L 9 KR 311/19

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 22 KR 166/17
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 9 KR 311/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein im Freiburger Sprachtest ermitteltes und lediglich um 5%-Punkte besseres Sprachverstehen für ein aufzahlungspflichtiges Hörgerät stellt die nach diesem Sprachtest geringstmögliche objektivierbare Abweichung dar und rechtfertigt für sich genommen regelmäßig nicht die Annahme eines wesentlichen Gebrauchsvorteils des aufzahlungspflichtigen Hörgeräts gegenüber einem aufzahlungsfreien Hörgerät.

2. Mehrkosten, die die Kosten für das aufzahlungsfreie Hörgerät um ein Vielfaches (hier: um das 3-fache) übersteigen, sind in einem solchen Fall als unverhältnismäßiger Mehraufwand einzuschätzen.

 

Bemerkung

Krankenversicherung - Hilfsmittelversorgung - aufzahlungspflichtiges Hörgerät - 5%-Punkte besseres Sprachverstehen nach dem Freiburger Sprachtest - wesentlicher Gebrauchsvorteil - unverhältnismäßiger Mehraufwand

   
   
 

 

      1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 17. Juni 2019 wird zurückgewiesen.
      2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
      3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten der Hörgeräteversorgung des Klägers in Höhe von 4.862,00 €.

 

Der 1960 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er ist Handwerksmeister und Inhaber eines Betriebes im Bereich Gas, Sanitär und Bau. Er leidet an einer pantotalen Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits; eine Hörgeräteversorgung erfolgt seit dem Jahr 2001. Bei ihm sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen RF anerkannt.

 

Einen vom Kläger am 19. Februar 2016 beim beigeladenen Rentenversicherungsträger gestellten - und auf die Versorgung mit neuen Hörhilfen beidseits gerichteten - Antrag auf Leistungen zur Teilhabe leitete dieser mit Schreiben vom 29. Februar 2016 mit der Begründung an die Beklagte weiter, besondere berufliche Anforderungen an das Hörvermögen des Klägers seien nicht ersichtlich, so dass ein berufsbedingter Mehrbedarf und damit eine Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers nicht gegeben seien.

 

Am 7. März 2016 verordnete der behandelnde Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. Z.... zwei Hörhilfen. Bereits zuvor am 3. Februar 2016 hatte die Hörgeräte-akustik-Meisterin Y.... eine Hörgeräteanpassung vorgenommen. Ausweislich des am 10. März 2016 ausgefertigten Anpassberichts war die Anpassung von insgesamt vier Hörgeräten erfolgt, u. a. mit Hörgeräten vom Typ Phonak Bolero V90-SP (aufzahlungspflichtig) und Hansaton Flow2-675 (aufzahlungsfrei). Die Ergebnisse des Freiburger Sprachtests waren für das aufzahlungspflichtige Hörgerät im Freifeld mit 65dB Nutzschall mit einem Sprachverstehen von 90 % und im Freifeld mit 65dB Nutzschall und 60dB Störschall von 80% dokumentiert; für das aufzahlungsfreie Gerät war das Sprachverstehen mit 80% und 50% angegeben. Ausweislich des ebenfalls am 10. März 2016 für den Kläger ausgestellten Kostenvoranschlags beliefen sich Kosten für die Versorgung mit zwei Hörgeräten vom Typ Phonak Bolero V90-SP nebst Zubehör auf insgesamt 6.246,02 €, abzüglich eines Kassenanteils von 1.534,02 € und zuzüglich einer gesetzlichen Zuzahlung von 20,00 € auf einen auf den Kläger entfallenden Eigenanteil von insgesamt 4.732,00 €. Ausweislich eines über ein Telefonat zwischen der Leistungserbringerin und der Beklagten am 23. März 2016 geführten Telefonats gefertigten Aktenvermerks seien im Anpassbericht für das aufzahlungspflichtige Hörgerät im Störschall versehentlich 80% anstelle der gemessenen 70% dokumentiert. Man werde entsprechend den vertraglichen Vorgaben zudem ein anderes aufzahlungsfreies Gerät anbieten und den neuen Anpassbericht nachreichen. Zugleich teilte die Leistungserbringerin mit, der Kläger entscheide sich für die Versorgung mit den Hörgeräten vom Typ Phonak Bolero V90-SP. In dem daraufhin am 30. März 2016 angefertigten "korrigierten" Anpassbericht (über eine bereits am 3. Februar 2016 durchgeführte Hörgeräteanpassung) war die Anpassung von insgesamt vier Hörgeräten erfolgt, u. a. mit Hörgeräten vom Typ Phonak Bolero V90-SP (aufzahlungspflichtig) und Phonak Baseo Q15-SP (aufzahlungsfrei). Die Ergebnisse des Freiburger Sprachtests waren für das aufzahlungspflichtige Hörgerät nunmehr im Freifeld mit 65dB Nutzschall mit einem Sprachverstehen von 90 % und im Freifeld mit 65dB Nutzschall und 60dB Störschall von 70% dokumentiert; für das aufzahlungsfreie Gerät war das Sprachverstehen mit 85% und 65% angegeben.

 

Mit Bescheid vom 31. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2017 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie beteilige sich an den Kosten für die Hörgeräteversorgung mit insgesamt 1.514,02 € (zur Aufteilung der einzelnen Positionen wird auf Bl. 27 der Verwaltungsankte Bezug genommen); die gesetzliche Zuzahlung von 20,00 habe der Kläger unmittelbar an die Hörgeräteakustikerin zu zahlen. Zur Begründung führte sie aus, unter Berücksichtigung der Vorgaben aus §§ 33 und 36 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss über die Versorgung mit Hilfsmitteln (HilsfM-RL) und des zwischen der Bundesinnung für Hörgeräteakustiker und den Ersatzkassen geschlossenen und zum 1. Juli 2015 in Kraft getretenen Vertrags zur Komplettversorgung mit Hörhilfen (biha-Vertrag - bihaV) erfülle sie ihre Pflicht zur Versorgung des Klägers mit aufzahlungsfreien Hörgeräten (sog. Festbetragsgeräten). Damit sei ein ausreichender, zweckmäßiger und wirtschaftlicher Behinderungsausgleich gewährleistet. Nach dem bihaV gingen die Vertragsparteien bei Durchführung des Freiburger Sprachtests von einer Messtoleranz bzw. -ungenauigkeit von 5% aus. Genau in diesem Rahmen bewege sich der Unterschied im Sprachverstehen zwischen dem favorisierten aufzahlungspfilchtigen und dem ausreichenden aufzahlungsfreien Hörgerät. Das gewählte höherpreisige Gerät verfüge über eine Vielzahl von Komformodulen (AutoSense OS, Speech in Wind, DuoPhone, UltraZoom Premium, FelexControl und FlexVolume, Real Ear Sound, WindBlock und EchoBlock, SoundRelax, QuickSync und SelfLearning), welche für den funktionellen Ausgleich des Hörverlusts nicht erforderlich seien und das Maß des Notwendigen überschritten. Diese Zusatz-Komfortfunktionen seien nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen.

 

Hiergegen hat der Kläger am 30. März 2017 Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben. Nach den gesetzlichen Anspruchsgrundlagen im SGB V und im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sowie nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätzen habe er gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf bestmögliche Versorgung mit Hörhilfen. Insbesondere auf Grund der besonderen Kommunikationsanforderungen in seinem Beruf seien die Festbetragsgeräte nicht ausreichend. Zur Fortführung seiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit sei er auf die gewählten – und zwischenzeitlich selbstbeschafften (Rechnung vom 28. April 2016) – Hörgeräte vom Typ Phonak Bolero V90-SP angewiesen. Dies habe der mehrtägige Praxistest mit den unterschiedlichen angepassten Hörgeräten ergeben. Er verbringe 80% seiner Arbeitszeit auf Baustellen, führe alle Arten von Baubesprechungen (Einweisung der Mitarbeiter, Bauberatung mit Auftraggebern, Eigentümern, Architekten, weiteren Lieferanten und Gewerken etc.) durch und arbeite zudem selbst als Installateur mit. Er müsse häufig Geschäftstelefonate führen, mitunter auch während Autofahrten. Das von ihm selbst beschaffte Gerät habe dabei den Vorteil, dass es die Fahr- und Hintergrundgeräusche vollständig ausblende.

 

Mit Urteil vom 17. Juni 2019 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung u. a. ausgeführt:

 

"Begrenzt ist der Anspruch auf eine Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V. Die Leistungen müssen danach ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten; Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Dabei stellt die hier geltende und auf § 36 SGB V beruhende Festbetragsregelung - die nach § 127 Abs. 4 SGB V die maßgebliche Vorgabe für den vom Verband der Beklagten mit der Hörgeräteakustikerinnung geschlossenen und durch § 127 SGB V zugelassenen Versorgungsvertrag darstellt - eine besondere und zulässige Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots dar, das eine entsprechende Begrenzung des Leistungsumfangs rechtfertigt, sofern eine ausreichende Versorgung zum Festbetrag nicht unmöglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R ; Hessisches LSG, Urteil vom 24. Juli 2014 - L 8 KR 352/11 ; Thüringer LSG, Urteil vom 25. März 2014 - L 6 KR 1802/11). Demzufolge verpflichtet auch § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist (vgl. wiederum BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R , BSGE 113, 40 m.w.N. aus der st. Rspr.); Mehrkosten sind andernfalls von dem jeweiligen Versicherten selbst zu tragen (§ 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V). Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der GKV ist eine kostenaufwändigere Versorgung (nur) dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet. Keine Leistungspflicht besteht dagegen für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Dasselbe gilt für lediglich ästhetische Vorteile. Weitere Grenzen der Leistungspflicht können schließlich berührt sein, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht.

 

Nach diesen Grundsätzen zur Versorgung Versicherter mit Hilfsmitteln zum Ausgleich von Behinderungen und vor dem Hintergrund der Feststellungen der Sachverständigen, dass zum Vertragspreis eine geeignete Versorgungsmöglichkeit zur Verfügung stand, kann der Kläger die Kostenübernahme nicht verlangen. Bei den von der Hörgeräteakustikerin des Klägers vorgenommenen Vergleichsmessungen ergab sich objektiv messbar kein wesentlicher Gebrauchsvorteil bei Nutzung des gewählten zuzahlungspflichtigen Hörgerätes. Mit den gewählten Geräten Phonak Bolero V90-SP als einem damaligen Spitzenprodukt des Herstellers erreichte der Kläger in der Freifeldmessung bei 65 dB Nutzschall ein Sprachverstehen von 90 %, unter Störschall 60 dB noch 70 %. Mit dem zuzahlungsfreien Gerät Phonak Baseo Q15-SP lagen die Werte bei 85 % bzw. 65 % und damit – freilich unter Laborbedingungen – jeweils nur 5 %, d. h. lediglich im indifferenten Schwankungsbereich von 1/20, schlechter. Diese Messergebnisse im anerkannten Freiburger Sprachtest belegen zur Überzeugung der Kammer, dass in alltäglichen Situationen mit dem zuzahlungsfreien Hörgerät gleichwertige Ergebnisse erzielt werden. Ein deutlicher Hörgewinn mit dem zuzahlungspflichtigen gegenüber dem zuzahlungsfreien Hörgerät ist damit nicht belegt. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass der Kläger selbst mit der gewählten aufwendigen Hörgerätevariante nicht das Hörvermögen Gesunder zu erreichen vermag, und vermag sein Bestreben um weitestgehend mögliche Kompensation seiner Beeinträchtigung im Rahmen der technischen Möglichkeiten auch unter Inkaufnahme erheblicher Mehrkosten vollkommen nachzuvollziehen. Objektiv erscheinen für die Kammer anhand der allein maßgeblichen Messergebnisse jedoch beide Geräte als im Kern technisch gleichwertig und lediglich durch den bei dem gewählten – etwa drei Mal teureren als die alternative Festpreisversorgung – Spitzengerät durch Zusatz- und Automatikfunktionen gesteigerten Alltagskomfort bei der Nutzung verschieden an. Ein höherwertiges und zugleich – wie hier - auch höherpreisiges Hörgerät ist jedoch nur dann grundsätzlich erforderlich im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wenn und soweit es nach dem Stand der Medizintechnik gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt, nicht aber bei gleicher Hörleistung lediglich die technische Handhabung des Hörgerätes – wie hier durch automatische Programmfunktionen an Stelle manueller Einstellung und Zusatzfunktionen wie Bluetooth-Kopplung – erleichtert. Es besteht nämlich keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels (BSGE 93, 183). Im Ergebnis entspricht diese Beschränkung des Leistungsumfangs auch dem Solidarprinzip als Grundlage einer nachhaltig aus dem Beitragsaufkommen der Arbeitgeber und Versicherten finanzierbaren Gesundheitsversorgung: Besondere Komfortansprüche über eine funktionell gleichwertige Hilfsmittelversorgung hinaus werden gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1, 12 SGB V der privaten Eigenverantwortung zugewiesen und damit nicht durch Beiträge etwa auch der Versicherten mit individuell niedrigeren Ansprüchen finanziert, § 3 SGB V. Mittelbar kommt damit auch dem Kläger als wirtschaftlich leistungsfähigem Beitragszahler jene kostendämpfende Leistungsbeschränkung zugute.

 

Es besteht auch kein Anspruch gegen die Beklagte nach den für die Beigeladene maßgeblichen Rechtsvorschriften (§ 14 Abs. 1 SGB IX). Denn eine besondere berufliche Betroffenheit des Klägers vermochte die Kammer nicht festzustellen. Nach § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 SGB IX in Verbindung mit § 16 SGB VI gehört zu den Rehabilitationsleistungen der Rentenversicherungsträger, zu deren Prüfung die Beklagte als zweitangegangener Leistungsträger hier verpflichtet war, auch die Übernahme von Kosten für Hilfsmittel, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufsausübung, zur Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Erhöhung der Sicherheit auf dem Weg vom und zum Arbeitsplatz und am Arbeitsplatz erforderlich sind, es sei denn, dass eine Verpflichtung des Arbeitgebers besteht oder solche Leistungen als medizinische Leistung erbracht werden können. Auch medizinische Hilfsmittel können dabei als Teilhabeleistungen erbracht werden. Die Abgrenzung zwischen dem Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits und der gesetzlichen Rentenversicherung andererseits hat danach zu erfolgen, ob das Hilfsmittel dem medizinischen Ausgleich der Behinderung dient oder ob es ausschließlich für Verrichtungen bei bestimmten Berufen oder Berufsausbildungen benötigt wird. Ein „höherwertiges“ Hörgerät ist immer dann notwendig, wenn der Versicherte in seinem Beruf auf eine besonders gute Hörfähigkeit angewiesen ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 21.08.2008 - B 13 R 33/07 - Randnr. 48). Für das Erfordernis einer besonders guten Hörfähigkeit im Beruf werden z. B. akustische Kontroll- oder Überwachungsarbeiten genannt oder das feinsinnige Unterscheiden zwischen bestimmten Tönen oder Klängen (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 19.04.2011 - 11 R 48/08). Die durch den Kläger in der mündlichen Verhandlung für die Kammer eindrücklich beschriebenen Bedingungen seiner Berufsausübung, die insbesondere durch unterschiedliche Hörsituationen mit wechselnden, teils hohen Störgeräuschpegeln auch bei Gruppengesprächen mit Mitarbeitern, Kunden und Bauleitern sowie Architekten auf Baustellen, bei Autofahrten und bei gerichtsfester Protokollierung von Absprachen und Erklärungen einerseits und der Vermeidung und Bewältigung von Gefahrensituationen auf Baustellen gekennzeichnet ist, begründen aus Sicht der Kammer keine besondere berufliche Betroffenheit des Klägers. Nach den im Klageverfahren durchgeführten Ermittlungen, insbesondere aufgrund der beigezogenen Anpassungsunterlagen steht im Gegenteil zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger auch mit den zuzahlungsfreien Hörgeräten PHONAK Baseo Q15-SPin der Lage wäre, seine aktuelle Erwerbstätigkeit uneingeschränkt auszuüben, denn es treten dabei keine außergewöhnlichen Hörsituationen auf, die eine über das normale Maß notwendige Versorgung erforderlich machten (vgl. auch Urteil des Sächsischen LSG vom 29.04.2014, L 5 R 680/13). Denn zum einen wäre der Kläger nach den objektiven Messergebnissen auch mit dem getesteten zuzahlungsfreien Gerät in der Lage, etwa Warnrufe oder andere Gefahrensignale auf einer Baustelle zu vernehmen und zu orten. Im Übrigen erscheinen Gespräche mit mehreren Personen, fehlerfreies Hören auch in einer größeren Menschenansammlung, Gespräche am Telefon und ggf. auch Telefonate während des Autofahrens als übliche Situationen, die nach der Erfahrung der Kammer in den meisten beruflichen Tätigkeiten und im Privatleben auftreten. Es ist für die Kammer daher nicht ersichtlich, dass der Kläger in seiner konkreten beruflichen Tätigkeit auf eine besondere bzw. spezielle Hörfähigkeit - wie etwa bei akustischen Kontroll- oder Überwachungsarbeiten - angewiesen wäre. Auch das zuzahlungsfreie Phonak Baseo Q15-SP verfügt über mehrere – allerdings nur manuell wählbare - Hörprogramme, die entsprechend der unterschiedlichen Hörsituationen vom Akustiker vorkonfiguriert werden können, sowie über eine Rückkopplungs- und Störgeräuschunterdrückung. Damit sind auch die Voraussetzungen der § 33 Abs. 3 Nr. 6 und Abs. 8 Nr. 4 SGB IX, § 16 SGB VI nicht erfüllt."

 

Mit seiner am 13. November 2019 eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehr unter Wiederholung und Vertiefung seiner bisherigen Argumentation sein Begehr weiter. Ergänzend führt er aus, der Freiburger Sprachtest sei äußerst kritikbehaftet. Er finde unter Laborbedingungen statt und berücksichtige daher nicht oder nur sehr unzureichend seine persönlichen Eindrücke im Verlauf der Testphase außerhalb des Labors.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 17. Juni 2019 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2017 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Versorgung mit dem Hörgerät vom Typ Phonak Bolero V90-SP gemäß der Rechnung des Hörgeräteakustikers Y.... vom 28. April 2016 abzüglich des bereits mit Bescheid vom 31. März 2016 geleisteten Anteils der Beklagten in voller Höhe zu erstatten.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

 

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

 

Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter zugestimmt (§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Akte der Beklagten Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Streitgegenstand ist der Anspruch des Klägers auf Erstattung der den Festbetrag (§ 36 SGB V) übersteigenden Kosten der selbstbeschafften Hörgeräte vom Typ Phonak Bolero V90-SP entweder durch die beklagte Krankenkasse oder den beigeladenen Rentenversicherungsträger. Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger weder nach dem für die Beklagte noch dem für die Beigeladene maßgeblichen Leistungsrecht einen Sachleistungs- bzw. hieraus abgeleiteten Kostenerstattungsanspruch hinsichtlich des den Festbetrag der Hörhilfeversorgung übersteigenden Rechnungsbetrags hat.

 

Grundlage des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs gegen die Beklagte als zuständiger Krankenversicherungsträger ist § 13 Abs. 3 S 1 Fall 2 SGB V. Danach gilt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Erstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender - primärer - Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben Der Anspruch ist demgemäß gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R - juris Rn. 28). Eine entsprechende Regelung über trägerübergreifende Kostenerstattungsansprüche für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation enthält (bzw. enthielt in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung) § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX. Diese Voraussetzungen wären nur erfüllt, wenn die Beklagte ihre Leistungspflicht nach dem Leistungsrecht des SGB V zu Unrecht auf den Festbetrag begrenzt und die vollständige Erfüllung des gegebenen Leistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall, weil dem Kläger kein krankenversicherungsrechtlicher Anspruch auf die angepasste "Primärversorgung" zustand.

 

Es ist bereits fraglich, ob der für einen Kostenerstattungsanspruch erforderliche Ursachenzusammenhang vorliegt oder der geltend gemachte Erstattungsanspruch vielmehr bereits an einer - auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten Beratungs- und Beschaffungsweg im Bereich der Hörgeräteversorgung gegebenen - anspruchsschädlichen Vorfestlegung des Klägers im Sinne der Nichteinhaltung des Beschaffungsweges scheitert. Die Kostenbelastung muss in dieser Fallgruppe nämlich wesentlich auf der Versagung der Leistung durch den Träger beruhen. An dieser Kausalität fehlt es etwa, wenn der Leistungsträger vor der Inanspruchnahme der Versorgung mit dem Leistungsbegehren nicht befasst worden ist, obwohl dies möglich gewesen wäre, oder wenn der Versicherte von vorneherein auf ein bestimmtes Hilfsmittel festgelegt war. Selbst beschafft im Sinne des § 13 Abs. 3 SGB V ist ein Hilfsmittel zwar nicht schon mit dessen Auswahl. Die Auswahl ist dem Verfahren zur Bewilligung des Hilfsmittels vorgeschaltet. Entscheidend ist ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft zwischen Leitungserbringer und Versichertem. Im Bereich der Versorgung mit Hörhilfen ist ein Ursachenzusammenhang noch gegeben, wenn der Versicherte sich erst nach der Lieferung und Anpassung des Geräts an die Krankenkasse wendet, was mit der an den medizinisch-technischen Notwendigkeit orientierten Praxis in diesem Bereich begründet wird, nach der die Krankenkasse über einen Versorgungsantrag in der Regel erst entscheidet, wenn sich der Versicherte ggf. nach Erprobung mehrerer Geräte für ein bestimmtes Gerät entschieden hat. Anders ist es dann, wenn der Versicherte bereits vor der Entscheidung der Kasse eine endgültige rechtliche Verpflichtung eingeht und der Leistungserbringer auch im Fall der Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse die Abnahme und Zahlung des Hilfsmittels verlangen kann (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. März 2021 - L 26 KR 228/19 - juris Rn. 55). Hier hatte sich der Kläger ausweislich des Aktenvermerks über das zwischen der Hörgeräteakustikerin und der Beklagten geführten Telefongesprächs vom 22. März 2016 bereits zu diesem Zeitpunkt für das Hörgerät vom Typ Phonak Bolero V90-SP entschieden. Entsprechend findet sich auf der Rechnung der Hörgeräteakustikerin vom 28. April 2016 der Bezug " Leistungsmonat März 2016", so dass insgesamt Vieles dafür spricht, dass sich der Kläger gegenüber der Hörgeräteakustikerin bereits vor der Bescheiderteilung seitens der Beklagten am 31. März 2016 rechtsverbindlich verpflichtet hatte, das begehrte Hörgerät zu erwerben.

 

Ungeachtet dessen scheitert der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch vorliegend jedenfalls daran, dass sich der Kläger für die durchgeführte Versorgung nicht auf einen entsprechenden Sachleistungsanspruch gegenüber der Beklagten berufen kann. Der geltend gemachte Sachleistungsanspruch richtet sich materiell-rechtlich primär nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, wenn sie erstens nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs. 4 SGB V aus der GKV-Versorgung ausgeschlossen und zweitens im Einzelfall erforderlich sind, um entweder den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Demgemäß besteht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ein Anspruch auf Hörhilfen, die kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und nicht nach § 34 Abs. 4 SGB V aus der GKV-Versorgung ausgeschlossen sind und weder der Krankenbehandlung noch der Vorbeugung einer Behinderung dienen, soweit sie im Rahmen des Notwendigen und Wirtschaftlichen (§ 12 Abs. 1 SGB V) für den von der Krankenkasse geschuldeten Behinderungsausgleich erforderlich sind. Der von den Krankenkassen geschuldete Behinderungsausgleich bemisst sich entscheidend danach, ob eine Leistung des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs beansprucht wird. Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Beschränkter sind die Leistungspflichten der GKV, wenn die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der beeinträchtigten Körperfunktion nicht oder nicht ausreichend möglich ist und deshalb Hilfsmittel zum Ausgleich von direkten und indirekten Folgen der Behinderung benötigt werden (sog mittelbarer Behinderungsausgleich). Dann sind die Krankenkassen nur für einen Basisausgleich von Behinderungsfolgen eintrittspflichtig. Es geht hier nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüberhinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (zum Ganzen: BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - juris Rn. 14 ff.).

 

Die Versorgung mit Hörgeräten dient dem unmittelbaren Behinderungsausgleich. Begrenzt ist der vorstehend umrissene Anspruch auf eine Hörhilfeversorgung nach § 33 SGB V durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V. Die Leistungen müssen danach "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein" und dürfen "das Maß des Notwendigen nicht überschreiten"; Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Demzufolge verpflichtet auch § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist; Mehrkosten sind andernfalls selbst zu tragen (§ 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V). Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der GKV ist eine kostenaufwändige Versorgung dagegen dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet. Das gilt bei Hilfsmitteln zum unmittelbaren Behinderungsausgleich insbesondere durch Prothesen für grundsätzlich jede Innovation, die dem Versicherten in seinem Alltagsleben deutliche Gebrauchsvorteile bietet. Keine Leistungspflicht besteht dagegen für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Dasselbe gilt für lediglich ästhetische Vorteile. Desgleichen kann eine Leistungsbegrenzung zu erwägen sein, wenn die funktionalen Vorteile eines Hilfsmittels ausschließlich in bestimmten Lebensbereichen zum Tragen kommen. Weitere Grenzen der Leistungspflicht können schließlich berührt sein, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht (BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 – B 3 KR 5/12 R – juris Rn. 34).

 

Diese aus dem Leistungsrecht des SGB V und der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung hergeleiteten und bei der Versorgung mit Hörhilfen zu beachtenden Grundsätze haben auch Eingang in den die Rechtsbeziehungen zwischen den Hörgeräteakustikern und den Ersatzkassen regelnden bihaV (hier: in der Fassung ab 1. Juli 2015) gefunden. Hier findet sich in § 6 (Vergütung) unter Ziffer 4. u. a. folgende Regelung:

 

"Die Erhebung eines Eigenanteils/einer Aufzahlung gegenüber den Versicherten der Ersatzkasse für die Versorgung mit Hilfsmitteln gemäß dieses Vertrages durch den Mitgliedsbetrieb, ist mit Ausnahme der gesetzlich vorgeschriebenen Zuzahlung unzulässig. Wünscht der Versicherte trotz ausführlicher Beratung durch den Mitgliedsbetrieb eine höherwertige Versorgung als für den unmittelbaren Behinderungsausgleich im Sinne des Vertrages notwendig und vertraglich vereinbart, ist die Aufzahlung von ihm selbst zu leisten. Im Fall einer höherwertigen Versorgung hat der Mitgliedsbetrieb den Versicherten zu informieren, dass die Ersatzkasse diese Mehrkosten einschließlich der ggf. höheren Reparaturleistungen nicht übernimmt. Eigenwünsche des Versicherten, die nicht der Leistungspflicht der Krankenkassen unterliegen, können nur mit dem Versicherten abgerechnet werden."

 

In Anlage 1 (Versorgung der schwerhörigen Erwachsenen mit Ausnahme der an Taubheit grenzend Schwerhörigen) finden sich in § 3 (Leistungsumfang) u. a. folgende Regelungen:

 

"Ziffer 1

Der Versicherte erhält für seine Hörsituation mindestens ein individuell geeignetes aufzahlungsfreies Versorgungsangebot (= ohne wirtschaftliche Aufzahlung, ausgenommen der gesetzlichen Zuzahlung) mit volldigitalen Hörsystemen (Hörsysteme mit digitaler Signalverarbeitung) entsprechend dem festgestellten Hörverlust einschließlich der erforderlichen Otoplastik. Mit dem angebotenen Hörsystem ist das im Sprachaudiogramm ermittelte maximale Sprachverstehen (dBopt mit Freiburger Sprachtest gemessen mit Kopfhörern) - soweit möglich - zu erreichen. Hierzu hält der Mitgliedsbetrieb ein ausreichendes Sortiment von aufzahlungsfreien Angeboten zum bestmöglichen Ausgleich des Hörverlustes vor.

...

Ziffer 9

Sofern der Versicherte nach der Anpassung der angebotenen aufzahlungsfreien Versorgung (siehe Abs. 1) eine Mehrausstattung wählt, die nicht dem Ausgleich der Hörbehinderung im Sinne des Erreichens des maximalen Sprachverstehen (bei dBopt) gemäß Abs.1 – soweit möglich - dient, fällt diese nicht in die Leistungspflicht der Ersatzkasse. Dies ist gemäß § 6 zu dokumentieren. Der Mitgliedsbetrieb kann dem Versicherten die Mehrkosten gemäß § 33 Abs.1 S.5 SGB V in Rechnung stellen. Wird bei der vergleichenden Anpassung nach § 5 Abs. 1 mit dem aufzahlungspflichtigen Hörgerät ein besseres Sprachverstehen erzielt, so muss ein weiteres aufzahlungsfreies Hörgerät zum Erreichen eines möglichst weitgehend gleichen Sprachverstehens getestet werden (Messtoleranz 5 % Punkte). Verfügt der Mitgliedsbetrieb über kein geeignetes weiteres Hörgerät in seinem Sortiment, ist das vergleichend angepasste aufzahlungspflichtige Hörgerät zum Vertragspreis abzugeben."

 

Das erkennende Gericht geht – mangels entgegenstehender Anhaltspunkte – davon aus, dass sich die Hörgeräteakustikern Y.... bei der streitgegenständlichen Versorgung des Klägers an diese vertraglichen Vorgaben gehalten hat. Auch wenn diese vertraglichen Vorgaben den Leistungsanspruch des Versicherten gegenüber seiner Krankenkasse nicht betreffen/begrenzen, weist der Umstand, dass die Hörgeräteakustikerin Y.... dem Kläger mit Rechnung vom 28. April 2016 insgesamt 4.862,00 € "Mehrkosten" in Rechnung gestellt hat, darauf hin, dass sie dies zulässigerweise nur deshalb verlangen durfte, weil sich der Kläger mit dem Hörgerät vom Typ Phonak Bolero V90-SP für eine "höherwertige Versorgung als für den unmittelbaren Behinderungsausgleich im Sinne des Vertrages notwendig" entschieden hat.

 

Doch auch unabhängig von den aus der reinen Rechnungslegung folgenden Indizien weist das vom Kläger selbst beschaffte Hörgerät vom Typ Phonak Bolero V90-SP gegenüber dem aufzahlungsfrei abgegebenen Hörgerät vom Typ Phonak Baseo Q15-SP nach Auffassung des erkennenden Gerichts keine wesentlichen/erheblichen/deutlichen, zu den entstehenden Mehrkosten in einem angemessenen Verhältnis stehenden Gebrauchsvorteile aufweist. Der objektivierbare Gebrauchsvorteil erschöpft sich im Wesentlichen in einem besseren Sprachverständnis sowohl im Nutz- als auch im Störschall von 5%. Angesichts des Umstandes, dass im Freiburger Sprachtest insgesamt 20 Wörter abgefragt werden, bedeutet dies lediglich, dass der Kläger mit dem selbstbeschafften Hörgerät jedes zwanzigste Wort besser verstehen konnte. Diese Abweichung ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts nicht wesentlich. Sie stellt vielmehr die geringstmögliche mittels des Freiberger Sprachtests objektivierbare Abweichung bei der vergleichenden Anpassung von Hörgeräten dar. Mit anderen Worten: erachtete man bereits eine Abweichung von 5% im Sprachverstehen als erheblich, wäre eine unerhebliche Abweichung praktisch nahezu ausgeschlossen. Es geht in diesem Zusammenhang nicht, jedenfalls nicht vorwiegend darum, Abschläge für generelle, im Freiburger Sprachtest immanente Messungenauigkeiten oder tagesformabhängige Schwankungen im Hörvermögen des betreffenden Versicherten vorzunehmen (wies dies etwa im bihaV Anl. 1 § 3 Ziffer 9 vorgesehen ist). Man könnte daher durchaus unterstellen, dass das um 5%-Punkte unterschiedliche Sprachverstehen des Klägers auf objektiven und genauen Messergebissen beruht, ohne dass dadurch ein wesentlicher Gebrauchsvorteil begründet würde. Hinzu kommt, dass vorliegend im konkreten Fall Zweifel an der Belastbarkeit des Ergebnisses des Freiburger Sprachtests bestehen. Aktenkundig sind zwei Anpassberichts-Protokolle vom 3. Februar 2016 mit unterschiedlichen getesteten Hörgeräten und mit abweichenden Angaben zum Sprachverstehen mit dem nachfolgend selbstbeschafften Hörgerät. Eingetragen waren insoweit zunächst für den Nutz- bzw. Störschall 90% bzw. 80%, in der korrigierten Version waren es dann 90% und 70%. Selbst wenn man - entgegen der hier vertretenen Auffassung - eine Differenz im Nutz- und Störschall von 5% für die Annahme eines wesentlichen Gebrauchsvorteils des Phonak Bolero V90-SP ausreichen ließe, scheiterte ein auf dieses Gerät begrenzter Sachleistungsanspruch des Klägers im Ergebnis daran, dass diesem ein als unverhältnismäßig anzusehender Mehraufwand entgegenstünde. Eine - aufzahlungsfreie - Versorgung mit dem Hörgerät vom Typ Phonak Baseo Q15-SP wäre mit einer Kostenbeteiligung der Beklagten von rund 1.514,00 € verbunden; allein die Mehrkosten des selbstbeschafften Hörgeräts beliefen sich auf rund 4.862,00 €, mithin auf das Dreifache.

 

Ein erheblicher Gebrauchsvorteil lässt sich schließlich nicht damit begründen, allein das selbstbeschaffte Hörgerät verfüge über eine Bluetooth-Schnittstelle und erleichtere insoweit die Mobiltelefonie. Auch wenn man davon ausgeht, dass ein Ausgleich der Behinderung im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit einem gesunden Menschen die Ermöglichung der Mobiltelefonie umfasst (unmittelbarer Behinderungsausgleich), ist vorliegend nicht glaubhaft gemacht, dass dieser ausschließlich mit dem vom Kläger präferierten Hörsystem Phonak Bolero V90-SP erreicht werden kann. Hier hat der Senat ergänzend berücksichtigt, dass der Hersteller des vergleichsweise angepassten Festbetragsgeräts vom Typ Phonak Baseo Q15-SP für dieses Hörgerät (und andere) drahtloses Zubehör anbietet, mit welchem eine Verbindung des Hörgeräts über Bluetooth mit dem Telefon ermöglicht wird (vgl. www.phonak.com/de). Ohnehin ist, wie bereits dargelegt, zu berücksichtigen, dass die mit der Beklagten in vertraglichen Beziehungen stehenden Hörgeräteakustiker nach dem bihaV verpflichtet sind, zum Festbetrag eine für den unmittelbaren Behinderungsausgleich notwendige (§ 6 Abs. 4), dem aktuellen Stand der Technik entsprechende (§ 4 Abs. 5) Versorgung anzubieten.

 

Weitergehende Ansprüche gegenüber der Beklagten oder dem Beigeladenen i. S. v. § 14 SGB IX nach dem für andere Rehabilitationsträger geltenden Recht, sind - worauf das SG zutreffend hingewiesen hat - nicht ersichtlich. Konkret sind besondere, über im gewöhnlichen Alltag deutlich hinausgehende kommunikative Anforderungen durch den vom Kläger beschriebenen Beruf nicht ersichtlich. Die vom Kläger insoweit angeführten Telefonate und Mehrpersonengespräche mit Kunden, Bauträgern, Bauherren oder Zulieferern machen, ebenso wie die angeführte Verständigung unter Störgeräuschen (etwa auf Baustellen im Stadium bereits fertiggestellter Rohbauten), keine Versorgung mit höherwertigen Hörgeräten aus rein beruflichen Gründen erforderlich (ebenso: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2021 – L 11 KR2082/19 – juris Rn. 45).

 

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

 

Rechtskraft
Aus
Saved