S 38 KA 121/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 121/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
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Datum
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3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
 
Leitsätze

1. Sinn und Zweck des durch das TSVG (Gesetz vom 06.05.2019, BGBL S. 646) § 95 Abs. 6 S. 5 SGB V bestehen in einer erleichterten Perpetuierung der Gründungsvoraussetzungen des § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V zum Bestandsschutz bestehender MVZ.
2. Ein komplettes Ausscheiden eines "Altgründungsgesellschafters" verbunden mit einer kompletten Übertragung der von ihm gehaltenen Gesellschaftsanteile auf den im MVZ anzustellenden Arzt ist nicht erforderlich. Vielmehr sind die Voraussetzungen von § 95 Abs. 6 S. 5 SGB V auch dann erfüllt, wenn nur Teile der von dem "Altgründungsgesellschafter" gehaltenen Gesellschaftsanteile übertragen werden und es dadurch zu einer Mehrung der Gesellschafter kommt.

 

I. Es wird festgestellt, dass der Bescheid des 1. Berufungsausschusses für Ärzte Bayern (Az. ), ausgefertigt am 01.04.2020, rechtswidrig ist.


II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.


T a t b e s t a n d :

Die Klägerin, ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) in der Form einer GmbH, begehrte die Genehmigung der Aufnahme von B. als Gesellschafter in die Trägergesellschaft. Einem entsprechenden Antrag wurde vom Zulassungsausschuss mit Beschluss vom 27.11.2019 stattgegeben. Dagegen legte die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) Widerspruch ein. Mit Beschluss des Berufungsausschusses aus der Sitzung vom 12.03.2020 wurde entsprechend dem Widerspruch der Beschluss des Zulassungsausschusses aufgehoben und der Antrag der Klägerin zurückgewiesen.
Strittig zwischen den Beteiligten ist, ob es für einen Antrag auf Genehmigung der Aufnahme eines Angestellten Arztes als Gesellschafter notwendig ist, sämtliche Gesellschaftsanteile des Gründers auf den als "Neugesellschafter" vorgesehenen Arzt übertragen. Die beigeladene KVB ist der Auffassung, dies sei erforderlich. Sie beruft sich dabei auf den Wortlaut und die Gesetzesbegründung. Nur ausnahmsweise sei eine Durchbrechung elementarster Zulassungsvoraussetzungen (§ 95 Abs. 6 S. V SGB V) zulässig. Eine erweiternde Auslegung sei nicht möglich.
Dem entgegnend vertrat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin bereits im Vorverfahren die Auffassung, der Wortlaut verbiete keine solche Teilübertragung. In der Gesetzesbegründung werde lediglich ein Beispielsfall genannt. Die Kopfzahl der Gesellschafter müsse nicht gleich bleiben. Es gebe keinen nachvollziehbaren Grund dafür, dass die Gründereigenschaft nur perpetuiert werden könne, wenn einer der Ärzte der ersten Generation gleichzeitig aus dem MVZ ausscheide. Vielmehr sei es der Standardfall des als GmbH organisierten ärztlich getragenen MVZ, dass ein Altgesellschafter nicht alle Gesellschaftsanteile in dem Moment abgebe, in dem ein neuer Gesellschaftsanteile übernehme. Es handle sich um eine Übergangsphase, in der der hinzutretende Arzt bereits Gesellschaftsanteile erhalte, die Altgesellschafter jedoch ihre Gesellschaftsanteile - wenn auch teilweise vermindert - beibehielten. Der Neugesellschafter übernehme hier Gesellschaftsanteile des Altgesellschafters und seiner Partner. Es erfolge eine Erweiterung der Trägergesellschaft um B. unter Übertragung von einigen Prozentpunkten von den übrigen Gesellschaftern.
Der Beklagte berief sich in seiner Entscheidung auf die Bundestagsdrucksache 19/8351 S. 190. Das TSVG lasse zu, dass die Gesellschafteranteile zum Erhalt der Gründungsvoraussetzungen auf nichtgründungsberechtigte angestellte Ärzte übertragen würden. Nach der ratio des § 95 Abs. 6 S. 5 SGB V solle verhindert werden, dass einem MVZ nach Ausscheiden aller originären Gründer die Zulassung nach § 95 Abs. 6 SGB V zu entziehen sei, weil alle Ärzte mit Gründereigenschaft ausgeschieden seien und damit die Gründungsvoraussetzung für das MVZ entfallen sei. Der zum Gesellschafter gewordene angestellte Arzt sei kein Arzt mit Gründereigenschaft im Sinne des § 95 Abs. 6 S. 4 SGB V. Er könne Gesellschaftsanteile zum Erhalt der Gründungsvoraussetzung nach § 95 Abs. 6 S. 5 SGB V nicht übertragen. Die Gründereigenschaft könne nur durch eine Umwandlung der Anstellung in eine Zulassung (§ 95 Abs. 9b SGB V) erreicht werden. Es liege auch kein Verstoß gegen Art. 12 Grundgesetz vor, da die Umwandlung der Anstellung in eine Zulassung jederzeit möglich sei. Der Wortlaut sei eindeutig. Es handle sich um eine Ausnahmeregelung. Auf die Kommentarliteratur (Kasseler Kommentar zum SGB V, Verfasser Rademacker; Juris-Kommentar zum SGB V) werde hingewiesen. § 95 Abs. 6 S. 5 SGB V diene der Vorbereitung des Generationenwechsels innerhalb eines MVZ, nicht aber der Mehrung der Gesellschafterköpfe. Die angestrebte sukzessive Übertragung der Anteile diene nicht der Aufrechterhaltung des Zulassungsstatus, da ein Ausscheiden eines Gesellschafters nicht zu erwarten bzw. hierzu nichts vorgetragen worden sei. Es handle sich um keine Aktiengesellschaft.
Dagegen ließ die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte Klage zum Sozialgericht München einlegen. Sie wies auf die Begründung des 14. Ausschusses des Bundestages hin; desgleichen auf den Wortlaut des § 95 Abs. 6 S. 5 SGB V. Die Vorschrift sei vom Beklagten nur teilweise zitiert worden. Ausdrücklich sei auf den zweiten Halbsatz hinzuweisen. Danach sei die Übernahme von (ohne Artikel) Gesellschafteranteilen durch angestellte Ärzte jederzeit möglich. Was die vom Beklagten zitierte Kommentarliteratur betreffe, habe sich der Verfasser Rademacker eben nicht mit der Frage befasst, ob der Gründerarzt zwingend ausscheiden müsse. Das Wesen einer Kapitalgesellschaft bestehe darin, dass sich der Status als Gesellschafter in dem Kapitalanteil realisiere. Auch die Gesetzesbegründung könne nicht für die Auffassung des Beklagten herangezogen werden. Denn es würde nur ein Beispielsszenario genannt. Die Vorschrift des § 95 Abs. 6 S. 5 SGB V sorge dafür, dass der Zwischenschritt über eine für ein Quartal gelebte Praxisgemeinschaft nicht mehr erforderlich sei und ein kostenintensiver Aufwand vermieden werden könne. In ihrem Schriftsatz vom 04.05.2020 griff die Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Hinweis der KVB auf, den Weg der Umwandlung der Anstellungsgenehmigung zur Beschäftigung von B. in eine Zulassung mit anschließendem sofortigen Verzicht von Herrn B. zu beschreiten, um im MVZ der Klägerin angestellt zu werden. Für den Fall, dass ein entsprechender Antrag genehmigt werde, würde die vorliegende Klage in der Hauptsache für erledigt erklärt werden.
In seiner Replik führte der Beklagte aus, die Gründereigenschaft könne nur über eine Umwandlung der Anstellung in eine Zulassung (§ 95 Abs. 9b SGB V) erreicht werden. Der Beschluss auf Seite 5 der Gesetzesbegründung spreche auch für eine Mengensteuerung. Was die Kommentarliteratur betreffe, so werde dort die Auffassung vertreten, dass eine Übernahme von Gesellschaftsanteilen nicht erst möglich sei, wenn der letzte gründungsberechtigte Arzt aus dem MVZ ausscheide, sondern bereits beim Ausscheiden des ersten Mitbegründers. Dies deute auf eine vollständige Veräußerung der Gesellschaftsanteile hin.
Mit Schriftsatz vom 06.10.2020 teilte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit, mit inzwischen bestandskräftigem Beschluss des Zulassungsausschusses vom 27.05.2020 sei die Aufnahme von B. in die Trägergesellschaft O. nach mehreren Zwischenschritten (Zulassung von B. mit einem hälftigen Versorgungsauftrag, dann Genehmigung des Beitritts von B. zur Träger GmbH und anschließendem Verzicht von B. auf Zulassung) genehmigt worden. Es handle sich um eine Mehrfachkonstruktion "logischer Sekunden", die der Zielsetzung der gesetzlichen Verzichtserklärung nicht gerecht werde. Diese Konstruktion sei unnötig, wenn man die Regelung des § 95 Abs. 6 S. 5 SGB V im Sinne der Klägerseite interpretiere. Dies entspreche auch der ratio von § 95 Abs. 6 S. 5 SGB V. Mit der Regelung solle auch ein Ausbluten eines MVZ durch Verjüngung der Gesellschafter verhindert werden. Die Auffassungen des Beklagten und der beigeladenen KVB seien lebensfremd und zementierten die Benachteiligung ärztegeführter MVZ gegenüber MVZ eines Krankenhausträgers.
Im Schriftsatz vom 19.02.2021 wurde der Antrag aus dem Schriftsatz vom 06.10.2020 abermals umgestellt und ein sogenannter Fortsetzungsfeststellungsantrag gestellt. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin machte ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse geltend; dies insbesondere auch deshalb, weil die Tochter eines der Gründer A. in den nächsten Jahren als Gesellschafterin nachrücken wolle.

Die beigeladene KVB machte darauf aufmerksam, ihres Erachtens werde bei Übertragung nur eines Teils der Gesellschafteranteile auf einen angestellten Arzt das MVZ nicht mehr zulassungsfähig. Es würden dann die Gründungsvoraussetzungen nach § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V wegfallen, was den Entzug der Zulassung zur Folge hätte.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin wies nochmals auf darauf hin, der Wortlaut des § 95 Abs. 6 S. 5 SGB V sei eindeutig. Außerdem sei auf die Entscheidung des SG Reutlingen (Urteil vom 18.07.2019, Az S 4 KA 1487/19) aufmerksam zu machen.
Der Beklagte erhob mit Schreiben vom 20.01.2022 eine Fortsetzungsfeststellungswiderklage. Was die Fortsetzungsfeststellungsklage der Klägerin betreffe, fehle es an einem Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Hierzu habe durch die Klägerin kein geeigneter Vortrag stattgefunden. Es bestehe nämlich kein Feststellungsinteresse, wenn ungewiss sei, ob in Zukunft nochmals ähnliche Verhältnisse wirksam sein könnten. Dagegen sei ein Feststellungsinteresse für die "umgedrehte" Fortsetzungsfeststellungsklage dann anzunehmen, wenn diese zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten zu der in Frage stehenden Rechtsfrage diene (BSG, Urteil vom 09.04.2019, Az B 1 KR 3/18 R; BVerwG, BVerwGE 20,146, Urteil vom 14.01.1965, I C 68.61). Für die Beklagte bestehe eine Wiederholungsgefahr.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragte, den Antrag des Beklagten auf Fortsetzungsfeststellungswiderklage kostenpflichtig abzuweisen. Dagegen sei die Beschwer der Klägerin entfallen. An das Fortsetzungsfeststellungsinteresse einer Fortsetzungsfeststellungsklage seien keine großen Anforderungen zu stellen, was die Substantiierungspflicht betreffe (BSG, Urteil vom 28.08.2007, Az B 7/7a AL 16/06 R). Nochmals sei darauf hinzuweisen, dass Frau A. beabsichtige, demnächst dem MVZ beizutreten. Außerdem seien mehrere Gründungsgesellschafter über 60 Jahre alt, sodass in nächster Zeit ein Generationenwechsel anstehe. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin übersandte ein an sie gerichtetes Schreiben von Herrn A. vom 31.10.2022. Danach bekundet dieser seine Absicht, in naher Zukunft, nach jetziger Planung zum 01.01.2024 einen Teil seiner Beteiligung von derzeit gut 14 % an dieser Gesellschaft auf seine Tochter Frau A. zu übertragen. Er selbst wolle noch für ein bis zwei Jahre als Gesellschafter mit verringertem Beteiligungsanteil in der Gesellschaft verbleiben, um seiner Tochter die Einarbeitung auch in die Unternehmensführung zu erleichtern und weil dies dem Wunsch der anderen Gesellschafter entspreche. Voraussichtlich zum 01.01.2026 wolle er die gesamte restliche Beteiligung abgeben. Im Übrigen hätten auch andere Kollegen (M. und K.) in den kommenden Jahren (2025,2026) ähnliche Übergabeplanungen.
In der mündlichen Verhandlung am 22.11.2022 stellte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Antrag aus dem Schriftsatz vom 19.02.2021.

Die Beklagtenvertreterin stellte den Antrag, die Klage abzuweisen. Der Antrag auf Fortsetzungsfeststellungswiderklage wurde zurückgenommen.
Die Beigeladene zu 1. stellte keinen Antrag.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 22.11.2022 verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die nach Umstellung der Anträge zu entscheidende Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 S. 3 SGG ist zulässig und begründet. Über die Fortsetzungsfeststellungswiderklage, erhoben vom Beklagten, war nach Rücknahme entsprechender Anträge in der mündlichen Verhandlung am 22.11.2022 nicht mehr zu befinden.
Ursprünglich handelte es sich um eine kombinierte Anfechtungs-und Verpflichtungsklage nach § 54 SGG. Mit Beschluss des Zulassungsausschusses vom 27.05.2020 wurde die Aufnahme von B. in die Trägergesellschaft O. genehmigt. Damit ist eine Erledigung eingetreten und die Beschwer der Klägerin entfallen. Dies hat zur Folge, dass die ursprüngliche kombinierte Anfechtungs-und Verpflichtungsklage nach § 54 SGG nicht mehr zulässig ist. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat daher eine Umstellung der Klageanträge in eine sogenannte Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 S. 3 SGG vorgenommen. Voraussetzung ist neben den allgemeinen Prozessvoraussetzungen, dass die ursprüngliche Klage zum Zeitpunkt der Klageerhebung zulässig war und ein berechtigtes Interesse an der Feststellung besteht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Komment. zum SGG, Rn 9, 10 zu § 131). Es ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die ursprüngliche Anfechtungs-und Verpflichtungsklage nach § 54 SGG zum Zeitpunkt der Klageerhebung unzulässig war, beispielsweise, weil die Klagefrist nicht eingehalten wurde. Für das sogenannte Fortsetzungsfeststellungsinteresse reicht es aus, wenn der Kläger entsprechende Tatsachen vorträgt, ohne dass große Anforderungen an die Substantiierungspflicht zu stellen sind (vgl. BSG, Urteil vom 28.08.2007, Az B 7/7a AL 16/06 R). Ein Feststellungsinteresse ist unter anderem anzunehmen bei einer Wiederholungsgefahr (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Komment. zum SGG, Rn 10a zu § 131). Entgegen der Auffassung des Beklagten ist hier von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Auch ist der Ansicht des Beklagten, es habe hierzu durch die Klägerin kein geeigneter Vortrag stattgefunden zu widersprechen. Die Klägerin hat nicht zuletzt durch die Vorlage einer Erklärung des Altgesellschafters A. glaubhaft gemacht, dass bereits in Kürze die Rechtsfrage, nämlich, ob es für den Antrag auf Genehmigung der Aufnahme eines Arztes als Gesellschafter notwendig ist, sämtliche Gesellschaftsanteile des Gründers auf den als "Neugesellschafter" vorgesehenen Arzt zu übertragen, wieder auftreten wird. Bereits 2024 plant dieser einen Teil seiner Gesellschaftsanteile auf seine Tochter, Frau A. zu übertragen. Auch in den folgenden Jahren (2025/2026) bestehen bei anderen Gründungsgesellschafter ähnliche Überlegungen. Die Anforderungen an eine hinreichende Substantiierung sind nach Auffassung des Gerichts daher mehr als erfüllt.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 S. 3 SGG ist auch begründet. Denn die Entscheidung des Beklagten aus der Sitzung vom 12.03.2020 ist als rechtswidrig anzusehen.
Vorrangig geht es um die Auslegung von § 95 Abs. 6 S. 5 SGB V. Dabei ist der Zusammenhang mit den Gründungsvoraussetzungen nach § 95 Abs. 1a SGB V für medizinische Versorgungszentren und den Regelungen über den Entzug der Zulassung (§ 95 Abs. 6 S. 3 SGB V) zu beachten. Aus § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V ergibt sich, dass MVZ unter anderem von zugelassenen Ärzten gegründet werden können. Nach § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V ist einem medizinische Versorgungszentrum die Zulassung auch dann zu entziehen, wenn die Gründungsvoraussetzungen des Absatzes 1a Satz 1 bis 3 länger als sechs Monate nicht mehr vorliegen. Das bedeutete bislang, dass mit dem Wegfall der vertragsärztlichen Zulassung der Gründerärzte - aus welchen Gründen auch immer - bzw. mit dem Ende der Tätigkeit als angestellte Ärzte, die auf die Zulassung zu Gunsten der Anstellung in einem MVZ verzichtet haben, auch die Existenz des MVZ auf dem Spiel steht.
Um dies zu verhindern, hat der Gesetzgeber durch das TSVG (Gesetz vom 06.05.2019, BGBl S. 646) nunmehr in § 95 Abs. 6 S. 5 SGB V vorgesehen, dass die Gründungsvoraussetzungen nach Absatz 1a Satz 1 weiterhin vorliegen, sofern angestellte Ärzte die Gesellschaftsanteile der Ärzte nach Absatz 1a Satz 1 oder die Ärzte nach Satz 4 übernehmen und solange sie in dem medizinischen Versorgungszentrum tätig sind und Gesellschafter des medizinischen Versorgungszentrums sind. Die ratio der Vorschrift ist also eine erleichterte Perpetuierung der Gründungsvoraussetzungen des § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V, wovon offensichtlich sowohl die Klägerseite, als auch die Beklagtenseite übereinstimmend ausgehen. Strittig ist aber, ob für eine solche erleichterte Perpetuierung der Gründungsvoraussetzungen ein komplettes Ausscheiden eines "Altgründungsgesellschafters" verbunden mit einer kompletten Übertragung der von ihm gehaltenen Gesellschaftsanteile auf den im MVZ anzustellenden Arzt erforderlich ist.
Maßgeblich ist in erster Linie die Auslegung von § 95 Abs. 6 S. 5 SGB V nach dem Wortlaut der Vorschrift. Nach Auffassung des Gerichts ist der Wortlaut jedoch nicht so eindeutig, wie dies von dem Beklagten und der beigeladenen KVB dargestellt wird. Zwar enthält die Formulierung in § 95 Abs. 6 S. 5 HS 1 SGB V "...sofern angestellte Ärzte d i e Gesellschaftsanteile der Ärzte ... übernehmen" in Bezug auf die Gesellschaftsanteile den bestimmten Artikel, was dafür sprechen könnte, dass nur eine komplette Übertragung der Gesellschafteranteile gemeint ist. In § 95 Abs. 6 S. 5 HS 2 SGB V (Die Übernahme von Gesellschafteranteilen durch angestellte Ärzte ist jederzeit möglich.) fehlt dagegen der bestimmte Artikel vor "Gesellschaftsanteilen", was für die Auffassung der Klägerseite sprechen würde. Hätte der Gesetzgeber aber gewollt, dass alle Gesellschafteranteile des "Altgründungsgesellschafters" übernommen werden müssen, hätte das durch eine konkrete Formulierung beispielsweise durch "alle" oder "sämtliche" zum Ausdruck kommen müssen.
Auch die Gesetzesbegründung (BT- Drucksache 19/8351 S. 190) kann für eine Auslegung im Sinne des Beklagten und der beigeladenen KVB nicht herangezogen werden. Dort wird im Zusammenhang mit dem zusätzlichen Halbsatz wie folgt ausgeführt: "So kann beispielsweise bei einem von drei Vertragsärztinnen und Vertragsärzten gegründeten MVZ bereits beim Ausscheiden der ersten (Mit-) Gründerin bzw. des ersten (Mit-) Gründers deren bzw. dessen Gesellschaftsanteile von einer in dem MVZ angestellten Ärztin bzw. einem in dem MVZ angestellten Arzt übernommen werden." Es handelt sich aber, wie in der Gesetzesbegründung klar zum Ausdruck kommt, nur um einen Beispielsfall.
Soweit sich der Beklagte bzw. die beigeladenen KVB auf die Kommentierung (Kasseler Kommentar, Rn. 233, 234 zu § 95 SGB V) beziehen, ist dieser nicht zu nehmen, dass nur die Gesellschafteranteile komplett verbunden mit dem Ausscheiden eines "Altgründungsgesellschafters" übertragen werden können. Dort wird im Wesentlichen unter anderem ausgeführt, mit der Einfügung des neuen Absatzes VI Satz 5 durch das TSVG sei der Anwendungsbereich des Satzes 4 auf später in das MVZ eingetretene Ärzte erweitert worden. Durch die Übernahme von Gesellschaftsanteilen durch den angestellten Arzt, egal, ob komplett oder teilweise, erhält der angestellte Arzt auch keine Gründereigenschaft. Denn nicht der angestellte Arzt, sondern nur der zugelassene Arzt gehört dem Kreis der Gründungsberechtigten an. Durch Übernahme nur eines Teils der Gesellschafteranteile eines Altgründungsgesellschafters wird der Kreis der Gründungsberechtigten nicht erweitert (Kasseler Kommentar, Rn. 233, 234 zu § 95 SGB V). Es werden nur die Gründungsvoraussetzungen nach § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V fingiert. Insofern ist ein Verstoß gegen elementare Grundsätze der Zulassungsvorschriften nicht zu besorgen.
Wenn mit der Übernahme eines Teils von Gesellschafteranteilen eine Gesellschaftermehrung verbunden ist, ist dies zwar nicht primäres Ziel der Einfügung von § 95 Abs. 6 S. 5 SGB V, wird hierdurch aber nicht ausgeschlossen. In dem Zusammenhang ist anzumerken, dass es gerade Kennzeichen einer Kapitalgesellschaft, hier einer GmbH, ist, dass Gesellschafteranteile übertragen werden können. Abgesehen davon führt auch die hier gefundene Lösung (Zulassung von B. mit einem hälftigen Versorgungsauftrag, dann Genehmigung des Beitritts von B. zur Träger GmbH und anschließendem Verzicht von B. auf Zulassung), die die Erledigung des ursprünglichen Rechtsstreits zur Folge hatte, zu einer Gesellschaftsmehrung. Letztendlich entsteht durch das gefundene Konstrukt die gleiche Rechtsfolge, die es nach Ansicht des Beklagten und der beigeladenen KVB zu vermeiden gilt. Insofern wäre, würde man der Auslegung des § 95 Abs. 6 S. 5 SGB V folgen, wie sie durch den Beklagten und die beigeladenen KVB stattfindet, das Konstrukt (mehrfache juristische Sekunden) als unzulässige Umgehung der gesetzlichen Regelung zu werten und die diesbezügliche Empfehlung des Beklagten und der beigeladenen KVB als "venire contra factum proprium" anzusehen.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO.

 

 

 

 

 

Rechtskraft
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