Der Widerspruchsbescheid vom 21.6.2019 (W 255/19) wird abgeändert und der Beklagte verpflichtet, die Rechtsverfolgungskosten für das Widerspruchsverfahren dem Grunde nach zu erstatten. Die Zuziehung des Bevollmächtigten war notwendig.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Kostengrundentscheidungen des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2019 und begehrt die Kostenerstattung für das Widerspruchsverfahren. Gegenstand des mit Widerspruch vom 04.04.2019 gegen den Änderungsbescheid vom 06.03.2019 erhobenen Widerspruchs waren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum April 2019 bis November 2019.
Zuvor hatte die Klägerin bereits ein Widerspruchsverfahren gegen den Bewilligungsbescheid vom 19.10.2018 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 24.11.2018 geführt, das mit Änderungsbescheid vom 13.02.2019 und Widerspruchsbescheid vom 14.02.2019 endete.
Die Klägerin begehrt die Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten für das streitgegenständliche Widerspruchsverfahren, da der Beklagte, ohne die Klägerin vorab anzuhören mit dem Änderungsbescheid vom 06.03.2019 geringere Grundsicherungsleistungen ab dem 1. April 2019 gewährt hatte. Die Bescheide über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II hatten jeweils endgültige Leistungsbewilligungen zum Gegenstand.
Die Klägerin trägt vor, durch die unterlassene Anhörung sei das Widerspruchsverfahren provoziert worden, denn die Abänderung erfolgte nicht auf der Grundlage der Vorlage neuer Unterlagen, sondern der Unterlagen, die bereits im vorangegangenen Widerspruchsverfahren und Bewilligungsverfahren vorgelegt worden waren. Auch der Beklagte selbst sei ausweislich seines Schreibens vom 17.06.2019 offenbar der Ansicht, gewesen, dass eine Anhörung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern hier notwendig gewesen sei.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
den Widerspruchsbescheid vom 21.6.2019 (W 255/19) abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, die Rechtsverfolgungskosten für das Widerspruchsverfahren dem Grunde nach zu erstatten und festzustellen, dass die Zuziehung des Bevollmächtigten notwendig war.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte beruft sich auf die Begründung im Widerspruchsbescheid. Vorliegend habe diie unterlassene Anhörung keine Auswirkungen auf das Ergebnis des Widerspruchsverfahrens haben können, denn die Änderung beruhe allein auf den Angaben der Klägerin und es handele sich insoweit um eine gebundene Entscheidung.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte verwiesen. die der Kammer bei der Beratung und Entscheidung vorlagen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Die angegriffene Kostenentscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Anspruch der Klägerin ergibt sich aus § 63 Absatz 1 Satz 2 SGB X.
Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, auch dann die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung zu erstatten, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat weil die Verletzung einer Verfahrens oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist.
Dies ist hier der Fall.
Soweit sich der Beklagte darauf beruft, dass keine andere Entscheidung in der Sache hätte erfolgen können, so dass die Aufhebung schon nach § 42 SGB X nicht hätte verlangt werden können, ist darauf zu verweisen, dass dies gemäß Satz 2 dieser Vorschrift nicht gilt, wenn die erforderliche Anhörung unterblieben oder nicht wirksam nachgeholt worden ist. Die Anhörung war jedoch erforderlich, weil sich der Beklagte nicht darauf berufen kann, dass hier die Anhörung gemäß § 24 Absatz 2 Nummer 3 SGB X nicht erforderlich gewesen wäre, weil von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen worden sei. Soll in einem Verwaltungsakt nicht zu Ungunsten von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, abgewichen werden, kann die Verwaltung auf eine Anhörung des Beteiligten verzichten. Die Angaben müssen grundsätzlich durch den Betroffenen selbst gegenüber der Behörde gemacht werden (Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 24 SGB X (Stand: 01.12.2017), Rn. 46). Mit der Vorschrift des § 24 SGB X wird das Recht des Einzelnen auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren gewahrt. Der Grundsatz des Rechts auf rechtliches Gehör ist in Art. 103 Abs. 1 GG ausdrücklich nur für das gerichtliche Verfahren verankert. Gleichwohl ist allgemein anerkannt, dass rechtliches Gehör auch im Verwaltungsverfahren zu gewähren ist, wenn die Rechtssphäre des Einzelnen unmittelbar beeinträchtigt wird. Abgeleitet wird dies aus dem Rechtsstaatsprinzip – Art. 20 Abs. 3 GG – und dem darin enthaltenen Gebot eines fairen Verfahrens sowie der Menschenwürde – Art. 1 Abs. 1 GG. Denn der Bürger soll nicht lediglich Objekt staatlichen Handelns sein, vielmehr ist ihm die Möglichkeit zu eröffnen, vor Erlass eingreifender Entscheidungen durch staatliches Handeln Stellung und damit auf diese Entscheidungen Einfluss nehmen zu können.
Durch § 24 SGB X soll der Bürger deshalb vor Überraschungsentscheidungen der Verwaltung geschützt werden; die Vorschrift hat mithin eine Warnfunktion für ihn. Sie dient ferner der Herbeiführung von Transparenz staatlicher Entscheidungen. Zugleich soll durch § 24 SGB X die Stellung des Bürgers in Bezug auf die Verwaltungsentscheidung gestärkt werden, da er durch seine Äußerung zur beabsichtigten Vorgehensweise der Verwaltung auch Einfluss auf diese nehmen kann – wenngleich dies nur für Tatsachen, nicht Rechtsansichten vorgesehen ist. (Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 24 SGB X (Stand: 01.12.2017), Rn. 11). Nach Sinn und Zweck der Anhörung findet die Ausnahmevorschrift deshalb keine Anwendung, wenn aufgrund der getätigten Angaben bereits eine endgültige Entscheidung getroffen wurde, von der nunmehr zu Lasten des Bescheidempfängers überraschend erneut abgewichen wurde. Die Angaben zur Höhe der KdU, auf die die teilweise Rücknahme des Änderungsbescheides vom 12.03.2019 gestützt wurde, sind von der Klägerin bereits weit vor Erlass dieses Bescheides vorgelegt worden.
Aufgrund der Komplexität der Sach- und Bescheidlage war die Zuziehung des Rechtsanwaltes notwendig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.