Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 28.03.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der im Jahre 1983 geborene Kläger begehrt von der Beklagten im Wege der Untätigkeitsklage eine Entscheidung über einen per E-Mail eingelegten Widerspruch.
Mit Schreiben vom 15.01.2021 übersandte die Beklagte dem Kläger eine „Mitteilung zur Vorlage beim Finanzamt“. Demnach „erhalten [Sie] hiermit eine Aufstellung über die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 2020, die Ihnen beim Ausfüllen ihrer Einkommensteuererklärung helfen soll. […] Für weitere Fragen zu Einzelheiten der Besteuerung wenden Sie sich bitte an Ihr Finanzamt“. Das Schreiben enthält keine Rechtsbehelfsbelehrung und ist nicht mit „Bescheid“ überschrieben.
Vom Absender „im Original: Emailadresse des Klägers“ ging bei der Beklagten am 08.12.2021 eine E-Mail ein, in der es heißt: „Sehr geehrte Damen und Herren, beachten Sie den angehängten Widerspruch und entscheiden in der vorgegebenen Frist.“ Angehängt war ein PDF-Dokument, in dem der Kläger (handschriftlich unterschrieben) „Widerspruch gegen den Bescheid vom 15.01.2021“ erhebt.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 04.01.2022 mit, dass die E-Mail vom 08.12.2021 noch nicht ausreiche, damit ein Widerspruchsverfahren durchgeführt werden könne. Der Widerspruch müsse die erforderliche Form haben. Der Kläger werde gebeten, den unterschriebenen Widerspruch bis zum 04.02.2022 zurückzusenden.
Der Kläger hat am 12.01.2022 „Untätigkeitsklage“ vor dem Sozialgericht Münster (Sozialgericht) gegen die Beklagte erhoben. Die Beklagte verweigere die Bearbeitung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 15.01.2021.
Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, über seinen Widerspruch vom 08.12.2021 gegen das Schreiben vom 15.01.2021 zu entscheiden.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Untätigkeit liege nicht vor, da die entsprechenden Fristen bislang nicht abgelaufen seien. Darüber hinaus handele es sich bei der Mitteilung vom 15.01.2021 nicht um einen rechtsmittelfähigen Bescheid, der Widerspruch sei als unzulässig zurückzuweisen.
Das Sozialgericht hat die Beteiligten mit zugestelltem Schreiben vom 04.03.2022 darüber in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt sei, die Klage durch Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abzuweisen. Die Beteiligten haben keine Stellungnahme abgegeben.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.03.2022 abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig. Der Kläger müsse bei einer Klage nach § 88 Abs. 2 SGG Widerspruch eingelegt haben. Hier liege schlichtes Verwaltungshandeln vor, es handele sich nicht um einen Widerspruch im Sinne der §§ 78 ff. SGG. Gegenstand eines Widerspruchs im Sinne des § 83 SGG könne nur ein ergangener Verwaltungsakt sein, durch den der Widerspruchsführer beschwert sei. Dies sei bei der Mitteilung zur Vorlage beim Finanzamt vom 15.01.2021 nicht der Fall.
Gegen den ihm am 30.03.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 05.04.2022 bei dem Sozialgericht Berufung eingelegt. Das Schreiben vom 15.01.2021 stelle einen Verwaltungsakt dar, er habe „Widerspruch mit Unterschrift eingelegt“.
Der Kläger, der im Termin zur mündlichen Verhandlung am 07.09.2022 nicht erschienen ist, beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 28.03.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Widerspruch vom 08.12.2021 gegen das Schreiben vom 15.01.2021 zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte wiederholt ihren bisherigen Vortrag.
Die Beklagte hat das Verfahren betreffende Unterlagen (Kopien der Verwaltungsakte) zur Akte gereicht. Die Beklagte hat zudem einen Widerspruchsbescheid vom 23.06.2022 zur Akte gereicht, wonach der Widerspruch gegen die Mitteilung vom 15.01.2021 als unzulässig zurückgewiesen wird. Es liege kein unterschriebener Widerspruch vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlungen gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers am 07.09.2022 verhandeln und entscheiden, da der Kläger mit am 10.08.2022 zugestellter Terminsladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch in seiner Abwesenheit verhandelt und entschieden werden kann (vgl. auch § 153 Abs. 1 SGG i.V.m. § 110 Abs. 1 S. 2 SGG).
Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere ordnungsgemäß eingelegt (§ 151 Abs. 2 S. 1 SGG) und statthaft (§§ 143, 105 Abs. 2 S. 1 SGG). Die Berufung ist aber unbegründet.
Die vom Kläger erhobene (Untätigkeits-)Klage ist unzulässig.
Der Kläger hat zwar explizit mit Mail vom 08.12.2021 „Widerspruch“ gegen das Schreiben vom 15.01.2021 eingelegt, hier ist der Widerspruch aber schon gem. § 84 SGG formunwirksam (dazu Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl., § 84 SGG Rn. 63 ff. [Stand: 25.04.2022]; siehe etwa auch Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 23.09.2021 – 4 ZB 21.1847 –, juris Rn. 14). Zudem richtet sich der Widerspruch gegen ein schlichtes Verwaltungshandeln (und nicht gegen einen Verwaltungsakt), §§ 78 ff. SGG. Auch für den Kläger als vormaligen Jurastudenten ist erkennbar, dass es sich bei dem Schreiben vom 15.01.2021 offensichtlich nicht um einen Verwaltungsakt gemäß § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) handelt (hierzu auch Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 31 SGB X Rn. 39 ff. [Stand: 07.10.2021]; vgl. bspw. auch BSG, Beschluss, vom 11.04.2018 – B 5 R 366/17 B –, juris Rn. 8). Der Kläger selbst hat im gesamten Verfahren auch keinen Regelungscharakter benannt bzw. benennen können.
Grundsätzlich könnte zwar auch hier eine Bescheidung erfolgen, in der die Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurückweisen kann. Eine Bescheidung ist aber nicht notwendig, wenn der Widerspruch schon nicht statthaft ist, weil er sich nicht gegen einen Verwaltungsakt, sondern nur gegen ein schlichtes Verwaltungshandeln richtet (hierauf hat die Beklagte den Kläger mit Schreiben schon vom 04.01.2022 hingewiesen), denn in diesen Fällen bedarf es keines Vorverfahrens, sodass der Bürger auch ohne die Erhebung einer Untätigkeitsklage (beispielsweise durch die Erhebung einer Leistungsklage) Rechtsschutz erlangen kann und die Untätigkeitsklage insofern „überflüssig“ ist. Auch in anderen Fällen, in denen der Widerspruch nicht statthaft ist, muss die Behörde keinen Bescheid erlassen (siehe Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 88 SGG Rn. 15 m.w.N. [Stand: 15.06.2022] m.w.N.).
Letztlich kann dies aber dahinstehen, da die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2022 zwischenzeitlich den Widerspruch (vom 08.12.2021) als unzulässig zurückgewiesen hat. Es liegt also eine sachliche Bescheidung vor, das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers ist entfallen (vgl. hierzu etwa Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.03.2012 – L 19 AS 1915/11 –, juris Rn. 22 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG) bestehen nicht.