Zum qualifizierten Rechtsschutzinteresse bei der Erhebung einer vorbeugenden Unterlassungsklage wegen der Nichtbeachtung der Vollmacht eines Rentenberaters im Verwaltungsverfahren (hier verneint).
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 01.03.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung der durch die Klägerin für ihren Bevollmächtigten erteilten Vollmacht.
Die 1946 geborene Klägerin bezieht seit dem 01.08.2009 eine Altersrente für langjährig Versicherte nach den §§ 36, 236 SGB VI.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin legte gegen einen Rentenanpassungsbescheid vom 01.07.2020 mit Schreiben vom 14.07.2020 Widerspruch ein und teilte mit, dass eine zu hohe Beitragsfestsetzung durch die gesetzliche Krankenkasse vorliege. Die Klägerin zahle freiwillige Beiträge, sei jedoch Pflichtmitglied in der KVdR.
Mit Schreiben vom 04.08.2020 übersandte der Prozessbevollmächtigte eine Vollmacht.
Die zuständige Krankenkasse führte auf Veranlassung der Beklagten eine Überprüfung des Krankenversicherungsverhältnisses durch und teilte das Ergebnis dem Prozessbevollmächtigten mit Bescheid vom 20.08.2020 mit.
Die zuständige Krankenkasse teilte mit Schreiben vom 21.05.2021 mit, dass die Klägerin rückwirkend zum 01.08.2009 Mitglied in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) geworden sei. Die freiwilligen Beiträge seien durchgehend erstattet worden.
Die Beklagte erließ am 14.07.2021 einen Rentenbescheid und stellte eine Überzahlung der laufenden Rente in Höhe von 9.461,22 € fest. Ab dem Beginn der Pflichtmitgliedschaft seien die Voraussetzungen für die Zahlung des Beitragszuschusses zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung nicht mehr erfüllt. Der zu Unrecht gezahlte Zuschuss werde für die Zeit vom 01.02.2013 bis zum 30.06.2021 zurückgefordert. Sie schickte den Bescheid am selben Tag direkt an die Klägerin. Eine Mehrausfertigung des Bescheides versandte die Beklagte mit Schriftsatz vom 14.07.2021 am 15.07.2021 auch an den Bevollmächtigten der Klägerin.
Am 21.07.2021 hat der Prozessbevollmächtigte Unterlassungsklage am Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. § 56a SGG könne für die Bevollmächtigungsfrage keine Anwendung finden. Die Beklagte missachte systematisch die Vollmacht.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass es zwar zutreffend sei, dass aufgrund eines Verschlüsselungsfehlers der Originalbescheid vom 14.07.2021 maschinell direkt der Klägerin übersandt worden sei. Eine Mehrausfertigung des Bescheides sei aber mit Schriftsatz vom 14.07.2021 am 15.07.2021 auch an den Bevollmächtigten versandt worden. Der Klägerin seien dadurch keine Nachteile entstanden.
Das SG hat die Klage nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 01.03.2022 abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig. Nach der Vorschrift des § 56a Satz 1 SGG könnten Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Es handele sich um eine eigenständig zu prüfende (negative) Zulässigkeitsvoraussetzung für Rechtsbehelfe. Lägen die Voraussetzungen des § 56a Satz 1 SGG vor, sei der Rechtsbehelf unzulässig. Hier wende sich die Klägerin gegen die vermeintliche Nichtbeachtung einer Vollmacht durch die Beklagte, d.h. ein in Form eines Realakts erfolgtes Unterlassen, das das Verwaltungsverfahren nicht abschließe. Ob und mit welcher Begründung die Beklagte möglicherweise zurecht die streitgegenständliche Vollmacht nicht beachtet habe, sei vor diesem Hintergrund nicht relevant. Zwar müsse sich die Beklagte als Behörde grundsätzlich an den für das Verwaltungsverfahren nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB X bestellten Bevollmächtigten wenden, einen Verstoß gegen diese „Kommunikationsverpflichtung“ könne der Versicherte nach § 56a S. 1 SGG jedoch nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend machen.
Der Prozessbevollmächtigte hat am 09.03.2022 gegen den Gerichtsbescheid Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Die Vollmacht sei ohne Begrenzung und gelte für alle Folgeverfahren, und es gebe auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass ein Folgeverfahren nicht vorgelegen hätte oder sonstiges. Es gehe hierbei darum, dass systematisch die Bevollmächtigten nicht beachtet würden, und es gebe im Übrigen auch andere Rechtskreise, in denen das inzwischen auch um sich greife. Der Hinweis auf § 56a SGG gehe fehl. Der Bevollmächtigte sei nicht Beteiligter des Verfahrens und infolgedessen sei er auch auf den Mandanten nicht anwendbar, weil eine rechtliche Einheit zwischen beiden Personen bestehe. Die Missachtung der Vollmacht sei keine Verfahrenshandlung, sondern eine zu Gebote stehende Unterlassung einer Handlung. § 56a SGG sei hier nicht anwendbar, weil eine Anfechtung irgendeiner Verfahrenshandlung im Sinne eines Widerspruchs gar nicht erfolgen könne und nicht erfolgt sei, weil es sich hier um reale Handlungen handele.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Freiburg vom 01.03.2022 aufzuheben und die Beklagte dazu zu verpflichten, unter Androhung eines Zwangsgeldes von 2.500 € die Vollmacht, die für die Klägerin bei ihr hinterlegt worden ist, nicht weiterhin zu missachten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat zur Berufungserwiderung auf den ihres Erachtens zutreffenden Gerichtsbescheid verwiesen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und dem weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist statthaft und damit zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet, da die Klage bereits unzulässig ist.
Bei dem auf Unterlassung gerichteten Klagebegehren handelt es sich um eine sog. vorbeugende Unterlassungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG. Eine solche bedarf nach herrschender Meinung eines qualifizierten Rechtsschutzinteresses und einer konkreten Wiederholungsgefahr (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar,13. Auflage 2020, § 54 Rdnr. 42a m.w.N.; BSG, Beschluss vom 17.9.2019, B 3 KR 67/18 B; Bayerisches LSG, Beschluss vom 09.11.2021 – L 7 AS 499/20 –, juris Rdnr. 37). Dies ist gegeben, wenn das Abwarten einer Beeinträchtigung mit unzumutbaren, nicht wiedergutzumachenden Nachteilen verbunden wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Es ist nicht ersichtlich, welchen rechtlichen Nachteil die Klägerin durch die Verfahrensweise der Beklagten erlitten haben sollte, zumal dem Prozessbevollmächtigten der Bescheid vom 14.07.2021 ebenfalls und zeitgleich übersandt wurde. Der von dem Bevollmächtigten angeführte zeitliche Nachteil für die Verfahrensbearbeitung ist nicht ersichtlich. Auch hat die Beklagte im Verwaltungsverfahren vor Erlass des Bescheides vom 14.07.2021 jeweils direkt mit dem Prozessbevollmächtigten kommuniziert und somit die Vollmacht beachtet. Dass der Bescheid vom 14.07.2021 neben dem Prozessbevollmächtigten auch der Klägerin selbst zugesandt wurde, stellt keine Missachtung der Vollmacht dar, da die Beklagte plausibel vorgetragen hat, dass es sich um ein einmaliges Versehen in dem Verfahren gehandelt hat.
Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids auch zutreffend ausgeführt, dass gemäß § 56a Satz 1 SGG Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können. Die Art und Weise der Bekanntgabe von Verwaltungsakten an die Klägerin, die zu den behördlichen Verfahrenshandlungen gehört, kann aus diesem Grund nicht Gegenstand eines eigenständigen gerichtlichen Verfahrens sein. Es liegt auch kein Fall vor, in dem unmittelbarer Rechtsschutz gegen eine Verfahrenshandlung verfassungsrechtlich geboten sein könnte, jedenfalls solange keine Anhaltspunkte für eine bewusste Missachtung der Vollmacht vorliegen. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.
Im Berufungsverfahren haben sich keine neuen Gesichtspunkte ergeben, die eine andere Beurteilung zulassen könnten.
Der Senat hat auch bereits hinsichtlich der von dem Bevollmächtigten geltend gemachten Nichtachtung seiner Vollmacht entschieden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 08.12.2021, L 8 R 257/21 sowie vom 26.07.2021, L 8 R 4006/20 -, jeweils n.v. sowie LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.11.2020 – L 11 KR 2616/20 ER-B –, juris; Urteil vom 28.07.2020 – L 13 R 1296/19 –, n.v.). Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin beim BSG (B 5 R 239/21 B) gegen den Beschluss vom 26.07.2021 im Verfahren L 8 R 4006/20 wurde am 26.10.2021 zurückgenommen. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest.
Der Senat kann auch unter Berücksichtigung des Berufungsbegehrens keine Wiederholungsgefahr feststellen. Maßgebend hierfür ist, ob ein als widerrechtlich beurteiltes Verhalten der Verwaltung ernstlich zu befürchten ist. Zudem muss schlüssig dargelegt werden, dass das Abwarten einer Beeinträchtigung mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (vgl. Keller in Meyer – Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 13. Auflage 2020, § 54 Rdnr. 42a). Die Kommunikation vor Erlass des Bescheides vom 14.07.2021 erfolgte unter Beachtung der Vollmacht. Zudem wurde der Bescheid vom 14.07.2021 auch an den Prozessbevollmächtigten übersandt.
Eine Missachtung ist daher nicht feststellbar. Diese erfordert mehr als ein nie sicher auszuschließendes Versehen, wie die Beklagte es vorliegend eingeräumt hat (Verschlüsselungsfehler). Eine solche ist auch für die Zukunft nicht zu befürchten. Ein unzumutbarer Nachteil sowie eine ernstliche Befürchtung eines erneuten widerrechtlichen Vorgehens der Beklagten, welche die Wiederholungsgefahr begründen könnten, sind daher nicht feststellbar (vgl. hierzu auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.10.2021 – L 4 KR 645/21 –, juris Rdnr. 24 sowie BSG, Urteil vom 28.01.1993 – 2 RU 8/92 –, juris, Rdnr. 18).
Da hier keine Sachentscheidung angefochten wird, verbleibt es bei der Unzulässigkeit der Klage.
Der Gerichtsbescheid des SG ist daher nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.