Das Widerspruchsverfahren und der Streit um die Kosten dieses Widerspruchsverfahrens sind eine einheitliche gebührenrechtliche Angelegenheit.
Eine einheitliche gebührenrechtliche Angelegenheit ist auch dann anzunehmen, wenn gegen die Kostenentscheidung zu dem Widerspruchsverfahren erneut ein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden ist oder wenn über die Kosten des Widerspruchsverfahrens nicht in einem Widerspruchsbescheid, sondern in einem gesonderten Bescheid entschieden worden ist.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. April 2022 – S 17 R 1698/21 – wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger legte Widerspruch gegen einen Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 2020 ein, er wollte, abweichend von seinem zunächst gestellten Antrag, einen um zwei Monate früheren Rentenbeginn erreichen. Daraufhin verfügte die Beklagte mit „einfachem“ Bescheid vom 10. Mai 2021 den gewünschten Rentenbeginn, eine Kostenerstattung für den Widerspruch lehnte sie jedoch in dem Bescheid ausdrücklich ab.
Gegen die Kostenentscheidung in dem Bescheid vom 10. Mai 2021 legte der Kläger Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2021 zurückgewiesen wurde.
Daraufhin hat der Kläger Klage erhoben und beantragt, ihm die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 2. Dezember 2020 zu erstatten. Mit Urteil vom 5. April 2022 verpflichte das Sozialgericht Berlin die Beklagte, die Kosten „des Widerspruchsverfahren“ zur Hälfte zu tragen. Zu den Kosten entschied das Gericht, die Beklagte habe die Kosten des Klägers „im Klageverfahren“ zur Hälfte zu tragen.
II.
1. Die am 12. Mai 2022 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem am 12. April 2022 zugestellten Urteil des Sozialgerichtes Berlin vom 5. April 2022 ist zulässig, insbesondere gemäß § 145 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch statthaft. Denn der Wert des Verfahrensgegenstandes übersteigt nicht 750,00 Euro und das Sozialgericht hat in seinem Urteil die Berufung nicht zugelassen.
2. Die Beschwerde ist aber unbegründet.
Der Beschwerdeführer sieht in der Kostenentscheidung des Sozialgerichts eine Überraschungsentscheidung. Er rügt (ausschließlich) eine Verletzung von § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichtes unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Dies ist vorliegend offensichtlich nicht der Fall. Eine Überraschungsentscheidung ist nicht gegeben. Ein qualifizierter und kenntnisreicher Beteiligter hätte ohne weiteres mit der Entscheidung des Sozialgerichts rechnen können.
Eine unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz ergangene Überraschungsentscheidung ist u. a. dann anzunehmen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen ein gewissenhafter und kundiger Beteiligter auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht. Stellt der Gesetzgeber eine Entscheidung des Gerichts in dessen billiges Ermessen, wie hier bei der nach § 193 SGG zu treffenden Kostenentscheidung, will er den Gerichten einen besonders weiten Entscheidungsspielraum einräumen. Unzulängliche Billigkeitserwägungen sind in einem solchen Fall nur in krassen Ausnahmefällen für einen versierten Beteiligten unter Berücksichtigung der Vielfalt der in dem konkreten Einzelfall vertretbaren Erwägungen unvorhersehbar (vgl. Sächsischer Verfassungsgerichtshof, Beschluss vom 28. September 2015 – Vf. 3-IV-15 - juris).
a. Die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 2. Dezember 2020 waren Klagegegenstand. Die Entscheidung des Sozialgerichtes, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Hälfte der Kosten des (gegen den Bescheid vom 2. Dezember 2020 geführten) Widerspruchverfahrens zu erstatten, kann nicht überraschend gekommen sein, da das Gericht damit über den Streitgegenstand, der sich aus dem Klageantrag des Klägers ergab, entschieden hat. Dass die Beklagte die Kosten des Widerspruchsverfahrens dabei nicht vollständig übernehmen musste, beanstandet auch der Kläger nicht, auch nicht in seinem Schriftsatz vom 6. November 2022.
b. Dass das Sozialgericht die Kosten des „zweiten“ Widerspruchsverfahrens (gegen die Kostenentscheidung im Bescheid vom 10. Mai 2021) nicht förmlich tenorierte, war ebenfalls nicht überraschend, sondern im Gegenteil zu erwarten. Kosten des Vorverfahrens sind nämlich grundsätzlich Teil der gerichtlichen Kostenentscheidung und müssen nicht gesondert tenoriert werden. Das Vorverfahren gegen die Kostenentscheidung in dem Bescheid vom 10. Mai 2021, gewissermaßen das „Kostenvorverfahren“, haben die Beteiligten übereinstimmend als Prozessvoraussetzung einer Klage auf Erstattung der Kosten nach § 63 SGB X angesehen (vgl. aber in diesem Zusammenhang Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 19. Juni 2012 – B 4 AS 142/11 R –, juris; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12. August 2014 – 1 C 2.14 –, BVerwGE 150, 190 ff; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 78 Rn. 8). Da die Kosten dieses „zweiten“ Vorverfahrens dann grundsätzlich zu den außergerichtlichen Kosten der auf positive Kostengrundentscheidung nach § 63 SGB X gerichteten Klage im Sinne des § 193 SGG gehörten, sind die Kosten dieses „zweiten“, d. h. des „Kostenvorverfahrens“, von der gerichtlichen Kostenentscheidung grundsätzlich umfasst. Der Kläger geht deshalb schon im Ansatz fehl, wenn er annimmt, das Sozialgericht hätte die Kosten des „zweiten“ Widerspruches der Beklagten eigens in der Kostenentscheidung tenorieren müssen. Denn in einem solchen Fall wären die Kosten doppelt tenoriert gewesen, als tenorierter Teil des Sachausspruchs und zusätzlich als Teil der Kostenentscheidung: ein offensichtlich rechtswidriges Ergebnis.
c. Dass das Gericht in der Kostenentscheidung nur die Kosten „im Klageverfahren“ teilweise der Beklagten auferlegt hat, und damit die Vorverfahrenskosten von der Kostenerstattungspflicht scheinbar ausgenommen hat, kommt ebenfalls alles andere als überraschend. Das Gericht wollte damit einen drohenden Konflikt zwischen Sachausspruch zu den Vorverfahrenskosten nach § 63 SGB X und der gerichtlichen Kostengrundentscheidung, die grundsätzlich ebenfalls Vorverfahrenskosten umfasst, lösen.
Denn gebührenrechtlich bilden beide hier durchgeführten Widerspruchsverfahren eine Einheit. Es kommt nämlich nicht auf die Zahl der Widersprüche an, sondern darauf, ob diese unterschiedliche Angelegenheiten betreffen. Hier liegt aber nur eine Angelegenheit vor. Nach § 15 Abs. 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) kann ein Rechtsanwalt Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Dieselbe Angelegenheit i. S. von § 15 Abs. 2 S. 1 RVG ist gegeben, wenn ein einheitlicher Auftrag, ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit und ein innerer Zusammenhang zwischen den verschiedenen Gegenständen vorliegt.
Dies ist hier für beide Widerspruchsverfahren der Fall. Das dem gerichtlichen Verfahren vorausgehende, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienende Widerspruchsverfahren und der Streit, wer für die Kosten dieses Verfahrens aufkommen muss, können nicht getrennt werden. Gebühren fallen nur einmal an. Das bedeutet, dass sämtliche Gebühren nur einheitlich für die Vertretung im Verfahren über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 2. Dezember 2020 („erstes Widerspruchsverfahren“) und für die in dem Widerspruch gegen die Kostenentscheidung zu genau diesem Widerspruchsverfahren („Kostenwiderspruchsverfahren“) in Ansatz gebracht werden können. Dies gilt auch unabhängig von der Frage, ob der Widerspruch gegen die Kostenentscheidung überhaupt statthaft war und auch unbeschadet der Tatsache, dass über die Kosten des Widerspruchsverfahrens gesondert und nicht in einem Widerspruchsbescheid entschieden worden ist.
Durch den Sachausspruch des Gerichts in der Hauptsache zu den Kosten des Vorverfahrens nach § 63 SGB X ist deshalb über dessen Kosten und über die gesamte gebührenrechtliche Angelegenheit einschließlich des „Kostenvorverfahrens“ vollständig entschieden worden. In der Kostentscheidung war mangels zusätzlich zu regelnder gebührenrechtlicher Angelegenheit im Vorverfahren ausschließlich über die außergerichtlichen Kosten der Klage zu entscheiden. Überraschend kann die Kostenentscheidung des Gerichts für einen versierten Beteiligten unter diesen Gegebenheiten nicht gekommen sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Mit der Ablehnung der Beschwerde wird das angegriffene Urteil rechtskräftig, § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG.