L 18 AL 45/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 6 AL 122/20
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 45/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 15. April 2021 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Streitig ist die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 5. März 2021 bis 4. Juni 2021.

 

Die Beklagte hatte der 1981 geborenen Klägerin, die bis 5. März 2020 beschäftigt war, mit Bescheid vom 8. April 2020 Alg für die Zeit vom 6. März 2020 bis 4. März 2021 (Anspruchsdauer 360 Tage) iH eines Leistungsbetrags von tgl 65,83 € bewilligt. Den im Juni 2020 gestellten Antrag auf eine Verlängerung der Alg-Bezugsdauer um drei Monate unter Hinweis auf das „Sozialschutz-Paket II“ wertete die Beklagte als Widerspruch und wies diesen unter Hinweis auf § 421d Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) zurück (Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2020). Das Sozialgericht (SG) Potsdam hat die auf Gewährung von Alg bis zum 4. Juni 2021 gerichtete Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 15. April 2021).

 

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Angesichts der fortdauernden Pandemiesituation müsse auch ihr im März 2021 erschöpfter Anspruch verlängert werden

 

Sie beantragt nach ihrem Vorbringen,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 15. April 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 8. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2020 zu verurteilen, ihr über den 4. März 2021 hinaus bis 6. Juni 2021 Arbeitslosengeld zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Ihr steht gegenüber der Beklagten über den 4. März 2021 hinaus ein Alg-Anspruch bis 6. Juni 2021 nicht zu. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 8. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2020, der hier nur im Hinblick auf die verlautbarte Anspruchsdauer (360 Tage) streitgegenständlich ist, begegnet insoweit keinen rechtlichen Bedenken. Dass die Klägerin den von der Beklagten als Widerspruch gewerteten „Weiterbewilligungsantrag“ erst im Juni 2020 und damit nach Ablauf der Widerspruchsfrist von einem Monat (§ 84 SGG) eingereicht hatte, ist unschädlich. Denn auch über einen ggf verfristeten Widerspruch kann die Behörde in der Sache entscheiden (vgl Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl § 84 Rn 7, 7a mwN).

 

Die Beklagte hat die Alg-Anspruchsdauer auf der Grundlage von § 147 Abs. 2 SGB III zutreffend mit zwölf Monaten (= 360 Tagen; vgl § 339 Satz 1 SGB III) festgesetzt. Ein darüber hinaus gehender Anspruch steht der Klägerin nicht zu. Eine Rechtsgrundlage hierfür ist nicht ersichtlich. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der von der Klägerin in Bezug genommenen Vorschrift des § 421d Abs. 1 SGB III in der seit 10. Dezember 2020 geltenden Fassung des Gesetzes vom 3. Dezember 2020 (BGBl I 2691; bis dahin gleichlautend die am 29. Mai 2020 in Kraft getretene Regelung des § 421d SGB III <Gesetz vom 20. Mai 2020 - BGBl I 1055>) liegen nicht vor.  Danach verlängert sich für Personen, deren Anspruch auf Alg sich in der Zeit vom 1. Mai 2020 bis zum 31. Dezember 2020 auf einen Tag gemindert hat, die Anspruchsdauer einmalig um drei Monate.

 

Da der Alg-Anspruch der Klägerin erst am 4. März 2021 erschöpft war, sind die genannten Voraussetzungen – was auch die Klägerin einräumt – nicht erfüllt. Sie macht vielmehr eine Gleichbehandlung aus verfassungsrechtlichen Gründen geltend, weil die Pandemielage fortbestehe. Art. 3 Grundgesetz (GG) verbietet zwar auch einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (BVerfGE 126, 29, 43 mwN). Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfGE 87, 1, 36; 112, 50, 67; 117, 272, 300 f; 122, 151, 188; 126, 29, 47; stRspr). Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz ist jedoch nicht zu prüfen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner - hier bestehenden weiten - Gestaltungsfreiheit überschritten hat (vgl BVerfGE 52, 277, 280 f; 68, 287, 301; 81, 108, 117 f; 84, 348, 359). Hiervon ist vorliegend nicht auszugehen.

 

Die Klägerin wird zwar gegenüber der Gruppe von Alg-Beziehern, deren Anspruchsdauer sich nach § 147 Abs. 2 SGB III bemisst und deren Anspruchsende sich nach dieser Berechnung in der Zeit vom 1. Mai 2020 bis 31. Dezember 2020 auf einen Tag gemindert hatte, ungleich behandelt, weil bei ihr keine Verlängerung der Alg-Anspruchsdauer zum Tragen kommt. Dem Gesetzgeber standen indes sachliche Gründe zur Seite, die Anspruchsdauer von Alg-Beziehern, deren Anspruchserschöpfung im ersten Covid-19-Pandemiejahr zeitlich näher bevorstand, einmalig pauschal zu verlängern. § 421d Abs. 1 SGB III wurde als § 421d SGB III durch das Gesetz zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (Sozialschutz-Paket II) vom 20. Mai 2020 (BGBl I 1055) mWv 29. Mai 2020 in das SGB III eingefügt. Ziel des Gesetzgebers war es dabei ua, den für Arbeitslose in der außergewöhnlichen Krisensituation „in gravierender Weise“ eingeschränkten „Möglichkeiten und Chancen…,eine neue Beschäftigung aufzunehmen“, Rechnung zu tragen (vgl BT-Drucks19/18966 S 2) und den „Rettungs- und Schutzschirm weiter“ zu spannen, ua durch die einmalige Verlängerung des Alg-Anspruchs um drei Monate für „Personen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld sich in der Zeit vom 1. Mai 2020 bis 31. Dezember 2020 erschöpfen würde“ (aaO S 4). „Die unmittelbaren und mittelbaren Folgen der Eindämmungsmaßnahmen beeinträchtigen das Angebot an freien Arbeitsplätzen in vielen Branchen in außergewöhnlicher Weise. Dies trifft insbesondere Arbeitslose, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld sich in den kommenden Monaten der Krise auf dem Arbeitsmarkt erschöpft“ (aaO S 20). Im Hinblick auf die bereits insbesondere durch das Kurzarbeitergeld zur Bewältigung der Krise einzusetzenden erheblichen Beträge der Arbeitslosenversicherung und die seinerzeit schwer abschätzbaren Gesamtkosten diente die einmalige Verlängerung der Anspruchsdauer auf drei Monate für Alg-Bezieher mit zeitnäherer Anspruchserschöpfung auch dazu, die Funktionsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung im Hinblick auf die begrenzt zur Verfügung stehenden Beitragsmittel nicht zu gefährden (aaO S 29).

 

Es handelt sich bei Würdigung der Erwägungen des Gesetzgebers bei § 421d SGB II der Struktur nach um eine durch sachliche Gründe, nämlich einerseits die Anknüpfung an die Leistungsbezieher, deren Anspruchserschöpfung bis 31. Dezember 2020 bevorstand und die daher früher dem erheblichen Risiko ausgesetzt waren, bei schwer abschätzbarer Arbeitsmarktlage eine neue Stelle zu finden, sowie andererseits der unter Berücksichtigung der erheblichen weiteren Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit gerade in Pandemiezeiten zu gewährleistenden Funktionsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung gerechtfertigte Stichtagsregelung. Der Gesetzgeber darf typisierende und pauschalierende Regelungen treffen. Insbesondere bei der Regelung von Massenerscheinungen sind generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen allgemein als notwendig anerkannt und vom BVerfG im Grundsatz in ständiger Rechtsprechung als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen worden (vgl BVerfGE 103, 310, 319; 113, 167, 236 = SozR 4-2500 § 266 Nr 8 Rn 136). Dabei ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers besonders groß bei einer – wie hier - bevorzugenden Typisierung (BVerfGE 17, 1, 24 = SozR Nr 52 zu Art 3 GGBVerfGE 103, 310, 319). Die zwischenzeitlich diskutierte Verlängerung der Sonderregelung des § 421d Abs. 1 SGB III hat der Gesetzgeber letztlich abgelehnt (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (BT-Drucks 19/24481). Es ist auch kein verfassungsrechtlich zwingender Grund dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber bei fortdauernder Pandemielage verpflichtet gewesen wäre, die Sonderregelung zu verlängern (vgl zum Ganzen ausführlich Hessisches Landessozialgericht <LSG>, Beschluss vom 14. April 2021 – L 7 AL 42/21 B ER – juris – Rn 3; Bundessozialgericht, Beschluss vom 27. Mai 2021 – B 11 AL 2/21 BH - juris). Auch Art. 14 GG ist nicht verletzt. § 421d Abs. 1 SGB III ist auch nicht analogiefähig.

 

Das Hessische LSG hat in dem zitierten Beschluss zutreffend ausgeführt (Rn 14ff):

„Diese klare und eindeutige einfachrechtliche Situation verletzt aus Sicht des Senats auch nicht höherrangiges Recht. Entgegen der Ansicht des Antragstellers verstößt die zeitliche Beschränkung des § 421d Abs. 1 SGB III insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

 

Dieser verbietet es, verschiedene Gruppen von Normadressaten ungleich zu behandeln, wenn zwischen ihnen nicht Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die dies rechtfertigen können. Gleichwohl ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässig, Stichtage einzuführen, obwohl jede Stichtagsregelung zwangsläufig gewisse Härten mit sich bringt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. April 2011 – 1 BvR 1811/08, ZFSH/SGB 2011, 337 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 5. Februar 2009 – 1 BvR 1631/04NZS 2009, 621 ff.). So liegt der Fall auch bei der Schaffung von Ausnahmevorschriften wie § 421d SGB III, durch die einzelne Personengruppen wegen des Stichtags begünstigt, andere hingegen hiervon ausgenommen werden. In derartigen Fällen setzt die verfassungsrechtliche Rechtfertigung voraus, dass der Gesetzgeber den ihm bei der Stichtagsregelung zukommenden Gestaltungsfreiraum in sachgerechter Weise genutzt hat, er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und sich die gefundene Lösung im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt und nicht als willkürlich erscheint.

 

Mit der Anknüpfung an den letzten regulären „Anspruchstag“ hat der Gesetzgeber zwar ein Merkmal gewählt, das von gewissen Zufälligkeiten abhängig ist und sich auch durch den Arbeitslosen selbst beeinflussen lässt. Denn die Minderung der Anspruchsdauer hängt nicht nur vom Lauf von Sperrzeiten und anderen Ruhenszeiträumen ab, sondern auch von Unterbrechungen der Arbeitslosigkeit durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder den Wegfall der Verfügbarkeit aus anderen Gründen (vgl. Schlegel, in: Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19 - Corona-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, 2020, § 6 Rn. 73). Es entspricht indes ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verpflichtet ist, stets die optimale Lösung zu finden (BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 2004 – 2 BvL 5/00BVerfGE 110, 412 ff. = NJW-RR 2004, 1657 ff. Rn. 73 m.w.N.). Gerichte sind nicht befugt, ihre Einschätzung, welcher Weg sinnvoller und sachgerechter wäre, an dessen Stelle zu setzen. Zudem ist der gewählte Anknüpfungspunkt auch nicht offensichtlich zweckwidrig. Denn der letzte Tag des Arbeitslosengeldbezugs ist ein aussagekräftiges Indiz für den drohenden Wechsel in das System der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Diesen möglichst zu verhindern (oder zumindest hinauszuzögern), stellt aber ausweislich der Gesetzesmaterialien ein ausdrückliches Ziel der Novellierung dar.

 

Auch die gesetzgeberische Entscheidung, die Sonderregelung des § 421d SGB III auf den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2020 zu befristen, erscheint dem Senat nicht willkürlich. Zwar liegt nach Einschätzung des Deutschen Bundestags nach wie vor eine epidemische Lage von nationaler Tragweite vor (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz – IfSG) und zahlreiche andere Ausnahmevorschriften der sog. COVID-19-Gesetzgebung sind dementsprechend verlängert worden. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass jede in Ansehung der Pandemie eingeführte Begünstigung zwingend fortgeführt werden müsste. Im Fall der dreimonatigen Verlängerung des Arbeitslosengeldanspruchs finden sich Sachgründe von hinreichendem Gewicht, die das Auslaufen der Sonderregelung zum Jahresende 2020 vertretbar erscheinen lassen. Im Vordergrund stehen dabei wohl fiskalische Erwägungen (so auch Husemann, NZS 2020, 873, 876). Das Ziel, die Finanzierung der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zu sichern und damit die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Sozialversicherungssystems im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern und den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Belang des öffentlichen Interesses anerkannt (vgl. nur BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 5. Februar 2009 - 1 BvR 1631/04NZS 2009, 621 ff.). Bei der Einführung des § 421d SGB III wurden die mit dieser Ausnahmevorschrift verbundenen zusätzlichen Kosten immerhin auf etwa 2 Mrd. Euro geschätzt (Leopold, jurisPR-SozR 11/2020 Anm. 1 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Ausgaben in dieser Größenordnung sind potentiell beitragssatzrelevant. Der Gesetzgeber durfte daraus entstehende nachteilige Folgen für Beitragszahler, Wirtschaft und Arbeitsmarkt als gewichtig bewerten (BVerfG a.a.O.). Das legitime Ziel, die entstehenden Kosten zu begrenzen, wird durch die in § 421d SGB III enthaltene Stichtagsregelung in verhältnismäßiger Weise verwirklicht. Daneben ist die Einschätzung des Gesetzgebers nicht zu beanstanden, dass zu Beginn der pandemischen Notlage die Auswirkungen der vorher nicht gekannten Situation auf die Verwaltungstätigkeit der Antragsgegnerin am stärksten sein werden. Es erscheint plausibel, dass in der Zeit von Mai bis Dezember 2020 die Stellensuche stärker als davor und danach behindert war, weil die Bundesagentur für Arbeit ihre Dienstleistungen der Beratung und Vermittlung zunächst nur eingeschränkt erbringen und auch weitere Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nur unter besonderen Schwierigkeiten gewähren konnte. Schließlich durfte sich der Gesetzgeber bei seiner Ablehnung einer Verlängerung des § 421d SGB III davon leiten lassen, dass in der Expertenanhörung im Gesetzgebungsverfahren auf die Gefahr hingewiesen worden ist, ein längerer Arbeitslosengeldanspruch könnte zu einer verzögerten Beschäftigungsaufnahme führen (vgl. Ausschussdrucksache 19(11)864 S. 8, 23).

 

In der Beschränkung der Anspruchsdauer auf zwölf Monate liegt auch keine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG. Nach allgemeiner Ansicht unterfallen auch vermögenswerte öffentlich-rechtliche Rechtspositionen dem grundrechtlichen Eigentumsschutz, soweit sie Äquivalent eigener Leistung des Berechtigten sind. Das tritt insbesondere auf sozialversicherungsrechtliche Positionen zu, die auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhen und der Vorsorge des Versicherten im Hinblick auf die wichtigsten Lebensrisiken dienen. Geschützt sind daher auch die Anwartschaften aus der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung, die der Arbeitnehmer durch Zahlung von Beiträgen erworben hat (siehe zum Ganzen statt vieler Sachs/Wendt, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 14 Rn. 28 ff. mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Die vom Antragsteller begehrte dreimonatige Verlängerung des Arbeitslosengeldes ist jedoch nicht Äquivalent eigener Leistung. Sie ist vom Gesetzgeber nicht als „Gegenleistung“ für eine bestimmte Vorleistung als Beitragszahler konzipiert worden. Das zeigt sich gerade an der Pauschalität des § 421d Abs. 1 SGB III, die in augenfälligem Gegensatz zu den genauestens differenzierenden Bestimmungen in § 147 Abs. 2, 3 SGB III steht. Der Umfang der Vorleistung des Arbeitslosen im System der Arbeitslosenversicherung spielt für die Anspruchsverlängerung keine Rolle. Es handelt sich auch nach der oben angeführten Gesetzesbegründung um eine bloße soziale Wohltat zum Ausgleich von (unterstellten) pandemiebedingten Nachteilen.

 

Selbst wenn man den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG im vorliegenden Fall als eröffnet ansehen wollte, würde die Ausgestaltung des § 421d SGB III den Antragsteller nicht in seinem Eigentumsgrundrecht verletzen. Denn die konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie ergibt sich erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers ist. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung sozialversicherungsrechtlicher Positionen eine weite Gestaltungsmöglichkeit zukommt. Dies schließt die Befugnis des Gesetzgebers ein, bestehende Ansprüche auf Arbeitslosengeld zu beschränken. Dabei ist er an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden (siehe zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 1987 - 1 BvL 15/83BVerfGE 74, 203 ff. = NJW 1987, 1930 f.). Diese Schranken hat der Gesetzgeber nach dem oben Gesagten bei der Beschränkung des zeitlichen Anwendungsbereichs von § 421d beachtet.

 

Eine andere verfassungsrechtliche Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den mit der befristeten dreimonatigen Verlängerung des Arbeitslosengeldanspruchs verbundenen Abweichungen vom Äquivalenzprinzip, das grundrechtsdogmatisch auf dem Eigentumsgrundrecht und dem allgemeinen Gleichheitssatz beruht (eingehend J. Becker, Transfergerechtigkeit und Verfassung – Die Finanzierung der Rentenversicherung im Steuer- und Abgabensystem und im Gefüge staatlicher Leistungen, 2001). Danach müssen sich bei einer Versicherung die Vorleistungen der Versicherten in adäquaten Leistungsanrechten widerspiegeln. Gleichwohl besteht verfassungsrechtlich kein Anspruch auf Beibehaltung jeder Einzelleistung im System der Sozialversicherung. Vielmehr enthält das Äquivalenzprinzip lediglich das Anrecht auf eine adäquate Teilhabe an den Leistungen der Versicherung insgesamt, nicht aber auf konkrete Einzelleistungen (siehe zum Ganzen BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 7. Oktober 2008 – 1 BvR 2995/06). Zudem kommt der Äquivalenzgedanke als vorrangiger Maßstab für die Bemessung des Arbeitslosengeldes angesichts der für die Arbeitslosenversicherung typischen kurzen Anwartschaften, des kurzen Bemessungszeitraums und der häufig nur kurzen Leistungsbezugszeit nicht in Betracht (Burghart in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 81. Lieferung 09.2020, Art. 14 Rn. 321). Allerdings liegt ein Verfassungsverstoß jedenfalls dann vor, wenn für Äquivalenzabweichungen bei Versichertengruppen mit gleicher Beitragsleistung ein hinreichender sachlicher Grund nicht ersichtlich ist (BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1995 – 1 BvR 892/88BVerfGE 92, 53 ff. = NZS 1995, 312 ff.).

 

Nach diesen Maßstäben erscheint dem Senat die vorübergehende Abweichung vom Äquivalenzprinzip im Anwendungsbereich des § 421d Abs. 1 SGB III als gerechtfertigt. Dabei verkennt der Senat nicht, dass durch den großzügigen Aufschlag von drei Monaten auf die reguläre Anspruchsdauer des Arbeitslosengelds die Grundregel des § 147 SGB III in bestimmten Fallkonstellationen auf den Kopf gestellt wird. Diese macht den Leistungsumfang wie oben dargelegt grundsätzlich von der Vorleistung des Arbeitslosen, also vereinfacht ausgedrückt, im Regelfall von der Dauer seiner vorangegangenen Beitragszahlung abhängig. Nach Versicherungspflichtverhältnissen mit einer Dauer von insgesamt mindestens 20 Monaten innerhalb der um 30 Monate erweiterten Rahmenfrist beträgt die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld danach 10 Monate, ab 24 Monaten sind es 12 Monate. Bei Anspruchsbeginn am 30. Januar 2020 (wie im Fall des Antragstellers) erstreckte sich der Arbeitslosengeldanspruch in den beiden genannten Fällen daher auf den Zeitraum bis zum 28. November 2020 (bei 20 Monaten Vorversicherungszeit) bzw. bis zum 28. Januar 2021 (bei 24 Monaten Vorversicherungszeit). Bei fortlaufendem Leistungsbezug wäre der Arbeitslose im erstgenannten Fall in den Genuss der Sonderregelung des § 421d SGB III gekommen, so dass sich sein Anspruch im Ergebnis bis zum 28. Februar 2021 verlängert hätte. Auf diese Weise konnte eine geringere Vorleistung zu einer höheren Anspruchsdauer führen. Diese Äquivalenzabweichung ist aber durch einen hinreichenden sachlichen Grund gerechtfertigt. Insoweit kann auf das oben Gesagte verwiesen werden. Hinzu kommt, dass das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht nicht in Reinform gilt. Vielmehr beruht die Sozialversicherung auch auf dem Prinzip des solidarischen Ausgleichs (vgl. nur Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, 92. EL August 2020, GG Art. 14 Rn. 246 ff.). Ein solches Element stellt auch die dreimonatige Anspruchsverlängerung nach § 421d Abs. 1 SGB III dar. Das zeigt sich besonders deutlich an der ausdrücklichen Zweckbestimmung der Ausnahmevorschrift, dass die von ihr Begünstigten in der Zeit von Mai bis Dezember 2020 nicht unmittelbar auf das Leistungssystem der Grundsicherung für Arbeitsuchende verwiesen werden sollten. Vielmehr sollten die pandemiebedingten Schwierigkeiten bei der Stellensuche in diesem Zeitraum durch eine längere Bezugsdauer der nicht bedürftigkeitsabhängigen Versicherungsleistung ausgeglichen werden. Angesichts dieser Zielsetzung hat der Gesetzgeber seinen weiten Gestaltungsspielraum bei der Konkretisierung der sozialversicherungsrechtlichen Anwartschaft nicht überschritten.

 

Schließlich wird das Grundrecht des Antragstellers auf ein menschenwürdiges Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) durch die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) ausreichend gewahrt“.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

 

Rechtskraft
Aus
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