Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 04.04.2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1961 geborene Klägerin ist gelernte Fleischereiverkäuferin und absolvierte eine Umschulung zur Bürokauffrau. Von November 2006 bis Dezember 2012 übte die Klägerin eine geringfügige, nicht versicherungspflichtige Beschäftigung aus. Von Februar bis Oktober 2013, von Januar bis September 2014, von Oktober bis Dezember 2014 und von Januar bis Juli 2015 übte sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Verkäuferin in einer Autobahnraststätte aus. Vom 21.07.2015 bis 25.11.2015 befand sich die Klägerin in Untersuchungshaft. Von Dezember 2015 bis 04.10.2016 bezog sie Arbeitslosengeld bzw. Krankengeld, nachdem sie von dem O wegen einer Ober- und Unterschenkelvarikosis und Lymphstauung ab 15.03.2016 arbeitsunfähig krankgeschrieben wurde. In der Folgezeit legte die Klägerin Pflichtbeitragszeiten auf Grund des wechselnden Bezugs von Arbeitslosen- und Krankengeld und rentenrechtliche Zeiten unter Berücksichtigung eines Arbeitsentgelts aus einer seit dem 01.10.2016 bis Oktober 2019 mit Unterbrechungen ausgeübten geringfügigen, nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung im Kantinenbetrieb ihres Ehemannes (25 Stunden pro Monat, Bl. 110 Senatsakte) zurück. Von November 2019 bis März 2020 übte sie dieselbe Tätigkeit im Rahmen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung (40 Stunden pro Monat, Bl. 110 Senatsakte; lt. Angaben der Klägerin: 2 Tage á 5 Stunden an der Kasse, Bl. 114 Senatsakte) aus. Im Anschluss hieran bezog sie erneut Krankengeld. Das Beschäftigungsverhältnis besteht fort. Wegen der Einzelheiten der rentenrechtlichen Zeiten wird auf den Versicherungsverlauf, Bl. 77 ff. Senatsakte, Bezug genommen.
Im Herbst 2014 befand sich die Klägerin zur stationären Rehabilitationsbehandlung in der Fklinik (Fachklinik für Lymphologie), in der eine hochfrequente Entstauungstherapie durchgeführt wurde und durch die es zu einer guten Volumenreduktion beider Beine und einer Gewichtsreduktion um 4 kg kam (Diagnosen: multikausale, chronifizierte Beinlymphödeme bds. Stad. I, ED 1983; chronisch venöse Insuffizienz bds. - rechts Klasse II, links Klasse I - bei Z.n. Varizen-OP bds. 1985 und 2009; Adipositas Grad III, HWS-Syndrom). Von dort wurde sie mit der ärztlichen Einschätzung eines vollschichtigen Leistungsvermögens (unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen) entlassen.
Am 19.02.2015 diagnostizierte der R ein Lipo-Lymphödem beider Beine Stadium III und schloss eine Stammvarikose rechts und eine tiefe Beinvenenthrombose aus.
Am 20.06.2016 beantragte die Klägerin unter Vorlage des ärztlichen Attestes des K vom 13.06.2016 (Diagnosen: ausgeprägtes Lipödem bds. vom Ober- und Unterschenkeltyp ohne Zeichen einer Lymphabflussstörung, Z.n. Phlebektomie bds., Seitenastvarikosis, Ausschluss Leitveneninsuffizienz und Venenthrombose) Rente wegen Erwerbsminderung und gab zur Begründung an, sie habe sehr starke Schmerzen und Schwellungen in den Beinen, könne sich an manchen Tagen kaum bewegen und nicht länger als drei bis vier Stunden stehen.
Am 26.09.2016 führte A vom MDK in seiner Stellungnahme zur Anfrage der Krankenversicherung hinsichtlich des Leistungsvermögens der Klägerin aus, dass aus medizinischer Sicht der letzte Tag der Arbeitsunfähigkeit der 04.10.2016 sei und unter Berücksichtigung der aktuellen klinischen Symptomatik von einem positiven Leistungsvermögen auszugehen und Tätigkeiten (ohne Heben von Lasten über 6 kg, ohne Überkopfarbeiten und ohne erhöhte Temperaturschwankungen) in Wechselhaltung zumutbar seien. Die Klägerin sei verständigt und mit dieser Einschätzung „einverstanden“.
Die Beklagte zog Befundberichte der behandelnden Ärzte bei und ließ die Klägerin durch den W begutachten (Tag der Untersuchung 28.10.2016). Dieser diagnostizierte ein vorrangig ausgeprägtes Lipödem beider Beine auf dem Boden einer massiven Adipositas und ein chronisch rezidivierendes Wirbelsäulen-Syndrom und führte aus, die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes drei bis sechs Stunden (Bl. 33 VA Med. Teil) bzw. drei bis unter sechs Stunden (Bl. 34 VA Med. Teil) im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche verrichten.
Die die Beklagte beratende R1 nahm ein Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes (unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen) für die Zeit ab Rentenantragstellung und auf Dauer an (Bl. 37 VA Med. Teil).
Hierauf gestützt ging die Beklagte von einer teilweisen Erwerbsminderung der Klägerin auf unbestimmte Zeit und einer vollen Erwerbsminderung auf Zeit wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes - bei Eintritt des Versicherungsfalls am 20.06.2016 - aus (Bl. 41 VA), lehnte aber mit Bescheid vom 07.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2017 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ausgehend von einem am 20.06.2016 eingetretenen Versicherungsfall nicht erfüllt seien. Die Klägerin habe in den letzten drei Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalls (20.06.2011 bis 19.06.2016) nur 35 und nicht die erforderlichen 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt.
Hiergegen hat die Klägerin am 30.03.2017 mit dem Begehren, ihr ab Antragstellung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren, Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und ihr Begehren auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gestützt, da sie, wenn die Beratungsstelle der Beklagten sie bei dem Beratungsgespräch am 06.06.2016 darauf hingewiesen hätte, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch nicht erfüllt seien, den Rentenantrag erst einen Monat später gestellt hätte.
Im parallel geführten Verfahren zur erneuten Gewährung einer stationären Rehabilitationsbehandlung in der Fklinik (Klageverfahren S 13 R 1394/18) hat das SG die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Dort hat R mitgeteilt, dass es durch den letzten Aufenthalt in der Fklinik zu einer Besserung der Beschwerden gekommen sei. O hat ausgeführt, eine ambulante orthopädische Behandlung sei „ausreichend mit zusätzlichen stationären Rehamaßnahmen gemäß Gesetzgebung“. K hat mitgeteilt, dass die Klägerin einmalig im Juni 2016 bei ihm vorstellig gewesen sei und die von ihm damals gestellten Diagnosen keine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit begründen würden, da Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer nicht eingeschränkt gewesen seien (Auskunft vom August 2018).
Mit Gerichtsbescheid vom 04.04.2019 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin - dem Gutachten des W folgend - seit Rentenantragstellung erwerbsgemindert sei, allerdings die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der sog. Drei-Fünftel-Belegung ausgehend von einer am 20.06.2016 eingetretenen Erwerbsminderung nicht erfüllt seien. Auch bei einer Antragstellung erst im Juli 2016 sei gleichwohl von einer am 20.06.2016 eingetretenen Erwerbsminderung auszugehen.
Gegen den - ihren Prozessbevollmächtigten am 05.04.2019 zugestellten - Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 17.04.2019 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, dass die Erwerbsminderung frühestens im Juli 2016 eingetreten sei und es keine Anhaltspunkte dafür gebe, auf welcher Grundlage von einem Versicherungsfall im Juni 2016 ausgegangen werde, da Ermittlungen hierzu nicht unternommen worden seien. Sie sei erst seit dem 15.03.2016 arbeitsunfähig. Erst im Laufe dieser Arbeitsunfähigkeit habe sich herausgestellt, dass sich ihr Zustand nicht bessern würde.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 04.04.2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 07.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2017 aufzuheben und ihr Rente wegen Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie hat vorgetragen, dass auch bei Eintritt des Versicherungsfalls am 15.03.2016 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien erstmals bei Eintritt des Versicherungsfalls im Juli 2016 erfüllt (vgl. Bl. 75 ff. Senatsakte).
Die Klägerin ist vom 20.09. bis 11.10.2019 erneut in der Fklinik stationär behandelt worden (Diagnosen: multikausale Beinlymphödeme bds. distal betont, Stadium II; Lipödem-Syndrom, CVI bei Z.n. Varizen-OP bds. 1985 und 2009, Adipositas Grad III, substituierte Hypothyreose, chronisches LWS-Syndrom, Hyperurikämie, erhöhte Nüchternglukose). Durch die Entstauungstherapie sei - so die Ärzte dort - eine gute Ödemreduktion in den Beinen erreicht worden.
Der Senat hat die die Klägerin behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der Facharzt für Allgemeinmedizin S hat zur Frage des Leistungsvermögens der Klägerin auf die Stellungnahme des MDK vom September 2016 verwiesen und ausgeführt, dass der Gesundheitszustand der Klägerin seit dem Jahr 2016 im Wesentlichen gleichgeblieben sei (Auskunft von November 2019). Im Jahr 2017 seien auch Lipo-Lymphödeme beider Arme hinzugekommen; er habe die Klägerin von Ende Januar bis Anfang Mai 2017 arbeitsunfähig krankgeschrieben; sie sei „100 %“ arbeitsunfähig (Auskunft von Februar 2020).
O hat mitgeteilt, dass er die Klägerin im Zeitraum vom 15.03.2016 bis 21.10.2016 wegen einer Unterschenkelvarikosis mit Lympstauung und degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule arbeitsunfähig krankgeschrieben habe. Das Leistungsvermögen der Klägerin könne er aktuell nicht einschätzen, der Befund sei seit 2016 im Wesentlichen gleichgeblieben (Auskunft von November 2019) bzw. im Jahr 2016 eher schlechter geworden (Auskunft vom Februar 2020). Im Juni 2017 sei es zu einer Verschlechterung des linken Beines gekommen; die Klägerin sei das ganze Jahr 2017 und 2018 arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen; im Juli 2019 sei es zu einer Verschlechterung des rechten Beines und der Wirbelsäule gekommen (Auskunft von April 2020). Seiner Auskunft hat O das Gutachten des K1 vom MDK vom 08.07.2019 beigefügt, wonach wegen der ausgeprägten Lymphödeme beider Beine und dem chronischen Lumbalsyndrom bei Adipositas Grad III (BMI 49,8 kg/m²) seit 12.02.2019 Arbeitsunfähigkeit bestehe, der 08.07.2019 der letzte Tag der Arbeitsunfähigkeit sei und die Klägerin in der Lage sei, leichte Tätigkeiten in wechselnder Arbeitshaltung zwischen Stehen, Gehen und Sitzen täglich sechs Stunden und mehr in allen Schichtformen zu verrichten (qualitative Leistungseinschränkungen: keine regelmäßigen Wirbelsäulenzwangshaltungen, vor allem nicht mit vorgebeugten und vorgedrehtem Oberkörper, kein häufiges Bücken, kein ständiges Heben und Tragen von Lasten über 10 bis 15 kg, keine erhöhte mechanische Beanspruchung der Wirbelsäule, durch Vibrationen oder Erschütterung, keine Überkopfarbeiten, möglichst keine ungünstigen Witterungseinflüsse - Nässe, Kälte, Zugluft -, keine Tätigkeiten in stehender oder sitzender Haltungskonstanz).
Am 08.09.2020 ist bei der Klägerin eine Magenschlauch-OP durchgeführt worden, nach der es innerhalb von 12 Monaten zu einem Gewichtsverlust von mehr als 30 kg gekommen ist.
Der Senat hat das Sachverständigengutachten des S eingeholt (Tag der Untersuchung 06.10.2021), der eine mäßiggradige Adipositas mit geringem Lipödem beider Beine bei Z.n. bariatrischer OP und einen Z.n. Entfernung der linken Niere in den 1980er Jahre diagnostiziert und ausgeführt hat, dass die Klägerin Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen (keine schweren körperlichen Arbeiten, kein Arbeiten ausschließlich im Sitzen oder ausschließlich im Stehen) sechs Stunden und mehr im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche verrichten könne. Dies gelte seit der Magenschlauch-OP im September 2020. Zudem sei unter Mitberücksichtigung der aktenkundigen Befunde sowie der Auskunft des K vom August 2018 nicht ersichtlich, dass im Zeitpunkt seiner damaligen Untersuchung (Juni 2016) ein zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen bestanden habe. Der Leistungseinschätzung des W folge er in Anbetracht der Auskunft des K nicht. Einschränkungen der Wegefähigkeit bestünden nicht.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster (S 13 R 944/17 sowie S 13 R 1394/18) und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig, jedoch unbegründet.
Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 07.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, da sie - entgegen den Ausführungen des SG und der jedenfalls früheren Annahme der Beklagten - zur Überzeugung des Senats im Zeitraum von Antragstellung im Juni 2016 bis zur hiesigen Entscheidung (streitiger Zeitraum) nicht im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen erwerbsgemindert war/ist. Auf das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen - bei Rentenantragstellung oder später - kommt es daher nicht an.
Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser (Abs. 1 Satz 1 der Regelung) bzw. voller (Abs. 2 Satz 1 der Regelung) Erwerbsminderung, wenn sie (u.a.) teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, GS 2/75 u.a., zitiert - wie alle nachfolgenden höchstrichterlichen Entscheidungen - nach juris). Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Schwerpunkt der klägerischen Gesundheitsstörungen ist - das hat die Klägerin selbst bei Rentenantragstellung und auch im Klage- und Berufungsverfahren maßgeblich in den Vordergrund gestellt - die Gefäßerkrankung beider Beine in Form eines Lipödems bds. auf dem Boden einer Adipositas. Diese Erkrankung haben sämtliche, im Tatbestand genannten, Ärzte diagnostiziert. Dieses Lipödem führte auch zeitweise zu einem Lymphödem infolge einer Lymphabflussstörung, das ambulant mittels Lymphdrainage und Kompressionsbehandlung mit speziellen Gummistrümpfen (vgl. Auskunft R und O im Verfahren S 13 R 1394/18, Bl. 16/26 und Bl. 27/35 der entsprechenden SG-Akte) sowie stationär mittels komplexer Entstauungstherapie behandelt wurde. Lipödem und Adipositas waren, wie sich den Befundberichten und Auskünften der behandelnden Ärzte sowie auch dem (urkundbeweislich verwertbaren) Gutachten des W entnehmen lässt, bis zur Magenschlauch-OP im September 2020 von starker Ausprägung und sind seitdem, was dem Gutachten des Sachverständigen S auf Grund der von ihm erhobenen Befunde (dazu sogleich) nachvollziehbar zu entnehmen ist, nur noch von mäßiggradiger (Adipositas) bzw. geringer (Lipödem) Ausprägung.
Aus der Gefäßerkrankung lässt sich - sowohl während ihrer starken Ausprägungsphase als auch seit der deutlich geringeren Ausprägungsphase nach der Magenschlauch-OP - nach den durchgeführten medizinischen Ermittlungen kein zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen der Klägerin ableiten. Maßstab ist hierfür die Beeinflussung des individuellen quantitativen sowie qualitativen Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen (BSG, Beschluss vom 28.02.2017, B 13 R 37/16 BH), also die durch die Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen. Derartige Funktionsstörungen, die ein Ausmaß erreichen, dass zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Einschränkungen der Klägerin nicht mehr mindestens sechs Stunden täglich möglich sind, liegen zur Überzeugung des Senats nicht vor. Dies stützt der Senat auf das Sachverständigengutachten des S, die Stellungnahme des A, das (urkundbeweislich verwertbare) Gutachten des K und die Auskunft des Phlebologen und Lymphologen K im Verfahren S 13 R 1394/18, die alle übereinstimmend zu der Einschätzung gelangt sind, dass eine zeitliche Leistungsminderung mit der Gefäßerkrankung nicht zu begründen ist und lediglich die von ihnen genannten (oben im Tatbestand wiedergegebenen) qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen sind. Diese qualitativen Leistungseinschränkungen legt der Senat auch seiner Beurteilung zu Grunde. Die Leistungsbeurteilung dieser Ärzte ist für den Senat angesichts der von ihnen erhobenen bzw. beigezogenen Befunde (A: keine Hautatrophie, Fußpulse beidseits tastbar, Senkung Spreizfüße beidseits, Genua valga links mehr als rechts; K: keine Fußheber- oder Senkerparese, keine sensiblen oder motorischen Störungen im Bereich der oberen oder unteren Extremitäten; K: u.a. alle Venen gut kompressibel, gute Farbfüllung, keinen Binnenechos; S: wenig ausgeprägtes Lipödem beider Beine; seit sechs Monaten werden wegen Besserung der Beschwerden keine Kompressionsstrümpfe mehr getragen, keine Varikosis von klinischer Relevanz, keine Herzrhythmusstörungen; lt. Angaben der Klägerin möglich: 30 Minuten sitzen, 1 Stunde stehen, 30 Minuten gehen, 2 Etagen Treppensteigen, 30 Minuten Autofahren, Heben und Tragen von Lasten bis 10 kg, Flugreise - zuletzt 2018 nach Ägypten) nachvollziehbar und überzeugend. Auch eine Einschränkung der Wegefähigkeit lässt sich angesichts dieser Befunde nicht begründen und ist überdies von keinem der Ärzte angenommen worden.
Das daneben von den Ärzten attestierte Wirbelsäulensyndrom der Klägerin - auch auf dem Boden der Adipositas - führt zur Überzeugung des Senats ebenfalls zu keiner zeitlichen Leistungsminderung. Vielmehr wird ihm durch die genannten qualitativen Leistungseinschränkungen hinreichend Rechnung getragen. Keiner der gehörten Ärzte und ebenso wenig die Klägerin selbst haben aus dem Wirbelsäulensyndrom Funktionsbeeinträchtigungen mit Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen abgeleitet.
Unter Zugrundelegung all dessen hat der Senat keine Zweifel daran, dass die Klägerin noch in der Lage ist, jedenfalls leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung der oben genannten qualitativen Einschränkungen unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, sodass sie nicht - auch nicht teilweise - erwerbsgemindert ist (§ 43 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB VI).
Soweit der W und auf dessen Gutachten gestützt die beratende R1 im Verwaltungsverfahren zu der Einschätzung gelangten, das zeitliche Leistungsvermögen der Klägerin sei in Bezug auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes rentenrelevant gemindert, überzeugt dies den Senat sowohl in Anbetracht der von dem Gutachter erhobenen Befunde (deutliches Lipödem beider Beine, keine Ödembildung, von der Klägerin angegebene Schmerzen in den Beinen) als auch den von K zum damaligen Zeitpunkt sowie der von den weiter behandelnden Ärzten erhobenen Befunden nicht. Den Gesundheitsstörungen der Klägerin war vielmehr auch damals - wie oben dargelegt - durch die Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen hinreichend Rechnung getragen, worauf der Sachverständige überzeugend hingewiesen hat.
Soweit die Klägerin auf ihre Arbeitsunfähigkeit hingewiesen hat (vgl. Auskünfte Allgemeinmediziner S und O gegenüber dem Senat), ist dies für die hier zu beurteilende Frage der Erwerbsminderung nicht von entscheidender Bedeutung. Denn während sich die Arbeitsunfähigkeit nach der arbeitsvertraglich geschuldeten, zuletzt ausgeübten Arbeit richtet (BSG, Urteil vom 08.11.2005, B 1 KR 18/04 R), sind Maßstab für die Frage der Erwerbsminderung die üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, wobei es ausreicht, wenn leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen sechs Stunden arbeitstäglich verrichtet werden können (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Deshalb kommt es für die Frage der Erwerbsminderung nicht darauf an, ob wegen Krankheit oder Behinderung Behandlungsbedürftigkeit oder - auch häufige - Arbeitsunfähigkeit besteht (BSG, Beschluss vom 31.10.2002, B 13 R 107/12 B).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 944/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1414/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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