L 5 KR 3823/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 13 KR 3401/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 3823/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15.10.2020 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 18.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.09.2019 wird aufgehoben. Die Beklagten werden verurteilt, die Bescheide vom 13.11.2017 und 29.01.2018 zurückzunehmen und die Beiträge des Klägers zur Kranken- und Pflegeversicherung in der Zeit vom 01.11.2017 bis 31.12.2018 unter Ansatz der türkischen Rente des Klägers mit der Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes und unter Ansatz des die türkische Rente übersteigenden fiktiven Betrags bis zur Mindestbemessungsgrenze mit dem erniedrigten Beitrag festzusetzen. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben dem Kläger 1/6 der außergerichtlichen Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Zugunstenverfahrens über die Erhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.

Der 1960 in der T geborene Kläger ist geschieden und kinderlos. Er lebt in der Bundesrepublik Deutschland und bezog in der Zeit vom 01.09.2014 bis 31.10.2017 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, weswegen er in dieser Zeit als Rentner pflichtversichertes Mitglied der Beklagten war. Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung führte der Rentenversicherungsträger aus der Rente des Klägers direkt an die Beklagten ab. Seit 01.11.2017 ist der Kläger aufgrund seines im April 2014 gestellten Weitergewährungsantrags als Rentenantragsteller pflichtversichert. Den Weitergewährungsantrag lehnte der Rentenversicherungsträger ab. Die hiergegen beim Sozialgericht Ulm (SG) erhobene Klage (S 4 R 350/18) wies das SG ab. Die anschließend beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung (L 10 R 2163/21) ist noch anhängig.

Seit 01.04.2014 bezieht der Kläger eine Rente der türkischen Anstalt für soziale Sicherheit (Sosyal Güvenlik Kurumu <SGK>), die aufgrund der „Verschuldung (Nachentrichtung) der im Ausland verbrachten Rentenzeiten nach dem Gesetz Nr. 3201" in Höhe von monatlich zunächst 1.505,13 Türkische Lira (TRY) (am 13.03.2020 umgerechnet 228,72 €) gezahlt wird. Aufgrund von Rentenanpassungen betrug die Höhe der Rente ab November 2017 monatlich 2.122,44 TRY, ab Januar 2018 monatlich 2.243,20 TRY und von Juli bis Dezember 2018 monatlich 2.448,91 TRY. Mittlerweile beläuft sich die Rente des Klägers nach seinen Angaben umgerechnet auf 174,00 € (Stand 20.12.2021). Zusätzlich erhielt der Kläger u.a. im Juni 2018 und im August 2018 Einmalzahlungen von jeweils 1.000 TRY. Zudem wird der Kläger von seinem Neffen in Höhe von 100,00 € - 150,00 € monatlich unterstützt. Weitere Einkünfte hat der Kläger nicht.

Mit Bescheid vom 01.08.2017 setzte die Beklagte zu 1) - auch im Namen der Beklagten zu 2) - ab 01.09.2017 Beiträge in Höhe des Mindestbeitrags von 175,03 € (149,74 € Krankenversicherung <KV> und 25,29 € Pflegeversicherung <PV>) fest; auch für die Zeit ab 01.11.2017 verblieb es dabei (Bescheid vom 13.11.2017). Mit Bescheid vom 29.01.2018 erhöhten sich die Beiträge ab 01.01.2018 auf 179,15 € (153,27 € KV, 25,88 € PV). Da der Kläger keine Beiträge entrichtete, stellte die Beklagte zu 1) das Ruhen der Leistungsansprüche ab 08.08.2018 fest (Bescheid vom 02.08.2018, Widerspruchsbescheid vom 28.11.2018). Im sich anschließenden Klageverfahren gegen den Ruhensbescheid gab die Beklagte zu 1) am 24.05.2019 in der öffentlichen Sitzung des SG ein Anerkenntnis ab, das der Kläger annahm. Gleichzeitig beantragte der Kläger die Überprüfung der Bescheide vom 13.11.2017 und vom 29.01.2018 (SG; S 12 KR 4150/18).

Mit Bescheid vom 18.06.2019 lehnte die Beklagte zu 1) - auch im Namen der Beklagten zu 2) - die Aufhebung der Beitragsbescheide vom 13.11.2017 und 29.01.2018 ab. Die Überprüfung habe ergeben, dass die Beitragsbescheide vom 13.11.2017 und 29.01.2018 ihre Gültigkeit behielten. Zur Begründung führte sie aus, die Bescheinigung A/T 21 sei nicht angenommen worden, da entsprechend Art. 14 Abs. 3 des Deutsch-Türkischen Sozialversicherungsabkommens (im Folgenden: SozSichAbk TUR) die deutschen Rechtsvorschriften anzuwenden seien. Sobald das derzeit noch laufende Rentenverfahren abgeschlossen sei und die Gewährung einer deutschen Rente abschließend abgelehnt worden sei, könne über die Anerkennung des A/T 21 neu entschieden werden. Bei Rentenantragstellern werde die Beitragsbemessung für die Zeit der Rentenantragstellung bis zum Beginn der Rente durch den Spitzenverband der Krankenkassen geregelt (§ 239 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch <SGB V>). Entsprechend § 3 Abs. 1 und Abs. 3 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler seien alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht würden oder verbraucht werden könnten ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung als beitragspflichtige Einnahmen zu werten. Als beitragspflichtige Einnahme gelte für den Kalendertag mindestens der 90. Teil der monatlichen Bezugsgröße, soweit im SGB V und im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) nichts Abweichendes bestimmt sei. Im Zusammenhang mit der Einkommensbefragung habe der Kläger angegeben, keine eigenen Einnahmen zu haben. Für die Beitragsbemessung sei daher der 90. Teil der Bezugsgröße (2017 = 991,67 €; 2018 = 1.015,00 €) zu berücksichtigen. Der Beitragsberechnung liege zur KV der allgemeine Beitragssatz von 15,1 % und zur PV der Beitragssatz von 2,55 % (2019 = 3,05 %) zugrunde.

Den hiergegen mit Schreiben vom 28.06.2019 eingelegten Widerspruch, zu dessen Begründung der Kläger angab, er sei hilfebedürftig, könne die Beiträge niemals aufwenden und zahle darüber hinaus bereits für seine türkische Rente in der T Beiträge, weshalb die A/T 21 Bescheinigung zu berücksichtigen sei, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.09.2019 zurück. Der Bescheid vom 18.06.2019 sei nicht zu beanstanden. Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergebe, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erweise, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden seien. Voraussetzung für die Rücknahme eines Verwaltungsaktes sei, dass dieser rechtswidrig sei. Das sei dann der Fall, wenn bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erweise. Gemäß § 3 Nr. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) seien für die Beurteilung der Versicherungspflicht als Rentenantragsteller die Rechtsvorschriften des Wohnortlandes (= Deutschland) maßgeblich. Rentenantragsteller hätten für die Dauer ihrer Mitgliedschaft Beiträge bis zum Beginn der Rente zu entrichten (§ 239 SGB V). Der Spitzenverband der Krankenkassen bestimme, welche Einnahmearten der Beitragsbemessung zugrunde gelegt würden. Entsprechend § 3 Abs. 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler seien alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht würden oder verbraucht werden könnten ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung als beitragspflichtige Einnahmen zu werten. Beiträge seien für den Kalendertag mindestens vom 90. Teil der monatlichen Bezugsgröße, höchstens bis zur Beitragsbemessungsgrenze nach § 223 SGB V zu erheben. Für die Beitragsbemessung sei grundsätzlich der ermäßigte Beitragssatz maßgebend. Beitragspflichtige Rentenantragsteller hätten die Beiträge vom Tag der Rentenantragstellung bis zum Beginn der Rente alleine zu tragen (§ 250 SGB V). Die Beiträge seien im Fall des Klägers unter Berücksichtigung der jeweils geltenden monatlichen Mindestbemessungsgrundlage berechnet worden. Selbst wenn eine Krankenversicherung in der T möglich sei, sei diese aufgrund obiger Vorschriften nicht vorrangig gegenüber der Versicherung in Deutschland.

Hiergegen hat der Kläger am 25.09.2019 Klage beim SG erhoben. Zur Begründung hat er sinngemäß dargelegt, er dürfe nach den Vorschriften der SGK keine deutschen Sozialleistungen beantragen. Ansonsten müsse er befürchten, dass er die Rente der SGK sowie Zinsen zurückzahlen müsse. Ursache für diesen Zustand sei die türkische Regierung und das türkische Gesetz. Die Beklagten sollten das Problem mit der SGK regeln. Er werde von beiden Ländern ausgebeutet. Denn er müsse sowohl in der T auch in Deutschland Krankenversicherungsbeiträge zahlen. Das SozSichAbk TUR sei nicht rechtens. Die Beklagten sollten die Bescheinigung A/T 21 akzeptieren, dann sei er krankenversichert und müsse keine weiteren Beiträge in Deutschland zahlen.

Mit Bescheiden vom 29.01.2019 und 27.01.2020 hat die Beklagte zu 1), auch im Namen der Beklagten zu 2), die Beiträge ab 01.01.2019 auf 188,46 € (156,79 € KV, 31,67 € PV - Bemessungsgrundlage 1.038,33 €) und ab 01.01.2020 auf 192,69 € (160,31 € KV, 32,38 € PV - Bemessungsgrundlage 1.061,67 €) festgesetzt. Auf Aufforderung hat der Kläger die Rentenzahlungen der SGK jedenfalls bis 2019 nachgewiesen.

Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten. Sie haben die Auffassung vertreten, dass § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V nur für freiwillige Mitglieder, nicht aber für Rentenantragsteller gelte. Vergleichsweise haben die Beklagten angeboten, eine Neuberechnung der Beiträge ab 01.08.2018 dahingehend vorzunehmen, dass auf die türkische Rente der halbe Beitragssatz und auf den fiktiven Betrag bis zur Mindestbemessungsgrundlage der volle Beitragssatz zur Anwendung komme. In einem 2015 geführten Widerspruchsverfahren sei festgestellt worden, dass es sich bei der türkischen Rente nicht um eine gesetzliche Rente, sondern um eine Zusatzrente handele, die nicht der Beitragspflicht unterliege (§ 228 SGB V). Deshalb sei § 247 SGB V nicht anzuwenden. Nach einem Rundschreiben des GKV Spitzenverbandes vom 09.07.2018 sei die türkische Rente aber doch wieder zu berücksichtigen. Dann ergäbe sich für die Zeit ab 01.08.2018 der halbe Beitragssatz nach § 247 Satz 2 SGB V, da der ausländische Rentenversicherungsträger an den Beiträgen nicht beteiligt sei. Der Umrechnungskurs sei nach § 17a SGB IV zu bestimmen; nach dem Beschluss der Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit gelte der Umrechnungskurs am Festsetzungstag, auch bei einer rückwirkenden Festsetzung. Erst mit Einreichen eines neuen Rentenbescheides werde ein neuer Umrechnungskurs angewandt. Das gelte nicht, wenn die Kursschwankungen mehr als 10% betrügen. Voraussetzung sei die Vorlage der maßgebenden Rentenbescheide der türkischen Rente. Für die Modellrechnung habe lediglich der Rentenbescheid vom 03.12.2014 zugrunde gelegt werden können. Am 13.03.2020 gelte der Umrechnungskurs 6,5808. Die Rente in Höhe von 1.505,13 TRY betrage daher 228,72 €. Ab 01.08.2018 ergäbe sich auf dieser Grundlage ein Beitrag zur KV für die türkische Rente in Höhe von 16,70 € und zu PV von 5,83 €, ein Zusatzbeitrag aus der türkischen Rente in Höhe von 2,52 €, und aus den fiktiven Einkünften in Höhe von 786,28 € ein Beitrag zur KV in Höhe von 110,08 €, zur PV in Höhe von 20,05 € und insoweit ein Zusatzbeitrag in Höhe von 8,65 €. Insgesamt würde daraus ein monatlicher Beitrag in Höhe von 163,83 € resultieren.

Nach dem Scheitern der vergleichsweisen Regelung hat das SG mit Urteil vom 15.10.2020 den Bescheid der Beklagten vom 18.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.09.2019 aufgehoben und die Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 13.11.2017, 29.01.2018, 29.01.2019 und 27.01.2020 verpflichtet, die Beiträge des Klägers zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 01.11.2017 aus dem Zahlbetrag der türkischen Rente und mit der Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes sowie ab 01.01.2019 auch der Hälfte des kassenindividuellen Zusatzbeitrages zu erheben. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die zulässige kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage des Klägers sei teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.09.2019 sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Denn die zu überprüfenden Beitragsbescheide für die Zeit ab 01.11.2017 seien teilweise rechtswidrig. Der Umfang der Beitragspflicht beurteile sich nach dem Versichertenstatus in dem Zeitpunkt, für den hier Beiträge erhoben würden, nämlich ab dem 01.11.2017. Ab diesem Zeitpunkt sei der Kläger (und bis zur Entscheidung am 15.10.2020) als Rentenantragsteller gemäß § 5 Satz 1 Nr. 11 SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 11 SGB XI bei den Beklagten versicherungspflichtiges Mitglied. Die deutschen Vorschriften seien auf den Kläger, der eine türkische Rente beziehe und eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung der BRD beantragt habe, nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 SozSichAbk TUR i.V.m. § 3 Nr. 2 SGB IV anzuwenden. Denn danach seien bei gewöhnlichem Aufenthalt im Gebiet einer Vertragspartei deren Rechtsvorschriften über Krankenversicherung anzuwenden auf eine Person, die nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsparteien Rente beziehe oder beantragt habe. Der Kläger beziehe eine Rente aus der T und habe aber nach wie vor eine Rente in der BRD beantragt; deshalb seien die deutschen Vorschriften anzuwenden. Zudem sei auch die Frage der Beitragspflicht bis zur mündlichen Verhandlung Gegenstand dieses Verfahrens. Denn wenn nach Klageerhebung und nach Erlass des Widerspruchsbescheides ein neuer Verwaltungsakt ergangen sei, werde dieser gemäß § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dann Gegenstand des Verfahrens, wenn er den angefochtenen Verwaltungsakt abändere oder ersetze. Da die Beklagten mit dem streitgegenständlichen Bescheid „Beiträge ab 01.11.2017", also unbefristet erhoben hätten, ändere jeder neue Bescheid für die Zeit nach dem 01.11.2017 diesen Bescheid ab. Bei Rentenantragstellern werde gemäß § 239 Satz 1 SGB V die Beitragsbemessung für die Zeit der Rentenantragstellung bis zum Beginn der Rente durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt; § 240 SGB V gelte gemäß § 239 Satz 3 SGB V entsprechend. Die Vorschrift bezwecke die Vermeidung einer nach § 237 SGB V beitragsfrei durchzuführenden Mitgliedschaft. Zwar sei nicht eindeutig geregelt, dass bei einer rückwirkend festgestellten Weitergewährung der Rente die Beitragspflicht rückwirkend entfalle. Dies sei jedoch aus der Gleichstellung des in Satz 2 genannten Personenkreises mit den in Satz 1 genannten Rentenantragstellern zu schließen (Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB, 07/11, § 239 SGB V, Rn. 5). Derzeit sei das Rentenverfahren wegen der Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente für die Zeit ab 01.11.2017 noch nicht bestandskräftig abgeschlossen, so dass der Kläger nach wie vor als Rentenantragsteller zu behandeln sei. Beitragsfreiheit nach § 225 SGB V komme mangels Vorliegens der Voraussetzungen (hinterbliebener Ehegatte, Waise oder Familienversicherung) nicht in Betracht. Aufgrund des Verweises in § 239 Satz 1 SGB V bemesse sich die Beitragsbemessung der Rentenantragsteller nach den vom GKV-Spitzenverband erlassenen sog. Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler, aber - ausdrücklich nach § 239 Satz 3 SGB V - auch nach § 240 SGB V analog. Deshalb erfolge vorliegend eine Beitragsreduzierung unterhalb der Mindesteinnahmenregelung des § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Denn als beitragspflichtige Einnahmen gelte zwar gemäß § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V für den Kalendertag mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße. Nach § 3 Abs. 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler seien als beitragspflichtige Einnahmen das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden könnten, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung zugrunde zu legen. Als beitragspflichtige Einnahmen gelte gemäß § 3 Abs. 3 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler für den Kalendertag mindestens der 90. Teil der monatlichen Bezugsgröße, soweit im SGB V und im SGB XI nichts Abweichendes bestimmt sei. Für freiwillig versicherte Rentner würden die Beiträge gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler kalendertäglich mindestens nach dem 90. Teil der monatlichen Bezugsgröße erhoben, es sei denn, die Voraussetzungen des § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V würden erfüllt. Schon nach § 240 Abs. 4 Satz 3 (bzw. zunächst bis 31.12.2018 Satz 8) SGB V, aber auch nach §§ 3 Abs. 3 und 7 Abs. 5 Satz 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler gelte gerade die Mindesteinnahmenregelung bei Rentenantragstellern nicht. Denn Satz 1 gelte gemäß § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V nicht für freiwillige Mitglieder, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllten und diese Rente beantragt hätten, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte dieses Zeitraums Mitglied oder nach § 10 versichert gewesen seien; § 5 Abs. 2 Satz 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler gelte entsprechend. Diese Vorschrift bewirke, dass freiwillig versicherte Rentner (in erster Linie Kleinrentner), einkommensproportionale Beiträge zu zahlen hätten. Der Kläger habe eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beantragt und sei in seinem Beitragsleben in der BRD ausschließlich Mitglied der Beklagten gewesen; er erfülle somit zwei Voraussetzungen von § 240 Abs. 4 Satz 3 (bzw. 8) SGB V. Die Voraussetzung des Erfüllens des Anspruchs auf eine Rente aus der gesetzlichen (deutschen) Rentenversicherung müsse der Kläger in der vorliegenden Konstellation nicht vorweisen. Zwar spreche § 240 Abs. 4 Satz 3 (bzw. 8) SGB V ausdrücklich von freiwilligen Mitgliedern und setze das Erfüllen des Rentenanspruchs voraus; dies sei jedoch unschädlich, da § 239 Satz 3 SGB V gerade eine entsprechende, also analoge, Anwendung des § 240 SGB V anordne. Für Rentenantragsteller seien demnach nicht nur die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler anwendbar, sondern auch die gesamte Vorschrift des § 240 SGB V. Nach Ansicht des SG bedeute die analoge Anwendung der Vorschrift deshalb, dass auch für Rentenantragsteller die Mindesteinnahmenregelung nicht gelte. Insofern könne dahinstehen, ob nicht auch das Erfüllen der Voraussetzungen für die Rente der SGK tatsächlich für § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V ausreichend wäre, obwohl die Vorschrift angesichts der Voraussetzung der Mindestversicherungszeit ersichtlich nur Renten der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung im Blick habe. Demzufolge seien die Beiträge nur nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Mitglieds (§ 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V), hier konkret gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler nach dem Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung und sonstiger Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden könnten, zugrunde zu legen. Der Kläger verfüge lediglich über seine Rente der SGK. Diese sei als Rente der gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen. Denn hierzu gehörten gemäß § 228 Abs. 1 Satz 1 SGB V Renten der allgemeinen Rentenversicherung sowie Renten der knappschaftlichen Rentenversicherung und nach § 228 Abs. 1 Satz 2 SGB V vergleichbare Renten aus dem Ausland, nicht dagegen Renten aus privater Versicherung. Als Renten der gesetzlichen Rentenversicherung gälten nach § 33 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Renten wegen Alters, wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder wegen Todes. Bei einer ausländischen Altersrente handele es sich um eine vergleichbare Leistung, wenn sie die gleichen typischen Merkmale aufweise wie die ausdrücklich benannte deutsche Altersrente. Hierbei sei zu prüfen, ob die ausländische Rente von Funktion und Struktur als mit der deutschen Altersrente vergleichbar zu qualifizieren sei. Entscheidende Kriterien für die Vergleichbarkeit seien demnach: die Leistungsgewährung durch einen öffentlichen Träger, das Anknüpfen der Leistung an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze und der Lohnersatz nach einer im allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellenden Gesamtkonzeption. Soweit die ausländische Altersrente bereits bezogen werden könne, bevor dies im Hinblick auf das Renteneintrittsalter nach deutschem Recht möglich sei, ändere dies für sich genommen ebenso nichts an der Gleichbehandlung der Rentenleistungen, wie die Frage, ob die Höhe der Leistung ausreiche, um in dem Staat des Aufenthalts, der Bundesrepublik Deutschland, in den die Leistung exportiert werde, den Lebensunterhalt sicher zu stellen (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 105/11 R -, in juris Rn. 15 ff.). Die vom Antragsteller bezogene Rente sei von Funktion und Struktur mit der deutschen Altersrente vergleichbar. Die vom BSG aufgestellten Kriterien zur Vergleichbarkeit würden erfüllt. Gemäß den vorgelegten Unterlagen der SGK sei der Kläger „Rentner" (Emekli) und erhalte Leistungen von dieser, somit von einem öffentlichen Träger. Die Leistungen seien auch an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze, dem 52. oder 49. Lebensjahr geknüpft. Nach dem Sozialversicherungsgesetz (Gesetz Nr. 506) Übergangsartikel 81 B) i)) könnten Männer, die das 52. Lebensjahr bereits vollendet hätten und über eine Versicherungszeit von 25 Jahren bzw. über mindestens 5.525 Beitragstage verfügten, die Altersrente in Anspruch nehmen, sofern sie Beiträge zur Erwerbsunfähigkeits-, Alters- und Sterbefallversicherung einbezahlt hätten. Hiervon habe der Kläger Gebrauch gemacht. Es sei auch davon auszugehen, dass der Rentenleistung eine Lohnersatzfunktion nach einer im allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellenden Gesamtkonzeption zukomme. Gewährt worden seien von 2.243,20 TRY bis zu nunmehr 3.017,83 TRY. Ob dies ausreichend sei, um in der Bundesrepublik Deutschland den Lebensunterhalt sicherzustellen, sei dabei nicht maßgebend. Eine von der SGK gezahlte Leistung sei damit eine der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbare Rente aus dem Ausland (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.07.2018 - L 11 KR 4549/17 -, in juris Rn. 23 ff.). Allein der Umstand, dass die türkische Rente bereits im günstigsten Fall mit Erreichen des 49. Lebensjahres für Männer gewährt werde, stehe der Vergleichbarkeit mit einer deutschen Altersrente ebenfalls nicht entgegen. Soweit eine ausländische Rente bereits bezogen werden könne, bevor dies im Hinblick auf das Renteneintrittsalter nach deutschem Recht möglich wäre, ändere dies nichts an der Gleichbehandlung der Rentenleistungen (BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 105/11 R -, in juris). Der Beitragssatz bestimme sich nach § 247 Satz 2 SGB V. Für Versicherungspflichtige finde für die Bemessung der Beiträge aus Renten der gesetzlichen Rentenversicherung der allgemeine Beitragssatz nach § 241 Anwendung. Abweichend von Satz 1 gelte gemäß § 247 Satz 2 SGB V (in der Fassung vom 11.12.2018) bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus ausländischen Renten nach § 228 Absatz 1 Satz 2 SGB V die Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes und - insoweit erst ab 01.01.2019 - abweichend von § 242 Absatz 1 Satz 2 SGB V die Hälfte des kassenindividuellen Zusatzbeitragssatzes. Dies werde mittlerweile durch § 9 Abs. 1 a Satz 3 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler ebenfalls umgesetzt. Die Rentenbezieher einer ausländischen Rente würden somit bei der Beitragsbelastung nicht schlechter gestellt als die Bezieher einer inländischen Rente. Zwar sei eine Beitragstragung bzw. ein Beitragszuschuss durch den ausländischen Versicherungsträger nicht vorgesehen, jedoch seien die ausländischen Renten nur mit dem halben allgemeinen Beitragssatz zur Krankenversicherung zu verbeitragen. Rentenbezieher hätten den krankenkassenindividuellen Zusatzbeitrag nach § 242 SGB V (bis 31.12.2018) allein zu tragen. Die Regelung des § 247 SGB V sei nicht nur für Versicherungspflichtige anwendbar, sondern gelte nach § 240 Abs. 2 Satz 5 SGB V (i.V.m. § 239 Satz 3 SGB V) auch für den Kläger. Freiwillige Mitglieder sowie Rentenantragsteller trügen die Beiträge nach § 250 Abs. 2 SGB V allein. Die fehlende hälftige Beitragstragung für Beiträge aus ausländischen Renten stelle keine Ungleichbehandlung dar, da gemäß § 247 Satz 2 SGB V insoweit nur der hälftige allgemeine Beitragssatz nach § 241 SGB V sowie der hälftige kassenindividuelle Zusatzbeitragssatz nach § 242 SGB V zur Anwendung komme.

Gegen das dem Kläger am 09.11.2020 und den Beklagten am 10.11.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.12.2020 und die Beklagten am 04.12.2020 Berufung zum LSG Baden-Württemberg erhoben.

Zur Begründung seiner Berufung hat der Kläger vorgetragen, er halte unter Bezugnahme auf seinen bisherigen Vortrag das angefochtene Urteil für rechtswidrig, soweit ihm eine Beitragspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung auferlegt worden sei. Er habe einen bestehenden Krankenversicherungsschutz von der SGK. Jedenfalls seien ihm unter Zugrundelegung der Mindestbemessungsgrundlage keine Beiträge aufzuerlegen. Allenfalls sei die Verbeitragung des Zahlbetrags der türkischen Rente mit der Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes sowie ab 01.01.2019 auch der Hälfte des kassenindividuellen Zusatzbeitrags zutreffend. Letztlich beantrage er aber die Kündigung des SozSichAbk TUR, denn es verstoße gegen die Verfassung beider Länder. Durch die Änderung der Devisenpolitik der Politiker in der T sei seine Rente auf 160,00 € gesunken. Deswegen habe er derzeit ein Renteneinkommen, das deutlich unter dem Krankenversicherungsbeitrag liege, den die Beklagten von ihm verlangten.

Der Kläger beantragt (teilweise sachgerecht gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15.10.2020 abzuändern, den Bescheid vom 18.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.09.2019 aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen, die Bescheide vom 13.11.2017 und vom 29.01.2018 in vollem Umfang zurückzunehmen,
sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagten beantragen (teilweise sachgerecht gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15.10.2020 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen,
sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie führen aus, die von ihnen der Beitragsbemessung zugrunde gelegte jeweilige Mindestbeitragsbemessungsgrenze sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Das SG verkenne, dass die Vorschrift des § 240 Abs. 4 Satz 3 (vorheriger Satz 8) SGB V auf den Kläger nicht - auch nicht entsprechend - angewendet werden könne. Die Regelung gelte nur für bestimmte freiwillig versicherte Rentner und habe heute allenfalls noch auslaufende Bedeutung.
Ausgangspunkt für diese Vorschrift sei das Urteil des BSG vom 06.11.1997 (12 RK 61/96). Danach habe die Mindestbeitragsbemessungsgrundlage des § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V auch für Mitglieder gegolten, die wegen des Bezugs einer eigenen niedrigen Rente die Einkommensgrenze des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V für eine beitragsfreie Familienversicherung überschritten, zudem die damalige Vorversicherungszeit für die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) verfehlten und sich nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V freiwillig weiterversichert hätten. Der Gesetzgeber habe das für diejenigen Rentner als unbillig angesehen, die die Vorversicherungszeit der Neun-Zehntel-Belegung der zweiten Hälfte des Erwerbslebens mit Zeiten der Mitgliedschaft oder der Familienversicherung nach früherem Recht aufzuweisen gehabt hätten. Diese „Kleinrentner" seien durch Einführung der Vorschrift damit von der Geltung des § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V ausgenommen worden; für sie hätten nur die tatsächlich vorhandenen beitragspflichtigen Einnahmen und gerade nicht die Beitragsbemessung nach fiktiven Mindesteinnahmen gegolten. Die geschilderte Problematik sei jedoch infolge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 15.03.2000 - 1 BvL 16/96 -, in juris) und einer klarstellenden Änderung des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V mit Wirkung vom 01.04.2007 durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz obsolet. Der nunmehr seit 01.01.2019 in § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V genannte Personenkreis habe demnach heute Zugang zur Versicherungspflicht in der KVdR, in der keine fiktiven Mindesteinnahmen gelten. Die Vorschrift könne daher lediglich noch für diejenigen Rentner Bedeutung haben, die nur deshalb nicht in der KVdR versichert seien, weil für sie die absolute Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 3 SGB V bestehe oder es sich um einen Optionsberechtigten nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 SGB V in der bis zum 10.05.2019 geltenden Fassung handele. Lediglich für diesen Personenkreis sei eine einkommensgerechte Beitragsbemessung auch unterhalb der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nach § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V vorzunehmen. Der Kläger falle nicht unter den von der Regelung erfassten Personenkreis. Als Rentenantragsteller gelte für ihn mangels Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen weder die absolute Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 3 SGB V, noch sei er Optionsberechtigter nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 SGB V in der bis zum 10.05.2019 geltenden Fassung.

Die Berichterstatterin hat am 25.06.2021 einen Erörterungstermin durchgeführt. Den im Termin geschlossenen widerruflichen Vergleich haben die Beklagten widerrufen.

Einen zwischenzeitlich am 11.08.2021 gestellten Antrag auf Erlass der offenen Beiträge hat die Beklagte zu 1) - auch im Namen der Beklagten zu 2) - mit Bescheid vom 16.09.2021 abgelehnt.

Mit Bescheid vom 14.01.2022 hat die Beklagte zu 1) - auch im Namen der Beklagten zu 2) - ab 01.01.2022 Beiträge in Höhe des Mindestbeitrags von 175,42 € (141,97 € KV und 33,45 € PV) festgesetzt.

Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 26.04.2022 darauf hingewiesen, dass im Rahmen des hier zugrundeliegenden Zugunstenverfahrens nur die Überprüfung der Bescheide vom 13.11.2017 und 29.01.2018 streitgegenständlich ist.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch den Senat ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG – auch im Verfahren S 12 KR 4150/18 - sowie die von der Beklagten zu 1) vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

1. Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht erhobene und gemäß § 143 SGG statt-hafte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist auch im Übrigen zulässig. Ebenso ist die form- und fristgerecht erhobene selbständige Anschlussberufung der Beklagten statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Berufungen bedurften nicht der Zulassung, denn sie betreffen Leistungen, hier Beiträge zur KV und PV, für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG).

2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.09.2019, mit dem die Beklagte zu 1) - auch im Namen der Beklagten zu 2) - die Rechtmäßigkeit der Ausgangsbescheide vom 13.11.2017 und vom 29.01.2018 nach § 44 SGB X überprüft hat. Entgegen der Auffassung des SG sind die Beitragsbescheide vom 29.01.2019 und vom 27.01.2020 (und im Folgenden weitere Beitragsbescheide bis zum Ende der mündlichen Verhandlung) nicht Gegenstand des Verfahrens geworden.

Hat die Behörde einen Antrag auf Rücknahme des Ausgangsverwaltungsaktes nach § 44 SGB X abgelehnt, so wird ein Verwaltungsakt, der den Ausgangsverwaltungsakt für spätere Zeiträume abändert oder ersetzt, nicht gemäß § 86 oder § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens. Bei der Entscheidung über die Rücknahme nach § 44 SGB X beurteilt sich nämlich die Rechtswidrigkeit nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus der Sicht im Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung. Spätere Entwicklungen der Sach- und Rechtslage, die die Zeit nach Erlass des Ausgangsverwaltungsaktes betreffen, sind für die Entscheidung nach § 44 SGB X nicht von Belang. Würde man die sich auf spätere Zeiträume beziehenden Änderungsverwaltungsakte bezüglich des Ausgangsbescheides als Folgebescheide im Sinne der §§ 86 und 96 SGG ansehen, würde auf diesem Wege die Prüfung der Sach- und Rechtslage für spätere Zeiträume in die Überprüfung nach § 44 SGB X einbezogen werden, obwohl dafür ausschließlich das Verfahren nach § 48 SGB X vorgesehen ist (vgl. z.B. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30.09.2015 - L 2 P 22/13 -, in juris Rn. 28). Nicht streitgegenständlich ist auch der Bescheid vom 16.09.2021 mit dem die Beklagte zu 1) - auch im Namen der Beklagten zu 2) - den Erlass der offenen Beiträge abgelehnt hat. Dieser Bescheid ändert die Ausgangsbescheide nicht ab und er ersetzt sie auch nicht.

Damit kommt es im vorliegenden Fall für die Beurteilung der Frage, ob die Beklagte zu 1) - auch im Namen der Beklagten zu 2) - im streitgegenständlichen Verwaltungsakt zu Recht die Rücknahme ihrer Beitragsbescheide vom 13.11.2017 und 29.01.2018 abgelehnt hat, ausschließlich darauf an, ob diese Bescheide im Zeitpunkt ihres Erlasses auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse rückblickend rechtmäßig waren, wobei ohne Bedeutung ist, ob sich die Sach- und Rechtslage bezüglich dieser Dauerverwaltungsakte zu einem späteren Zeitpunkt geändert hat.

3. Die selbständige Berufung des Klägers ist unbegründet; die selbständige Anschlussberufung der Beklagten ist demgegenüber teilweise begründet.

Das SG hat den Bescheid vom 18.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.09.2019 zwar zu Recht aufgehoben; es hat die Beklagten auch zu Recht verpflichtet, die - hier streitgegenständlichen - Bescheide vom 13.11.2017 und 29.01.2018 abzuändern bzw. richtigerweise zurückzunehmen. Zu Unrecht hat das SG die Beklagten aber nur dazu verurteilt, die Beiträge des Klägers zur Kranken- und Pflegeversicherung in der streitgegenständlichen Zeit vom 01.11.2017 bis 31.12.2018 allein aus dem Zahlbetrag der türkischen Rente mit der Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes zu erheben. Der Beitragspflicht unterliegt auch der die türkische Rente bis zur im Jahr 2017 geltenden Mindestbemessungsgrundlage von 991,67 € und bis zur im Jahr 2018 geltenden Mindestbemessungsgrundlage von 1.015,00 € übersteigende fiktive Beitrag hinsichtlich dessen der ermäßigte Beitragssatz maßgebend ist.

Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist vorliegend § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach gilt: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Diese Voraussetzungen liegen zur Überzeugung des Senats vor.

Bei den Bescheiden der Beklagten vom 13.11.2017 und 29.01.2018 handelt es sich unstreitig um Verwaltungsakte. Bei deren Erlass haben die Beklagten auch das Recht nicht zutreffend angewandt. Die Beklagten sind deshalb verpflichtet, die Bescheide zurückzunehmen, denn diese Bescheide waren rechtswidrig; die Beklagten haben die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in nicht zutreffender Höhe erhoben.

Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.11.2017 bis 31.12.2018 nach §§ 5 Satz 1 Nr. 11 SGB V, 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 SGB XI als Rentenantragsteller versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten.

Die Beklagten haben in diesem Zusammenhang zu Recht festgestellt, dass dem Grunde nach eine Verpflichtung des Klägers zur Entrichtung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung nach deutschem Recht besteht. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, sind nämlich die deutschen Vorschriften auf den Kläger, der eine türkische Rente bezieht und eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung der BRD beantragt hat, nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 des Abkommens zwischen der BRD und der Republik T über Soziale Sicherheit i.V.m. § 3 Nr. 2 SGB IV anzuwenden. Denn danach sind bei gewöhnlichem Aufenthalt im Gebiet einer Vertragspartei deren Rechtsvorschriften über Krankenversicherung auf eine Person anzuwenden, die nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsparteien Rente bezieht oder beantragt hat. Der Kläger bezieht eine Rente aus der T und hat aber nach wie vor eine Rente in der BRD beantragt; deshalb sind die deutschen Vorschriften anzuwenden. Der Senat verkennt nicht, dass dies nach den Angaben des Klägers in seinem Fall nachteilig ist. Dies ändert aber nichts an der Gültigkeit des Sozialversicherungsabkommens und der Anwendbarkeit auf den Kläger. Eine Verpflichtung der Vertragsparteien auf Kündigung des Vertrags besteht nicht. Dies wurde dem Kläger mittlerweile auch vom BMAS, dem Bundeskanzleramt und dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages, deren Antwortschreiben er im Berufungsverfahren vorgelegt hat, bestätigt.

Allerdings haben die Beklagten die Beiträge des Klägers zur Kranken- und Pflegeversicherung im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.11.2017 bis 31.12.2018 nicht in zutreffender Höhe festgesetzt.

Gemäß § 220 Abs. 1 Satz 1 SGB V werden die Mittel der Krankenversicherung unter anderem durch Beiträge aufgebracht. Die Beiträge werden gemäß § 223 Abs. 2 Satz 1 SGB V nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bemessen. Die Beitragsbemessung richtet sich nach dem Versichertenstatus des Klägers in dem Zeitpunkt, für den Beiträge erhoben werden. Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum als Rentenantragsteller versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Nach § 239 Satz 1 SGB V bestimmt sich die Beitragsbemessung für die Zeit der Rentenantragstellung bis zum Beginn der Rente durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen; § 240 SGB V gilt nach § 239 Satz 3 SGB V entsprechend. Damit bestimmen sich die beitragspflichtigen Einnahmen des Klägers nach § 240 SGB V.

Die Beklagten haben danach in der Zeit vom 01.11.2017 bis 31.12.2018 auf Grundlage der Mindestbeitragsbemessungsgrenze die Höhe der Beiträge in der Kranken- und Pflegeversicherung festzusetzen und dabei zu berücksichtigen, dass die türkische Rente des Klägers nur mit dem hälftigen Beitragssatz verbeitragt wird.

Nach § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V wird die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dies erfolgte mit den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler (www.gkv-spitzenverband.de; zu deren Wirksamkeit: BSG, Urteil vom 19.12.2012 - B 12 KR 20/11 R -, in juris). Nach § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Nach § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V sind bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds zu berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind. Nach § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag mindestens der 90. Teil der monatlichen Bezugsgröße. Als Ausnahmeregelung zu § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V, der zur Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds verpflichtet, legt der Gesetzgeber in § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V eine (absolute) Untergrenze beitragspflichtiger Einnahmen fest, die nicht unterschritten werden darf. § 3 Abs. 3 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler enthält eine gleichlautende Regelung.

Bezugsgröße im Sinne dieser Vorschrift ist gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB IV das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr, aufgerundet auf den nächsthöheren, durch 420 teilbaren Betrag. Die Bezugsgröße im Sinne des § 18 Abs. 1 SGB IV beträgt im Jahr 2017 monatlich 2.975,00 € (§ 2 Abs. 1 der Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2017), der 90. Teil multipliziert mit 30 Tagen damit 991,67 €, und im Jahr 2018 monatlich 3.045,00 €, der 90. Teil multipliziert mit 30 Tagen damit 1.015,00 € (§ 2 Abs. 1 der Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2018).

Für Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, die keinen Anspruch auf Krankengeld haben, gilt ein ermäßigter Beitragssatz (§ 243 Satz 1 SGB V). Der ermäßigte Beitragssatz beträgt im streitigen Zeitraum 14,0 Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder (§ 243 Satz 3 SGB V). Gemäß § 242 Abs. 1 Satz 1 SGB V hat eine Krankenkasse in ihrer Satzung zu bestimmen, dass von ihren Mitgliedern ein einkommensabhängiger Zusatzbeitrag erhoben wird, soweit der Finanzbedarf der Krankenkasse durch die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht gedeckt ist. Gemäß § 242 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben die Krankenkassen den einkommensabhängigen Zusatzbeitrag als Prozentsatz der beitragspflichtigen Einnahmen jedes Mitglieds zu erheben (kassenindividueller Zusatzbeitragssatz). Gemäß der Satzung der Beklagten erhebt diese von ihren Mitgliedern einen einkommensabhängigen Zusatzbeitrag, dessen Höhe ab 01.01.2017 0,9 Prozent und ab 01.01.2018 1,1 Prozent beträgt.

Ausländische Renten, wie die des Klägers (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.07.2018 - L 11 KR 4549/17 -, in juris Rn. 23ff.) sind, wie das SG zutreffend festgestellt hat, als Einnahmen zu berücksichtigen. Der Beitragssatz bestimmt sich insoweit nach § 247 Satz 2 SGB V. Danach wird die Bemessung der Beiträge nach § 228 Abs. 1 Satz 2 SGB V mit der Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes vorgenommen. Der allgemeine Beitragssatz beläuft sich nach § 241 SGB V auf 14,6 %.

Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sind gemäß § 223 Abs. 1 SGB V grundsätzlich für jeden Tag der Mitgliedschaft zu zahlen. Sie sind grundsätzlich von demjenigen zu zahlen, der sie zu tragen hat (§ 252 Abs. 1 Satz 1 SGB V).

Aufgrund der Verweisung in § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI gilt die Beitragspflicht in gleicher Weise auch für die Pflegeversicherung; dies gilt auch für die Verbeitragung ausländischer Renten (vgl. LSG für das Saarland, Urteil vom 16.07.2014 - L 2 KR 14/14 -, in juris, zu einer Rente aus den Vereinigten Staaten von Amerika). Der Beitragssatz zur gesetzlichen Pflegeversicherung betrug in den Jahren 2017 und 2018 jeweils 2,80 % für Kinderlose (§ 55 Abs. 1, 3 SGB XI in der Fassung vom 21.12.2015).

In Anwendung dieser Maßstäbe haben die Beklagten die monatlichen Beiträge des Klägers zur Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 01.11.2017 bis 31.12.2018 richtigerweise in Höhe des Beitrags der sich unter Ansatz der in Euro umgerechneten Rente des Kläger mit der Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes und unter Ansatz des die türkische Rente übersteigenden fiktiven Betrags bis zur Mindestbemessungsgrenze in den Jahren 2017 bzw. 2018 mit dem ermäßigten Beitrag sowie dem Pflegeversicherungsbeitrag ergibt, festzusetzen.

Die Beklagten haben bei der Beitragsberechnung die Mindestbemessungsgrenze zugrundezulegen und hierbei zwischen der Höhe der türkischen Rente und der Differenz zwischen der Höhe des 90. Teils der Bezugsgröße und der türkischen Rente zu differenzieren.

Gegen den Ansatz der Mindestbemessungsgrenze kann der Kläger nicht einwenden, er habe im streitigen Zeitraum zu geringe Einnahmen erzielt und dürfe deshalb nicht auf Grundlage der von § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V fingierten Mindesteinnahmen verbeitragt werden. Als Ausnahmeregelung zu § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V, der zur Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds - und auch des Rentenantragstellers (§ 239 Satz 3 SGB V) - verpflichtet, legt § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V eine Mindestbeitragsbemessungsgrundlage, d.h. eine absolute Untergrenze beitragspflichtiger Einnahmen fest (vgl. BSG, Urteil vom 30.11.2016 - B 12 KR 6/15 R -, in juris, Rn. 15; Padé, in: juris-PK SGB V, Stand Dezember 2020, § 240 Rn. 61; Gerlach, in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand April 2018, § 240 Rn. 119). Die Mindestbemessungsgrenze räumt im Interesse einer stabilen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung dem Versicherungsprinzip Vorrang gegenüber dem Solidaritätsprinzip ein (Padé, a.a.O.). Die Vorschrift des § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V ist verfassungsgemäß (BSG, Urteil vom 07.11.1991 - 12 RK 37/90 -, in juris, Rn. 19 ff.). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die gesetzliche Fiktion beitragspflichtiger Einnahmen als Mindestbemessungsgrundlage bestehen selbst dann nicht, wenn der Mindestbeitrag höher ist als der Beitrag von Pflichtversicherten, deren beitragspflichtige Einnahmen niedriger sind als diejenigen, die bei freiwilligen Mitgliedern mindestens zu berücksichtigen sind (BSG, Urteil vom 30.11.2016 - B 12 KR 6/15 R -, in juris, Rn. 29 m.w.N.), oder wenn die tatsächlichen Einnahmen des freiwillig Versicherten - oder hier des Rentenantragstellers - wesentlich unter der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage liegen oder Einkommen überhaupt nicht vorhanden ist (BSG, Urteil vom 18.02.1997 - 1 RR 1/94 -, in juris, Rn. 14 und 21).

Entgegen der Auffassung des SG kann sich der Kläger insoweit auch nicht mit Erfolg auf § 240 Abs. 4 Satz 8 SGB V in der Fassung bis 31.12.2018 (seither inhaltsgleich Satz 3) berufen und (hilfsweise) geltend machen, er habe lediglich Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge aus seiner türkischen Rente in Höhe des hälftigen Beitragssatzes zu entrichten. Der Senat geht mit den Beklagten davon aus, dass sich die in § 239 Satz 3 SGB V geregelte entsprechende Anwendung des § 240 SGB V nicht auf die Anwendung des § 240 Abs. 4 Satz 8 SGB V in der Fassung bis 31.12.2018 erstreckt und zudem dessen Voraussetzungen nicht vorliegen. Danach gilt § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht für freiwillige Mitglieder, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte dieses Zeitraums Mitglied oder nach § 10 versichert waren. Denn danach ist neben der Rentenantragstellung Voraussetzung, dass ein Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung „erfüllt wird". Gerade diese Frage ist aber bei Rentenantragstellern und auch beim Kläger noch nicht geklärt. Es besteht ein Schwebezustand. Allein die Rentenantragstellung entbindet den freiwillig Versicherten nicht von der Entrichtung von Mindestbeiträgen. Das Mitglied hätte es sonst in der Hand, allein durch Stellung eines möglicherweise völlig aussichtslosen Rentenantrags - bei Ausschöpfung aller Rechtsmittel über einen längeren Zeitraum - einen günstigeren Krankenversicherungsschutz zu erreichen. § 240 Abs. 4 Satz 8 SGB V ist eine Sonderregelung für Rentner, d. h. für Rentenbezieher, mit der die Mindesteinnahmenregelung, die zu Mindestbeiträgen freiwillig Versicherter sogar dann führt, wenn sie überhaupt keine Einnahmen haben, durchbrochen wird. Nach der Gesetzesbegründung sollten Kleinrentner im Hinblick auf die Folgen des Gesundheitsstrukturgesetzes entlastet werden. Abgesehen davon, dass dieses gewollte Ziel zwischenzeitlich aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15.03.2000 (BVerfGE Bd. 102, Seite 68) überholt und gegenstandslos geworden ist, enthält die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 14/1245 S. 97/98) keinen Hinweis darauf, dass diese Sonderregelung auch für Rentenantragsteller gelten soll. Da bei Rentenantragstellern gerade noch nicht feststeht, ob die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt sind, hätte es aber eines solchen Hinweises und auch einer entsprechenden Gesetzesformulierung bedurft (so bereits LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.08.2005 - L 11 KR 3450/04 -, in juris Rn. 32).

Bzgl. des Beitragssatzes gilt mit Blick auf die vom Kläger bezogene türkische Rente nach Umrechnung auf der Grundlage des von der Europäischen Zentralbank öffentlich bekannt gegebenen Referenzkurses (§ 17a Abs. 1 SGB IV) gem. § 228 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 247 Abs. 2 die Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes, mithin in den Jahren 2017 und 2018 jeweils 7,3 %; dies gilt auch für den Zusatzbeitrag, der sich 2017 auf 0,9 % (mithin 0,45 %) und 2018 auf 1,1 % (mithin 0,55 %) belief. Bzgl. des fiktiv anzusetzenden Betrags zwischen dieser umgerechneten türkischen Rente und der Mindestbemessungsgrenze ist der ermäßigte Beitragssatz in Höhe von jeweils 14,0 % und der nicht verminderte Zusatzbeitrag festzusetzen. Weiter festzusetzen ist der Pflegeversicherungsbeitrag in Höhe von jeweils 2,80 %.

Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Berufung des Klägers ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das überwiegende Unterliegen des Klägers.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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