L 3 AS 50/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 117 AS 3604/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 AS 50/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AS 3/23 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

 

  1. Der Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II schließt unterschiedslos alle Ausländerinnen und Ausländer von Leistungen nach dem SGB II aus, unabhängig davon, ob es sich um Unionsbürger oder um Drittstaatsangehörige handelt.

 

  1. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II ist nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass Drittstaatsangehörige, die zu einem Familienangehörigen, der über eine unbefristete Niederlassungserlaubnis verfügt, nachziehen, vom dreimonatigen Leistungsausschluss ausgenommen sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Voraussetzungen zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug nach § 29 AufenthG  nicht vorgelegen haben und weder ein entsprechendes Visum noch ein entsprechender Aufenthaltstitel von der Ausländerbehörde tatsächlich erteilt wurden

 

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 09. Dezember 2019 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

 

Die Beteiligten haben für das gesamte Verfahren einander keine Kosten zu erstatten.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im Zeitraum vom 20. Oktober 2014 bis zum 21. Dezember 2014.

 

Die 1978 geborene Klägerin zu 1) ist die Mutter der im Jahre 2010 und 2012 geborenen Kläger zu 2) und zu 3). Des Weiteren ist sie Mutter eines 2015 geborenen Kindes. Die Kläger besitzen die tunesische Staatsangehörigkeit. Das 2015 geborene Kind besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Klägerin zu 1) ist mit dem Vater der drei Kinder verheiratet. Der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Kinder ist ebenfalls tunesischer Staatsangehöriger. Er war von 1996 bis 2004 mit einer Deutschen verheiratet. Ihm wurde am 02. August 1999 zunächst eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und am 07. Februar 2008 gemäß § 28 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erteilt. Er ging im streitgegenständlichen Zeitraum weder einer selbständigen noch einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nach. Der Beklagte gewährte dem Vater bzw. Ehemann der Kläger mit Bescheid vom 24. Oktober 2014 für die Zeit ab dem 01. November 2014 Leistungen nach dem SGB II.

 

Die Kläger reisten am 20. Oktober 2014 aus Tunesien mit einem Besuchsvisum nach Deutschland ein und zogen in die bereits vom Ehemann bzw. Vater der Kinder bewohnte Wohnung im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Bei der Wohnung handelte es sich im um eine Einzimmerwohnung mit ca. 41m² Wohnfläche. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin zu 1) schwanger. Der errechnete Entbindungstermin war der 16. Februar 2015. Am 30. Oktober 2014 beantragten die Kläger gemeinsam als Bedarfsgemeinschaft mit dem Vater bzw. Ehemann die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten. Dieser lehnte die Leistungsgewährung gegenüber den Klägern mit Bescheid vom 10. November 2014 ab. Zur Begründung führte er aus, die Kläger hätten für die ersten drei Monate ihres Aufenthaltes keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

 

Die Ausländerbehörde stellte am 22. Dezember 2014 eine bis zum 21. März 2015 geltende Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG für die Kläger aus. Mit seinem Bescheid vom 07. Januar 2015 änderte der Beklagte daraufhin die gegenüber dem Vater bzw. Ehemann ergangenen früheren Leistungsbewilligungen für den Zeitraum vom 01. Dezember 2014 bis zum 30. April 2015 ab und bewilligte gleichzeitig den Klägern erstmals Leistungen nach dem SGB II ab dem 22. Dezember 2014 bis zum 21. März 2015. Mit ihrem gegen den Änderungsbescheid gerichteten Widerspruch vom 12. Januar 2015 beantragten die Kläger zugleich die Überprüfung des Bescheides vom 10. November 2014. Der Änderungsbescheid sei rechtswidrig, soweit er ihnen nicht bereits ab dem 21. Oktober 2014 Leistungen gewähre. Der im Jahr 2007 eingeführte Leistungsausschluss treffe vor allem nachgezogene ausländische Ehepartner von Deutschen und Unionsbürgern, da in diesen Fällen für den Familiennachzug kein Nachweis der Lebensunterhaltssicherung nötig sei. In entsprechender Anwendung der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Januar 2013 (Az. B 4 AS 54/12 R) sei der Leistungsausschluss entfallen. Die Klägerin zu 1) sei im achten Monat schwanger.

 

Der Beklagte wies den Widerspruch der Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 03. Februar 2015 als unbegründet zurück. Die Entscheidungsgründe des angeführten Urteils des BSG würden den Familiennachzug zu deutschen Staatsangehörigen betreffen und seien nicht auf den vorliegenden Sachverhalt des Nachzugs zu einem Drittstaatsangehörigen übertragbar. Auch die Schwangerschaft der Klägerin zu 1) könne an dem Ausschlussgrund nichts ändern. Mit weiterem Bescheid vom 04. Februar 2015 lehnte der Beklagte die Überprüfung des Ablehnungsbescheides vom 10. November 2014 ab und wies mit Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2015 den hiergegen gerichteten Widerspruch als unbegründet zurück. Er führte aus, dass die Ablehnungsentscheidung vom 10. November 2014 nicht zu beanstanden sei.

 

Die Kläger haben am 20. Februar 2015 vor dem Sozialgericht Berlin (SG) gegen den Bescheid vom 07. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Februar 2015 Klage erhoben und eine Leistungsgewährung für den Zeitraum vom 01. Dezember 2014 bis zum 30. April 2015 in gesetzlicher Höhe begehrt (Aktenzeichen S 82 AS 3604/15, später S 172 AS 3604/15 ). Mit der weiteren am 16. März 2015 erhobenen Klage zum Aktenzeichen S 172 AS 5624/15 haben die Kläger sich gegen den Ablehnungsbescheid vom 10. November 2014 sowie den Überprüfungsbescheid vom 04. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2015 gewandt und begehrt, ihnen Leistungen für den Zeitraum vom 21. Oktober 2014 bis zum 30. November 2014 zu gewähren. Mit Beschluss vom 20. September 2016 hat das SG die Sachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und das Verfahren unter dem Aktenzeichen S 172 AS 3604/15 fortgeführt. Die Kläger haben vorgetragen, es sei kein Rechtsgrund erkennbar, aus dem zwischen dem Nachzug zu einem deutschen Ehepartner und dem Nachzug zu einem sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden ausländischen Ehepartner zu differenzieren sei.

 

Nachdem der Beklagte die Leistungsgewährung mit Bescheid vom 13. Mai 2015 noch einmal abgeändert und den Klägern Leistungen auch für den Zeitraum vom 22. März 2015 bis zum 30. April 2015 gewährt hatte, haben die Kläger noch beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 04. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2015 zu verurteilen, den Ablehnungsbescheid vom 10. November 2014 zurückzunehmen und ihnen für den Zeitraum vom 20. Oktober 2014 bis zum 21. Dezember 2014 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat auf seine Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und den Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II verwiesen.

 

Die Ausländerbehörde hat der Klägerin zu 1) am 06. Mai 2015 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG und den Klägern zu 2) und 3) eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 32 Abs. 4 AufenthG erteilt.

 

Mit Urteil vom 09. Dezember 2019 hat das SG der Klage stattgegeben. Es hat den Überprüfungsbescheid vom 04. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2015 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, den Klägern unter Rücknahme des Ablehnungsbescheides vom 10. November 2014 für den Zeitraum vom 20. Oktober 2014 bis zum 21. Dezember 2014 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Kläger erfüllten die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen nach § 7 SGB II. Der am 30. Oktober 2014 gestellte Antrag wirke auf den Monatsersten zurück. Die Kläger hätten auch keinem Leistungsausschluss unterlegen. Zwar seien nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund von § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts von Leistungen ausgeschlossen. Auch hätten sich die Kläger im hier streitgegenständlichen Zeitraum weniger als drei Monate im Bundesgebiet aufgehalten. Sie seien jedoch zum Zwecke des Familiennachzugs eingereist, hätten am 22. Dezember 2014 eine Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG sowie ab dem 06. Mai 2015 eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug erhalten und sich damit durchgängig rechtmäßig im Bundesgebiet zum Zwecke der Herstellung der ehelichen Gemeinschaft mit dem hier lebenden Ehemann, der im Besitz einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis gewesen sei, aufgehalten. In diesem Fall greife der Leistungsausschluss für die ersten drei Monate des Aufenthalts nicht ein. Zur Begründung dieser Auffassung hat das SG auf die Ausführungen des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg in dessen Urteil vom 24. Januar 2017 (Aktenzeichen L 9 AS 3548/16, juris) verwiesen und sich diesen angeschlossen. Danach sei die Bestimmung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II auch bei einem Nachzug einer Ausländerin, die von ihrem Recht auf Familiennachzug zu ihrem ausländischen, mit Daueraufenthaltsrecht im Bundesgebiet ausgestatteten Ehegatten Gebrauch mache, nicht anwendbar. Durch die Regelung hätten vor allem EU-Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die von dem voraussetzungslosen dreimonatigen Aufenthaltsrecht nach Art. 6 der Richtlinie 2004/38/EG bzw. § 2 Abs. 5 FreizügG/EU Gebrauch machten, im Rahmen des unionsrechtlich Zulässigen von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen werden sollen. Das BSG habe hiervon ausgehend bereits am 30. Januar 2013 (Aktenzeichen B 4 AS 37/12 R) entschieden, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II von vornherein den Zuzug ausländischer Ehegatten zu deutschen Staatsangehörigen nicht erfasse. Dass ein Familiennachzug zu einem daueraufenthaltsberechtigten Ehegatten einerseits aufenthaltsrechtlich gestattet, andererseits vom SGB II leistungsrechtlich sanktioniert werden solle, lasse sich weder dem Willen des Gesetzgebers entnehmen noch entspreche dies dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Mit Blick auf den gebotenen Schutz der Ehe (Art. 6 Grundgesetz – GG -) sei eine dahingehende einschränkende, den Ehegattennachzug ausnehmende Auslegung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II von Verfassungs wegen geboten. Das gefundene Ergebnis werde unterstrichen durch die Regelung der Rückausnahme des § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II und deren Auslegung durch die Rechtsprechung. Nach dem Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 26. Januar 2016 (L 11 AS 1076/14) unterfielen Familienangehörige eines Ausländers, welcher einen Aufenthaltstitel nach Abschnitt Fünf des Zweiten Kapitels des AufenthG besitze, nicht dem Leistungsausschluss, wenn sie auf der Grundlage eines zum Zwecke des Familiennachzugs erteilten Einreisevisums nach Deutschland eingereist seien und ihnen im Anschluss eine Fiktionsbescheinigung und ein Aufenthaltstitel erteilt würden. Gleiches müsse (erst recht) gelten, wenn ein Nachzug eines Familienangehörigen zu einem Ausländer erfolge, dessen Aufenthalt nicht nur – wie bei einem Aufenthalt gemäß Abschnitt Fünf des Zweiten Kapitels - aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen vorübergehend oder auf Dauer genehmigt werde, sondern der das höchste Maß aufenthaltsrechtlicher Verfestigung im Bundesgebiet in Form einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis erlangt habe. Es liege auch kein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vor, denn das Recht zum Aufenthalt der Klägerin ergebe sich im streitgegenständlichen Zeitraum nicht nur aus dem Recht zur Arbeitsuche, sondern aus dem Familiennachzug.

 

Der Beklagte hat gegen das ihm an 30. Dezember 2019 zugestellte Urteil am 13. Januar 2020 beim LSG Berlin-Brandenburg Berufung eingelegt. Er vertritt weiterhin die Auffassung, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II auf die Kläger anwendbar sei, sodass ein Leistungsausschluss für die ersten drei Monate seit der Einreise bestanden habe. Für den Familiennachzug der Kläger hätten im streitigen Zeitraum gemäß § 29 Abs. 2 AufenthG die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (gesicherter Lebensunterhalt) vorliegen müssen. Die Klägerin zu 1) habe daher am 06. Mai 2015 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG wegen der Personensorge für das am 09. Februar 2015 geborene Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit und nicht aufgrund des Zusammenlebens mit dem Ehemann bzw. Vater der Kläger erhalten. Darauf komme es jedoch nicht an, da der streitige Leistungsausschluss gerade einen erlaubten Aufenthalt voraussetze. Die in Satz 3 des § 7 Abs. 1 AufenthG vorgesehene Ausnahme zum Leistungsausschluss liege nicht vor. Die Argumentation, dass der Zuzug zu einem Ausländer dem zu einem deutschen Staatsangehörigen gleichzusetzen sei, überzeuge nicht. Dagegen spreche schon der Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, der ausdrücklich den Ausschluss von Ausländerinnen und Ausländer und deren Familienangehörigen vorsehe. Soweit das SG einen Verstoß gegen Art. 6 GG sehe, könne es nicht unter Abänderung oder Ignorieren des einfachen Gesetzes Leistungen zusprechen, sondern hätte die Frage dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Entscheidung vorlegen müssen. Schließlich liege auch kein Fall vor, in dem entsprechend dem Urteil des BSG vom 30. Januar 2013 (B 4 AS 54/12 R) wegen der Vorwirkung der Geburt des Kindes mit deutscher Staatsangehörigkeit am 09. Februar 2015 ein Leistungsanspruch bestehen könne. Damit habe das BSG die Vorwirkung eines materiellen Aufenthaltsrechtes konstruiert, hier gehe es jedoch um den Ausschluss von Leistungen trotz Bestehens eines Aufenthaltsrechts.

 

Der Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 09. Dezember 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Kläger beantragen,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verweisen auf die Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung.

 

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 01. März 2021 (Kläger) und vom 02. März 2021 (Beklagter) mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 153 Abs.1, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) einverstanden erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind, verwiesen.

 

 

 

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG entscheiden, nachdem sich alle Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

 

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingereichte Berufung des Beklagten erweist sich als zulässig und begründet. Das Urteil des SG Berlin vom 09. Dezember 2019 ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Gegenstand der Entscheidung des SG und damit Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein noch der Anspruch der Kläger auf Aufhebung des den Überprüfungsantrag ablehnenden Bescheides vom 04. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2015 und die Verpflichtung des Beklagten, den Ablehnungsbescheid vom 10. November 2014 aufzuheben und den Klägern für den Zeitraum vom 20. Oktober 2014 bis zum 21. Dezember 2014 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Für den Zeitraum ab dem 22. März 2015 bis zum 30. April 2015 wurde nach Bewilligung von Leistungen durch Bescheid vom 13. Mai 2015 das Klagebegehren durch die Kläger nicht weiterverfolgt.

 

Die so verstandene Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 i. V. m. § 56 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2022 – B 7/14 AS 75/20 R –, juris) und im Übrigen zulässig. Für die letztlich von den Klägern verfolgte Leistungsgewährung für den Zeitraum vom 20. Oktober 2014 bis zum 21. Dezember 2014 bedurfte es nicht zusätzlich der Anfechtung des ursprünglich mit der Klage S 82 AS 3604/15 angegriffenen Änderungsbescheides vom 07. Januar 2015, mit dem den Klägern Leistungen ab dem 22. Dezember 2014 gewährt worden waren. Der Bescheid vom 07. Januar 2015 trifft im Hinblick auf den in Rede stehenden Zeitraum keine Regelung und hat insoweit den Bescheid vom 10. November 2014 weder abgeändert noch ersetzt.

 

Die Klage erweist sich aber als unbegründet. Der auf den Überprüfungsantrag ergangene Bescheid vom 04. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2015 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Kläger nicht in eigenen Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 10. November 2014.

 

Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

 

Diese Voraussetzungen lagen nicht vor. Der Beklagte hat mit dem Erlass des Ablehnungsbescheides vom 10. November 2014 in Bezug auf den Zeitraum vom 20. Oktober 2014 bis zum 21. Dezember 2014 das Recht nicht unrichtig angewandt. Die Ablehnungsentscheidung erweist sich als rechtmäßig, denn die Kläger haben keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II in diesem Zeitraum.

 

Die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen nach §§ 7, 19 SGB II für die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes lagen vor. Die Kläger waren hilfebedürftig und hatten ihren Aufenthalt in Deutschland. Die Klägerin zu 1) war allerdings nicht erwerbsfähig. Im streitgegenständlichen Zeitraum hielt sie sich nur auf Grund des Besuchsvisums in Deutschland auf, das ebenso wie die Fiktionsbescheinigung vom 22. Dezember 2014 eine Erwerbstätigkeit nicht gestattete. Als Ehefrau eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigten hatte sie aber, ebenso wie die Kläger zu 2) und zu 3), gem. § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II grundsätzlich einen Anspruch auf Sozialgeld.

 

Die Kläger unterlagen jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung (a. F.). Danach sind Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des FreizügigG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts von den Leistungen ausgenommen. Der Wortlaut der Bestimmung schließt unterschiedslos alle Ausländerinnen und Ausländer von Leistungen nach dem SGB II aus, unabhängig davon, ob es sich um Unionsbürger oder um Drittstaatsangehörige handelt (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 37/12 R –, Rn. 21, juris).

 

Die Kläger sind als tunesische Staatsangehörige Ausländer und auch nicht freizügigkeitsberechtigt nach europarechtlichen Vorschriften. Sie waren selbst weder Arbeitnehmer noch Selbstständige und hielten sich auf Grund ihrer Einreise am 20. Oktober 2014 im streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht drei Monate in Deutschland auf. Es greift auch nicht die in § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II normierte Rückausnahme, wonach der Ausschlussgrund des Satz 2 Nr. 1 nicht für Ausländerinnen und Ausländer gilt, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Weder die Klägerin zu 1) noch deren in Deutschland lebender Ehemann (vgl. zu diesem Fall, LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26. Januar 2016 – L 11 AS 1076/14 -, juris) erfüllten die Voraussetzungen für ein entsprechendes Aufenthaltsrecht.

 

§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II ist auch nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Kläger nicht vom Leistungsausschluss erfasst werden.

 

Soweit das BSG (Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 37/12 R –, juris) entschieden hat, dass ausländische Ehegatten eines deutschen Staatsangehörigen, die zum Zwecke des Familiennachzuges nach Deutschland einreisen, von dem Ausschlusstatbestand nicht erfasst werden, betrifft das nicht den hier zur Entscheidung stehenden Fall; der Zuzug erfolgte nicht zu einem deutschen Staatsangehörigen.

 

Diese Rechtsprechung des BSG ist auch nicht auf den konkreten Fall zu erweitern.

 

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Auffassung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 24. Januar 2017 – L 9 AS 3548/16 -, juris ), der sich das SG in dem angegriffenen Urteil angeschlossen hat, zu folgen ist. Danach greife die Bestimmung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II in einer Konstellation nicht ein, in der eine Ehefrau mit einem zum Zwecke des Familiennachzuges erteilten Visum eingereist ist, ihr kurze Zeit nach der Einreise eine Aufenthaltserlaubnis nach §§ 29, 30 AufenthG erteilt wurde und sie sich somit durchgängig rechtmäßig im Bundesgebiet zum Zwecke der Herstellung der ehelichen Gemeinschaft mit ihrem seit der Geburt hier lebenden Ehemann, der im Besitz einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis (§ 9 AufenthG) ist, aufgehalten hat. Abweichend von der vom LSG Baden-Württemberg entschiedenen Konstellation sind die hiesigen Kläger nicht zum Zwecke des Familiennachzuges eingereist. Ob eine Einreise zum Zwecke des Familiennachzuges erfolgt ist, ist nicht allein subjektiv vom natürlichen Willen des Ausländers her zu bestimmen, sondern objektivrechtlich anhand der tatsächlich erteilten Aufenthaltstitel und der aufenthaltsrechtlichen Vorschriften (vgl. Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage, Stand: 29. November 2021, § 7 Rn. 121). Die Einreise erfolgte – entsprechend den für die Kläger ausgestellten Visa – zu Besuchszwecken. Die Kläger hatten auch keinen Anspruch auf ein anderweitiges Visum oder ein Recht zum Aufenthalt im Zeitpunkt der Einreise. Weder ist ihnen von der Ausländerbehörde ein solches Recht für den streitgegenständlichen Zeitraum bestätigt worden, noch lagen die materiellen Voraussetzungen hierfür vor. Die Fiktionsbescheinigung galt erst ab dem 22. Dezember 2014 und eine Aufenthaltserlaubnis wurde der Klägerin zu 1) nicht auf Grund des Nachzuges zu ihrem Ehegatten, sondern zum Zwecke der Betreuung ihres minderjährigen am 09. Februar 2015 geborenen Kindes mit deutscher Staatsangehörigkeit erteilt. Den Klägern war zum Zeitpunkt ihrer Einreise auch kein Aufenthaltstitel zum Zwecke des Familiennachzuges zu erteilen. Zwar war nach § 29 AufenthG in der bis zum 31. Juli 2015 geltenden Fassung ein Aufenthalt zum Familiennachzug zu einem Ausländer, der eine Niederlassungserlaubnis besitzt, grundsätzlich gestattet. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG musste hierfür aber ausreichender Wohnraum zur Verfügung stehen. Darüber hinaus hätten die Kläger  die nach § 5 Abs. 1 AufenthG für die Erteilung eines Aufenthaltstitels geltenden allgemeinen Voraussetzungen erfüllen müssen. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG war hierzu unter anderem die Sicherung des Lebensunterhaltes erforderlich. Bei der Einreise der Kläger war mit dem Einzug in die vom Vater bzw. Ehemann bewohnte Einzimmerwohnung mit ca. 41m² Wohnfläche weder ausreichender Wohnraum vorhanden noch war – wie die Beantragung von Leistungen beim Beklagten zeigt – der Lebensunterhalt gesichert. Von diesen Voraussetzungen konnte auch nicht nach § 29 Abs. 2 AufenthG abgesehen werden.  Einen der dort aufgeführten aus humanitären Gründen erteilten Aufenthaltstitel hatte der Vater bzw. Ehemann der Kläger nicht inne. 

 

Der Senat kann bei seiner maßgeblich am Wortlaut orientierten Auslegung auch weder einen Widerspruch zum Sinn und Zweck des Gesetzes, zu aufenthaltsrechtlichen Wertungen noch zu Art. 6 GG erkennen.

 

Der in der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucksache 16/5065, S. 234 ) zum Ausdruck kommende Sinn und Zweck und die Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung stehen nicht im Widerspruch zur Anwendung der Regelung im vorliegenden Fall. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs betreffe der mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union neu eingefügte Leistungsausschluss zwar vor allem Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen. Unionsbürger, die sich gemäß § 2 Abs. 5 FreizügG/EU in Deutschland aufhalten – dreimonatiges voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht –, sollten in dieser Zeit keine Leistungen nach dem SGB II erhalten. Dem ist zu entnehmen, dass Anlass und Intention der Einführung der Ausschlussregelung zwar die Begrenzung der Leistungspflicht gegenüber Unionsbürgern, die ihr dreimonatiges voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht in Anspruch nehmen, gewesen ist. Aus der in der Gesetzesbegründung verwendeten Formulierung „vor allem“ ergibt sich aber zugleich, dass auch andere Ausländer erfasst werden. Der Wille zur Beschränkung nur auf Unionsbürger wird jedenfalls nicht erkennbar. Das in der Gesetzesbegründung ebenfalls zum Ausdruck gekommene Ziel, dass Personen, die sich voraussetzungslos in Deutschland aufhalten, keine SGB II-Leistungen in Anspruch nehmen sollen, stünde einer auf Unionsbürger beschränkenden Auslegung sogar entgegen.

 

Systematische Erwägungen stützen die dem Wortlaut entsprechende Auslegung, wonach nicht nur Unionsbürger vom Leistungsausschluss erfasst werden. Nach der in § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II enthaltenen Rückausnahme gilt § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 AufenthG in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Aus dem direkten Verweis auf das Aufenthaltsrecht, das  gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG keine Anwendung auf Ausländer findet, deren Rechtsstellung von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern geregelt ist, wird deutlich, dass auch Drittstaatsangehörige von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II erfasst sein müssen. Mangels direkter Anwendbarkeit des AufenthG auf Unionsbürger ginge der Verweis bei einer einschränkenden Auslegung ins Leere. Bei einem auf Unionsbürger beschränkten Regelungswillen wäre ein Verweis auf das AufenthG unter Einbeziehung der in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU (in der bis zum 08. Dezember 2014 geltenden Fassung), der zum Teil eine entsprechende Anwendung aufenthaltsrechtlicher Regelungen anordnet, zu erwarten gewesen.

 

Entgegen der Auffassung des SG besteht bei einer dem Wortlaut folgenden Anwendung der Vorschrift auch kein Wertungswiderspruch zwischen der ausländerrechtlichen Gestattung der Einreise und des Aufenthaltes zum Zwecke der Familienzusammenführung einerseits und einem Ausschluss von der Leistungsgewährung nach dem SGB II andererseits. Dies mag in Fällen, in denen ein Visum zur Einreise zum Zwecke der Familienzusammenführung und anschließend entsprechende Aufenthaltstitel erteilt worden sind, der Fall sein (so im vom LSG  Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Januar 2017 – L 9 AS 3548/16 -, juris, entschiedenen Fall). In der hier zur Entscheidung stehenden Konstellation, in der solche Visa und Aufenthaltstitel im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen Vorschriften nicht erteilt wurden, dürfte es andersherum gerade den aufenthaltsrechtlichen Vorschriften, die auch für den Familiennachzug zu einem Ausländer, der über eine unbefristete Niederlassungserlaubnis verfügt, nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 ausreichenden Wohnraum und nach  § 5 Abs. 1 AufenthG die Sicherung des Lebensunterhalts fordern, zuwiderlaufen, einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II sofort nach der Einreise zu konstruieren. Die Forderung nach der Sicherung von Wohnraum und Lebensunterhalt und damit der Sinn und Zweck dieser Bestimmungen liefen ins Leere.

 

In der Forderung nach gesichertem Lebensunterhalt und Wohnraum liegt neben dem Wortlaut auch ein weiterer rechtlicher Grund für die Differenzierung zwischen einem Familiennachzug zu einem Deutschen und einem Ausländer mit einer Niederlassungserlaubnis. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG (in der bis zum 31. Juli 2015 geltenden Fassung) war die Aufenthaltserlaubnis bei einem Familiennachzug zu einem Deutschen abweichend von den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen (minderjährigen ledigen Kindern und Eltern minderjähriger lediger Kinder) bzw. sollte abweichend erteilt werden (Ehegatten). Im Hinblick auf den Nachzug zu deutschen Staatsangehörigen hat der Gesetzgeber damit weitgehend auf die Sicherung des Lebensunterhalts verzichtet. Das Abstellen auf diese aufenthaltsrechtlich unterschiedliche Behandlung bei der Frage, ob der Ausländer vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II erfasst ist, steht auch mit der Argumentation des BSG in Bezug auf den Familiennachzug zu einem deutschen Staatsangehörigen (vgl. Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 37/12 R –, juris) in Einklang. Danach werde aus dem Umstand, dass es nach der Regelung des § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, die demselben Gesetz wie die Änderung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II entstamme, bei der Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung bei den Angehörigen Deutscher auf ausreichenden Wohnraum und Unterhaltssicherung grundsätzlich nicht ankomme, ersichtlich, dass der Gesetzgeber das fiskalische Interesse der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Erteilung eines Aufenthaltstitels berücksichtigen wollte. Er habe aber durch die anlässlich der Umsetzung der EU-Richtlinien erfolgte Änderung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II die Rechtsposition von Drittstaatsangehörigen, die im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland einreisen, nicht ändern wollen. Es sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber sich mit dieser Entscheidung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu der aufenthaltsrechtlichen Entscheidung in Widerspruch setzen wollte (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 37/12 R –, Rn. 24, juris). Das BSG hat damit zur Begründung der Ausnahme vom Ausschluss der SGB II-Leistungen für den Familiennachzug zu einem deutschen Staatsangehörigen auf die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen zum Verzicht auf die Unterhaltssicherung abgestellt. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass bei fehlendem Verzicht der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen auf die Unterhaltssicherung auch kein Grund für eine einschränkende Auslegung des in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II normierten Leistungsausschlusses besteht.

 

 

Auch Art. 6 Abs. 1 GG, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen, gebietet keine den Wortlaut einengende Auslegung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. SGB II. Art. 6 GG gewährt keinen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt zwecks Nachzugs zu bereits im Bundesgebiet lebenden Angehörigen. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des betroffenen Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (BVerfG, Beschluss vom 09. Dezember 2021 – 2 BvR 1333/21 –, juris). Ein solcher Fall war hier aber nicht gegeben, die Kläger und deren Vater bzw. Ehemann waren alle tunesische Staatsangehörige. Das Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit war weder geboren noch stand dessen Geburt unmittelbar bevor. Es ist nichts dafür erkennbar, dass den Klägern und dem Ehemann bzw. Vater nicht auch in Tunesien eine Verwirklichung des Familienlebens möglich gewesen wäre. Dem im Bundesgebiet lebenden ausländischen Ehepartner sind grundsätzlich Anstrengungen zumutbar, die familiäre Einheit durch Besuche oder nötigenfalls zur Gänze im Ausland herzustellen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. März 2011 – 2 BvR 1413/10 –, Rn. 7, juris).

 

Ob darüber hinaus der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 SGB II einer Leistungsgewährung nach dem SGB II entgegensteht, weil die Klägerin zu 1) sich allein zu dem Zweck der Arbeitsuche in Deutschland aufhielt, kann nach alledem offen bleiben. Es bedurfte daher keiner Entscheidung, ob sich die Klägerin zu 1) – und dann nachfolgend auf ihr Aufenthaltsrecht stützend auch die Kläger zu 2) und zu 3) - auf eine aufenthaltsrechtliche Vorwirkung im Hinblick auf die bevorstehende Geburt ihres dritten Kindes berufen konnte (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, juris).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache.

 

Die Revision wird zugelassen. Zwar weicht der Senat im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG weder von der Entscheidung des BSG (Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 37/12 R –, juris) noch von den Entscheidungen des LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 26. Januar 2016 - L 11 AS 1076/14 -) und des LSG  Baden-Württemberg (Urteil vom 24. Januar 2017 – L 9 AS 3548/16 -) ab. Der Senat misst der Rechtssache aber grundsätzliche Bedeutung bei (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die Frage, ob und ggf. unter welchen Umständen Drittstaatsangehörige, die als dessen Ehefrau und Kinder zu einem Drittstaatsangehörigen zuziehen, der über eine unbefristete Niederlassungserlaubnis verfügt, dem dreimonatigen Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II unterfallen, ist nach Auffassung des Senats grundsätzlich klärungsbedürftig.

Rechtskraft
Aus
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