L 19 R 331/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 R 1274/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 331/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

§ 14 Abs 1 S 4 SGB IX (a.F.) verbietet der Bundesagentur für Arbeit Feststellungen, ob die Voraussetzungen nach § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI vorliegen, weil im Gegensatz zur Klärung der Zuständigkeitsabgrenzung zum Träger der Rentenversicherung nach § 11 Abs 1 Nrn 1 und 2 und § 11 Abs 2a Nr 2 SGB VI diese Voraussetzungen nicht innerhalb kurzer Zeit zu klären sind, sondern einen erheblichen umfangreicheren Prüfungsaufwand erfordern würden.

 

I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 24.05.2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten der Verfahren beider Instanzen.

III. Die Revision wird zugelassen.

IV. Der Streitwert beider Instanzen wird auf jeweils 57.001,29 € festgesetzt.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der aufgewandten Kosten für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eingangsbereich und Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen - WfbM - für die Versicherte C, geb. 1981, in Höhe von 57.001,29 € hat.

Die 1981 geborene Versicherte C hatte 1997 einen Schulabschluss einer Förderschule erlangt und anschließend von September 1998 bis Januar 2002 eine Berufsausbildung als Fachverkäuferin im Lebensmittelhandwerk (Bäckerei) absolviert. Anschließend wechselten sich Zeiten der Arbeitslosigkeit und Zeiten einer Berufspraxis als Montiererin, Altenpflegerin, Helferin im Gartenbau, Helferin für Holz und Flechtwaren, sowie zuletzt als Helferin in einer Reinigung beim Kreiskrankenhaus N ab. Seit 01.10.2012 war die Versicherte bei der Klägerin als Hausfrau vermerkt und nicht arbeitssuchend.

In der Zeit vom 14.07. bis 02.09.2014 befand sich die Versicherte in stationärer Behandlung in der Psychiatrie N, zunächst mit Verdacht auf eine Panikstörung, dann jedoch mit den Diagnosen einer akuten wahnhaften Störung, einer paranoiden Schizophrenie sowie einer leichten Intelligenzminderung. Anschließend war die Versicherte dauerhaft in ambulanter Behandlung bei der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) der Kreiskliniken E. Laut Behandlungsbericht von W vom 13.07.2015 stand die Versicherte in Behandlung mit Psychopharmaka, wodurch ein psychischer Zustand ohne psychotisches Erleben habe erreicht werden können. Es fänden sich aktuell kein Stimmenhören und keine Beziehungsideen mehr. Auffallend sei jedoch weiterhin eine starke Affektverflachung bis hin zu Affektstarrheit. Sie wirke weiterhin verlangsamt und müde. Zur Förderung der eigenen Stabilität und Etablierung einer Tagesstruktur besuche die Versicherte nun fünfmal pro Woche die Arbeitstherapie und komme dort sehr gut zurecht. Über die Arbeit in der "ArBeg" (Arbeits- und Begegnungsstätten gemeinnützige GmbH, W) bekomme sie auch notwendige Sozialkontakte, die sie außerhalb der Arbeit im Privaten kaum habe. Dadurch könne die Versicherte lernen, in Alltagssituationen Menschen besser einzuschätzen und deren Handeln besser zu verstehen. Der Kontakt zu ihrem (6 Monate vor dem stationären Aufenthalt geborenen) Kind werde besser, eine eigenständige Versorgung des Kindes erscheine aber immer noch nicht möglich.

Am 15.09.2015 ließ sich die Versicherte bei der Klägerin wieder als "Kundin" registrieren. Am 06.10.2015 wurde für die Agentur für Arbeit Göppingen ein Gutachten nach Aktenlage vom Arzt/von der Ärztin I. M erstellt, wonach die Versicherte wegen chronischer, seelischer Minderbelastbarkeit, mehrschichtig, mit Verflachung des Affektes und Verlangsamung Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes weniger als 3 Stunden täglich voraussichtlich für mehr als 6 Monate, aber nicht auf Dauer verrichten könne. Die Versicherte befinde sich in regelmäßiger Behandlung und besuche aktuell 5 x pro Woche die Arbeitstherapie in der "ArBeg" von 8 bis 12 Uhr. Die Arbeit dort trage wesentlich zur Stabilisierung bei. Ein weiterer wichtiger Aspekt sei die Förderung der Tagesstruktur sowie die Knüpfung von Sozialkontakten. Es werde eine Eingliederung in eine WfbM empfohlen. Gemeinschaftsfähigkeit könne der Probandin attestiert werden.

Am 19.10.2015 wurde sodann zwischen der Agentur für Arbeit Göppingen und der Versicherten eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen mit dem Ziel der "Aufnahme" der Versicherten in die "ArBeg". An Aktivitäten der Versicherten zur Eingliederung in Arbeit waren genannt: "Mitteilung sämtlicher Änderungen" sowie "Teilnahme Werkstatt".

Am 30.10.2015 beantragte die Versicherte bei der Klägerin die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Auf Anfrage der Klägerin teilte die Beklagte am 05.11.2015 mit, dass bei der Versicherten nur 176 Kalendermonate mit Versicherungszeiten vorlägen. Die Versicherte habe in den letzten 6 Monaten kein Heilverfahren gemacht und beziehe auch keine Rente. Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Rehaträgers sah die Klägerin ebenfalls nicht. Daraufhin teilte die Klägerin der Versicherten mit Schreiben vom 05.11.2015 mit, dass sie der zuständige Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX - (in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung - a.F. -) sei. Mit Schreiben vom 06.11.2015 teilte die Klägerin der Versicherten mit, dass nach ihren Feststellungen deren Aussichten am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben wegen Art und Schwere ihrer Behinderung nicht nur vorübergehend gemindert sei und sie deshalb Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 19 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III - benötige. Über die Leistungen, die in ihrem Einzelfall zum Tragen kämen, werde sie gesondert informiert. Mit Schreiben vom 16.11.2015 meldete die Klägerin die Versicherte bei der ArBeg gGMBH W für das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich ab dem 16.11.2015 bis 15.02.2018 (als Pendler) an.

Mit Schreiben ebenfalls vom 16.11.2015 bat die Klägerin die Beklagte um Prüfung, ob bei der Versicherten die Voraussetzungen nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - gegeben sein könnten. Da im Rahmen der Zuständigkeitsklärung durch die Bundesagentur für Arbeit keine Feststellungen gemäß § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI zu treffen seien, werde sie den vorliegenden Antrag der Versicherten in eigener Zuständigkeit bearbeiten. Gemäß § 14 Abs. 4 S. 2 SGB IX (a.F.) leite sie eine Kopie des Antrags auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an die Beklagte weiter, damit diese feststellen könne, ob die Voraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI vorlägen. Gegebenenfalls werde die Klägerin einen Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX (a.F.) geltend machen.

Nachdem die Klägerin ihre medizinischen Befundunterlagen an die Beklagte gesandt hatte, stellte die Beklagte nach Prüfung dieser Unterlagen durch den Beratenden Arzt L am 15.01.2016 fest, dass die Versicherte nur noch unter 3 Stunden sowohl in ihrer letzten Tätigkeit als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könne. Aufgrund ihrer chronischen Leiden sei eine Besserung nicht zu erwarten. Der Versicherten sei volle Erwerbsminderungsrente auf unbestimmte Zeit unter Annahme eines Leistungsfalls am 14.07.2014 zu gewähren. Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 18.02.2016 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gegenüber der Versicherten ab, da nicht zu erwarten sei, dass ihre Erwerbsfähigkeit dadurch wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden könne. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass der Reha-Antrag nach § 116 Abs. 2 SGB VI als Antrag auf Rente gelte. Die Versicherte solle unter Vorlage dieses Bescheids bald möglichst einen formularmäßigen Rentenantrag stellen.

Mit Schreiben vom 14.06.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Prüfung nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI ergeben habe, dass dem Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht habe entsprochen werden können, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt seien. Im vorliegenden Fall seien Maßnahmen in einer WfbM angezeigt. Es sei somit nicht zu erwarten, dass eine Verbesserung der Erwerbsprognose durch diese Leistungen eintrete. Vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass der Antrag gemäß § 116 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI umgedeutet worden sei. Ein Rentenbescheid sei bisher nicht erteilt worden. Auch wenn der Antrag rückwirkend bewilligt werde, heiße das nicht, dass die Beklagte zuständig werde, da die Versicherte zum Zeitpunkt der LTA-Antragstellung "13.10.2015" (gemeint wohl 30.10.2015) kein Rentenbezieher gewesen sei. Der vermeintliche Erstattungsanspruch gemäß § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX werde zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 11.07.2016 meldete die Klägerin bei der Beklagten für die an die Versicherte erbrachten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben einen Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX dem Grunde nach an. Sie habe "unter Berücksichtigung des § 14 Abs. 2 SGB IX" Leistungen an die Versicherte erbracht.

Mit Schreiben vom 21.09.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie den Erstattungsanspruch der Klägerin dem Grunde nach anerkenne und die Klägerin zu gegebener Zeit über die Rentenhöhe informieren werde. Allerdings liege der Formantrag noch immer nicht vor, so dass mit einer längeren Bearbeitungsdauer zu rechnen sei. Mit Schreiben vom 27.10.2016 wies die Beklagte dann aber den Erstattungsanspruch erneut zurück, da der Rehaantrag nach § 116 Abs. 2 SGB VI in einen Rentenantrag umzudeuten und der Versicherten volle Erwerbsminderungsrente auf Dauer zu gewähren gewesen sei. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI seien durch das Vorliegen von Erwerbsminderung auf Dauer und den Aufenthalt in einer WfbM nicht erfüllt.

Mit Schreiben vom 08.11.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie der Versicherten mit Bescheid vom 08.11.2016 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer unter Annahme eines Leistungsfalles am 14.07.2014 bewilligt habe. Die laufende Zahlung (monatlich 696,50 €) beginne mit dem 01.01.2017, Datum der Rentenantragstellung sei der 30.10.2015. Für die Zeit vom 01.10.2015 bis 31.12.2016 betrage die Nachzahlung insgesamt 9.496,88 €. Die Klägerin möge ihren Erstattungsanspruch innerhalb von 3 Wochen bekanntgeben.

Am 29.12.2016 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben, mit dem Ziel, die Beklagte zu verurteilen, den Erstattungsanspruch für die Zeit vom 16.11.2015 bis 15.11."2015" (gemeint wohl 2016) in Höhe von insgesamt 24.866,32 € zu erfüllen sowie einen Erstattungsanspruch für die Zeit vom 16.11.2016 bis voraussichtlich 15.02.2018 dem Grunde nach anzuerkennen. Die Beklagte sei zuständiger Leistungsträger. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Reha-Antrag der Versicherten vom 30.10.2015 habe die Klägerin davon ausgehen müssen, dass sie zunächst zuständiger Rehaträger sei. Jedoch regle § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI, dass Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an Versicherte (durch die Rentenversicherung) auch erbracht würden, wenn ohne diese Leistungen Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu leisten wäre. Durch die nachträgliche Rentengewährung seien nach Ansicht der Klägerin die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI erfüllt (unter Bezugnahme auf Urteile des SG Nürnberg vom 27.05.2009 - S 18 R 5528 -, vom 20.08.2013 - S 14 R 1433/11 und vom 23.07.2015 - S 12 R 783/14 -, die rechtskräftig geworden sind sowie auf Verfahren, bei denen die Beklagte ein Anerkenntnis abgegeben hatte).

Die Beklagte wies mit Schriftsatz vom 30.05.2017 darauf hin, dass bei den von der Klägerin zitierten Urteilen das SG bislang darauf hingewiesen hätte, dass über die Erfolgsaussichten einer Rehamaßnahme im Zeitpunkt der Antragstellung zu entscheiden sei. Hier müsse eine Besserung der Erwerbsfähigkeit und eine Überleitung auf den ersten Arbeitsmarkt durch die Leistungen zur Teilhabe nicht unwahrscheinlich sein. Dies hätten dort jeweils der ärztliche Dienst von Klägerin und Beklagter als möglich angesehen. Dies sei aber vorliegend nicht der Fall. Bei der Versicherten liege volle Erwerbsminderung auf Dauer vor, die durch die Maßnahmen im Eingangs- und im Berufsbildungsbereich einer WfbM nicht beseitigt werden könne.

Die Klägerin erwiderte mit Schriftsatz vom 03.07.2017, dass das Leistungsvermögen der Versicherten im Zeitpunkt der Antragstellung nach dem Gutachten der Klägerin vom 06.10.2015 zwar auf weniger als 3 Stunden täglich gemindert gewesen sei, jedoch nicht auf Dauer. Zudem hätten die Voraussetzungen für eine Eingliederung der Versicherten in eine WfbM nach § 136 SGB IX (a.F.) vorgelegen. Dies setze letztendlich voraus, dass zumindest ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Leistung erbracht werden könne und damit prognostisch nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne, dass (wieder) eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden könne.

Mit Schriftsatz vom 28.03.2018 teilte die Klägerin mit, dass die Versicherte das 3monatige Eingangsverfahren sowie den 2jährigen Berufsbildungsbereich vom 16.11.2015 bis 15.02.2018 abgeschlossen habe und in den Arbeitsbereich der WfbM in W übernommen worden sei. Die Klägerin habe für diesen Zeitraum insgesamt 56.308,36 € aufgewandt, und zwar an den Maßnahmeträger (TTA-W) 21.752,55 €, Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung in Höhe von 8.244,99 €, Ausbildungsgeld in Höhe von 1.200,00 € sowie Fahrtkosten in Höhe von 937,50 €. Mit Schreiben der Klägerin vom 12.04.2018 wurde die Forderungshöhe für die in der Zeit vom 16.11.2015 bis 15.02.2018 erbrachten Leistungen auf insgesamt 57.001,29 € korrigiert.

Nach Durchführung eines Erörterungstermins am 15.05.2018, in dem die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid erklärt hatten, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 24.05.2018 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 57.001,29 € zu zahlen sowie die Kosten des Verfahrens zu tragen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass die Klägerin vorbehaltlich einer Zuständigkeit der Beklagten gemäß § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI ihre Zuständigkeit angenommen und vorläufig Leistungen zur Teilhabe an die Versicherte erbracht habe. Den vorläufigen Charakter der Leistungsgewährung habe die Klägerin auch dadurch deutlich gemacht, dass sie die Beklagte am 16.11.2015 gebeten hätte, zu überprüfen, ob deren Zuständigkeit nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI gegeben sei und habe zugleich auch die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs angekündigt. Die Vorläufigkeit ergebe sich auch aus der Vorschrift des § 14 SGB IX (a.F.), da die Klägerin als erstangegangener Leistungsträger eben gerade nicht eine Feststellung nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI treffen könne. Die Beklagte sei der zuständige Leistungsträger gewesen. Unstreitig hätten bei der Versicherten die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 SGB VI nicht vorgelegen, weil die Versicherte weder die erforderliche Wartezeit von 15 Jahren erfüllt gehabt hätte noch eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung bezogen habe. Jedoch hätten die Voraussetzungen nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI vorgelegen, wobei hierfür auf den Zeitpunkt der Antragstellung auf Leistungen zur Teilhabe abzustellen sei. Am 30.10.2015 habe der Versicherten nach den medizinischen Feststellungen der Klägerin bereits unmittelbar eine Erwerbsminderung und damit eine Berentung gedroht. Nach der Prognose zu diesem Zeitpunkt sei jedoch eine Besserung nicht völlig unwahrscheinlich gewesen. Denn der Arzt M habe in seinem Gutachten vom 06.10.2015 eine Werkstattfähigkeit bestätigt. Er habe jedoch die Erwerbsminderung nicht auf Dauer gesehen. Zwar habe die Beklagte durch L am 15.01.2016 eine volle Erwerbsminderung der Versicherten auf Dauer festgestellt, entscheidend sei aber der Zeitpunkt der Antragstellung. Wenn die Beklagte später zu dem Schluss komme, dass eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auch rückwirkend zu leisten sei, könne dies nicht zu Lasten einer Prognoseentscheidung zum Zeitpunkt der Antragstellung gehen (unter Bezugnahme auf das Urteil des SG Nürnberg vom 27.05.2009 - S 18 R 4428/06). Bei der Versicherten sei durch den Arzt M die Frage, ob sie wieder auf den ersten Arbeitsmarkt zurückkehren könnte, positiv beurteilt worden, da er die Leistungsminderung zwar über 6 Monate gesehen habe, aber nicht auf Dauer. Im Rahmen einer systematischen Auslegung des § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI ergebe sich auch nicht, dass eine Zuständigkeit der Beklagten nicht gegeben wäre, wenn ein Versicherter Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Maßnahme in einer WfbM erhalte. § 11 Abs. 2a SGB VI sei in das Gesetz eingefügt worden, um Lücken bei der Zuständigkeit der Beklagten zu schließen. Wenn die Beklagte Leistungen zur Teilhabe an Rentenbezieher erbringen müsse, müsse sie erst recht den von einer Erwerbsminderung bedrohten Versicherten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben anbieten. Eine Erfolgsverpflichtung sei dem § 11 Abs. 2a SGB VI nicht zu entnehmen. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass die Tatsache, dass ein behinderter Mensch in einer WfbM tätig sei, nicht den Schluss rechtfertige, dass auch (auf Dauer) verminderte Erwerbsfähigkeit vorliege. Leistungen im Eingangs- und Berufsbildungsbereich gehörten gerade zum Leistungskatalog der Beklagten, § 16 SGB VI iVm § 40 SGB IX (a.F.).

Hiergegen hat die Beklagte am 08.06.2018 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung darauf hingewiesen, dass nach der Interpretation des § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI durch das SG allein die Prognoseentscheidung des ärztlichen Dienstes der Klägerin maßgebend wäre. Damit würde letztlich immer der ärztliche Gutachter der Klägerin die sozialmedizinische Einschätzung treffen. Die vorliegende Einschätzung durch den medizinischen Dienst der Beklagten habe das SG völlig außer Acht gelassen. Die Regelung des § 14 Abs. 4 S. 2 SGB IX (a.F.) würde dann nur noch bedeuten, dass der Rentenversicherungsträger die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente zu prüfen hätte. Dafür biete aber der Gesetzestext keine Anhaltspunkte. Der medizinische Dienst der Beklagten hätte im vorliegenden Fall erst im Januar 2016 die Feststellung treffen können, dass bereits seit Juli 2014 volle Erwerbsminderung auf Dauer bei der Versicherten vorgelegen habe, nachdem die Klägerin ihre medizinischen Unterlagen erst am 15.12.2015 übersandt gehabt habe und damit zu einem Zeitpunkt, als sich die Versicherte bereits in der Maßnahme befunden habe. Auch sei eine vorläufige Leistungserbringung durch die Klägerin nicht erkennbar gewesen. Sie sei der erstangegangene Leistungsträger gewesen. Verfehlt sei außerdem, dass das SG die Zuständigkeit der Beklagten auf der Grundlage des § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI bei Rehabilitanden in einer WfbM als erfüllt angesehen habe.

Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 24.05.2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 24.05.2018 zurückzuweisen.

Die Klägerin bezieht sich auf die ihrer Meinung nach zutreffenden Entscheidungsgründe im Gerichtsbescheid des SG vom 24.05.2018 und weist darauf hin, dass nur die ärztliche Stellungnahme von Herrn M vom 06.10.2015 die maßgebende Prognose für die weitere Erwerbsfähigkeit der Versicherten sein könne. Die spätere, abweichende Entscheidung des ärztlichen Dienstes der Beklagten von Januar 2016 habe die Prognoseentscheidung der Klägerin nicht zu korrigieren vermocht. Eine Werkstatt für Behinderte sei nach § 136 SGB IX (a.F.) darauf ausgerichtet, entweder eine Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu erreichen oder zumindest einen Versicherten soweit zu bringen, ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Arbeit im Arbeitsbereich erbringen zu können. Prognostisch sei es im Antragszeitpunkt nicht ausgeschlossen gewesen, dass die Versicherte auch wieder in den ersten Arbeitsmarkt zurückkehren könnte.

Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Reha-Akten von Klägerin und Beklagter sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Sie ist auch begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die erbrachten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für die Versicherte C im Eingangs- und Berufsbildungsbereich der WfbM W in der Zeit vom 16.11.2015 bis 15.02.2018.

1. Die Klägerin hat keinen Erstattungsanspruch gegen die Beklagte nach § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX (a.F.).

§ 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX a. F. lautet: Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Abs. 1 S. 2 bis 4 SGB IX festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften.

§ 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX (a.F.) sieht nach ständiger Rechtsprechung einen Erstattungsanspruch für den sogenannten zweitangegangenen Leistungsträger vor, an den ein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe von einem anderen Leistungsträger, bei dem der Antrag gestellt wurde, innerhalb der 2-Wochen-Frist nach § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX (a.F.) weitergeleitet wurde. Der zweitangegangene Leistungsträger hat dann die notwendigen Leistungen zur Teilhabe an den Antragsteller/Versicherten zu erbringen und zwar unter Anwendung sämtlicher denkbarer Leistungsgesetze nach dem Sozialgesetzbuch (SGB). War er für diese Leistungen aber nicht leistungszuständig, hat ihm der eigentlich zuständige Leistungsträger die Kosten der erbrachten Leistungen zu erstatten.

Die Klägerin hat aber nicht als zweitangegangener Leistungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht, weil der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe, den die Versicherte C am 30.10.2015 bei der Klägerin gestellt hatte, nicht innerhalb der 2-Wochen-Frist an sie weitergeleitet worden war. Antrag in diesem Sinne ist jede an den Leistungsträger gerichtete Willenserklärung, aus der sich ein Leistungsverlangen ergibt (BSG, Urteil vom 20.10.2014 - B 5 R 8/14 R -, juris; Götze in: Hauck/Noftz, SGB IX, Stand 08/2021, § 14 SGB IX, Rdnr. 13). Die Klägerin war erstangegangener Leistungsträger und hat in dieser Eigenschaft auch die von der Versicherten beantragten Leistungen erbracht.

Die Leistungserbringung erfolgte dabei auch nach einer internen Abklärung der Leistungszuständigkeit der Beklagten zur Frage, ob an diese der Antrag der Versicherten C hätte weitergeleitet werden können. Nach den in den Akten vorliegenden Unterlagen hatte die Beklagte unter dem 05.11.2015 mitgeteilt, dass die Versicherte C die notwendige Vorversicherungszeit nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI nicht erfüllt hatte (nur 176 Kalendermonate), dass sie auch nicht im laufenden Rentenbezug stand (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI) und dass die Beklagte zuvor keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation an die Versicherte erbracht hatte (§ 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI), was objektiv zutreffend war. Die Klägerin hatte deshalb der Versicherten mit Schreiben vom 05.11.2015 und 06.11.2015 bestätigt, dass sie der für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zuständige (erstangegangene) Leistungsträger ist, dass die notwendigen Leistungen im Eingangsbereich und im Berufsbildungsbereich der WfbM erbracht würden und dass es sich hierbei um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an behinderte Menschen im Sinne des § 19 SGB III iVm §§ 112 ff. SGB III handelt. Die Versicherte konnte nach diesen Leistungen auch in den Arbeitsbereich der WfbM überführt werden, eine Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt konnte nicht erfolgen.

§ 14 SGB IX (a.F.) bezweckt im Interesse des Antragstellers/Versicherten eine möglichst rasche Klärung der Zuständigkeit eines Leistungsträgers im gegliederten System der gesetzlichen Sozialversicherung bzw. allgemein nach dem SGB, um eine möglichst rasche Versorgung des Antragstellers mit den notwendigen medizinischen und/oder beruflichen Leistungen zur Teilhabe zu gewährleisten, ohne dass ein längerer Zuständigkeitsstreit der Leistungsträger untereinander abgewartet werden muss (Ulrich, in: juris-PK SGB IX, Stand 2018, § 14 SGB IX, Rdnr. 65). Wird ein Antrag nach § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX (a.F.) vom erstangegangenen Leistungsträger innerhalb von 2 Wochen weitergeleitet, muss der zweitangegangene Leistungsträger die Leistungen nach sämtlichen in Betracht kommenden Regelungen des SGB prüfen und erbringen, auch wenn er hierfür eigentlich nach den für ihn geltenden gesetzlichen Regelungen nicht leistungszuständig wäre. Als Ausgleich für die quasi infolge der Weiterleitung "aufgedrängten" Zuständigkeit (Joussen, in LPK SGB IX, 5. Aufl., 2019, § 15 Rdnr. 2) hat der eigentlich zuständige Träger die aufgewandten Kosten zu erstatten. Mangels Weiterleitung des Antrags im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX (a. F.) fehlt es an einer der Klägerin "aufgedrängten Zuständigkeit", die einen Erstattungsanspruch begründen könnte.

Ein Erstattungsanspruch ergibt sich jedoch auch nicht aus § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX (a.F.), soweit er auf die Regelung des § 14 Abs. 1 S. 2 bis 4 SGB IX (a.F.) Bezug nimmt. Nach § 14 Abs. 1 S. 4 SGB IX (a.F.) ist dann, wenn der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe bei der Bundesagentur für Arbeit - also vorliegend bei der Klägerin - gestellt wird, nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 SGB III - also ein Vorrang anderer Leistungen zu Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nach dem SGB III - gegeben wäre und es sind auch keine Feststellungen nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI zu treffen. Nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Leistungszuständigkeit der Beklagten auch dann gegeben, wenn ohne die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu leisten wäre. § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI soll bewirken, dass neben Beziehern einer Rente wegen Erwerbsminderung, die bereits nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erfüllen, auch Versicherte Leistungen zur Teilhabe beanspruchen können, die - ohne eine solche Rente zu beziehen - Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente haben könnten. Es muss also, soweit die gesundheitlichen und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt wären oder als erfüllt gelten würden, eine solche Berentung unmittelbar drohen, wobei wohl von einem Zeitraum von bis zu 12 Monaten auszugehen wäre (Kater, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Mai 2021, § 11 SGB VI, Rdnr. 21 m.w.N.).

§ 14 Abs. 1 S 4 SGB IX (a.F.) "verbietet" der Bundesagentur für Arbeit - vorliegend der Klägerin - Feststellungen, ob die Voraussetzungen nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI vorliegen, weil - im Gegensatz zur Klärung der Zuständigkeitsabgrenzung zur Beklagten nach § 11 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 und § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI diese Voraussetzungen nicht innerhalb kurzer Zeit zu klären sind, sondern einen erheblichen umfangreicheren Prüfungsaufwand erfordern würden. § 14 Abs. 1 S. 4 SGB IX (a.F.) bezweckt damit die Beschleunigung der Zuständigkeitsklärung und die möglichst rasche Leistungserbringung an den Antragsteller. Es muss also nicht zuerst durch die Rentenversicherungsträger festgestellt werden, ob ohne die beantragten Leistungen Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu leisten wäre. Diese Feststellungen sollen erst in einem Verfahren nach Abs. 4 getroffen werden, allerdings bereits während der nach § 14 Abs. 1 S. 4 SGB IX (a.F.) einzuleitenden Leistungen. Dabei sollen nur solche Anträge von der Bundesagentur für Arbeit an die Rentenversicherung weitergeleitet werden, bei denen sie konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass der Träger der Rentenversicherung zur Leistung einer Rente unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage verpflichtet sein könnte. Dadurch "soll der Verwaltungsaufwand bei der Rentenversicherung auf ein Minimum beschränkt" werden (Joussen, LPK SGB IX, 4. Aufl., 2014, § 14 SGB IX Rdnr. 24; derselbe, in LPK SGB IX, 5. Aufl., 2019, § 14 SGB IX, Rdnr.14; Oppermann, in: Hauck/Noftz, Stand August 2021, § 14 SGB IX, Rdnr. 18; BT-Drucks. 14/5074 S. 102 f. zu § 14 SGB IX (a.F.)). Dementsprechend ordnet § 14 Abs. 4 S. 2 SGB IX (a.F.) an, dass die Bun-desagentur für die Klärung nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI Anträge auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nur weiterleitet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass der Träger der Rentenversicherung zur Leistung einer Rente unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage verpflichtet sein könnte.

Im Ergebnis bedeutet dies ebenfalls eine Art "aufgedrängter Zuständigkeit" für die Bundesagentur für Arbeit, also für die Klägerin, infolge der gesetzlichen Regelung zur raschen Zuständigkeitsklärung nach § 14 Abs. 1 S. 4 SGB IX (a.F.). Unter Berücksichtigung der Zielsetzung der raschen Zuständigkeitsklärung aufgrund des Regelungssystems des § 14 SGB IX (a.F.) und auch nach den §§ 14 bis 16 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sollen im Ergebnis keine dauerhaften materiell-rechtlichen Verschiebungen der Leistungszuständigkeit und der Kostentragungspflicht des eigentlich zuständigen Trägers stattfinden. Insoweit könnte ein Ausgleich der von der Klägerin getragenen Kosten durch die Beklagte durchaus denkbar sein.

Für die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eingangsbereich und im Berufsbildungsbereich einer WfbM ist nach § 42 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX (a.F.) die Bundesagentur zuständig, soweit nicht einer der in Nrn. 2 bis 4 genannten Träger zuständig ist. Nach § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX (a.F.) sind die Träger der Rentenversicherung unter den Voraussetzungen der §§ 11 bis 13 SGB VI zuständig. Wie oben bereits ausgeführt, lagen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 11 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGB VI bei der Versicherten C nicht vor, ebenso wenig die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI, da die Beklagte nicht zuvor Leistungen der medizinischen Rehabilitation erbracht hatte.

Eine Leistungszuständigkeit der Beklagten aus § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI ergab sich vorliegend aber ebenfalls nicht. Die Klägerin hatte entsprechend der gesetzlichen Regelung nach § 14 Abs. 1 S: 1 SGB IX (a.F.) unter Berücksichtigung des § 14 Abs. 1 S. 4 SGB IX (a.F.) als erstangegangener Leistungsträger Leistungen zur Teilhabe an die Versicherte ab dem 16.11.2015 erbracht und hat dann den Antrag der Versicherten an die Beklagte zur Prüfung weitergeleitet, ob eine Leistungszuständigkeit der Beklagten aus § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI bestehen könnte und hat insoweit "vorsorglich einen Erstattungsanspruch" angemeldet. Die Beklagte kam unter Prüfung der von der Klägerin übersandten medizinischen Unterlagen der Versicherten zu dem Ergebnis, dass die Versicherte aufgrund ihrer psychischen Erkrankung dauerhaft nicht mehr in der Lage sei, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Sie hat gegenüber der Versicherten Leistungen zur Teilhabe abgelehnt, weil eine Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit der Versicherten für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes durch Leistungen zur Teilhabe nicht zu erwarten war. Sie hat die Versicherte auf die Umdeutung des Reha-Antrages nach § 116 Abs. 2 SGB VI hingewiesen und sie aufgefordert, unverzüglich einen Formblattantrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente zu stellen. Die Beklagte hat der Versicherten mit Bescheid vom 08.11.2016 (nach verspätetem Antragseingang) rückwirkend ab dem 01.10.2015 unter Annahme eines Leistungsfalls der vollen Erwerbsminderung mit dem 14.07.2014 (Aufnahme in die stationäre psychiatrische Behandlung) Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zuerkannt. Bei dieser medizinischen Konstellation lagen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 11 Abs. 2a SGB VI nicht vor, weil durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben eine Wiedereingliederung der Versicherten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 26.02.2020 - B 5 R 1/19 R; Bayer. LSG, Urteil vom 26.09.2018 - L 19 R 444/16; juris) nicht zu erwarten war. Es blieb deshalb bei der Leistungszuständigkeit der Klägerin nach § 42 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX (a.F.) für die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit der Zielsetzung, die Versicherte in den Arbeitsbereich einer WfbM einzugliedern. Dieses Ziel konnte aufgrund der von der Klägerin in ihrer eigenen Zuständigkeit an die Versicherte erbrachten Leistungen auch erreicht werden.

2. Entgegen der Auffassung des SG hat die Klägerin die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht nur vorläufig erbracht. Gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I - kann ein Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen, deren Umfang er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt, wenn ein Anspruch auf Sozialleistungen besteht und zwischen mehreren Leistungsträgern streitig ist, wer zur Leistung verpflichtet ist. Er hat diese Leistungen gemäß § 43 Abs. 1 S. 2 SGB I zu erbringen, wenn der Berechtigte es beantragt. § 43 SGB I ist vorliegend nicht anwendbar, da die Versicherte keinen Rechtsanspruch im Sinne einer gebundenen Entscheidung nach § 38 SGB I hat. Zwar besteht ein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe dem Grunde nach im Hinblick auf das "Ob" der Leistung, die Ausgestaltung, also das "Wie" der Leistung, steht hingegen im pflichtgemäßen Ermessen des Leistungsträgers unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts des Versicherten (§ 13 Abs. 1 SGB VI). Zum anderen soll gerade mit der von § 14 SGB IX (a.F.) bezweckten raschen Zuständigkeitsklärung innerhalb von 2 Wochen ein länger andauernder Zuständigkeitskonflikt zwischen den Leistungsträgern zu Gunsten des Versicherten von vorneherein vermieden werden. Diese Regelung stellt deshalb für Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen eine abschließende Regelung dar, die den allgemeinen Regelungen zur vorläufigen Zuständigkeit oder Leistungserbringung im SGB I vorgeht (Schifferdecker, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand September 2020, § 43 SGB I, Rdnr. 7, unter Hinweis auf die Neuregelung in § 24 S. 3 SGB IX, der insoweit nur klarstellende Bedeutung zukommt).

Des Weiteren kann von einer vorläufigen Leistung im Rechtssinne auch nur dann ausgegangen werden, wenn dies dem Leistungsempfänger gegenüber auch eindeutig zum Ausdruck gebracht wird, in der Regel im Bescheid an den Leistungsempfänger und nicht bloß aufgrund des Umstandes, dass es gesetzliche Regelungen zum Ausgleich erbrachter Leistungen zwischen Leistungsträgern überhaupt gibt. Die Leistungserbringung an den behinderten Menschen, Antragsteller oder Versicherten erfolgt im Außenverhältnis zu Recht, von ihm können diese (rechtmäßig erbrachten) Leistungen nicht zurückgefordert werden.

3. Die Klägerin kann auch nicht aufgrund der allgemeinen Vorschriften der §§ 102 bis 105 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - von der Beklagten die Erstattung der aufgewandten Kosten verlangen. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 SGB IX (a.F.) geht den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach den §§ 102 ff. SGB X vor (BSG, Urteil vom 25.08.2011 - B 8 SO 7/10 R) und verdrängt diese auch (BSG, Urteil vom 03.11.2011 - B 3 KR 4/11 R). Aber auch unter dem Aspekt eines Ausgleichssystems, dem § 14 Abs. 4 SGB IX (a.F.) gegebenenfalls nicht ausreichend gerecht werden könnte, ergäbe sich aus den allgemeinen Regelungen der §§ 102 bis 105 SGB X kein Erstattungsanspruch der Klägerin. Die Klägerin hat weder aufgrund einer entsprechenden gesetzlichen Regelung eine Rechtspflicht zur vorläufigen Leistungserbringung, die sie nach außen erkennbar hätte machen müssen (Roos, in: Schütze, SGB X, 9. Aufl., 2020, § 102 SGB X, Rdnr. 6 m.w.N.), wahrgenommen im Sinne des § 102 SGB X, sie war gegenüber der Beklagten weder subsidiärer Leistungsträger nach § 104 SGB X noch war sie unzuständiger Leistungsträger von Anfang an oder unzuständig in Folge einer nachträglichen Änderung im Sinne der §§ 103 und 105 SGB X.

Nach alledem war deshalb auf die Berufung der Beklagten hin der Gerichtsbescheid des SG Nürnberg vom 24.05.2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

Die Streitwerte der Verfahren werden auf jeweils 57.001,29 € festgesetzt (§ 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz - GKG -).

 

Rechtskraft
Aus
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