1. Die bloße Bezeichnung als „vorläufige Entscheidung“ ohne weitere Erläuterung, insbesondere zur möglichen Erstattungsfolge, reicht in der Regel nicht aus, um einem Bewilligungsbescheid den Charakter einer endgültigen Regelung zu nehmen.
2. Geht die Behörde irrig davon aus, sie habe einen vorläufigen Verwaltungsakt nach § 41a SGB II erlassen, während es sich tatsächlich um einen endgültigen Verwaltungsakt handelte, darf später ein als abschließende Entscheidung nach § 41a Abs. 3 SGB II verlautbarter Bescheid mit Erstattungsforderung nicht in einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid nach §§ 45ff. SGB X umgedeutet werden, denn es fehlt an dem Willen der Behörde, die eingetretene Bindungswirkung zu beseitigen.
Auf die Berufung des Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom
10. August 2021 abgeändert und die Bescheide des Beklagten vom 2. und 6. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juli 2018 nur insoweit aufgehoben, wie die Leistungen für November 2017 bis Januar 2018 festgesetzt werden und der geltend gemachte Erstattungsanspruch den Betrag von 164,78 € übersteigt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die darüber hinaus gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die endgültige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Oktober 2017 - 31. März 2018 und den damit verbundenen Erstattungsanspruch i.H.v. 1.002,84 Euro.
Die 1957 geborene Klägerin bezog von dem Beklagten als Einzelperson Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zudem war sie beim K e.V. gegen Entgelt beschäftigt. Mit Weiterbewilligungsantrag vom 21. August 2017 beantragte die Klägerin beim Beklagten Leistungen über den September 2017 hinaus. Ihrem Antrag fügte sie die Lohnabrechnung für Juli 2017 des K e.V. H bei, aus dem sich ein Auszahlungsbetrag i.H.v. 778,14 Euro ergab.
Mit Bescheid vom 7. September 2017 bewilligte der Beklagte Leistungen für den Bewilligungszeitraum 1. Oktober 2017 - 31. März 2018. Der Bescheid ist überschrieben mit „Vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“. Der erste Satz lautet: „auf Ihren Antrag vom 24.08.2017 bewillige ich Ihnen für die Zeit vom 01.10.2017 bis 31.03.2018 folgende Leistungen vorläufig:
Monatlicher Gesamtbetrag für Oktober 2017 bis Januar 2018 in Höhe von 248,12 Euro
Monatlicher Gesamtbetrag für Februar 2018 bis März 2018 in Höhe von 99,86 Euro.“
Nach Angabe der Auszahlungsdaten wird ausgeführt: „Die Leistungen werden monatlich im Voraus gezahlt vorläufige Bewilligung“. Eine Begründung, weshalb nur vorläufig Leistungen bewilligt wurden, enthält der Bescheid nicht.
Nachdem sich das Einkommen der Klägerin zum 1. Februar 2018 änderte, erließ der Beklagte am 25. November 2017 einen Änderungsbescheid für Januar bis März 2018, in dem für Januar 2018 255,28 Euro und für Februar und März 2018 jeweils 107,02 Euro bewilligt wurden. Im Änderungsbescheid ist ausgeführt, dass die bisher in diesem Zusammenhang ergangenen Bescheide insoweit zum 1. Januar 2018 aufgehoben werden. „Die Leistungen werden weiterhin vorläufig bewilligt“. Eine Begründung für die Vorläufigkeit erfolgte auch hier nicht.
Nachdem die Klägerin ihre Einkommensbescheinigung vom 25. Januar 2018 vorgelegt hatte, erfolgte mit Änderungsbescheid vom 12. Februar 2018 eine Neuberechnung für die Monate Februar und März 2018, wofür jeweils 135,90 Euro bewilligt wurden. Dabei wurde für Februar 2018 eine weitere Zahlung von 28,88 Euro bewilligt, da der Betrag von 107,02 Euro bereits bewilligt und bezahlt gewesen ist. Der Bescheid verweist wiederum auf die Vorläufigkeit der Bewilligung. In diesem Bescheid wird ausgeführt, dass die Entscheidung über die vorläufige Bewilligung auf § 41a Abs. 1 SGB II beruht. Auf eine mögliche Erstattungspflicht wird hingewiesen. Eine weitere Begründung erfolgt nicht.
Mit ihrem Weiterbewilligungsantrag vom 15. Februar 2018 für den nächsten Bewilligungsabschnitt reichte die Klägerin auch ihren Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 17. Oktober 2017 ein, aus dem sich eine Erstattung i.H.v. 1.462,09 Euro ergibt. Der Beklagte berücksichtigte diese Steuererstattung und setzte mit Bewilligungsbescheid vom 6. März 2018 die Leistungen für Oktober 2017 bis März 2018 endgültig fest. Daraus ist ein Leistungsanspruch für Oktober 2017 i.H.v. 248,12 Euro, für November und Dezember 2017 i.H.v. 4,44 Euro, im Januar 2018 i.H.v. 11,60 Euro und kein Leistungsanspruch für Februar und März 2018 ersichtlich. Mit Bescheid vom 2. März 2018 setzte der Beklagte den sich daraus ergebenden Erstattungsanspruch i.H.v. 1.002,84 Euro fest.
Mit Schreiben vom 8. März 2018 hat die Klägerin gegen diese bei ihr am 8. März 2018 eingegangenen Bescheide Widerspruch eingelegt. Sie könne die Bescheide nicht nachvollziehen und halte eine Berücksichtigung der Steuerrückerstattung für ungerecht.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2018 zurück, in dem er nochmals die Berechnung aufschlüsselte und die Anrechnung der Steuererstattung erläuterte.
Dagegen hat die nunmehr anwaltlich vertretene Klägerin am 21. August 2018 Klage vor dem Sozialgericht Meiningen erhoben. Sie begründet ihre Klage damit, dass die ursprünglichen Bewilligungsbescheide vom 7. September 2017 in Gestalt der Änderungsbescheide keine Begründung der Vorläufigkeit enthielten. Es habe auch keinen Grund gegeben, die Bewilligungen vorläufig auszusprechen. Das Sozialgericht Meiningen ist dieser Ansicht im Urteil vom 10. August 2021 gefolgt und hat der Klage stattgegeben und den Erstattungsbescheid vom 2. März 2018 aufgehoben. Aufgrund der fehlenden Begründung seien die ursprünglichen Bewilligungsbescheide als endgültige Bewilligungen zu betrachten.
Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Er führt aus, dass der Verfügungssatz des Bescheides vom 7. September 2017 eindeutig auf eine vorläufige Leistungsbewilligung hinweise, das Fehlen der dahingehenden Begründung ändere den Charakter der vorläufigen Bewilligung nicht in eine endgültige Bewilligung.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 10. August 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf das erstinstanzliche Urteil.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen. Diese lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nur in geringem Umfang begründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens sind die Bescheide vom 6. März 2018, mit dem die Leistung der Klägerin in der Zeit vom Oktober 2017 bis März 2018 festgesetzt wurde, und der daraus resultierende (obwohl davor datierte) Erstattungsbescheid vom 2. März 2018 jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juli 2018. Die Klägerin wendet sich hier mit einem Anfechtungsbegehren gegen die geänderte Festsetzung ihrer Leistungsansprüche sowie den geltend gemachten Erstattungsanspruch in Höhe von 1.002, 84 €. Das erstinstanzliche Gericht hat zwar im Tenor seiner Entscheidung allein den Erstattungsbescheid vom 2. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2018 aufgehoben, doch ist der Bescheid vom 6. März 2018, mit dem die Leistungshöhe im Zeitraum Oktober 2017 bis März 2018 festgesetzt wurde, die Grundlage für diesen Erstattungsbescheid und damit auch Gegenstand dieses Verfahrens. Der Bescheid vom 6. März 2018 wurde von dem Beklagten mit demselben Widerspruchsbescheid bestätigt wie der Erstattungsbescheid vom 2. März 2018. Er wurde zudem auch ausdrücklich von der Klägerin mit der Klage angegriffen. Die Beteiligten teilen diese Sichtweise.
Der Beklagte war für die Monate Oktober 2017 bis Januar 2018 nicht und für Februar 2018 nur teilweise berechtigt, die Leistungen nach § 41a Abs. 3 SGB II abschließend festzustellen und nach Abs. 6 Satz 3 dieser Vorschrift die Erstattung einer Überzahlung für diesen Zeitraum zu verlangen.
Der Erstattungsanspruch nach § 41a Abs. 6 Satz 3 SGB II setzt voraus, dass eine vorläufige Leistungserbringung vorliegt, die zu einer Überzahlung gegenüber dem endgültig festgestellten Leistungsanspruch führt. Hier wurde die Leistung für die Monate November 2017 bis Januar und teilweise Februar 2018 entgegen der Annahme des Beklagten nicht vorläufig bewilligt. Denn die Vorläufigkeit war nicht im rechtlich erforderlichen Umfang erkennbar.
Ob eine Bewilligung vorläufig oder endgültig ist, richtet sich nach dem objektiven Empfängerhorizont eines verständigen, an Treu und Glauben orientierten, mit den Umständen des Falls vertrauten Begünstigten. Jedwede Unklarheit geht zu Lasten der Behörde (vgl. Hengelhaupt in Hauck/Noftz SGB II, § 41a Rz. 209 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall ist die Vorläufigkeit nicht eindeutig zu erkennen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn Anlass, Inhalt und Umfang der Vorläufigkeit hinreichend bestimmt erkennbar sind. Für den Empfänger muss ersichtlich sein, dass der Verwaltungsakt nur für eine Übergangszeit bis zur abschließenden Entscheidung Rechtswirkungen haben und keinen Vertrauensschutz aufbauen soll, dass die zuerkannten Leistungen nur vorläufig im Vorgriff auf die erst künftig ergehende abschließende Festsetzung gewährt werden und dass sie insoweit anzurechnen und gegebenenfalls zu erstatten sind. Der Leistungsempfänger muss in die Lage versetzt werden, in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob er die ihm in Aussicht gestellte Begünstigung einer vorläufigen Leistung überhaupt annehmen oder mit Blick auf mögliche Rückzahlungsverpflichtungen davon absehen will (Hengelhaupt in Hauck/Noftz SGB II, § 41a Rz. 205 m.w.N.). Der Bewilligungsbescheid vom 7. September 2017 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 25. November 2017 ist zwar mit „Vorläufige Bewilligung“ überschrieben, doch reicht allein diese Bezeichnung noch nicht aus, um einem objektiven Empfänger zu verdeutlichen, dass er bezüglich der gewährten Leistung keinen Vertrauensschutz genießt und gegebenenfalls Erstattungsforderungen ausgesetzt ist. Insbesondere das Risiko, möglicherweise Erstattungsforderungen ausgesetzt zu sein, ergibt sich aus den bewilligenden Bescheiden nicht.
Soweit der Beklagte wohl die Ansicht vertritt, dass eine Erläuterung des Begriffs „vorläufig“ nicht notwendig gewesen sei, weil die Klägerin bereits seit geraumer Zeit im Leistungsbezug stand und bereits vorläufige Bewilligungen erhalten hatte, überzeugt dies im konkreten Fall nicht. Zwar waren der Klägerin 2013 wegen eines seinerzeit bestehenden Honorarvertrages vorläufig Leistungen bewilligt worden, doch lagen diese Bewilligungen zum einen schon lange zurück und zum anderen hatte der Beklagte damals keinen Erstattungsanspruch geltend gemacht.
Die vom Beklagten vertretene Ansicht, dass eine fehlende Begründung der Vorläufigkeit in einem vorläufigen Bescheid allein die Vorläufigkeit nicht entfallen lässt, trifft zwar zu, doch geht diese Argumentation bei dem oben erörterten Zeitraum ins Leere. Denn nicht die fehlende Begründung lässt die Vorläufigkeit entfallen, sondern die Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung ist von vornherein durch deren fehlende Erkennbarkeit nicht gegeben.
Das Erstattungsverlangen kann auch nicht auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt werden. Eine Umdeutung des streitgegenständlichen Bescheids in einen Aufhebungsbescheid nach
§ 48 SGB X kann nicht erfolgen. Die Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsaktes kommt nur dann in Betracht, wenn der umgedeutete Verwaltungsakt auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für den Erlass erfüllt wären. Eine Umdeutung kann nicht erfolgen, wenn dies der erkennbaren Absicht der Behörde widerspräche (Fichte in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 43 SGB I, Rz 29). Der Beklagte hat hier eine Aufhebung der ursprünglich ergangenen Bewilligungsbescheide nicht für nötig gehalten, da er bis zum Berufungsverfahren davon ausgeht, dass eine endgültige Festsetzung ausreichend ist. Eine Umdeutung würde somit gerade dem Willen der Behörde widersprechen.
Für März und teilweise für Februar 2018 hingegen durfte der Beklagte die Leistungen nach § 41a Abs. 3 SGB II abschließend feststellen und nach Abs. 6 Satz 3 dieser Vorschrift, die Überzahlung in Höhe von 164,78 € verlangen. Im Änderungsbescheid vom 12. Februar 2018, mit dem die Leistungen für Februar (teilweise) und März 2018 neu vorläufig bewilligt wurden, wird die Klägerin auf eine mögliche endgültige Bewilligung und einen damit eventuell verbundenen Erstattungsanspruch hingewiesen. Insoweit konnte die Klägerin hier erkennen, dass die Bewilligung für Februar und März 2018 in Höhe von 164,78 € unter dem Vorbehalt einer endgültigen Festsetzung und möglichen Rückforderung stand.
Der Umstand, dass dem Bescheid vom 12. Februar 2018 entgegen § 41a Abs. 2 Satz 1 SGB II keine Begründung für die Vorläufigkeit angefügt war und auch nicht erkennbar ist, welcher Grund für die Vorläufigkeit vorgelegen haben soll, ändert nichts daran, dass diese Bewilligung als vorläufige Bewilligung erkennbar war. Zwar führen die fehlende Begründung und der wohl auch fehlende Grund zu einer Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 12. Februar 2018, doch hat die Klägerin sich nicht gegen die Vorläufigkeit gewandt. Der Änderungsbescheid vom 12. Februar 2018 ist somit auch und insbesondere hinsichtlich seiner Vorläufigkeit bestandskräftig geworden. Eine Änderung des Charakters erfolgt nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Im Hinblick auf den überwiegenden Erfolg der Klägerin erschien es dem Senat angemessen, dass der Beklagte sämtliche Verfahrenskosten trägt.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.