L 16 KR 156/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 198 KR 3285/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 KR 156/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache durch Rücknahme der Berufung erledigt.

 

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

 

I.

 

Der Kläger, der freiwilliges Mitglied der Beklagten ist, wandte sich gegen deren Beitragsfestsetzung zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit ab 1. Januar 2015 (Bescheid vom 13. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2015, Bescheid vom 13. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2016, Bescheide vom 10. Januar 2017, 3. Januar 2018, 3. Januar 2019 und 3. Januar 2020). Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage gegen die genannten Bescheide abgewiesen (Urteil vom 14. Januar 2020).

 

Im Berufungsverfahren hatte der Kläger mit seiner Berufungsschrift vom 13. März 2020 die Begründung des Rechtsmittels mit gesondertem Schriftsatz in Aussicht gestellt und dann um Verlängerung der vom Gericht gesetzten Zwei-Monats-Frist bis 30. Juni 2020 gebeten. Nach erneuter Erinnerung nach Fristablauf forderte der Berichterstatter des seinerzeit zuständigen Senats den Kläger mit Schreiben vom 4. Dezember 2020, den Bevollmächtigten zugestellt am 8. Dezember 2020, unter Hinweis § 156 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf, das Berufungsverfahren zu betreiben; auf den Inhalt der Betreibensaufforderung wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen. Die Berufungsbegründung, mit der der Kläger eine Aufhebung bzw Änderung der angefochtenen Bescheide begehrt, ging bei dem Landessozialgericht (LSG) am 9. März 2021 (Dienstag) ein.

 

II.

 

Der Senat macht nach schriftlicher Anhörung der Beteiligten (vgl Schreiben vom 15. September 2022) und pflichtgemäßer Ermessensausübung von der Möglichkeit Gebrauch, entsprechend § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, weil er einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält und der Auffassung ist, dass die Berufung als zurückgenommen gilt. Die Regelung des § 153 Abs. 4 SGG ist entsprechend anwendbar, da die Feststellung der Berufungsrücknahme einer Zurückweisung der Berufung gleichkommt (vgl Bundessozialgericht <BSG>, Beschluss vom 8. Dezember 2020 – B 4 AS 280/20 B – juris – Rn 7; Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Beschluss vom 12. November 1993 - 2 B 151.93 – juris - Rn 2; Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, SGG, 1 Auflage 2017, § 153 SGG, Rn 66; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Aufl 2020, § 153 Rn 14 mwN). Eine mündliche Verhandlung ist entbehrlich, da eine solche bereits im ersten Rechtszug stattgefunden hat. Darüber hinaus sind die entscheidungserheblichen Tatsachen als geklärt anzusehen.

 

Nach § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG gilt die Berufung als zurückgenommen, wenn der Berufungskläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Der Berufungskläger ist gemäß § 156 Abs. 2 Satz 2 SGG in der Aufforderung auf die Rechtsfolgen hinzuweisen, die sich aus Satz 1 und gegebenenfalls aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergeben.

 

Die Betreibensaufforderung vom 4. Dezember 2020 ist formell rechtmäßig. Sie ist von dem Berichterstatter, der gemäß § 155 Abs. 4 SGG der hierfür zuständige Richter gewesen ist, verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet worden. Auch lässt das auf der Verfügung des Richters beruhende Schreiben der Geschäftsstelle durch die Wiedergabe des vollen Namens des zuständigen Richters erkennen, dass die Aufforderung zum Betreiben des Berufungsverfahrens von diesem stammt (vgl BSG, Beschluss vom 19. Oktober 2016 - B 14 AS 105/16 B - Rn 6; Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 58/09 R - Rn 49). Der Kläger ist aufgefordert worden, das Verfahren durch Übersendung der Berufungsbegründung zu betreiben. Er ist auch darüber belehrt worden, dass die Berufung als zurückgenommen gilt, wenn das Verfahren trotz der Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrieben wird, und dass diese Frist mit der Zustellung der Aufforderung beginnt. Ein Hinweis auf die Kostenfolgen aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 2 VwGO ist entbehrlich gewesen, da es sich hier gemäß § 183 Satz 1 SGG um ein gerichtskostenfreies Verfahren handelt. Schließlich ist die Betreibensaufforderung dem Kläger auch gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG zugestellt worden.

 

Die Betreibensaufforderung ist auch materiell rechtmäßig. Die ungeschriebene Voraussetzung, dass nach Gesamtwürdigung aller Umstände ein hinreichender Anlass dazu bestehen muss, von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses auszugehen (vgl Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27. Oktober 1998 – 2 BvR 2662/95 – Rn 18), ist erfüllt. Das ergibt sich daraus, dass der Kläger die Berufungsbegründung trotz gerichtlicher Aufforderung und Erinnerung unterlassen hat. Auch ist berücksichtigt worden, dass für eine Betreibensaufforderung nicht jegliche Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit genügt, sondern nur das Unterlassen solcher prozessualen Handlungen oder Äußerungen, die für die Feststellung von Tatsachen bedeutsam sind, die das Gericht nach seiner Rechtsansicht für entscheidungserheblich und deren Klärung es für notwendig hält (vgl zB BSG, Urteil vom 4. April 2017 – B 4 AS 2/16 R – Rn 29). Zwar ist eine Berufungsbegründung gemäß § 151 Abs. 3 SGG, wonach die Berufungsschrift das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben soll, nicht zwingend vorgeschrieben. Gleichwohl kann der Berufungskläger gemäß § 153 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 92 Abs. 2 Satz 1 SGG zur erforderlichen Ergänzung der Berufungsschrift aufgefordert werden, wenn diese nicht den Anforderungen entspricht. Auch aus § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG ergibt sich, dass das Gericht die Beteiligten bei der Erforschung des Sachverhalts heranzuziehen hat. Die Nichtvorlage einer Berufungsbegründung kann daher Anlass für und die Aufforderung zur Vorlage einer solchen Gegenstand einer Betreibensaufforderung sein (vgl BSG, Beschluss vom 8. Dezember 2020 – B 4 AS 280/20 B – Rn 13), zumal wenn sie – wie hier – trotz Ankündigung und mehrfachen Fristsetzungen nicht vorgelegt wird. Dann liegt der Gedanke nahe, dass der Kläger an der Fortführung des Berufungsverfahrens kein Interesse (mehr) hat. Das Berufungsgericht ist dann zur Klärung dieser Frage durch Aufforderung zur Vorlage einer Berufungsbegründung berechtigt, bevor es eine Sachprüfung aufnimmt. Die personellen Ressourcen der Justiz müssen so eingesetzt werden, dass möglichst viele Verfahren einerseits zeitsparend, andererseits in einem rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Rahmen behandelt und entschieden werden. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, warum es dem Kläger nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen wäre, eine zumindest kurze Berufungsbegründung vorzulegen. Es stellt keine unzumutbare, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigende Erschwerung des Rechtsschutzes dar, wenn einem Berufungsführer angesonnen wird, die Gründe für die Einlegung seines Rechtsmittels darzutun, und das Verfahren als erledigt angesehen wird, wenn er innerhalb einer Frist von drei Monaten diesem Ansinnen nicht nachgekommen ist und auch nicht dargetan hat, warum er untätig geblieben ist. Eine Berufungsbegründung wird auch nicht dadurch entbehrlich, dass bereits eine erstinstanzliche Entscheidung vorliegt, denn gerade diese Entscheidung bewirkt eine Zäsur und gibt den Beteiligten Anlass und Gelegenheit, die Argumente des SG zu wägen und über die Fortführung des Verfahrens zu befinden (BSG aaO Rn 15 mwN).

 

Der Kläger hat das Verfahren auch nicht innerhalb dreier Monate nach Zustellung der Betreibensaufforderung am 8. Dezember 2020 betrieben. Die Frist hat gemäß § 64 Abs. 1 SGG mit dem Tage nach der Zustellung, also dem 9. Dezember 2020, zu laufen begonnen. Sie hat gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG mit Ablauf des 8. März 2021 geendet. Die Berufungsbegründung ist erst am 9. März 2021 beim LSG eingegangen. Sie war im Hinblick auf § 64 Abs. 3 SGG auch nicht deshalb rechtzeitig vorgelegt, weil der 8. März 2021 im Land Berlin ein gesetzlicher Feiertag (Frauentag) war. Denn maßgebend für die Fristwahrung ist der Gerichtsort des LSG, dh Potsdam (vgl Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Aufl § 64 Rn 5a; BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 2006 – 1 B 100/05 – juris – Rn 2 mwN aus der Rspr unter Hinweis auf die insoweit „unbestrittene“ Ansicht; BSG, Beschluss vom 8. November 1994 – 2 BU 184/94 – juris – Rn 6). Im Land Brandenburg war der 8. März 2021 indes kein gesetzlicher Feiertag.

 

Dem Kläger war auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Bei der Frist des § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG handelt es sich um eine Ausschlussfrist; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt deswegen allenfalls in Fällen höherer Gewalt in Betracht, also bei Naturereignissen und anderen unabwendbaren Ereignissen (vgl BSG, Beschluss vom 8. Dezember 2020 – B 4 AS 280/20 B – Rn 22 mwN aus der Rspr). Vorliegend sind derartige Wiedereinsetzungsgründe weder vorgetragen noch ersichtlich.

 

Die somit anzunehmende Berufungsrücknahme bewirkt gemäß § 156 Abs. 3 Satz 1 SGG den Verlust des Rechtsmittels.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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