Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 23.06.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung der Kosten für die Versorgung mit einem Hörgerät rechts über den Festbetrag hinaus sowie die Versorgung mit einem Hörgerät links und einem Zweithörgerät rechts.
Die 1931 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin ist schwerbehindert (Grad der Behinderung 100). Bei ihr wurde ua das Merkzeichen „GI" (Gehörlos) festgestellt. Bei ihr bestehen Taubheit links und eine an Taubheit grenzende hochgradige Schwerhörigkeit rechts.
Mit Schreiben vom 24.02.2018 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und teilte mit, dass sie dringend ein neues, für sie geeignetes Hörgerät benötige. Das letzte Gerät sei eine absolute Katastrophe. Sie - die Klägerin - setze voraus, dass die Beklagte ihr nicht zumute, dass sie erst noch diverse sog Kassengeräte monatelang ausprobieren müsse. Weiter setze sie als selbstverständlich voraus, dass die Kosten der kompletten für sie geeigneten Hörversorgung von der Beklagten übernommen würden.
Mit Bescheid vom 28.03.2018 teilte die Beklagte mit, dass die Mehrkosten für Hörgeräte nicht übernommen werden dürften. Es seien keine audiologischen Besonderheiten erkennbar, die eine Hörgeräteversorgung mit Mehrkosten notwendig machten. Die Klägerin benötige grundsätzlich eine Hörhilfe. Die Beklagte habe mit den Hörgeräteakustikern einen Vertrag über die qualitätsgesicherte Versorgung mit Hörhilfen im Rahmen von Versorgungspauschalen geschlossen. Dieser basiere auf den gesetzlichen Festbeträgen und stelle eine wirtschaftliche Versorgung mit Hörgeräten sicher, die der Klägerin ein bestmögliches Sprachverstehen ermögliche. Daher könne sich die Beklagte iH des Vertragspreises von 843,51 € abzüglich 10,00 € gesetzliche Zuzahlung an den Kosten der Hörgeräteversorgung beteiligen. Dagegen hat die Klägerin mit Schreiben vom 04.04.2018 Widerspruch eingelegt. Sie gehöre zum Kreis der Hörgeschädigten, bei denen die Kosten nicht auf den Kassenzuschuss beschränkt werden dürften. Mit Schreiben vom 27.04.2018 teilte die Beklagte mit, dass sie sich iH des Vertragspreises von 1.053,50 € abzüglich 10,00 € gesetzlicher Zuzahlung an den Hörhilfen für an Taubheit grenzende Schwerhörige im Rahmen einer sog Versorgungspauschale beteilige. Vertragsakustiker seien vertraglich verpflichtet, Versicherten digitale Hörgeräte mit mindestens vier Kanälen, einer Rückkoppelungs- und Störschallunterdrückung, mindestens drei Hörprogrammen und einer Mehrmikrofontechnik anzubieten. Sie bat die Klägerin, sich mit einem Vertragsakustiker in Verbindung zu setzen. Entscheide sich die Klägerin aus persönlichen Gründen (zB Ästhetik oder Komfort) für ein Hörsystem mit Eigenanteil, trage sie die Mehrkosten allein. Auch die daraus entstehenden Folgekosten zahle der Versicherte selbst, wenn diese die Servicepauschale überstiegen.
Am 08.05.2018 zeigte die A GmbH K die Versorgung der Klägerin mit einem Hörgerät rechts nach WHO 4 an und bat um Genehmigung des beigefügten Kostenvoranschlages. In diesem war die Versorgung mit dem Hörgerät E 3 d 988 - DWH Aluminium rechts (zukünftig E; Hilfsmittelverzeichnis 13.20.10.0461; Hinter-dem-Ohr-Hörgerät, maximale Verstärkung bei 1,6 kHz 75 dB, maximaler Ausgangsschalldruckpegel 140 dB, programmierbare digitale Signalverarbeitung, 17 Kanäle, Störschallunterdrückung, Rückkopplungsunterdrückung, 4 Hörprogramme, 7 Hörsituationen im Mikrofonmodus, 3 sonstige Hörprogramme, Ausgangsschalldruckbegrenzung, omnidirektionale Charakteristik, fest einstellbare Richtcharakteristik und adaptive Richtcharakteristik, Frequenzmodifikation, Telefonspule, Audioeingang, DataLogging, manuelle Bedienelemente Lautstärke und Programmwechsel) nebst Otoplastik und Servicepauschale zu einem Gesamtpreis von 2.912,50 € vorgesehen.
Mit Bescheid vom 25.05.2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie sich an der Hörgeräteversorgung mit der Vergütungspauschale für das Hörgerät E iHv 830,00 €, zuzüglich des Ohrpassstückes iHv 33,50 € sowie der Servicepauschale für eine einohrige Versorgung iHv 180,00 € beteilige. Auch dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein (Schreiben vom 05.06.2018). Sie sei nicht verpflichtet, irgendwelche Folgekosten oder Reparaturkosten selbst zu zahlen und werde dies auch nicht tun. Weiterhin gelte der „Knebelvertrag“ nur für „normale Fälle“, nicht jedoch für Sonderfälle wie sie. Die Beklagte habe die vollen Kosten eines Geräts zuzüglich sämtlicher Reparaturkosten sowie Batterien zu übernehmen, falls durch preiswertere Geräte ein für sie optimales Hörvermögen nicht erreicht werden könne. Mit Schreiben vom 01.06.2018 übersandte die Klägerin ua Arztbriefe des H vom 30.05.2005 und des S vom 18.12.2006 sowie vom 28.06.2011. Am 19.06.2018 übersandte der Akustiker den Anpassungs- und Abschlussbericht vom 19.06.2018. Danach erfolgte bei der Klägerin mit dem Hörgerät E rechts die Hörgeräteversorgung bei an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit. Im Freiburger Sprachtest zum Hörgewinn bei der Hörgeräteversorgung ergab sich bei dem von der Klägerin gewählten Hörgerät sowie dem aufzahlungsfreien Hörgerät P - Silbergrau (Hilfsmittel-Positionsnummer 13.20.10.0313; ua Hinter-dem-Ohr-Hörgerät, 8-kanalig, Verstärkung 77 dB bei 1,6 kHz, digitale Signalverarbeitung, 2 Richtmikrofone, duales Mikrofonsystem mit Richtcharakteristik, Ausgangsschalldruckbegrenzung, digital programmierbar, automatische und manuelle Verstärkungsregelung, Klangblenden individuell einstellbar, Störschall unterdrückende Softwareauslegung, Rückkopplungsauslöschung, Telefonspule, Audioeingang, Fernbedienung, Wireless, AutoSense OS Essential, Ultra Zoom Essential, FlexVolume, DuoPhone, SoundRecover, auto Acclimatization, QuickSync, Tinnitus Balance noiser generator) jeweils ein Sprachverstehen im Freifeld bei Nutzschall 65 dB von 20 % sowie im Freifeld bei Nutzschall 65 dB und Störschall 60 dB von 0 %. In der Empfangsbestätigung vom 14.06.2018 gab die Klägerin an, dass sie mit der aufzahlungsfreien Versorgung bei störenden Umgebungsgeräuschen und in größeren Räumen und größeren Personengruppen kein bestmögliches Sprachverstehen erreicht habe. Deshalb habe sie sich für eine Versorgung mit Aufzahlung entschieden, mit der von ihr zu leistenden Aufzahlung sei sie nicht einverstanden.
Die Beklagte schaltete den Akustikspezialisten H1 ein, der unter dem 06.07.2018 dahingehend Stellung nahm, dass bei der Klägerin eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit (WHO 4) rechts sowie Taubheit links vorliege. Aufgrund der vorliegenden Hörkurve sei eine vierkanalige Signalverarbeitung mit Rückkopplungs- und Störgeräuschunterdrückung, Richtmikrofontechnik und einer Verstärkungsleistung von mindestens 75 dB empfehlenswert. Das eigenanteilsfreie P verfüge über eine 8-kanalige Signalverarbeitung, ausreichende Verstärkungsleistung, adaptive Rückkopplungs- und Störgeräuschunterdrückung, adaptive Richtmikrofontechnik und weitere Komfortmodi wie zB Ultra Zoom Essential (extreme Richtwirkung), SoundRecover (Frequenzverschiebung, hohe Töne werden in tiefere Bereiche verschoben), AutoSense US Programmautomatik, Quicknync (ein Gerät werde manuell geschaltet, das andere schalte per Funk um), optionale Funkanbindung herstellerspezifischen Zubehörs, Tinnitus-Balance-Noiser (Tinnitus-Soundgenerator). Das gewählte Hörgerät E verfüge über eine 17-kanalige Signalverarbeitung, ausreichende Verstärkungsleistung, Rückkopplungs- und Störgeräuschunterdrückung, adaptive Richtmikrofontechnik und weitere Komfortmodi wie zB Ear to Ear Kommunikation (Funkverbindung der Geräte, Hör- und Bedienkomfort), Smart Start (Einschaltverzögerung), Phone Now (Hörsysteme schalten automatisch in ein Telefonprogramm), Komfortphone (beidohriges Telefonieren), Synchronisation Lautstärke/Programm (ein Gerät werde manuell umgeschaltet, das andere schalte per Funk um), Soundshaper (Hörbereichserweiterung), Windguard (Windgeräuschunterdrückung), Expansion (Klangkomfort), Musikmodus, direkt Audiostreaming (von einem IPhone gesendete Audiosignale könnten direkt empfangen werden), optionale Funkanbindung von herstellerspezifischem Zubehör, Smart-App, Tinnitussoundgenerator. Auf Grund des starken Hörverlustes rechts und der Taubheit links sei kein Sprachverstehen im Störgeräusch mit den beiden erprobten Hörgeräten dokumentiert. Nach Auswertung der vergleichenden Anpassung könne eindeutig belegt werden, dass mit den eigenanteilsfreien Hörsystem P objektiv ein bestmögliches Sprachverstehen erzielt werde. Aus den Messwerten des Freiburger Sprachtests sei abzuleiten, dass die Signalverarbeitung für den objektiven Ausgleich, auch im Alltag, geeignet sei. Wenn die Signalverarbeitung nicht passen würde bzw nicht geeignet sei, spiegle sich das in den Messwerten wieder. Des Weiteren verfüge das gewählte E über zahlreiche Funktionen, die nur mit einer binaural identischen Hörgeräteversorgung zu nutzen seien, aber den Gerätepreis signifikant anhöben. Auf Grund von anderen Regelungszeiten und Komfortmodi in der Störgeräuschunterdrückung sei es nachvollziehbar, dass das E subjektiv angenehm erscheine. Jedoch seien dies Funktionen, die dem Komfort zuzuschreiben seien und nicht für einen objektiven Ausgleich erforderlich seien.
Ergänzend nahm die Klägerin (ua Schreiben vom 26.07.2018) dahingehend Stellung, dass sie keinen sog Eigenanteil bezahlen werde und das Gerät auch nicht zur Optimierung an den Akustiker zurückgeben werde, da sie dann Gefahr laufe, dass dieser das Hörgerät einbehalte. Das E sei sehr leicht und drücke nicht auf die Ohrmuschel. Es habe ihr bisher keine offenen Wunden, auch hinter dem Ohr, zugefügt. Dieses E sei seit Jahrzehnten überhaupt das erste Gerät, welches keine unerträglichen Schmerzen und Wunden verursache. Weiterhin legte die Klägerin einen Bericht des R vom 27.03.2017 vor (Diagnosen: Mittelohrentzündung links, trockene Nasenschleimhaut, Innenohrschwerhörigkeit beidseits, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beidseits). Mit Schreiben vom 25.08.2018 bekräftigte die Klägerin ihre Rechtsauffassung. Weiterhin machte sie geltend, dass ihr zwei Hörgeräte zustünden. Daher beantrage sie auch für das linke Ohr ein Hörgerät, da dieses durch verschiedene Operationen verstümmelt sei, stünde ihr eine Sonderanfertigung zu. Da ihr die Beklagte für das rechte Ohr kein Ersatzgerät genehmige, müsse sichergestellt sein, dass sie jederzeit auf ein Hörgerät zurückgreifen könne. Alternativ sei es auch möglich, sie durch die Kombination normales optimales Hochleistungsgerät und zweites auch gutes Gerät als Reparaturreserve optimal versorgt werde. Dann könne sie auf eine kostspielige Sonderanfertigung verzichten.
Die Beklagte schaltet daraufhin nochmals einen Akustikspezialisten ein. Dieser nahm unter dem 04.09.2018 dahingehend Stellung, dass laut Anpassungsbericht des Akustikers das linke Ohr taub sei. Daher komme eine Hörgeräteversorgung nicht mehr in Betracht. Auch die Möglichkeit einer CROS-Versorgung (Contralateral Routing of Signal <CROS>) scheide auf Grund der an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit und des hohen Diskriminationsverlustes des rechten Ohres aus.
Mit Schreiben vom 10.09.2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass eine Versorgung des linken Ohres mit einem Hörgerät sowie die Versorgung des rechten Ohres mit einem hochwertigen Ersatzgerät nicht in Betracht komme. Dagegen legte sie mit Schreiben vom 14.09.2018 sinngemäß Widerspruch ein und machte erneut geltend, dass ihr auch das zweite Hörgerät für das linke Ohr genehmigt werde müsse und sie ein Ersatzgerät erhalte. Wieso habe ein Gabelstaplerfahrer, welcher wohl keine hochintelligenten Gespräche führen müsse, einen Anspruch auf ein mehrere Tausend Euro teures Gerät und warum werde mit einem billigen, zur Erleichterung der Kommunikation völlig ungeeigneten Gerät einer schwerbehinderten, pflegebedürftigen und stark gehbehinderten alten Frau die Möglichkeit verwehrt, mit Gesprächen und Diskussionen am öffentlichen Leben teilzunehmen. Sie sei ihr ganzes Leben lang vorwiegend geistig tätig gewesen und auch jetzt nicht geistig, sondern nur körperlich behindert. Sie sei nicht „Lieschen Müller“ ohne Schulabschluss, Klofrau und Sozialhilfeempfängerin in der dritten Generation, sondern eine geistig fitte Person, welche ganz besonders auf gute Mittel zum Gedankenaustausch auf höherer Ebene angewiesen sei, um nicht zu verblöden und geistig auf das Niveau einer Klofrau abzusinken.
Ausweislich eines Aktenvermerks über ein Telefongespräch zwischen einem Mitarbeiter der Beklagten und dem Hörgeräteakustiker teilte letzterer mit, dass die Klägerin von dem eigenanteilsfreien Gerät eine Druckstelle gehabt habe. Diese sei leicht gerötet gewesen. Eine offene Wunde oder Ähnliches habe er nicht gesehen. Als Alternative hätte der Klägerin als eigenanteilsfreies Gerät noch das Hörgerät M angeboten werden können. Dieses habe den Hebel-Schalter für das Batteriefach aber auch oben auf dem Gerät. Ausweislich eines weiteren Aktenvermerks über ein Telefongespräch mit dem Hörgeräteakustiker vom 27.11.2018 wurde vereinbart, dass der Hörgeräteakustiker der Klägerin die Anpassung des eigenanteilsfreien Hörgerätes M sowie eine Auflageotoplastik anbiete. In einem weiteren Telefongespräch vom 22.11.2018 teilte der Akustiker mit, dass bei dem eigenanteilsfreien Gerät ein Hebel am Batteriefach genau wie bei dem vorhandenen hochwertigen Gerät aus 2011 vorhanden sei. Das gewünschte E habe für das Öffnen des Batteriefaches einen Wippschalter. Dieser sitze oben auf dem Gerät und komme daher mit der Ohrmuschel nicht in Berührung.
Der Hörgeräteakustiker bot der Klägerin mit Schreiben vom 28.11.2018 eine Ausbesserung an. Mit Schreiben vom 03.12.2018 teilte die Klägerin der Beklagten dazu mit, dass sie in der Vergangenheit bei verschiedenen Akustikern aufzahlungsfreie Hörgeräte getestet habe. Allein mit dem E habe sie bisher das für sich bestmögliche Sprachverständnis erreichen können. Aber auch da müsse sie zusätzlich von den Lippen ablesen. Sie müsse auf einen erwarteten positiven Bescheid im Sinne ihrer Anträge bestehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.02.2019 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 28.03.2018 zurück. Der von der Klägerin in Anspruch genommene Akustiker habe verschiedene Hörgeräte, ua auch das eigenanteilsfreie Hörgerät der Marke P getestet und angepasst. Die angebotene eigenanteilsfreie Hörgerätetechnik verfüge über die vom Gesetzgeber geforderten Mindestparameter wie Störgeräusche- und Rückkopplungsunterdrückung, Richtmikrofontechnik, Digitaltechnik sowie eine Achtkanaligkeit und ermögliche der Klägerin den objektiven Ausgleich der Schwerhörigkeit. Zudem verfüge das eigenanteilsfreie Hörgerät über eine Vielzahl von zusätzlichen Modulen. Wenn die Signalverarbeitung der eigenanteilsfreien Technik nicht passend bzw nicht geeignet sei, spiegele sich das in den Messwerten im Freiburger Sprachtest wieder. Auf Grund des starken Hörverlustes rechts und der Taubheit links sei kein Sprachverstehen im Störgeräusch mit den beiden erprobten Hörgeräten dokumentiert. Die in der vergleichenden Anpassung erzielten Messwerte im Freiburger Sprachtest hätten die gleichen Ergebnisse beim Sprachverstehen in Ruhe erbracht. Daraus ergebe sich deutlich, dass mit der eigenanteilsfreien Technik ein bestmögliches Sprachverstehen habe erreicht werden können. Die von der Klägerin gewählte höherpreisige Technik der Marke E, die neben den geforderten Mindestparametern über eine Vielzahl von zusätzlichen Modulen verfüge, die dem Komfort zuzuordnen seien, sei für den funktionellen Ausgleich ihres Hörverlustes nicht erforderlich und überschreite das Maß des Notwendigen. § 33 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) verpflichte nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen seien Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet sei. In diesem Fall hätten Versicherte die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen. Die vom Bundessozialgericht (BSG) in dem Urteil vom 17.12.2009 definierten Versorgungsziele seien bereits im April 2012 in den Hilfsmittelrichtlinien verankert worden. Die Ersatzkassen hätten darauf mit der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker neue Verträge mit diesen neuen Versorgungszielen für die Hörgeräteversorgung geschlossen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2019 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 10.09.2018 betreffend die Versorgung des linken Ohres mit einem Hörgerät zurück. Auf Grund der Taubheit des linken Ohres sei mit einer beidseitigen Versorgung weder ein besseres Sprachverstehen noch eine Verbesserung des räumlichen Hörens möglich. Die Auswirkungen der auditiven Kommunikationsbehinderung könnten nicht beseitigt oder gemildert werden. Auch die Möglichkeit einer Cros-Bicros-Versorgung scheide auf Grund der an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit und des hohen Diskriminationsverlustes des rechten Ohres aus. Die Kosten für ein Ersatzhörgerät für das rechte Ohr als Mehrfachausstattung könnten nicht übernommen werden.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 07.02.2019 hat die Klägerin am 25.02.2019 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben (S 8 KR 392/19). Gegen den Widerspruchsbescheid vom 04.06.2019 hat die Klägerin am 18.06.2019 eine weitere Klage erhoben (S 8 KR 1244/19). Das SG hat mit Beschluss vom 16.08.2019 die beiden Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen S 8 KR 392/19 fortgeführt. Die Klägerin hat zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Sie gehöre zu dem Kreis der von Jugend an Ertaubten und unterfalle damit einem „Sonderstatus“. Schon in der Vergangenheit hätten ihre Ärzte ein Ersatzgerät für das rechte Ohr und eine Sonderanfertigung von Hörstücken für beide Ohren für notwendig erachtet. Es sei nicht auszuschließen, dass bei den Messungen des Hörgeräteakustikers, wo angeblich das billige Gerät die gleichen Ergebnisse wie das teure Gerät gezeigt habe, die Messergebnisse durch den beidseitigen starken Tinnitus verfälscht worden seien. Sie sei seit über 60 Jahren Trägerin von Hörhilfen. Es müsse ihr zugestanden werden, dass sie als Betroffene besser als junge Akustiker und Akustikerinnen beurteilen könne, welche Hörhilfen bzw welche Hörgeräte für sie geeignet seien. Die Klägerin hat zwei Atteste des S vom 28.06.2011 und 12.07.2016 vorgelegt.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das SG hat die Verwaltungsakten des Landratsamts K beigezogen und Aktenauszüge zur SG-Akte genommen. Auf Anfrage des SG hat für den Herr H2 mit Schreiben vom 26.06.2019 mitgeteilt, dass die Klägerin am 09.05.2018 und am 29.05.2018 das P in der Anpassungskabine getestet und nach kurzer Zeit abgelehnt habe, da ihr der Klang missfallen habe trotz mehrmaligem Nachstellen. Nach der Freifeldmessung habe die Klägerin ein gleiches Sprachverstehen mit dem P und dem E erzielt. Durch die bessere Signalverarbeitung des E sei das Hörgerät eine bessere Unterstützung für die Bewältigung des Alltages. Situationen wie Gespräche beim Arzt, mit dem Verkäufer und dem Kassierer beim Einkaufen, Unterhaltung mit mehreren Personen, in denen auch Nebengeräusche vorhanden seien, würden besser verarbeitet und wahrgenommen.
Weiter hat die Klägerin ausgeführt, dass das Kassengerät P über keine nennenswerte Windgeräusche-Unterdrückung verfüge. Sie habe bei einer anderen Akustikerfirma ein zuzahlungspflichtiges besseres Gerät aus der P-Reihe ausführlich getestet, das die meisten der für sie unverzichtbaren Leistungen nicht gebracht habe. Sie sei zum Zwecke des Testens bei Regenwetter und mittelstarkem Wind unterwegs gewesen. Eine Verständigung mit dem Begleiter sei nicht möglich gewesen. Im Gegensatz zu dem Kassengerät P lasse das E noch viele weitere Möglichkeiten zu, welche ihr das Leben erleichtern könnten. Ein Musikmodus sei kein Hörkomfort. Eine bessere bzw Klangqualität sei kein Komfort, sondern eine Selbstverständlichkeit. Bis jetzt könne sie auch mit dem E nur Programme mit Untertiteln ansehen.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens nach Aktenlage. Der M1, vereidigter Sachverständiger für das Hörgeräteakustikerhandwerk, hat in seinem Gutachten vom 22.01.2020 ausgeführt, dass das angepasste Hörsystem E ein Hinter-dem-Ohr-Hörgerät sei, die Ankopplung an das Ohr mittels einer individuell angepassten Otoplastik erfolge. Die Preisklasse des streitgegenständlichen Hörgeräts sei der High-End-Versorgung zuzuordnen. Vergleichend sei das Hörgerät P vom Hersteller P angepasst worden, das auszahlungsfrei erhältlich sei. Messtechnisch seien die beiden Hörgeräte mit dem normierten und validierten Freiburger Sprachtest in Ruhe und im Störschall getestet und verglichen worden. Der Hörgeräteakustiker habe ein monaurales Sprachverstehen rechts bei 75 dB in Ruhe ohne Hörgeräte von 0 % und im Störschall ohne Hörgerät ebenfalls von 0 % Sprachverständlichkeit ermittelt. Bei den unterschiedlichen Hörgeräten habe die Klägerin in derselben Messsituation (Sprachverstehen rechts in Ruhe gemessen mit 65 dB im Freifeld) jeweils 20 % Sprachverständlichkeit erzielt. Die Ergebnisse der Messung zur Sprachverständlichkeit im Störgeräusch mit den unterschiedlichen Vergleichsgeräten hätte 0 % Sprachverständlichkeit ergeben. Bei beiden Geräten liege die Hörverbesserung in Ruhe bei 20 %. Laut der durchgeführten Tonaudiometrie leide die Klägerin an einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit auf dem rechten Ohr und an einer kompletten Ertaubung (Surditas) der linken Seite. Die Ertaubung der linken Seite sei ebenfalls vom S am 12.07.2016 attestiert worden. Die Auswahl der Hörgeräte durch den Hörgeräteakustiker sei schlüssig und passe auch zu dem Hörverlust der Klägerin, eine Testung eines aufzahlungsfreien Gerätes sei erfolgt. Die Preisklasse des streitgegenständlichen Hörgerätes sei in der obersten Preisklasse angesiedelt. Das vergleichend angepasste aufzahlungsfreie Hörgerät P sei in der Art der akustischen Ankopplung gleich wie das streitgegenständliche Hörgerät. Zum Ausgleich der Hörminderung sei das von der Klägerin getragene Hörgerät E nicht erforderlich. In Bezug auf den Ausgleich der Hörminderung bedinge das Hörgerät E im Vergleich zu dem anderen Hörgerät P keine deutliche und wesentliche Verbesserung. Ein Gebrauchsvorteil könne wenn überhaupt in der Trageeigenschaft des Hörgeräts am Ohr der Klägerin erkannt werden.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23.06.2020 abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.04.2018, der den Bescheid vom 28.03.2018 nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ersetzt habe, in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2019 sei rechtmäßig. Die Klägerin habe gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung der vollen Kosten, dh über den bewilligten Festbetrag hinaus, für das Hörgerät E. Das von der Klägerin gewählte Hörgerät übersteige die Grenzen des Wirtschaftlichkeitsgebots, weil auch mit anderen von Hörgeräteakustikern eigenanteilsfrei bereitgestellten Hörgeräten eine vergleichsweise ähnlich gute Hörverbesserung zu erzielen gewesen wäre. Dies ergebe sich aus dem vom Hörgeräteakustiker durchgeführten vergleichenden Freiburger Sprachtest mit dem digitalen Hörgeräten P, die eigenanteilsfrei abgegeben würden. Soweit die Klägerin durch Scharfkantigkeit verursachte Ohrwunden bei den früheren bzw eigenanteilsfreien Geräten verweise, sei nicht erkennbar, dass dem nicht durch das von der Beklagten empfohlene und vom Hörgeräteakustiker vorgehaltene eigenanteilsfreie digitale Hörgerät M, welches den Hebel für das Batteriefach ebenfalls wie das gewählte E oben habe, Rechnung getragen werden könne. Die Klägerin habe insoweit keine substantiierten Einwände erhoben, sondern vielmehr einfach eine probeweise Anpassung durch den Hörgeräteakustiker trotz Aufforderung verweigert. Die verweigerte Mitwirkung gehe zu ihren Lasten. Die Klägerin habe ggf auch eventuelle Mehrkosten für das gewählte Hörgerät E zu tragen. Die von der Klägerin erhobene Klage, gerichtet auf Übernahme der gesamten über den Festbetrag hinausgehenden Kosten auch für in Zukunft notwendige Hörhilfen und Reparaturen und Sonderanfertigungen und Ohrpassstücke, sei bereits unzulässig, da die angefochtenen Bescheide bzw Widerspruchsbescheide insofern keine anfechtbare Entscheidung enthielten. Sollte die Klage der Klägerin als vorbeugende Klage auf Feststellung einer künftigen Leistungspflicht zu verstehen sein, sei diese unzulässig. Es fehle an einem Feststellungsinteresse. Vielmehr sei es der Klägerin zumutbar, den Eintritt des Rechtsverhältnisses abzuwarten, dh die Kostenübernahme von zukünftig etwaig erforderlichen Reparaturen, Hörhilfen und Ohrpassstücken zu beantragen, wenn die Notwendigkeit für derartige Leistungen tatsächlich bestehe. Die Klage, gerichtet auf eine Versorgung mit einer Hörhilfe links, sei ebenfalls erfolglos. Der Antrag sei nicht bestimmt. Es sei unklar, welche Hörhilfe die Klägerin konkret begehre. Eine konkrete Hilfsmittelverordnung sei der Klägerin für das linke Ohr nicht ausgestellt bzw nicht vorgelegt worden. Hinzu komme, dass der behandelnde S bereits 2016 eine Taubheit links bescheinigt habe. Wegen der Taubheit komme eine Hörgeräteversorgung für das linke Ohr nicht mehr in Betracht. Schließlich habe die Klägerin auch keinen Anspruch auf Ersatzversorgung mit dem Hörgerät rechts. Eine Zweitversorgung mit einem weiteren Hörgerät rechts sei nicht erforderlich und stehe mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 SGB V nicht in Einklang. Insbesondere sei die Notwendigkeit eines Zweithörgerätes aus hygienischen Gründen nicht nachvollziehbar. Das vorhandene Hörgerät könne jederzeit gereinigt werden. Dies könne typischerweise zuhause vom Hörgeräteträger selbst und regelmäßig vorgenommen werden. Dass die Klägerin in dieser relativ kurzen Reinigungsphase ein weiteres Hörgerät notwendigerweise benötige, überzeuge nicht. Gleiches gelte für das Vorhandensein eines Ersatzgerätes als Reparaturreserve. Der Hörgeräteakustiker sei zur turnusgemäßen Wartung und Überprüfung der Hörsysteme verpflichtet.
Gegen das ihr am 04.07.2020 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 30.07.2020 beim SG eingelegten Berufung, mit der sie ihre bisherigen Begehren weiterverfolgt. Die Klägerin wiederholt ihr bisheriges Vorbringen. Die beiden Geräte seien nicht in einer Kabine getestet worden, sondern in einem großen Raum, in dem sich mehrere Menschen aufgehalten und geredet hätten. Auch könnten die Tinnitusohrgeräusche die Ergebnisse erheblich beeinflusst haben. Die Auskünfte des Hörgeräteakustikers seien reine Schutzbehauptungen. Noch weitere Geräte bei diesem zu testen, sei ihr nicht zumutbar, auch nicht das als Alternative genannte M. Sie habe es vorgezogen, es bei anderen Akustikern zu versuchen. Trotz mehrfacher persönlicher Vorsprachen warte sie nach wie vor auf Benachrichtigungen zu einem Kassengerät. Das Gutachten des M1 sei völlig überflüssig. Zum Ersatzgerät habe sie sich ausführlich geäußert. Das SG unterstelle, dass sie praktisch so eine Art „Dreckschwein“ sei und keine Ahnung von Hygiene habe. Das jeweilige Hörgerät werde immer und jederzeit von ihr gereinigt und eine Reinigung allein reiche nicht. Das Gerät müsse auch austrocknen. Das dauere ziemlich lange. Das Ersatzgerät benötige sie auch bei Krankenhausaufenthalten, Auslandsaufenthalten etc. In diesen Situationen könne sie nicht mal eben schnell bei ihrem Akustiker vorbeischauen. Sie habe sich jetzt entschlossen, das Hörgerät E zu behalten und habe den Betrag iHv 1.832,39 € an den Hörgeräteakustiker „vorgeschossen“.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 23.06.2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 23.03.2018 in der Fassung des Bescheids vom 27.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2019 zu verurteilen, ihr 1.832,89 € zu erstatten, sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10.09.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2019 zu verurteilen, sie mit einer Hörhilfe links und einer Ersatzhörhilfe rechts zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist zur Begründung auf ihre Entscheidung sowie das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erteilt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG), hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG). Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Den Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits bildet der Bescheid vom 23.03.2018 in der Fassung des Bescheids vom 27.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2019 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte der Klägerin für die Versorgung des rechten Ohres mit dem Hörgerät E die Festbeträge iSd § 36 Abs 1 Satz 1 SGB V bewilligt und eine darüberhinausgehende Versorgung abgelehnt hat. Dagegen wendet sich die Klägerin statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG) und begehrt nunmehr die Kostenerstattung für die iHv 1.832,89 € selbst finanzierte Hörgeräteversorgung. Weiterer Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 10.09.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2019, mit dem die Beklagte eine Hörgeräteversorgung des linken Ohres und die Zweitversorgung des rechten Ohres mit einem (weiteren) Hörgerät abgelehnt hat.
Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte weder einen Erstattungsanspruch für das selbstbeschaffte Hörgerät E noch einen Sachleistungsanspruch auf Versorgung des linken Ohres mit einem Hörgerät und des rechten Ohres mit einem Zweithörgerät.
Als Anspruchsgrundlage für die Erstattung der angefallenen Kosten kommt § 13 Abs 3 SGB V in Betracht. Nach § 13 Abs 3 Satz 1, 2. Alt SGB V sind die Kosten in der entstandenen Höhe von der Krankenkasse zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1, 2. Alt SGB V reicht dabei nicht weiter als ein entsprechender primärer Sachleistungsanspruch; er setzt voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben. Ein Kostenerstattungsanspruch ist gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Sachleistungsleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen der Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbstbeschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, Rn 10 juris).
Rechtsgrundlage des Sachleistungsanspruchs ist § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte ua Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln wie Hörhilfen, die im Einzelfall erforderlich sind, um ua die hier allein in Betracht zu ziehende Behinderung nach § 33 Abs 1 Satz 1, 3. Alt SGB V und damit die beeinträchtigte Körperfunktion (hier: das eingeschränkte Hören) auszugleichen. Die Klägerin ist aufgrund ihrer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit (WHO 4) rechts auf eine Hörgeräteversorgung des rechten Ohres angewiesen. Dass sie zum Ausgleich ihrer Schwerhörigkeit einen Anspruch auf eine Versorgung mit einem Hörgerät für das rechte Ohr hat, die nach § 34 Abs 4 SGB V nicht aus der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind, wird von der Beklagten im Grundsatz auch nicht in Frage gestellt.
Ein Sachleistungsanspruch auf das begehrte Hörgerät E für das rechte Ohr besteht jedoch nicht, weil die Klägerin mit diesem Hörgerät eine Hilfsmittelversorgung gewählt hat, die über das Maß des Notwendigen hinausgeht. Die Beklagte hat ihre (originäre, dh krankenversicherungsrechtliche) Leistungspflicht mit der Bewilligung des Festbetrages für ein Hörgerät aus der Produktgruppe „Hörgeräte für Versicherte mit an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit“ erfüllt (§ 12 Abs 2 SGB V). Beim Einsatz von Hilfsmitteln des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V ist nach deren Funktionalität und schwerpunktmäßiger Zielrichtung bzw Zwecksetzung zu differenzieren (vgl nur BSG 15.03.2018, B 3 KR 18/17 R, BSGE 125, 189 = SozR 4-2500 § 13 Nr 41, Rn 23 ff). Ein Hilfsmittel dient als Leistung zur medizinischen Rehabilitation dem „Ausgleich einer Behinderung“, wenn es seinem Zweck entsprechend die Auswirkungen der Behinderung beseitigt oder mindert und damit der Befriedigung eines Grundbedürfnisses dient. Für den Versorgungsumfang, insbesondere Qualität, Quantität und Diversität, kommt es entscheidend auf den Umfang der mit dem begehrten Hilfsmittel zu erreichenden Gebrauchsvorteile im Hinblick auf das zu befriedigende Grundbedürfnis an, ohne dass hierfür maßgeblich die Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Behinderungsausgleich heranzuziehen wäre (BSG 07.05.2020, B 3 KR 7/19 R, juris Rn 27 mwN). Hörbehinderten Menschen ist im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen sind die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 36 Nr 2, SozR 4-2500 § 33 Nr 28, Rn 19 ff und 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R, SozR 4-3250 § 14 Nr 19, Rn 31). Der Anspruch auf eine Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V wird jedoch durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 SGB V begrenzt. Die Leistungen müssen danach „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein“ und dürfen „das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“; Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Demzufolge verpflichtet auch § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist; Mehrkosten sind andernfalls selbst zu tragen (§ 33 Abs 1 Satz 5 SGB V). Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine kostenaufwändige Versorgung dagegen dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet. Keine Leistungspflicht besteht dagegen für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Dasselbe gilt für lediglich ästhetische Vorteile. Desgleichen kann eine Leistungsbegrenzung zu erwägen sein, wenn die funktionalen Vorteile eines Hilfsmittels ausschließlich in bestimmten Lebensbereichen zum Tragen kommen. Weitere Grenzen der Leistungspflicht können schließlich berührt sein, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 36 Nr 2, SozR 4-2500 § 33 Nr 28, Rn 19 ff und 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R, SozR 4-3250 § 14 Nr 19, Rn 31).
Gemessen an diesen Maßstäben geht die Versorgung der Klägerin mit dem begehrten Hörgerät E über das Maß des Notwendigen hinaus.
Die Klägerin leidet unter einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit (WHO 4) rechts und hat daher einen Anspruch auf Versorgung des rechten Ohres mit einem Hörgerät. Dies wird von der Beklagte auch nicht bezweifelt. Dagegen scheidet eine Versorgung des linken Ohres mit einem Hörgerät aus, weil die Klägerin aus dem linken Ohr komplett ertaubt ist und die Versorgung mit einem Hörgerät nicht zu einem besseren Hören und Verstehen führt, mithin nicht erforderlich ist. Dass bei der Klägerin eine vollständige Taubheit links besteht, entnimmt der Senat insbesondere dem Befundbericht des behandelnden S vom 12.07.2016. Dieser stelle im Juli 2016 bei seiner audiologischen Untersuchung links eine Surditas (Taubheit) mit einem vollständigen Ausfall des Hör- und Sprachverständnisses fest. Eine konventionelle Hörgeräteversorgung des linken Ohres scheidet aus, weil dadurch keine Verbesserung des Hörvermögens erreicht werden kann. Darauf hat der Akustikspezialist der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 04.09.2018 zutreffend hingewiesen.
Um den Hörverlust des rechten Ohres auszugleichen, reicht das vom Akustiker angebotene Festbetragsgerät aus der Produktgruppe „Hörgeräte für Versicherte mit an Taubheit grenzende Scherhörigkeit“ aus. Der Klägerin erreichte mit dem zuzahlungsfreien Hörgerät ausweislich des Anpass- und Abschlussberichts des Hörgeräte-Akustikers im Freifeld mit 65 dB Nutzschall ein Sprachverstehen von 20 % und im Freifeld mit 65 dB Nutzschall und 60 dB Störschall ein Sprachverstehen von 0 %. Für das von ihr ausgewählte Hörgerät E, das gleichfalls zur Produktgruppe „Hörgeräte für Versicherte mit an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit“ gehört, ergab sich im Freifeld mit 65 dB Nutzschall ein Sprachverstehen von ebenfalls 20 % und im Freifeld mit 65 dB Nutzschall und 60 dB Störschall ein Sprachverstehen von 0 %. Das aufzahlungsfreie und das hochpreise Hörsystem haben also identische Ergebnisse im Sprachverstehen erbracht. Dies hat der Hörgeräteakustiker ausdrücklich bestätigt. Selbst ein Unterschied von 5%-Punkten bei Störschall wird nicht als wesentlich eingestuft, denn im Freiburger Sprachtest hat ein Wort bei der Austestung eine Wertigkeit von 5%. Ein Unterschied von 5% bzw einem Wort kann jedoch auch von Zufälligkeiten und der jeweiligen Tagesform abhängen (zB LSG Baden-Württemberg 30.11.2021, L 11 R 3540/20; LSG Baden-Württemberg 02.02.2021, L 11 KR 2192/19, Rn 29, juris). Dabei hat der Senat keine Zweifel, dass der Freiburger Sprachtest ein geeignetes Mittel ist, um die Güte eines Hörsystems bewerten zu können (zB zuletzt LSG Baden-Württemberg 30.11.2021, L 11 R 3540/20; ferner LSG Baden-Württemberg 22.01.2020, L 5 KR 241/18, Rn 42, juris; vgl auch LSG Berlin-Brandenburg 13.07.2017, L 9 KR 60/17 B ER, Rn 8, juris). Der Freiburger Sprachtest ist nach § 21 Abs 2 ff Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses ein normiertes Verfahren und ermöglicht einen objektiven Vergleich zwischen den getesteten Hörgeräten, und dies auch im Störschall (vgl § 21 Abs 3 sowie § 22 Abs 3 der Hilfsmittel-Richtlinie). Die Hilfsmittel-Richtlinie wurde mit Beschluss vom 24.11.2016 geändert, und es wurde eine Testung mit dem Freiburger Einsilbertest auch im Störgeräusch eingeführt. In den „Tragenden Gründen zum Beschluss“ (vgl https://www.g-ba.de/downloads/40-268-4059/2016-11-24_HilfsM-RL_Freiburger-Einsilbertest_TrG.pdf) wird ausgeführt, es handele sich bei dem Freiburger Einsilbertest um ein Testverfahren zur Überprüfung der Sprachverständlichkeit. Er stelle im deutschen Sprachraum die am häufigsten verwendete Hörprüfung mit Sprache dar. Da der Nachweis einer Gleichwertigkeit des Freiburger Einsilbertests im Störgeräusch mit den bisher beispielhaft aufgezählten Testverfahren nur anhand der vorhandenen Literatur nicht möglich gewesen sei, sei eine Expertenanhörung auf niedrigerer Evidenzstufe durchgeführt worden mit dem Ergebnis, dass der Freiburger Einsilbertest im Störgeräusch prinzipiell als geeignet angesehen werden könne (vgl Ziffer 2 Eckpunkte der Entscheidung, zu § 21 Abs 3 [neu]). Insofern mag es zwar verschiedene Verfahren auf dem Markt geben, um insbesondere im Störschall das Hörvermögen zu prüfen, doch folgt aus den zitierten „Tragenden Gründen“, dass bisher kein anderes Verfahren den Freiburger Sprachtest wegen besserer Qualität/Geeignetheit abgelöst hat. Vor diesem Hintergrund sieht auch der Senat keine Veranlassung, das Ergebnis des Freiburger Sprachtests im Falle der Klägerin in Zweifel zu ziehen und noch weitere Ermittlungen durchzuführen. Entgegen dem Vortrag der Klägerin ist das rein subjektive Hörverstehen nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Rein subjektive Schilderungen des Hörgeräteträgers sind durch die Krankenkassen und durch die Gerichte nicht überprüfbar und können deshalb nicht Grundlage für die Beurteilung sein, welches Hörgerät ausreicht, um die Behinderung auszugleichen (so auch LSG Mecklenburg-Vorpommern 19.08.2020, L 6 KR 36/16, Rn 48 ff, juris). Auch besteht die Gefahr, dass der subjektive Eindruck nicht unwesentlich durch Komfortausstattungen des teureren Gerätes beeinflusst wird, die nicht von der Krankenkasse zu tragen sind, aber subjektiv das Hörvermögen erleichtern (zB hier Ear to Ear Kommunikation <Funkverbindung der Geräte, Hör- und Bedienkomfort>, Smart Start <Einschaltverzögerung>, Phone Now <Hörsysteme schalten automatisch in ein Telefonprogramm>, Komfortphone <beidohriges Telefonieren>, Synchronisation Lautstärke/Programm <ein Gerät wird manuell umgeschaltet, das andere schaltet per Funk um>, Soundshaper <Hörbereichserweiterung>, Windguard <Windgeräuschunterdrückung>, Expansion <Klangkomfort>, Musikmodus, direkt Audiostreaming <von einem IPhone gesendete Audiosignale können direkt empfangen werden>, optionale Funkanbindung von herstellerspezifischem Zubehör, Smart-App, Tinnitussoundgenerator), wobei einige Zusatzfunktionen wegen der einohrigen Hörgerätversorgung der Klägerin ohnehin keinen Gebrauchsvorteil vermitteln. Es liegt auf der Hand, dass etliche dieser Komfortfunktionen, vor allem solche, die einer automatischen Anpassung dienen und kein manuelles Eingreifen des Hörgeräteträgers erfordern, subjektiv das Hören wesentlich erleichtern. Einen Vorteil im Hinblick auf das zu befriedigende Grundbedürfnis Hören bieten diese Komfortausstattungen indes nicht. Gerade weil sich die Klägerin schon frühzeitig auf das höherpreisige Hörgerät festgelegt hatte und nicht bereit war, ein auszahlungsfreies Hörgerät ggf mit Otoplastik beim von ihr selbst ausgewählten Hörgeräteakustiker auszuprobieren, war nicht zu erwarten, dass ein Hörsystem mit weniger Komfort als ernsthafte Alternative in Betracht gezogen wurde.
Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus dem Vorbringen der Klägerin, dass das Hörgerät E leicht sei, nicht auf die Ohrmuschel drücke und seit Jahrzehnten das erste Gerät sei, welches ihr keine unerträglichen Schmerzen und Wunden verursache. Insofern hat der Hörgeräteakustiker zwar bestätigt, dass die Klägerin von dem eigenanteilsfreien Hörgerät eine leicht gerötete Druckstelle gehabt habe, jedoch keine (offene) Wunde oder Ähnliches. Der Hörgeräteakustiker hat der Klägerin ausdrücklich eine Ausbesserung sowie ggf die Versorgung mit einem anderen eigenanteilsfreien Hörgerät, das das Batteriefach an einer anderen Stelle enthält, angeboten, was die Klägerin abgelehnt hat. Dass sie nach ihren Angaben in der Vergangenheit bei verschiedenen Akustikern aufzahlungsfreie Hörgeräte getestet habe, wiederlegt nicht, dass eine Versorgung mit den vom Akustiker angebotenen aufzahlungsfreien Hörgeräten - ggf unter Anpassung einer Otoplastik - möglich war.
Schließlich hat die Klägerin keinen Anspruch auf eine Zweitversorgung mit einem Hörgerät für das rechte Ohr. Eine Zweitversorgung mit einem Hilfsmittel, hier mit einem weiteren Hörgerät für das rechte Ohr, kommt zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse nur ausnahmsweise in besonders gelagerten Aufnahmefällen, zB wegen fehlender oder unzumutbarer Transportierbarkeit eines Hilfsmittels sowie aus sonstigen medizinischen oder technischen Gründen in Betracht (BSG 03.11.2011, B 3 KR 8/11 R, BSGE 109, 199; BSG 03.11.2011, B 3 KR 4/11 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 36; ferner § 6 Abs 8 Hilfsmittel-Richtlinie). Ein solcher Ausnahmefall ist nicht gegeben. Die Versorgung mit einem Ersatzhörgerät ist weder aus medizinischen, hygienischen noch aus sicherheitstechnischen Gründen erforderlich. Dabei ist zu beachten, dass der Versorgungsanspruch nach § 33 Abs 1 Satz 5 SGB V ua zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels auch ua die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln umfasst (vgl BSG 12.09.2012, B 3 KR 20/11 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 39) und über die Verträge der Beklagten mit den Leistungserbringern (hier den Hörgeräteakustikern) nach § 127 Abs 1 SGB V sichergestellt ist, dass diese auch die zusätzlichen Leistungen iSd § 33 Abs 1 Satz 5 SGB V erbringen. So sind die Hörgeräteakustiker als Leistungserbringer nach den entsprechenden Versorgungsverträgen verpflichtet, bei aufzahlungsfreien Hörgeräten ua eine turnusmäßige Anpassung und Wartung sowie erforderliche Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten für den Versicherten kostenfrei vorzunehmen und ihn ggf mit Ersatzotoplastiken zu versorgen. Ein darüberhinausgehender Bedarf ist nicht ersichtlich. Die regelmäßige Reinigung des Hörgerätes kann während der täglichen Ruhepausen bzw der Nachtruhe erfolgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, da ein Grund hierfür (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) nicht vorliegt.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 392/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2459/20
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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