L 5 KR 3726/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 2096/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 3726/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Ein Versicherter, der ohne die Voraussetzungen der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner zu erfüllen, ausschließlich eine gesetzliche Rente aus Deutschland erhält, in Polen wohnt und vor der Verlegung seines Wohnsitzes nach Polen in Deutschland Leistungen nach dem SGB II bezog, erfüllt die Voraussetzungen der Auffangpflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29.07.2016 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Bescheid vom 17.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2015 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger in der Zeit vom 01.06.2014 bis zum 31.07.2017 der
(Auffang-)Versicherungspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung unterlag.

Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.



 

Tatbestand


Die Beteiligten streiten (noch) über das Bestehen einer (Auffang-)Versicherungspflicht des Klägers in der Kranken- und Pflegeversicherung in der Zeit vom 01.06.2014 bis 31.07.2017.

Der 1949 geborene Kläger, deutscher Staatsangehöriger, war bis zum 31.12.2008 als Bezieher von Arbeitslosengeld II versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Zum 01.01.2009 verlegte der Kläger seinen Wohnsitz nach P. Dort geht er keiner abhängigen oder selbständigen Tätigkeit nach. Seither bestand nach Angaben des Klägers auch keine anderweitige Krankenversicherung.

Auf seinen Rentenantrag vom 21.02.2014 hin bezieht der Kläger seit dem 01.06.2014 eine (Regel-)Altersrente in Höhe von monatlich 738,04 € (Stand 01.07.2016). Ein Zuschuss zu den Aufwendungen für eine freiwillige oder private Krankenversicherung wird nicht gewährt. Weitere Renten- oder Sozialleistungen werden nach Angaben des Klägers nicht bezogen.

Mit Bescheid vom 20.10.2014 lehnte die Beklagte zu 1) die Versicherungsplicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) und der Pflegeversicherung ab, da der Kläger die erforderlichen Vorversicherungszeiten nicht erfülle.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 27.10.2014 Widerspruch. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (<BSG>, Urteil vom 20.03.2013 - B 12 KR 8/10 R -, in juris) und des Europäischen Gerichtshofs (<EuGH>, Urteil vom 14.10.2010 - C-345/09 -, in juris) habe die Beklagte ihm zu Unrecht Versicherungsschutz verweigert.

Mit Schreiben vom 05.11.2014 erläuterte die Beklagte dem Kläger ausführlich die Voraussetzungen für eine Versicherung in der KVdR. Um als Rentner pflichtversichert zu werden, müsse er in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens 90 Prozent gesetzliche Versicherungszeiten nachweisen können. Der Kläger habe u.a. für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis 31.10.2013 keine Nachweise über eine gesetzliche Versicherung vorgelegt. Sofern der Kläger innerhalb dieses Zeitraums in P gesetzlich versichert gewesen sei, seien entsprechende Nachweise der polnischen Krankenkasse vorzulegen. Der Kläger solle mitteilen, ob sich sein Widerspruch vom 27.10.2014 damit erledigt habe.

Mit Schreiben vom 28.11.2014 erhob der Kläger auch hiergegen Widerspruch und beantragte im Verlauf des weiteren Schriftverkehrs die Aufnahme in die Versicherung nach den Regelungen des § 5 Abs. 1 Nr. 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Zur Begründung führte er in seinem Schreiben vom 09.02.2014 aus, jeder Bürger der Bundesrepublik Deutschland habe ein durchsetzbares Recht auf eine Versicherung im Krankheitsfall. Dieser Anspruch dürfe nicht vom Wohnort innerhalb der EU abhängig gemacht werden. Er sei nach wie vor Mitglied der Beklagten. Von einem Austritt oder einem Wechsel zu einer anderen Krankenkasse könne nicht ausgegangen werden.

Mit Bescheid vom 17.03.2015 lehnte die Beklagte zu 1) die Durchführung einer Auffangversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ab.
Die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erstrecke sich nach § 3 Abs. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) auf alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs haben. Da der Kläger seinen Wohnsitz in P habe, werde er von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nicht erfasst. Das zitierte Urteil des BSG befasse sich mit einer Auffangversicherung für eine Versicherte, die ihren Wohnsitz in Deutschland habe. Demgegenüber habe der Kläger seinen Wohnsitz nicht in Deutschland. Deshalb könne das Urteil auf sein Anliegen nicht übertragen werden. Das zitierte Urteil des EuGH beziehe sich darauf, dass bei einem Verzug in einen Vertragsstaat die Versicherung in Deutschland grundsätzlich nicht ende, sondern im Rahmen des zwischenstaatlichen Rechts auch im Vertragsstaat weiter bestehe. Da jedoch beim Kläger beim Verzug nach P keine Krankenversicherung bestanden habe, könne auch diese Regelung auf ihn nicht übertragen werden.

Hiergegen erhob der Kläger mit am 13.04.2015 bei der Beklagten zu 1) eingegangenem Schreiben vom 07.04.2015 erneut Widerspruch. Zur Begründung führte der Kläger mit Schreiben vom 23.04.2015 im Wesentlichen aus, die Beklagte setze sich über „Grundsatzurteile des EuGH“ und „Verordnungen" des Parlaments der EU hinweg. Jeder Bürger der Bundesrepublik Deutschland habe ein durchsetzbares Recht auf eine Versicherung im Krankheitsfall. Dieser Anspruch dürfe nicht vom Wohnort innerhalb der EU abhängig gemacht werden. Dem Gemeinschaftsrecht komme Vorrang gegenüber den Regelungen des deutschen Sozialversicherungsrechts zu. Aus der einschlägigen Bestimmung in Artikel 28 EG (VO) 1408/71 folge, dass deutsche Rechtsvorschriften anzuwenden seien und für ihn Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V eintrete.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.07.2015 wies die Beklagte zu 1) - ausdrücklich auch im Namen der Beklagten zu 2) - den Widerspruch des Klägers zurück. Begründend führte sie aus, der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V unterliege, wer zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen sei und keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall habe. Die Vorschriften über die Versicherungspflicht oder Versicherungsberechtigung würden für alle Personen mit Wohnsitz im Geltungsbereich des Gesetzes gelten. Der Kläger sei bis zum 31.01.2009 versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten gewesen und wohne mittlerweile in P. Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V könne für den Kläger nicht eintreten, da er keinen Wohnsitz im Geltungsbereich des Gesetzes habe. Nach den vorliegenden Unterlagen habe der Kläger seinen Wohnsitz bereits zum 01.01.2009 nach P verlegt. Selbst wenn der Wohnort zu einem späteren Zeitpunkt nach P verlegt worden und zunächst Versicherungspflicht eingetreten wäre, hätte diese mit der Verlegung des Wohnsitzes nach § 190 Abs. 13 SGB V wieder geendet. Aus den Bestimmungen der Verordnungen EG (VO) 1408/71 sowie EG (VO) 883/2004 ergebe sich nicht, dass für Personen, die im EU-Ausland wohnten, Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V eintreten könne. Für die Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 1 Nr. 12 Elftes Buch Sozialgesetzbuch <SGB XI>) gelte dies entsprechend.  

Hiergegen hat der Kläger am 27.08.2015 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Zur Begründung hat er seinen bisherigen Vortrag wiederholend ausgeführt, dass er keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall habe. Er sei ausschließlich bei den Beklagten versichert gewesen. Unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des EuGH und des BSG stehe ihm aus Artikel 28 EG (VO) 1408/71 gegenüber den Beklagten ein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Sachleistungen im Krankheitsfall zu.

Die Beklagten sind der Klage unter Wiederholung ihres bisherigen Vortrags und Verweis auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid entgegengetreten. Ergänzend haben sie ausgeführt, die vom Kläger aufgezeigten Regelungen des europäischen Rechts seien nicht anwendbar, da sie das Vorliegen von Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner voraussetzten. Diese trete hingegen nicht ein, da die erforderliche Vorversicherungszeit nicht nachgewiesen sei.

Der GKV-Spitzenverband hat durch die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland (DVKA) auf Anfrage des SG mit Schreiben vom 19.07.2016 mitgeteilt, dass der Kläger mit Bewilligung der deutschen Rente auch bei Wohnsitz im EU-Ausland den deutschen Rechtsvorschriften unterliege. Da der Kläger zuletzt in Deutschland gesetzlich krankenversichert gewesen sei, sei mit Rentenbeginn eine Versicherung bei einer deutschen gesetzlichen Krankenkasse nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V möglich.

Mit Urteil vom 29.07.2016 hat das SG die als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässige Klage abgewiesen. Neben der Beklagten zu 1) sei auch die Beklagte zu 2) Beteiligte des Verfahrens. Die vom Kläger begehrte Feststellung der (Auffang-)Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V habe nämlich die Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung zur Folge (vgl. § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 12 SGB XI). Der Widerspruchsbescheid sei auch im Namen beider Beklagten ergangen. Der Bescheid vom 17.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2015 sei allerdings rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger unterliege seit dem 01.06.2014 nicht der (Auffang-)Versicherungspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V seien versicherungspflichtig Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall hätten und a) zuletzt gesetzlich krankenversichert oder b) bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert gewesen seien, es sei denn, dass sie zu den in § 5 Abs. 5 SGB V oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V genannten Personen gehörten oder bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätten.
Nach § 3 Nr. 2 SGB IV gälten die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung, soweit sie eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit nicht voraussetzten, für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs hätten. Die Mitgliedschaft der in § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V genannten Personen ende mit Ablauf des Vortages, an dem der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt in einen anderen Staat verlegt werde (§ 190 Abs. 13 S. 1 Nr. 2 SGB V). Bereits der Wortlaut der tatbestandlichen Voraussetzungen „zuletzt gesetzlich krankenversichert" in § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V deute darauf hin, dass der Gesetzgeber einen Krankenversicherungstatbestand im Rahmen des SGB V und damit des im Sozialgesetzbuch geltenden Territorialprinzips (§ 3 SGB IV) im Inland gemeint habe (unter Verweis auf Landessozialgericht <LSG> Saarland, Urteil vom 16.07.2014 - L 2 KR 50/11). Der Kläger wohne und lebe seit dem Jahr 2009 in P und die hier einschlägigen Vorschriften über den Geltungsbereich des SGB (§ 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch <SGB I>) sowie die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung des § 3 Nr. 2 SGB IV griffen bei einem Wohnsitz im Ausland grundsätzlich nicht ein (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 16.06.1999 - B 1 KR 5/98 R). Allein aus der Sicht des deutschen Rechts führe die Aufgabe des Wohnsitzes im Inland zur Beendigung der Mitgliedschaft in der Krankenversicherung (BSG, Urteil vom 16.06.1999, a.a.O.; so auch BSG, Urteil vom 05.07.2005 - B 1 KR 4/04 R). Das Territorialitätsprinzip beschränke die Anwendung des nationalen Rechts grundsätzlich auf das entsprechende Staatsgebiet und lasse eine Weitergeltung dieses Rechts nicht zu, wenn kein aktueller Bezug zum jeweiligen Staatsgebiet (mehr) gegeben sei. § 6 SGB IV modifiziere und ergänze diese Vorschriften für Sachverhalte mit grenzüberschreitendem Charakter, indem er den Anwendungsbefehl für über- und zwischenstaatliches Recht gebe. Bei der Frage der Bestimmung des anzuwendenden Rechts habe das zwischen- und überstaatliche Recht Vorrang vor den Kollisionsregeln der §§ 2 bis 5 SGB IV. § 6 SGB IV regele die Auswirkungen zwischen- und überstaatlichen Rechts auf die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung in der deutschen Sozialversicherung im Sinne der §§ 1 und 2 SGB IV. Die Frage der Leistungsberechtigung sei von dieser Vorschrift nicht erfasst. Für die Ansprüche auf Sozialleistungen seien die allgemeinere Vorschrift des § 30 Abs. 2 SGB I und vor allem die besonderen Vorschriften der einzelnen Sozialversicherungszweige anzuwenden. Nachdem der Kläger bereits seit dem Jahr 2009 seinen gewöhnlichen Wohnsitz nach P verlegt habe, komme die Anwendung der EG (VO) 1408/71 sowie der EG (VO) 883/2004 (in Kraft getreten gemäß Art. 91 am 01.05.2010 mit dem Inkrafttreten der Durchführungsverordnung Nr. 987/2009) in Betracht. Art. 13 Abs. 2 Buchstabe f EG (VO) 1408/71 bestimme: Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmten, gelte Folgendes: Eine Person, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates nicht weiterhin unterliege, ohne dass die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaates gemäß einer der Vorschriften in den vorhergehenden Buchstaben oder einer der Ausnahmen bzw. Sonderregelungen der Artikel 14 bis 17 auf sie anwendbar seien, unterliege den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates, in dessen Gebiet sie wohne, nach Maßgabe allein dieser Rechtsvorschriften. An Stelle des Art. 13 Abs. 2 Buchstabe f EG (VO) 1408/71 sei Art. 11 Abs. 3 Buchstabe e EG (VO) 883/2004 getreten. Aus beiden Regelungen ergebe sich für Personen, die - wie der Kläger - endgültig jede Berufstätigkeit aufgegeben hätten, der Vorrang der Zuständigkeit des Wohnsitzstaates (zu Art. 13 Abs. 2 Buchstabe f EG (VO) 1408/71 BSG, Urteil vom 20.03.2013 - B 12 KR 8/10 R).
Deutschland sei damit nicht zuständiger Mitgliedstaat im Sinne der vorgenannten Vorschriften, da auf den Kläger als ansonsten wirtschaftlich inaktivem Bezieher einer deutschen Rente das Wohnstaatsprinzip Anwendung finde (so auch Hessisches LSG, Beschluss vom 19.07.2011 - L 1 KR 180/11 B ER; vgl. zum Vorrang der Zuständigkeit des Wohnsitzstaates beim Bezieher einer polnischen Rente mit Wohnsitz in Deutschland auch LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29.07.2014 - L 5 KR 109/14 B ER). Art. 17a EG (VO) 1408/71 und Art. 16 Abs. 2 EG (VO) 883/2004 setzten in der vorliegenden Konstellation die vorrangige Anwendung der Rechtsvorschriften des Wohnstaates ausdrücklich voraus. Wohne hiernach eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhalte, in einem anderen Mitgliedstaat, so könne sie auf Antrag von der Anwendung der Rechtsvorschriften des letzteren Staates freigestellt werden, sofern sie diesen Rechtsvorschriften nicht aufgrund der Ausübung einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit unterliege. Für die hier in Streit stehende Frage des anzuwendenden Rechts werde der kollisionsrechtliche Vorrang des Wohn(mitglied)staates auch nicht durch die Art. 28 EG (VO) 1408/71 bzw. Art. 24 EG (VO) 883/2004 aufgehoben. Art. 13 Abs. 2 Buchstabe f EG (VO) 1408/71 und Art. 11 Abs. 3 Buchstabe e EG (VO) 883/2004 fänden sich jeweils unter Titel II (Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften). Gemäß Art. 11 Abs. 1 S. 1 EG (VO) 883/2004 unterlägen Personen, für die diese Verordnung gelte, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies seien, bestimme sich nach Titel II der Verordnung (Art. 11 Abs. 1 S. 2 EG (VO) 883/2004). Die Art. 28 EG (VO) 1408/71 und Art. 24 EG (VO) 883/2004 fänden sich jeweils unter Titel III (Besondere Vorschriften über die einzelnen Leistungsarten). Art. 24 EG (VO) 883/2004 schreibe den Grundsatz des Art. 28 EG (VO) 1408/71 fort, wonach eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats oder mehrerer Mitgliedstaaten erhalte und die keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats habe, dennoch Sachleistungen für sich selbst (und ihre Familienangehörigen) erhalte, sofern nach den Rechtsvorschriften des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaats oder zumindest eines der für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaaten Anspruch auf Sachleistungen bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat wohne. Diese Sachleistungen würden vom Träger des Wohnorts für Rechnung des in Art. 24 Abs. 2 EG (VO) 883/2004 genannten Trägers erbracht, als ob die betreffende Person Anspruch auf Rente und Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats hätte. Art. 28 EG (VO) 1408/71 und Art. 24 EGV 883/2004 seien Ausprägung des europarechtlichen Grundsatzes der Tatbestandsgleichstellung. Habe nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaates der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen, so müsse dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse so berücksichtigen, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären (Art. 5 Buchstabe b EG (VO) 883/2004). Art. 5 EG (VO) 883/2004 fingiere den Eintritt des Sachverhalts oder Ereignisses im Inland. Die Anwendung der hier in Rede stehenden Sachverhaltsgleichstellung hinsichtlich des Wohnortes sei nicht auf das Leistungsrecht beschränkt. Auch der Zugang zur Versicherung im Sinne der Begründung des Statusverhältnisses unterliege im Regelfall dem Grundsatz der Tatbestandsgleichstellung (unter Verweis auf Hauschild in: Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, Art. 5 Rand-Nr. 16). Das koordinierende Sozialrecht setze die Tatbestandsgleichstellung auch beim Versicherungsverhältnis voraus, wenn z.B. in Art. 30 EG (VO) 883/2004 klarstellend die Beitragserhebung auf ausländische Renten im Rahmen der Krankenversicherung ermöglicht bzw. begrenzt werde (so Hessisches LSG, Beschluss vom 19.07.2011 - L 1 KR 180/11 B ER). Damit würde der Wohnort des Klägers für das Eintreten von Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V in der Tat keine Rolle spielen, sofern nach den Koordinierungsregelungen vorliegend die deutschen Rechtsvorschriften Anwendung fänden. Allerdings könne gemäß Erwägungsgrund Nr. 11 der EG (VO) 883/2004 die Gleichstellung von Sachverhalten oder Ereignissen, die in einem Mitgliedstaat eingetreten seien, in keinem Fall bewirken, dass ein anderer Mitgliedstaat zuständig werde oder dessen Rechtsvorschriften anwendbar würden. Wenn die Tatbestandsgleichstellung durch die Rechtsfolge im nationalen Recht koordinierungsrechtlich zugleich zur Folge hätte, dass ein anderer Mitgliedstaat zuständig werden würde, läge nämlich gleichsam ein Zirkelschluss vor. Es widerspräche dem an der „objektiven Lage“ orientierten kollisionsrechtlichen Vorrang des Wohn(mitglied)staates, sofern sich vorliegend über die Regelungen der Tatbestandsgleichstellung die Frage der Versicherungspflicht nach deutschen Rechtsvorschriften richten würde. Daher sei die Klage abzuweisen.

Gegen das ihm am 19.08.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 06.09.2016 Berufung zum LSG Baden-Württemberg erhoben, die zunächst unter dem Aktenzeichen L 5 KR 3351/16 geführt worden ist.

Um die Frage zu klären, ob der Kläger aufgrund einer Änderung des § 5 Abs. 2 SGB V mit Wirkung zum 01.08.2017 Anspruch auf Aufnahme in die KVdR habe, wurde das Verfahren mit Beschluss vom 26.09.2018 zum Ruhen gebracht. Die Beklagten haben das Verfahren, das ab diesem Zeitpunkt unter dem Aktenzeichen L 5 KR 3726/19 geführt wird, am 31.10.2019
wieder angerufen und mitgeteilt, dass durch die gesetzliche Neuregelung zum 01.08.2017 die Voraussetzungen für die KVdR beim Kläger erfüllt seien (Bescheid vom 07.11.2018). Der Kläger werde nunmehr rückwirkend ab 01.08.2017 bei der Beklagten zu 1) als Mitglied in der Krankenversicherung der Rentner geführt.

Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger wiederholend und teilweise vertiefend aus, bereits aus der Stellungnahme der
DVKA vom 19.07.2016 ergebe sich, dass eine Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V seit Antragstellung hätte durchgeführt werden müssen. Das SG habe dies im Rahmen seiner Entscheidung nicht berücksichtigt. Gleichwohl sei diese Rechtsauffassung durch die ergänzende Stellungnahme der DVKA im Rahmen des Berufungsverfahrens (Schreiben vom 29.03.2018 siehe unten) bestätigt worden. Ihm stehe ein Anspruch auf „Sachleistungen im Krankheitsfall“ auch am derzeitigen Wohnort in P zu. Maßgeblich sei insofern, welcher Staat ihm eine Rente zahle. Mit dem Bezug von Altersruhegeld sei ein Rentner automatisch Pflichtmitglied in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Deutschland.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29.07.2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2015 aufzuheben und festzustellen, dass er in der Zeit vom 01.06.2014 bis zum 31.07.2017 der (Auffang-)Versicherungspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung unterlag.

Die Beklagten beantragen,

            die Berufung zurückzuweisen.


Die Beklagten halten das Urteil des SG für zutreffend. Der Kläger unterliege seit dem 01.06.2014 nicht der (Auffang-)Versicherungspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung. Entgegen der Auffassung des Klägers habe sich das SG ausführlich in seinem Urteil mit den von der DVKA genannten Vorschriften auseinandergesetzt. Es ergebe sich im Falle des Klägers, der seine Berufstätigkeit aufgegeben habe, der Vorrang der Zuständigkeit des Wohnsitzstaates. Für die im Streit stehende Frage des anzuwendenden Rechts werde der kollisionsrechtliche Vorrang des Wohn(mitglied)staates auch nicht durch Art. 28 EG (VO) 1408/71 bzw. Art. 24 EG (VO) 883/2004 aufgehoben. Dafür spreche vor allem der Erwägungsgrund Nr. 11 der EG (VO) 883/2004, wonach die Gleichstellung von Sachverhalten oder Ereignissen, die in einem Mitgliedstaat eingetreten seien, in keinem Fall bewirken dürften, dass ein anderer Mitgliedstaat zuständig werde oder dessen Rechtsvorschriften anwendbar würden.

Mit Schreiben vom 29.03.2018 hat die DVAK auf Anfrage des Senats mitgeteilt, mit der in Art. 24 Abs. 1 EG (VO) 883/04 beschriebenen Voraussetzung „keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats hat“ könnten nur Sachleistungsansprüche aufgrund einer Vorrangversicherung im Wohnmitgliedstaat gemeint sein. Vorrangversicherungen in diesem Zusammenhang könnten beispielweise solche aufgrund einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit sein. Laut den Angaben im vorliegenden Sachverhalt lägen keine Anhaltspunkte für eine Vorrangversicherung vor. Eine sogenannte Wohnortversicherung, wie sie bei Mitgliedstaaten mit Nationalen Gesundheitsdiensten - z. B. Vereinigtes Königreich, Italien, Finnland - üblich seien, stellten keine Vorrangversicherung im Sinne des Art. 24 Abs. 1 EG (VO) 883/04 dar. Dies ergebe sich im Umkehrschluss bereits aus Art. 25 EG (VO) 883/04.


Hinsichtlich des weiteren Vorbringens und weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die beigezogene Akte der Beklagten und die Gerichtsakten Bezug genommen.




Entscheidungsgründe

1. Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, Berufungsausschließungsgründe gemäß § 144 SGG liegen nicht vor.

2. Streitgegenstand ist der Bescheid vom 17.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2015.
Damit steht lediglich im Streit, ob die Feststellung der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V in der Zeit vom 01.06.2014 bis 31.07.2017 von den Beklagten zu Recht abgelehnt wurde. Demgegenüber ist nicht Streitgegenstand der Bescheid der Beklagten zu 1) vom 07.11.2018, mit dem diese dem Widerspruch des Klägers teilweise abgeholfen hat und die Versicherungspflicht des Klägers in der KVdR nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V ab 01.08.2017 festgestellt hat. Hieraus resultierende Beitragsforderungen der Beklagten gegenüber dem Kläger sind ebenfalls nicht streitgegenständlich.

3. Die Berufung des Klägers ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, soweit dem Kläger für den Zeitraum vom 01.06.2014 bis zum 31.07.2017 das Vorliegen einer (Auffang-)Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung versagt wurde. Insoweit ist der Bescheid vom 17.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2015 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Ab dem 01.08.2017 bestand demgegenüber Versicherungspflicht in der KVdR. Dies hat die Beklagte zu 1) mit Bescheid vom 07.11.2018 festgestellt. Insoweit hat sich der Rechtsstreit während des Berufungsverfahrens erledigt; der Kläger hat sein Begehren entsprechend beschränkt.

Der Kläger war im Zeitraum vom 01.06.2014 bis 31.07.2017 in der GKV nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V versicherungspflichtig (dazu a), weil er alle Voraussetzungen dieses Versicherungspflichttatbestandes erfüllte (dazu b); insbesondere war die Auffang-Versicherungspflicht nicht aufgrund eines "anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall" nach polnischem Recht tatbestandlich ausgeschlossen (dazu c).

a) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V (mit Wirkung vom 01.04.2007 eingeführt durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG - vom 26.03.2007, BGBl. I 378) sind seit 01.04.2007 in der GKV versicherungspflichtig Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert (Buchst a) oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn, sie gehören zu den in § 5 Abs. 5 SGB V genannten hauptberuflich Selbständigen oder zu den nach § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V versicherungsfreien Personen oder hätten bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland zu ihnen gehört (Buchst b). Gemäß § 5 Abs. 8a SGB V ist nach Absatz 1 Nr. 13 nicht versicherungspflichtig, wer nach Absatz 1 Nr. 1 bis 12 versicherungspflichtig, freiwilliges Mitglied oder nach § 10 versichert ist (Satz 1); Satz 1 gilt entsprechend für Empfänger laufender Leistungen u.a. nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des Zwölften Buches (Satz 2). § 186 Abs. 11 SGB V regelt den Beginn der Mitgliedschaft bei Personen, die nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V versicherungspflichtig sind. Nach Satz 1 beginnt deren Mitgliedschaft mit dem ersten Tag ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall im Inland. Satz 3 legt fest, dass die Mitgliedschaft für Personen, die am 01.04.2007 keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben, an diesem Tage beginnt.
Die Mitgliedschaft der in § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V genannten Personen endet mit Ablauf des Vortages, an dem der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt in einen anderen Staat verlegt wird (§ 190 Abs. 13 S. 1 Nr. 2 SGB V).

b) Der Kläger macht erst ab 01.06.2014 das Vorliegen der Voraussetzungen der Krankenversicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V geltend. Die Beklagte hat hierüber auch erst ab diesem Zeitpunkt entschieden. Der Senat kann daher nicht über eine eventuell früher eingetretene (Auffang-)Versicherungspflicht entscheiden. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zumindest ab dem 01.06.2014 (bis 31.07.2017).

Der Kläger war i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst a SGB V zuletzt - bis 31.12.2008 als Bezieher von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) - gesetzlich krankenversichert.

Auch war eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V im streitgegenständlichen Zeitraum nicht nach § 5 Abs. 8a S. 1 SGB V wegen einer Krankenversicherungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 12 SGB V tatbestandlich ausgeschlossen; insbesondere bestand - mangels Erfüllung des Erfordernisses der Vorversicherungszeit - im Zeitraum vom 01.06.2014 bis zum 31.07.2017 keine Versicherungspflicht des Klägers als Rentner unter den besonderen Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V. Danach sind versicherungspflichtig Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 versichert waren. Diese Voraussetzungen hat der Kläger nicht erfüllt, denn der Kläger war seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit am 01.04.1964 bis zur Stellung des Rentenantrags am 21.02.2014 nicht mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung oder nach § 10 SGB V familienversichert. In dieser Zeit hätte er gesetzliche Versicherungszeiten von 22 Jahren, 4 Monaten und 18 Tagen nachweisen müssen. Wegen nachweislicher Lücken im Versicherungsverlauf vom 14.04.1993 bis 31.10.2013 waren lediglich 19 Jahre, 8 Monate und 24 Tage an gesetzlichen Versicherungszeiten in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens zu berücksichtigen. Eine Anrechnung von drei Jahren für jedes Kind sah die damalige Gesetzeslage noch nicht vor (s. § 5 Abs. 2 Satz 3 SGB V in der ab dem 01.08.2017 gültigen Fassung). Der Kläger erfüllte schließlich auch nicht die den Tatbestand des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ausschließende Voraussetzung des "Empfangs" laufender Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

c) Der Kläger verfügte auch nicht über einen „anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall“. Ein "anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall" - und damit ein Ausschluss der Krankenversicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V - ergibt sich vor allem nicht unter Hinweis auf einen potentiellen Krankenversicherungsschutz des Klägers im Wohn(mitglied)staat P.

Zwar zählen zu solchen Ansprüchen auf Absicherung im Krankheitsfall grundsätzlich auch Leistungsansprüche gegen ausländische Krankenversicherungen bzw. Ansprüche auf Sachleistungen aufgrund über- und zwischenstaatlichen Rechts (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2013 - B 12 KR 14/11 R -, in juris). Jedoch kann der Kläger in Bezug auf seine (deutsche) Krankenversicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V auf einen einschlägigen Krankenversicherungsschutz nach polnischem Recht (als vermeintlich vorrangig) nicht verwiesen werden. Denn ein solcher Anspruch stand ihm nicht zu.

Insoweit hat das SG zwar zutreffend ausgeführt, dass der Wortlaut der tatbestandlichen Voraussetzungen „zuletzt gesetzlich krankenversichert" in § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V darauf hinweist, dass der Gesetzgeber einen Krankenversicherungstatbestand im Rahmen des SGB V und damit des im Sozialgesetzbuch geltenden Territorialprinzips (§ 3 SGB IV) im Inland gemeint hat (vgl. hierzu LSG Saarland, Urteil vom 16.07.2014 - L 2 KR 50/11 -, in juris). Der Kläger wohnt und lebt aber seit 01.01.2009 in P und die hier einschlägigen Vorschriften über den Geltungsbereich des SGB (§ 30 Abs. 1 SGB I) sowie die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung des § 3 Nr. 2 SGB IV greifen bei einem Wohnsitz im Ausland grundsätzlich nicht ein (BSG, Urteil vom 16.06.1999 - B 1 KR 5/98 R -, in juris). Allein aus der Sicht des deutschen Rechts führt die Aufgabe des Wohnsitzes im Inland zur Beendigung der Mitgliedschaft in der Krankenversicherung (BSG, Urteil vom 16.06.1999 - B 1 KR 5/98 R -, in juris; Urteil vom 05.07.2005 - B 1 KR 4/04 R -, in juris). Das Territorialitätsprinzip beschränkt die Anwendung des nationalen Rechts grundsätzlich auf das entsprechende Staatsgebiet und lässt eine Weitergeltung dieses Rechts nicht zu, wenn kein aktueller Bezug zum jeweiligen Staatsgebiet (mehr) gegeben ist.

Ebenfalls zutreffend hat das SG weiter ausgeführt, dass § 6 SGB IV diese Vorschriften für Sachverhalte mit grenzüberschreitendem Charakter modifiziert und ergänzt, indem er den Anwendungsbefehl für über- und zwischenstaatliches Recht gibt. Bei der Frage der Bestimmung des anzuwendenden Rechts hat das zwischen- und überstaatliche Recht Vorrang vor den Kollisionsregeln der §§ 2 bis 5 SGB IV. § 6 SGB IV regelt die Auswirkungen zwischen- und überstaatlichen Rechts auf die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung in der deutschen Sozialversicherung im Sinne der §§ 1 und 2 SGB IV. Die Frage der Leistungsberechtigung ist von dieser Vorschrift nicht erfasst. Für die Ansprüche auf Sozialleistungen sind die allgemeinere Vorschrift des § 30 Abs. 2 SGB I und vor allem die besonderen Vorschriften der einzelnen Sozialversicherungszweige anzuwenden (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 6, Rn. 8/9).

Nachdem der Kläger bereits seit dem Jahr 2009 seinen gewöhnlichen Wohnsitz nach P verlegt hat, kommt insoweit die Anwendung der EG (VO) 1408/71 sowie der EG (VO) 883/2004 (in Kraft getreten gemäß Art. 91 am 01.05.2010 mit dem Inkrafttreten der Durchführungsverordnung Nr. 987/2009) in Betracht. Art. 13 Abs. 2 Buchstabe f EG (VO) 1408/71 bestimmt: Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt Folgendes: Eine Person, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates nicht weiterhin unterliegt, ohne dass die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaates gemäß einer der Vorschriften in den vorhergehenden Buchstaben oder einer der Ausnahmen bzw. Sonderregelungen der Artikel 14 bis 17 auf sie anwendbar sind, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates, in dessen Gebiet sie wohnt, nach Maßgabe allein dieser Rechtsvorschriften. An Stelle des Art. 13 Abs. 2 Buchstabe f EG (VO) 1408/71 ist Art. 11 Abs. 3 Buchstabe e EG (VO) 883/2004 getreten. Aus beiden Regelungen ergibt sich für Personen, die - wie der Kläger -  endgültig jede Berufstätigkeit aufgegeben haben, der Vorrang der Zuständigkeit des Wohnsitzstaates (zu Art. 13 Abs. 2 Buchstabe f EG (VO) 1408/71 BSG, Urteil vom 20.03.2013 - B 12 KR 8/10 R -, in juris). 

Deutschland ist damit prinzipiell nicht zuständiger Mitgliedstaat im Sinne der vorgenannten Vorschriften, da auf den Kläger als ansonsten wirtschaftlich inaktivem Bezieher einer deutschen Rente das Wohnstaatsprinzip Anwendung findet (vgl. hierzu auch Hessisches LSG, Beschluss vom 19.07.2011 - L 1 KR 180/11 B ER; vgl. zum Vorrang der Zuständigkeit des Wohnsitzstaates beim Bezieher einer polnischen Rente mit Wohnsitz in Deutschland auch LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29.07.2014 - L 5 KR 109/14 B ER -, in juris). Art. 17a EG (VO) 1408/71 und Art. 16 Abs. 2 EG (VO) 883/2004 setzen in der vorliegenden Konstellation die vorrangige Anwendung der Rechtsvorschriften des Wohnstaates ausdrücklich voraus. Wohnt hiernach eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält, in einem anderen Mitgliedstaat, so kann sie auf Antrag von der Anwendung der Rechtsvorschriften des letzteren Staates freigestellt werden, sofern sie diesen Rechtsvorschriften nicht aufgrund der Ausübung einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit unterliegt.

Allerdings wird – entgegen der Auffassung des SG – der kollisionsrechtliche Vorrang des Wohn(mitglied)staates (hier: P) durch die Art. 28 EG (VO) 1408/71 bzw. Art. 24 EG (VO) 883/2004 aufgehoben.

Art. 28 Abs. 1 EG (VO) 1408/71 lautete: (1) Ein Rentner, der nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zum Bezug einer Rente oder nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten zum Bezug von Renten berechtigt ist und keinen Anspruch auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats hat, in dessen Gebiet er wohnt, erhält dennoch diese Leistungen für sich und seine Familienangehörigen, sofern – gegebenenfalls unter Berücksichtigung von Artikel 18 und Anhang VI – nach den Rechtsvorschriften des Staates, aufgrund deren die Rente geschuldet wird, oder zumindest eines der Mitgliedstaaten, nach deren Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, Anspruch auf Leistungen bestünde, wenn er im Gebiet des betreffenden Staates wohnte. Diese Leistungen werden wie folgt gewährt: (a) Die Sachleistungen gewährt der Träger des Wohnorts für Rechnung des in Absatz 2 bezeichneten Trägers, als ob der Rentner nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dessen Gebiet er wohnt, zum Bezug einer Rente berechtigt wäre und Anspruch auf Sachleistungen hätte; (b) die Geldleistungen gewährt gegebenenfalls der gemäß Absatz 2 bestimmte zuständige Träger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften. Im Einvernehmen zwischen dem zuständigen Träger und dem Träger des Wohnorts können diese Leistungen jedoch auch von diesem Träger nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für die Rechnung des zuständigen Trägers gewährt werden.

Art. 24 Abs. 1 EG (VO) 883/2004 lautet: Eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält und die keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates hat, erhält dennoch Sachleistungen für sich selbst und ihre Familienangehörigen, sofern nach den Rechtsvorschriften des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaates oder zumindest eines der für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaates Anspruch auf Sachleistungen bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat wohnte. Die Sachleistungen werden vom Träger des Wohnorts für Rechnung des in Absatz 2 genannten Trägers erbracht, als ob die betreffende Person Anspruch auf Rente und Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats hätte.

Art. 28 EG (VO) 1408/71 und Art. 24 EG (VO) 883/2004 sind Ausprägung des europarechtlichen Grundsatzes der Tatbestandsgleichstellung. Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaates der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen, so muss dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse so berücksichtigen, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären (Art. 5 Buchstabe b EG (VO) 883/2004). Art. 5 EG (VO) 883/2004 fingiert den Eintritt des Sachverhalts oder Ereignisses im Inland. Die Anwendung der hier in Rede stehenden Sachverhaltsgleichstellung hinsichtlich des Wohnortes ist nicht auf das Leistungsrecht beschränkt. Auch der Zugang zur Versicherung im Sinne der Begründung des Statusverhältnisses unterliegt im Regelfall dem Grundsatz der Tatbestandsgleichstellung (BSG, Urteil vom 20.03.2013 - B 12 KR 8/10 R -, in juris). Das koordinierende Sozialrecht setzt die Tatbestandsgleichstellung auch beim Versicherungsverhältnis voraus, wenn z.B. in Art. 30 EG (VO) 883/2004 klarstellend die Beitragserhebung auf ausländische Renten im Rahmen der Krankenversicherung ermöglicht bzw. begrenzt wird (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 19.07.2011 - L 1 KR 180/11 B ER -, in juris).

Dies zugrundegelegt ist P als Wohnort des Klägers für den Eintritt der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nicht mehr maßgeblich. Nach den Koordinierungsregelungen finden vorliegend die deutschen Rechtsvorschriften Anwendung.

Denn der Kläger, der nach deutschem Recht Rente bezieht, hat im Wohn(mitglied)staat P keinen Anspruch auf Sachleistungen. Dies entnimmt der Senat der Stellungnahme des GKV-Spitzenverbands (DAVK) vom 29.03.2018, der gemäß § 219a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V (auch) die Aufgabe hat, das anzuwendende über- und zwischenstaatliche Recht festzulegen. Darin führt dieser aus, mit der in Art. 24 Abs. 1 VO (EG) 883/04 beschriebenen Voraussetzung „keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats hat“ könnten lediglich Sachleistungsansprüche aufgrund einer Vorrangversicherung im Wohnmitgliedstaat gemeint sein. Vorrangversicherungen in diesem Zusammenhang könnten beispielweise solche aufgrund einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit sein. Laut den Angaben im vorliegenden Sachverhalt lägen keine Anhaltspunkte für eine Vorrangversicherung vor. Eine sogenannte Wohnortversicherung, wie sie bei Mitgliedstaaten mit Nationalen Gesundheitsdiensten - z. B. Vereinigtes Königreich, Italien, Finnland - üblich seien, stellten keine Vorrangversicherung im Sinne des Art. 24 Abs. 1 EG (VO) 883/04 dar. Dies ergebe sich im Umkehrschluss bereits aus Art. 25 EG (VO) 883/04. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung an.

Im Übrigen ist der GKV-Spitzenverband auch in seiner Stellungnahme vom 19.07.2016 zu dem Ergebnis gekommen, dass im vorliegenden Fall eine Versicherungspflicht des Klägers gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V grundsätzlich in Betracht kommt und nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil der Kläger seinen Wohnsitz nach P verlegt hat. Der GKV-Spitzenverband hat insoweit ausgeführt: „Da (der Kläger) … ausschließlich eine gesetzliche Rente aus Deutschland erhält und in P wohnt, sieht Art. 24 Abs. 1 EG (VO) 883/04 in diesem Fall vor, dass die Kosten für die in P erbrachten Sachleistungen vom Träger des Mitgliedstaats zu tragen sind, der für die Zahlung der Rente zuständig ist (hier: Deutschland). Demnach ist (der Kläger) in Deutschland zu versichern.
Hierbei spielt es keine Rolle, ob dies im Rahmen einer freiwilligen Versicherung (unter Berücksichtigung der polnischen Versicherungszeiten) erfolgt oder im Rahmen einer Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Die Beklagte führt aus, dass (der Kläger) in P wohnt und somit eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nicht in Frage kommt. Gem. Art. 5 EG (VO) 883/04 erfolgt hinsichtlich des Wohnorts eine Sachverhaltsgleichstellung. Dies bedeutet, dass der Wohnort in P dem Wohnort in Deutschland gleichgestellt wird. Somit spielt der Wohnort für die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V keine Rolle, sofern nach den Koordinierungsregelungen die deutschen Rechtsvorschriften Anwendung finden. … Bezogen auf den vorliegenden Sachverhalt bedeutet dies, dass (der Kläger) mit Bewilligung der deutschen Rente den deutschen Rechtsvorschriften unterliegt. Da er zuletzt in Deutschland gesetzlich krankenversichert war, wäre mit Rentenbeginn eine Krankenversicherung bei einer deutschen gesetzlichen Krankenkasse möglich.“ Der Senat schließt sich auch diesen Ausführungen nach eigener Prüfung an.

Im Ergebnis erfüllt der Kläger damit die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, was
- auch - die Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung zur Folge hat (vgl. § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 12 SGB XI).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

5. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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