L 8 AL 664/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AL 2198/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 664/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zur Aufhebung von Kurzarbeitergeld (Kug) in der Coronapandemie. Auch und gerade bei einem lang andauernden Bezug von Kug (hier: 1 Jahr), sind kalendermonatlich neue Angaben des Arbeitgebers über das Fortbestehen (u.a.) der persönlichen Voraussetzungen für Kug unerlässlich. Die fehlerhafte Annahme eines Arbeitgebers, bei den monatlich zu stellenden Folgeanträgen komme es nur auf die Verhältnisse zu Beginn des Kug-Bezugs an, ist grob fahrlässig und entschuldigt nicht unvollständige und fehlerhafte Angaben im Verlauf (hier betreffend den Kündigungsstatus einer Beschäftigten).

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27.01.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine Rückforderung von Kurzarbeitergeld (Kug) nach dem SGB III für den Zeitraum 01.11.2020 bis 28.02.2021 in Höhe von 3.871,67 Euro.

Der Kläger, der im streitgegenständlichen Zeitraum einen Gewerbetrieb im Bereich Textil-Einzelhandel führte, zeigte der Beklagten zu Beginn der Coronapandemie am 16.03.2020 eine ab sofort geplante Arbeitszeitreduzierung an. Der Gesamtbetrieb werde von einer regelmäßig betriebsüblichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden auf 9 Stunden herabgesetzt. Insgesamt seien im Betrieb 9 Arbeitnehmer beschäftigt. Von Kurzarbeit mit einem Entgeltausfall von mehr als 10 v.H. seien voraussichtlich 3 Arbeitnehmer betroffen. Der Kläger bestätigte durch seine Unterschrift, von dem Inhalt des (u.a. auf www.arbeitsagentur.de/datei/merkblatt-8a-kurzarbeitergeld_ba015385.pdf veröffentlichten) „Merkblattes 8a über Kug“ Kenntnis genommen zu haben. Unter Punkt 2.5.1 auf Seite 19 heißt es darin: „Die persönlichen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn (…) das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt oder durch Aufhebungsvertrag aufgelöst ist und nicht vom Kug-Bezug ausgeschlossen ist.“ Das im Merkblatt auf Seite 3 enthaltene Vorwort beginnt mit den Worten: „Bitte beachten Sie die Erläuterungen dieses Merkblatts, wenn Sie Kurzarbeitergeld beantragen.“

Mit Bescheid vom 24.03.2020 bewilligte die Beklagte dem Kläger Kurzarbeitergeld dem Grunde nach für den Zeitraum 01.03.2020 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zum 28.02.2021. Auf Seite 1 der Gründe heißt es u.a.:

„Das Kug ist jeweils für den Anspruchszeitraum (Kalendermonat) zu beantragen.“

Daraufhin stellte der Kläger für seine vier Beschäftigten P (mit Ausnahme des Zeitraums vom 01.04.2020 bis 30.11.2020), W, S und S1 am 25.03.2020 (für März 2020), am 30.04.2020 (für April 2020), am 02.06.2020 (für Mai 2020), am 04.07.2020 (für Juni 2020), am 06.08.2020 (für Juli 2020), am 31.08.2020 (für August 2020), am 05.10.2020 (für September 2020), am 03.11.2020 (für Oktober 2020), am 30.11.2020 (für November 2020), am 18.12.2020 (für Dezember 2020), am 31.01.2021 (für Januar 2021) sowie am 01.03.2021 (für Februar 2021) jeweils Leistungsanträge auf Kug und pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge jeweils unter Beifügung einer tabellarischen Übersicht der Löhne und Entgeltausfälle dieser Personen in Form eines Ausdrucks aus dem verwendeten Lohnbuchhaltungsprogramm.

Am 26.10.2020 kündigte der Kläger seiner Mitarbeiterin S ordentlich zum 30.04.2021 (Post-it 3 in Papier-Beiakte). In dem Schreiben hieß es ergänzend: „Die zwischen uns vereinbarte Kurzarbeit wird bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses beibehalten“. Die Beklagte erfuhr von dieser Kündigung zunächst nichts.

In seinem Antrag vom 03.11.2020 für den dem streitbefangenen Zeitraum unmittelbar vorausgegangenen Monat Oktober 2020 verneinte der Kläger weiterhin die Frage Nr. 5 nach gekündigten Beschäftigungsverhältnissen durch Ankreuzen.

Der Bewilligungsbescheid vom 09.11.2020 über KuG für Oktober 2020 enthielt den folgenden Hinweis:

„Sie haben einzelne Fragen des Antrags nicht/nicht vollständig ausgefüllt. Ich gehe davon aus, - dass (…) bei keinem der Arbeitnehmer/innen die Arbeitsverhältnisse gekündigt sind. (…) Sollten (…) einzelne dieser Bedingungen nicht erfüllt sein, erfolgte die an Sie geleistete Zahlung zu Unrecht und muss nach erfolgter Prüfung zurückgezahlt werden.“

Mit dem kurz darauf am 30.11.2020 für den ersten hier streitbefangenen Kalendermonat November 2020 gestellten Leistungsantrag bejahte der Kläger erstmals die Frage Nr. 5 nach gekündigten oder aufgelösten Beschäftigungsverhältnissen, benannte hierbei jedoch nicht den oder die betroffenen Beschäftigten, noch deren Anzahl noch den oder die Zeitpunkte der Kündigung(en) und fügte insbesondere nicht eine Liste des oder der gekündigten Beschäftigten bei, sondern fügte einen Auszug aus der Lohnbuchhaltung bei, aus dem – wie zuvor – ein Entgeltausfall der drei Beschäftigten W, S und S1 hervorging. Das Formblatt enthält direkt unter der durch Ankreuzen zu beantwortenden Ja/Nein-Frage Nr. 5 den in Fettdruck hervorgehobenen Hinweis, dass bejahendenfalls eine Liste der gekündigten Arbeitsverhältnisse anzufügen ist.

In den folgenden Anträgen für die Monate Dezember 2020 bis Februar 2021 verneinte der Kläger die Frage nach gekündigten Beschäftigungsverhältnissen wieder wie ursprünglich.

Für den hier streitbefangenen Zeitraum bewilligte die Beklagte dem Kläger auf seine jeweiligen Anträge Kurzarbeitergeld mit Bescheiden vom

03.12.2020 (für November 2020: 1.883,21 Euro; davon entfielen auf die Mitarbeiterin S 833,79 Euro),
04.01.2021 (für Dezember 2020: 2.318,52 Euro; davon entfielen auf die Mitarbeiterin S 642,40 Euro. [Anmerkung: Der im angefochtenen Gerichtsbescheid als Datum dieses Bescheids genannte „14.01.2021“ ist ein Schreibfehler]),
08.02.2021 (für Januar 2021: 3.811,92 Euro; davon entfielen auf die Mitarbeiterin S 1.197,74 Euro) und vom
05.03.2021 (für Februar 2021: 3.468,56 Euro; davon entfielen auf die Mitarbeiterin S 1.197,74 Euro).

Am 13.04.2021 erlangte die Beklagte durch eine E-Mail der Steuerberaterin des Klägers Kenntnis von der ordentlichen Kündigung der Beschäftigten Frau S vom 26.10.2020 zum 30.04.2021.

Mit dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 15.04.2021 hob die Beklagte die Bewilligungsbescheide für die Monate November 2020 bis Februar 2021 teilweise in Höhe von 833,79 Euro (November), 642,40 Euro (Dezember) und jeweils 1.197,74 Euro (Januar und Februar) auf und forderte den Kläger zur Erstattung der Summe von 3.871,67 Euro auf. Die Aufhebung beruhe auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X und § 330 Abs. 2 SGB III und die Rückforderung auf § 108 Abs. 3 SGB III hinsichtlich des überzahlten Kug und auf § 50 Abs. 1 SGB X hinsichtlich der gewährten SV-Beiträge im Hinblick auf die gekündigte Mitarbeiterin S.

Mit Bescheid vom 20.04.2021 rechnete die Beklagte eine neue Leistungsbewilligung für März 2021 in Höhe von 606,50 Euro in dieser Höhe mit der Rückforderung vom 15.04.2021 auf.

Der Kläger legte mit Schreiben vom 07.05.2021 am 10.05.2021 gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 15.04.2021 sowie gegen die Aufrechnung vom 20.04.2021 Widerspruch ein. Er habe bei Antragstellung keine falschen Angaben gemacht, weil die wirtschaftliche Entwicklung damals noch nicht absehbar gewesen sei. Die Aufhebung, Rückforderung und Aufrechnung seien daher fehlerhaft.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.06.2021 wies die Beklagte die Widersprüche als unbegründet zurück. Die angefochtene Teilaufhebung für die Monate November 2020 bis Februar 2021 betreffe die Bewilligungsbescheide vom 03.12.2020, 04.01.2021, 08.02.2021 und 05.03.2021. Die Beschäftigte S, die der Kläger mit den Anlagen zu seinen Leistungsanträgen für die Monate November 2020 bis Februar 2021 als Beschäftigte mit Entgeltausfall benannt habe, habe die persönlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Kug infolge der am 26.10.2020 ausgesprochenen Kündigung ab dem Leistungsmonat November 2020 nicht mehr erfüllt. Denn § 98 SGB III sehe vor, dass das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt oder durch Aufhebungsvertrag aufgelöst sei. Hierüber sei der Kläger mit dem Merkblatt 8a, dessen Kenntnisnahme er mit seiner Anzeige von Kurzarbeit am 16.03.2020 bestätigt habe, zutreffend belehrt worden. § 108 Abs. 3 SGB sehe vor, dass ein Arbeitgeber, der mit einer der in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X bezeichneten Handlungen bewirkt habe, dass KuG zu Unrecht geleistet worden sei, dieses ersetzen müsse. Der Widerspruchsführer habe in den jeweiligen Leistungsanträgen falsche Angaben im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X zur Arbeitnehmerin S gemacht, die zu einer unzutreffenden Leistungsbewilligung geführt hätten.

Am 13.07.2021 hat der Kläger beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Zur Begründung hat er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft und ergänzt, dass er aufgrund des Bescheides vom 24.03.2020 davon ausgegangen sei, dass die Anspruchsvoraussetzungen für den darin genannten Zeitraum festgestellt worden seien und ein Anspruch auf Kug solange bestehe, wie seine Geschäfte geschlossen seien. Aufgrund der langen gesetzlichen Kündigungsfrist bei seiner Mitarbeiterin Frau S sei er zudem davon ausgegangen, dass zum Zeitpunkt der Mitteilung der Lohnsummen das Arbeitsverhältnis noch bestehe. Über den Umstand, dass jeweils für jeden Mitarbeiter zusätzliche Voraussetzungen zu prüfen seien, sei er nicht aufgeklärt worden.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.01.2022, der dem Kläger am 07.02.2022 zugestellt worden ist, hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen auf die Gründe des angegriffenen Widerspruchsbescheids verwiesen und ergänzend zum Verschulden des Klägers ausgeführt, dass dem Kläger zumindest grobe Fahrlässigkeit i.S.d. § 45 SGB X vorzuwerfen sei. Habe die Behörde in beigefügten Merkblättern oder im Antragsformular deutlich und verständlich auf die Pflicht zur Mitteilung sämtlicher für die Leistungsbewilligung erheblicher Tatsachen hingewiesen, so könne dem Betroffenen im Regelfall Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden (BSG, Urt. v. 24.04.1997 - 11 RAr 89/96 sowie Urt. v. 11.01.1990 - 7 RAr 54/88). Der Kläger habe in seiner Anzeige über Arbeitsausfall vom 16.03.2020 unterschriftlich bestätigt, von dem Inhalt des Merkblattes 8a über Kurzarbeitergeld Kenntnis genommen zu haben. Dieses weise auf Seite 19 unten darauf hin, dass die persönlichen Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld (nur) dann erfüllt sind, wenn das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt oder durch Aufhebungsvertrag aufgelöst sei. Dies entspreche der eindeutigen gesetzlichen Regelung in § 98 Abs. 1 Nr. 2 SGB III, an die sowohl die Beklagte als auch das Gericht gebunden seien. Werde ein Merkblatt oder ein Formular „blind“ unterschrieben, ohne sich über den Inhalt Kenntnis zu verschaffen, sei dies ein ausreichender Anknüpfungspunkt für den Vorwurf grober Fahrlässigkeit (LSG Hessen, Urt. v. 21.11.2011 - L 7 AL 101/11; Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, § 45 Rn. 65). Die Rechtsprechung lasse es insoweit ausreichen, dass das Merkblatt einen Hinweis enthalte, der so abgefasst ist, dass der Betroffene seinen Inhalt unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Einzelfall ohne weiteres erkennen könne (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.12.2016 - L 8 AL 4082/15, juris Rn. 49; Padé, in: jurisPK-SGB X, § 45 Rn. 93). Im hier vorliegenden Fall der Bewilligung von Kurzarbeitergeld komme noch erschwerend hinzu, dass der Kläger im Rahmen seiner laufenden Leistungsanträge monatlich erklärt und durch seine Unterschrift bestätigt habe, die Angaben nach bestem Wissen, sorgfältiger Prüfung und unter Beachtung der „Hinweise zum Antragsverfahren - Kug - Transfer-Kug“ und des „Merkblattes über Kug“ gemacht zu haben. Jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Kündigung am 26.10.2020 hätte der Kläger unter Berücksichtigung der ihm obliegenden Sorgfalt daher wissen müssen bzw. zumindest wissen können, dass die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld für die gekündigte Mitarbeiterin nicht länger vorgelegen hätten. Es komme nicht darauf an, dass aus Sicht des Klägers bei seiner Erstanzeige von Arbeitsausfall im März 2020 noch nicht absehbar gewesen sei, dass sich die Entwicklung so verschlechtern würde, dass nicht alle Mitarbeiter behalten werden könnten. Denn die persönlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Kug seien jeden Monat erneut zu prüfen.

Am 03.03.2022 hat der Kläger Berufung gegen den Gerichtsbescheid beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung wiederholt er zum einen, dass er bei der erstmaligen Antragstellung im März 2020 alles richtig angegeben habe und bis zuletzt der Ansicht gewesen sei, dass es auf die Verhältnisse bei jener ersten Antragstellung ankomme. Damals habe er noch nicht absehen können, dass er im weiteren Verlauf der Pandemie einzelne Beschäftigungsverhältnisse würde beenden müssen. Zum anderen sei das Merkblatt 8a mit seiner Formulierung im Vorwort und auf Seite 19 insoweit mindestens missverständlich, als es gerade den falschen Anschein erwecke, dass es auf die Verhältnisse bei der (gemeint: erstmaligen) Antragstellung) ankomme. Die unzulängliche Formulierung im Merkblatt dürfe dem Kläger nicht zum Verhängnis werden. Zudem sei er nirgends darüber belehrt worden, dass gekündigte Beschäftigungsverhältnisse in einer separaten Liste zu benennen gewesen seien. Beim Kläger sei daher keine grobe Fahrlässigkeit festzustellen.

Der Kläger beantragt sachdienlich ausgelegt,

den Gerichtsbescheid vom 27.01.2022 und den Bescheid vom 15.04.2021 und den Bescheid vom 20.04.2021 hinsichtlich der darin ausgesprochenen Aufrechnung jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.06.2021 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Gründe des angefochtenen Widerspruchsbescheids und des Gerichtsbescheids und ist im Übrigen der Ansicht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme der Leistungsbewilligung für die Vergangenheit nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 sowie Nr. 3 SGB X eindeutig erfüllt seien. Nach § 330 Abs. 2 SGB III i. V. m. § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X bleibe zudem für eine Ermessensausübung kein Raum.

Auf rechtliche Hinweise des Berichterstatters vom 11.08.2022 und 13.09.2022 hat der Kläger erklärt, die Berufung fortführen zu wollen. Die im Bescheid vom 09.11.2020 enthaltene Mitteilung sei nicht geeignet, den Kläger jedenfalls ab diesem Zeitpunkt bösgläubig zu machen. Der Beklagten sei ein erhebliches Mitverschulden anzulasten, das über einen einfachen Bearbeitungsfehler hinausgehe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat nach Zustimmung beider Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist gemäß den §§ 143, 144 SGG zulässig aber nicht begründet. Gegenstand der Klage ist eine Anfechtung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids vom 15.04.2021 sowie des Bescheids vom 20.04.2021, soweit dieser eine Aufrechnung vornahm, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.06.2021.

Die als Anfechtungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da die teilweise Aufhebung der Bewilligung von KuG im Zeitraum 01.11.2020 bis 28.02.2021 dem Grunde und der Höhe sachlich und rechtlich zutreffend und der Kläger zur Erstattung der zutreffend bezifferten Überzahlung verpflichtet ist. Auch die vom Beklagten verfügte Aufrechnung in Höhe von 606,50 Euro ist formell und materiell rechtmäßig. Der angefochtene Gerichtsbescheid vom 27.01.2022 ist daher nicht zu beanstanden und die Berufung zurückzuweisen.

Die Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung richtet sich nach § 45 SGB X. Danach darf ein von Anfang an rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter Beachtung von Vertrauensschutz, wie er in den Absätzen 2 bis 4 der Vorschrift normiert wird, zurückgenommen werden. § 45 Abs. 2 SGB X schließt eine Rücknahme aus, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ist Vertrauensschutz jedoch ausgeschlossen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

Grob fahrlässig ist eine Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, 2. Halbsatz SGB X). Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSG, Urteil vom 31.08.1976 – 7 RAr 112/74 –, BSGE 42, 184, juris Rn. 19).

Nach diesen Maßstäben ist das Vertrauen des Klägers in den Bestand der zurückgenommenen Leistungsbescheide nicht schutzwürdig im Sinne des § 45 Abs. 2 SGB X und die Voraussetzung für deren teilweise Aufhebung daher erfüllt. Denn der Kläger hat grob fahrlässig in wesentlicher Hinsicht zunächst unvollständige und im weiteren Verlauf unrichtige Angaben gemacht, auf denen die fehlerhaften Leistungsbewilligungen beruhen.

Ein Anspruch auf Kug setzt nach § 95 Satz 1 SGB III voraus, dass ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt (dazu im Einzelnen § 96 SGB III), dass die betrieblichen (dazu § 97 SGB III) und die persönlichen (dazu § 98 SGB III) Voraussetzungen erfüllt sind und dass der Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist (dazu § 99 SGB III). Zu den kumulativ erforderlichen persönlichen Voraussetzungen des § 98 Abs. 1 SGB III zählt gemäß dessen Nr. 2, dass das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt oder durch Aufhebungsvertrag aufgelöst ist.

a) Vor diesem Hintergrund waren die Angaben des Klägers im Leistungsantrag vom 30.11.2020 (unbestimmte Angabe von Kündigungen) betreffend den ersten Aufhebungsmonat November 2020 zutreffend aber unvollständig. Die darauf erfolgte Leistungsbewilligung vom 03.12.2020 für den Kalendermonat November 2020 war hinsichtlich der Arbeitnehmerin Frau S fehlerhaft, und dies beruhte auf der Unvollständigkeit im Antrag vom 30.11.2020. Mit Aushändigung der Kündigung an die Arbeitnehmerin Frau S am 26.10.2020 entfiel hinsichtlich ihr eine der in § 98 Abs. 1 Nr. 2 SGB III kumulativ normierten persönlichen Anspruchsvoraussetzungen des Kug, wie das SG mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid, auf dessen Gründe insoweit verwiesen wird, zutreffend ausführt. Zwar hat der Kläger im Formularvordruck im Ansatz zutreffend pauschal bejaht, dass ein oder mehrere Arbeitsverhältnis(se) gekündigt ist bzw. sind, hierzu jedoch jegliche näheren Angaben unterlassen. Er hat insbesondere nicht offengelegt, dass die bejahende Angabe ausgerechnet eine der mit der beigefügten Lohnabrechnung für November benannten drei Arbeitnehmerinnen, Frau S, betraf, sondern mit der Vorlage dieser Lohnabrechnung bei der Beklagten den falschen Anschein erweckt, als sei jedenfalls bei diesen – wie zuvor benannten – 3 Arbeitnehmerinnen gegenüber dem Vormonat keine Veränderung eingetreten. Der Kläger war überdies gehalten, den bzw. die Namen der bzw. des Beschäftigten, ihre Anzahl und die Kündigungszeitpunkte explizit zu erklären. Denn hierzu fordert der Formulartext zu der vom Kläger bejahten Frage bejahendenfalls ausdrücklich auf. Vor diesem Hintergrund kann keine Rede davon sein, dass der Kläger, wie er mit seiner Berufungsbegründung vom 20.07.2022 geltend macht, zu keiner Zeit darüber belehrt worden sei, dass gekündigte Arbeitsverhältnisse ggf. in einer separaten Liste anzuführen seien. Das Gegenteil ist der Fall.

b) Hinsichtlich der weiteren streitbefangenen Leistungsmonate Dezember 2020 bis Februar 2021 hat der Kläger mit seinen Leistungsanträgen vom 18.12.2020 (für Dezember 2020), 31.01.2021 (für Januar 2021) sowie 01.03.2021 (für Februar 2021) durch Verneinung der Formularfrage Nr. 5 jeweils grob fahrlässig falsche Angaben gemacht, auf denen die fehlerhaften und deshalb insoweit aufgehobenen Leistungsbewilligungen beruhten.

c) Die unvollständigen bzw. unrichtigen Angaben des Klägers erfolgten grob fahrlässig.

Das Vorbringen des Klägers im Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren ist nicht geeignet, den vom Beklagten erhobenen und vom SG bestätigten Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu entkräften. Dieses Vorbringen, wonach er bis zuletzt der – zwar falschen aber vor allem wegen einer missverständlichen Formulierung im Merkblatt 8a nicht vorwerfbar falschen – Überzeugung gewesen sei, dass seine monatlich wiederkehrenden Angaben zur Frage Nr. 5 gar keine Bedeutung hätten, weil es ausschließlich auf den Zeitpunkt erstmaliger Antragstellung und der darauf erfolgten Bewilligung im März 2020 ankomme, ist unschlüssig. Denn dieser Vortrag erklärt erstens nicht, warum der Kläger im angeblich guten Glauben an die Maßgeblichkeit nur der Verhältnisse im März 2020 überhaupt im Verlauf immer wieder Angaben zur Frage Nr. 5 gemacht hat und übersieht zweitens, dass der Kläger mit seinem Antrag vom 30.11.2020 gerade eine von allen anderen Anträgen vorher und nachher abweichende und für November 2020 auch zutreffende (aber unvollständige, s.o.) Angabe gemacht hat.

Zur Bewertung des klägerischen Verhaltens als grob fahrlässig im Sinne des § 45 Abs. 2 SGB X kommt es auf die durch Unterschrift bestätigte (ggf. „blinde“, wie das SG ausführt) Kenntnisnahme des Klägers vom Merkblatt 8a und die daraus zu ziehenden Schlüsse ebenso wenig an wie auf den Einwand des Klägers, demzufolge eine missverständliche Formulierung eben dieses Merkblatts eine grobe Fahrlässigkeit sogar ausschließe. Denn der Sachverhalt ist hier so gelagert, dass der Kläger auch ungeachtet jenes Merkblatts mehrfach, eindeutig, individuell und sogar zeitlich unmittelbar vor seinen zunächst unvollständigen, später fehlerhaften Angaben zutreffend darüber belehrt wurde, dass der Leistungsanspruch auf Kug vom Fortbestehen der persönlichen Voraussetzungen, insbesondere ungekündigter Arbeitsverhältnisse, abhängt und dass die Leistung daher kalendermonatlich neu zu beantragen und das Vorliegen dieser Voraussetzungen dabei jeweils zu prüfen ist:

Erstens wies die Beklagte den Kläger mit der Bewilligung vom 24.03.2020 darauf hin, dass es sich bei ihr nur um eine Entscheidung dem Grunde nach handele und dass für eine konkrete Berechnung des in einem Kalendermonat zustehenden Kug die Leistung monatlich neu zu beantragen sei. Zur Errechnung der Höhe des Kug bedarf es naturgemäß konkreter Angaben zum tatsächlichen (und nicht nur wie mit der Arbeitsausfallanzeige vage prognostizierten) Entgeltausfall und den von diesem Entgeltausfall betroffenen und berücksichtigungsfähigen Arbeitnehmern. Über diese veränderlichen Tatsachen konnte die Bewilligung dem Grunde nach vom 24.03.2020 keine Feststellungen treffen. Welche und wie viele Arbeitnehmer in einem bestimmten Leistungsmonat mit welchem individuellen Verdienstausfall die persönlichen Voraussetzungen des Kug-Anspruchs möglicherweise neu (zum Beispiel bei Arbeitsaufnahme im Anschluss an eine Berufsausbildung, vgl. § 98 Abs. 1 Nr. 1b) oder nicht mehr (z.B. wegen Ausscheidens aus der Beschäftigung, vgl. § 98 Abs. 1 Nr. 1 a) SGB III) erfüllen, ist zur konkreten Errechnung des monatlich zu gewährenden Kug die schlechthin zentralste aller Informationen. Die Prüfung dieser tatsächlichen Verhältnisse der im jeweiligen Leistungsmonat beschäftigten und berücksichtigungsfähigen Arbeitnehmer (persönliche Anspruchsvoraussetzungen, § 98 SGB III) war daher ebenso wie die Prüfung des von ihnen erlittenen erheblichen Arbeitsausfalls (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB III) und des damit untrennbar verbundenen berücksichtigungsfähigen Entgeltausfalls den konkreten Leistungsbewilligungen vorbehalten und wurde nicht durch die Bewilligungsentscheidung dem Grunde nach vom 24.03.2020 vorweggenommen – diese betraf vielmehr die übrigen, unveränderlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 95 SGB III, wie den potentiellen Anspruchsbeginn nach erfolgter Arbeitsausfallanzeige (§ 99 SGB III), einen im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SGB III erheblichen Arbeitsausfall und die betrieblichen Voraussetzungen (§ 97 SGB III). Das Vorbringen des Klägers, dass er die Bewilligung vom 24.03.2020 so verstanden und darauf vertraut habe, dass diese Bewilligung unabhängig von den im weiteren Verlauf konkret betroffenen Beschäftigten innerhalb des bewilligten Maximalzeitraums für die gesamte Dauer der pandemiebedingten Geschäftsschließung gelte, überzeugt daher nicht.

Zweitens wäre es jedenfalls im konkreten Fall für den Kläger überaus einfach gewesen, bei der Antragstellung vom 30.11.2020 der im Antragsformular bei Frage Nr. 5 in Fettdruck hervorgehobenen Anforderung, bejahendenfalls gekündigte Beschäftigungsverhältnisse konkret darzulegen, gerecht zu werden. Die darzulegende Sachlage (1 gekündigte Arbeitnehmerin von den bislang und auch hier insgesamt nur benannten 3 Personen) war alles andere als komplex und hätte es dem Kläger sogar erlaubt, die betroffene Arbeitnehmerin auf der ohnehin beigefügten Lohnabrechnung schlicht durch Ankreuzen zu markieren. Dies trotz des sehr deutlich hervorgehobenen Hinweises („bejahendenfalls…“) unterlassen zu haben, ist daher ein Versäumnis, das sich jedem und auch dem Kläger schon bei einfachsten Überlegungen aufdrängen musste.

Drittens konnte der Kläger dem Leistungsbescheid vom 09.11.2020 über Kug für Oktober 2020 den klar verständlichen Hinweis entnehmen, dass die Beklagte ausgehend von unvollständigen Angaben des Klägers bis auf weiteres zu seinen Gunsten unterstelle, dass keinem der benannten Arbeitnehmer/innen gekündigt wurde und dass anderenfalls die gewährten und ggf. die zu gewährenden Leistungen zu Unrecht erfolgt wären bzw. erfolgen würden und zurückzuzahlen wären. Nur rund zwei Wochen vor diesem Hinweis hatte der Kläger seiner Arbeitnehmerin Frau S gekündigt. Dass der Kläger nur kurz nach diesem Hinweis am 30.11.2020 eine Kündigung im Antragsformular ausdrücklich (jedoch ohne ausreichende nähere Angaben, s.o.) bejahte, legt nahe, dass er jedenfalls diesen konkreten und individuellen Hinweis vom 09.11.2020 bewusst zur Kenntnis genommen und durchaus verstanden hat. Umso deutlicher erweisen sich die späteren, eine Kündigung bei unveränderter Sachlage wieder verneinenden Angaben des Klägers für Dezember bis Februar bereits als widersprüchlich zu der eigenen vorausgegangenen Angabe. Schon bei einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen musste sich jedem und auch dem Kläger aufdrängen, dass entweder seine Angabe für November („Ja“) oder seine anderen Angaben für Dezember bis Februar („Nein“) nicht zutreffen konnten. Die Schwelle zur grob fahrlässigen Falschangabe ist damit klar überschritten.

d) Ob dem Kläger darüber hinaus nicht sogar Vorsatz oder ein zumindest grob fahrlässiges Verkennen der Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligungen für Dezember 2020 bis Februar 2021 vorzuhalten ist, so dass auch der weitere, Vertrauensschutz ausräumende Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X erfüllt wäre, bedarf angesichts des eindeutig erfüllten Tatbestands der Nr. 2 keiner näheren Prüfung.

e) Ein Mitverschulden der Beklagten bedarf ebenfalls keiner näheren Prüfung. Ein solches Mitverschulden wäre zwar im Rahmen eines Ermessensspielraums zu berücksichtigen und könnte dabei je nach Gewicht der Verursachungsbeiträge einzeln und im Verhältnis zueinander entweder ohne Auswirkung bleiben (so insbesondere bei einfachen Bearbeitungsfehlern) oder eine nur anteilige Aufhebung rechtfertigen oder einer jeglichen Aufhebung sogar ganz entgegenstehen. Für derartige Erwägungen ist jedoch vorliegend schon deshalb kein Raum, weil die Aufhebungsentscheidung nicht im Ermessen der Beklagten stand, sondern gemäß § 330 Abs. 2 SGB III als einzige Rechtsfolge zwingend vorgeschrieben ist, weil ein Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X - wie gezeigt – vorlag (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.12.2008 – L 13 AS 651/07 –, juris).

Die gegen den Kläger gerichtete Rückforderung des bewilligten Kug nebst SV-Beiträgen richtet sich nach § 108 Abs. 3 SGB III bzw. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Widerspruchsbescheids wird gemäß § 136 Abs. 3 SGG insoweit verwiesen. Die in Höhe von 606,50 Euro vom Beklagten mit Bescheid vom 20.04.2021 erklärte Aufrechnung mit der Bewilligung von Kug für den Folgemonat März 2021 begegnet – auch seitens der Beteiligten – keinen sachlichen oder rechnerischen Bedenken und entspricht den rechtlichen Vorgaben aus § 51 Abs. 1 SGB I. Die für laufende Geldleistungen nach § 51 Abs. 2 SGB I vorgesehene Höhenbeschränkung einer Aufrechnung auf die Hälfte der laufenden Leistung ist für das kalendermonatlich zu beantragende und zu bewilligende Kug nicht einschlägig. Die Rückforderung ist daher in der aufgerechneten Höhe erloschen (§ 389 BGB).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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