S 35 AS 520/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
35
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 520/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze

Der Geltendmachung eines Anspruchs auf Rückzahlung eines Darlehens steht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung in entsprechender Anwendung des § 242 BGB entgegen, wenn der Leistungsberechtigte seinen Anspruch auf Kautionsrückzahlung aus dem Mietverhältnis unwiderruflich an das Jobcenter übertragen und dieses den Anspruch nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht innerhalb der maßgebenden zivilrechtlichen Verjährungsfrist beim Vermieter geltend gemacht hat.

Überschrift:

Gerichtsbescheid | Grundsicherung für Arbeitsuchende, Rückzahlung einer Mietkaution, Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, unwiderrufliche Abtretung, zivilrechtliche Verjährung der Forderung, Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB in entsprechender Anwendung

 

Es wird festgestellt, dass die Klägerin nicht zur Rückzahlung der ihr am 02.11.2009 darlehensweise gewährten Mietkaution verpflichtet ist.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Rückforderung einer der Klägerin am 02.11.2009 darlehensweise gewährten Mietkaution in Höhe von 616,00 Euro.

Die 1989 geborene Klägerin stand in der Vergangenheit im Leistungsbezug beim Beklagten. Sie schloss am 00.00.2009 nach erteilter Zusicherung einen Mietvertrag über eine 54,04 m² große Wohnung im zweiten Obergeschoss in der P-Straße 0 in 00000 C ab. Nach § 4 Abs. 1 des Mietvertrages war sie verpflichtet, eine Barkaution in Höhe von 616,00 Euro zur Sicherung der Ansprüche der Vermieterin aus dem Mietverhältnis zu zahlen.

Am 02.11.2009 bewilligte der Beklagte der Klägerin ein Darlehen zur Befriedigung der vereinbarten Mietkaution. Nach dem Bewilligungsbescheid wurde die Rückzahlung des Darlehens mit Beendigung des Mietverhältnisses oder mit Beendigung der Hilfebedürftigkeit – mutmaßlich mit Ablauf des bewilligten Leistungsabschnitts (nach Beendigung des Bezuges von Arbeitslosengeld II) – fällig. Maßgeblich war das Ereignis, welches in zeitlicher Hinsicht als Erstes eintrat. Über die Rückzahlungsmodalitäten sollte die Klägerin zu gegebener Zeit ein gesondertes Schreiben des Forderungseinzugs der Regionaldirektion BB erhalten. Nach dem Bescheid wurden zudem die Vereinbarung im separat abgeschlossenen Darlehensvertrag und der separat abgeschlossenen Abtretungserklärung vom 02.11.2009 Bestandteil des Bescheids.

Mit Darlehensvertrag vom 02.11.2009 regelten die Klägerin und der Beklagte unter § 1 des Darlehensvertrages, dass jene als Darlehensnehmerin von diesem als Darlehensgeber ein Darlehen für die Zahlung einer Mietkaution in Höhe von 616,00 Euro erhalte. Dieses sollte auf ein für diesen Zweck speziell eingerichtetes Konto oder direkt an den Vermieter gezahlt werden. Das Darlehen zuzüglich der hierzu anfallenden Zinsen war zurückzuzahlen, wenn die Wohnung durch Auszug oder Tod des Darlehensnehmers aufgegeben wird. Die Rückzahlung des Darlehens wurde nach Beendigung des Bezuges von Arbeitslosengeld II fällig. Über die Rückzahlungsmodalitäten sollte die Klägerin zu gegebenem Zeitpunkt ein gesondertes Schreiben des Forderungseinzugs der Regionaldirektion BB erhalten. Nach § 2 des Darlehensvertrags trat die Klägerin als Darlehensnehmerin zur Sicherung der Ansprüche des Beklagten als Darlehensgeber die dem Vermieter überwiesenen Mietkaution einschließlich anfallender Zinsen unwiderruflich ab.

Mit Abtretungserklärung zum Darlehensvertrag vom 02.11.2009 trat die Klägerin den Anspruch auf Rückzahlung sowie der auflaufenden Zinsen unwiderruflich an das Land C ab. Sie ermächtigte das Land C unwiderruflich, dem Vermieter bzw. dessen Rechtsnachfolger die Kaution zuzüglich der hierfür anfallenden Zinsen bei Fälligkeit an das Land C zu überweisen. Die Abtretungserklärung wurde nach der Vereinbarung nach vollständiger Tilgung des Darlehens unwirksam.

Der Bescheid vom 02.11.2009, der Darlehensvertrag vom 02.11.2009 und die Abtretungserklärung vom 02.11.2009 wurden nicht angefochten. Die Darlehenssumme wurde vom Beklagten ausgekehrt.

Die Klägerin kündigte Anfang 2018 ihre Wohnung in der P-Straße 0 und zog zum 00.00.2018 nach N in Nordrhein-Westfalen.

Mit Zahlungserinnerung vom 17.05.2021 forderte der Beklagte durch die Bundesagentur für Arbeit S Inkasso-Service die Klägerin dazu auf, die noch nicht zurückgezahlten 616,00 Euro bis zum 27.05.2021 an ihn zu zahlen.

Die Klägerin hat am 07.06.2021 Klage erhoben mit der sie sich gegen die Rückforderung des Darlehens wendet.

Sie trägt vor, dass die Forderung verjährt sei. Es gelte eine vierjährige Verjährungsfrist. Infolgedessen sei nach 2014 Verjährung eingetreten. Es bestehe zudem ein Interesse an der Feststellung des Nichtbestehens der Forderung.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

festzustellen, dass die Forderung vom 02.11.2009 (Kosten zur Wohnungsbeschaffung) in Höhe von 616,00 Euro verjährt ist.

Der Beklagte beantragt,

                                                                                    die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt er vor, dass der Anspruch nicht verjährt sei. Es gelte eine 30-jährige Verjährungsfrist. Ausweislich des Darlehensbescheids sei die Rückzahlung des Darlehens aufgrund des im März 2018 erfolgten Umzugs erst 2018 fällig geworden. Dem stehe auch eine interne Kennzeichnung des Kundenkontos mit einer vierjährigen Verjährungsfrist nicht entgegen. Zudem sei die Klägerin mit Zahlungsaufforderung vom 25.08.2020 aufgefordert worden, das gewährte Darlehen gemäß der Rückzahlungsvereinbarung zurückzuzahlen.

Die Beteiligten sind gemäß § 105 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dazu gehört worden, dass das Gericht eine Entscheidung per Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGG beabsichtigt.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands und bezüglich des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht hat vorliegend durch Gerichtsbescheid entschieden. Gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 SGG entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Wesentlich ist, dass im Rahmen der Amtsermittlungspflicht entscheidungserhebliche tatsächliche Umstände nicht offenbleiben (Schmidt in: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Auflage 2020, § 105 Rn. 7).

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.

Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der wörtlich gestellte Antrag auf Feststellung, dass die Forderung verjährt ist, ist als Antrag auf Feststellung, dass die Klägerin nicht zur Rückzahlung der darlehensweise gewährten Mietkaution verpflichtet ist, zu verstehen. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Die Klägerin begehrt sinngemäß die Feststellung, dass sie nicht zur Rückzahlung der darlehensweise gewährten Grundsicherungsleistungen für die Mietkaution verpflichtet ist. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG umfasst auch die Feststellung einzelner Beziehungen oder Berechtigungen aus einem Rechtsverhältnis (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R –, Rn. 10).

Die Feststellungsklage ist begründet.

Der Beklagte ist passivlegitimiert. Auch wenn der Klageschrift nur ein Zahlungserinnerungsschreiben der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit S Inkasso-Service, beigefügt war, schließt dies nicht aus, die Rechtswidrigkeit der zugrundeliegenden Forderung des Beklagten festzustellen. Der Beklagte hat zwar den Forderungseinzug gemäß § 44b Abs. 4 des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II) an die Bundesagentur für Arbeit übertragen, bezüglich der Forderung an sich ist er jedoch auch nach Übertragung des Forderungseinzugs weiterhin Forderungsinhaber.

Der Beklagte hat gegenüber der Klägerin keine durchsetzbare Forderung auf Rückzahlung des gewährten Darlehens in Höhe von 616,00 Euro für die Gewährung der streitgegenständlichen Mietkaution. Zwar hat jener der Klägerin mit bestandskräftigem Bescheid vom 02.11.2009 darlehensweise Grundsicherungsleistungen in der genannten Höhe gewährt. Aus der Gewährung eines Darlehens ergibt sich auch grundsätzlich die Rückzahlungspflicht des Darlehensnehmers, da diese der Rechtsnatur eines Darlehens immanent ist. Der Anspruch auf Darlehensrückzahlung ist jedoch nicht durchsetzbar. Der Beklagte ist nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte in entsprechender Anwendung des § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht berechtigt, die Forderung auf Rückzahlung des Darlehens gegenüber der Klägerin geltend zu machen. Der Geldendmachung steht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens entgegen. Gemäß § 242 BGB ist der Schuldner verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Über den Wortlaut hinaus enthält § 242 BGB einen allgemeinen Rechtsgedanken, wonach ein Verhalten jedenfalls dann rechtsmissbräuchlich ist, wenn sich der andere Teil in Widerspruch zu seinem bisherigen Verhalten setzt (venire contra factum proprium) und der andere darauf vertrauen konnte, dass er ein Recht nicht mehr geltend machen werde. Der Beklagte hat den ihm unwiderruflich übertragenen Rückzahlungsanspruch gegenüber dem Vermieter innerhalb der maßgeblichen Verjährungsfrist nicht geltend gemacht. Der Klägerin war und ist eine Geltendmachung aufgrund der Abtretung nicht möglich. Nach den eingereichten VerBis-Vermerken hatte der Beklagten im Februar 2018 Kenntnis von der erfolgten Kündigung der Wohnung in C und des Umzugs nach Nordrhein-Westfalen erlangt. Dennoch hat er einen Anspruch gegenüber dem Vermieter bis heute nicht geltend gemacht. Da die Klägerin ihre Wohnung im Februar 2018 bereits gekündigt hatte, begann die regelmäßige Verjährungsfrist für die Rückzahlung der Kaution gemäß den §§ 195, 199 Abs. 1 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 des Mietvertrages mit dem Schluss des Jahres 2018; das gilt selbst dann, wenn man dem Vermieter nach den Wertungen des § 548 Abs. 1 S. 1, 2 S. 2 BGB eine sechsmonatige Frist zur Abrechnung der Kaution gewährt. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt nach § 195 BGB drei Jahre. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Der Anspruch eines Mieters auf Rückgewähr der geleisteten Mietsicherheit entsteht dabei mit Vertragsabschluss und ist durch das Ende des Mietvertrages und die Rückgabe der Mietsache aufschiebend bedingt. Er wird in angemessener Zeit nach Beendigung des Mietverhältnisses fällig, wenn der Vermieter in der Lage ist, noch offene Ansprüche, zu deren Sicherung die Kaution dient, in zumutbarer Weise abzurechnen, wobei diese Frist im allgemeinen höchstens sechs Monate beträgt (Bundesgerichtshof, Rechtsentscheid in Mietsachen vom 01. Juli 1987 – VIII ARZ 2/87 –, BGHZ 101, 244-253 Rn. 16). Der Anspruch auf Rückzahlung der Kaution ist im Jahr 2018 entstanden und der Beklagte hatte ausweislich der von ihm eingereichten VerBis-Vermerke vom 19.01.2018 und 02.02.2018 und 19.01.2018 Kenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 BGB. Die Verjährungsfrist endete somit mit Ablauf des 31.12.2021, sodass der Anspruch nunmehr verjährt ist. Die Klägerin war innerhalb dieses Zeitraums und ist auch weiterhin nicht berechtigt, eine Forderung gegenüber dem Vermieter geltend zu machen, da sie am 02.11.2009, den Rückzahlungsanspruch unwiderruflich an den Beklagten abgetreten hat und demnach nicht mehr Forderungsinhaberin und damit auch nicht mehr aktivlegitimiert ist. Soweit der Beklagte sich im Klageverfahren darauf beruft, das Darlehen und Mietkaution rechtlich differenziert voneinander zu betrachten sind, schließt dies den Einwand einer unzulässigen Rechtsausübung nicht aus. In Anbetracht dessen, dass der Beklagte den Anspruch innerhalb der regulären Verjährungsfrist selber nicht geltend gemacht hat, erscheint es nach Auffassung der Kammer rechtsmissbräuchlich, die Klägerin auf Rückzahlung in Anspruch zu nehmen. Zwar sind die Rückzahlung des Darlehens und der Kautionsrückzahlungsanspruch rechtlich voneinander zu trennen, die Klägerin konnte jedoch durch die unwiderrufliche Abtretung des Rückzahlungsanspruchs darauf vertrauen, dass der Beklagte den Anspruch eigenständig gegenüber dem Vermieter geltend macht. Soweit er dies nicht getan hat, kann dies wertungsmäßig nicht zum Nachteil der Klägerin gereichen. Selbst wenn der Beklagte der Klägerin den Anspruch nunmehr zur eigenen Geltendmachung rückübertragen würde, stünde der Geltendmachung durch die Klägerin nunmehr die Einrede der Verjährung entgegen.

Dahinstehen kann, ob der geltend gemachte Rückforderungsanspruch zusätzlich nach § 50 Abs. 4 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuchs (SGB X) verjährt ist oder auf die dreißigjährige Verjährungsfrist des § 52 Abs. 2 SGB X abzustellen ist und, inwieweit eine ausdrücklich nur gegen das Zahlungsaufforderungsschreiben gerichtete Klage begründet und der Beklagte dort als richtiger Beklagter passivlegitimiert ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.

Gründe für eine Berufungszulassung, über die zu entscheiden ist, da um weniger als 750,00 Euro gestritten wird (§§ 105 Abs. 2 S. 1 SGG, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG), bestehen nicht.

Rechtskraft
Aus
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