L 19 AS 1775/22 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 2813/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1775/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts
 Dortmund vom 17.11.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt N aus E beigeordnet.

 

Gründe:

 

I.

Die Antragsteller wenden sich gegen die Ablehnung der Anordnung einer aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches.

 

Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige.

 

Die am 00.00.1987 geborene Antragstellerin zu 1) übte in der Zeit vom 01.06.2012 bis 31.10.2012 eine geringfügige Beschäftigung als Haushaltshilfe aus. Im Arbeitsvertrag vom 08.05.2012 war eine Arbeitszeit von 20 Stunden monatlich gegen ein Entgelt von 180,00 € monatlich vereinbart. In der Zeit vom 06.05.2013 bis 05.11.2013 war die Antragstellerin zu 1) als Haushaltshilfe geringfügig beschäftigt. Laut Arbeitsvertrag war eine Arbeitszeit von 18 Stunden monatlich gegen ein Entgelt i.H.v. 180,00 € vereinbart.

 

Die Antragstellerin zu 1) bezog mit ihren Kindern – den Antragstellern zu 2 bis zu 5) (geboren am 00.00.2009, 00.00.2011, 00.00.2012, 00.00.2015) – seit dem 08.05.2012 durchgehend Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II.

 

Die Antragstellerin zu 1) bezieht für vier Kinder Kindergeld, im Jahr 2022 i.H.v. insgesamt 913,00 €. Laut Eintragung in den Geburtsurkunden ist der Vater der Antragsteller zu 2) bis zu 5) unbekannt. Die Antragstellerin zu 1) bezieht keine Leistungen nach dem UVG.

 

Laut der Schulbescheinigung vom 05.09.2022 besucht die Antragstellerin zu 2) die T-Schule in E in der Jahrgangsstufe 5C. Der Schulbesuch dauert voraussichtlich bis zum 31.07.2029.

 

Laut der Schulbescheinigung vom 10.08.2022 besucht die Antragstellerin zu 3) im Schuljahr 2021/2022 die Hauptschule H-Straße in der Klasse 5B. Der Schulbesuch dauert voraussichtlich bis zum 31.07.2027.

 

Laut der Schulbescheinigung vom 17.08.2022 besucht die Antragstellerin zu 4) die
 R-Grundschule in der Klasse 4c. Der Schulbesuch dauert voraussichtlich bis zum 31.07.2023.

 

Laut der Schulbescheinigung vom 17.08.2022 besucht der Antragsteller zu 5) die R-Grundschule in der Klasse 1C. Der Schulbesuch dauert voraussichtlich bis zum 31.07.2025.

 

Mit fünf Bescheiden vom 20.07.2022 stellte die Stadt E den Verlust des Rechts der Antragsteller zu 1) bis zu 5) auf Einreise und Aufenthalt aus § 2 FreizügG/EU, und das Nichtbestehen eines Aufenthaltsrechts aus Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 und eines Aufenthaltsrechts sui generis aus Art. 20/21 AUEV fest. Die sofortige Vollziehung der Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt wurde angeordnet und die Abschiebung nach Rumänien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht.

 

Hiergegen erhoben die Antragsteller Klage beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und stellten einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO. Das Ausländeramt der Stadt E erklärte gegenüber dem Verwaltungsgericht, dass es bis zu einer Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO keine Vollzugsmaßnahmen treffen wird.

 

Mit Bescheid vom 03.05.2022 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01.05.2022 bis 30.04.2023 i.H.v. insgesamt 1.995,52 € monatlich. Auf den Bedarf der Antragsteller zu 2) bis zu 5) wurde das jeweilige Kindergeld angerechnet.

 

Am 12.09.2022 teilte die Stadt E dem Antragsgegner mit, dass der Verlust der Freizügigkeit der Antragsteller gemäß § 5 Abs. 4 FreizügG/EU festgestellt worden und hiergegen Klage erhoben worden sei.

 

Mit Bescheid vom 19.09.2022, adressiert an die Antragstellerin zu 1), hob der Antragsgegner die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab dem 01.10.2022 ganz unter Berufung auf § 48 Abs. S. 1 SGB X auf. Es sei eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten, da die Ausländerbehörde für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft den Verlust der Freizügigkeit gemäß § 5 Abs. 4 FreizügG/EU festgestellt habe.

 

Hiergegen legten die Antragsteller am 13.10.2022 Widerspruch ein.

 

Am 13.10.2022 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Dortmund beantragt,

 

den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragstellern ab dem Antragseingang bei dem Sozialgericht Dortmund Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren

 

Sie haben vorgetragen, die Verlustfeststellungen seien rechtswidrig, da sie ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 hätten.

 

Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, dass die Verlustfeststellung den rechtmäßigen Aufenthalt beende und diese Wirkung auch nicht durch die gegen die Ordnungsverfügung eingelegten Rechtsbehelfe beseitigt werde. Eine Leistungsberechtigung ergebe sich aufgrund der Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG.

 

Nach einem Hinweis des Sozialgerichts, dass die Antragsteller vor Erlass des Ablehnungsbescheides vom 19.09.2022 nicht angehört worden seien, und die Beteiligten zur Stellungnahme aufgefordert wurden, inwieweit ihrer Ansicht nach sich die Rechtswidrigkeit des Bescheides bereits aus diesem Umstand ergebe bzw. von einer Entbehrlichkeit der Anhörung und/oder einer Heilung des Anhörungsmangels auszugehen sei, hat der Antragsgegner erklärt, dass er im Hinblick auf die Widerspruchsbegründung von einer Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren ausgehe und damit der Anhörungsmangel geheilt sei. Die Antragsteller haben erklärt, dass auch sie von einer Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren ausgehen.

 

Mit Beschluss vom 17.11.2022 hat das Sozialgericht Dortmund den Antrag abgewiesen. Auf die Gründe wird Bezug genommen.

 

Am 15.12.2022 haben die Antragsteller Beschwerde eingelegt.

 

Die Antragsteller beantragen,

 

der Beschluss vom 17.11.2022 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruches vom 13.10.2022 gegen den Aufhebungsbescheid vom 19.09.2022 anzuordnen,

 

hilfsweise im Wege der Regelungsanordnung anzuordnen, die notwendig beizuladen Stadt E als Träger der Leistungen nach dem SGB XII und dem AsylbLG zu verpflichten existenzsichernde Leistungen seit Antragstellung zu gewähren.

 

II.

 

Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Ablehnung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid vom 19.09.2022 ist unbegründet (1). Der Antrag auf Verpflichtung die notwendig beizuladende Stadt E als Träger der Leistungen nach dem SGB XII und dem AsylbLG zu verpflichten, den Antragstellern existenzsichernde Leistungen seit Antragstellung zu gewähren, ist unzulässig (2). Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt (3).

 

1) Die zulässige Beschwerde der Antragsteller gegen die Ablehnung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid vom 19.09.2022 ist unbegründet.

 

Im rechtlichen Ansatz wie auch im Ergebnis zutreffend hat das Sozialgericht das Rechtsschutzbegehren der Antragsteller als Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 19.09.2022, der nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 S. 1 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung entfaltet, nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG angesehen. Der Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung ist gegenüber dem Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung vorrangig, wie sich bereits aus dem Wortlaut ("soweit") von § 86b Abs. 2 S. 1 SGG ergibt. Mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 13.10.2022 gegen den Aufhebungsbescheid vom 19.09.2022 würde die ursprüngliche Leistungsbewilligung für die Zeit bis zum 30.04.2023 wiederaufleben und damit dem Rechtschutzbegehren der Antragsteller Rechnung getragen.

 

Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.09.2022 entfaltet nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 3 SGB II keine aufschiebende Wirkung.

 

Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Gericht eine Abwägung des Interesses der Antragstellerin, die Wirkung des angefochtenen Bescheides (zunächst) zu unterbinden (Aussetzungsinteresse) mit dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners vorzunehmen. Die aufschiebende Wirkung ist anzuordnen, wenn das Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse überwiegt. Dabei richtet sich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in erster Linie nach dem Grad der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Eingriffsbescheides und den daraus folgenden Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 12a ff). Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in der vorliegenden Fallgestaltung ein Regel-/Ausnahmeverhältnis angeordnet hat. Da der Gesetzgeber die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen ausgeschlossen hat, überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse des Antragsgegners (vgl. BSG, Beschluss vom 29.08.2011 - B 6 KA 18/11 R). Es bedarf deshalb besonderer Umstände, um eine davon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 - zu § 80 Abs. 2 Nrn. 1-3 VwGO). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss in diesen Fällen eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme sein (BVerfG, a.a.O; Keller, a.a.O., § 86b Rn. 12c m.w.N).

 

Vorliegend überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners das Aussetzungsinteresse der Antragsteller. Nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte, ist der Aufhebungsbescheid rechtmäßig.

 

Das Sozialgericht hat zutreffend festgestellt, dass eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse i.S.v. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X mit Erlass der Ordnungsverfügungen vom 22.07.2022 eingetreten ist, die den Antragsgegner zur Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft berechtigt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats haben Unionsbürger keinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. § 7 Abs. 1 S.1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 SGB I mehr, wenn die Ausländerbehörde den Verlust des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU festgestellt, die Abschiebung angedroht und den Sofortvollzug angeordnet hat (Beschlüsse des Senats vom 11.03. 2015 – L 19 AS 141/15 B ER; vom 06.10.2017 – L 19 AS 1761/17 B ER; vom 14.11.2018 – L 19 AS 1434/18 B ER; vom 16.03.2020 – L 19 AS 2035/19 B ER; siehe auch LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 08.07.2021 – L 6 AS 92/21 B ER). Mit den Ordnungsverfügungen vom 22.07.2022 hat die Stadt E als zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen von Freizügigkeitsrechten der Antragssteller festgestellt, die Abschiebung angedroht und den Sofortvollzug angeordnet. Die Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU durch die Stadt E entfaltet Tatbestandswirkung. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung obliegt ausschließlich den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Ausreiseaufforderung der Stadt E ist gemäß § 80 Abs. 2 S. 2 VwGO i.V.m. § 112 JustG NRW, §§ 2, 56 VwVG NRW sofort vollziehbar, da die Feststellung des Verlustes des Aufenthaltsrechts mit Ziffer 5 der Ordnungsverfügung vom 22.07.2022 nach § 80 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt wurde. Eine entgegenstehende Entscheidung des Verwaltungsgerichts betreffend die Vollziehbarkeit der Ordnungsverfügungen ist bislang nicht ergangen. Allein die Tatsache, dass die Antragsteller beim Verwaltungsgericht einen Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO gestellt haben und die Ausländerbehörde gegenüber dem Verwaltungsgericht erklärt hat, dass bis zur Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO die Abschiebung nicht vollzogen wird, begründet keinen gewöhnlichen Aufenthalt. Denn die mit Erlass der Ordnungsverfügungen vom 22.07.2022 begründete Ausreisepflicht der Antragsteller nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU ist sofort vollziehbar. Die Antragsteller können sich bei dieser Konstellation auch nicht auf die aus dem FreizügG/EU ergebende Freizügigkeitsvermutung berufen (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 16.11.2010 - 1 C 17.09, vom 11.01.2011 - 1 C 23.09, vom 16.07. 2015 - 1 C 22.14, und vom 11.09.2019 – 1 C 48/18). Denn diese erlischt mit Wirksamkeit einer Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU.

 

Selbst wenn ein gewöhnlicher Aufenthalt der Antragsteller i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 SGB I aufgrund der Klageerhebung und Antragstellung beim Verwaltungsgericht angenommen wird, greift die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 4 Halbs. 1 SGB II zu Gunsten der Antragsteller nicht ein. Nach § 7 Abs. 1 S. 4 Halbs. 2 SGB II gilt die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 4 Halbs. 2 SGB II nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde. Zwar ist umstritten, ob die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 4 Halbs. 2 SGB II eingreift, wenn die Verlustfeststellung nicht bestandskräftig oder der Sofortvollzug nicht angeordnet ist (bejahend: BT-Drucks. 18/10211 S. 14; Becker in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl. 2021, § 7 Rn 57; Hohm in: Schellhorn/Hohm/Scheider/Busse, SGB XII, 21. Aufl. 2023, § 23 SGB XII Rn. 98; verneinend LSG Hessen, Beschluss vom 13.06.2022 – L 6 AS 196/22 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.05.2019 – L 8 SO 109/19 B ER; so anscheinend auch Leandro Valgolio in: Hauck/Noftz SGB II, (Stand 9. EL. 2022) § 7 Rn. 144a; Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 23 SGB XII (Stand: 05.12.2022) Rn 110). Vorliegend ist aber der Sofortvollzug der Verlustfeststellung angeordnet.

 

Soweit die Antragsteller sich darauf berufen, dass sie über ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 verfügen und damit der Leistungsauschluss des § 7 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB II nicht eingreift, entfalten die Ordnungsverfügungen vom 22.07.2022 Tatbestandswirkungen (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 02.12.2014 – B 14 AS 8/13 R, vom 14.06.2018 – B 14 AS 28/17, vom. 27.03.2020 – B 10 EG 5/18 R, vom 09.03.2022 – B 7/14 KG 1/20 R). Es ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu prüfen, ob die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 vorliegen, insbesondere ob die Beschäftigungen der Antragstellerin zu 1) einen Arbeitnehmerstatus begründet haben bzw. das Berufen auf den Arbeitnehmerstatus der Antragstellerin zu 1) rechtsmissbräuchlich ist (vgl. hierzu OVG Lüneburg, Beschluss vom 24.02.2021 – 13 LA 24/21; VGH Hessen, Beschluss vom 05.03.2019 – 9 B 56/19; VGH Bayern, Beschluss vom 27.11.2018 – 10 CS 18.2180). Insoweit merkt der Senat an, dass auch die Ausländerbehörde während des gerichtlichen Verfahrens eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verlustfeststellungsentscheidung trifft (BVerwG, Urteil vom 16.12.2021 – 1 C 60/20 m.w.N.).

 

Bei einer Entscheidung nach §§ 40 Abs. 2 Nr. 2 SGB II, 330 Abs. 3 SGB III, 48 Abs. 1 S. 2 SGB X handelt es sich um eine gebundene Entscheidung. Eine Ermessenausübung ist nicht erforderlich.

 

Der Anhörungsfehler ist im Widerspruchsverfahren geheilt worden (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 196/11 R m.w.N.). Zwar hat der Antragsgegner die Antragsteller vor Erlass des Aufhebungsbescheides nicht nach § 24 Abs. 1 SGB X angehört. Der Antragsgegner hat aber den Antragstellern im Aufhebungsbescheid alle entscheidungserheblichen Tatsachen mitgeteilt, auf die er die Rücknahme auf Grundlage seiner Rechtsansicht - nämlich fehlende Anspruchsvoraussetzung nach § 7 SGB II: Verlustfeststellung der Ausländerbehörde bezüglich der Freizügigkeit als Änderung der Verhältnisse i.S.v. § 48 Abs. 1 S.1 SGB X - stützt. Die Durchführung eines förmlichen Anhörungsverfahrens zur Heilung eines Anhörungsfehlers ist im Widerspruchsverfahren nicht erforderlich.

 

Dass die Vollziehung des angefochtenen Bescheides für die Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte mit sich bringt, ist nicht ersichtlich. Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragsteller sich aktuell in einer existenzbedrohenden Notlage befinden. Zwar ist die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II aufgehoben und die Antragstellerin zu 1) bezieht als Einkommen nur Kindergeld i.H.v. 913,00 € monatlich. Die Antragsteller sind jedoch nicht von den übrigen existenzsichernden Leistungssystemen aufgrund der Ordnungsverfügungen vom 22.07.2022 ausgeschlossen. Die Antragsteller räumen selbst ein, dass im Fall eines anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegen eine Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung geklärt ist, dass zumindest die Leistungssysteme des SGB XII (§ 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII) oder des AsylbLG (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG) eingreifen. Aus dem Vortrag der Antragsteller ist nicht ansatzweise erkennbar, dass die Antragsteller sich – außerhalb des einstweiligen Rechtschutzverfahrens – an die Stadt E als Träger der Leistungen nach dem SGB XII oder des AsylbLG zwecks Leistungsgewährung gewandt haben. Insoweit merkt der Senat an, dass der Antragsgegner verpflichtet ist, nach Erlass des Aufhebungsbescheides den Antrag der Antragsteller auf existenzsichernde Leistungen an die Stadt E nach § 16 Abs. 2 SGB I weiterzuleiten und die Stadt E sich die Kenntnis des Antragsgegners vom Hilfefall nach § 18 SGB XII zurechnen lassen muss. Auffällig ist auch, dass die Antragstellerin zu 1) für die Antragsteller zu 2) bis zu 5) bislang keine Leistungen nach dem UVG beantragt hat. Hinderungsgründe, die gegen eine Antragstellung sprechen, sind nicht ersichtlich. In den Geburtsurkunden der Kinder ist zwar kein Vater angegeben, laut Vermerk der Ausländerbehörde vom 28.07.2011 hat die Antragstellerin zu 1) gegenüber dem Ausländeramt aber angegeben, dass sie für die Kinder Unterhalt erhält. Auch ist bislang kein Vortrag hinsichtlich der Gefährdung der Wohnung erfolgt.

 

2) Der Hilfsantrag auf Verpflichtung die notwendig beizuladende Stadt E als Träger der Leistungen nach dem SGB XII und dem AsylbLG zu verpflichten, existenzsichernden Leistungen seit Antragstellung zu gewähren, ist unzulässig.

 

Denn es fehlt an der instanziellen Zuständigkeit des Senats zur Entscheidung über das Begehren nach einstweiliger Verpflichtung der Stadt E zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII oder AsylbLG für die Zeit ab dem 01.10.2022, weil hierzu keine erstinstanzliche Entscheidung vorliegt.

 

Nach § 29 Abs.1 SGG entscheiden die Landessozialgerichte im zweiten Rechtszug über die Berufungen gegen die Urteile und die Beschwerden gegen andere Entscheidungen der Sozialgerichte. An einer solchen Vorbefassung des Sozialgerichts fehlt es. Denn das Sozialgericht hat nicht über den Verpflichtungsantrag der Antragsteller nach § 86b Abs. 2 SGG entschieden.

 

Soweit die Antragsteller die Auffassung vertreten, dass eine Verpflichtung der Stadt E gemäß § 75 Abs. 5 SGG zulässig ist, ist diese Norm zwar in Verfahren nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG analog anwendbar (siehe hierzu Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 86b SGG (Stand: 22.12.2022), Rn. 176, 377), findet aber in Verfahren nach § 86b Abs.1 SGG – wie im vorliegenden Fall – keine Anwendung (LSG NRW, Beschluss vom 11.03.2015 – L 19 AS 141/15 B ER; Burkiczak in: a.a.O., § 86b SGG (Stand: 22.12.2022), Rn. 176; Straßfeld in: BeckOGK 1.11.2022, SGG § 75 Rn. 318). Streitgegenstand in einem solchen Verfahren ist nicht die Frage, ob und ggf. welcher Leistungsträger im Wege des einstweiligen Rechtschutzes zur Gewährung von Leistungen verpflichtet werden kann. Prüfungsmaßstab eines Antrags gem. § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG ist allein die Frage, ob ein belastender Bescheid sofort vollziehbar ist. Anders als bei der Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG spricht das Gericht keine Verpflichtung aus, Leistungen zu gewähren, die nicht bereits zuvor durch Verwaltungsakt bewilligt waren (vgl. zur Nichtanwendbarkeit des § 75 Abs. 5 SGG im Fall der isolierten Anfechtungsklage: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.01.2018 – L 7 AS 1875/17 m.w.N.).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

3) Die Antragsteller haben einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 114, 115 ZPO, da sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Die Beschwerde versprach auch hinreichende Aussicht auf Erfolg und war nicht mutwillig.

 

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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