L 9 AL 139/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 4 AL 206/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 139/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 32/21 R
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 04.10.2017 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

 

Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld für die Zeit vom 04.03.2016 bis zum 03.05.2016 unter Berücksichtigung eines Bemessungsentgelts aus einem früher erworbenen Stammrecht.

 

Der am 00.00.1951 geborene Kläger war seit April 1965 als Schlosser beschäftigt. Der Arbeitgeber kündigte das Beschäftigungsverhältnis fristlos zum 16.05.2014. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage und melde sich am 21.05.2014 arbeitslos. Die Abrechnung des Lohnanspruchs für Mai 2014 erfolgte am 04.06.2014. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 13.06.2014 vorläufig Arbeitslosengeld ab dem 21.05.2014 für 720 Kalendertage auf der Grundlage eines täglichen Bemessungsentgelts iHv 143,70 €, wobei sie bei der Berechnung des Bemessungsentgelts sowohl den Monat Mai 2013 als auch den Monat Mai 2014 einbezog. Am 18.06.2014 nahm der Arbeitgeber die fristlose Kündigung zurück, woraufhin der Kläger seine Arbeit wieder aufnahm. Mit Bescheid vom 18.06.2014 hob die Beklagte die Bewilligung des Arbeitslosengeldes ab 18.06.2014 wieder auf. Mit Bescheid vom 20.06.2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger abschließend Arbeitslosengeld für die Zeit vom 21.05.2014 bis zum 17.06.2014 wiederum auf der Grundlage eines täglichen Bemessungsentgelts iHv 143,70 € (täglicher Leistungssatz 57,10 €). Die Beklagte hatte dem Arbeitgeber die Zahlung des Arbeitslosengeldes angezeigt (Schreiben vom 13.06.2014) und machte gem. § 115 SGB X einen Anspruchsübergang iHv 1598,80 € bei diesem geltend (Schreiben vom 16.07.2014).

 

Der Kläger bezog vom 07.10.2014 – unterbrochen im Mai 2015 und Juni 2015 wegen Zahlung von Übergangsgeld – bis zur Anspruchserschöpfung am 03.03.2016 Krankengeld. Sodann bewilligte die Beklagte dem Kläger auf seine Arbeitslosmeldung vom 01.12.2015 (mW zum 04.03.2016) mit Bescheid vom 12.04.2016 Arbeitslosengeld vom 04.03.2016 bis zum 30.11.2016 (Vollendung des für die Regelaltersrente erforderlichen Lebensjahres) für 720 Kalendertage auf der Grundlage eines täglichen Bemessungsentgelts von nur noch 116,82 €. Verminderte Erwerbsfähigkeit wurde durch einen Rentenversicherungsträger in diesem Zeitraum nicht festgestellt.

 

Mit seinem am 23.04.2016 eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, dem Anspruch auf Arbeitslosengeld ab 04.03.2016 sei das Bemessungsentgelt aus dem Bescheid vom 20.06.2014 zugrunde zu legen. Das ihm nunmehr bewilligte niedrigere Bemessungsentgelt sei für ihn auch sonst nicht vollständig nachvollziehbar, da sein Stundenlohn und die Arbeitszeit im Vergleich zum damaligen Zeitpunkt gleichgeblieben seien.

 

Mit Änderungsbescheiden vom 03.05.2016 und vom 09.05.2016 setzte die Beklagte das Arbeitslosengeld für den Kläger zuletzt iHv 52,72 € aufgrund eines täglichen Bemessungsentgelts in Anwendung von § 151 Abs. 4 SGB III iHv 128,36 € fest. Der Bewilligungszeitraum reichte vom 04.03.2016 bis 03.05.2016, da der Kläger am 04.05.2016 wieder eine Beschäftigung aufnahm (Aufhebungsbescheid vom 04.05.2016).

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2016 wies die Beklagte den Widerspruch als im Übrigen unbegründet zurück. Das Bemessungsentgelt iHv 128,36 € sei als Grundlage für die Höhe des Arbeitslosengeldes zutreffend ermittelt worden. Zwar habe der Kläger innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Leistungsanspruchs Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt iHv 143,70 € erhalten. Grundsätzlich sei dieses Entgelt nach Maßgabe des § 151 Abs. 4 SGB III zugrunde zu legen. Allerdings sei dieses Bemessungsentgelt nicht richtig berechnet worden. Das richtige Bemessungsentgelt hätte 128,36 € täglich betragen müssen. Demzufolge sei der Bescheid vom 13.06.2014 materiell rechtswidrig gewesen. Die Bestandsschutzregelung des § 151 Abs. 4 SGB III binde nicht an eine rechtswidrige Bemessung des Vorbezuges.

 

Mit der am 09.06.2016 bei dem Sozialgericht Detmold erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, maßgeblich für die Bemessung sei das mit dem Bescheid vom 20.06.2014 festgestellte Bemessungsentgelt.

 

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

 

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12.04.2016 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 03.05.2016 und 09.05.2016 sowie des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2016 zu verurteilen, ihm höheres Arbeitslosengeld ab 04.03.2016 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften unter Zugrundelegung eines täglichen Bemessungsentgelts iHv 143,70 € zu gewähren.

 

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Die Bestandsschutzregelung des § 151 Abs. 4 SGB III binde nicht an eine rechtswidrige Bemessung des Vorbezuges. Seinerzeit habe der Bemessungsrahmen den Zeitraum vom 17.05.2013 bis 16.05.2014 umfasst. Der Bemessungszeitraum müsse vollständig innerhalb des Bemessungsrahmens liegen, so dass der Entgeltabrechnungszeitraum Mai 2013 nicht berücksichtigt werden könne. Auch das Entgelt für Mai 2014 hätte seinerzeit nicht berücksichtigt werden dürfen, weil es beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis noch nicht abgerechnet gewesen sei. Damit sei in dem Entgeltabrechnungszeitraum vom 01.06.2013 bis 30.04.2014 (334 Tage) ein versicherungspflichtiges Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 42.873,08 € erzielt worden, aus dem sich ein tägliches Bemessungsentgelt iHv 128,36 € errechne. Dieses Bemessungsentgelt hätte der Bemessung des Arbeitslosengeldes ab 21.05.2014 zugrunde gelegt werden müssen und sei damit auch für das Arbeitslosengeld ab 04.03.2016 gem. § 151 Abs. 4 SGB III maßgeblich; dies sei zuletzt mit dem Änderungsbescheid vom 09.05.2016 umgesetzt worden.

 

Das Sozialgericht hat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 04.10.2017 die angefochtenen Bescheide der Beklagten geändert und diese verurteilt, dem Kläger höheres Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften ab 04.03.2016 nach einem täglichen Bemessungsentgelt iHv 143,70 € zu gewähren. Nach § 151 Abs. 4 SGB III sei Bemessungsentgelt mindestens das Entgelt, nach dem das Arbeitslosengeld zuletzt bemessen worden sei, wenn Arbeitslose innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs Arbeitslosengeld bezogen hätten. Entgegen der Auffassung der Beklagten binde die Bestandsschutzregelung des § 151 Abs. 4 SGB III auch an eine rechtswidrige Bemessung des Vorbezuges. Da die mit dem Bescheid vom 20.06.2014 vorgenommene Bewilligung von Arbeitslosengeld nicht aufgehoben oder zurückgenommen worden sei, habe der Kläger Anspruch auf Arbeitslosengeld ab 04.03.2016 nach einem täglichen Bemessungsentgelt iHv 143,70 €. Das Sozialgericht hat die Beteiligten über das Rechtsmittel der Berufung belehrt.

 

Gegen den ihr am 26.10.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 24.11.2017 Berufung eingelegt, die nach einem Hinweis des Senats auf die gem. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGG fehlende Statthaftigkeit zurückgenommen worden ist. Die Beklagte hat am 18.05.2018 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, auf die der Senat die Berufung mit Beschluss vom 06.02.2019 zugelassen hat. Die Beklagte meint, ein rechtswidrig zu hoch festgestelltes Bemessungsentgelt werde von der Besitzstandsregelung des § 151 Abs. 4 SGB III nicht erfasst. Die Höhe des Bemessungsentgelts sei nur ein Begründungselement der Leistungsbewilligung und nehme nicht an der Bindungswirkung des Bewilligungsbescheides teil (Bezugnahme auf LSG Schleswig-Holstein Urteil vom 26.09.2008 – L 3 AL 81/07). Es sei nicht an ein zu hoch festgesetztes Bemessungsentgelt anzuknüpfen, sondern an das Arbeitsentgelt, nach dem das Arbeitslosengeld zuletzt hätte bemessen werden müssen. Ein rechtswidrig zu hoch festgesetztes Bemessungsentgelt könne während des laufenden Bezugs von Arbeitslosengeld regelmäßig für die Zukunft unter Berücksichtigung der Vorgaben des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X korrigiert werden, denn das öffentliche Interesse an der Herstellung des rechtmäßigen Zustandes gehe in aller Regel dem Interesse des Begünstigten vor, höhere Leistungen zu erhalten. Wenn aber auf diese Weise eine Korrektur einer Bewilligung in einem laufenden Fall möglich sei, müsse sie im gleichen Sinne auch bei dem Rückgriff auf ein früheres Bemessungsentgelt für einen zukünftigen Anspruch durchgeführt werden können. Der Bestandsschutz des § 151 Abs. 4 SGB III könne nicht weiter reichen, als die Berücksichtigung der Vertrauensschutzgesichtspunkte im Rahmen der Korrekturnormen der §§ 44 ff. SGB X.

 

Der Senat hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass – wie die Beklagte im Widerspruchsverfahren verwaltungsintern bereits selbst festgestellt, aber in dem Bescheid vom 09.05.2016 nicht umgesetzt hat - das maßgebliche Entgelt (unter Berücksichtigung einer Einmalzahlung) für Juni 2014 iHv 5.567,53 € bei der Bemessung einzubeziehen und in 189 Tagen ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt von insgesamt 24.462,58 € erzielt worden ist, woraus sich – unabhängig von einer Anwendung von § 151 Abs. 4 SGB III - ein durchschnittliches tägliches Bemessungsentgelt iHv 129,43 € ergibt. Die Beklagte hat dies zugestanden und im Verhandlungstermin im Wege des Teilanerkenntnisses die angefochtenen Bescheide geändert und als Bemessungsentgelt 129,43 € zugrunde gelegt, woraus ein Leistungssatz von 53,08 € resultiert. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.

 

Die Beklagte beantragt im Übrigen,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 04.10.2017 zu ändern und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Der Bestandsschutz nach § 151 Abs. 4 SGB III bestehe unabhängig davon, ob das Bemessungsentgelt im Vorfeld zu hoch bestimmt worden sei. Die Beklagte habe von der Möglichkeit, Korrekturen im Hinblick auf die Höhe des Bemessungsentgeltes aus dem früheren Anspruch nach Maßgabe des § 45 SGB X vorzunehmen, keinen Gebrauch gemacht.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere hat die Beklagte nach Rücknahme der ursprünglich erhobenen Berufung rechtzeitig am 18.05.2018 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Zwar ist diese gem. 145 Abs. 1 Satz 2 SGG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen, indes lief diese Frist nicht, da die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Gerichtsbescheides unzutreffend ist. Die deshalb gem. § 66 Abs. 2 SGG maßgebliche Jahresfrist hat die Beklagte eingehalten.

 

Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat der auf die Gewährung höheren Arbeitslosengeldes gerichteten Klage zu Recht stattgegeben, weil sie begründet ist. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld für die streitige Zeit vom 04.03.2016 bis zum 03.05.2016 auf der Grundlage eines täglichen Bemessungsentgelts iHv 143,70 €.

 

1) Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 12.04.2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 03.05.2016 und vom 09.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2016 in der Fassung des im mündlichen Verhandlungstermin am 31.05.2021 abgegebenen und von dem Kläger angenommenen Teilanerkenntnisses, mit dem die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 04.03.2016 bis 03.05.2016 Arbeitslosengeld in Höhe eines täglichen Zahlbetrages von 53,08 € auf der Grundlage eines täglichen Bemessungsentgelts von 129,43 € bewilligt. In zeitlicher Hinsicht ist der Streitgegenstand auf den Zeitraum bis zum 03.05.2016 begrenzt, weil die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 04.05.2016 die ursprüngliche Bewilligung des Arbeitslosengeldes wegen Aufnahme einer Beschäftigung des Klägers ab dem 04.05.2016 aufgehoben hat. Das auf höhere Geldleistungen gerichtete Begehren verfolgt der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG). Die Klage ist auch ohne exakte Bezifferung des Klagebegehrens als Höhenstreit dem Grunde nach zulässig (vgl. nur BSG Urteile vom 21.06.2018 – B 11 AL 8/17 R und vom 07.05.2019 – B 11 AL 18/18 R).

 

2) Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf höheres Arbeitslosengeld vom 04.03.2016 bis 03.05.2016 auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts iHv 143,70 € statt lediglich iHv 129,43 €.

 

a) Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 04.03.2016. Er war im streitigen Zeitraum leistungsberechtigt (§§ 137, 138 SGB III), weil er ab dem 04.03.2016 beschäftigungslos und damit arbeitslos gewesen ist, sich bei der Beklagten arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit (§§ 142, 143 SGB III) erfüllt hat. Denn innerhalb der vom 21.05.2014 bis 03.03.2016 reichenden Rahmenfrist (§ 143 Abs. 1 und 2 SGB III) stand der Kläger mehr als zwölf Monate im Bezug von Krankengeld und damit in einem Versicherungspflichtverhältnis (§ 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III). Der Umstand, dass der Kläger wegen seiner fortdauernden Arbeitsunfähigkeit nach Lage der Akten im streitigen Zeitraum nur noch weniger als 15 Stunden wöchentlich arbeiten konnte und somit der Arbeitsvermittlung objektiv nicht zur Verfügung stand, ist unschädlich, da die Beklagte die Voraussetzungen für eine Nahtlosgewährung nach Maßgabe des § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III zutreffend bejaht hat.

 

b) Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger im streitigen Zeitraum vom 04.03.2016 bis 03.05.2016 Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines täglichen Bemessungsentgelts von 143,70 € zusteht.

 

Die Bemessung des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengeldes richtet sich nach § 149 SGB III sowie nach den §§ 150, 151 SGB III. Gemäß § 149 Nr. 2 SGB III beträgt das Arbeitslosengeld für Arbeitslose wie den kinderlosen Kläger 60% (allgemeiner Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der oder die Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Nach § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 150 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre erweitert, wenn u.a. der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält (§ 150 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III). Das Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag anfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, dass die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (§ 151 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Haben Arbeitslose innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs Arbeitslosengeld bezogen, ist Bemessungsentgelt mindestens das Entgelt, nach dem das Arbeitslosengeld zuletzt bemessen worden ist (§ 151 Abs. 4 SGB III).

 

Der Bemessungsrahmen umfasst gemäß § 150 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III den erweiterten Zeitraum von 04.03.2014 bis 03.03.2016 und der Bemessungszeitraum die Entgeltabrechnungszeiträume vom 01.04.2014 bis 06.10.2014, also 189 Tage, in denen der Kläger ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt von 24.462,58 € erzielt hat. Hieraus ergibt sich ein durchschnittliches tägliches Bemessungsentgelt iHv 129,43 €, woraus ein täglicher Leistungssatz iHv 53,08 € resultiert. Diesen Anspruch hat die Beklagte mit dem im mündlichen Verhandlungstermin am 31.05.2021 abgegebenen Teilanerkenntnisses anerkannt.

 

Für die Berechnung des dem Kläger ab dem 04.03.2016 zustehenden Arbeitslosengeldes ist dieser Betrag jedoch nicht relevant. Der Kläger kann sich auf § 151 Abs. 4 SGB III berufen.

 

Allerdings ist das dem Kläger mit Bescheid vom 20.06.2014 für die Zeit ab dem 21.05.2014 und damit innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem 04.03.2016 bewilligte Arbeitslosengeld nach einem täglichen Bemessungsentgelt iHv 143,70 € fehlerhaft berechnet worden. Der Monat Mai 2013 hätte nicht einbezogen werden dürfen, weil dieser nicht vollständig im vom 17.05.2013 bis 16.05.2014 währenden Bemessungsrahmen lag (BSG Urteil vom 08.07.2009 – B 11 AL 14/08 R) und der Monat Mai 2014 hätte nicht einbezogen werden dürfen, weil dieser erst im Folgemonat Juni 2014 abgerechnet worden ist. Der Kläger hatte damit im Bemessungsrahmen an 334 Tagen ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 42.873,08 € erzielt, so dass das zutreffende Bemessungsentgelt täglich 128,36 € betrug. Die Bestandsschutzregelung des § 151 Abs. 4 SGB III kommt folglich nur zur Anwendung, wenn die Beklagte als Bemessungsentgelt hier 143,70 € statt der (mittlerweile anerkannten) 129,43 € zugrunde legen muss. Dies ist der Fall.

 

Der Anwendung von § 151 Abs. 4 SGB III steht nicht entgegen, dass es sich bei der damaligen Bewilligung von Arbeitslosengeld um eine Gleichwohlgewährung nach § 157 Abs. 3 SGB III gehandelt hat und der Leistungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte wegen dessen Anspruch gegen seinen früheren Arbeitgeber auf Arbeitsentgelt nach § 157 Abs. 1 SGB III eigentlich ruhte. Die Bestandsschutzregelung des § 151 Abs. 4 SGB III ist anwendbar, wenn innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des streitbefangenen Anspruchs auf Arbeitslosengeld ein Stammrecht auf diese Leistung entstanden ist (BSG Urteil vom 07.05.2019 – B 11 AL 18/18 R).

 

Auch ein rechtswidrig zu hoch festgesetztes Bemessungsentgelt entfaltet im Rahmen des § 151 Abs. 4 SGB III Bindungswirkung, solange und soweit der frühere Bewilligungsbescheid hinsichtlich der Höhe des Arbeitslosengeldes nicht mit Wirkung für die Vergangenheit oder die Zukunft aufgehoben worden ist (ebenso LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 19.12.2018 – L 18 AL 56/17, LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 31.05.2006 – L 7 AL 161/03; ebenso Mutschler in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 6. Aufl. 2019, § 151 SGB III Rn. 22; Brackelmann in: jurisPK-SGB III, § 151 Rn. 32; Behrend in: Eicher/Schlegel, SGB III, § 151 Rn. 112; Lüdtke/Steinecke in: Böttinger/Körtek/Schaumberg, SGB III, 3. Aufl. 2019, § 151 Rn. 10; Michalla-Munsche in: BeckOK SozR, § 151 SGB III Rn. 25; aA LSG Schleswig-Holstein Urteil vom 26.09.2008 – L 3 AL 81/07; Rolfs in: Gagel, SGB II/SGB III, § 151 SGB III Rn. 35a; Brand in: Brand, SGB III, 8. Aufl. 2018, § 151 Rn. 22). Dies ergibt sich aus Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck des § 151 Abs. 4 SGB III.

 

Der Wortlaut ordnet die Bemessung des aktuellen Arbeitslosengeldes nach dem letzten Bescheid tatsächlich zu Grunde gelegten Arbeitsentgelt an. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass § 151 Abs. 4 SGB III insofern einschränkend zu lesen wäre, dass nur rechtmäßig für die Bemessung herangezogenes Entgelt hätte berücksichtigt werden dürfen (LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 19.12.2018 – L 18 AL 56/17; Lüdtke/Steinecke in: Böttinger/Körtek/Schaumberg, SGB III, 3. Aufl. 2019, § 151 Rn. 10).

 

Maßgeblich streiten auch Sinn und Zweck des § 151 Abs. 4 SGB X für die hier vertretene Auslegung der Vorschrift. Die leistungsberechtigte Person soll keine Nachteile dadurch erleiden, dass sie zur Beendigung ihrer Arbeitslosigkeit eine Beschäftigung mit einem niedrigeren Entgelt aufnimmt, als es der (ursprünglichen) Bemessung des Arbeitslosengeldes zu Grunde lag. Dies greift auch für eine frühere rechtswidrige Bemessung, solange der frühere Bewilligungsbescheid nicht aufgehoben worden ist (LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 19.12.2018 – L 18 AL 56/17). Dass der Kläger vorliegend seine Tätigkeit bei demselben Arbeitgeber nach Rücknahme der fristlosen Kündigung ohne Änderung des Arbeitsvertrags fortgesetzt hat, ändert nichts an der Anwendbarkeit des § 151 Abs. 4 SGB III, weil Sinn und Zweck einer Regelung abstrakt bestimmt werden und eine mögliche Atypik im konkreten Einzelfall nicht zu einer (ebenfalls notwendig abstrakten) teleologischen Reduktion der gesetzlichen Vorschrift führen kann. Ferner ist der Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung zu berücksichtigen, da sowohl die Beklagte als auch die arbeitslose Person durch den Vergleich des Bemessungsentgelts aus dem Vorbezug mit demjenigen aus dem neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld leicht feststellen können, ob der Bestandsschutz des § 151 Abs. 4 SGB III greift oder nicht. Die von der Beklagten angeführte Perpetuierung eines rechtswidrigen Zustands wird daher vom Gesetz gerade angeordnet.

 

Die Bindungswirkung an das frühere Bemessungsentgelt kann nicht mit der Begründung negiert werden, die Höhe des Bemessungsentgelts sei nur ein Begründungselement der Leistungsgewährung und nehme nicht an der Bindungswirkung des Bewilligungsbescheides teil (so aber LSG Schleswig-Holstein Urteil vom 26.09.2008 – L 3 AL 81/07). Denn es handelt sich bei § 151 Abs. 4 SGB III insoweit um eine Sonderregelung dergestalt, dass der frühere Bewilligungsbescheid hinsichtlich des dort festgestellten Bemessungsentgelts eine Feststellungswirkung entfaltet. Daraus folgt, dass die Bindungswirkung des § 151 Abs. 4 SGB III nur gelöst werden kann, wenn die Bundesagentur für Arbeit den maßgeblichen vorherigen Bewilligungsbescheid hinsichtlich der Höhe des Arbeitslosengeldes nach Maßgabe der §§ 44 ff. SGB X aufhebt. Dies ist hier nicht erfolgt. Insbesondere kann sich die Beklagte insoweit nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe die ursprüngliche Bewilligung des Arbeitslosengeldes an den Kläger mit Bescheid vom 18.06.2014 mit Wirkung ab diesem Tag aufgehoben. Diese Aufhebung bezog sich nicht auf die Höhe des Arbeitslosengeldes, sondern den Anspruch dem Grunde nach und erfasste nur die Zukunft, weil der Kläger seine Beschäftigung bei seinem früheren Arbeitgeber wieder aufnahm.

 

Hiergegen lässt sich nicht einwenden, die Bindungswirkung des § 151 Abs. 4 SGB III könne nicht weiterreichen, als ein Vertrauensschutz im Rahmen der §§ 45, 48 SGB X, der sich im Wesentlichen auf vergangene Ansprüche, nicht aber laufende Leistungen beziehe. Die Nichtberücksichtigung eines rechtswidrig zu hoch festgestellten Bemessungsentgelts würde dazu führen, dass einer leistungsberechtigen Person ihr Bestandsschutz bei Entstehung des neuen Stammrechts wieder entzogen würde, obwohl die materiell rechtswidrige Höhe des Arbeitslosengeldes aus dem vorherigen Anspruch für die Beklagte bindend geworden ist und die Beklagte von einer seinerzeit gegebenen Korrekturmöglichkeit nach Maßgabe des § 45 SGB X keinen Gebrauch gemacht hat oder machen konnte.

 

Schließlich kann die Rechtsauffassung der Beklagten auch nicht auf eine Anwendung des Rechtsgedankens des § 48 Abs. 3 SGB X („Abschmelzung“) gestützt werden, weil dieser Regelung andere Sachverhalte als die des § 151 Abs. 4 SGB III zu Grunde liegen und damit für eine einschränkende Auslegung dieser speziellen Bestandsschutzregelung nicht geeignet ist.

 

3) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

 

4) Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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