgesamt werde die MdE auf (nach wie vor) 50 vH geschätzt.
Vom 1. März bis 5. April 2017 wurde der Kläger unter den Diagnosen mittelgradige depressive Episode, gemischt neuropathisches nozizeptives Schmerzsyndrom der Halswirbelsäule, psychologische Faktoren bei o.g. Schmerzsyndrom und Morbus Crohn stationär in der Rehaklinik G1 behandelt.
Am 15. Juni 2017 erschien im Schwarzwälder Boten (regionale Tageszeitung) ein Presseartikel über die selbständige Tätigkeit des Klägers im Lampenhandel und -design, in dem auch auf seine Leidensgeschichte nach dem streitgegenständlichen Arbeitsunfall eingegangen wurde.
Bei einer Nachbegutachtung im November 2017 durch L führte dieser aus, im Vergleich zur Situation 2011 sei im Zuge der Begutachtung im Jahr 2014 eine rückläufige Depressivität und Angst festzustellen gewesen. Zum jetzigen Untersuchungszeitpunkt sei in „geradezu dramatischer Weise“ eine Verschlimmerung von Depressivität und Angst festzustellen (parallelgehend einer demonstrierten und vor allem nicht nachvollziehbaren, physiologisch nicht erklärbaren massiven Beeinträchtigung der Beweglichkeit der HWS). Unabhängig vom stattgehabten Trauma des Jahres 2000 liege jetzt eine rezidivierend depressive Störung und Angst vor. Die noch 2014 attestierte MdE von 20 vH für die psychoreaktive depressive Störung (Anpassungsstörung) sei nicht mehr gerechtfertigt. Die bestehende Depressivität und Angst, die im Übrigen zunehmend progredient erscheine, stehe nicht mehr im Zusammenhang mit dem stattgehabten Trauma und seinen Folgen. Gegenüber dem Befund vom Juni 2011 sei in den vergangenen Jahren bis 2015/16 eine Stabilisierung festzustellen. Die danach progrediente psychiatrische Auffälligkeit sei als unfallunabhängige rezidivierende depressiven Störung und Angst einzuordnen. Die MdE wegen den Unfallfolgen sei auf nervenärztlichem Fachgebiet mit 0 vH einzuschätzen.
D und G berichteten in einem weiteren Gutachten vom Mai 2018 hinsichtlich der Schmerzen und Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule über keine wesentliche Änderung und bewerteten diese nach wie vor mit einer MdE um 30 vH. Dieser Wert stelle, da L auf dem psychiatrischen Fachgebiet keine MdE mehr festgestellt habe, auch die Gesamt-MdE dar.
Ab Februar 2019 verordneten die Ärzte der BGU dem Kläger auf dessen ausdrücklichen Wunsch Cannabispräparate. Vorausgegangen waren Bedenken der Ärzte wegen der psychischen Situation des Klägers und möglichen psychischen Nebenwirkungen.
Nach vorheriger Anhörung mit Schreiben vom 21. Mai 2019 setzte die Beklagte mit Bescheid vom 20. August 2019 die Verletztenrente des Klägers ab 1. September 2019 neu mit einer MdE um 30 vH fest. Hinsichtlich der Depression sei eine Verschiebung der Wesensgrundlage eingetreten, so dass eine unfallbedingte reaktive Depression nicht mehr bestehe. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2020 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 21. Januar 2020 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben. Seine psychischen Erkrankungen bestünden fort und seien weiterhin auf den Unfall zurückzuführen.
Das SG hat die M und W1 schriftlich als sachverständige Zeugen zu den Behandlungen des Klägers befragt. M hat davon berichtet, den Kläger letztmalig im April 2016 behandelt zu haben. Im Januar 2019 habe der Kläger anlässlich einer Terminanfrage mitgeteilt, dass er keinen Termin mehr brauche. W1 hat über eine dreimalige Behandlung im Juli 2019 und dann wieder ab Januar 2020 berichtet.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das SG den Chefarzt der Abteilung für Allgemeine Psychiatrie am ZfP S1 G2 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 27. Oktober 2020 beim Kläger eine mittelgradige depressive Störung sowie eine generalisierte Angststörung diagnostiziert, diese als unfallbedingt erachtet und mit einer MdE um 20 vH bewertet.
Die Beklagte hat dem Gutachten von G2 widersprochen und sich hierbei auf die beratungsärztliche Stellungnahme des M1 vom 7. Dezember 2020 gestützt, der das Gutachten des G2 als nicht schlüssig bewertet hat. G2 hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 5. Februar 2021 an seiner Bewertung festgehalten.
Mit Urteil vom 26. Mai 2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die auf dem orthopädisch-chirurgischen Fachgebiet liegenden Befunde seien im Wesentlichen gleichgeblieben. Demgegenüber sei eine deutliche Besserung auf psychiatrischen Fachgebiet eingetreten. Auf diesem Gebiet sei keine Einzel-MdE mehr gerechtfertigt. Eine Depression, die eine messbare MdE begründe, habe zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Herabsetzungsbescheide nicht mehr vorgelegen. Die Kammer sei davon überzeugt, dass beim Kläger allenfalls noch eine unfallbedingte Verstimmung vorliege, die den Schwergrad einer leichten depressiven Episode deutlich unterschreite. Damit sei keine messbare MdE mehr gegeben. Sowohl L als auch G2 hätten nicht ausreichend berücksichtigt, dass die tatsächlichen Lebensverhältnisse des Klägers und die durchgeführten Behandlungen nicht im Einklang mit ihren Diagnosen stünden. Der Kläger habe seine, in dem Presseartikel über die selbständige Tätigkeit des Klägers beschriebene und über einige Jahre umgesetzte Geschäftsidee mit dem Verkauf und Design von Lampen bei der Begutachtung durch L nicht erwähnt. Nachdem diese Geschäftsidee schon Eingang in die Lokalpresse gefunden habe, wäre aber zu erwarten gewesen, dass der Kläger bei der Begutachtung davon berichtet. Das SG hat sich im Übrigen auf die Befragung der sachverständigen Zeugen M und W1 gestützt, die ergeben habe, dass schon lange keine laufenden psychiatrischen Behandlungen mehr stattfinden.
Hiergegen hat der Kläger die vorliegende Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, es sei nicht ersichtlich, weshalb das SG das überzeugende, in sich schlüssige und sehr ausführliche Gutachten des G2 bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt habe. Das SG habe die massive psychische Belastung durch die schwere Verletzung des Klägers ignoriert und sich letztlich unzulässig zur Begründung auf einen Zeitungsartikel gestützt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Mai 2021 sowie den Bescheid vom 20. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2020 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das Urteil des SG für zutreffend und hat darauf verwiesen.
Zur weiteren Klärung des Sachverhalts hat der Senat ein nervenärztliches Gutachten bei S2 in Auftrag gegeben. Dieser hat in seinem Gutachten vom 29. Januar 2022 ausgeführt, durch den Unfall vom 23. August 2002 sei keine psychische Störung verursacht oder verschlimmert worden. Von einer psychischen Störung könne gesichert erst ab 2009 ausgegangen werden, ca. 6,5 Jahre nach dem Unfall. Beim Kläger seien nur leichte psychische Auffälligkeiten festzustellen, keinesfalls eine relevante Antriebsstörung. Er empfehle, keine MdE festzustellen. Ein Zusammenhang zwischen der depressiven Episode und deren Nachwirkungen und dem Unfall von 2002 könne nicht hergestellt werden. Insofern bestehe eine Änderung gegenüber dem Gutachten von L von 2011. Es bestehe insofern Übereinstimmung mit der Einschätzung Ls in dessen Gutachten von 2017, dass keine psychische Störung als Unfallfolge einzuschätzen sei. Dies entspreche auch der beratungsärztlichen Einschätzung des M1.
Mit Schreiben vom 31. Januar 2022 hat der Senat die Beteiligten zu einer beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schreiben vom 8. März 2022 Einwendungen gegen das Gutachten des S2 vorgetragen, u.a. dass der Kläger entgegen den Ausführungen des Gutachters keine Garage habe und er sich auch nicht - wie von S2 beschrieben - theatralisch-demonstrativ verhalten habe. Er habe starke Schmerzen gehabt, dies dem Gutachter auch mitgeteilt, was dieser jedoch ignoriert habe. Der Prozessbevollmächtigte hat dann noch eine eigene medizinische Bewertung vorgetragen und ausgeführt, entgegen der Darstellung des Gutachters sei es bei dem Verletzungsbild des Klägers mehr als nachvollziehbar, dass er ständig in seinen Gedanken bei seiner Wirbelsäule sei und Ängste und eine ausgeprägte Besorgtheit beständen. Es sei (vom Gutachter) anmaßend zu behaupten, dass diese Gedanken andauernd und unangemessen seien. Gleiches gelte für die Spekulationen des Gutachters im Hinblick auf die von diesem behauptete narzisstische Persönlichkeitszüge des Klägers. Der Gutachter erkenne den Gesamtzusammenhang nicht, dass die multiplen Erkrankungen des Klägers sich gegenseitig bedingten und verstärken. Die Auseinandersetzung mit dem Gutachten von G2 sei geprägt von persönlichen Animositäten. Das Urteil des SG sei nicht haltbar und die angekündigte Entscheidung durch Beschluss werde als nicht angemessen erachtet.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
Nach § 153 Abs. 4 SGG kann der Senat – nach vorheriger Anhörung der Beteiligten – in Ausübung seines richterlichen Ermessens die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Den Beteiligten wurde im Vorfeld der Entscheidung Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Einer Zustimmung der Beteiligten bedarf es nicht. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers zuletzt eine Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG „als nicht angemessen“ bewertete, vermochte der Senat dem Schreiben vom 8. März 2022 keinen inhaltlichen Vortrag zu entnehmen, der die Durchführung einer mündlichen Verhandlung geboten erscheinen lässt.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26. Mai 2021 zu Recht als unbegründet abgewiesen.
Die Klage ist als reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG) zulässig. Denn bei einem Erfolg lebt der frühere Bescheid - hier derjenige vom 2. November 2011 - wieder auf (vgl. BSG, Urteil vom 13. Februar 2013 – B 2 U 25/11 R –, Rn. 10, juris). Mit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide wäre die Beschwer des Klägers beseitigt und die Verletztenrente nach einer MdE um 50 vH würde über den 1. September 2019 hinaus weitergezahlt werden.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Zu Recht hat die Beklagte mit Bescheid vom 20. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2020 die Verletztenrente des Klägers ab 1. September 2019 von bislang 50 vH auf noch 30 vH der Vollrente herabgesetzt, weil sich die zu Grunde liegende MdE entsprechend verringert hat.
1.)
Die angefochtene Entscheidung ist formell rechtmäßig. Sie ist insbesondere hinreichend bestimmt. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ist es im Falle eines Aufhebungsbescheides nach § 48 Abs. 1 SGB X grundsätzlich erforderlich, in der Aufhebungsentscheidung den aufzuhebenden Verwaltungsakt genau zu benennen und den Umfang der Aufhebung zu bezeichnen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen vom 1. November 2011 - L 9 AS 831/10 -, Rn. 40; LSG Baden-Württemberg vom 20. Juni 2013 - L 6 VK 3112/10 -, Rn. 27 f. jeweils juris). Diesen Anforderungen genügt der streitgegenständliche Bescheid über die Rentenherabsetzung vom 20. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2020. Die Beklagte hat sowohl den (teilweise aufgehobenen) Bescheid vom 2. November 2011 als auch das Datum der Neufeststellung (1. September 2019) und die neue Höhe der MdE (30 vH) konkret und unmissverständlich bezeichnet. Bereits mit der Überschrift „Bescheid über Rentenherabsetzung“ hat sie zudem hinreichend klar zum Ausdruck gebracht, dass die damalige Bewilligung vom 2. November 2011 teilweise aufgehoben wird.
2.)
Die angefochtene Entscheidung der Beklagten erweist sich auch materiell als rechtmäßig. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Danach ist bei der Feststellung der MdE eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 vH beträgt. Bei Rente auf unbestimmte Zeit muss die Veränderung der MdE länger als drei Monate andauern (§ 73 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII).
Der Verwaltungsakt vom 2. November 2011 unterliegt der Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, denn er ist ein solcher mit Dauerwirkung. Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn eine durch Verwaltungsakt getroffene Regelung in rechtlicher Hinsicht über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus Wirkungen erzeugt. Da die Beklagte dem Kläger mit dem genannten Bescheid vom 2. November 2011 ab 1. Mai 2011 eine (höhere) Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 50 vH bewilligt hat, hat er Dauerwirkung.
Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist jede Änderung des für die getroffene Regelung relevanten Sachverhalts, im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere Änderungen im Gesundheitszustand des Betroffenen (BSG, Urteil vom 13. Februar 2013 - B 2 U 25/11 R -, NZS 2013, 464). Ob eine Änderung eingetreten ist, ist durch Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse zu zwei maßgeblichen Zeitpunkten zu ermitteln. Zunächst ist Vergleichsgrundlage der Zustand, der der letzten verbindlichen Leistungsfeststellung zugrunde lag. Diese maßgebliche letzte Leistungsfeststellung darf ihrerseits nicht in Frage gestellt werden; denn insoweit gilt die Bindungswirkung des § 77 SGG. Die Bindungswirkung erstreckt sich nicht nur auf die Unfallfolgen, sondern auch auf den Grad der durch sie bedingten MdE (BSG, Urteil vom 23. Juni 1977 - 2 RU 93/75 -, SozR 2200, § 622 Nr. 12). Sie besteht auch unabhängig davon, ob der damalige Bescheid von Anfang an fehlerhaft war. D.h. eine unabhängig von der bisherigen Feststellung neue Bewertung des Grades der MdE ist unzulässig (BSG, a.a.O.). Die spätere Aufdeckung einer Fehldiagnose oder die Aufdeckung einer überhöhten MdE stellen keine Änderungen dar (BSG - B 2 U 25/11 R - a.a.O.; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, Ziffer 4.11.2.2, S. 141).
Der Gesundheitszustand, der der letzten verbindlichen Leistungsfeststellung zugrunde lag, ist insoweit mit den bestehenden unfallbedingten Gesundheitsverhältnissen zu vergleichen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Herabbemessung vorgelegen haben. Es muss also eine Änderung in den der Leistungsfeststellung zugrundeliegenden medizinischen Befunden eingetreten sein, die regelmäßig den Gutachten zu entnehmen sind. Dabei sind Gutachten und Befundunterlagen, die nicht zu einer verbindlichen Leistungsfeststellung geführt haben (z. B. Nachuntersuchungen, die noch keine Änderung ergeben hatten), unbeachtlich (vgl. Ricke in: Kasseler Kommentar, § 73 SGB VII, Rn. 15, Stand März 2018).
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die auf orthopädisch-chirurgischen Fachgebiet liegenden Befunde an den bei dem Arbeitsunfall vom 23. August 2002 verletzten Halswirbelkörpern im Wesentlichen gleichgeblieben sind und hinsichtlich der damit einhergehenden Bewegungseinschränkungen und Schmerzen keine relevanten Änderungen ersichtlich sind. Gerechtfertigt ist insoweit nach wie vor eine MdE von 30 v.H., wobei sich der Senat - wie bereits das SG - auf das Gutachten des D und und G vom Mai 2018 stützt.
Eine wesentliche Änderung ist jedoch bei den Erkrankungen auf nervenärztlichem Fachgebiet eingetreten.
a.)
Vergleichsmaßstab dafür, ob auf dem maßgeblichen nervenärztlichen Fachgebiet eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X vorliegt, ist der Bescheid der Beklagten vom 2. November 2011 und in erster Linie das diesem Bescheid zugrundeliegende neurologisch-psychiatrische Gutachten des L vom Juni 2011, ergänzt um das vorausgegangene Gutachten des S vom April 2009.
Dem Bescheid vom 2. November 2011 lag bei der MdE-Bewertung die in diesen Gutachten beschriebene unfallbedingte reaktive Depression leichten bis mittelgradigen Ausmaßes mit Schlafstörungen, Unausgeglichenheit, aggressiven und emotionalen Ausbrüchen zu Grunde, die im Kern von S und L übereinstimmend als unfallbedingt bewertet wurden. L beschrieb zudem im Juni 2011 eine erneute Akzentuierung der Beschwerden und einer Verschlimmerung der Ängste aufgrund der damals vorgeschlagenen operativen Intervention an der Wirbelsäule sowie eine deutlich eingeschränkt Lebens- und Gestaltungsfähigkeit. Insoweit abweichend von der retrospektiven Bewertung S2s im Jahr 2022 ist der Senat aufgrund der zeitnahen auf dessen damaligen persönlichen Eindrücken beruhenden Begutachtung durch L im Jahr 2011 davon überzeugt, dass die unfallbedingten Leistungseinbußen auf psychiatrischem Gebiet damals zutreffend mit einer MdE zwischen 20 und 30 (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Ziffer 5.1.16, S. 170) und damit die Gesamt-MdE ebenfalls zutreffend mit einer 50 vH bewertet wurden.
Der Senat ist jedoch auch davon überzeugt, dass es bereits ab dem Gutachten Ls im November 2017, spätestens aber seit dem 1. September 2019 zu einer maßgeblichen Änderung des Gesundheitszustandes auf psychiatrischem Fachgebiet gekommen ist, welche die von Beklagte verfügte Herabbemessung der MdE von 50 vH auf 30 vH begründet. Vergleicht man die Ausgangslage im Jahr 2011 mit den nachfolgend im Verwaltungs- und Klageverfahren durch die Gutachter L vom September 2014 und November 2017 festgestellten Beeinträchtigungen sowie mit dem im Berufungsverfahren erstellten Gutachten S2s vom Januar 2022, so ist auf deren Basis eine wesentliche Änderung der Befundlage auf nervenärztlichen Fachgebiet eingetreten. Spätestens ab Januar 2019 erlauben diese neuen Befunde es nicht mehr, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine auf den Unfall zurückführende MdE auf nervenärztlichem Fachgebiet festzustellen.
Spätestens ab Januar 2019 lagen und liegen keine unfallbedingten MdE-relevanten Störungen auf nervenärztlichem Gebiet mehr vor.
Eine Gesundheitsstörung ist Unfallfolge (im engeren Sinne) eines Versicherungsfalls im Sinne des § 8 SGB VII, wenn sie spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls wesentlich verursacht worden ist. Ob ein Gesundheitsschaden dem Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls als Unfallfolge im engeren Sinne zuzurechnen ist (sog. haftungsausfüllende Kausalität), beurteilt sich nach der Zurechnungslehre der Theorie der wesentlichen Bedingung (st. Rspr., vgl. stellvertretend BSG, Urteil vom 5. Juli 2011 - B 2 U 17/10 R = BSGE 108, 274 = SozR 4-2700, § 11 Nr. 1, Rn. 28 ff. m.w.N.). Die Zurechnung erfolgt danach in zwei Schritten: Erstens ist die Verursachung der weiteren Schädigung durch den Gesundheitserstschaden im naturwissenschaftlich-naturphilosophischen Sinne festzustellen. Ob die Ursache-Wirkung-Beziehung besteht, beurteilt sich nach der Bedingungstheorie. Nach ihr ist eine Bedingung dann notwendige Ursache einer Wirkung, wenn sie aus dem konkret vorliegenden Geschehensablauf nach dem jeweiligen Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse (Erfahrungssätze) nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine-qua-non). Auf dieser ersten Stufe sind alle derartigen notwendigen Bedingungen grundsätzlich rechtlich gleichwertig (äquivalent). Alle festgestellten anderen Bedingungen, die in diesem Sinn nicht notwendig sind, dürfen hingegen bei der nachfolgenden Zurechnungsprüfung nicht berücksichtigt werden. Ist der Gesundheitserstschaden in diesem Sinne eine notwendige Bedingung des weiteren Gesundheitsschadens, wird dieser ihm aber nur dann zugerechnet, wenn er ihn wesentlich (ausreichend: mit-) verursacht hat. "Wesentlich" (zurechnungsbegründend) ist der Gesundheitserstschaden für den weiteren Gesundheitsschaden nach der in der Rechtsprechung des BSG gebräuchlichen Formel, wenn er eine besondere Beziehung zum Eintritt dieses Schadens hatte (vgl. nur BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196 = SozR 4-2700, § 8 Nr. 17, Rn. 15 ff. m.w.N.). Anders als für die anspruchsbegründenden Tatsachen (versicherte Tätigkeit, schädigende Einwirkung und die als Unfallfolge geltend gemachten, konkret und klar definierten Gesundheitsstörung) für die der Vollbeweis erforderlich ist, genügt für die haftungs-begründende und haftungsausfüllende Kausalität hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG - B 2 U 1/05 R -, a.a.O., Rn. 20, auch zum Nachfolgenden). Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Es genügt nicht, wenn der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Denn es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Es reicht daher zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, gegen diesen Zusammenhang sprechende Umstände auszuschließen.
Unter Beachtung dieser Gesichtspunkte ist ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall im August 2002 und den im Januar 2019 noch bestehenden Beschwerden auf nervenärztlichem Fachgebiet bereits auf der ersten Stufe der Kausalitätsprüfung nicht hinreichend wahrscheinlich. Der Senat stützt sich auf die in diesem Punkt übereinstimmende Beurteilung S2s, Ls und M1s.
Bereits anlässlich der Nachbegutachtung im September 2014 berichtete L von einer weniger stark ausgeprägten Depressivität, die er nunmehr mit einer Einzel-MdE um 20 vH bewertete. Er beschrieb eine noch leicht ausgeprägte Depressivität und Angst (im Zuge einer prolongierten Anpassungsstörung). Eine weitere Besserung hielt er für denkbar. Dem korrespondiert, dass der Kläger dann letztmals im April 2016 bei M in nervenärztlicher Behandlung war und dann erst wieder im zeitlichen Zusammenhang mit dem vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorübergehend im Juli 2019 und danach ab 2020 eine Behandlung bei W1 aufnahm. Vor diesem Hintergrund ist für den Senat die Bewertung Ls in dessen Gutachten vom November 2017 nachvollziehbar, wonach bei der 2011 festgestellten Anpassungsstörung bis 2015/2016 eine Stabilisierung festzustellen und diese als abgeklungen zu betrachten ist. Insoweit ist es in sich schlüssig, wenn L die von ihm im November 2017 angenommene in „geradezu dramatischer Weise“ neu aufgetretene Depressivität und Angst als unabhängig vom Unfallereignis bewertet, so dass keine unfallbedingte MdE mehr besteht.
S2 wiederum konnte im Januar 2020 beim Kläger (nur) noch eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, sowie Angst und depressive Störung gemischt und eine somatische Belastungsstörung, d.h. eine erneute Besserung im Vergleich zur Sachlage 2017, feststellen. Eine somatoforme Schmerzstörung schloss er hingegen nachvollziehbar aus und legte dar, dass beim Kläger insgesamt nur (noch) leichte psychische Auffälligkeiten feststellbar waren. Keinesfalls lag noch eine relevante Antriebsstörung vor. Er beschrieb zudem ein klares Aggravationsverhalten bei der Begutachtung, gesichert durch Testverfahren. Hinsichtlich der Frage, ob spätestens im Januar 2019 noch eine psychisch bedingte auf den Unfall zurückzuführende MdE bestand, entspricht das Gutachten S2s - dies übersehen die Einwendungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers - insoweit vollumfänglich dem Gutachten Ls aus dem Jahr 2017. Auch S2 hat klar und nachvollziehbar herausgearbeitet, dass zwischen dem Unfall im August 2002 und der depressiven Episode ab März 2017, die dann bei der Untersuchung durch ihn bereits wieder sicher abgeklungen war, kein Zusammenhang hergestellt werden kann. S2 hat - wie bereits zuvor L - zutreffend und überzeugend darauf hingewiesen, dass zwischen dem Unfall im August 2002 und der depressiven Episode 2017 zahlreiche lebensgeschichtliche Ereignisse, Kränkungen und auch das Auftreten körperlicher Erkrankungen (entzündliche Darmerkrankung, Morbus Crohn) liegen, die gegen einen Kausalzusammenhang sprechen. Hierauf hatte auch bereits der Beratungsarzt M1 in seiner Stellungnahme vom 7. Dezember 2020 hingewiesen. Zusammenfassend konnten daher im Ergebnis übereinstimmend weder S2, noch L, noch M1 psychische Störungen feststellen, die spätestens ab Januar 2019 noch kausal im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 23. August 2002 zurückzuführen sind. Dem schließt sich der Senat an.
b.)
Eine hiervon abweichende Kausalitätsbewertung wurde allein in dem auf Antrag des Klägers eingeholten Gutachten des G2 vertreten. Dieses Gutachten vermochte allerdings den Senat ebenso wenig zu überzeugen wie zuvor das SG. Zur Begründung der von ihm angenommen Kausalität zwischen dem Unfall und den ab Januar 2019 noch bestehenden Beschwerden hat G2 ausgeführt, ohne das Unfallereignis wäre das Leben, welches durch eine subjektive und objektivierbare Behinderung gekennzeichnet sei, mit hoher Wahrscheinlichkeit anders verlaufen. Der Tod des Vaters, die Partnerschaftskonflikte oder dysfunktionale Verhaltensmuster wären „möglicherweise nicht dazu in der Lage gewesen“, eine erhebliche Krankheitsschwere auszulösen. Naturgemäß befänden „wir uns in diesem Bereich der Spekulationen (sic!)“, nichtsdestotrotz müsse angemerkt werden, dass der Kläger eine wesentliche und zwar vollkommen lebensumstrukturierende Folge im Rahmen des Unfallgeschehens erlitten habe. Diese Begründung genügt nicht, um einen Kausalzusammenhang hinreichend wahrscheinlich zu machen. Die von G2 selbst eingeräumten spekulativen Erwägungen, ohne den Unfall wäre möglicherweise alles anders gekommen, reichen nicht aus, damit - trotz der genannten unfallunabhängigen Belastungsfaktoren - mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Es genügt wie bereits dargelegt gerade nicht, wenn der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich ist.
S2 hat darüber hinaus nachvollziehbar kritisiert, dass die überwiegend auf Selbstangaben des Klägers gestützte Annahme G2s, beim Kläger bestehe seit dem Unfall im August 2002 eine unveränderte depressive Episode, in keiner Weise mit der Aktenlage, den Befunderhebungen durch L und der faktischen jahrelangen nervenärztlichen Nichtbehandlung in Einklang zu bringen ist. Die von S2 angesprochen Kritikpunkte am Gutachten des G2 hat dieser inhaltlich klar und deutlich, aber in sachlichem Ton geäußert, so dass für den Senat nicht nachvollziehbar geworden ist, worauf der Prozessbevollmächtigte des Klägers seine Behauptung stützt, die Kritik sei geprägt von „persönlichen Animositäten“.
3.)
Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers vermag der Senat keine Anhaltspunkte zu erkennen, die gegen eine Verwertbarkeit des Gutachtens des S2 sprechen könnten. Ein Sachverständigengutachten ist lediglich dann unverwertbar und dementsprechend nicht als Erkenntnismittel geeignet (vgl. § 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 412 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO), soweit gewisse formale Mindestvoraussetzungen, wie beispielsweise die eindeutige Trennung zwischen Anamnese und Befunderhebung, die nachvollziehbare Herleitung der gestellten Diagnosen aus den erhobenen Befunden und schließlich die Beurteilung im zutreffenden Fachgebiet für den zu beurteilenden Fall, nicht beachtet sind (Giesbert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 128 SGG Rn. 55). Weiter ist ein Gutachten insbesondere nicht verwertbar, soweit es nicht von der Sachkunde des Sachverständigen getragen, sondern von diesem fachfremd erstellt wird (Mushoff in: Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 103 SGG Rn. 115). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
Der Senat sieht keinen Anlass nach § 118 SGG i.V.m. § 411 Abs. 3 Satz 2 ZPO von S2 nach pflichtgemäßem Ermessen eine Erläuterung oder Ergänzung seines Gutachtens zu verlangen. Der Kläger hat weder beantragt, S2 zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens zu hören (vgl. BSG, Urteil vom 25. Februar 1992 - 4 RA 6/91 -, MeSo B 20a/261), noch können dem zuletzt eingereichten Vortrag hinreichend konkret bezeichnete erläuterungsbedürftigen Punkte (BSG, Urteil vom 12. April 2000 - B 9 VS 2/99 R - Rn. 20, juris) im Gutachten des S2 entnommen werden. Dass der Kläger Schilderungen des Gutachters über seine Wahrnehmungen selbst anders wahrgenommen hat (beispielsweise sei er bei seinem Toilettengang nicht behände, sondern schmerzverzerrt aufgestanden) gibt ebenso wenig Anlass zu weiteren Ermittlungen, wie der Eindruck des Klägers, der Gutachter habe ihm keinen Glauben geschenkt und habe ihm unzutreffend Aggravation und Narzissmus unterstellt. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers angeblich unzutreffende Feststellung S2s kritisiert, etwa der Kläger habe keine Garage oder er habe seine Selbständigkeit gesundheitsbedingt aufgebeben und sei nicht „in Konkurs“ gegangen, können diese Punkte offenbleiben, da sie in Bezug auf die maßgebliche Kausalitätsbeurteilung erkennbar keine Auswirkungen haben und von S2 bei dieser auch nicht berücksichtigt wurden. Zuletzt geben auch die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers selbst angestellten medizinischen Erwägungen, es sei doch bei dem Verletzungsbild des Klägers mehr als nachvollziehbar, dass der Kläger ständig in Gedanken bei seiner Wirbelsäule sei und Ängste und eine ausgeprägte Besorgtheit bestehe, es sei außerdem nicht ungewöhnlich, dass sich eine psychiatrische Erkrankung infolge eines Unfalls erst mit einer teilweise auch deutlichen zeitlichen Verzögerung bilde sowie die Bewertungen des Gutachters S2 seien anmaßend und würden den Gesamtzusammenhang nicht erkennen, keinen Anlass für weitere Ermittlungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 143/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 2094/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Rechtskraft
Aus
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