S 13 KA 6/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 KA 6/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

  I.    Die Klage wird abgewiesen.

II.    Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 9).


T a t b e s t a n d :


Die Beteiligten streiten im Rahmen einer aktiven Konkurrentenklage um die Vergabe eines hälftigen Vertragsarztsitzes für die Arztgruppe der Urologen im Planungsbereich Landkreis N. nach Teilentsperrung.

Die 1986 geborene Beigeladene zu 8) ist seit 12.01.2012 approbiert und seit 09.10.2017 mit Zusatzweiterbildung medikamentöse Tumortherapie seit 20.02.2018. Seit Januar 2018 ist sie als Sicherstellungsassistentin bei der Klägerin beschäftigt.

Der 1961 geborene Beigeladene zu 9) ist seit 01.07.1991 approbiert und seit 09.11.1995 Facharzt für Urologie. Er verfügt über die Zusatzweiterbildung medikamentöse Tumortherapie (17.06.2009) sowie über die fakultative Weiterbildung spezielle urologische Chirurgie (23.06.1997) und Fachkunde im Rettungsdienst gemäß RettDGes der Länder (12.03.1997). Seit 01.09.2001 ist der Beigeladene zu 9) urologische Chefarzt am Klinikum  Ne..

Mit Beschluss vom 13.12.2019 stellte der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Bayern fest, dass im Planungsbereich Landkreis N. für die Arztgruppe der Urologen keine Überversorgung mehr besteht und neue Zulassungen bzw. entsprechend Anstellungsgenehmigungen im Umfang von 0,5 Versorgungsaufträgen erteilt werden dürfen.

Innerhalb der vom Landesausschuss gesetzten Frist (28.02.2020) gingen mehrere Bewerbungen ein, u.a. der Klägerin (üBAG in der Rechtsform einer GbR mit Sitz in A-Stadt, belegärztlich operativ tätig im Krankenhaus L.) auf Anstellung der Beigeladenen zu 8), , mit einem Tätigkeitsumfang von 20 Wochenstunden ab 01.07.2020 am Vertragsarztsitz A-Straße in A-Stadt.

Außerdem bewarb sich der Beigeladenen zu 9), Facharzt für Urologie, auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung ab 01.09.2020 am Vertragsarztsitz in A.. Unter 3. des Zulassungsantrags hatte der Beigeladene zu 9) angegeben, dass derzeit ein Dienst-/Beschäftigungsverhältnis als Urologe beim Klinikum Ne. bestehe, das - ohne Datumsangabe - auf 27,5 Stunden pro Woche reduziert werde. Die weiter ankreuzbare Option "Die angegebene Tätigkeit wird beendet zum ..." hatte der Beigeladene zu 9) nicht ausgefüllt. Mit Schreiben vom 13.03.2020 wurde der Beigeladene zu 9) noch um Vorlage einer Nebentätigkeitsgenehmigung bis 27.03.2020 gebeten.

Der Beigeladene zu 9) übersandte mit Schreiben vom 25.03.2020 die geforderte Nebentätigkeitsgenehmigung seines Arbeitgebers und wies darauf hin, dass sein Dienstvertrag im Klinikum Ne. so ausgelegt sei, dass neben der Tätigkeit für das Klinikum auch in ausreichendem Umfang Zeit für die vertragsärztliche Tätigkeit zur Verfügung stehen werde. Unter dem Vorbehalt der mit der Corona-Pandemie zusammenhängenden Unwägbarkeiten sei eine Tätigkeitsaufnahme für den 01.10.2020 vorgesehen. Die vorgesehenen Praxisräumlichkeiten seien barrierefrei.

Mit Beschluss des Zulassungsausschusses Ärzte M. (ZA) vom 10.06.2020 wurde der Beigeladene zu 9) als Facharzt für Urologie in A., mit hälftigem Versorgungsauftrag zur vertragsärztlichen Tätigkeit zugelassen; die Anträge der übrigen Bewerber wurden abgelehnt. Im Hinblick auf die berufliche Eignung erscheine der Beigeladene zu 9) als der am besten geeignete Bewerber, da er zusätzlich über die Fachkunde Rettungsdienst und die Weiterbildung spezielle urologische Chirurgie verfüge. Das Kriterium des geplanten Niederlassungsortes im Hinblick auf die bestmögliche Versorgung der Versicherten spreche zugunsten des Beigeladenen zu 9), da A. urologisch schlechter versorgt sei als die geplanten Niederlassungsorte der Mitbewerber. Auch die günstige Verkehrsanbindung von A., die einen zusätzlichen Patientenzustrom erwarten lasse, lasse A. als besonders geeigneten Niederlassungsort erscheinen. Im Hinblick auf die Dauer der ärztlichen Tätigkeit nach Abschluss der Weiterbildung sah der ZA den Beigeladenen zu 9) gegenüber der Beigeladenen zu 8) ebenfalls im Vorteil. Demgegenüber maß der ZA der Tatsache, dass der Beigeladene zu 9), anders als die anderen Bewerber, nicht in die Warteliste eingetragen war, keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Gegen diese Entscheidung des ZA legte die Klägerin am 06.08.2020 (mit Schriftsatz vom 04.08.2020) Widerspruch ein und begründete diesen eingehend mit Schriftsätzen vom 04.08.2020, 04.12.2020 und 10.12.2020, auf die verwiesen wird.

Demgegenüber beantragte der Bevollmächtigte des Beigeladenen zu 9) mit ausführlicher Begründung (siehe Schriftsätze vom 16.10.2020 und 09.12.2020), den Widerspruch zurückzuweisen. Er teilte insbesondere (mit entsprechendem Nachweis) mit, dass der Beigeladene zu 9) mit Datum vom 10.06.2020 in die Warteliste aufgenommen worden sei. Es wurde eine Ergänzungsvereinbarung zum Dienstvertrag zwischen den Klinikum Ne. und dem Beigeladenen zu 9) vom 17.09.2020 vorgelegt, wonach für den Fall der Bestandskraft der Teilzulassung des Beigeladenen zu 9) zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung als Urologe ab dem Zeitpunkt der Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit dessen dienstvertragliche Tätigkeitsverpflichtung auf 26 Stunden pro Woche im Klinikum beschränkt werde. Außerdem wurde eine Erklärung des Dr. K., des bisher einzigen niedergelassenen Urologen in A., vom 24.09.2020 vorgelegt, wonach seine Praxis ausgelastet und mit erheblichen Wartezeiten belastet sei, weshalb er das Vorhaben des Beigeladenen zu 9) bezüglich seiner Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung unterstütze und sich bereit erklärt habe, dem Beigeladenen zu 9) eine eigenständige niedergelassene Tätigkeit in seinen Praxisräumlichkeiten zu ermöglichen.

Mit Beschluss des Beklagten vom 15.12.2020, ausgefertigt als Bescheid vom 24.02.2021, wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Beschluss des ZA vom 10.06.2020 und den Antrag auf Genehmigung zur Beschäftigung der Beigeladenen zu 8) als angestellte Ärztin mit einer Tätigkeitsumfang von 20 Wochenstunden zurück und ließ den Beigeladenen zu 9) als Facharzt für Urologie für den Vertragsarztsitz in A. zur vertragsärztlichen Tätigkeit im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrags zu. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen Folgendes aus:

Nachdem kein weiterer abgelehnter Bewerber der Entscheidung des ZA vom 10.06.2020 widersprochen habe, beschränke sich die Auswahlentscheidung im Widerspruchsverfahren nunmehr auf die Anträge der Klägerin und des Beigeladenen zu 9).

Der Beigeladene zu 9) sei in die Auswahlentscheidung miteinzubeziehen. Die Nachreichung der Mitteilung, dass die zukünftigen Praxisräume barrierefrei seien, sei hierbei nicht hinderlich, da es sich nicht um ein Kriterium des § 18 Ärzte-ZV handele. Für die Vollständigkeit der fristgemäß eingereichten Antragsunterlagen reiche es, dass der Beigeladene zu 9) im Antragsformular angegeben habe, zum 01.09.2020 mit Herrn Dr.  K. eine Praxisgemeinschaft gründen zu wollen. Auf Seite 4 des Antragsformulars stehe, dass die derzeitige Tätigkeit am Klinikum Ne. auf 27,5 Stunden reduziert werde. Dies genüge für die Vollständigkeit der Unterlagen. Es sei davon auszugehen, dass die Reduzierung der Tätigkeit am Klinikum mit vertragsärztlicher Tätigkeitsaufnahme erfolgen solle. Unschädlich sei weiter, dass der Beigeladene zu 9) im Antragsformular nicht angegeben habe, wann er die Tätigkeiten Klinikum Ne. reduzieren werde. Denn gefragt worden sei unter 3. Zulassungsvoraussetzungen - übereinstimmend mit § 18 Abs. 2 Nr. 4 Ärzte-ZV - nur nach dem Zeitpunkt der Beendigung der Tätigkeit, die vorliegend aber nicht im Raum stehe. Weitere Details, insbesondere die genauen Praxiskonzepte, müssten nicht innerhalb der Bewerbungsfrist eingehen.

Der Antrag des Beigeladenen zu 9) sei auch nicht rechtsmissbräuchlich. Die Tätigkeit solle laut Antragsformular am 01.09.2020 aufgenommen werden. Unabhängig davon, dass die ZA-Sitzung auf Juni verschoben worden sei, sei darauf hinzuweisen, dass die ursprüngliche Sitzung am 29.04.2020 hätte stattfinden sollen. Da die Tätigkeitaufnahme drei Monate nach Zustellung des ZA-Beschlusses, nicht etwa nach Entscheidung des ZA, erfolgen müsse und die Zustellung grundsätzlich gut einen Monat in Anspruch nehme, sei die (geplante) Tätigkeitsaufnahme am 01.09.2020 nicht zu beanstanden.

Im Falle einer Entsperrung sei unter mehreren Bewerbern nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Kriterien gemäß § 26 Abs. 4 Nr. 3 BedarfsplRL zu entscheiden.

Da beide Bewerber jeweils über eine abgeschlossene Weiterbildung zum Facharzt für Urologie sowie über die Zusatzweiterbildung medikamentöse Tumortherapie verfügten, seien sie als gleich qualifiziert bezüglich des Merkmals der "beruflichen Eignung" zu erachten.

Hinsichtlich der Kriterien "Dauer der bisherigen ärztlichen Tätigkeit" und "Approbationsalter" komme es auf die Zeit nach Abschluss der Weiterbildung an, wobei eine mehr als fünfjährige ärztliche Tätigkeit danach im Regelfall keinen weiteren Vorzug eines Bewerbers begründe. Der Beigeladene zu 9) sei am 01.07.1991 approbiert worden und habe seinen Facharzttitel am 09.11.1995 erworben. Die Beigeladene zu 8) sei am 12.01.2012 approbiert worden und habe ihren Facharzttitel am 09.10.2017 erworben, sie sei seit dem 01.01.2018 als Assistentin ärztlich tätig, somit bis dato zwei Jahre und elf Monate. Dem Beigeladenen zu 9) sei deshalb in diesem Punkt der Vorzug zu geben. Bei der Auswahlentscheidung komme es insofern auf den anzustellenden Arzt, mithin auf die Beigeladene zu 8), an, nicht auf die langjährig vertragsärztlich tätigen Ärzte der Klägerin.

Bezüglich des Kriteriums der "Eintragung in die Warteliste" sei festzustellen, dass lediglich die Beigeladene zu 8) seit dem 19.12.2018 in die Warteliste eingetragen sei, nicht dagegen der Beigeladene zu 9). Die Eintragung in die Warteliste sage jedoch nichts über die Qualifikation der Bewerber aus, weshalb dieses Kriterium nur dann von Bedeutung sei, wenn sich aus den übrigen Kriterien im Rahmen der Auswahlentscheidung kein Vorrang zugunsten eines Bewerbers ergebe, was vorliegend nicht der Fall sei.

Hinsichtlich des Kriteriums der "bestmöglichen Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes" sei der geplante Niederlassungsort des Beigeladenen zu 9), A., aufgrund der dortigen schlechteren urologischen Versorgung als im A-Stadt als geeigneter zu erachten. In A. kämen auf einen Urologen 15.245 Einwohner, in A-Stadt, wo die Beigeladene zu 8) tätig werden möchte, habe ein Urologe 13.257,50 Einwohner zu versorgen. Es sei primär auf den Ort des Vertragsarztsitzes und dessen konkrete Versorgungssituation abzustellen. Soweit die Klägerin geltend mache, dass das bestehende Versorgungsangebot von Dr. K. in A. bereits jetzt in relevantem Umfang Patienten im Landkreis Ne. zugutekomme, habe eine vom Beklagten vorgenommene Sichtung von Datenmaterial ergeben (siehe Verwaltungsakte des Beklagten), dass dies nur bei ca. 10 % der Patienten der Praxis von Dr. K. der Fall sei.

Nach dem Kriterium "Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten" seien Zusatzqualifikationen oder spezielle vertragsarztrechtliche Abrechnungsberechtigungen zu berücksichtigen, sofern der infrage stehende Versorgungsbedarf aufgrund der mit der Zusatzqualifikation erworbenen speziellen Kenntnisse besser abgedeckt werden könne. Darüber hinaus könnten aber auch der bisherige berufliche Werdegang oder eine wissenschaftliche Tätigkeit bestimmte Eignungsmerkmale begründen. Anders als die Beigeladene zu 8) verfüge der Beigeladene zu 9) über die Zusatzweiterbildung spezielle urologische Chirurgie sowie die Fachkunde Rettungsdienst. Dies werde zugunsten des Beigeladenen zu 9) ausgelegt.

Im Rahmen des Kriteriums der "Belange von Menschen mit Behinderung beim Zugang zur Versorgung" seien die Beigeladenen zu 8) und 9) als gleichrangig anzusehen, weil die Praxen, in denen sie tätig werden wollten, beide barrierefrei seien.

Da somit der Beigeladene zu 9) in vier Punkten (Approbationsalter, Dauer der bisherigen ärztlichen Tätigkeit, bestmögliche Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes und Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten) vorzuziehen sei, während die Beigeladene zu 8) nur das wenig gewichtige Kriterium der Eintragung in die Warteliste für sich entscheiden könne, falle die Auswahlentscheidung insgesamt zugunsten des Beigeladenen zu 9) aus.

Daran ändere auch der Hinweis der Klägerin nichts, wonach es eine Versorgungsverbesserung speziell durch die künftige Mitwirkung einer Ärztin statt eines Arztes in der ambulanten urologischen Versorgung gebe. Dies gelte unabhängig vom tatsächlichen weiblichen Anteil der urologischen Patienten bzw. urologischen Ärzte. Der Normenbestand betreffend Teilentsperrung sehe eine Differenzierung zwischen Männern und Frauen nicht vor. Deshalb könne bzw. jedenfalls müsse das Geschlecht des Arztes bzw. der Ärztin kein Auswahlkriterium sein. Dies gelte auch unabhängig vom Anteil der muslimischen Frauen im Patientenkreis (die gegebenenfalls eine weibliche Behandlerin vorzögen).

Die hälftige Zulassung des Beigeladenen zu 9) erfolge unter der aufschiebenden Bedingung, dass das derzeitige Beschäftigungsverhältnis als Chefarzt am Klinikum Ne. spätestens innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Bescheides auf höchstens 26 Stunden pro Woche reduziert werde und dass innerhalb dieser Frist hierüber ein Nachweis bei der Geschäftsstelle des Berufungsausschusses vorgelegt werde. Diese nötige Regelung erübrige sich nicht durch den Vertrag vom 17.09.2020, weil es angesichts des Entfallens des Beschlusses des ZA, der der Vereinbarung vom 17.09.2020 zugrunde liege, einer neuen klaren und verlässlichen Regelung der Sachlage bedürfe.

Die Klägerin hat am 22.03.2021 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben und diese mit Schriftsätzen vom 13.09.2021 (unter nochmaliger Darstellung ihrer Ausführungen im Widerspruchsverfahren) und vom 11.01.2022 wie folgt begründet:

Der Antrag des Beigeladenen zu 9) sei bereits wegen Verfristung aufgrund unvollständiger Antragstellung nicht zu berücksichtigen. Der Beigeladene zu 9) habe in der bis 28.02.2020 gesetzten Frist weder angegeben, wann er tätig werden wolle, noch wann er seine beschäftigte Tätigkeit aufgeben oder wenigstens im Hinblick auf die Zulassung beschränken wolle.

Der Antrag des Beigeladenen zu 9) sei außerdem rechtsmissbräuchlich, weil er erkennbar nicht auf eine zügige Aufnahme der zugelassenen Tätigkeit gerichtet gewesen sei. Am Ende der Bewerbungsfrist, dem 28.02.2020, habe der Beigeladene zu 9) nicht vorgehabt, innerhalb von drei Monaten nach der nächstmöglichen Sitzung des ZA seine Tätigkeit aufzunehmen, sondern seine Tätigkeit sei für frühestens 01.10.2020 vorgesehen gewesen, mithin mit siebenmonatiger Verzögerung.

Auch sei die Auswahlentscheidung des Beklagten ermessensfehlerhaft.

Im Hinblick auf die "berufliche Eignung" weise der Beigeladene zu 9) aufgrund der Zusatzweiterbildung "spezielle Urologie - urologische Chirurgie" sowie aufgrund der Fachkunde Rettungsdienst keinen Vorteil gegenüber der Beigeladenen zu 8) auf, weil diese Befähigungen im Rahmen der angestrebten Versorgung überhaupt keine Rolle spielten. Insbesondere die fakultative Weiterbildung spezielle urologische Chirurgie beziehe sich auf große Eingriffe, klassischerweise im stationären Setting, nicht im Rahmen ambulanter Operationen niedergelassener Fachärzte, zumal der Beigeladene zu 9) nichts für den Betrieb eines ambulanten Operierens in A. dargetan habe. Der Beklagte hätte Ausführungen dazu machen müssen, in welcher Weise sich diese Zusatzqualifikationen auf die ambulante urologische Versorgung von Kassenpatienten in der niedergelassenen Praxis überhaupt und mit welcher prognostischen Häufigkeit auswirken könnten. Außerdem sei doch klar erkennbar, dass sich der über 60 Jahre alte Beigeladene zu 9) binnen kurzem durch einen Assistenten werde sicherstellen lassen, sodass sich der vom Beklagten gesehene Kompetenzvorsprung nur kurzfristig werde realisieren lassen.

Bezüglich der "bestmöglichen Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes" habe der Beklagte unzutreffenderweise lediglich die Bevölkerungsstatistik für die Gemeinde der geplanten Niederlassungen geprüft, nicht jedoch das relevante Einzugsfeld mitberücksichtigt. Dies sei eine unzulässige Verkürzung der Ermessensgesichtspunkte, denn in der fachärztlichen Versorgung würden Anfahrtswege bewusst in Kauf genommen. Es gehe deshalb darum, die Anfahrtswege der Landkreisbevölkerung zu überprüfen - unter Berücksichtigung der bereits vorhandenen Strukturen, um sodann zu prüfen, welches der Angebote für die größte Gruppe im Landkreis eine wohnortnahe Versorgungsmöglichkeit darstelle. Die Praxis der Klägerin befinde sich auf dem Ä. am Krankenhaus L. und liege damit geographisch zentral im Landkreis, mit öffentlichen Verkehrsmitteln ebenso wie mit dem Auto hervorragend erreichbar. Die vom Beigeladenen zu 9) anvisierte Praxis liege dagegen eher am Rande des Landkreises und werde deshalb auch nicht wenige Patienten aus den Nachbarlandkreisen und aus der Stadt K-Stadt mitversorgen - dies, obwohl der Landkreis N. bedarfsplanerisch nicht mitversorgend, sondern mitversorgt ist. Die Praxis der Klägerin in L. habe einen außerordentlich großen Einzugsbereich (vgl. Tabelle auf Seite 8, 9 der Klagebegründung vom 13.09.2021). Angesichts der der Bedarfsplanung im Bereich der Urologen zugrundeliegenden Systematik - Planungsbereich für die allgemeine fachärztliche Versorgung sei nicht die Gemeinde, sondern der Landkreis, hier mitversorgter Landkreis K-Stadt Land - sei eine Auswahlentscheidung, die als entscheidendes Kriterium die Einwohnerzahl in der Gemeinde sehe und dabei auf eine Differenz von nicht einmal 2.000 Einwohnern komme, nicht ermessensfehlerfrei.

Hinsichtlich des Kriteriums "Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten" hätte berücksichtigt werden müssen, dass es sich bei der Beigeladenen zu 8) um eine Frau handele, was gerade im Bereich der Urologie und im vorliegenden Planungsbereich aufgrund seiner Bevölkerungsstruktur relevant sei. Durchschnittlich ca. 30 % der Patienten einer urologischen Praxis seien Frauen. Der Anteil der niedergelassenen Fachärztinnen für Urologie im Zulassungsbereich N. betrage dagegen null. Dass die Geschlechtszugehörigkeit keineswegs unerheblich für die Bedarfsplanung sei, zeige schon ein Blick in den Versorgungsatlas der KVB, der die Ärzte und Ärztinnen für jeden Planungsbereich aufführe. Hinzu komme im konkreten Fall Folgendes: Muslime bzw. Musliminnen würden grundsätzlich großen Wert darauf legen, dass Frauen von Frauen untersucht und behandelt würden, was gerade im Bereich des urologischen Behandlungsfeldes ein besonders sensibles Thema sei. Im Landkreis N. lebten überdurchschnittlich viele Menschen muslimischen Glaubens; der Anteil der muslimischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung habe bereits Ende 2015 5,4-5,7 % betragen. An der Versorgungrealität und den Bedürfnissen der Menschen muslimischen Glaubens gehe die angefochtene Entscheidung völlig vorbei. Es gelte dasselbe wie in der Gynäkologie: Würden gynäkologische Leistungen von Frauen angeboten, so wendeten sich die meisten Frauen lieber an diese als an männliche Kollegen. Der Beklagte habe insofern seinen Ermessensspielraum verkannt, indem er das verbesserte Versorgungsangebot für die Frauen im Landkreis durch eine Urologin überhaupt keine Bedeutung zumesse.

Der Bevollmächtigte des Beigeladenen zu 9) hat mit Schriftsätzen vom 12.11.2021 und 23.02.2022 im Wesentlichen Folgendes erwidert:

Der Antrag des Beigeladenen zu 9) sei vollständig, weil er alle im Antragsformular geforderten Angaben getätigt habe. Angaben zum Zeitpunkt der Reduzierung der Arbeitszeit eines im Übrigen fortbestehenden Arbeitsverhältnisses im Sinne eines notwendigen Bestandteils eines vollständigen Antrags ergäben sich weder aus dem Antragsformular noch aus § 18 Ärzte-ZV.

Die Klägerin begründe die vermeintliche Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrags des Beigeladenen zu 9) allein mit dem aus ihrer Sicht zu weit in der Zukunft liegenden und deshalb zu wagen Datum der voraussichtlichen Tätigkeitsaufnahme. Abgefragt werde im Formular jedoch nicht ein definitiver Termin, sondern ein voraussichtlicher Zeitpunkt. Die Angabe habe keinerlei bindenden Charakter, man könne damit allenfalls den Stand der Planungen und Überlegungen des jeweiligen Antragstellers widerspiegeln. Aufgrund dieser Unverbindlichkeit fehle es somit von vornherein an einer wie auch immer gearteten Grundlage für die Annahme einer Missbräuchlichkeit. Bei einer Neuzulassung müsse der Antragsteller im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht alle Details seines Praxisprojekts angeben oder kennen.

Der Beklagte habe auch die vorgegebenen Auswahlkriterien zutreffend ermittelt, bewertet und gewichtet.

Wenn der Beklagte im Rahmen des Kriteriums "Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten" Zusatzqualifikationen des Beigeladenen zu 9), über die dieser in größerem Umfang verfüge als die Beigeladene zu 8), berücksichtige, sei dies als beanstandungsfrei einzustufen. Denn ungeachtet der Versorgungsrelevanz der Zusatzqualifikationen im Einzelfall dürften diese zugunsten des Qualifikationsinhabers berücksichtigt werden, da allein schon das Vorliegen solcher Zusatzqualifikationen prinzipiell auf eine breitere fachbezogene Wissensbasis schließen lasse. Die von der Klägerin geforderte Nichtberücksichtigung könne sich weder auf einschlägige Rechtsprechung noch Kommentarliteratur stützen, weshalb sich der Beklagte jedenfalls im Rahmen seines weiten, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraums bewegt habe. Selbst wenn man der Auffassung der Klägerseite folgen wollte, könne aufgrund der größeren Berufserfahrung des Beigeladenen zu 9) und dessen Zusatzqualifikationen, ungeachtet ihrer Versorgungsrelevanz, die Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten nicht zugunsten der Beigeladenen zu 8) ausfallen.

Hinsichtlich des Kriteriums der "bestmöglichen Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Lage des Vertragsarztsitzes" habe der Beklagte den erforderlichen Ermittlungen nach den Vorgaben der Rechtsprechung durch einen Vergleich der Einwohner-Arzt-Relation in den beiden Niederlassungsorten hinreichend Rechnung getragen (vgl. BSG, Urteil vom 13.05.2020, B 6 KA 11/19 R). Dass die festgestellten Einwohner-Arzt-Relationen nicht erheblich, sondern in einer Größenordnung von ca. 15 % voneinander abwichen, sei richtig, führe aber nicht dazu, dass es dem Beklagten versagt wäre, dieses Kriterium zugunsten des Beigeladenen zu 9) in die Abwägung einzustellen. Ergänzend habe der Beklagte außerdem die Behauptung der Klägerseite, dass am Standort A. eine erhebliche Mitversorgung des benachbarten Landkreises Ne. stattfinde, basierend auf Datenbasis widerlegt.

Die Bevorzugung des Standorts A. gegenüber L. sei auch praktisch mehr als nachvollziehbar. Der relativ große Einzugsbereich der klägerischen Praxis in L. dürfte in erster Linie an der ungleichen Verteilung der urologischen Vertragsarztsitze im Planungsbereich liegen. Dies führe aber gerade nicht zu einem Erfordernis der Stärkung des Standorts L. aus Patientensicht; vielmehr sei es naheliegender, nun andere, schlechter versorgte Standorte zu berücksichtigen.

Schließlich berücksichtige der Beklagte in seiner Entscheidung auch das von der Klägerseite entwickelte Kriterium der vertragsärztlichen Geschlechtszugehörigkeit bzw. der Religionszugehörigkeit der Bevölkerung, wobei sich aus dem Klägervortrag schon nicht erschließe, warum ausgerechnet eine einzige bestimmte Religionszugehörigkeit hier eine Rolle spielen solle. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 07.02.2007, B 6 KA 3/06 R) spiele das biologische Geschlecht der Vertragsärzte bzw. Vertragsärztinnen ebenso wie das biologische Geschlecht der Patienten bzw. Patientinnen regelungssystematisch keine Rolle. Vor diesem Hintergrund und angesichts der weitreichenden Konsequenzen einer etwaigen Berücksichtigung für grundrechtsrelevante Rechtspositionen stelle sich bereits die Frage, ob der Aspekt der Geschlechtszugehörigkeit in der Abwägung überhaupt hätte berücksichtigt werden dürfen. Der Beklagte habe diesen Aspekt jedenfalls zur Kenntnis genommen und berücksichtigt; er habe hinreichend begründet, warum er dieses Kriterium als nicht ausschlaggebend eingestuft habe. Ein weitergehendes Berücksichtigenmüssen des normativ nicht vorgegebenen Auswahlkriteriums mit der Konsequenz, eine gegebenenfalls weniger qualifizierte Bewerberin aufgrund des Geschlechts vorziehen zu müssen, entbehre einer normativen Grundlage und sei im Rahmen der Bedarfsplanung nicht vorgesehen.

Der Beklagte hat an seiner bisherigen Auffassung festgehalten. Insofern wird auf seinen Schriftsatz vom 24.01.2022 verwiesen.

Die Klägerin beantragt (Klageschriftsatz vom 22.03.2021),
den Beschluss des Beklagten vom 15.12.2020, ausgefertigt am 24.02.2021 (Az. ), zugegangen am 25.02.2021, aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über den Antrag der Klägerin zur Beschäftigung der Beigeladenen zu 8) als angestellte Ärztin mit einem Tätigkeitsumfang von 20 Wochenstunden am Standort A-Straße, A-Stadt, erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,
            die Klage abzuweisen.

Der Beigeladene zu 9) beantragt,
            die Klage abzuweisen.

Die übrigen Beteiligten haben keine Anträge gestellt und sich nicht zum Verfahren geäußert.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenvorgänge.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :


Die form- und fristgerecht zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Nürnberg (§ 51 Abs. 1 Nr. 5, § 57a Abs. 1, § 10 Abs. 2, 3 SGG iVm Art. 1 Abs. 2 AGSGG) erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Form der Bescheidungsklage ist als sog. offensive Konkurrentenklage der im Auswahlverfahren unterlegenen Klägerin zulässig (§ 54 Abs. 1 SGG) (vgl. BSG vom 01.04.2015, B 6 KA 48/13 R).

Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Entscheidung des Beklagten, den Antrag der Klägerin auf Genehmigung der Anstellung der Beigeladenen zu 8) als abzulehnen und stattdessen den Beigeladenen zu 9) zur vertragsärztlichen Versorgung im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrags zuzulassen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Ist - wie hier - in einem bislang überversorgten Planungsbereich die Überversorgung später entfallen und sind deshalb zuvor angeordnete Zulassungsbeschränkungen gemäß § 103 Abs. 3 SGB V partiell aufgehoben worden, sind für Entscheidungen der Zulassungsgremien über Anträge auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung § 95 Abs. 2 Satz 1 bis 6 und Satz 9 SGB V, für Entscheidungen über Anträge auf Genehmigung der Anstellung eines Arztes in einem MVZ § 95 Abs. 2 Satz 7 bis 9 SGB V und für Entscheidungen über die Anstellung eines Arztes bei einem Vertragsarzt § 95 Absatz 9 SGB V als gesetzliche Rechtsgrundlagen maßgeblich. Ergänzend zu beachten sind die Vorgaben in § 26 BedarfsplRL sowie die Regelungen der Ärzte-ZV, die persönliche Angaben zu dem Arzt erfordern, der zugelassen oder angestellt werden soll (BSG, Urteil vom 15.05.2019, B 6 KA 5/18 R).  

Dabei sind bei den auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung gerichteten Vornahmesachen in der Regel alle Änderungen der Sachlage bis zur mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz sowie alle Rechtsänderungen zu berücksichtigen. Eine Ausnahme gilt dann, wenn dem Vornahmebegehren - wie vorliegend - notwendigerweise eine Abwehrklage in Gestalt einer Drittanfechtung der Begünstigung des ausgewählten Bewerbers vorangehen muss. Falls sich für die Zulassung des begünstigten Dritten die Sach- oder Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung vorteilhafter darstellt, ist dieser Zeitpunkt maßgeblich (BSG, Urteil vom 22.10.2014, B 6 KA 44/13 R; Urteil vom 11.12.2013, B 6 KA 49/12 R).

Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte den Beigeladenen zu 9) bei der Auswahlentscheidung mitberücksichtigt hat. Der Beigeladene zu 9) ist nicht wegen eines unvollständigen Antrags vom Auswahlverfahren ausgeschlossen.

Nach § 26 Abs. 4 Nr. 2 Satz 2 BedarfsplRL berücksichtigt der Zulassungsausschuss bei dem Auswahlverfahren nur die nach der Bekanntmachung (des Beschlusses des Landesausschusses über die partielle Entsperrung gemäß § 26 Abs. 4 Nr. 1 iVm Abs. 1 BedarfsplRL) fristgerecht und vollständig abgegebenen Zulassungsanträge. Bei der insoweit nach § 26 Abs. 4 Nr. 2 Satz 1 BedarfsplRL bekanntzumachenden Frist, innerhalb der potentielle Bewerber ihre Zulassungsanträge abzugeben und die hierfür erforderlichen Unterlagen gemäß § 18 Ärzte-ZV beizubringen haben, handelt es sich um eine Ausschlussfrist, bei deren Versäumung zwar keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X erfolgen, die aber nach § 26 Abs. 7 SGB X verlängert werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2011, B 6 KA 20/11 R, zur gleichlautenden Vorgängerregelung in § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BedarfsplRL).

Entgegen der Auffassung der Klägerin hat der Beigeladene zu 9) fristgerecht einen vollständigen Zulassungsantrag iSd § 26 Abs. 4 Nr. 2 Satz 2 BedarfsplRL mit allen erforderlichen Angaben und Unterlagen nach § 18 Ärzte-ZV beim ZA eingereicht. Insbesondere fehlt es nicht an einer Erklärung des Beigeladenen zu 9) über im Zeitpunkt der Antragstellung bestehende Dienst- oder Beschäftigungsverhältnisse unter Angabe des frühestmöglichen Endes des Beschäftigungsverhältnisses nach § 18 Abs. 2 Nr. 4 Ärzte-ZV. Denn ein (gänzliches) Ende des Beschäftigungsverhältnisses des Beigeladenen zu 9) in Ne., das der Beigeladene zu 9) hätte angeben können, steht vorliegend nicht im Raum.

Im Übrigen hat der Beigeladene zu 9) im fristgerecht eingereichten Antrag vom 12.02.2020 angegeben, dass er die Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit zum 01.09.2020 beabsichtige, dass er derzeit als Urologe am Klinikum Ne. beschäftigt sei und dass diese Tätigkeit auf 27,5 Stunden/Woche reduziert werde. Einen Platzhalter für den Eintrag eines Datums, wann diese Stundenreduzierung erfolgen soll, sieht das Antragsformular (anders als im Falle der Beendigung der Tätigkeit, vgl. auch § 18 Abs. 2 Nr. 4 Ärzte-ZV) überhaupt nicht vor. Der Beklagte durfte deshalb davon ausgehen, dass die Reduzierung der Tätigkeit am Klinikum mit der vertragsärztlichen Tätigkeitsaufnahme erfolgen soll.

Der klägerseitigen Auffassung, der Antrag des Beigeladenen zu 9) sei rechtsmissbräuchlich, weil er - angesichts der angegebenen "voraussichtlichen" Tätigkeitsaufnahme zum 01.09.2020 bzw. nachfolgend zum 01.10.2020 - erkennbar nicht auf eine zügige Aufnahme der zugelassenen Tätigkeit gerichtet gewesen sei, kann sich das Gericht nicht anschließen. Zum einen handelt es sich bei dem anzugebenden Datum (nur) um eine Prognose, zum anderen hat der Beklagte angesichts der üblichen Verfahrensdauer bis zu Ausfertigung des ZA-Beschlusses den anvisierten Tätigkeitsbeginn - nachvollziehbar - als kompatibel mit der Dreimonatsfrist des § 95 Abs. 7 SGB V erachtet.

Im Übrigen scheint die Klägerseite selbst nicht überzeugt zu sein, dass der Beigeladene zu 9) bereits wegen Unvollständigkeit seines Antrags bzw. wegen Rechtsmissbrauchs nicht in die Auswahlentscheidung des Beklagten einzuziehen sei. Denn mangels weiterer Konkurrenten im Widerspruchs- bzw. Klageverfahren hätte in diesem Fall keine Auswahl des Beklagten mehr stattfinden können, sondern die Klägerin hätte einen Anspruch unmittelbar auf Erteilung der Anstellungsgenehmigung (statt nur auf Neuverbescheidung) erheben können bzw. müssen. Der von der Klägerseite formulierte Klageantrag wäre dann allenfalls als Hilfsantrag noch zu stellen gewesen.

Die Auswahlentscheidung zwischen mehreren Bewerbern in einem Zulassungsverfahren nach Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen hat anhand der Regelung in § 26 Abs. 4 BedarfsplRL zu erfolgen. Die Regelung ist auch anzuwenden, wenn in einer solchen Konstellation über einen Antrag auf Genehmigung der Anstellung eines Arztes in einem MVZ oder bei einem Vertragsarzt zu befinden ist. Dass der Wortlaut von § 26 Abs. 4 BedarfsplRL lediglich "Anträge auf (Neu-)Zulassung" erfasst, steht dem nicht entgegen (BSG, Urteil vom 15.05.2019, B 6 KA 5/18 R; Urteil vom 13.05.2020, B 6 KA 11/19 R).

Nach § 26 Abs. 4 Nr. 3 BedarfsplRL entscheiden die Zulassungsgremien unter mehreren Bewerbern nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung folgender Kriterien: berufliche Eignung, Dauer der bisherigen ärztlichen Tätigkeit, Approbationsalter, Dauer der Eintragung in die Warteliste gemäß § 103 Abs. 5 Satz 1 SGB V, bestmögliche Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes, Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten (siehe z.B. Fachgebietsschwerpunkt, Feststellungen nach § 35) und Belange von Menschen mit Behinderung beim Zugang zur Versorgung. Es gelten damit grundsätzlich die gleichen Kriterien wie bei der Nachfolgezulassung (abgesehen von den besonderen - finanziellen - Interessen des Praxisabgebers), wobei eine ergänzende Harmonisierung durch Auslegung stattfindet (Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 103 SGB V (Stand: 04.10.2022), Rn. 226, mwN). Geht es um eine Anstellungsgenehmigung, so beziehen sich die persönlichen Auswahlkriterien auf den anzustellenden Arzt, da es auf dessen Eignung ankommt (vgl. Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 103 SGB V (Stand: 04.10.2022), Rn. 228).

Daraus, dass die Auswahlentscheidung im Ermessen der Prüfgremien liegt, folgt, dass die gerichtliche Überprüfung darauf beschränkt ist, ob das Ermessen gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG fehlerhaft ausgeübt wurde und der Kläger durch den Ermessensfehler beschwert ist (BSG, Urteil vom 13.05.2020, B 6 KA 11/19 R). Die Gerichte haben nur zu prüfen, ob die Behörde von einem vollständigen und richtigen Sachverhalt ausgegangen ist, die rechtlichen Grenzen ihres Ermessensspielraums eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Dabei kommt den Zulassungsgremien ein weiter Spielraum bei der Gewichtung der Auswahlkriterien zu; die Kriterien sind nicht zu beachten, sondern lediglich zu berücksichtigen. Damit wird keine strikte Verbindlichkeit vorgegeben; der Begriff "berücksichtigen" beinhaltet vielmehr allein, dass die Zulassungsgremien die gesetzlich vorgegebenen Kriterien nicht gänzlich außer Betracht lassen dürfen, sondern sie in ihre Überlegungen miteinbeziehen - in Erwägung ziehen - müssen; es steht ihnen aber frei, hiervon aus Sachgründen abzuweichen (BSG, Urteil vom 20.03.2013, B 6 KA 19/12 R).

Nach diesen Maßgaben ist die Auswahlentscheidung des Beklagten ermessensfehlerfrei ergangen.

a)  Der Beklagte hat, da sowohl die Beigeladene zu 8) als auch der Beigeladene zu 9) jeweils über eine abgeschlossene Weiterbildung zum Facharzt für Urologie sowie über die Zusatzweiterbildung medikamentöse Tumortherapie verfügen, beide Bewerber als in gleicher Weise beruflich geeignet im Sinne von § 26 Abs. 4 Nr. 3 BedarfsplRL erachtet.

Die weiteren zusätzlichen Qualifikationen des Beigeladenen zu 9), spezielle urologische Chirurgie sowie Fachkunde Rettungsdienst, hat der Beklagte unter dem Kriterium Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten berücksichtigt, wenngleich das vom Beklagten allein betrachtete Vorhandensein dieser Qualifikationen (ohne die einzelnen Weiterbildungen jeweils qualitativ und im Hinblick auf ihren Nutzen für die konkret geplante vertragsärztliche Tätigkeit zu bewerten) eher ebenfalls dem Aspekt der beruflichen Eignung zuzuordnen sein dürfte, wie dies die Klägerbevollmächtigte in ihren Ausführungen getan hat. (Demgegenüber wäre die Frage, ob für bestimmte Zusatzweiterbildungen ein (höherer) Versorgungsbedarf (als für andere) besteht, dem Kriterium Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten zuzuordnen, vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 30.11.2016, L 4 KA 1/15). Konsequenzen ergeben sich aus dieser unterschiedlich gehandhabten Einordnung aber nicht. Denn der Beklagte hat sich jedenfalls innerhalb des ihm zustehenden Spielraums gehalten, indem er die bei den Bewerbern vorhandenen Zusatzqualifikationen ermittelt und deren Vorhandensein bzw. deren Zahl im Rahmen der Abwägung berücksichtigt hat. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte die genannten zusätzlichen Qualifikationen des Beigeladenen zu 9) (fakultative Weiterbildung spezielle urologische Chirurgie sowie Fachkunde Rettungsdienst) zu dessen Gunsten in seine Auswahlentscheidung eingestellt hat. Im Hinblick auf die Weiterbildung spezielle urologische Chirurgie darf im Übrigen angenommen werden, dass diesbezügliche Kenntnisse im geplanten Praxisalltag des Beigeladenen zu 9) zwar nicht praktisch zum Einsatz kommen, aber bei der Betreuung und Beratung der Patienten als theoretisches Hintergrundwissen durchaus dienlich sein können.

In diesem Zusammenhang verfängt auch nicht die Mutmaßung der Klägerin, es sei doch klar erkennbar, dass sich der über 60 Jahre alte Beigeladene zu 9) binnen kurzem durch einen Assistenten werde sicherstellen lassen, sodass sich der vom Beklagten gesehene Kompetenzvorsprung nur kurzfristig werde realisieren lassen. Die Klägerin spricht hier das ungeschriebene, aber dennoch berücksichtigungsfähige Kriterium der Versorgungskontinuität an (vgl. zur Zulässigkeit dieses Kriteriums BSG, Urteil vom 20.03.2013, B 6 KA 19/12 R) und suggeriert, dass der Beigeladene zu 9) wegen seines bereits fortgeschrittenen Alters insofern der weniger geeignete Bewerber sei. Weitere Angaben der Klägerin oder Anhaltspunkte sonstiger Art dazu, ob und aus welchen Gründen der Beigeladene zu 9) weniger langfristig an der Versorgung der Versicherten teilnehmen will oder kann als die Beigeladene zu 8), sind nicht ersichtlich. Nur aufgrund des Alters bzw. Altersunterschieds darf aus Diskriminierungsgesichtspunkten jedoch nicht auf eine schlechtere Versorgungskontinuität eines älteren Bewerbers geschlossen werden (Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 103 SGB V (Stand: 04.10.2022), Rn. 90; SG Mainz, Urteil vom 11.05.2016, S 16 KA 211/14, unter Verweis auf BSG, Urteil vom 20.03.2013, B 6 KA 19/12 R), zumal es die Klägerin dann selbst in der Hand hätte, dieses Kriterium im L. der Zeit durch die Einlegung (weiterer) Rechtsmittel immer mehr zu ihren eigenen Gunsten heranwachsen zu lassen.

b)  Laut BSG (Urteil vom 20.03.2013, B 6 KA 19/12 R) kommt es für die Dauer der ärztlichen Tätigkeit wie auch für das Approbationsalter auf die Zeit nach Abschluss der Weiterbildung an, wobei eine mehr als fünfjährige ärztliche Tätigkeit danach im Regelfall keinen weiteren Vorzug eines Bewerbers begründet. Davon ausgehend hat der Beklagte zutreffend dem Beigeladenen zu 9) in den Punkten Dauer der bisherigen ärztlichen Tätigkeit und Approbationsalter (vgl. § 26 Abs. 4 Nr. 3 Spiegelstriche 2 und 3) den Vorzug gegeben, weil dieser seinen Facharzttitel bereits 1995, die Beigeladene zu 8) dagegen erst am 2017 erworben hat. Dementsprechend hat die Klägerin die Auswahlentscheidung des Beklagten unter diesen Aspekten auch nicht angegriffen.

c)  Bezüglich des Kriteriums der Eintragung in die Warteliste hat der Beklagte festgestellt, dass (zunächst) nur die Beigeladene zu 8) - seit 19.12.2018 - in die Warteliste eingetragen war. (Die Eintragung des Beigeladenen zu 9) erfolgte erst im L.e des Verfahrens am 10.06.2020.) Die Wartezeit ist allerdings unter Versorgungsaspekten ohne Bedeutung. Es ist daher rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte der Wartezeit eine nur untergeordnete bzw. nachrangige Bedeutung im Rahmen der Ermessensabwägung einräumte und hinter anderen Gesichtspunkten zurücktreten ließ (vgl. auch Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 103 SGB V (Stand: 04.10.2022), Rn. 274, mwN auf die Rspr.).

d)  Soweit der Beklagte im Hinblick auf die räumliche Versorgung der Versicherten dem Praxisstandort A. (Beigeladener zu 9)) gegenüber dem Praxisstandort A-Stadt (Klägerin) den Vorzug gegeben hat, ist dies im Hinblick auf den dem Beklagten eingeräumten Ermessensspielraum rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.

Bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Bewerbern ist u.a. nach § 26 Abs. 4 Nr. 3 Spiegelstrich 5 BedarfsplRL die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes und ihre Beurteilung im Hinblick auf die bestmögliche Versorgung der Versicherten zu berücksichtigen. Zu bevorzugen ist regelmäßig ein Bewerber, der in seinem Antrag als Vertragsarztsitz einen Ort mit lokaler Unterversorgung angegeben hat, gegenüber einem Bewerber, der die Zulassung für einen schon gut versorgten Teil des Planungsbereichs beantragt hat. Das Kriterium bestmögliche Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes nimmt gerade das Konzept der wohnortnahen Versorgung auch hinsichtlich der fachärztlichen Versorgung auf. Dabei genügt eine allgemeine, jedoch nachvollziehbare Einschätzung des Bedarfs verbunden mit einer Gegenüberstellung des Bedarfs an den einzelnen anvisierten Standorten (Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 103 SGB V (Stand: 04.10.2022), Rn. 88, mwN auf Rspr. und Lit.).

Der Beklagte musste sich vorliegend, anders als die Klägerin meint, im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes nicht dazu veranlasst sehen, über die zu versorgende Einwohnerzahl pro urologischem Vertragsarzt an den beiden streitigen Orten A. bzw. A-Stadt hinaus weitere Aspekte wie Anfahrtswege oder Einzugsbereich der Praxen aufgreifen und diesbezügliche Ermittlungen vornehmen. Tatsächlich wäre es den Beklagten zwar nicht verwehrt gewesen, näher zu eruieren, für welche Bevölkerungszahl des Landkreises N. die Praxis der Klägerin bzw. die geplante Praxis des Beigeladenen zu 9) eine wohnortnahe (bzw. wohnortnähere) Versorgung darstellt. Dabei wäre jedoch schon unklar, welche Reichweite noch als wohnortnah herangezogen werden müsste bzw. welche Verkehrsmittel als maßgeblich(er) zu erachten sind. Weiter wäre zu bedenken, dass in L. bereits zwei Urologensitze bestehen, in A. nur einer (so die Klägerin im bereits zitierten Schriftsatz vom 04.08.2020). Bei Vergabe des streitigen halben Urologensitzes nach L. wäre deshalb anzunehmen, dass dort, inklusive Einzugsgebiet, der Versorgungsbedarf immerhin 2,5-mal so hoch wie in und um A. wäre. Ergänzend sei angemerkt, dass die von Klägerseite dargestellten Einzugsbereiche der urologischen Praxisstandorte im Landkreis N. (Widerspruchsverfahren, Schriftsatz der Klägerin vom 04.08.2020) nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar ist. So wird etwa E. den urologischen Praxisstandorten L. und H. zugeordnet, obwohl laut Internetrecherche (Google Maps am 23.09.2022) die Fahrzeit von E. zum Praxisstandort der Klägerin in L. mit dem PKW 18 Minuten (13,5 km) beträgt, diejenige zum Praxisstandort des Dr. K. in A., wo der Beigeladenen zu 9) tätig werden möchte, 15 Minuten (13,6 km).

Ungeachtet der Relevanz, aber auch der aufgezeigten praktischen Schwierigkeiten einer Mitberücksichtigung der Mitversorgung eines Einzugsbereichs ist es nach der Rechtsprechung des BSG jedenfalls ein korrekter rechtlicher Ansatz der Zulassungsgremien, die jeweilige Versorgungssituation an den Praxisstandorten im Hinblick auf die Einwohnerzahl der Orte und die Anzahl der vorhandenen Vertragssitze der betroffenen Facharztrichtung miteinander zu vergleichen (BSG, Urteil vom 13.05.2020, B 6 KA 11/19 R). Diesen Ansatz hat der Beklagte vorliegend ermessensfehlerfrei gewählt und primär auf die Versorgungssituation an den Orten der Vertragsarztsitze abgestellt und dementsprechend A., wo auf einen Urologen 15.245 Einwohner kommen, gegenüber A-Stadt, wo ein Urologe 13.257,50 Einwohner zu versorgen hat, den Vorzug gegeben. Dabei hat er zudem den Vorwurf entkräftet, dass in A. (durch Dr. K.) bereits jetzt in großem Umfang Patienten des Landkreises Ne. versorgt würden. Seine Sichtung des Datenmaterials hat ergeben (siehe Unterlagen in der Verwaltungsakte des Beklagten), dass eine derartige landkreisübergreifende Versorgung nur ca. 10 % der Patienten der Praxis von Dr. K. betrifft. Damit hat der Beklagte seine Entscheidung auf ausreichend objektivierbarer Grundlage getroffen. Im zitierten Urteil vom 13.05.2020, B 5 KA 11/19, hat das BSG nicht verlangt, Mitversorgungsaspekte des ländlichen Nahbereichs durch einen (potentiellen) Standort zu berücksichtigen, sondern es hat (sogar nur) konstatiert, dass sich der dortige Beklagte insoweit innerhalb des ihm zustehenden Ermessensspielraums gehalten hat.

Auch musste der Beklagte den Vortrag der Klägerseite, wonach die klägerische Praxis in L. bereits jetzt über ein großes Einzugsgebiet verfüge, nicht zu deren Gunsten werten. Die Vergrößerung des urologischen Facharztangebotes in L., aber nicht an anderen Standorten, könnte vielmehr auch dazu führen, dass das Einzugsgebiet der klägerischen Praxis noch größer wird, was dem Gedanken einer möglichst wohnortnahen Versorgung der Versicherten eher abträglich wäre.

e)  Schließlich kann dem Beklagten nicht vorgeworfen werden, er habe es fehlerhaft unterlassen, bei seiner pflichtgemäßen Ermessensbetätigung nach Versorgungsgesichtspunkten (§ 26 Abs. 4 Nr. 3 Spiegelstrich 6 BedarfsplRL) das Geschlecht des Bewerbers bzw. der Bewerberin zu berücksichtigen, das heißt, in die Abwägung miteinzustellen, dass es sich bei der Beigeladenen zu 8), anders als beim Beigeladenen zu 9), um eine Frau handelt.

Die Klägerbevollmächtigte hat dazu ausgeführt, dass durchschnittlich ca. 30 % der Patienten einer urologischen Praxis Frauen seien, während der Anteil der niedergelassenen Fachärztinnen für Urologie im Zulassungsbereich N. null betrage. Hinzu komme, dass im Landkreis N. überdurchschnittlich viele Menschen muslimischen Glaubens lebten, die grundsätzlich besonders großen Wert darauf legten, dass Frauen von Frauen untersucht und behandelt würden, was insbesondere im urologischen Behandlungsfeld von besonderer Bedeutung sei. Insoweit habe der Beklagte seinen Ermessensspielraum verkannt; er wäre berechtigt und verpflichtet gewesen, alle Kriterien, die einer sachgerechten Entscheidung dienen könnten, und somit auch die Geschlechtszugehörigkeit der Bewerber zu berücksichtigen.

Damit verlangt die Klägerbevollmächtigte letztlich, dass die Zulassungsgremien im Rahmen ihrer Auswahlentscheidungen eine Korrelation zwischen dem Geschlecht der behandelnden Ärzte und dem Geschlecht der Versicherten sowie deren subjektiven Wünschen (aber offensichtlich nur oder v.a. der Menschen muslimischen Glaubens) bezüglich des Geschlechts des Behandlers ermitteln und berücksichtigen - zumindest in insoweit "sensiblen" Facharztrichtungen. Darüber hinaus erschließt sich auch nicht, warum es bezüglich des Patientenwunsches, lieber von einem männlichen oder weiblichen Arzt behandelt zu werden, speziell auf die Religionszugehörigkeit, noch dazu nur auf eine Religionszugehörigkeit (hier: muslimischer Glaube), ankommen soll. Der von der Klägerbevollmächtigten angesprochene - nachvollziehbare - Aspekt der Scham, kann Frauen unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit betreffen -, und umgekehrt übrigens auch Männer, die sich von einer weiblichen Urologin behandeln lassen (müssen).

Ungeachtet der Frage, ob der Beklagte diese geschlechterbezogenen Aspekte in seine Auswahlentscheidung überhaupt hätte einstellen dürfen, war er jedenfalls dazu - für eine fehlerfreie Ermessensausübung - nicht verpflichtet. Denn damit würden gewichtige verfassungsrechtliche Fragen eröffnet (geschlechterbezogene Gleichbehandlung, geschlechtsspezifischer Eingriff in die freie Berufsausübung etc.). Die Forderung der Klägerin, die Geschlechtszugehörigkeit von Behandlern und Patienten jeweils zu berücksichtigen, könnte z.B. auch bedeuten, dass männliche Gynäkologen stets mit einem "Malus" in eine Bewerberauswahl gehen müssten, solange der Anteil weiblicher Gynäkologinnen unter den Behandlern noch nicht bei nahezu 100 % liegt. Für derartige geschlechterbezogene Benachteiligungen bzw. Abwägungskriterien bedürfte es aufgrund ihrer Grundrechtsrelevanz einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage, die derzeit nicht besteht. Der Hinweis, im Versorgungsatlas der KVB würden Ärzte und Ärztinnen für jeden Planungsbereich gesondert aufgeführt, kann eine Gesetzesgrundlage nicht ersetzen. Es handelt sich hierbei nur um eine informatorische Angabe.

Der Beklagte hat auch nicht, wie die Klägerseite ihm vorwirft, die Fragen der Geschlechtszugehörigkeit der Bewerber unzulässigerweise gänzlich übergangen, sondern er hat sich damit auseinandergesetzt und mit nachvollziehbarer Begründung diesen Aspekt als nicht ermessensrelevant in der Auswahlentscheidung erachtet.

Schließlich hat das BSG bereits in seinem Urteil vom 07.02.2007, B 6 KA 3/06 R, darauf hingewiesen, "dass die Bedarfsplanung im ärztlichen wie im psychotherapeutischen Bereich auf der Grundlage beruht, dass grundsätzlich alle Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen von allen zur vertragsärztlichen bzw. psychotherapeutischen Versorgung zugelassenen Ärzten und Psychotherapeuten auf ihrem jeweiligen Fachgebiet adäquat behandelt werden können. Wenn nach ethnischer oder muttersprachlicher Herkunft, Alter, Geschlecht oder bestimmten Verhaltensweisen in der Vergangenheit differenziert werden müsste, könnten allgemeine Bedarfszahlen keinen Hinweis mehr für eine ausreichende Versorgung geben."

Damit war der Beklagte jedenfalls nicht gehalten, geschlechtsspezifische Aspekte in seine Auswahlentscheidung mit einzubeziehen. Sie ist damit auch insoweit nicht zu beanstanden.

f)  im Rahmen des Kriteriums der "Belange von Menschen mit Behinderung beim Zugang zur Versorgung hat der Beklagte die Beigeladenen zu 8) und 9) zutreffend als gleichrangig angesehen, da die Praxen, in denen sie tätig werden wollen, beide barrierefrei sind.

g)  Letztlich konnte damit die Klägerin bzw. die Beigeladene zu 8) nur ein einziges der in § 26 Abs. 4 Nr. 3 BedarfsplRL genannten Kriterien für sich entscheiden, nämlich das untergeordnete formale Kriterium der Dauer der Eintragung in die Warteliste. Deshalb begegnet auch das Ergebnis der Auswahlentscheidung des Beklagten dahingehend, den Beigeladenen zu 9) die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit mit hälftigem Versorgungsauftrag zu erteilen und den Antrag der Klägerin abzulehnen, keinen rechtlichen Bedenken. Die Klägerin ist dadurch nicht in ihren Rechten verletzt. Der Klage war deshalb der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Danach trägt die unterliegende Klägerin die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 9), der sich mit eigenen Argumenten und eigener Antragstellung am Rechtsstreit und damit auch Kostenrisiko beteiligt hat. Etwaige außergerichtlichen Kosten weiterer Beteiligter sind nicht zu erstatten.

 

Rechtskraft
Aus
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