I. Die Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung des Bescheids vom 09.10.2018 lediglich Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 50.192,88 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 8.439,- Euro zu fordern. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin und die Beklagte tragen je die Hälfte der Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 27.183,13 Euro festgesetzt.
T a t b e s t a n d :
Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Rentenversicherungsbeiträgen aus Arbeitslosengeld aus einer Betriebsprüfung der Beklagten bei der Klägerin für die Jahre 2016 und 2017.
Nach einer Schlussbesprechung (Anhörung) vom 08.08.2018 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 09.10.2018 gegenüber der Klägerin eine Beitragsforderung von 61.949,52 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen von 9.624,50 Euro für den Zeitraum 01.01.2016 bis 31.12.2017 fest. Sie stützte sich dabei auf Ermittlungen der Betriebsprüfung.
Die Klägerin nehme u.a. Rückrechnungen zu Unrecht vor beziehungsweise teilweise fehlende Beitragszahlungen zu Unrecht nicht vor, wenn Versicherten während des Bezugs von Arbeitslosengeld rückwirkend Altersrente bewilligt worden sei. Im Interesse der Versicherten werde durch die Klägerin bei Zuerkennung einer Altersrente erst mit Einsetzen der laufenden Rentenzahlung der Arbeitslosengeldbezug beendet. Da bis 31.12.2016 Rentenversicherungsfreiheit für Altersvollrentner bestand, wurden die für die Zeit ab Rentenbeginn aus dem Arbeitslosengeld gezahlten Rentenversicherungsbeiträge für diesen Personenkreis verrechnet bzw. rückgerechnet.
Seit dem 01.01.2017 besteht allerdings bei den sogenannten "vorgezogenen" Altersrenten (Altersrenten vor Erreichen der Regelaltersgrenze) auch dann keine Versicherungsfreiheit mehr, wenn die Rente als Vollrente gezahlt wird. Eine Verrechnung der Beiträge sei in diesen Fällen nicht mehr möglich.
Die Beklagte beruft sich hierbei auf die Rechtsprechung des BSG zu rückwirkend gewährten Erwerbsminderungsrenten, die analog anzuwenden sei. Der Versicherungsschutz müsse danach im jeweiligen Zeitpunkt klar erkennbar sein; rückwirkende Veränderungen seien grundsätzlich unbeachtlich (vgl. BSG vom 15.05.1984, Az.: 12 RK 7/83 und BSG vom 25.01.1995, Az.: 12 RK 51/93). Begründet habe das BSG die Besonderheit, von einem Vertrauensschutz in den Versicherungsschutz bei einer umfassenden Beitragsfreiheit absehen zu können, damit, dass der Anwartschaftserwerb durch Beitragsentrichtung mit rückwirkenden Beginn der Vollrente wegen Alters endgültig beendet sei. Durch die gesetzliche Neuregelung des § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI zum 01.01.2017 werde deutlich, dass der Anwartschaftserwerb bei einer Altersvollrente vor Ablauf des Monats, in dem die Regelaltersgrenze erreicht werde, gerade nicht endgültig beendet sei. Im Gegenteil sei es dem Gesetzgeber ein ausdrückliches Anliegen, den Erwerb weiterer Rentenanwartschaften zu ermöglichen. Damit sei es nicht zulässig, bei einer rückwirkenden Bewilligung einer Altersvollrente, die (noch) nicht zur Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI führe, den aufgrund des Entgeltersatzleistungsbezuges entstandenen Versicherungsschutz nachträglich entfallen zu lassen. In den 34 Fällen der Beigeladenen erfolgte daher die Rückrechnung bzw. fehlende Beitragszahlung zu Unrecht in Höhe von 24.745,63 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 2.437,50 Euro.
Säumniszuschläge würden ab dem jeweiligen Rückrechnungszeitpunkt bzw. dem Eintritt der Fälligkeit bis Juli 2018 gefordert, da ein Verschulden der Prüfstelle vorliege (außer im Einzelfall der Beigeladenen C.).
Zur Begründung der am 26.10.2018 erhobenen Klage führt die Klägerin an, die Verrechnung der Rentenversicherungsbeiträge für das Jahr 2017 sei durch sie zu Recht erfolgt, da für die Zeit ab Beginn einer (vorgezogenen) Altersrente Rentenversicherungsbeiträge auf Arbeitslosengeld nicht mehr zu entrichten seien.
Nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung waren versicherungsfrei zur gesetzlichen Rentenversicherung Personen, die eine Vollrente wegen Alters bezogen. War -etwa in Folge rückwirkender Zuerkennung einer Altersrente- Arbeitslosengeld auch für Zeiten nach Rentenbeginn geleistet worden, hat die Klägerin die darauf entrichteten RV-Beiträge wegen der RV-Freiheit wieder zurückgefordert.
Seit 01.01.2017 besteht nach dem Wortlaut von § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI Versicherungsfreiheit zur gesetzlichen Rentenversicherung wegen Bezug von Altersrente erst ab Erreichen der Regelaltersgrenze. Wurde Arbeitslosengeld über den Beginn einer vorgezogenen Altersrente hinaus geleistet, besteht nach dem Wortlaut somit keine RV-Freiheit mehr. Nach Auffassung der Klägerin sei jedoch weiterhin RV-Freiheit bei Bezug einer vorgezogenen Altersrente gegeben.
In den streitgegenständlichen Fällen wurde von der Beklagten jeweils rückwirkend eine vorgezogene Altersrente, Altersrente für schwerbehinderte Menschen bzw. Altersrente für besonders langjährige Versicherte zuerkannt. Die Klägerin hat daraufhin für den Zeitraum ab Rentenbeginn die auf das Arbeitslosengeld bereits entrichteten RV-Beiträge wieder aufgerechnet (abgesetzt) bzw. es wurden für die Zeit ab Rentenbeginn die RV-Beiträge erst gar nicht gezahlt.
Mit dem angefochtenen Prüfbescheid hat die Beklagte für das ab Rentenbeginn gezahlte Arbeitslosengeld RV-Beiträge festgesetzt und Säumniszuschläge erhoben.
Die Klägerin begründet die von ihr vertretene Rechtsauffassung wie folgt:
Nach der gesetzlichen Regelung in § 156 Abs. 1 Nr. 4 SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld während der Zeit, für die ein Anspruch auf Altersrente zuerkannt ist. Das Ruhen erfasst dabei den Zeitraum, für den die zum Ruhen führende Leistung bewilligt wird. Wird die Leistung für die Vergangenheit bewilligt, tritt das Ruhen des Anspruchs rückwirkend ein; auf den Zeitpunkt der Aufnahme der regelmäßigen Zahlungen bzw. den Zeitpunkt einer Nachzahlung kommt es nicht an (BSG Urt. v. 19.02.1986, Az.: 7 RAr 55/84). Ein zeitgleicher Bezug von Arbeitslosengeld und Altersrente ist damit gesetzlich nicht vorgesehen.
Allerdings bestehe der Zweck der Ruhensregelung darin, nicht nur Doppelleistungen auszuschließen, sondern auch nahtlose Leistungen verschiedener Sozialleistungsträger zu gewährleisten (BSG-Urt. v. 20.09.2001, Az.: B 11 AL 35/01 R). In Befolgung dieser Rechtsprechung gewährt die Klägerin deshalb über den Wortlaut der gesetzlichen Regelung hinaus das Arbeitslosengeld bis zum Einsetzen der laufenden Zahlung. Die auf das Arbeitslosengeld entrichteten RV-Beiträge fordert die Klägerin wegen Versicherungsfreiheit bei Rentenbezug (§ 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI - a. F.) im Wege der Aufrechnung zurück. Nach Auffassung der Klägerin sei diese Regelung in ihrer alten Fassung für die vorgenannte Fallgestaltung aus den nachfolgend genannten Gründen weiterhin anwendbar.
Mit dem Flexirentengesetz wurde § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI dahingehend geändert, dass Versicherungsfreiheit zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr schon bei Bezug einer Altersrente besteht, sondern bei Bezug einer vorgezogenen Altersrente erst ab Erreichen der Regelaltersgrenze.
Zielsetzung der Regelung zur vorgezogenen Altersrente war es, einen RV-pflichtigen Hinzuverdienst neben der vorgezogenen Altersrente zu ermöglichen und damit den Rentenanspruch zu erhöhen. In der Gesetzesbegründung ist hierzu ausgeführt (BT-Drs 18/9787 S. 23): "Derzeit sind Bezieherinnen und Bezieher einer Vollrente versicherungsfrei, selbst wenn sie die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht haben. Für die Zukunft sollen Beschäftigte und Selbstständige, die nach den allgemeinen Vorschriften versicherungspflichtig sind, vor Erreichen der Regelaltersgrenze auch beim Bezug einer Vollrente versicherungspflichtig bleiben." Die Regelung ziele damit eindeutig auf Beschäftigte und versicherungspflichtige Selbständige.
Ziel des Flexirentengesetzes sei es damit nicht, einen Rentenanspruch zu erhöhen, indem neben einer vorgezogenen Altersrente noch RV-pflichtiges Arbeitslosengeld bezogen werde. Vielmehr hat der Gesetzgeber die Regelung zum Ruhen des Arbeitslosengelds bei einem Anspruch auf Altersrente unverändert gelassen:
Bei einer vorgezogenen Altersrente ruht das Arbeitslosengeld in gleicher Weise wie bei einer normalen Altersrente, nämlich in vollem Umfang. Nach der gesetzlichen Regelung kann somit neben einer vorgezogenen Altersrente zwar Arbeitsentgelt bezogen werden, aber nicht Arbeitslosengeld.
Unterstrichen werde dies dadurch, dass Arbeitslosengeld bei der Regelung zum Hinzuverdienst (§ 34 SGB VI) nicht aufgeführt sei. Hierfür bestehe auch keinen Anlass. Denn einen zeitgleichen Bezug von Altersrente und Arbeitslosengeld gebe es nach der gesetzlichen Regelung nicht.
Durch die unveränderte Regelung zum Ruhen des Arbeitslosengeldes für Zeiten mit Anspruch auf Altersrente hatte der Gesetzgeber auch gar keine Möglichkeit, eine spezielle Regelung zur RV-Pflicht bei zeitgleichem Anspruch auf Arbeitslosengeld und vorgezogener Altersrente zu treffen. Mit einer diesbezüglichen Regelung hätte er eine Situation geregelt, die es von Gesetzes wegen nicht gibt. Der Gesetzgeber hätte sich damit selbst widersprochen.
Der Gesetzgeber habe damit übersehen, dass es -entgegen dem Gesetzeswortlaut- diese zeitliche Parallelität von Anspruch auf vorgezogene Altersrente und Arbeitslosengeld tatsächlich gibt. Er habe damit unbewusst eine Regelungslücke geschaffen, die nun entsprechend der Intention des Gesetzgebers zu schließen sei.
Diese Intention könne indes nicht anders gehen als dahin, den Bezug von Arbeitslosengeld für Zeiten eines Anspruchs auf Altersrente weiterhin RV-frei zu belassen. Der Regelung zum Hinzuverdienst sei vergleichsweise klar zu entnehmen, dass mit einer Entgeltersatzleistung neben einem Bezug von vorgezogener Altersrente der Rentenanspruch nicht erhöht werden könne.
Mit der Regelung zum Hinzuverdienst und der Regelung zur RV-Freiheit erst ab der Regelaltersgrenze soll es ermöglicht werden, neben der vorgezogenen Altersrente ein RV-pflichtiges Arbeitsentgelt zu erzielen, um den Rentenanspruch zu erhöhen. Ein Hinzuverdienst mindere zwar die vorgezogene Altersrente, erhöhe aber den Rentenanspruch. Die Berücksichtigung als Hinzuverdienst und der RV-Pflicht stünden damit in einem Abhängigkeitsverhältnis. Als Hinzuverdienst werde deshalb hauptsächlich Arbeitsentgelt berücksichtigt.
Arbeitslosengeld unterfalle hingegen nicht dem Begriff Hinzuverdienst zu einer vorgezogenen Altersrente und mindere eine vorgezogene Altersrente somit nicht. Es wäre deshalb inkonsequent, zwar Arbeitsentgelt als rentenmindernd zu berücksichtigen, ein das Arbeitsentgelt ersetzendes Arbeitslosengeld hingegen nicht. Diese Inkonsequenz werde jedoch dann aufgelöst, wenn das Arbeitslosengeld -anders als das Arbeitsentgelt- den Rentenanspruch nicht erhöhe. Wenn Arbeitslosengeld den Rentenanspruch nicht erhöhe, müsse es auch nicht als rentenmindernd berücksichtigt werden. Werde jedoch der Rentenanspruch durch einen Bezug von Arbeitslosengeld neben einer vorgezogenen Altersrente nicht erhöht, so bestehe auch kein Anlass, auf das Arbeitslosengeld RV-Beiträge zu entrichten.
Unterstrichen werde dieses Ergebnis bei einem Vergleich mit der Regelung zur Berücksichtigung von Arbeitslosengeld als Hinzuverdienst zu einer EM-Rente. Bei einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung werde Arbeitslosengeld als Hinzuverdienst berücksichtigt (§ 96a Abs. 3 Nr. 4 SGB VI i. V. m, § 18 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB IV). Ein zeitgleicher Bezug von EM-Rente und Arbeitslosengeld sei damit vom Gesetz als möglich vorgesehen. Es sei dann konsequent, dass das hinzuverdiente Arbeitslosengeld auch rentensteigernd berücksichtigt und damit RV-pflichtig werde.
Bei Bezug einer vorgezogenen Altersrente werde ein bezogenes Arbeitslosengeld jedoch nicht als Hinzuverdienst berücksichtigt. Der Bezug von Arbeitslosengeld neben einer vorgezogenen Altersrente könne deshalb nur RV-frei sein.
Zusammenfassend sei damit festzustellen, dass der zeitgleiche Anspruch von Arbeitslosengeld und Altersrente über den Wortlaut der gesetzlichen Regelung hinaus lediglich durch die sozialgerichtliche Rechtsprechung ermöglicht wurde. Der sozialgerichtlichen Rechtsprechung müsse es deshalb in gleicher Weise möglich sein, über den Wortlaut der gesetzlichen Regelung hinaus RV-Freiheit für das deshalb bezogene Arbeitslosengeld zu ermöglichen.
Mangels Beitragspflicht errechneten sich auch keine Säumniszuschläge.
Die Rückzahlungspflicht ergebe sich daraus, dass die geprüfte Dienststelle zeitgleich mit der Klageerhebung angewiesen worden sei, die geforderten Beiträge und Säumniszuschläge zu entrichten.
Die übrige Festsetzung der Nachzahlung von Beiträgen im Bescheid vom 09.10.2018 werde nicht angegriffen. Angegriffen werde nur die Festsetzung von RV-Beiträgen für die 34 Beigeladenen in Höhe von 24.745,63 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 2.437,50 Euro.
Die Klägerin beantragt zuletzt,
den Bescheid der Beklagten vom 09.10.2018 insoweit aufzuheben, als darin Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 24.745,63 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 2.437,50 Euro in den Einzelfällen der 34 Beigeladenen festgesetzt wurden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte erwidert zur Klagebegründung, dass bei rückwirkender Zubilligung einer Vollrente wegen Alters mit einem Rentenbeginn ab dem 1. Januar 2017 die Versicherungspflicht für den Bezug von Arbeitslosengeld rückwirkend mit Ablauf des Monats ende, in dem die Regelaltersgrenze erreicht wurde. Erst dann bestehe auch Versicherungsfreiheit (§ 5 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der Fassung ab 1. Januar 2017).
Durch das Gesetz zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz) wurde zum 1. Juli 2017 dem § 66 SGB VI der Abs. 3a angefügt. Danach werden Zuschläge an Entgeltpunkten aus Beiträgen nach Beginn einer Rente wegen Alters mit Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersgrenze und anschließend jährlich zum 1. Juli berücksichtigt. Für die jährliche Berücksichtigung zum 1. Juli sind die für das vergangene Kalenderjahr ermittelten Zuschläge maßgebend.
Zum 1. August 2004 wurde § 76d SGB VI neu in das Sozialgesetzbuch aufgenommen. Dieser regelt die Ermittlung von Zuschlägen an Entgeltpunkten aus Beiträgen nach Beginn einer Rente wegen Alters. Für die versicherungspflichtigen Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld nach Beginn einer Altersrente würden im vorliegenden Sachverhalt somit zusätzliche Entgeltpunkte ermittelt und nach § 66 Abs. 3a SGB VI mit Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersgrenze berücksichtigt werden. Die maßgeblichen Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges nach Rentenbeginn würden also nicht bereits der vorgezogenen Altersvollrente zu Grunde liegen. Sie würden allerdings bei Erreichen der Regelaltersgrenze berücksichtigt und führten dann zu einem höheren Rentenzahlbetrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Kammerberatung gewesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Klage, gerichtet auf die Aufhebung einer Nachforderung in Höhe von 27.183,13 Euro Rentenversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen, ist als Anfechtungsklage zulässig. Ein Vorverfahren war wegen § 78 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht notwendig.
In der Sache hat die Klage aber nur teilweise Erfolg.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten erweist sich bezüglich des angegriffenen Sachverhalts in Höhe von 12.988,99 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen von
1.252,- Euro als rechtmäßig, während 11.756,64 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen
von 1.185,50 Euro zu Unrecht gefordert worden sind. Insoweit ist der Bescheid vom 09.10.2018 rechtswidrig und war aufzuheben.
Die Beklagte fordert zu Recht teilweise Rentenversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge nach, weil die Klägerin in den Jahren 2017 und 2018 abgeführte Rentenversicherungsbeiträge für Zeiträume, denen eine Leistungsgewährung von Arbeitslosengeld zugrunde lag, rechtswidrig verrechnet hat. Die Verrechnungen hätten nicht vorgenommen werden dürfen, weshalb die Beklagte Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 12.988,99 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen von 1.252,- Euro zu Recht nachfordert.
Die Beklagte ist nach §§ 212, 212a SGB VI für die Prüfung der Beitragszahlungen der Klägerin für die nach § 3 S. 1 Nr. 3 SGB VI als sonstige Versicherte bei den Rentenversicherungsträgern gesetzlich Rentenversicherten zuständig und in Verbindung mit den für die Einzugsstellen geltenden Vorschriften befugt, die festgestellte Beitragsdifferenz durch Verwaltungsakt gegenüber der Klägerin geltend zu machen.
Die Nachforderung der von der Klägerin verrechneten und damit erstatteten zu Unrecht entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nach § 26 Abs. 2 SGB IV durch die Beklagte erfolgte zu Recht. Die Klägerin verrechnet, nachdem von der Beklagten rückwirkend eine Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze bewilligt worden ist, die für die Versicherten bereits gezahlten Rentenversicherungsbeiträge ab Rentenbeginn mit anderen fälligen Rentenversicherungsbeiträgen für andere Versicherte. Es erfolgte keine Prüfung der Beklagten, ob diese Beiträge zu Recht gezahlt worden sind, was eine Erstattung ausschließt nach § 26 Abs. 2 SGB IV. Das Verfahren nach § 26 SGB IV sieht, u.a. neben einer Erstattung von Amts wegen vor, dass eine Anmeldung der zu Unrecht geleisteten Beiträge bei den Rentenversicherungsträgern zu erfolgen hat. Diese prüfen dann die Voraussetzungen einer Erstattung und führen gegebenenfalls eine solche durch. Eine davon abweichende mögliche Vereinbarung zwischen den Beteiligten wurde bisher für Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslosengeld bei gleichzeitigem Bezug von Altersrenten seit Inkrafttreten des Flexirentengesetzes zum 01.01.2017 nicht getroffen.
Nach Ansicht der Kammer besteht kein Erstattungsanspruch der Klägerin nach
§ 26 Abs. 2 SGB IV, weil die gezahlten Rentenversicherungsbeiträge nicht zu Unrecht entrichtet worden sind. Die Beitragspflicht ergibt sich aus der Versicherungspflicht. Die Beigeladenen als Arbeitslosengeldbezieher sind nach § 3 S. 1 Nr. 3 SGB VI als sonstige Versicherte rentenversicherungspflichtig. Die Beitragszahlung erfolgte damit zunächst rechtmäßig durch die Klägerin.
Die nachträgliche und rückwirkende Gewährung der Altersrenten hat die Versicherungs- und Beitragspflicht in der Rentenversicherung nicht rückwirkend aufgehoben und damit unrechtmäßig gemacht. Die Formulierung "zu Unrecht entrichtete Beiträge" bezieht die Rechtswidrigkeit der Beitragszahlung auf den Zeitpunkt der Beitragsentrichtung. Zu diesem Zeitpunkt war die Beitragszahlung aber rechtmäßig aus den oben genannten Gründen. Wegen einer nachträglichen Änderung der Rechtslage können Beitragserstattungen deswegen nicht verlangt werden. Dies gilt selbst dann, wenn die Änderung der Rechtslage rückwirkend erfolgt.
Entscheidend für die Erstattung ist, dass die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, d.h. dass eine formale oder materiell-rechtliche Rechtsgrundlage z.Zt. der Beitragserbringung nicht bestand. Dies wird z.B. beim Vorliegen eines Verwaltungsaktes (formale Rechtsgrundlage) dadurch erreicht, dass er fristgerecht angefochten wird oder die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgt (§ 44 SGB X).
Im vorliegenden Fall sind die Rentenversicherungsbeiträge auf das Arbeitslosengeld rechtmäßig gezahlt worden und danach erst ist durch Bewilligung der Altersrente durch die Ruhensregelung des § 156 Abs. 1 Nr. 4 SGB III der Rechtsgrund für die Zahlung von Arbeitslosengeld und für die Rentenversicherungsbetragspflicht hierauf entfallen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann aus Vertrauensschutzgründen für den Versicherten der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit nur der Zeitpunkt der Beitragszahlung sein (so zuletzt BSG v. 31.03.2015 - B 12 AL 4/13 R - SozR 4-2400 § 27 Nr. 6 m.w.N.; vgl. außerdem BSG v. 25.01.1995 - 12 RK 51/93 - SozR 3-2400 § 26 Nr. 6; BSG v. 30.06.1997 - 8 RKn 3/96 - SozR 3-2400 § 26 Nr. 8; BSG v. 11.10.2001 - B 12 KR 11/01 R - SozR 3-2400 § 26 Nr. 13).
Nur mit dieser Ansicht wird Rechtssicherheit in die Beitragszahlung gebracht. Eine Beitragserstattung auf Grund nachträglicher Rechtsänderung scheidet vor allem dann aus, wenn damit rückwirkend in das Versicherungsverhältnis eingegriffen wird. Seit der Änderung zum 01.01.2017 endet die Versicherungspflicht für Bezieher einer Altersrente erst mit Ablauf des Monats, in dem die Regelaltersgrenze erreicht wird. Erst dann besteht auch Versicherungsfreiheit (§ 5 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der Fassung ab 01.01.2017). Die Regelungen der §§ 66 Abs. 3a, 76d SGB VI führen zu einer Erhöhung der Rente durch die streitigen gezahlten Beiträge. Danach führen auch Beiträge wegen Entgeltersatzleistungen wie Arbeitslosengeld oder Krankengeld zur Steigerung der späteren Rente. Diese Anwartschaft würde durch Rückforderung der Beiträge durch die Klägerin wieder verloren gehen. Aus Vertrauensschutzgründen können zunächst zu Recht entrichtete Beiträge nicht durch rückwirkende Änderung zu unrechtmäßigen Beiträgen werden, die erstattet werden müssen. Die Ausnahme, dass auf Vertrauensschutz verzichtet werden kann, liegt nicht vor. Dies begründete das BSG für den Fall, dass die Beiträge die Rente nicht mehr erhöhen können. Dann bedürfe es keines Vertrauensschutzes, da kein Eingriff in Anwartschaften bestehen könne. Dies war der Fall, als noch mit Bezug der Altersrente Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung eintrat. Die Beklagte meint, dies sei jetzt auch noch der Fall, da bei den Hinzuverdienstregelungen das Arbeitslosengeld nicht aufgeführt sei. Die Regelungen zu Errechnung der Entgeltpunkte sind aber klar geregelt und ergeben über §§ 66 Abs. 3a, 76d SGB VI, dass die RV-Beiträge auf das Arbeitslosengeld eine spätere Rente erhöhen. Hierzu bedarf es keiner Auslegung der Hinzuverdienstregelungen des § 34 SGB VI, weil es klar geregelt ist. Die Auslegung der Beklagten würde die Rentenhöhe der Beigeladenen verkürzen. Dies kann aus Vertrauensschutzgründen nicht sein. Beiträge die zunächst rechtmäßig entrichtet worden sind und die Rente erhöhen, müssen aus Vertrauensschutzgründen im Rentenkonto verbleiben.
Daraus ergibt sich nun, das die Rentenversicherungsbeiträge zum Zeitpunkt der Entrichtung nicht zu Unrecht geleistet worden sind, da ein materiell-rechtlicher Anspruch darauf bestand nach § 3 S. 1 Nr. 3 SGB VI wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld und der daraus resultierenden Beitragspflicht. Aus Vertrauensschutzgründen ändert daran auch ein rückwirkendes Entfallen der materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlage nichts. Ein Erstattungsanspruch nach §§ 26 Abs. 2 SGB IV ist damit nicht gegeben.
§ 26 Absatz 2 SGB IV ist eine spezialgesetzliche Konkretisierung des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches (Schwerdtfeger in: SGB-SozVers-GesKomm, SGB IV, § 26 Anm. 1f.; Udsching in: Hauck/Noftz, SGB IV, § 26 Rn. 1), so dass ein weiterer Erstattungsanspruch nicht ersichtlich ist.
Da die Regelungen zur Entgeltberechnung bereits älter sind und die Neuregelung zur Versicherungsfreiheit erst ab Erreichen der Regelaltersgrenze klar geregelt ist, was
auch die Beklagte zugibt, lag auch eine verschuldete Kenntnis der Beklagten von der
Beitragspflicht vor, weshalb auch Säumniszuschläge verlangt werden müssen
§ 25 Abs. 2 SGB IV.
Insoweit war die Klage abzuweisen.
Anders sieht es mit der Forderung der Beklagten auf Zahlung für bisher nicht gezahlte Rentenversicherungsbeiträge wegen Arbeitslosengeldbezug aus. Insoweit ist die Klage erfolgreich und der Bescheid vom 09.10.2018 aufzuheben, soweit hierfür 11.756,64 Euro an Rentenversicherungsbeträgen zuzüglich 1.185,50 Euro Säumniszuschlägen gefordert wurden. Insoweit war die Klage erfolgreich.
Hier fordert die Beklagte die Entrichtung von Beiträgen. Wie oben festgestellt, ergibt sich die Beitragspflicht aus der Versicherungspflicht. Die Beigeladenen als Arbeitslosengeldbezieher sind nach § 3 S. 1 Nr. 3 SGB VI als sonstige Versicherte rentenversicherungspflichtig. Nachdem nun aber die Klägerin durch Mitteilung von der Bewilligung der Altersrente Kenntnis erlangt hat, hat sie zwar wegen des Gedankens der Nahtlosigkeit noch bis zum Beginn der laufenden Zahlung der Altersrente das Arbeitslosengeld weitergezahlt, aber bereits keine Rentenversicherungsbeiträge mehr an die Beklagte hierfür abgeführt.
Der materiell-rechtliche Anspruch für die Zahlung von Arbeitslosengeld I und für die Rentenversicherungsbeitragspflicht hieraus folgend, ist wegen der Ruhensregelung des § 156 Abs. 1 Nr. 4 SGB III zum Zeitpunkt der Altersrentengewährung entfallen. Es handelt sich hier aber um keine rückwirkende Wirkung, die aus Vertrauensschutzgründen einer anderen Bewertung bedürfte. (Beispielhaft: Der Versicherte bezieht seit 01.01.2018 Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 05.01.2019 wird Altersrente ab 01.01.2019 bewilligt.
Die laufende Zahlung beginnt zum 01.02.2019. Die Agentur für Arbeit erfährt davon am 06.01.2019, weshalb sie wegen des Gedankens der Nahtlosigkeit zwar für Januar 2019 noch Arbeitslosengeld zahlt, für Januar 2019 aber keine Rentenversicherungsbeiträge mehr abführt.) Damit besteht wegen des Ruhens keine Versicherungspflicht und damit auch keine Beitragspflicht mehr.
An diesem Ergebnis ändern auch Vertrauensschutzgesichtspunkte nichts. Das Vertrauen des Versicherten könnte in der Zahlung des Arbeitslosengeldes bestehen. Er könnte darauf vertrauen, dass dann auch wie bisher hierauf Beiträge abgeführt werden. Dem stehen nach Ansicht der Kammer aber folgende Erwägungen entgegen. Ein Vertrauen kann nur durch gezahlte Beiträge entstehen, nicht durch Leistungen allein, die eine Beitragspflicht begründen könnten. So reicht die Lohnzahlung eines Arbeitgebers nicht für eine Beitragspflicht, falls keine Gegenleistung des Arbeitnehmers für die Lohnzahlung erfolgt, da kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis entstanden ist.
Zudem ist zu beachten, dass mit Gewährung der Altersrente durch Bescheid der Beklagten die Ruhensvorschrift des § 156 Abs. 1 Nr. 4 SGB III greift, so dass ab nun eine Beitragsentrichtung rechtswidrig werden würde; und zwar auch zum Zeitpunkt der Entrichtung, weshalb ein Erstattungsanspruch nach § 26 Abs. 2 SGB IV bestehen würde. Vertrauensschutzgesichtspunkte greifen hier aus den oben genannten Gründen nicht. Wenn nun aber die Zahlung der Beiträge, die zu Unrecht entrichtet worden wären, zurückgefordert werden könnte, kann die bloße Zahlung von Arbeitslosengeld kein Vertrauen des Versicherten auslösen. Es würden sonst Beiträge gezahlt, die wieder erstattet werden müssten nach § 26 Abs. 2 SGB IV.
Schließlich ist zu beachten, dass auch der Versicherte den Altersrentenbescheid erhalten hat und weiß oder wissen muss, dass er keinen Anspruch auf beide Leistungen parallel hat und somit keinen Anspruch mehr auf eine Beitragszahlung auf Arbeitslosengeld hat, sobald sein Altersrentenanspruch feststeht.
Im Ergebnis kann die Beklagte nach Ansicht der Kammer keine Rentenversicherungsbeiträge fordern, die nicht mehr gezahlt worden sind, weil die RV-Beitragsforderung keine materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage mehr hat.
Folglich sind hier auch keine Säumniszuschläge zu entrichten. Insoweit war die Klage erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG i. V. m. § 154 Absatz 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Nach § 52 Absatz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) ist der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, so richtet sich die Höhe des Streitwerts gemäß § 52 Absatz 3 GKG nach der Höhe dieser Geldleistung.
Im vorliegenden Rechtsstreit sind Rentenversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge auf Rentenversicherungsbeiträge für 34 Versicherte (Beigeladene) streitig, mithin eine Forderung von insgesamt 27.183,13 Euro.