L 27 AS 1192/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
27
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 14 AS 602/20
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 AS 1192/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Kläger wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 24. August 2021 geändert und der Beklagte verurteilt, den Klägern höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II für die Monate von März bis August 2020 unter Berücksichtigung einer durch den Kläger zu 1. monatlich zu entrichtenden Nettokaltmiete von 300,00 € und eines hälftigen Mehrbedarfes für Alleinerziehende sowie der Klägerin zu 2. für den Monat August 2020 weitere 50,00 € zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

 

Der Beklagte hat den Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten für das Verfahren in beiden Instanzen zur Gänze zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Tatbestand

 

Die Kläger begehren die Gewährung höherer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch/2. Buch (SGB II) für die Zeit von März bis einschließlich August 2020.

 

Der Kläger zu 1. ist der Vater der 2004 geborenen Klägerin zu 2. und der 2002 geborenen Klägerin zu 3. Mutter beider Klägerinnen ist Frau A. Der Kläger zu 1. und Frau A. bewohnen jeweils als Mieter nebeneinander liegende Wohnungen in einem Haus, das dem Vater des Klägers zu 1.gehört. Nach dem Mietvertrag entrichtet der Kläger zu 1. hierfür an seinen Vater eine monatliche Nettokaltmiete von 300,00 €. Für die Heizkosten leistet er eine monatliche Vorauszahlung von 70,00 €, für übrige Betriebskosten von 90,00 €. In seinem Weiterbewilligungsantrag vom 23. Februar 2020 gab der Kläger die vorgenannten Beträge als Kosten der Unterkunft und Heizung an. Weiter notierte er handschriftlich zum Punkt Bildung und Teilhabe: „siehe gesetzliche Änderung zum 1. August 2019. Klassenfahrt T 30.03.-30.04.2020 in Höhe von 347,14 €“. Weiter gaben der Kläger zu 1. und Frau A. gemeinsam an, die Klägerinnen zu 2. und zu 3. hielten sich jeweils etwa hälftig bei jedem der Elternteile auf, das Kindergeld für eine Tochter beziehe Frau A., das Geld für die andere Tochter beziehe der Kläger zu 1.

 

Mit Bescheid vom 25. Februar 2020 bewilligte der Beklagte den Klägern monatliche Leistungen für die Monate März bis einschließlich Juli 2020 in Höhe von 534,66 € und für August 2020 in Höhe von 537,51 €. Die Bewilligung erfolgte vorläufig. Hierbei legte der Beklagte auf der Bedarfsseite bei den Klägerinnen zu 2. und 3. jeweils den hälftigen Regelbedarf zugrunde. Über Leistungen zur Bildung und Teilhabe entschied er nicht ausdrücklich. Als Kosten der Unterkunft und Heizung setzte er ausschließlich die Nebenkosten an, nicht aber die Nettokaltmiete. Ohne ausdrückliche Entscheidung setzte der Beklagte ebenfalls keinen Alleinerziehenden-Mehrbedarf an. Den hiergegen gerichteten Widerspruch begründete der Kläger zu 1. nicht. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2020 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

 

Mit der am 5. Juni 2020 erhobenen Klage haben die Kläger die Gewährung höherer Leistungen begehrt und hierbei insbesondere vorgebracht, es seien die monatlichen Kosten der Nettokaltmiete zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Weiter sei zu Unrecht der Alleinerziehenden-Mehrbedarf nicht berücksichtigt worden. Darüber hinaus sei als Leistung der Bildung und Teilhabe für die jüngere Tochter ein persönlicher Schulbedarf in Höhe von 100,00€ unberücksichtigt geblieben. Schließlich sei auch Essensgeld in Höhe von 30,75 € für die jüngere Tochter zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Hierzu haben sie eine Rechnung der Firma D GmbH vom 7. April 2020 über Schulessen im Zeitraum 1. März bis 31. März 2020 vorgelegt, die sich auf 18,45 € belief und als „sonstige offene Forderungen“ einen Betrag von 30,75 € auswies, ohne dies näher zu spezifizieren. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat hierzu ausgeführt, eine Grundmiete schulde der Kläger zu 1. nicht. Ein Mehrbedarf für Alleinerziehende sei nicht zu gewähren, denn der Kläger zu 1. sei nicht alleinerziehend. Vielmehr sei die Wohnsituation Tür an Tür mit der Mutter der Klägerinnen zu 2. und 3. bewusst so gewählt worden, um eine gemeinsame Erziehung der Kinder zu gewährleisten. Schließlich seien auch keine weiteren Bedarfe für Bildung und Teilhabe anzusetzen, da diese vom Einkommen der erwerbstätigen Mutter der Klägerinnen zu 2. und 3. gedeckt würden.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 24. August 2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei unzulässig, weil es den Klägern am Rechtschutzbedürfnis fehle. Zwar sei die Möglichkeit der Antragstellung auf abschließende Feststellung keine Verpflichtung der Kläger, jedoch entfalle bei einem Verzicht auf eine abschließende Feststellung das Rechtschutzbedürfnis für eine Klage. § 67 Abs. 4 SGB II enthalte keine Verweisung auf § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II, weshalb auch nicht davon ausgegangen werden könne, dass die vorläufig gewährte Leistung nach Ablauf eines Jahres seit Ablauf des Bewilligungszeitraumes als abschließend festgestellt gelte. Der Gerichtsbescheid ist dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 13. September 2021 zugestellt worden.

 

Mit der am 12. Oktober 2021 eingelegten Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie beantragen,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 24. August 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihnen für den Bewilligungszeitraum März bis einschließlich August 2020 höhere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung einer monatlichen Nettokaltmiete von 300,00 € und eines Alleinerziehenden-Mehrbedarfs zu gewähren sowie der Klägerin zu 2. des Weiteren Leistungen für Bildung und Teilhabe in Gestalt persönlichen Schulbedarfes in Höhe von 100,00 € sowie Essensgeld in Höhe von 30,75 € zu gewähren.

 

Der Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Wegen der Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten Bezug genommen. Er hat vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung ist zulässig. Es fehlt den Klägern nicht am Rechtschutzbedürfnis. Unterdessen ist die Fiktion einer abschließenden Festsetzung nach § 41 Abs. 5 Satz 1 SGB II eingetreten. Danach gelten die vorläufig bewilligten Leistungen als abschließend festgesetzt, wenn innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Bewilligungszeitraums keine abschließende Entscheidung nach § 41 Abs. 3 SGB II ergeht. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Damit wird nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 18. Mai 2022, B 7/14 AS 1/21 R, juris.) die fiktiv abschließend festgestellte Leistung Gegenstand eines Klageverfahrens, das sich – wie hier - ursprünglich auf die Gewährung höherer vorläufiger Leistungen bezogen hatte.

 

Die Berufung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet. Zu Unrecht hat der Beklagte den Bedarf der Kläger für Kosten der Unterkunft nur mit dem Betrag der geschuldeten Betriebskostenvorauszahlung angesetzt und die ebenfalls beantragte Nettokaltmiete von 300,00 € monatlich nicht als Bedarf anerkannt. Gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Zweifel an der Angemessenheit sind hier nicht veranlasst. Auch vermag der Senat keine Umstände zu erkennen, die ernsthafte Zweifel an der tatsächlichen Zahlung der vertraglich vereinbarten monatlichen Mietkosten begründen. Alleine der Umstand, dass der Kläger zu 1. eine Wohnung in einem Haus bewohnt, das seinem Vater gehört, begründet derartige Zweifel nicht. Tatsächlich ergibt sich aus den im Prozesskostenhilfeverfahren vorgelegten Kontoauszügen des Kläger zu 1., dass dieser monatlich entsprechende Beträge an seinen Vater überweist. Soweit der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung hierzu vorgebracht hat, die von ihm gehegten Zweifel an der tatsächlichen Mietenentrichtung seien in vorangegangenen gerichtlichen Eilverfahren geteilt worden, überzeugt dies nicht. Die Argumentation verkennt, dass die vorläufige Natur des Verfahrens zur Erlangung einstweiligen Rechtsschutzes eine die Hauptsache vorwegnehmende Anordnung nur zur Vermeidung eines anders nicht abwendbaren Rechtsverlustes oder Nachteils zulässt. Bei einer Mietzahlung ist dies zur Vermeidung eines drohenden Wohnungsverlustes geboten. Im Falle eines Mietverhältnisses unter engen Familienmitgliedern kann indes regelmäßig davon ausgegangen werden, dass ein Mietrückstand nicht zum Wohnungsverlust führt, weshalb ein insoweit negativer Ausgang eines gerichtlichen Eilverfahrens keinen Rückschluss auf die richterliche Überzeugung vom Nichtbestehen eines Schuldverhältnisses zulässt. Ein allgemeiner Erfahrungssatz, wonach erwachsene Personen dauerhaft mietfrei in Immobilien enger Verwandter wohnen würden, existiert nicht. Vielmehr entspricht es der Lebenserfahrung, dass in derartigen Fällen durchaus eine Miete geschuldet ist, sich diese aber eher am unteren Rand des Ortsüblichen bewegt und auch sonst den Mietern günstige Vertragsbedingungen vereinbart werden. Diesem Bild entspricht die hier vereinbarte Miete für eine Wohnung mit ca. 65 qm und einem vertraglich vereinbarten Ausschluss eines Mieterhöhungsverlangens von 5 Jahren.

 

Die Kläger haben weiter Anspruch auf Berücksichtigung des Mehrbedarfes gemäß § 21 Abs. 3 SGB II. Danach ist bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ein Mehrbedarf anzuerkennen. Zwar ist der Kläger zu 1. in diesem Sinne nicht alleinerziehend, weil er sich die Erziehung mit der Mutter der Klägerinnen zu 2. und 3. im sogenannten Wechselmodell wöchentlich teilt, doch hat das Bundessozialgericht in seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 3. März 2009, B 4 AS 50/07 R und vom 11. Juli 2019, B 14 AS 23/18 R, juris.) insoweit eine teleologische Reduktion der Vorschrift vorgenommen und diese dahingehend ausgelegt, dass bei Bestehen eines wöchentlichen Wechselmodells bei etwa hälftiger Kostenteilung beider Elternteile ohne Rücksicht auf einen tatsächlich anfallenden Mehrbedarf wegen des pauschalierenden Charakters von § 21 SGB II nicht das alles – oder nichts – Prinzip anwendbar, sondern für jeden der Elternteile der hälftige Mehrbedarf für Alleinerziehende anzusetzen sei. Es ist vor diesem Hintergrund unerheblich, dass die Eltern der Klägerinnen zu 2. und 3. im vorliegenden Fall eine Konstellation der Wohnverhältnisse gewählt haben, die ihnen eine Erziehung der Töchter im sogenannten Wechselmodell weitestgehend vereinfacht hat. So lange tatsächlich eine gemeinsame Erziehung nicht stattfindet, sondern eine etwa auf jeden Elternteil hälftig entfallende Erziehung im sogenannten wöchentlichen Wechselmodell, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein hälftiger Mehrbedarfszuschlag anzuerkennen. So liegt es hier.

 

Schließlich hat die Klägerin zu 2. auch Anspruch auf Leistungen zur Bildung und Teilhabe in Gestalt des persönlichen Schulbedarfes für das 1. Schulhalbjahr 2020. Allerdings gelten auch insoweit die Besonderheiten des praktizierten sogenannten hälftigen Wechselmodells. In gleicher Weise wie der Beklagte für die Klägerinnen zu 2. und zu 3. im Hinblick auf dieses Wechselmodell den hälftigen Regelbedarf anerkannt hat, ist auch nur der hälftige Satz für persönlichen Schulbedarf in Ansatz zu bringen, also gemäß § 34 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII i. V. m. § 28 Abs. 3 SGB II ein Betrag von 50,00 €.

 

Soweit die Klägerin zu 2. darüber hinaus die Gewährung von Essensgeld in Höhe von 30,75 € begehrt, bleibt die Berufung ohne Erfolg, denn aus der vorgelegten Rechnung der Firma D GmbH ergibt sich, dass die Summe von 30,75 € nicht dem hier streitgegenständlichen Leistungszeitraum zuzuordnen ist, sondern aufgrund früherer Leistungen geschuldet war.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie entspricht im Wesentlichen dem Ausgang des Streitverfahrens und trägt dem im Verhältnis nur geringfügigen Unterliegen der Kläger Rechnung.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.

Rechtskraft
Aus
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