L 16 R 580/22

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 17 R 242/22
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 580/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gründe

 

I.

 

Zwischen den Beteiligten ist die rentenrechtliche Bewertung der vom Kläger vom 4. November 1975 bis zum 29. April 1977 im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten des Wehrdienstes streitig.

 

Die Beklagte bewilligte dem 1956 geborenen Kläger ab dem 1. November 2020 Altersrente für besonders langjährig Versicherte (Bescheid vom 26. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2022). Dabei berücksichtigte sie die Pflichtbeitragszeiten für den im Beitrittsgebiet zurückgelegten Wehrdienst ausgehend von 0,75 Entgeltpunkten (EP) Ost für jedes volle Kalenderjahr anteilig für den Zeitraum des Wehrdienstes.

 

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Bewertung der Grundwehrdienstzeit mit 1,0 EP jährlich. Der Rentenbescheid der Beklagten unter Anwendung der Vorschrift des § 256a Abs. 4 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar. Ein in seiner Person liegender Grund für die vorgenommene unterschiedliche rentenrechtliche Bewertung von Grundwehrdienstzeiten zwischen dem Gebiet der „alten“ Bundesrepublik und dem Beitrittsgebiet sei für die Zeit bis einschließlich 31. Dezember 1981 nicht ersichtlich. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. Oktober 2022). Die Beklagte habe bei der Rentenberechnung die Grundwehrdienstzeiten des Klägers mit den zutreffenden EP (Ost) berücksichtigt und bewertet. Nach § 256a Abs. 4 SGB VI seien für Zeiten vor dem 1. Januar 1992, in denen Personen aufgrund gesetzlicher Pflicht mehr als drei Tage Wehrdienst oder Zivildienst im Beitrittsgebiet geleistet hätten, für jedes volle Kalenderjahr 0,75 EP, für jeden Teilzeitraum der entsprechende Anteil zugrunde zu legen. Diese Vorschrift verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da vorliegend für die unterschiedliche Bewertung des Grundwehrdienstes in den alten Bundesländern und im Beitrittsgebiet ein sachlicher Grund gegeben sei. Denn im Beitrittsgebiet seien während des Wehrdienstes keine Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt worden, während in den alten Bundesländern eine Abgabe von Beiträgen an die jeweiligen Rentenversicherungsträger erfolgt sei.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter; auf die Berufungsschrift vom 11. November 2022 wird Bezug genommen.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Oktober 2022 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 26. März 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2022 zu verurteilen, ihm unter Bewertung seiner Grundwehrdienstzeiten mit einem Entgeltpunkt (Ost) pro Kalenderjahr höhere Altersrente zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt.

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das angefochtene Urteil und ihren Bescheid für rechtmäßig.

 

II.

 

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung des Klägers durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl. § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

 

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 26. März 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2022, soweit dieser zur gerichtlichen Prüfung gestellt worden ist, nicht beschwert. Ihm steht ein Anspruch auf Bewilligung höherer Altersrente nicht zu. Insbesondere die verfolgte Bewertung der vom Kläger vom 4. November 1975 bis zum 29. April 1977 im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten des Wehrdienstes mit (jährlich) 1,0 EP (Ost) gemäß § 256 Abs. 3 S. 1 2. Alt. SGB VI kommt nicht in Betracht, da der Kläger nicht vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst ist. Da er seinen Wehrdienst im Beitrittsgebiet zurückgelegt hat, richtet sich die Bewertung seiner Wehrdienstzeiten nach der insoweit spezialgesetzlichen Regelung des § 256a Abs. 4 SGB VI, wonach für Zeiten vor dem 1. Januar 1992 für jedes volle Kalenderjahr 0,75 EP und für jeden Teilzeitraum der entsprechende Anteil zugrunde zu legen sind.

 

Die von § 256 Abs. 3 S. 1 SGB VI abweichende Bewertung der Wehrdienstzeiten im Beitrittsgebiet in § 256a Abs. 4 SGB VI verstößt nicht gegen das GG, insbesondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Anders als der Kläger meint, sind dem Gesetzgeber Differenzierungen nicht verboten. Vielmehr ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschluss vom 8. Juli 2021 – 1 BvR 2237/14 – juris). Hier besteht die Ausgangslage für eine sachgerechte Differenzierung darin, dass im Beitrittsgebiet der Wehrsold nicht der Beitragspflicht in der Sozialversicherung unterlag und der Dienst lediglich rentenrechtlich einer versicherungspflichtigen Tätigkeit gleichstand (§ 3 Abs. 2 Ziff. 2b der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung <Rentenverordnung> vom 23. November 1979, GBL I Nr 38 S 401). Demgegenüber wurden in der (alten) Bundesrepublik für Wehrpflichtige Versicherungsbeiträge vom Bund bezahlt, wobei zum 1. Januar 1982 das zu berücksichtigende Bruttoarbeitsentgelt auf 75 % des jeweiligen durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts aller Versicherten und ab dem 1. Januar 1983 auf 70 % abgesenkt wurde. An diese Unterschiede hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Vorschrift des § 256 Abs. 4 SGB VI angeknüpft. Insoweit ist auf die Gesetzesbegründung zum Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) zu § 256a Abs. 4 SGB VI zu verweisen, wonach eine Übertragung von im alten Bundesgebiet aufgrund tatsächlicher Beitragszahlung bestehenden unterschiedlichen Werten auf das Beitrittsgebiet mangels entsprechender Regelungen nicht angezeigt gewesen sei (vgl für das Vorstehende Diel in jurisPK-SGB VI, 3. Aufl. 2021, § 256a SGB VI Rn 214 mwN). Damit hat der Gesetzgeber trotz gänzlich fehlender Rentenbeitragszahlung im Beitrittsgebiet gleichwohl überhaupt EP für im Beitrittsgebiet zurückgelegte Wehrdienstzeiten berücksichtigt. Eine Benachteiligung der Wehrdienstleistenden im Beitrittsgebiet liegt deshalb nicht vor (vgl gleichlautend Landessozialgericht <LSG> Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15. August 2022 – L 3 R 108/22 – juris; Sächsisches LSG, Urteile vom 12. April 2022 – L 4 R 453/20 und L 4 R 157/21 – juris; vgl auch Bundessozialgericht, Beschlüsse vom 28. April 2022 – B 5 R 29/22 B – und vom 30. Mai 2022 – B 5 R 89/22 B und B 5 R 93/22 B – juris).

 

 Anders als der Kläger unter Berufung auf den heimatbezogenen Diskriminierungsschutz nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG meint, wird er auch nicht wegen seiner Heimat oder Herkunft benachteiligt. Durch den Wohnsitz oder den ständigen Aufenthalt in einem vor der Wiedervereinigung bestehenden Teil Deutschlands wird die Heimat eines Menschen nicht bestimmt (vgl BVerfG, Urteil vom 14. März 2000 – 1 BvR 284/96 – juris). § 256a SGB VI knüpft tatbestandlich auch nicht unmittelbar an das Merkmal der Heimat im Sinne der örtlichen Herkunft nach Geburt oder Ansässigkeit an, sondern lediglich mittelbar über den Ort, an dem der Wehrdienst abgeleistet wurde. Das Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West konnte nicht ohne unmittelbare und mittelbare Wirkungen speziell für die dort beheimateten Bürger verfolgt werden (vgl BVerfG, Beschluss vom 12. März 2003 – 2 BvR 709/99 – juris - Rn 43). Dies liegt ersichtlich nicht innerhalb des Regelungsbereichs des speziellen Diskriminierungsverbots des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, sondern bleibt dem Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes zugeordnet (vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 12. April 2022 – L 4 R 453/20 – juris - Rn 17 mwN).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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