L 7 KA 52/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 166/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 52/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 2/23 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Hat ein vertragsärztlicher Leistungserbringer einen Honorarbescheid nur hinsichtlich konkreter Abrechnungsziffern, deren Abrechnung im Wege der

sachlich-rechnerischen Berichtigung im Honorarbescheid abgelehnt wurde, angefochten, kann die KÄV eine erst im Rechtsbehelfsverfahren erfolgende

Schmälerung des Rest-Honorars nur unter den Voraussetzungen der reformatio in peius rechtmäßig vornehmen.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. September 2019 geändert.

 

Die Beklagte wird unter Änderung der Honorarbescheide für die Quartale III/2007 und IV/2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2017 verurteilt, der Klägerin eine weitere Vergütung der Notfallbehandlungen innerhalb der Zeiten des organisierten Notfalldienstes in Höhe von 12.885,71 Euro für das Quartal III/2007 und in Höhe von 15.841,98 Euro für das Quartal IV/2007 zu zahlen.

 

Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Beklagte 25 Prozent und die Klägerin 75 Prozent.

 

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Vergütung für die Quartale III/2007 sowie IV/2007 und in der Berufung allein noch über die Frage, in welchem Umfang die Beklagte berechtigt war, den Investitionskostenabschlag zu berücksichtigen.

 

Die Klägerin ist Trägerin des im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) gelegenen und zur Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Krankenhauses V. Dieses nahm in den beiden streitbefangenen Quartalen im Rahmen der Erbringung von ambulanten Notfallbehandlungen mit einer Erste-Hilfe-Stelle im Verwaltungsbezirk Neukölln an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Für die dort in den Quartalen III/2007 und IV/2007 bei gesetzlich Krankenversicherten vorgenommenen ambulanten Notfallbehandlungen rechnete die Klägerin gegenüber der Beklagten im Quartal III/2007 die für die Leistungen im Notfall und im organisierten ärztlichen Notfalldienst vorgesehenen Pauschalen mit den Gebührennummern 01210 – 01217 EBM (Komplex im organisierten Not[fall]dienst) ab, die im EBM 2000plus in der 2007 geltenden Fassung mit zwischen 100 Punkten (Nr. 01215) und 500 Punkten (Nrn. 01217 und 01210) bewertet waren (im Quartal III/2007 5.157 abgerechnete Fälle und 1.031.400 Punkte, im Quartal IV/2007 6.646 abgerechnete Fällen und 1.329.200 Punkte).

Die Beklagte „wandelte“ diese Abrechnungen der Notfallbehandlungen im Wege der sachlich-rechnerischen Berichtigung jeweils gemäß dem seit dem 1. April 2005 gültigen EBM2000 plus einheitlich in die mit 200 Punkten und damit regelhaft niedriger bewertete Gebührennummer 01218 EBM-Ä (Notfallbehandlung von nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten, Instituten und Krankenhäusern) um und berechnete die Punkte gemäß dem seit 1. April 2005 geltenden Honorarverteilungsvertrag (HVV) mit einem Punktwert in Höhe von 4,15 Cent. Für das Quartal III/2007 ermittelte sie eine Vergütung für die Notfallleistungen in Höhe von 42.479,40 Euro, für das Quartal IV/2007 in Höhe von 55.161,80 Euro (Anlage zum Widerspruchsbescheid).

Die Beklagte setzte für die Klägerin zur Arztnummer  für das Quartal III/2007 ein Gesamthonorar in Höhe von insgesamt 126.757,12 Euro und für IV/2007 in Höhe von 154.389,77 Euro fest.

Für die beiden Quartale nahm sie in einem als „Anlage zur Rechnungszusammenstellung“ bezeichneten jeweils eigenen Bescheid zum Honorarbescheid einen Abzug in Höhe von 7.650,00 Euro bzw. 5.730,00 Euro für die nicht vom Krankenhaus einbehaltene Praxisgebühr vor.

 

Die Klägerin legte gegen die Honorarfestsetzungsbescheide für die beiden Quartale III/2007 und IV/2007 am 27. März 2008 sowie am 19. Juni 2008 jeweils Widerspruch ein, mit dem sie sich gegen die Höhe der Vergütung der Notfallbehandlungen wandte.

 

Mit zwei Entscheidungen vom 17. September 2008 (B 6 KA 46/07 R und B 6 KA 47/07 R) urteilte das Bundessozialgericht, dass die punktzahlmäßige Bewertung der Leistungen der Notfallbehandlungen im EBM-Ä nicht danach differenzieren darf, ob die Behandlung im organisierten vertragsärztlichen Notfalldienst oder in einem Krankenhaus durchgeführt worden ist. Die punktzahlmäßige Bewertung des Ordinationskomplexes für Notfallbehandlungen im Krankenhaus mit nur 200 Punkten (Gebührennr 01218 EBM-Ä 2005) in Verbindung mit dem Ausschluss der Krankenhäuser von der Berechnungsfähigkeit der Gebührennr 01210 EBM-Ä 2005 stehe mit höherrangigem Recht nicht in Einklang.

 

Mit Blick auf die Vorgaben des Bundessozialgerichts änderte der Erweiterte Bewertungsausschuss (EBewA) mit Beschluss vom 16. Dezember 2009 [unter Buchstabe (B)] u.a. die Bewertung der Abrechnungsziffer GOP 01218 für die Notfallbehandlungen durch nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte, Institute und Krankenhäuser während und außerhalb der Zeiten des organisierten Notfalldienstes rückwirkend. Daraus ergab sich eine Änderung der Bewertung wie folgt:

 

 

EBM-Ziffer

Zeitpunkt der Inanspruchnahme

Bewertung in Punkten

Vorher

Bewertung in Punkten

Nachher

01210

Montag bis Freitag in der Zeit zwischen 7.00 Uhr und 18.59 Uhr

 

200 Punkte

 

200 Punkte

01210

Montag bis Freitag zwischen 19:00 Uhr und 6.59 Uhr

 

200 Punkte

 

500 Punkte

01210

Samstag, Sonntag, gesetzliche Feiertage (ganztägig)

 

200 Punkte

 

500 Punkte

 

Gegen Teile des Beschlusses [konkret gegen den mit „Regelung zur Finanzierung“ überschriebenen Beschlussteil (C)] erhob der GKV-Spitzenverband Klage zum LSG Berlin-Brandenburg (L 24 KA 4/10 KL).

 

Auf die Aufforderung der Klägerin, den Widerspruch zu bescheiden, wies die Beklagte sie darauf hin, dass sie mit Blick auf die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den EBewA-Beschluss und dessen Unteilbarkeit diesen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung insgesamt nicht umsetzen werde. Mit Urteil vom 31. Mai 2013 hob das LSG Berlin-Brandenburg in dem o.g. Klageverfahren Teil (C) des Beschlusses des EBewA auf.

 

Mit Beschluss vom 27. März 2014 beschloss die Vertreterversammlung der Beklagten unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG sowie des LSG Berlin-Brandenburg (in den Verfahren B 6 KA 6/11 R und L 7 KA 4/11), wonach die ab dem 1. April 2005 in den Honorarverteilungsmaßstäben (HVM) eingerichteten Individualbudgets keine Steuerungsinstrumente seien, die den gesetzlich vorgegebenen Regelleistungsvolumina nach § 85 Abs. 4 Sätze 7 und 8 SGB V a.F. vergleichbar seien, rückwirkend einen neuen HVM für die Zeit vom 1. April 2005 bis zum 31. Dezember 2008. Sie bewertete darin die Leistungen im vertragsärztlichen Notdienst für die Vertragsärzte und Erste-Hilfe-Stellen (Notfallbehandlungen) außerhalb der budgetierten Gesamtvergütung einheitlich mit 2,97 Cent für die Primärkassen und 3,59 Cent für die Ersatzkassen (§ 8b Abs. 4 und § 14 Abs. 2 des HVM-Beschlusses).

 

Unter Bezugnahme auf den o.g. Beschluss des EBewA forderte die Beklagte die Klägerin auf, eine Abrechnung mit den entsprechenden Angaben der Uhrzeiten für die Notfallbehandlungen und ggf. eine korrigierte Abrechnung bei ihr einzureichen.  

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2017 half die Beklagte den beiden Widersprüchen teilweise ab und wies für die Notfallbehandlungen eine Nachvergütung (brutto) für das Quartal III/2007 in Höhe von 6.746,06 Euro und für das Quartal IV/2007 in Höhe von 10.908,29 Euro aus. Der weitergehende Widerspruch der Klägerin werde dagegen zurückgewiesen.

 

Zur Begründung führte die Beklagte aus:

 

Es sei der Vergütung neben dem Beschluss des EBewA auch der rückwirkend geänderte Honorarverteilungsmaßstab (HVM) vom 27. März 2014 zugrunde zu legen. Danach würden die Leistungen unbudgetiert zum RLV-Punktwert in Höhe von 2,97 Cent für Primärkassen und in Höhe von 3,59 Cent für Ersatzkassen vergütet. Die Klägerin könne jedoch die sich für die Notfallbehandlungen rechnerisch ergebenden Nachzahlungsbeträge nicht in voller Höhe erhalten, weil die ursprünglichen Honorarfestsetzungen deshalb rechtswidrig gewesen seien, weil die Beklagte den gemäß § 120 Abs. 3 Satz 2 SGB V vorgeschriebenen Investitionskostenabschlag in Höhe von 10 % nicht berücksichtigt hätte. Die Klägerin habe deshalb mit den angefochtenen Bescheiden ihr originär festgesetztes Honorar ungeschmälert, d.h. ohne Berücksichtigung des Abzugs eines Investitionskostenabschlages bereits erhalten. Die Berechnung der Nachvergütung (NV) stelle sich unter Berücksichtigung des Investitionskostenabschlages wie folgt dar (S. 8 des Widerspruchsbescheides):

 

 

 

 

Quartal

Gesamt-honorar (brutto) lt.

Honorar-

bescheid

(€)

Nachver-

gütung

(brutto)

Notfall

 

(€)

Gesamt-honorar

(brutto)

Neu

 

(€)

Investitions-kosten-Abschlag

(-10 %)

auf Gesamt-honorar (€)

Verw.-Kosten NV

(brutto)

 

(€)

 

NV

(netto)

 

 

(€)

 

NV

(brutto)

 

 

(€)

III/2007

128.857,12

21.813,08

150.670,20

15.067,02

458,07

6.287,99

6.746,06

IV/2007

158.419,77

29.722,52

188,142,29

18.814,23

564,73

10.343,56

10.908,29

Summe

 

 

 

 

 

16.631,55

17.654,35

 

 

Die Beklagte sei berechtigt, den zunächst nicht abgezogenen Investitionskostenabschlag nunmehr anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Der Klägerin stehe kein Recht zu, das mit den angefochtenen Honorarbescheiden zu Unrecht erhaltene Honorar behalten zu dürfen, die Verfahrensweise der Aufrechnung stehe mit höchstrichterlicher Rechtsprechung im Einklang. So habe das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 17. März 2010 (B 6 KA 13/09 R) eine Prüfung und Aufrechnung trotz Überschreitens einer vierjährigen Frist zugelassen, da es den gleichen Sachverhalt betreffe. Es müsse lediglich das Verbot der reformatio in peius beachtet werden. Auch habe das BSG in der Entscheidung vom 25. März 2015 (B 6 KA 22/14 R) ausgeführt, dass es zulässig sei, wenn eine ursprünglich nicht angewandte Punktzahlobergrenze im Rahmen eines Nachvergütungsanspruchs berücksichtigt werde und diesen verringere, da es auf die Gesamtbetrachtung ankomme und (nur) insoweit keine Schlechterstellung erfolgen dürfe. Die Beklagte habe in den Ausgangsbescheiden zum Honorar der Klägerin keine ausdrückliche Regelung dahingehend aufgenommen, dass die Notfallbehandlungen ohne Abzug eines Investitionskostenabschlags gemäß § 120 Abs. 3 SGB V vergütet würden. Daher habe es sich bei dem Nichtabzug nicht um einen bestandskräftig gewordenen abtrennbaren Teil des Honorarbescheids gehandelt. Der Grundsatz reformatio in peius sei nicht verletzt. Es sei auch keine unzulässige Saldierung der Honoraransprüche über mehrere Quartale erfolgt.

 

 

Die Klägerin hat am 29. August 2017 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben. Die Beklagte habe bei der Nachvergütung einen zu niedrigen Punktwert je Behandlung angesetzt. Sie hätte einen Punktwert von 4,15 Cent gemäß dem 2007 gültigen Honorarvertrag zugrunde legen müssen, dagegen nicht die niedrigeren Werte aus dem 2014 rückwirkend beschlossenen Honorarvertrag. Außerdem ergebe sich aus der Rechtsprechung des BSG, dass die Notfallbehandlungen in Krankenhäusern rückwirkend in jeglicher Hinsicht genauso hoch vergütet werden müssten wie die Notfallbehandlungen anderer Leistungsträger. Diese Auffassung werde durch die Rechtsprechung des LSG Berlin-Brandenburg bestätigt (Verweis auf L 7 KA 25/11). Eine nachträgliche Änderung der Bewertung der Punkte sei rechtswidrig, wenn sie zur Ungleichbehandlung und Entwertung dieser Vergütungen führe und nicht innerhalb von vier Jahren nach Erlass des Honorarbescheides erfolge.

 

Die festgesetzte Nachvergütung sei auch deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte im Widerspruchsbescheid von dem gesamten Honorar, d.h. auch von dem bereits für 2007 ausgezahlten, den Investitionskostenabschlag abgezogen habe. Es sei schon in formeller Hinsicht rechtswidrig, wenn die Beklagte dem Nachzahlungsbetrag, der sich aus der Höherbewertung der Notfalldienstleistungen ergebe, den Investitionskostenabschlag im Wege der Aufrechnung entgegen setze. Denn der Widerspruch der Klägerin habe sich allein darauf bezogen, dass die Beklagte die Notfallziffern GOP Nr. 01210, 01215, 01216 und 01217 EBM gestrichen und durch die GOP Nr. 01218 EBM ersetzt habe. Die sonstigen Honorarfestsetzungen in dem Honorarbescheid seien dagegen bestandskräftig geworden. Streitig geblieben seien nur die in der „Anlage“ zum Honorarbescheid zum Zurückbehaltungsrecht getroffenen Anordnungen (Einbehalte betreffend Praxisgebühr) sowie die fehlerhaft zu geringen Honorare bezüglich der Notfallbehandlungen. Eine Beschränkung des Rechtsbehelfs sei möglich (Hinweis auf B 6 KA 77/03 R). Gemessen daran seien die sonstigen Honorarfestsetzungen außerhalb der Vergütung der Notfallbehandlungen (und betreffend die Zurückbehaltung wegen nicht eingezogener Praxisgebühren) bestandskräftig geworden. Schließlich sei der Abzug des Investitionskostenabschlags auch materiell rechtswidrig, denn die rückwirkende Neufestsetzung komme einer (Teil-)Rücknahme des Bescheides gleich. Im Übrigen sei die vierjährige Ausschlussfrist überschritten; in der erstmaligen Anwendung des §  120 Abs. 3 Satz 2 SGB V liege insoweit ein i.S. der Rechtsprechung des BSG „neues Vorgehen“ gegen die Klägerin. Die genannte Rechtsgrundlage für den Abschlag sei zudem zum 1.1.2016 außer Kraft getreten. Schließlich sei eine sachlich-rechnerische Berichtigung zwingend in der Vierjahresfrist zu erheben, wenn sie nicht im Ausgangsbescheid vorbehalten bleibe (Hinweis auf B 6 KA 36/14 R). Das Vorgehen der Beklagten sei unabhängig davon, selbst wenn also die Honorarbescheide nicht teilweise bestandskräftig seien, jedenfalls als reformatio in peius rechtswidrig. Die Voraussetzungen von § 45 SGB X lägen nicht vor.

 

Die Beklagte sei mit Blick darauf zu verpflichten, die Nachvergütung für Notfallbehandlungen für das Quartal III/2007 und für das Quartal IV/2007 entsprechend dem geänderten EBM-Ä ungeschmälert auszuzahlen, d.h., für das Quartal III/2007 in Höhe von 26.518,49 Euro (netto), für IV/2007 in Höhe von 34.059,17 Euro (netto).

 

Die Beklagte hat u.a. ausgeführt, der Investitionskostenabschlag habe nachträglich auf die gesamte Honorarforderung berechnet werden dürfen. Die Neubescheidung sei nur eine Nachbesserung der bisherigen Maßnahmen, nämlich die Festsetzung des Honorars für die Notfallbehandlung, die von der Klägerin angegriffen worden seien. Sie führe insgesamt nicht zu einer Schlechterstellung der Klägerin.

 

Mit Urteil vom 25. September 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine höhere Vergütung der in der Notfallambulanz erbrachten Leistungen. Die Beklagte habe die Leistungen entsprechend den Vorgaben des EBewA vergütet. Sie habe mit der Zugrundelegung des Punktwertes nicht gegen die Vorgaben des BSG vom 17. September 2008 (B 6 KA 46/07 R und 47/07 R) verstoßen. Das Vorgehen der Beklagten, statt des 2007 angewandten Punktwertes (4,15 Cent) einen geänderten niedrigeren Punktwert anzuwenden, sei nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe mit dem neuen HVM schließlich nicht gegen Art. 3 GG verstoßen. Das Gebot der Gleichbehandlung betreffe nur diejenigen, die Widerspruch eingelegt hätten. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht bestehe dagegen nicht. Vorliegend habe die Beklagte auch keine unzulässige gezielte Absenkung des Punktwertes vorgenommen, um die Kosten für die geänderte Punktbewertung zu kompensieren (Hinweis auf Urteil des Senats vom 14. November 2012 – L 7 KA 25/11 Rdnr. 21). Vielmehr sei die (rückwirkende) Änderung des HVM aufgrund der Rechtswidrigkeit des Individualbudgets erfolgt.

 

Die Beklagte sei berechtigt, den Investitionskostenabschlag (rückwirkend) von der Honorarnachforderung abzuziehen. Anderes würde nur gelten, wenn die Honorarfestsetzung jenseits der Nachvergütung der Notfallbehandlungen in Bestandskraft erwachsen wäre. Die Klägerin habe gegen die Vergütung der Notfallleistungen Widerspruch eingelegt, um eine höhere Vergütung zu erreichen. Das bedeute aber nicht, dass damit alles, was bereits vergütet worden sei, bestandskräftig sei. Denn es handele sich nicht um einen abtrennbaren Teil des Honoraranspruchs. Die Vergütung der Notfallleistungen sei – anders als z.B. Verwaltungskosten – Teil der Honorarsumme. Die Höhe der Vergütung der Notfallleistungen stelle einen von letztlich mehreren Rechenschritten dar, um von der Honorarforderung zur Honorarsumme zu gelangen. Im Tenor des Honorarbescheides werde zudem nur der Gesamtbetrag angegeben (Hinweis auf BSG, B 6 KA 22/14 R Rdnr. 31). Durch ihren Widerspruch habe die Klägerin verhindert, dass die Honorarsumme (insgesamt) bestandskräftig geworden sei. Daher sei die Beklagte berechtigt gewesen, den Investitionskostenabschlag auch hinsichtlich der bereits ausgezahlten Leistungen vorzunehmen.

 

Die vierjährige Ausschlussfrist stehe weder der Berücksichtigung des Investitionskostenabschlags noch der Zugrundelegung des Punktwertes aus dem HVM 2014 entgegen. Es handele sich dabei jeweils nur um unselbständige Faktoren der Berechnung des Honoraranspruchs. Über den Nichtabzug des Abschlags habe die Beklagte nicht gesondert entschieden, so dass insoweit auch keine Änderung zu Ungunsten der Klägerin erfolge. Auch der Grundsatz der reformatio in peius werde nicht verletzt, weil sich der Honoraranspruch der Klägerin durch die Neufestsetzung insgesamt nicht verringere (Hinweis auf BSG, B 6 KA 22/14 R Rdnr. 29 und 33).

 

Die Klägerin hat gegen das ihren Bevollmächtigten am 2. Oktober 2019 zugestellte Urteil am 4. November 2019 teilweise Berufung eingelegt. Diese richte sich noch allein dagegen, dass die Beklagte den 10 %-igen Investitionskostenabschlag nicht nur von den Honoraren für die Notfallbehandlungen vorgenommen habe, sondern von allen, also auch den längst ausgezahlten sonstigen Honoraren der Klägerin in Abzug gebracht habe.

 

Das zunächst noch vor dem Sozialgericht verfolgte Klageziel, wonach die Beklagte die Vorgaben des EBewA nicht korrekt umgesetzt habe, indem sie die rückwirkende Neuberechnung mit einem deutlich geringeren Punktwert vergütet habe, werde im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des BSG vom 3. April 2019 (B 6 KA 67/17 R) nicht weiter verfolgt.

 

Die rückwirkend erfolgte Aufrechnung des 10 %-igen Investitionsabschlags mit der gesamten für die beiden Quartale jeweils ermittelten Honorarsumme sei rechtswidrig. Die Beklagte sei nur berechtigt, den Abschlag bei denjenigen Honorarbestandteilen abzuziehen, die von Widerspruch und Klage erfasst seien. Die anderen bestandskräftigen Honorare könnten nicht rückwirkend – fast 10 Jahre später – neu berechnet werden, wie dies der Widerspruchsbescheid darstelle. Die Klägerin habe die beiden Honorarbescheide mit ihren Widersprüchen und der Klage jeweils hinsichtlich klar benannter und bezifferbarer Punkte angegriffen, nämlich der „zu Unrecht einbehaltenen Praxisgebühr“ und im hiesigen Verfahren hinsichtlich der „Streichung der Ordinations-/Konsultationsgebühr“. Sie habe bereits in ihren Widersprüchen klargestellt, dass sich diese nur auf diejenigen Positionen bezögen, in denen die Beklagte die Leistungen der EBM-Ziffern 01210, 01215, 01216 und 01217 EBM einheitlich durch die geringer bewertete Ziffer 01218 EBM ersetzt habe. Vor diesem Hintergrund sei nicht nachvollziehbar, dass das streitgegenständliche Urteil davon ausgehe, die Klägerin habe Widerspruch gegen die gesamte Honorarsumme eingelegt. Es seien demgegenüber vielmehr klar abtrennbare Honorarbestandteile angefochten worden. Das Argument, es sei (automatisch) die einheitliche Honorarsumme mit einem Widerspruch gegen einzelne Honorarbestandteile angegriffen, sei nur dann richtig, wenn sich die Summe nicht klar aufgliedern lasse. Es ergebe sich aber aus den Honorarbescheiden direkt, welche EBM-Ziffern die Beklagte zu gering festgesetzt habe. Somit hätten die sonstigen Honorare nicht nochmals überprüft und im Ergebnis verschlechtert werden dürfen. Dies ergebe sich auch aus § 77 SGG, wonach eine Beschränkung des Widerspruchs zur Bestandskraft des Verwaltungsakte im Übrigen führe. Die Interpretation des Sozialgerichts werde weder vom Aufbau des Honorarbescheides noch von dem Wortlaut der Widersprüche der Klägerin getragen.

 

Im Übrigen missachte der Honorarabzug auch die Frist des § 44 Abs. 4 SGB X, wonach nach Ablauf von vier Jahren keine sachlich-rechnerische Richtigstellung mehr erfolgen dürfe. § 120 Abs. 3 Satz 2 SGB V sei zum 31. Dezember 2015 außer Kraft getreten, die Neufestsetzung der Beklagten sei dagegen erst im Jahre 2017 erfolgt. Die Beklagte habe damit auch „ein neues Vorgehen gegen die Klägerin“ i.S. der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17. März 2010 – B 6 KA 13/09 R) begründet. Im Übrigen verweise sie auf ihren erstinstanzlichen Vortrag, konkret in der Klageschrift auf S. 12 – 19.

 

Die Klägerin beantragt,

 

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. September 2019 sowie die Honorarbescheide der Beklagten für die Quartale III/2007 und IV/2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2017 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine weitere Vergütung der Notfallbehandlungen innerhalb der Zeiten des organisierten Notfalldienstes in Höhe von 12.885,71 Euro für das Quartal III/2007 und in Höhe von 15.841,98 Euro für das Quartal IV/2017 zu zahlen.

 

 

Die Beklagte beantragt,

 

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

 

Der ursprüngliche Honorarbescheid habe hinsichtlich des Investitionskos­tenabschlags nicht bestandskräftig werden können, da er dazu keine Aussage enthalten habe.

 

Das BSG habe in seiner Entscheidung vom 17. März 2010 (B 6 KA 13/09 R) eine nachträgliche Prüfung der Abrechnungen trotz Überschreitens der vierjährigen Ausschlussfrist in den Grenzen der reformatio in peius zugelassen, wenn es sich insoweit nur um eine erlaubte Nachbesserung der bisherigen Maßnahme handele. Davon sei auch im Fall der Klägerin und der Festsetzung ihres Honorars für die Notfallbehandlungen auszugehen. Auch im Fall des BSG sei es um die Nachvergütung für konkret benannte genehmigungsbedürftige psychotherapeutische Leistungen von Weiterbildungsassistenten gegangen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die ausgetauschten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Gerichtsakte (2 Bände) und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung der Klägerin hat Erfolg. Das Sozialgericht hätte ihre Klage im Umfang des mit der Berufung noch verfolgten Anspruchs nicht abweisen dürfen.

 

Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft (vgl. § 143 Sozialgerichtsgesetz – SGG) sowie nach § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden und bedurfte nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG.

 

Die Berufung ist begründet, denn die Klägerin hat einen weiteren Anspruch auf Nachvergütung für die Quartale III und IV/2007 in der zuletzt geltend gemachten Höhe.

 

Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gegen die erlassenen Honorarbescheide (§ 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG) ist zulässig und im Umfang des mit der Berufung weitergeführten Teiles begründet. Gegenstand des Berufungsverfahrens sind der Anspruch der Klägerin auf weitere Vergütung für die beiden Quartale III/2007 und IV/2007 und die dazu erlassenen und von ihr angefochtenen beiden Honorarbescheide der Beklagten in der Gestalt des (teilabhelfenden) Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2017.

 

I. Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf höheres Honorar ist § 85 Abs. 4 und Abs. 4a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der im III. und IV. Quartal 2007 geltenden Fassung (vom 26. März 2007). Danach steht jedem Vertragsarzt ein Anspruch auf Teilhabe an den von den Krankenkassen entrichteten Gesamtvergütungen entsprechend der Art und dem Umfang der von ihm erbrachten abrechnungsfähigen Leistungen nach Maßgabe der Verteilungsregelungen im Honorarverteilungsmaßstab zu. Das Nähere zu Inhalt und Umfang der abrechnungsfähigen Leistungen ist im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) bestimmt, an dessen Vorgaben die Kassenärztliche Vereinigung bei der Ausgestaltung ihrer Honorarverteilung gebunden ist. Sofern wie hier ein Krankenhaus ambulante Notfallleistungen erbringt (§ 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V), richten sich dessen Honoraransprüche nach den Grundsätzen, die für die Leistungen der Vertragsärzte und der zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigten Personen und Institute gelten (BSG, Urteil vom 17. September 2008,                       B 6 KA 46/07 R, juris, m.w.N.).

 

 

II. In der Berufung noch allein streitig ist die Frage, ob die Beklagte berechtigt war, von der mit dem Widerspruchsbescheid ermittelten Nachvergütung für die ambulanten Notfallleistungen den Investitionskostenabschlag abzuziehen, d.h. die aus den Notfallbehandlungen resultierende höhere Vergütung (Nachzahlung) mit dem Abschlag in der Höhe zu saldieren. Demgegenüber ist die konkrete Ermittlung und Berechnung der (höheren) Vergütung nach den einschlägigen Honorarvergütungsregelungen des EBM und Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) für die Notfallbehandlungen zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig. Nicht mehr streitig ist zum einen die den Honorarfestsetzungen für die beiden Quartale zugrunde liegende punktzahlmäßige Bewertung der ambulanten Notfallleistungen in Anwendung des hier maßgeblichen EBM. Die von der Klägerin gegen die Umsetzung der Bestimmungen des Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses nach § 87 abs. 4 SGB V zur Vergütung der Notfallleistungen im Krankenhaus mit Wirkung vom 1. April 2005 bis zum 31. Dezember 2007 in seiner 17. Sitzung am 16. Dezember 2009 noch mit der Klage vor dem Sozialgericht geführten Angriffe führt sie vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 3. April 2019 – B 6 KA 67/17 R) in der Berufung nicht weiter. Zum anderen formuliert die Klägerin auch gegen die Anwendung des HVM vom 27. März 2014, der rückwirkend die Punktzahlwerte auch für die streitigen Quartale bestimmt, mit der Berufung keine Einwände mehr.

 

Auch der Senat vermag insoweit keine Fehler in der Berechnung der Vergütung zu erkennen, die Berechnungen im Widerspruchsbescheid sind insoweit zutreffend und damit Ausgangspunkt für den von der Klägerin dargelegten noch streitigen Anspruch. Ausgehend von den o.g. Vergütungs- und Bewertungsregelungen (konkret § 85 Abs. 4 SGB V i.V.m. dem Beschluss des EBewA vom 16. Dezember 2009 i.V.m. dem HVM vom 27. März 2014) ergibt sich für die Klägerin für beide Quartale rechnerisch eine höhere Vergütung als die mit den Ausgangshonorarbescheiden gewährte. Die Nachvergütung (brutto) beträgt allein für die Notfallbehandlungen 21.813,08 Euro für III/2007 und 29.722,52 Euro für IV/2007. Diesen Betrag hat die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid festgestellt (S. 8 des Widerspruchsbescheides sowie in der Anlage Bl. 20 der Gerichtsakte Bd. I).

 

Die Beteiligten streiten noch darum, ob die Beklagte berechtigt ist, im Rahmen der o.g. Nachvergütung den Investitionsabschlag (gemäß § 120 Abs. 3 Satz 2 SGB V in der Fassung bis zum 31. Dezember 2015), den sie bei der Honorarfestsetzung in den angefochtenen Bescheiden irrig nicht angesetzt hatte, erstmals im Widerspruchsbescheid bei der (neuen) Festsetzung des Honorars in der Höhe von 15.067,02 Euro (für III/2007) und 18.814,23 Euro (für IV/2007) anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Das ist im Ergebnis nicht der Fall; die Verfahrensweise der Beklagten ist insoweit zur Überzeugung des Senats rechtlich zu beanstanden.

 

III. Ein höherer Vergütungsanspruch ist im Umfang des Berufungsantrags der Klägerin deshalb begründet, weil das Vorgehen der Beklagten, den Investitionskostenabschlag auf das Gesamthonorar der beiden Quartale zu erheben, rechtswidrig ist. Die Klägerin kann mit Erfolg geltend machen, dass sie nur die Vergütung der Notfallleistungen mit ihrem Widerspruch angegriffen hat und die Beklagte deshalb nicht berechtigt ist, im Widerspruchsverfahren – noch dazu mit erheblichem zeitlichen Abstand von weit mehr als vier Jahren – andere davon getrennte Honorarbestandteile zu mindern. Mit ihrem Vorgehen verletzt die Beklagte die Regeln der reformatio in peius, d.h. der Schlechterstellung des Widerspruchsführers im Widerspruchsverfahren. Im Fall der Klägerin liegen keine Gründe dafür vor, die die Beklagte nach den allgemeinen Regelungen zum Bestandsschutz berechtigen, das Gesamthonorar rückwirkend zu mindern.

 

1. Dem lag das folgende Vorgehen (der Beklagten) zugrunde: Der Ausgangshonorarbescheid wies ein Gesamthonorar in Höhe von 126.757,12 Euro für das Quartal III/2007 aus (Bl. 1.1 der Verwaltungsakte). Allein für die Notfallbehandlungen war darin ein Honoraranteil in Höhe von 42.479,40 Euro festgelegt (und auch bereits ausgezahlt, Bl. 20 Gerichtsakte Bd. I). Für das Quartal IV/2007 legte der entsprechende Honorarbescheid ein Gesamthonorar in Höhe von 154.389,77 Euro fest (Bl. 9.1 der Verwaltungsakte). Davon entfielen 55.161,80 Euro auf die Abrechnung der Notfallbehandlungen. Die Beklagte hatte dabei in den Honorarbescheiden die von der Klägerin abgerechneten höheren EBM-Ziffern für die Notfallbehandlungen im Wege der sachlich-rechnerischen Berichtigung „umgewandelt“, d.h. nicht anerkannt.

 

Die Klägerin erhob Widerspruch gegen die aus ihrer Sicht unrichtige Punktzahlbewertung und Vergütung der geleisteten und abgerechneten Notfallbehandlungen.

 

Im Zuge des Widerspruchverfahrens führten die Höherbewertung der Punktzahlen für die Notfallbehandlungen durch den EBewA und der im März 2014 rückwirkend erlassene (neue) HVM im Fall der Klägerin für diese Leistungen zu einer Neubewertung und einer Gesamtvergütung allein für diese Leistungen in Höhe von 64.292,48 Euro für III/2007 und 84.884,32 Euro für IV/2007 (Bl. 20 Gerichtsakte Bd. I). Daraus ergab sich eine Vergütungsdifferenz zugunsten der Klägerin für III/2007 in Höhe von 21.813,08 Euro und für IV/2007 von 29.722,52 Euro (Bl. 20 Gerichtsakte Bd. I). Dieser mit dem Widerspruchsbescheid festgestellten Differenz stellte die Widerspruchsstelle der Beklagten aber erstmals den in den Honorarbescheiden irrig nicht zu Lasten der Klägerin geltend gemachten Investitionskostenabschlag gegenüber (Tabelle S. 8 Widerspruchsbescheid). Diesen berechnete sie ausgehend von dem (neu ermittelten) Gesamthonorar in den beiden Quartalen: In Höhe von 10 Prozent von 150.670,20 Euro, damit 15.067,02 Euro für III/2007, und für IV/2007 in Höhe von 18.814,23 Euro (ausgehend vom neuen Gesamthonorar in Höhe von 188.142,29 Euro). Diese Abschläge brachte sie zwar rein rechnerisch nur von der Nachzahlung für die Notfallbehandlungen in Abzug. Damit behandelte sie aber sowohl die Vergütungsdifferenz aus der Höherbewertung der Notfallbehandlungen als auch den Investitionskostenabschlag, welchen sie bezogen auf das übrige Honorar ermittelte, jeweils als bloße Rechnungspositionen, die im Rahmen der Neuermittlung des Gesamthonoraranspruchs miteinander saldiert wurden. Auf diesem (Rechen-)Weg ermittelte sie das mit dem Widerspruchsbescheid ausgewiesene noch an die Klägerin nachzuentrichtende Honorar in Höhe von 6.746,06 Euro (III/2007) und 10.908,29 Euro (IV/2007) und half dem Widerspruch insoweit ab.

 

2. Dieses Vorgehen hat zwar auf den Widerspruch hin insgesamt zu einer Nachzahlung an die Klägerin geführt. Gleichwohl lag darin eine reformatio in peius, die nicht zulässig war. Denn mit der nachträglichen Erhebung des Investitionskostenabschlags auf das gesamte Honorar der beiden Quartale griff die Beklagte in eine bereits mit dem Erlass der Honorarbescheide eingetretene Teilbestandskraft ein, ohne eine entsprechende (aufhebende) Regelung zu treffen, ohne die Klägerin vorher dazu anzuhören und vor allem ohne dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen dafür vorlagen. Die Beklagte durfte den Investitionskostenabschlag (2017) allein aus der Höhervergütung der Notfallbehandlungen ermitteln, denn allein diese war noch nicht bindend. Ausgehend davon durften nur 2.181,31 Euro für III/2007 und 2.977,25 Euro für IV/2007 dem aus der Höherbewertung der Notfallbehandlungen resultierenden Nachzahlungsanspruch der Klägerin gegenübergestellt und mit diesem saldiert werden. Die Klägerin begehrt daher mit ihrer Berufung zu Recht die Differenz zwischen 15.067,02 Euro und 2.181,31 Euro (für III/2007) und zwischen 18.814,23 Euro und 2.977,25 Euro (für IV/2007), damit noch eine Vergütung in Höhe von 12.885,71 Euro für das Quartal III/2007 und 15.841,98 Euro für das Quartal IV/2017.

 

a. Mit dem Begriff der Verböserung oder Verschlechterung (reformatio in peius) wird die Veränderung der mit dem Widerspruch angegriffenen Verwaltungsentscheidung im Widerspruchsverfahren zuungunsten des Widerspruchsführers beschrieben (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 1992 – 6 RKa 33/90 –, BSGE 71, 274-280, Rdnr. 23, juris). Eine Behörde darf die Rechtsposition, die der von einem Verwaltungsakt Begünstigte erlangt hat, nicht ohne Weiteres durch einen neuen Verwaltungsakt aus Anlass des Widerspruchs gegen diesen Verwaltungsakt verschlechtern (BSG, Urteil vom 31. Mai 1978 – 5 RJ 76/76 –, BSGE 46, 236-241, Rdnr. 14, juris). Die Schlechterstellung eines Widerspruchsführers anlässlich des Widerspruchs bleibt jedoch insoweit möglich, als die Behörde auch ohne Widerspruch im Einzelfall gemäß §§ 45 ff. SGB X (oder ergänzender Sonderregelungen) berechtigt wäre, ihren Verwaltungsakt aufzuheben, zu widerrufen oder zurückzunehmen. Teilweise wird insoweit auch davon ausgegangen, dass mit einer reformatio in peius selbst eine Teilaufhebung einer Begünstigung vorgenommen wird und deshalb ihre Zulässigkeit an den Vorschriften zur Durchbrechung der Bestandskraft zu messen ist (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 1992 – 6 RKa 33/90 –, BSGE 71, 274-280, Rdnr. 24 unter Hinweis auf ältere Rechtspr. des Bundesverwaltungsgerichts; grundlegend bereits: BSG, Urteil vom 8. Juni 1982 – 6 RKa 12/80, Rdnr. 9/10 ff., juris).

 

Wenn die Behörde nicht zu Rücknahme oder Widerruf berechtigt ist, ist sie an ihre eigene Entscheidung gebunden. Eine nur eingeschränkte Befugnis zur Rücknahme und zum Widerruf erstreckt sich bereits dem Wortlaut nach auf den Verwaltungsakt, „auch nachdem er unanfechtbar geworden ist“ (vgl. jeweils Abs. 1 der §§ 44 bis 49 SGB X). Damit gilt diese Beschränkung auch für den noch anfechtbaren Verwaltungsakt. Die einseitige Bindung der Behörde an den von ihr erlassenen Verwaltungsakt tritt bereits mit seiner Bekanntgabe ein. Die Vorgaben an eine zulässige reformatio in peius lassen sich damit dem materiellen Verfahrensrecht und der Bindungswirkung von Verwaltungsakten sowie dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit entnehmen (vgl. auch § 77 SGG).

 

Die Vorgaben gelten auch uneingeschränkt für das Vorverfahren. Die Widerspruchsbehörde kann im selben Umfang „verbösern“, wie die Ausgangsbehörde ihren Verwaltungsakt aufheben, widerrufen oder zurücknehmen kann. Denn auch ohne Widerspruch kann die Behörde im Einzelfall berechtigt sein, ihren Verwaltungsakt zum Nachteil des Betroffenen zu ändern (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/B. Schmidt, 13. Aufl. 2020, SGG § 85 Rdnr. 5). Ein im Vergleich zu den allgemeinen Regelungen nur verringerter Vertrauensschutz des Widerspruchsführers besteht dagegen nach mittlerweile gefestigter allgemeiner Auffassung nicht. Das Recht zum Widerspruch gibt zwar dem Adressaten eines Verwaltungsaktes die Möglichkeit, eine Änderung zu seinen Gunsten herbeizuführen. Es begründet aber allein kein Recht der Behörde, den Verwaltungsakt zu seinem Nachteil zu ändern. Das gilt im vollen Umfang auch für die Widerspruchsbehörde. Zwar richten sich die Vorschriften der §§ 44 ff SGB X unmittelbar nur an die Ausgangsbehörde; der Widerspruchsbehörde kommen aber - wenn nicht auch die Gegenseite oder u.U. ein berechtigter Dritter Widerspruch eingelegt haben – gemäß § 85 SGG die gleichen und keine weitergehenden Befugnisse wie der Ausgangsbehörde zu (näher BSG, Urteil vom 8. Juni 1982 – 6 RKa 12/80 –, Rdnr. 12; Urteil vom 2. Dezember 1992 – 6 RKa 33/90 –, BSGE 71, 274-280, Rdnr. 30). Daher bedingt die Einlegung des Widerspruchs keinen geringeren Vertrauensschutz für die Änderung des Verwaltungsaktes (BSG, Urteil vom 2. Dezember 1992 – 6 RKa 33/90 –, BSGE 71, 274-280, Rdnr. 30; Urteil vom 25. März 2015 – B 6 KA 22/14 R –, Rdnr. 26).

 

Bezogen auf Honorarbescheide im Vertragsarztrecht ist dabei zu berücksichtigen, dass diese grundsätzlich unabhängig von den Voraussetzungen des § 45 SGB X korrigiert werden können. Rechtsgrundlage waren zunächst § 45 Abs. 2 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte sowie § 34 Abs 4 Satz 2 Ersatzkassenvertrag-Ärzte, die seit dem 1. Januar 2004 durch § 106a SGB V in der hier maßgeblichen Fassung vom 26. März 2007 abgelöst bzw. ergänzt wurden. Die genannten Bestimmungen stellen Sonderregelungen dar, die gemäß § 37 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 SGB X verdrängen. Daher kann der Vertragsarzt auf den Bestand eines vor einer endgültigen Prüfung auf Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit erteilten Honorarbescheides grundsätzlich nicht vertrauen. Der sehr weitgehende Ausschluss jedweden Vertrauensschutzes gegenüber nachträglichen Honorarberichtigungen erfährt in bestimmten Fallkonstellationen aber eine Einschränkung. Die nachträgliche Korrektur eines Honorarbescheids ist u.a. nicht mehr nach den Vorschriften über die Sonderinstrumente der sachlich-rechnerischen Richtigstellung, sondern nur noch unter Berücksichtigung der Vertrauensausschlusstatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 i.V:m. Abs 4 Satz 1 SGB X möglich, wenn die Frist von vier Jahren seit Erlass des betroffenen Honorarbescheids bereits abgelaufen ist vgl. (BSG, Urteil vom 25. März 2015 – B 6 KA 22/14 R –, Rdnr. 26/27).

 

b. Im Fall der Klägerin erging der Widerspruchsbescheid im Jahr 2017 weit mehr als vier Jahre nach Erlass der Honorarbescheide aus dem Jahr 2007p. Die Frist beginnt ab Zugang des Honorarbescheids (Clemens in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl, § 106a SGB V [Stand: 12.10.2016], Rdnr. 60). Ein Nachweis des Zugangs der beiden Honorarbescheide liegt im Fall der Klägerin jeweils nicht vor. Ausgehend von den Angaben der Klägerin selbst bei Einlegung ihrer Widersprüche ist davon auszugehen, dass ihr die beiden Honorarbescheide im März 2008 und im Juni 2008 zugegangen sind. Damit waren zwischen Erlass der Honorarbescheide und Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides jeweils mehr als 9 Jahre verstrichen.

 

c. Die Beklagte kann nicht mit Erfolg einwenden, der Abzug eines Investitionskostenabschlags, bezogen auf das Gesamthonorar der Klägerin, sei der Sache nach bereits keine „Verböserung“.

 

Zwar liegt ein Eingriff in die Bindungswirkung eines Verwaltungsaktes in Gestalt einer reformatio in peius und die daran geknüpfte Maßgeblichkeit der Vertrauensschutzregelungen nur vor, wenn die „verbösernde“ Entscheidung in Elemente des Verwaltungsaktes eingreift, die der Bindungswirkung gemäß § 77 SGG überhaupt unterliegen. Die Bindungswirkung erstreckt sich nach überkommener Rechtsprechung nicht auf den gesamten Bescheid, sondern nur auf seinen Verfügungssatz (Entscheidungssatz), dagegen nicht auf die ihn tragenden Gründe. Jedoch kann ein Bescheid mehrere Verfügungssätze enthalten (allgemein und für Rentenbescheide, BSG, Urteil vom 31. Mai 1978 – 5 RJ 76/76, Rdnr. 14, zitiert nach juris). Was dem Verfügungssatz zuzurechnen ist und ob ein Bescheid unter Umständen mehrere Verfügungssätze enthält, kann im Einzelfall zweifelhaft sein. In einem solchen Zweifelsfall ist (ergänzend) darauf abzustellen, inwieweit durch die in Betracht kommenden rechtlichen Regelungen, z.B. konkret im Vertragsarztrecht, die spezifischen Normen und die normvertraglichen Regelungen, dem Bedürfnis nach Vertrauensschutz der Vorrang eingeräumt wird (BSG, Urteil vom 8. Juni 1982 – 6 RKa 12/80 –, BSGE 53, 284-291, Rdnr. 15, zitiert nach juris.).

 

Speziell Honorarbescheide im Vertragsarztrecht können mehrere Einzelregelungen enthalten. Als Mindestinhalt enthalten sie die Entscheidung der KÄV, dass dem Vertragsarzt (oder der entsprechend zugelassenen Einrichtung) für seine Leistungen in einem bestimmten Quartal eine Vergütung in einer genau in Euro bezifferten Höhe zusteht. Darin erschöpfen sich ihre Regelungen aber häufig nicht. Der mit dem Honorarbescheid geregelte Honoraranspruch selbst wird durch ein ausdifferenziertes System verschiedener Honorarverteilungsregelungen bestimmt, so z.B., betreffend die Berechnungsfähigkeit bestimmter Leistungen dem Grunde nach, die Anwendung von Bewertungsmaßstäben, Bewertungs- und Mengenvorgaben in Honorarverteilungsmaßstäben; teilweise erlässt die KÄV darüber ergänzende Bescheide, teilweise erfolgt dies im Honorarbescheid selbst. Das gilt auch für die schlichte Berichtigung der vertragsärztlichen Abrechnung, die häufig mit dem Honorarbescheid selbst erfolgt.

 

Spiegelbildlich dazu können (vertragsärztliche) Leistungserbringer mit ihrem Widerspruch auch einzelne Regelungen und Maßnahmen zur Bestimmung des Honorars in einem Honorarbescheid anfechten. Ein Rechtsbehelf, der zunächst pauschal mit der Begründung, die Vergütung sei zu niedrig, gegen den Honorarbescheid erhoben wurde, kann auf alle abtrennbaren Regelungsteile eines einheitlichen Verwaltungsaktes beschränkt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass der Wille des Klägers zur Begrenzung des Streitgegenstands klar und eindeutig zum Ausdruck gekommen ist (zum Ganzen Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 21 Rdnr. 71/72 unter Berufung auf BSG, Urteil vom 23. Februar 2005 – B 6 KA 77/03 R – Rdnr. 15). Es entspricht im Regelfall dem Interesse des vertragsärztlichen Leistungserbringers an einem zielgerichteten und effektiven Rechtsschutz, seinen Rechtsbehelf auf diejenigen Maßnahmen und Regelungen zur Bestimmung des Honorars einzugrenzen, die ihn spezifisch in seiner konkreten Praxissituation beschweren, etwa wenn ausdrücklich Klage nur „insoweit“ erhoben wird, als die Honoraranforderung wegen bestimmter Umstände – z.B. wegen bestimmter Gebührenordnungsnummern usw. – reduziert worden ist. Ist eine deutliche Erklärung ohne Vorbehalt gegeben, wird der angefochtene Honorarbescheid im Übrigen, d.h. in Bezug auf die nicht angefochtenen, für die Höhe des Honorars maßgeblichen sonstigen Einzelregelungen, bestandskräftig (BSG, aaO, Rdnr. 19; Wenner, aaO, Rdnr. 72; Stellpflug, MedR 2011, 115, 117, Anmerkung zu B 6 KA 13/09 R).

 

Entscheidend ist damit, in welchem Umfang ein Honorarbescheid im Einzelfall mit einem Rechtsbehelf tatsächlich angefochten war und ob die spätere Änderung auf den Widerspruch hin (bestandskräftige) Teilregelungen des Honoraranspruchs betrifft oder nur unselbständige Faktoren der Berechnung des Honoraranspruchs.

 

So hat das Bundessozialgericht eine erstmals im Widerspruchsverfahren angewandte Punktzahlobergrenze für psychotherapeutische Leistungen und eine Saldierung der sich daraus ergebenden Überzahlung im Rahmen der Ermittlung der  Nachzahlung für zulässig erachtet. Das BSG hat ausgeführt, dass zu den weiteren abtrennbaren Regelungen, die neben dem im Verfügungssatz konkret bezifferten Zahlbetrag für das entsprechende Quartal an der Bindungswirkung teilnehmen und selbständig angefochten werden können, z.B. die Zuweisung des Regelleistungsvolumens, die gesonderte Feststellung der Bemessungsgrundlagen im Rahmen von Individualbudgets und die Festsetzung von Praxisbudgets sowie die Erhebung von Verwaltungskosten auf gesondert abgerechnete Sachkosten gehören. Die Aufzählung ist erkennbar nicht abschließend, sondern beispielhaft. Nicht zum Verfügungssatz gehören dagegen – so das BSG – die einzelnen Rechenschritte, die erforderlich sind, um von der Honoraranforderung des Vertragsarztes zur Honorarsumme zu gelangen, die dieser nach den für die Honorarverteilung geltenden Vorschriften beanspruchen kann. Im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung sind nur die Gesamtbeträge der Kürzungen und der im Übrigen anerkannten Honorarforderungen, dagegen nicht die Einzelkürzungen bei den verschiedenen Gebührenziffern Bestandteile des Verfügungssatzes (BSG, Urteil vom 23. März 2015, B 6 KA 22/14 R, Rdnr. 31, juris). In einem konkreten Fall des BSG (aaO) war entscheidend, dass (nach den bindenden Feststellungen des vorinstanzlichen LSG Berlin-Brandenburg, des erkennenden 7. Senats) die KÄV im Honorarbescheid nicht gesondert über den Punktwert oberhalb der Punktzahlobergrenze entschieden hatte. Sie hatte keinen Verfügungssatz erlassen, wonach die Leistungen unabhängig von einer Punktzahlobergrenze mit einem Mindestpunktwert vergütet werden. Allein das Fehlen einer Aussage zu einer Punktzahlobergrenze und eine entsprechende Berechnungsweise kann nach dem BSG jedoch nicht als ein - die KÄV bindender - Verfügungssatz interpretiert werden. Die vom BSG zu beurteilenden Ausgangsbescheide unterschieden sich von Bescheiden, in denen - ausdrücklich und nicht nur als Element der Honorarberechnung - Aussagen z.B. zur Höhe eines Praxisbudgets, eines Regelleistungsvolumens oder zu den den Honoraranspruch mindernden Verwaltungskosten getroffen wurden (BSG, aaO, Rdnr. 31 f.). Beruhend darauf kommt das BSG zum Ergebnis, dass der Grundsatz der reformatio in peius nur verletzt wäre, wenn sich der Honoraranspruch in einem Quartal durch die Neufestsetzung im Widerspruchsverfahren insgesamt reduziert hätte (BSG, aaO, Rdnr. 33).

 

Bezogen auf den Fall der Klägerin liegt der Sachverhalt aber deutlich anders. So richteten sich ihre Widersprüche nach ihrem Inhalt einschließlich des in der Widerspruchsbegründung zum Ausdruck kommenden Begehrens gegen den mit gesondertem Bescheid der Beklagten geregelten und im Berufungsverfahren nicht mehr streitigen Abzug der Praxisgebühr und die Streichung der für die Notfallbehandlungen geltend gemachten Abrechnungsziffern 01210, 01215, 01216 und 01217. Deren Abrechnung hat die Beklagte im Wege der sachlich-rechnerischen Berichtigung abgelehnt und durch die niedriger bewertete Ziffer 01218 ersetzt.

 

Die Klägerin hat ihre Widersprüche im obigen Sinne auch wirksam nur beschränkt auf die sachlich-rechnerische Berichtung der Notfallbehandlungen erhoben. Die Beklagte hat die Widersprüche im Widerspruchsverfahren auch als insoweit beschränkt verstanden (vgl. ihre Anregungen des Ruhens weiterer Widerspruchs- und Klageverfahren zu dem Komplex vom 3. September 2008). Mit Schreiben vom 16. Februar 2010 forderte die Beklagte die Klägerin „zur Neufestsetzung“ des Honorars vor dem Hintergrund des zwischenzeitlich ergangenen ändernden Beschlusses des EBewA vom 16. Dezember 2009 für die Notfallbehandlungen auf, eine korrigierte Abrechnung für die noch nicht bestandskräftigen Quartale mit den entsprechenden Uhrzeitangaben einzureichen. Das Schreiben endet mit dem Hinweis: „Welche Quartale in welchem Umfang betroffen sind, entnehmen Sie bitte der nachfolgenden Aufstellung. Für das Quartal III und IV/2007 erfolgte kein Nachweis“. Es ergab sich daraus auch erkennbar für die Klägerin eine klare Begrenzung auf die Vergütung der Notfallbehandlungen.

 

Die Klägerin bekräftigte (und konkretisierte) ihr Widerspruchsbegehren erneut u.a. in ihren Schriftsätzen vom 5. Juli 2010 und vom 20. September 2010 an die Beklagte, in welchen sie auf die Umsetzung der Vorgaben des EBewA vom 16. Dezember 2010 i.S. der „beantragten Nachvergütung für Notfallbehandlungen in Krankenhäusern“ u.a. in den streitigen Quartalen drang. Sie führte unter anderem unter Berufung auf die zwischenzeitlich von ihr der Beklagten übersandten Abrechnungsdisketten aus, dass sich die beantragte nachträgliche Höhervergütung ausschließlich auf Notfallbehandlungen beziehe, die innerhalb der Zeiten des organisierten Notdienstes in ihren Häusern erbracht worden seien. Mit dem Schriftsatz vom 20. September 2010 wiederholte sie, dass sich der Widerspruch gegen die Streichung der Gebühren für die Notfallbehandlungen richte. Die Klägerin beantragte zudem explizit die Abtrennung dieses Widerspruchsteils von dem Teil, der die Einziehung der Praxisgebühr betraf.

 

Keine andere Beurteilung ergibt sich aus ihrem Schriftsatz vom 30. August 2016, der sich auf einen (nicht aktenkundigen) Vergleichsvorschlag der Beklagten bezieht und in der Überschrift das Begehren erneut klar benennt und begrenzt. Soweit sich die Klägerin darin selbst, offenkundig in Reaktion auf ein zuvor erstelltes Vergleichsangebot der Beklagten, mit einer anspruchsmindernden Berücksichtigung des Investitionsabschlags einverstanden erklärt und diesen in den mitgesandten Berechnungsanlagen auch selbst von dem ausgewiesenen Nachzahlungsbetrag abzieht, berührt das den klar umgrenzbaren Umfang ihres erhobenen Widerspruchs nicht; die Einlassung hätte allenfalls u.U. Bedeutung für die Frage, ob sie sich insoweit noch auf Vertrauensschutz gegenüber dem Abschlag selbst berufen könnte (dazu im Folgenden).

 

Die Widersprüche betrafen schließlich abtrennbare Teile der Honorarbescheide der Beklagten. Die Ablehnung der von der Klägerin abgerechneten EBM-Ziffern nahm die Beklagte im Wege der sachlich-rechnerischen Berichtigung vor. Bereits darin liegt eine eigenständige Regelung. Es ist unschädlich, dass diese – anders als der Abzug für die nicht einbehaltene Praxisgebühr – nicht in einer eigenen Anlage zum Honorarbescheid erfolgte und in der Fußzeile mit dem Hinweis versehen war: „Dieses Schreiben ist Bestandteil des Honorarbescheides, es gilt die aufgeführte Rechtsbehelfsbelehrung“. Beides ist für die Rechtsqualität unbeachtlich. Die sachlich-rechnerische Berichtigung ist auch ausgehend von ihrer normativen Grundlage ein eigener Regelungsteil des Honorarbescheides, der lediglich häufig mit diesem verknüpft wird (Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 21 Rdnr. 71 a.E.). Die sachlich-rechnerische Berichtigung hat eine eigene Rechtsgrundlage (§ 106a SGB V a.F., dazu bereits oben). Sie besitzt eine eigene Rechtsqualität, die sie von §§ 44 ff. SGB X und Honorarregelungen sowie anderen Prüfinstrumenten des Vertragsarztrechts abgrenzt. Sie ist ein eigenes Verfahren zur Prüfung, welchen Leistungstatbeständen ärztliche Leistungen zuzuordnen sind, ob der Arzt sie erbringen durfte und auch korrekt erbrachte, sowie ob die von ihm an die KÄV eingereichte Honoraranforderung rechnerisch richtig ist (näher Clemens in: Schlegel/Engelmann, jurisPK-SGB V, §  106a SGB V [Stand: 29.06.2011], Rdnr. 33).

 

Auch in der Zusammenschau des Bescheides betraf die sachlich-rechnerische Berichtigung in den Honorarbescheiden die aus Sicht der Beklagten unrichtige Abrechnung der Notfallbehandlungen mit den EBM-Ziffern. Die Berechnung des (übrigen) Honoraranspruchs der Klägerin erfolgte davon – auch optisch – getrennt.

 

d. Gemessen daran genoss die Klägerin im Jahre 2017 – zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids – für das übrige, im Widerspruchsverfahren nicht streitgegenständliche und bestandskräftig zuerkannte Honorar Vertrauensschutz; dieses übrige Honorar durfte mit dem Widerspruchsbescheid nur noch in den Grenzen der Sonderregelungen zur sachlich-rechnerischen Berichtigung bzw. zur Aufhebung von Verwaltungsakten geändert werden. Diese Regelungen bieten indessen keine hinreichende Grundlage für den erstmaligen Abzug des Investitionskostenabschlags im Widerspruchsbescheid.

 

Entscheidend ist: Die Frist von vier Jahren, innerhalb derer ein Bescheid ergehen muss, der sachlich-rechnerische Richtigstellungen für das grundsätzlich mit dem Honorarbescheid bindend festgestellte Honorar noch vornehmen darf (siehe BSG, Urteil vom 25. März 2015, B 6 KA 22/14 R, Rdnr. 27, juris), war im Jahr 2017 zwar noch nicht für die Notfallbehandlungen, aber für das übrige Honorar abgelaufen. Die Dauer der Frist ist nur dann länger als vier Jahre, wenn eine Fristenhemmung vorliegt (Clemens in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl, § 106a SGB V [Stand: 12.10.2016], Rdnr. 62). Eine solche Hemmung ist anerkannt, solange ein Rechtsbehelfsverfahren wegen der Berechtigung der Richtigstellung anhängig ist (Clemens, aaO, Rdnr. 73). Gleiches gilt, wenn die Höhe der Gesamtvergütung(en) – oder anderer normativer Grundlagen der Vergütung – noch nicht feststeht, sofern die KÄV dem Leistungserbringer auch mitteilt, aus welchem Grund das Verfahren derzeit nicht (weiter)betrieben werden kann bzw. soll und – sofern bekannt oder schätzbar – mit welcher Dauer des Nichtweiterbetreibens voraussichtlich zu rechnen ist (Clemens, aaO, unter Berufung auf die Rechtsprechung des BSG, u.a. Urteil vom 12. Dezember 2012 - B 6 KA 35/12 R - Rdnr. 17 f., juris).

 

Der Fristlauf war im Fall der Klägerin für die übrige Vergütung der beiden Quartale nicht gehemmt. Für diesen Teil kann sich die Beklagte weder auf das Rechtsbehelfsverfahren betreffend die Notfallbehandlungen und die Unteilbarkeit des Honorarbescheids (dazu bereits oben) noch darauf berufen, dass für diesen Honorarteil normative Grundlagen noch nicht feststanden und deshalb eine Hemmung von Fristen eintrat.

 

Eine gerichtliche Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit von Vorschriften des HVM, die Einfluss auf die Honorarberechnung hat, ist zwar grundsätzlich geeignet, eine Hemmung des Fristablaufs zu bewirken. Dabei muss nicht notwendig das Honorar für das konkrete Quartal im Streit sein, solange es um den auch für dieses Quartal geltenden HVM geht. So kann wegen der Auseinandersetzung eine Ungewissheit bestehen, die es rechtfertigt, die im Interesse der Rechtssicherheit bestehende vierjährige Ausschlussfrist zu hemmen. Es liegt dann im Interesse aller Mitglieder der KÄV, Verwaltungsaufwand zu vermeiden und Kosten zu optimieren, indem Berechnungen auf der Grundlage des angegriffenen HVM bis zur Beseitigung rechtlicher Unsicherheiten zurückgestellt werden. Für die Annahme einer Hemmung der Ausschlussfrist reicht das Vorliegen eines solchen objektiven Umstandes aber nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass die KÄV auch gegenüber den betroffenen Leistungserbringern hinreichend deutlich macht, dass im Hinblick auf ein noch schwebendes gerichtliches Verfahren derzeit keine Richtigstellung des Honorarbescheides durchgeführt wird, damit aber nach Abschluss des Verfahrens zu rechnen ist. Fehlt es an einer entsprechenden Information oder erfolgt sie nur unspezifisch, so sind die Fristen nicht gehemmt (näher BSG, Urteil vom 12. Dezember 2012 – B 6 KA 35/12 R –, Rdnr. 17 – 19, juris). Gemessen daran war im Hinblick auf das übrige Honorar der Klägerin zwischen Erlass der Honorarbescheide (2007) und dem Widerspruchsbescheid (2017) bereits keine gerichtliche Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit von Vorschriften mit Auswirkungen auf den Honorarteil anhängig. Das Klageverfahren gegen Teile des Beschlusses des EBewA vom 16. Dezember 2009, auf das sich die Beklagte 2010 noch dafür berufen hat, dass sie keine Nachberechnung zugunsten der Klägerin vornahm, betraf nur die Bewertung der Notfallbehandlungen und richtete sich gegen Finanzierungsvorschriften (Teil C des Beschlusses). Das erstinstanzliche Klageverfahren vor dem LSG Berlin-Brandenburg war mithin nicht geeignet, die Vierjahres-Frist zu hemmen, innerhalb derer ein Bescheid zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung des übrigen Honorars hätte ergehen müssen. Mit Blick darauf kann offen bleiben, ob die Beklagte der Klägerin gegenüber ausreichend konkret genug erklärt hat, wann sie gedachte, über den Widerspruch zu bescheiden.

 

Der Vertrauensschutz der Klägerin hinsichtlich des Investitionskostenabschlags war nicht dadurch eingeschränkt, dass sie sich im Jahr 2016 auf einen (nicht aktenkundigen) Vergleichsvorschlag der Beklagten vom 20. April 2016 hin damit einverstanden erklärt hat, den Abschlag „anspruchsmindernd“ anzusetzen (Schriftsatz vom 30. August 2016). Zum einen lag diese Erklärung bereits nach Ablauf der Vierjahres-Frist, zum anderen bezog sich das Einverständnis nach seinem inhaltlichen Zusammenhang allein auf den aus der Höherbewertung der Notfallleistungen sich ergebenden Nachzahlungsbetrag und nicht auf das Gesamthonorar und erfolgte seitens der Bevollmächtigten der Klägerin nur im Zusammenhang mit laufenden Einigungsverhandlungen.

 

War danach die Vierjahresgrenze in Bezug auf die Honorarbescheide III und IV/07 im Jahre 2017 deutlich überschritten, durfte die nachträgliche Honorarkorrektur nicht mehr nach den Vorschriften über die sachlich-rechnerische Richtigstellung, sondern nur noch unter Berücksichtigung der Vertrauensausschluss­tatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 SGB X erfolgen. Ein Vorliegen der in       § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X aufgeführten Vertrauensausschlusstatbestände wird indessen weder von der Beklagten behauptet noch ist es sonst ersichtlich. Unabhängig davon hätte die Beklagte insoweit auch die Frist aus § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X versäumt, da sie den Investitionskostenabschlag nicht innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen geltend machte, sondern erst durch den Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2017; der Senat geht insoweit davon aus, dass die Beklagte spätestens bei Abgabe ihres nicht aktenkundigen Vergleichsvorschlages vom 20. April 2016 um die irrige Nichterhebung des Investitionskostenabschlages wusste, denn die Antwort der Klägerin hierauf vom 30. August 2016 nahm unmittelbar Bezug auf die Frage des Investitionskostenabschlages.

 

e. Die Voraussetzungen für die zulässige Durchbrechung der Bestandskraft sind nicht deshalb unbeachtlich, weil es sich bei der Neubescheidung des Honorars durch Berücksichtigung des Investitionskostenabschlags nur um eine bloße Nachbesserung bisheriger Maßnahmen in modifizierter Form handelte (dazu BSG, Urteil vom 17. Mai 2010 – B 6 KA 13/09 R Rdnr. 35; Urteil des Senats vom 9. Mai 2018 – L 7 KA 76/14 –, Rdnr. 62, jeweils zitiert nach juris). Dies gilt unabhängig davon, ob diese Maßnahme allein überhaupt damit begründet werden könnte, dass sie das gleiche Ziel wie eine angegriffene Maßnahme verfolgt (zu Recht kritisch dazu Stellpflug, MedR 2011, 115, 117). Denn es liegt hier bereits ein abweichendes Ziel zwischen der Bewertung einzelner Ziffern für Notfallbehandlungen und dem Investitionskostenabschlag vor. Auch handelt es sich bei der Erhebung des Investitionskostenabschlags um eine kategorisch andere Maßnahme (dazu Stellpflug, aaO). Es kann nicht darauf verwiesen werden, dass im Fall der Klägerin die Beklagte beide Maßnahmen jeweils im Wege des gleichen Instrumentes der sachlich-rechnerischen Berichtigung vornahm. Der bis zum 31. Dezember 2015 gemäß § 120 Abs. 3 Satz 2 SGVB V zu erhebende Abschlag steht in einem völlig anderen Zusammenhang und diente einem anderen Zweck. Er sah bei öffentlich geförderten Krankenhäusern zum Ausgleich für die staatliche Investitionsförderung eine Vergütungskürzung vor, er stand also in keinem Zusammenhang zur Art der konkret erbrachten Leistungen. Normzweck der Regelung war es vielmehr, Doppelfinanzierungen von Investitionen zum einen aus öffentlichen Steuermitteln, zum anderen über den Investitionskostenanteil in den vertragsärztlichen Gebühren zu vermeiden (Köhler-Hohmann in: Schlegel/Engelmann, jurisPK-SGB V, § 120 SGB V [Stand: 01.08.2007], Rdnr. 79/80). Es besteht im Fall der Klägerin keinerlei Konnex zu der Streitfrage der Beteiligten, nach welchen EBM-Ziffern und mit welcher Vergütung nach dem HVM die Notfallbehandlungen der Klägerin zu vergüten sind, außer der Tatsache, dass diese von einem öffentlich-rechtlich geförderten Krankenhaus erbracht wurden. Es liegt in der erstmaligen Erhebung des Investitionskostenabschlags damit ein „neues“ – im Ergebnis unzulässiges – „Vorgehen gegen die Klägerin“. Der Senat muss daher nicht entscheiden, ob die erstmalige Erhebung des Abschlags im Jahr 2017 für die streitigen Quartale, damit zu einem Zeitpunkt, nachdem die Rechtsgrundlage für den Abschlag bereits ausgelaufen war, noch rechtmäßig erfolgen konnte.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) für das sozialgerichtliche Verfahren und auf §  154 Abs. 1 VwGO für das Berufungsverfahren. Der Senat hat die Revision zugelassen, da er der Frage, ob und mit welchen Maßgaben im Widerspruch gegen Honorarbescheide die Grundsätze der reformatio in peius zur Anwendung gelangen, grundsätzliche Bedeutung beimisst (§  160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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