L 5 R 1938/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 672/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 1938/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 08.05.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand


Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1973 geborene Kläger hat den Beruf des Werkzeugmechanikers erlernt und war seit 1994 als Metallarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 09.10.2016 war er arbeitsunfähig erkrankt. Zunächst bezog er Krankengeld und im Anschluss Arbeitslosengeld I. Beim Kläger ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit dem 18.06.2019 anerkannt.

Nach einer onkologischen Rehabilitationsmaßnahme aufgrund eines Seminoms am rechten Hoden im Jahr 2009 sowie einer orthopädisch-rheumatologischen Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 2011 absolvierte der Kläger zuletzt vom 20.04.2017 bis zum 11.05.2017 eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der B-Klinik in K. Im Entlassungsbericht wurden eine Lumboischialgie links bei NPP L5/S1, ein Zustand nach subakutem Verschluss mit Lyse, PTA und Stent OS rechts (2014 sowie 2017), eine Adipositas, ein Zustand nach Distorsion des linken Sprunggelenks und ein langjähriger Nikotinabusus angegeben. Bei Beachtung qualitativer Einschränkungen könne der Kläger sowohl leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in überwiegendem Stehen, Gehen oder Sitzen als auch die zuletzt verrichtete Tätigkeit als Metallarbeiter in einem Umfang von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten.

Eine im Anschluss an die Rehabilitationsmaßnahme begonnene Wiedereingliederung in das bestehende Arbeitsverhältnis wurde aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig abgebrochen.

Am 22.12.2017 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er habe unter anderem psychische Probleme durch Todes- und Krankheitsfälle in der Familie, leide unter Rückenschmerzen bei Bandscheibenvorfällen, starken Problemen mit den Kniegelenken sowie Schmerzen in den Füßen. Er könne seit Juli 2017 nur noch vier Stunden täglich arbeiten.

Im Auftrag der Beklagten wurde er am 12.03.2018 durch die V gutachterlich untersucht. Diese stellte beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen fest: Minderbelastbarkeit beider Kniegelenke bei fortgeschrittenen Kniegelenksarthrosen beidseitig ohne Bewegungseinschränkung, in der Vergangenheit mehrere Kniegelenksspiegelungen bei Kniebinnenraumschädigung beidseitig (rechts 1990, 1995 und 1998, links 1992 und 2001); Minderbelastbarkeit des rechten Beines bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit der rechten Beckenarterie mit gefäßerweiterndem Eingriff und Stent-Einlage 12/2014 sowie 02/2017, derzeit beschwerdefrei; Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule bei Verschleißerscheinungen und Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 ohne neurologisches Funktionsdefizit und ohne Bewegungseinschränkung; Asthma bronchiale bei fortgesetztem Inhalationsrauchen; leichtes Übergewicht; beginnende Verschleißerscheinungen am rechten oberen Sprunggelenk; Verschleißerscheinungen am rechten Großzehengrundgelenk; operierter Hodenkrebs rechts mit Hodenentfernung und Bestrahlungstherapie im Jahr 2007, derzeit ohne Anhalt für lokale Wiederkehr oder Fernabsiedelung; kontrollbedürftige Leberwerterhöhung bei Verdacht auf schädlichen Gebrauch von Alkohol. Zu vermeiden seien Wirbelsäulenzwangshaltungen, häufiges Bücken oder Knien, Ersteigen oder Erklettern von Leitern und Gerüsten sowie inhalative Reize. Bei Beachtung dieser Einschränkungen könne der Kläger leichte Tätigkeiten im überwiegenden Sitzen mit zeitweise Gehen und Stehen in Tages-, Früh-/Spätschicht und Nachtschicht in einem Umfang von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten. Die zuletzt verrichtete Tätigkeit als Metallarbeiter sei nicht mehr leidensgerecht.

Mit Bescheid vom 16.04.2018 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Kläger die medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht erfülle.

Hiergegen legte der Kläger am 27.04.2018 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2019 zurückwies.

Am 13.03.2019 hat der Kläger beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, er könne selbst leichte Tätigkeiten nicht mehr für drei Stunden verrichten. Die depressiven Beschwerden seien schlimmer geworden und es seien Erschöpfungs- und Müdigkeitszustände sowie eine zunehmende Antriebsschwäche einhergehend mit dem bereits fachärztlich festgestellten Alkoholgebrauch hinzugekommen. Daneben leide er unter erheblichen Beschwerden im Bereich der Kniegelenke, so dass längeres Stehen, Gehen oder Sitzen ebenso wie das Heben und Tragen von Gegenständen ihn vor Probleme stelle.

Die Beklagte ist unter Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme von N, vom 23.07.2019 der Klage entgegengetreten.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen befragt. Der H hat in seiner Auskunft vom 14.06.2019 angegeben, den Kläger nach Praxisübernahme von seinem Vorgänger seit 2016 zu behandeln; es bestehe ein Asthma bronchiale, ein Nikotinabusus, eine Lymphadenopathie, ein Zustand nach Hodenseminom, ein Zustand nach Schulterverletzung sowie ein Verschluss der A. iliaca communis rechts mit Zustand nach Stent-Implantation. Auf seinem Fachgebiet sehe er keine Bedenken gegen die Beurteilung, dass der Kläger noch leichte Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne. Der H1 hat in seiner Auskunft vom 21.06.2019 angegeben, den Kläger bis zuletzt Mai 2019 wegen Schulterbeschwerden behandelt zu haben. Eine Einschätzung zum Leistungsvermögen sei angesichts der ihm vorliegenden, ausschließlich symptombezogen die linke Schulter betreffenden Befunde nicht möglich. Die G von der Psychiatrischen Institutsambulanz A hat am 18.06.2019 angegeben, den Kläger seit Juni 2018 in sechswöchigem Turnus zu behandeln. Es bestehe eine depressive Erkrankung, ein riskanter Alkoholkonsum sowie eine Verkehrung des Tag-/Nachtrhythmus bzw. eine Schlafstörung. Durch Eindosierung eines Antidepressivums sei die Stimmung stabiler geworden; hinsichtlich des Alkoholkonsums sei der Kläger bagatellisierend und wenig problembewusst. Maßgeblich für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit sei das psychiatrische Fachgebiet. Aufgrund der depressiven Entwicklung mit Schlafstörung und verkehrtem Tag-/Nachtrhythmus, körperlichen Schmerzen sowie Antriebs- und Interessenverlust bestünden Bedenken gegen ein sechsstündiges arbeitstägliches Leistungsvermögen; zudem bestehe ein übermäßiger Alkoholkonsum, welcher hinsichtlich der Schlafstörung und des verkehrten Tag-/Nachtrhythmus mit großer Wahrscheinlichkeit mitursächlich sei.

Das SG hat außerdem bei dem L ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, welches am 09.01.2020 auf der Grundlage einer Untersuchung des Klägers vom 19.12.2019 erstellt worden ist. L hat beim Kläger eine leichte depressive Episode, einen Zustand nach Alkoholabusus ohne derzeit erkennbare Suchtproblematik sowie ein mäßiges Lumbalsyndrom mit leichter Wurzelreizung S1 bei bekanntem Bandscheibenvorfall L5/S1 festgestellt; daneben bestehe eine Minderbelastbarkeit der Kniegelenke bei Arthrosen, eine Minderbelastbarkeit des rechten Beines bei peripherer arterieller Verschlusserkrankung der Beckenarterie mit Stent-Versorgung 2014 und 2017, ein Asthma bronchiale, eine beginnende Arthrose des rechten oberen Sprunggelenks, ein Zustand nach operiertem Hodenkrebs inklusive Bestrahlungen im Jahr 2007, eine Leberwerterhöhung, Nikotinabusus sowie ein Supraspinatussyndrom links. Rein auf Grund der neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen sei die berufliche Leistungsfähigkeit nicht wesentlich beeinträchtigt. Berücksichtige man daneben noch die orthopädischen Leiden und das Bandscheibenleiden, seien schwere körperliche Arbeiten, Arbeiten mit Heben und Tragen oder Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel oberhalb von 30-40 kg, Arbeiten mit sehr häufigem Bücken, Arbeiten mit Nachtschichten, Arbeiten unter ungünstigen Witterungseinflüssen sowie Arbeiten mit deutlich überdurchschnittlicher geistiger Beanspruchung zu vermeiden. Bei Beachtung dieser Einschränkungen könne er noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich erwerbstätig sein. Der Kläger könne arbeitstäglich viermal 500 Meter in zumutbarem Zeitaufwand zurückzulegen. Eine weitere Beurteilung auf anderem Fachgebiet erscheine nicht erforderlich.

Mit Gerichtsbescheid vom 08.05.2020 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Bescheid der Beklagten vom 16.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2019 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Er habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei er zur Überzeugung der Kammer bei Berücksichtigung bestimmter qualitativer Einschränkungen seines Leistungsvermögens noch in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem Umfang von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten.

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 20.05.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19.06.2020 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. G schätze abweichend von L das quantitative Leistungsvermögen des Berufungsklägers auf drei bis unter sechs Stunden ein. L weise außerdem in seinem Gutachten auf weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen außerhalb des neurologisch-psychiatrischen Fachgebietes hin, nämlich Arthrosen in den Kniegelenken, Verschlusserkrankung der Beckenarterie, Asthma bronchiale, Arthrose rechtes oberes Sprunggelenk, Zustand nach Hodenkrebs-Operation rechts 2007 sowie Supraspinatussyndrom links. Aktuell sei eine weitergehende (fach-)ärztliche Behandlung erforderlich geworden wegen Hypertonie, Magen-Darm-Beschwerden und Schmerzen im Bereich der rechten Leiste. In der Gesamtschau könne der erstinstanzlichen Einschätzung zum quantitativen Leistungsvermögen nicht gefolgt werden. Ergänzend hat der Kläger einen Arztbrief von G vom 27.06.2018 und Arztbriefe des R vom 19.08.2020 und 12.10.2020 vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 08.05.2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.02.2019 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und ihre Bescheide für zutreffend. Ergänzend hat sie sozialmedizinische Stellungnahmen von N vom 04.03.2021 und L1, vom 15.11.2021 vorgelegt.

Der Senat hat G und H1 ergänzend als sachverständige Zeugen befragt. G hat unter dem 28.01.2021 mitgeteilt, dass der Gesundheitszustand des Klägers im Wesentlichen unverändert sei. H1 hat unter Vorlage der Patientenkartei und Arztbriefen am 04.08.2021 berichtet, dass eine signifikante Veränderung im Verlauf der Behandlung des Klägers nicht eingetreten sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, in der Sache jedoch ohne Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Bescheid der Beklagten vom 16.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.02.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer vollen oder teilweisen Rente wegen Erwerbsminderung.

Nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.04.2007 (BGBl. I, 554) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) oder Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeinen Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3).

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer - unabhängig von der Arbeitsmarktlage - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Hieraus ergibt sich, dass grundsätzlich allein eine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit in zeitlicher (quantitativer) Hinsicht eine Rente wegen Erwerbsminderung zu begründen vermag, hingegen der Umstand, dass bestimmte inhaltliche Anforderungen an eine Erwerbstätigkeit aufgrund der gesundheitlichen Situation nicht mehr verrichtet werden können, einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung grundsätzlich nicht zu begründen vermag.

In Anlegung dieser Maßstäbe ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger in der Lage ist, einer leichten Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich und mehr nachgehen zu können. Die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen bedingen keine quantitative Leistungsreduzierung. Der Senat sieht von einer weiteren eingehenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG). Der Vortrag des Klägers und die Beweiserhebung im Berufungsverfahren führen zu keinem anderen Ergebnis.

Der Kläger leidet an einer leichten depressiven Störung, einem Zustand nach Alkoholabusus ohne derzeit erkennbare Suchtproblematik, einem mäßigen Lumbalsyndrom mit leichter Wurzelreizung S1 bei bekanntem Bandscheibenvorfall L5/S1, einer Minderbelastbarkeit der Kniegelenke bei Arthrosen, einer Minderbelastbarkeit des rechten Beines bei peripherer arterieller Verschlusserkrankung der Beckenarterie mit Stent-Versorgung 2014 und 2017, Asthma bronchiale, beginnender Arthrose des rechten oberen Sprunggelenks, einem Zustand nach operiertem Hodenkrebs inklusive Bestrahlungen im Jahr 2007, einer Leberwerterhöhung, Nikotinabusus sowie einem Supraspinatussyndrom links.

Die festgestellten Gesundheitsstörungen schränken das berufliche Leistungsvermögen des Klägers in qualitativer, nicht jedoch in quantitativer Hinsicht ein. Schwere körperliche Arbeiten, Arbeiten mit Heben und Tragen oder Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel oberhalb von 30-40 kg, Arbeiten mit sehr häufigem Bücken, Arbeiten mit Nachtschichten, Arbeiten unter ungünstigen Witterungseinflüssen sowie Arbeiten mit deutlich überdurchschnittlicher geistiger Beanspruchung sind dem Kläger nicht mehr zumutbar. Bei Beachtung dieser Einschränkungen kann er aber noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich erwerbstätig sein. Dies entnimmt der Senat dem schlüssigen und nachvollziehbaren Sachverständigengutachten von L und dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten der V, das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet.

Auf nervenfachärztlichem Fachgebiet konnte der Sachverständige L eine mittelgradige oder gar schwere Depression ausschließen. Er stellte zwar Schlafstörungen und eine Grübelneigung, aber nur eine leichte Antriebsminderung und leichte Einengung der affektiven Schwingungsbreite beim Kläger fest. Der Kläger schilderte einen gut strukturierten Tagesablauf ohne Anzeichen eines wesentlichen sozialen Rückzugs. Kognitive Störungen zeigten sich nicht. Schlüssig und nachvollziehbar gelangt L vor diesem Hintergrund zu der Einschätzung, dass der Kläger noch zumindest leichte Tätigkeiten täglich sechs Stunden und mehr verrichten kann. Die von G vertretene Leistungseinschätzung ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. Aus ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 18.06.2019 ergeben sich keine Befunde, die eine quantitative Leistungseinschränkung rechtfertigen können. In dem im Berufungsverfahren vorgelegten Befundbericht vom 27.06.2018 wird zwar eine mittelgradige depressive Episode und Abhängigkeitssyndrome durch Alkohol und den Gebrauch von Tabak genannt. Allerdings ist nur eine leichtgradige Symptomatik dokumentiert, wie N in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 04.03.2021 ausführt. Zudem fällt auf, dass der Kläger – wie auch schon L feststellte – keinerlei antidepressive Medikation erhielt. Aus der ergänzenden Aussage von G im Berufungsverfahren ergibt sich zudem, dass der Kläger seither nur äußerst selten Behandlungstermine bei G wahrnahm und keine medikamentöse Therapie erhielt, was beides für einen geringen Leidensdruck seitens der Gesundheitsstörungen auf nervenfachärztlichem Gebiet spricht.

Die Gesundheitsstörungen auf orthopädischem und internistischem Fachgebiet haben ebenfalls lediglich qualitative Leistungseinschränkungen zur Folge. Aus den Gutachten und den sachverständigen Zeugenaussagen von H1 ergeben sich keine derart gravierenden Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet, dass unter Beachtung der oben genannten qualitativen Einschränkungen eine leichte Tätigkeit im Umfang von sechs Stunden und mehr arbeitstäglich nicht möglich wäre. Das Lumbalsyndrom bei bekanntem Bandscheibenvorfall L5/S1 hat keine relevanten neurologischen Defizite zur Folge. Dies entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten von L. Dies entspricht auch den Feststellungen des Gutachtens von Frau V im Verwaltungsverfahren. Sie konnte bei der körperlichen Untersuchung des Klägers auch keine wesentliche Funktionseinschränkung der Wirbelsäule feststellen. Von Seiten der Kniegelenke liegt zwar eine Minderbelastbarkeit bei radiologisch fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen vor, eine relevante Bewegungseinschränkung oder Gangstörung zeigte sich dagegen nicht. Relevante Bewegungseinschränkungen durch die beginnende Arthrose des rechten Sprunggelenks und dem Supraspinatussyndrom links werden von den Gutachtern und auch H1 nicht berichtet. Das Asthma bronchiale, die mit Stents versorgte arterielle Verschlusskrankheit der rechten Beckenarterie, der Zustand nach operiertem Hodenkrebs mit Bestrahlungen im Jahr 2007, die Leberwerterhöhung und der Nikotinabusus begründen ebenfalls keine rentenrelevante Leistungsminderung.

Der Senat sieht auch keine Notwendigkeit ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen, weil der Sachverhalt mit den Sachverständigengutachten von L und der V sowie den Arztauskünften hinreichend aufgeklärt ist. Eine relevante Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist seit diesen Gutachten nicht eingetreten. Seit der Begutachtung im April 2018 hat der Kläger seinen Orthopäden H1 lediglich viermal (drei Mal im Jahr 2019, einmal 2021) aufgesucht. H1 konnte eine wesentliche Befundänderung des Gesundheitszustandes des Versicherten nicht feststellen. Bei der Untersuchung im Mai 2021 zeigte sich eine freie Beweglichkeit der Wirbelsäule und der Hüftgelenke und keine Zeichen einer Nervenwurzelirritation oder -schädigung bei Druckschmerzangabe im Bereich der rechten mehr als der linken Leiste. Die Röntgenuntersuchung der Lendenwirbelsäule ergab degenerative Veränderungen sowie nebenbefundlich Verkalkungen der Bauchschlagader und eine Röntgenuntersuchung der Hüftgelenke ergab lediglich eine beginnende Arthrose der Hüftgelenke. Insgesamt ergeben sich – wie L1 vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten nachvollziehbar ausführt – aus diesen Befunden keine Gesundheitsstörungen, die eine überdauernde quantitative Leistungsminderung begründen könnten. Eine relevante Verschlechterung ist schließlich auch auf nervenfachärztlichem Gebiet seit der Begutachtung durch L nicht eingetreten. G bestätigte gegenüber dem Senat, dass der psychische Zustand des Klägers „im Wesentlichen unverändert" ist.

Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor.

Zwar wirkt, wie oben dargelegt, grundsätzlich nur eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht rentenbegründend, jedoch kann unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer spezifischen Leistungsbehinderung das Erfordernis resultieren, den Versicherten eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl. BSG, Urteile vom 24.02.1999 - B 5 RJ 30/98 R - und vom 11.03.1999 - B 13 71/97 R -, jew. in juris). Grundlage der Benennungspflicht bildet in diesen Fällen der Umstand, dass von vornherein ernste Zweifel an einer Einsetzbarkeit in einem Betrieb aufkommen. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ist in Betracht zu ziehen, wenn, neben einer qualitativen Leistungseinschränkung auf „leichte Tätigkeiten“, die Leistungsfähigkeit zusätzlich in erheblichem Umfang eingeschränkt ist (Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 1, § 43 SGB VI, Rn. 47). In diesem Sinne ist unter der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen eine Häufung von Leistungseinschränkungen zu verstehen, die insofern ungewöhnlich ist, als sie nicht regelmäßig bei einer Vielzahl von Personen bis zum Erreichen der Altersgrenze für die Regelaltersrente angetroffen wird.

Eine solche ergibt sich nicht unter dem Aspekt eines etwaig verschlossenen Arbeitsmarktes. Bei vollschichtiger Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es für eine Vollzeittätigkeit hinreichend Arbeitsplätze gibt. Mithin obliegt bei einer vollschichtigen Einsatzfähigkeit das Arbeitsplatzrisiko der Arbeitslosenversicherung bzw. dem Versicherten, nicht aber der Beklagten (vgl. insofern § 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI, der bestimmt, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist).

Ausnahmsweise kann jedoch der Arbeitsmarkt als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbleibende Erwerbsfähigkeit nur möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Der Arbeitsmarkt gilt in Ermangelung einer praktischen Einsatzfähigkeit nach der Rechtsprechung des BSG abschließend als verschlossen, wenn der Versicherte nicht unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen arbeiten kann, der Versicherte entsprechende Arbeitsplätze aus gesundheitlichen Gründen nicht aufsuchen kann, der Versicherte nur in Teilbereichen eines Tätigkeitsfeldes eingesetzt werden kann, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Schonarbeitsplätze nicht an Betriebsfremde vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die an Betriebsfremde nicht vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Aufstiegspositionen nicht an Betriebsfremde vergeben werden oder entsprechende Arbeitsplätze nur in ganz geringer Zahl vorkommen.

Keine der genannten Fallkonstellationen ist hier gegeben. Die qualitativen Leistungseinschränkungen des Klägers sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen.

Auch die Wegefähigkeit des Klägers ist zur Überzeugung des Senats nicht eingeschränkt. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG, Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 - GS 2/95 -, in juris). Diese Kriterien hat das BSG zum Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelt, wie ihn § 1247 Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) umschrieben hatten (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, in juris). Diese Maßstäbe gelten für den Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI) unverändert fort (vgl. BSG, Urteil vom 28.08.2002 - B 5 RJ 12/02 R -, in juris). Konkret gilt: Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z. B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, in juris). Dazu gehört z. B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (zur Wegefähigkeit vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 12.12.2011 - B 13 R 79/11 R -, in juris). Der Kläger ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Auch insoweit schließt sich der Senat dem Sachverständigengutachten von L und dem Gutachten der V an. Es liegt zwar eine Minderbelastbarkeit der Kniegelenke und des rechten Beines infolge einer arteriellen Verschlusskrankheit vor. Gegenüber der Gutachterin V gab der Kläger allerdings selbst an, eine bis eineinhalb Stunden am Stück laufen zu können. Darüber hinaus ist er im Besitz einer Fahrerlaubnis und verfügt über einen Pkw.

Aus der Anerkennung eines GdB folgt ebenfalls nicht, dass der Kläger erwerbsgemindert wäre. Zwischen der Schwerbehinderung nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) und der Erwerbsminderung nach dem SGB VI besteht keine Wechselwirkung, da die gesetzlichen Voraussetzungen unterschiedlich sind (BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 SB 5/01 B -, in juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 09.12.1987 - 5b BJ 156/87 -, in juris, Rn. 3). Für die Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI sind die Erwerbsmöglichkeiten des Betroffenen maßgeblich, während § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der seit 01.01.2018 geltenden Fassung des Art. 1 Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen [BTHG] vom 23.12.2016 [BGBL. I, S. 3234]) auf die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft abstellt (zuvor § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der bis zum 14.01.2015 geltenden Fassung und § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15.01.2015 geltenden Fassung, eingefügt durch Art. 1a Nr. 3 Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015 [BGBl. II, S. 15], die auf die abstrakten Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) verwiesen; vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 SB 5/01 B -, in juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 09.12.1987 - 5b BJ 156/87 -, in juris, Rn. 3).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
Saved