1. Ein die 30-jährige Verjährung auslösender Durchsetzungsbescheid gemäß § 52 Abs 1 SGB X kann darin liegen, dass der Leistungsträger die monatliche ratenweise Aufrechnung der zur Erstattung gestellten überzahlten Leistungen mit den laufenden Leistungen nach dem SGB II verfügt. An der Eigenschaft des Änderungsbescheids als Verwaltungsakt ändert sich auch nichts, wenn der Aufrechnung eine freiwillige Vereinbarung mit der Bundesagentur für Arbeit als Inkassostelle vorausgegangen ist, 2. Aufhebungs- und Erstattungsbescheide sind hinreichend bestimmt, wenn unter Zuhilfenahme der ursprünglichen Bescheide und Berechnungsbögen erkennbar ist, dass und in welcher Höhe die bewilligten Leistungen monatlich überzahlt waren und zur Erstattung gestellt wurden. Die Benennung aller Leistungs- und Änderungsbescheide ist nicht erforderlich. 3. Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X über einen bestandskräftigen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid gemäß § 48 SGB X kann ein "Austausch der Rechtsgrundlage" in einen Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X zu prüfen sein. 4. Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X liegt die objektive Beweislast für das Vorliegen von Vertrauensschutz bei dem Antragsteller.
Der Bescheid des Beklagten vom 28. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Mai 2015 wird abgeändert und der Beklagte verpflichtet, den Bescheid vom 23. Januar 2007 für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2006 und vom 1. Oktober bis zum 30. November 2006 zurückzunehmen, soweit er einen Betrag von mehr als 3.784,20 € zu Erstattung gestellt hat.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Rechtszüge zu 10% zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist im Zugunstenverfahren die Rücknahme einer Aufhebung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2006 und vom 1. Oktober bis 30. November 2006 sowie die Rückforderung von 4.149,27 €; hilfsweise wird die Einrede der Verjährung der Erstattungsforderung erhoben.
Die am ... 1950 geborene Klägerin wohnte im streitigen Zeitraum mit ihrem Ehemann in einer Wohnung in dessen Betriebsgebäude. Nach den Angaben der Klägerin waren dafür monatlich 175,44 € aufzubringen. Der Ehemann war selbstständig tätig und letztmals für das Jahr 2005 einkommensteuerpflichtig. Ab April 2005 war der Betrieb geschlossen. Nach dem Einkommensteuerbescheid des Finanzamts Stendal vom 19. Januar 2007 wurden im Jahr 2005 Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 11.426 € erzielt.
Der Ehemann bezog seit 1998 von der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen eine Unfallrente, die im streitigen Zeitraum 413,28 €/Monat betrug. Sie wurde auf das Girokonto der Klägerin gutgeschrieben.
Die Klägerin beantragte am 8. November 2004 bei einer Mitarbeiterin des Beklagten Leistungen nach dem SGB II für sich und ihren Ehemann. In dem Antragsformular wurde mit Grünstift unter Punkt IX 3. die Frage „Meine Hilfebedürftigkeit/die Hilfebedürftigkeit einer mit mir im Haushalt lebenden Person wurde durch einen Unfall verursacht“ mit „nein“ beantwortet. Zu Punkt VI. („Einkommensverhältnisse des Antragstellers/der Antragstellerin und der im Haushalt lebenden weiteren Personen …. u.a. Renten aus der Sozialversicherung ...“) wurden mit Grünstift als Einkünfte des Ehemanns nur Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit angekreuzt. Im Zusatzblatt 2 („Einkommenserklärung/Verdienstbescheinigung …“) kreuzte die Klägerin nur das Einkommen des Ehemanns aus selbstständiger Tätigkeit an. Die Rubrik „Rente, Pension …“ und „Sonstiges Einkommen (Vgl. Abschnitt VI des Antragsvordruckes)“ kreuzte sie nicht an.
Dem Leistungsantrag beigefügt waren Kontoauszüge, aus denen sich u.a. für Oktober 2004 eine Gutschrift von der „RENTEN SERVICE LZG“ mit dem Betreff „UV-RENTE Herr B“ ergab.
Die Beklagte bewilligte der Bedarfsgemeinschaft mit verschiedenen Bescheiden Leistungen ab dem 1. Januar 2005, ohne die Unfallrente als Einkommen anzurechnen. Dabei wurden die Leistungen vom 1. Januar bis 31. Mai 2005 vorläufig und ab 1. Juni 2005 endgültig bewilligt. In den Berechnungsbögen waren jeweils die Einzelansprüche der Klägerin und des Ehemanns aufgeführt. Für die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) wurden jeweils 147,89 €/Monat zugrunde gelegt (Angaben der Klägerin im Erstantrag abzüglich der Warmwasserkosten).
In den Weiterzahlungsanträgen gab die Klägerin jeweils an, dass keine Änderungen eingetreten seien.
Die Klägerin übte vom 1. Juni bis 31. August 2006 eine befristete Beschäftigung aus. Mit Änderungsbescheid vom 26. September 2006 änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 2006. Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 6. Dezember 2006 hob er die Leistungsbewilligung für Juli 2006 teilweise i.H.v. 526,15 € auf und forderte die Erstattung.
Im Rahmen eines Datenabgleichs gemäß § 52 SGB II hatte der Beklagte am 24. März 2006 von der Unfallrente erfahren. In der Anhörung vom 6. Dezember 2006 teilte er der Klägerin mit, es seien Überzahlungen wegen der Nichtanzeige einer erheblichen Änderung entstanden. Der Ehemann der Klägerin wendete ein, die betriebliche Unfallversicherung sei als Betriebseinnahme vom Steuerbüro/Finanzamt verrechnet worden. Die Klägerin trug vor, die Rentenzahlung sei bei der Einkommensteuer berücksichtigt worden und sie habe keine Angaben machen brauchen.
Wegen des mit dem Erstantrag vorgelegten Kontoauszugs leitete der Beklagte kein Ordnungswidrigkeitsverfahren ein.
Mit bestandskräftigen Änderungsbescheiden vom 23. Januar 2007 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft Leistungen für den streitigen Zeitraum unter Anrechnung der Unfallversicherungsrente i.H.v. 408,43 €/Monat abzüglich des Pauschbetrags von 30 €. Die bisher in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen würden insoweit aufgehoben. Unverändert blieben die KdUH. Die Anlagen zu den Bescheiden enthielten jeweils die der Klägerin zustehenden Einzelansprüche (Januar 2005 bis Juni 2006: 182,73 €/Monat, Juli bis September 2006 kein Leistungsanspruch, Oktober bis November 2006: 195,73 €/Monat).
Mit an die Klägerin gerichtetem bestandskräftigen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23. Januar 2007 hob der Beklagte die Regelleistungen gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2006 und vom 1. Oktober bis 30. November 2006 teilweise i.H.v. 8.298,57 € auf. Für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 2006 bestehe kein Leistungsanspruch mehr (Verweis auf Bescheid vom 6. Dezember 2006). Die überzahlten Leistungen seien von der Klägerin zu erstatten.
Die Klägerin erklärte der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen am 22. März und 2. April 2007 ihr Einverständnis mit einer „Aufrechnung nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen (§§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) i.H.v. 391,47 €/Monat u.a. für die überzahlten Leistungen im streitigen Zeitraum. Die Bundesagentur für Arbeit teilte dies dem Beklagten mit. Dieser behielt den Betrag im Mai 2007 von den mit Bescheid vom 3. Mai 2007 bewilligten laufenden Leistungen ein. Die Klägerin gab daraufhin an, sie habe nur 30 € monatlich vereinbaren wollen. Der Beklagte veranlasste die Wiederauszahlung des einbehaltenen Betrags und teilte der Bundesagentur für Arbeit eine beabsichtigte Aufrechnung von 30 €/Monat ab Juni 2007 mit. Mit der Klägerin wurde aktenkundig am 20. Juni 2007 ein persönliches Gespräch geführt. Der Sachbearbeiter vermerkte dort „ab 1.7.07“
Mit Änderungsbescheid vom 20. Juni 2007 änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 1. Juni bis 30. November 2007. Der Bescheid enthält folgende Formulierung: „Folgende Änderungen sind eingetreten: Ab 7/07 erfolgt die Überweisung der Leistungen wie laut Aktenvermerk vom 20.06.07 festgelegt.“ Unter „Erläuterungen zum Feld „Zahlungsmodus“ wurde die Aufrechnung an die „SAT Halle“ mit dem Vermerk „Festbetrag vorrangig BA“ dargestellt. Dies erfolgte auch in den Folgebescheiden (so etwa Änderungsbescheid vom 6. März 2008, zuletzt vom 19. April 2012). Auf Wunsch der Klägerin wurde die Aufrechnung ab August 2012 beendet. Insgesamt wurden nach der Berechnung des Beklagten 366,21 € aufgerechnet.
Am 14. April 2014 beantragte die Klägerin die Überprüfung u.a. der Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 6. Dezember 2006 und 23. Januar 2007 €. Eine Begründung legte sie nicht vor.
Der Beklagte lehnte zunächst mit zwei Bescheiden vom 12. Mai 2014 eine Korrektur ab.
In dem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie sei mit der Absicht der Verschleppung falsch beraten worden.
Der Beklagte änderte daraufhin mit Änderungsbescheid vom 28. Mai 2015 gemäß § 44 SGB X den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ab. Er hob - bei unveränderten Leistungsansprüchen - die Leistungsbewilligungen für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2006 und vom 1. Oktober bis 30. November 2006 nur noch gegenüber der Klägerin auf. Für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. November 2006 ergebe sich eine Gesamtforderung von nur noch 4.149,27 €.
Den Widerspruch wies der Beklagte im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2015 („Geschäftszeichen: ….W-4802-00816/14“) zurück. Die Rückforderung der gesamten Überzahlung für Januar 2005 bis November 2006 sei gegenüber der Klägerin ergangen, jedoch habe ihre Erstattungspflicht nur zur Hälfte bestanden. Die Rückforderung sei gegenüber dem Ehemann verjährt. Der Widerspruchsbescheid wurde am 1. Juni 2015 zur Post aufgegeben.
Dagegen hat die - nunmehr anwaltlich vertretene - Klägerin sich mit ihrer am 2. Juli 2015 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage gewendet. Der Bescheid vom 23. Januar 2007 sei nicht hinreichend bestimmt. Er habe mehrere nicht benannte Zeiträume umfasst. Es seien auch nicht die Änderungsbescheide vom 27. Juni 2006 und vom 26. September 2006 aufgehoben worden.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. November 2018 abgewiesen. Der Bescheid vom 28. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom gleichen Tag für den Zeitraum von Januar 2005 bis November 2006 sei hinreichend bestimmt gemäß § 33 Abs. 1 SGB X. Unschädlich sei die fehlende Bezeichnung konkreter teilweise aufgehobener Bescheide. Soweit darin ein Formfehler liegen sollte, scheide eine Bescheidaufhebung gemäß § 42 Satz 1 SGB X aus. Weitere Gründe für Fehler des Bescheids vom 28. Mai 2015 seien nicht ersichtlich und auch nicht geltend gemacht worden.
Gegen das ihr am 5. April 2019 zugegangene Urteil hat die Klägerin am 24. April 2019 Berufung eingelegt. Sie trägt vor: Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23. Januar 2007 sei nicht hinreichend bestimmt. Es sei nicht klar, für welche Monate die Leistungen aufgehoben würden. Die Voraussetzungen des § 45 SGB X lägen ebenfalls nicht vor, da sie Vertrauensschutz habe. In Literatur und Rechtsprechung sei 2005 die Auffassung vertreten worden, dass die Unfallrente wie das Schmerzensgeld anrechnungsfrei sei. Unterlagen über die steuerliche Behandlung der Unfallrente sowie Nachweise über die selbstständige Tätigkeit des Ehemanns seien nicht mehr vorhanden.
Zuletzt hat die Klägerin unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 4. März 2021 (B 11 AL 5/20 R) die Einrede der Verjährung der Forderung erhoben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 29. November 2018 und den Bescheid des Beklagten vom 28. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Mai 2015 W816/14 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23. Januar 2007 in der Fassung des Bescheides vom 28. Mai 2015 zurückzunehmen, hilfsweise festzustellen, dass die Erstattungsforderung verjährt ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Aus den Berechnungsbögen seien die Aufhebungs- und Erstattungsbeträge erkennbar gewesen. Eine Umdeutung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids in einen Bescheid nach § 45 SGB X sei möglich. Die Klägerin habe keinen Vertrauensschutz, denn sie habe die Unfallversicherungsrente nicht angegeben. Die unterbliebene Berücksichtigung der Unfallrente hätte ihr auch auffallen müssen.
Hinsichtlich der gerichtlichen Anfrage vom 31. Mai 2021 zum Erlass weiterer Verwaltungsakte i.S.v. § 52 Abs. 1 SGB X hat der Beklagte die Agentur für Arbeit Recklinghausen angeschrieben. Nach Angaben des Sitzungsvertreters des Beklagten sei keine Antwort erfolgt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
I.1.
Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt worden. Sie ist auch statthaft gemäß § 144 Abs. 1 S. 1 SGG, da der Wert des Beschwerdegegenstands 750 € übersteigt.
2.a.
Streitgegenständlich ist hier die Ablehnung des Beklagten, den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23. Januar 2007 gegenüber der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2006 und vom 1. Oktober bis 30. November 2006 vollständig zurückzunehmen.
Der Zeitraum von Juli bis September 2006 ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Soweit der Beklagte mit dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 6. Dezember 2006 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 28. Mai 2015 für Juli 2006 eine Erstattung i.H.v. zuletzt noch 263,25 € gefordert hat, ist dagegen nach Angaben der Klägerin gesondert Klage erhoben worden.
3.
Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 55 Abs. 1 SGG für den Hilfsantrag der Feststellung der Verjährung der Forderung. Das Rechtsschutzbedürfnis ergibt sich schon daraus, dass sie die Einrede der Verjährung erhoben hat (BSG, Urteil vom 4. März 2021, B 11 AL 5/20 R [20]).
II.
Die Berufung ist teilweise begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegenüber dem Beklagten auf teilweise Rücknahme des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids vom 23. Januar 2007 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 28. Mai 2015.
Er hat zwar zu Recht die Leistungsbewilligungen im streitigen Zeitraum teilweise zurückgenommen. Der geforderte Erstattungsbetrag entspricht aber nicht den im streitigen Zeitraum entstandenen Überzahlungen. Fehlerhaft war es, für den streitigen Zeitraum einen Betrag i.H.v. 4.149,27 € zur Erstattung zu stellen. Vielmehr war der Leistungsanspruch der Klägerin insgesamt für den streitigen Zeitraum nur um 3.784,20 € herabgesetzt worden.
1.
Die Einrede der Verjährung der Erstattungsforderung aus dem Bescheid vom 23. Januar 2007 ist nicht wirksam erhoben worden. Die Klägerin kann daher kein Leistungsverweigerungsrecht hinsichtlich der - mittlerweile nur noch teilweise - geforderten Rückzahlung geltend machen. Denn es läuft hier die Verjährungsfrist gemäß § 52 Abs. 2 SGB X von 30 Jahren.
Der Eintritt der Verjährung nach Ablauf von 30 Jahren gemäß § 52 Abs. 2 SGB X setzt voraus (vgl. BSG, Urteil vom 4. März 2021, B 11 AL 5/20 R [27]):
die Unanfechtbarkeit eines Erstattungsbescheids i.S.v. § 50 Abs. 3 SGB X.
ein der laufenden Verjährung von 4 Jahren unterliegender Anspruch eines öffentlich-rechtlichen Leistungsträgers.
ein (zusätzlicher) unanfechtbarer Verwaltungsakt zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs.
Diese Voraussetzungen lagen hier vor.
a.
Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23. Januar 2007 enthielt einen eigenständigen Erstattungsbescheid i.S.v. § 50 Abs. 3 S. 1 SGB X. Der Beklagte regelte darin die Rückforderung überzahlter Leistungen wegen der in den Änderungsbescheiden vom gleichen Tag festgestellten geringeren Ansprüche für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2006 und vom 1. Oktober bis 30. November 2006.
Der Erstattungsbescheid vom 23. Januar 2007 war unanfechtbar geworden, da die Klägerin trotz ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung keinen Rechtsbehelf eingelegt hatte.
b.
Der Erstattungsbescheid vom 23. Januar 2007 regelte einen Anspruch eines öffentlich-rechtlichen Leistungsträgers, nämlich des Beklagten.
Der darin geregelte Erstattungsanspruch unterlag der 4-jährigen Verjährungsfrist, die am 31. Dezember 2011 endete. Nach § 50 Abs. 4 SGB X verjährt der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist. Die Unanfechtbarkeit des Bescheids vom 23. Januar 2007 trat ein mit dem Ablauf der Widerspruchsfrist nach seiner Bekanntgabe (§ 39 Abs. 1 SGB X). Die Klägerin hatte spätestens im März 2007 Kenntnis von dem Bescheid, da sie in diesem Monat mit der Bundesagentur für Arbeit eine Aufrechnung vereinbarte. Somit begann die Verjährung gemäß § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X nach Ablauf des Kalenderjahres 2007 am 1. Januar 2008 und endete am 31. Dezember 2011.
c.
Während der laufenden Verjährungsfrist von 4 Jahren wurde ein unanfechtbarer Verwaltungsakt zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs erlassen.
a.a.
Nicht ausreichend ist allein der Erstattungsbescheid vom 23. Januar 2007 gemäß § 50 Abs. 3 SGB X. Erst ein weiterer Verwaltungsakt zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers löst nach dessen Unanfechtbarkeit den Übergang in eine längere Verjährungsfrist von 30 Jahren nach § 52 Abs. 2 SGB X aus (sog. „Durchsetzungsbescheid“) (vgl. BSG, Urteil vom 4. März 2021, B 11 AL 5/20 R [25, 29]). Auch ein Aufrechnungsbescheid kann den Übergang in die 30-jährige Verjährungsfrist bewirken (BSG, Urteil vom 4. März 2021, B 11 AL 5/20 R [39]).
b.b.
Der Änderungsbescheid des Beklagten vom 20. Juni 2007 ist ein Durchsetzungsbescheid i.S.v. § 52 Abs. 1 SGB X. Darin regelte der Beklagte, dass er - entsprechend der vorherigen Vereinbarung der Klägerin mit der Bundesagentur für Arbeit - von der zur Erstattung gestellten Überzahlung ab Juli 2007 monatlich 30 € mit deren Leistungsanspruch aufrechnen würde.
Es handelte sich dabei auch um einen Verwaltungsakt i.S.v. § 31 S. 1 SGB X. Der Änderungsbescheid enthielt eine Entscheidung (Aufrechnung von 30 € ab Juli 2007) einer Behörde (Beklagter) zur Regelung eines Einzelfalls (laufende Zahlungsansprüche der Klägerin) auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (SGB II) mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen (§ 43 S. 1 SGB II).
Unerheblich ist hierbei, dass die Klägerin sich mit der Bundesagentur für Arbeit als Inkassostelle im Vorfeld auf die Modalitäten der Aufrechnung geeinigt hatte. Denn das von der Aufrechnung betroffene Rechtsverhältnis nach dem SGB II bestand nur zwischen der Klägerin und dem Beklagten. Die vorherige Einigung mit der Bundesagentur für Arbeit über die Rückzahlungsmodalitäten ließ die Notwendigkeit einer verbindlichen Umsetzung der Aufrechnung nicht entfallen. Dazu musste der Beklagte nämlich die bereits erfolgte Leistungsbewilligung und die Zuordnung der Zahlbeträge an die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ändern. Dies war nur in Form eines Änderungsbescheids (für die die Zeit ab Juli 2007) möglich.
c.c.
Der Aufrechnungsbescheid vom 20. Juni 2007 für den Leistungszeitraum vom 1. Juli bis 30. November 2007 wurde während der 4-jährigen Verjährungsfrist erlassen.
Es kann hier offenbleiben, ob ein Durchsetzungsbescheid gemäß § 52 Abs. 1 SGB X nur dann wirksam ist, wenn er nach Beginn der laufenden Verjährung - also hier nach dem 1. Januar 2008 - erlassen wird (so angedeutet: BSG, Urteil vom 4. März 2021, B 11 AL 5/20 R [22,27]). Denn alle Leistungsbescheide für die Bewilligungsabschnitte bis Juni 2012 waren Verwaltungsakte i.S.v. § 31 S. 1 SGB X. Sie enthielten neben der Leistungsbewilligung jeweils auch eine ausdrückliche Regelung im Einzelfall zur Aufrechnung. Unter „Erläuterungen zum Feld „Zahlungsmodus“ war jeweils dargestellt, dass die Aufrechnung an die „SAT Halle“ mit deren Bankverbindung und dem Vermerk „Festbetrag vorrangig BA“ vorgenommen wurde.
Somit ist die Verjährungsfrist von 30 Jahren noch nicht abgelaufen und die Klägerin kann sich auf die Einrede der Verjährung der Erstattungsforderung nicht berufen.
2.
Die Voraussetzungen für das von der Klägerin am 14. April 2014 beantragte Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X haben vorgelegen.
Nach § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass u.a. bei dessen Erlass von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
a.
Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X entsprechend anwendbar ist, wenn die Rücknahme eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids begehrt wird (so etwa BSG, Urteil vom 12. Dezember 1996, B 11 RAr 31/96 [15]; Urteil vom 28. Mai 1997, 14/10 RKg 25/95 [13]; Urteil vom 20. Juni 2002, B 7 AL 108/01 R [Orientierungssatz 1.]; Urteil vom 13. Februar 2014, B 4 AS 19/13 R [14]).
b.
Der Zulässigkeit des von der Klägerin beantragten Zugunstenverfahrens steht auch nicht die Verfallfrist von § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II entgegen. Danach werden Sozialleistungen nach dem SGB II längstens für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr vor der Rücknahme eines Verwaltungsakts erbracht, wenn diese mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist.
Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift scheidet bei Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden aus (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014, B 4 AS 19/13 R [20]); Urteil vom 12. Dezember 1996, a.a.O. [18]; Urteil vom 14. Mai 2020, B 4 AS 10/19 R [13]).
Dies gilt auch, soweit mit dem Antrag - mittelbar - die Wiederauszahlung des bereits teilweise geleisteten Erstattungsbetrags begehrt wird. Denn es handelt sich dabei nicht um die rückwirkende Gewährung von Sozialleistungen, sondern um die Rückzahlung eines zu Unrecht geleisteten Erstattungsbetrags (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014, B 4 AS 19/13 R [20]).
c.
Ebenfalls keine Anwendung findet die Ausschlussfrist gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II i.d.F. des 9. SGB II-ÄnderungsG. Danach ist mit Wirkung zum 1. August 2016 zusätzlich zur Jahresgrenze eine vierjährige Ausschlussfrist für Überprüfungsanträge nach dem SGB II eingeführt worden. Der Antrag vom 14. April 2014 ist vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung gestellt worden (BSG, Urteil vom 14. Mai 2020, B 14 AS 10/19 R [13,15]).
d.
Der Überprüfungsantrag der Klägerin vom 14. April 2014 löste bei dem Beklagten auch eine inhaltliche Prüfverpflichtung aus.
Die Überprüfung „im Einzelfall“ nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X setzt voraus, dass für den Leistungsträger die konkreten Inhalte eines gerügten Bescheides bei objektiver Betrachtung zu ermitteln sind. Ein Prüfanliegen im Einzelfall liegt vor, wenn eine bestimmte Fragestellung tatsächlicher oder rechtlicher Natur oder eine konkrete Verwaltungsentscheidung benannt werden (BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016, B 4 AS 37/15 R [1]). Eine Verpflichtung der Behörde zur Ermittlung „ins Blaue hinein“ ist ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014, B 4 AS 22/13 R [15 f.]).
a.a.
Hier brachte die Klägerin am 14. April 2014 ein konkretes Prüfanliegen vor. Sie nannte u.a. den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23. Januar 2007. Es war eindeutig zu erkennen, dass sie mit der Rückforderung der überzahlten Leistungen nicht mehr einverstanden war. Schon mit dem Antrag auf Einstellung der Aufrechnung im Juni 2012 hatte die Klägerin bekundet, mit der Rückforderung nicht mehr einverstanden zu sein.
Auch der Beklagte ging von einer inhaltlichen Prüfungsverpflichtung hinsichtlich der Rückforderung für den streitigen Zeitraum aus. Mit Änderungsbescheid vom 28. Mai 2015 hob er nämlich die streitigen Bescheide hinsichtlich der von der Klägerin geforderten Überzahlungen des Ehemanns der Klägerin auf.
b.b.
Nicht zum Gegenstand des Zugunstenverfahrens wurden die der Leistungsbewilligung zugrunde gelegten Hilfebedarfe einschließlich der Leistungen für die KdUH.
Diese waren im Änderungsbescheid vom 23. Januar 2007 gegenüber der ursprünglichen Bewilligung unverändert geblieben. Die Klägerin hatte auch insoweit weder in den Zugunstenanträgen noch im Laufe des Widerspruchsverfahrens Einwände vorgebracht.
Entsprechend hatte für den Beklagten aber auch keine weitergehende Prüfungspflicht nach § 44 Abs. 1 SGB X bestanden, da ein zu niedrig anerkannter Hilfebedarf nach Lage der Akten nicht erkennbar war. Die Berechnung der Kosten für die auf dem Betriebsgelände liegende Wohnung folgte den Angaben der Klägerin im Erstantrag. Sie hatte auch in den weiteren Leistungsanträgen keine abweichenden Angaben zu den Wohnkosten gemacht.
3.
Maßstab für die Überprüfung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids vom 23. Januar 2007 nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist, ob die zurückgenommenen Sozialleistungen materiell-rechtlich zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Im Zugunstenverfahren ist daher nur auf die leistungsrechtlichen Normen abzustellen (BSG, Urteil vom 8. Dezember 2020, B 4 AS 46/20 R [33]).
a.
Für die Frage der Prüfungspflicht der Bestimmtheit der Aufhebungs- und Erstattungsbescheide gibt es verschiedene Auffassungen in der obergerichtlichen Rechtsprechung. Der 14. Senat des BSG nimmt bei Unbestimmtheit eines Aufhebungsbescheids eine Pflicht zur Rücknahme im Zugunstenverfahren an (Urteil vom 14. Mai 2020, B 14 AS 10/19 R [17]). Der 4. Senat des BSG hingegen ordnet die Vorschriften über die Bestimmtheit von Verwaltungsakten nicht den leistungsrechtlichen Normen zu (Urteil vom 8. Dezember 2020, B 4 AS 46/20 R [33]).
Diese Frage kann hier offenbleiben (s.u. 4.).
b.
Das Vorliegen eines schutzwürdigen Vertrauens stellt eine leistungsrechtliche Norm im o.g. Sinne dar und ist im Zugunstenverfahren zu überprüfen (so ausdrücklich: BSG, Urteil vom 3. Februar 2022, B 5 R 26/21 R [15], Urteil vom 4. Februar 1998, B 9 V 16/96 R [16], Urteil vom 28. Mai 1997, B 14/10 RKg 25/95 [18]; wohl auch: BSG, Urteil vom 3. Mai 2018, B 11 AL 3/17 R [17]; offen gelassen hingegen in: BSG, Urteil vom 8. Dezember 2020, B 4 AS 46/20 R [32]; Urteil vom 21. Oktober 2020, B 13 R 19/19 R [40]; Urteil vom 24. April 2020, B 13 R 3/13 R [31]).
c.
Unerheblich im Zugunstenverfahren sind hingegen nach einhelliger Auffassung Verstöße gegen die Anhörungspflicht nach § 24 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 21. Oktober 2020, B 13 R 19/19 R [39] mit einer Darstellung der Rechtsprechung). Deshalb bedarf es hier keiner Prüfung, ob die Klägerin vor Erlass des Bescheids vom 23. Januar 2007 ordnungsgemäß auf das mögliche Vorliegen eines subjektiven Verschuldensvorwurfs hingewiesen wurde.
4.
Der Bescheid vom 23. Januar 2007 war zur Überzeugung des Senats hinreichend bestimmt gemäß § 33 Abs. 1 SGB X.
Erforderlich ist für die Bestimmtheit i.S.v. § 33 Abs. 1 SGB X, dass bei einer Teilaufhebung von Leistungen über mehrere Monate die geänderten Teilbeträge für jeden Monat den Bescheiden, ggf. nebst den Anlagen, entnommen werden können. Es muss objektiv erkennbar sein, in welcher Höhe Leistungen für die jeweiligen Monate zuerkannt bleiben (BSG, Urteil vom 14. Mai 2020, B 14 AS 10/19 R [18]; Urteil vom 20. Juni 2020, B 4 AS 10/20 R [27]).
a.
Die Änderungsbescheide vom 23. Januar 2007 ließen - in Verbindung mit den jeweiligen Berechnungsbögen und den ursprünglichen Bewilligungsbescheiden - die der Klägerin verbliebenen Leistungsansprüche sowie die Überzahlungsbeträge nach Monaten und individualisiert nach den beiden Eheleuten, erkennen. Aus den Beträgen ergibt sich zugleich auch die Höhe der jeweiligen monatlichen Aufhebungsentscheidungen. So konnte die Klägerin z. B. beim Vergleich des Bescheids vom 7. Juni 2005 (Leistungen für Januar bis Mai 2005 i.H.v. 743,89 €/Monat) und dem Änderungsbescheid vom 23. Januar 2007 (nach Anrechnung der Unfallrente nur noch 365,47 €/Monat) durch eine einfache Rechenoperation feststellen, dass und in welcher Höhe die bewilligten Leistungen überzahlt waren und zur Erstattung gestellt wurden.
Ob die Berechnung der überzahlten Leistungen korrekt war, ist keine Frage der Bestimmtheit, sondern des Anspruchs auf Korrektur der beanstandeten Bescheide.
b.
Entgegen der Auffassung der Klägerin führt auch die unterbliebene Benennung von Änderungsbescheiden nicht zur Unbestimmtheit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids vom 23. Januar 2007.
Soweit die Klägerin das Fehlen des Änderungsbescheids vom 27. Juni 2006 für Dezember 2005 bis Mai 2006 rügt, enthielt dieser hinsichtlich der monatlich bewilligten Leistungen keine abweichende Regelung zu dem Ausgangsbescheid vom 14. Oktober 2005. Es wurde lediglich der Krankenversicherungsstatus des Ehemanns geändert.
Soweit sie den Änderungsbescheid vom 26. September 2006 angeführt hat, enthielt dieser nur Änderungen zur Anrechnung des Einkommens für Juli bis September 2006. Für Oktober bis November 2006 blieb die Leistungsbewilligung unverändert. Der Zeitraum von Juli bis September 2006 war aber in dem streitigen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid nicht geregelt worden, sodass es auf etwaige Fehler hinsichtlich des Bestimmtheitsgebots in diesen Monaten nicht ankommt.
5.
Die Bescheide über die Bewilligung von Arbeitslosengeld II im streitigen Zeitraum erwiesen sich der Höhe nach als rechtswidrig. Denn seit dem 1. Januar 2005 hatte eine geringere Hilfebedürftigkeit der Klägerin aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens ihres Ehemanns vorgelegen.
a.
Zu Recht behandelte der Beklagte die Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung als Einkommen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz SGB II. Diese stellt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt privilegiertes Einkommen im Sinne von § 11 SGB II dar (BSG; Urteile vom 29. März 2007, B 7b AS 2/06 R, vom 5. September 2007, B 11b AS 15/06 R, vom 6. Dezember 2007, B 14/7b AS 62/06 R und 20/07 R).
Die Unfallrente des Ehemanns war auch in vollem Umfang als Einkommen zu berücksichtigen. Sie fiel nicht unter den Ausnahmetatbestand des § 11 Abs. 1 Satz 1 Zweiter Halbsatz SGB II. Es handelte sich nicht um eine Grundrente nach dem BVG oder einem anderen dort genannten Gesetz. Eine Ausnahme gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II, wonach zweckbestimmte Zuwendungen nicht als Einkommen anzurechnen sind, liegt ebenfalls nicht vor. Eine auch nur teilweise Freistellung der Unfallrente in Höhe des Betrags der Grundrente nach dem BVG ist nicht gesetzlich vorgesehen (BSG, Urteil vom 5. September 2007, a.a.O. [23 f.]).
Zu Recht hatte der Beklagte die in dem hier maßgeblichen Zeitraum bezogene Unfallrente nur um den Pauschbetrag von 30 € gemäß § 3 der Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-VO) in der jeweils geltenden Fassung bereinigt. Auch im Zugunstenverfahren ist die Bereinigung des anzurechnenden Einkommens nicht gerügt worden.
6.
Für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2005 hatte der Beklagte die Leistungen vorläufig bewilligt i.S.v. § 40 Abs. SGB II i.V.m. § 328 Drittes Buch Sozialgesetzbuch -Arbeitsförderung (SGB III).
Der Änderungsbescheid vom 23. Januar 2007 - mit Anrechnung der Unfallrente als Einkommen - enthielt keinen Vorbehalt der Vorläufigkeit mehr. Es handelte sich insoweit um einen endgültigen Bescheid i.S.v. § 328 Abs. 2 SGB III, da der vorläufige Bescheid abgeändert wurde und nunmehr kein Vorläufigkeitsvorbehalt mehr enthalten war. Unschädlich ist dabei, dass der vorläufige Bescheid zusätzlich noch teilweise aufgehoben wurde (BSG, Urteil vom 19. März 2020, B 4 AS 1/20 R [10]).
Die Verpflichtung zur Erstattung der überzahlten vorläufigen Leistungen für diesen Zeitraum ergab sich daher schon aus § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III.
7.
Für die Zeit ab dem 1. Juni 2005 hatte der Beklagte nur noch endgültige Bescheide erlassen.
a.
Er hatte die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligungen daher fehlerhaft auf § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB X gestützt. Die Leistungsbewilligungen waren vielmehr von Anfang an i.S.v. § 45 Abs. 1 SGB X rechtswidrig, weil der Ehemann der Klägerin die Unfallrente schon vor dem 1. Januar 2005 laufend bezogen hatte.
b.
Die insoweit fehlerhafte Rechtsgrundlage für die Leistungsaufhebung und -rückforderung führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 23. Januar 2007.
Für die Prüfung, ob insoweit das Recht i.S.v. § 44 Abs. 1 SGB X „unrichtig angewendet worden ist“, kommt ein Austausch der Rechtsgrundlage von § 48 auf § 45 SGB X in Betracht, wenn dessen Voraussetzungen vorgelegen haben (BSG, Urteil vom 28. Mai 1997, B 14/10 RKg 25/95 [17]). Die Voraussetzungen für einen Austausch der Rechtsgrundlage lagen hier vor, weil der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23. Januar 2007 auch rechtmäßig als Rücknahmebescheid auf § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X hätte gestützt werden können. Er wäre auf das gleiche Ziel gerichtet gewesen und hätte keine Änderung in Regelungsumfang und Wesensgehalt bewirkt (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 4 AS 48/07 R [17]). Eine Prüfung des zulässigen Austauschs der Rechtsgrundlage steht auch dem Gericht im Rahmen der ihm obliegenden Kontrolle zu (BSG, Urteil vom 25. Mai 2018, B 13 R 33/15 R [16]).
c.
Die Klägerin kann sich nicht auf Vertrauensschutz i.S.v. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X berufen. Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB X beruhten die zurückgenommenen Leistungsbescheide auf Angaben, die sie zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hatte.
a.a.
Eine unrichtige oder unvollständige Angabe kann auch durch Verschweigen bestimmter Umstände erfolgen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine gesetzliche Mitteilungspflicht i.S.v. § 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) hinsichtlich der Einkommenserzielung besteht. Die unterlassene Angabe des Bezugs der Unfallrente des Ehemanns war eine in wesentlicher Beziehung unvollständige Angabe der Einkommensverhältnisse der Bedarfsgemeinschaft. Die Klägerin war zur vollständigen Angabe aller Einkünfte verpflichtet, da diese Einfluss auf die Leistungen nach dem SGB II haben konnten.
b.b.
Die unvollständigen Angaben erfolgten auch grob fahrlässig. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der gesetzlichen Definition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies verlangt, dass schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und daher nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Entscheidend ist das individuelle Vermögen, die Fehlerhaftigkeit der gemachten Angaben erkennen zu können. Maßgeblich ist daher, ob die Klägerin bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre in der Lage gewesen wäre zu erkennen, dass sie die Unfallversicherungsrente anzugeben hatte (BSG, Urteil vom 18. Februar 2010, B 14 AS 76/08 R [20]).
Die Klägerin war zur Überzeugung des Senats im November 2004 in der Lage zu erkennen, dass auf dem "Zusatzblatt 2" alle Einkünfte, insbesondere auch alle bezogenen Sozialleistungen, anzugeben waren. Die zu beantwortende Frage nach "Rente, Pension" hätte die Klägerin bei Anstellen einfachster Überlegungen als zu beantworten erkennen müssen. Es musste ihr ohne weiteres klar sein, dass die bezogene Unfallrente eine Rente in dem Sinn des Abschnitts VI des Antragsvordrucks ist.
Es ist auszuschließen, dass die Eintragungen auf dem Zusatzblatt 2 durch eine Mitarbeiterin des Beklagten - ohne Kenntnis der Klägerin - vorgenommen wurden. Denn die von dieser in Grünschrift vorzunehmenden Eintragungen beinhalten nur das Datum und die Kundennummer. Darüber hinaus hatten die Klägerin und ihr Ehemann die Richtigkeit der Angaben mit eigenhändiger Unterschrift bestätigt. Die Klägerin hat auch zu keinem Zeitpunkt behauptet, die unterbliebene Angabe sei Kommunikationsproblemen mit der Sachbearbeiterin geschuldet.
Der Einwand der Klägerin im Rahmen der Anhörung am 5. Dezember 2006 spricht ebenfalls nicht für eine Gutgläubigkeit. Wenn die Klägerin der Meinung war, die Zahlungen seien schon bei der Einkommensteuer des Ehemanns berücksichtigt worden und sie habe deshalb keine Angaben machen brauchen, entschuldigt sie dies nicht. Auch wenn sie aufgrund einer laienhaften juristischen Einschätzung der Auffassung gewesen war, die Unfallrente finde keine Anrechnung und sie sei deshalb nicht zur Angabe verpflichtet, durfte sie nicht von einer Entbehrlichkeit der geforderten Angaben ausgehen. Eine rechtliche Subsumtion hinsichtlich dieses Einkommenszuflusses war gerade nicht von ihr gefordert (BSG, Urteil vom 18. Februar 2010, a.a.O.). Selbst wenn sie der Überzeugung gewesen sein sollte, die Unfallrente sei nicht anrechenbar, hätte sie diese offenlegen müssen, um dem Beklagten eine rechtliche Bewertung zu ermöglichen (BSG, Urteil vom 28. August 2007, B 7/7a AL 10/06 R [13] zur Frage des Verschweigens von Vermögen). Es hätte ihr bei einfachstem Nachdenken einleuchten müssen, dass in dem Fragebogen sämtliche dort genannten Einkommensarten anzugeben waren, und dass die Frage einer Anrechnung einer Entscheidung des Beklagten bedurfte. Anderenfalls wären die verschiedenen Rubriken "überflüssig" gewesen.
Für die Zeiträume nach der Einstellung des Geschäftsbetriebs im April 2005 war die unterbliebene Mitteilung des Rentenbezugs aus einem anderen Grund grob fahrlässig gewesen. Denn die Klägerin nimmt für sich in Anspruch, wegen der steuerrechtlichen Behandlung der Unfallrente als Betriebseinnahme habe sie keine Angaben machen müssen. Mit der Einstellung des Gewerbebetriebs wäre aber dieser Entschuldigungsgrund entfallen.
Auch das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren führt nicht zu einer anderen Einschätzung. Selbst wenn in Literatur und Rechtsprechung seinerzeit die Auffassung vertreten worden sein sollte, die Unfallrente sei - wie das Schmerzensgeld - anrechnungsfrei, entband dies die Klägerin nicht von der wahrheitsgemäßen Angabe aller Einkünfte.
Der Senat hat ansonsten keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin - etwa aufgrund von Einschränkungen des geistigen Leistungsvermögens - ihr Verhalten bei der Antragsabgabe nicht als fehlerhaft erkennen konnte. Die Klägerin war bis 2004 bei der Firma Porta versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Sie absolvierte von Juni bis August 2006 vollschichtig bei der Schweißausbildungsstätte „A“ ein Berufspraktikum. Ab April 2009 war sie mehrjährig als Aushilfskraft bei der „S-Information“ beschäftigt. Bis zum Klageverfahren erfolgte der Schriftverkehr mit dem Beklagten durch die Klägerin selbst. Angesichts dieser Gesamtumstände bedurfte es keines persönlichen Eindrucks von der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits. Dabei hat der Senat insbesondere berücksichtigt, dass diese am 5. Dezember 2006 bekundet hat, sie habe wegen der steuerrechtlichen Berücksichtigung gar keine Angaben machen brauchen.
Der Klägerin obliegt im Rahmen des Zugunstenverfahrens die objektive Beweislast für die Behauptung der Gutgläubigkeit, weil sie das Vorliegen eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals für das Behaltendürfen der überzahlten Leistungen für sich in Anspruch nimmt (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 2009, B 14 AS 6/08 R [19] zur Beweislastverteilung zwischen Leistungsbezieher und Leistungserbringer). Somit geht die Nichterweislichkeit zu ihren Lasten.
d.
Es ist nicht zu prüfen, ob die Klägerin die Leistungen verbraucht hatte und damit "entreichert" war. Bei Vorliegen grober Fahrlässigkeit gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X spielt im Rahmen der Rücknahmeentscheidung der Verbrauch der Sozialleistungen keine Rolle (BSG, Urteil vom 18. Februar 2010, B 14 AS 76/08 R [21]).
e.
Die Umstände der vorgelegten Kontoauszüge bei der Antragstellung sowie die Möglichkeit für den Beklagten, den Unfallrentenbezug schon seinerzeit zu erkennen, sind rechtlich ohne Bedeutung. Dies könnte allenfalls im Rahmen einer gesetzlich vorgeschriebenen Ermessensentscheidung zu prüfen sein. Der Beklagte hatte aber gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III kein Ermessen auszuüben. Vielmehr hatte er eine Pflicht zur Rücknahme der Leistungsbewilligung.
8.
Die Höhe der gemäß § 50 Abs. 3 SGB X von der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2006 und vom 1. Oktober bis 30. November 2006 zu erstattenden überzahlten Leistungen ist zu beanstanden.
a.
Der Beklagte regelte im Bescheid vom 23. Januar 2007 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 28. Mai 2015 die Rückforderung überzahlter Leistungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2006 und vom 1. Oktober bis 30. November 2006. Dem lagen die in den Änderungsbescheiden vom 23. Januar 2007 geregelten geringeren Ansprüche zugrunde.
b.
Zu Recht hob der Beklagte im Änderungsbescheid vom 28. Mai 2015 die Erstattungsforderung von 8.298,57 € für die Klägerin teilweise auf. Die überzahlten Leistungen an den Ehemann der Klägerin stehen somit nicht mehr im Streit.
c.
Die Sondervorschrift in § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II, wonach abweichend von § 50 SGB X nur 56 vom Hundert der bei der Leistung nach § 19 Satz 1 und 3 sowie § 28 berücksichtigten Kosten für Unterkunft, mit der Ausnahme der Kosten für Heizungs- und Warmwasserversorgung, nicht zu erstatten sind, ist hier nicht anwendbar. Nach § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II gilt dies u.a. nicht in den Fällen einer - wie hier - nur teilweise aufgehobenen Leistungsbewilligung.
d.
Die von der Klägerin zu erstattende Überzahlung im streitigen Zeitraum beträgt nicht insgesamt 4.149,27 €, sondern nur 3.784,20 €.
Dies ergibt sich aus einem Vergleich der ursprünglichen Bewilligungsbescheide vom 7. und 15. Juni 2005, 14. Oktober 2005 sowie vom 17. Mai 2006 mit den Änderungsbescheiden vom 23. Januar 2007: Für die Zeiträume vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2006 ergab sich eine Überzahlung der Klägerin i.H.v. 189,21 €/Monat (371,95 €/Monat bewilligt gegenüber 182,73 €/Monat geändert). Für die Zeiträume vom 1. Oktober bis 30. November 2006 ergab sich ebenfalls eine Überzahlung der Klägerin i.H.v. 189,21 €/Monat (384,94 €/Monat bewilligt gegenüber 195,73 €/Monat geändert).
Insgesamt war die Klägerin in dem Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2006 und vom 1. Oktober bis 30. November 2006 mit 3.784,20 € überzahlt (189,21 € x 20 Monate). Der zur Erstattung gestellte Betrag war daher zu reduzieren.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hinsichtlich der Kosten für das Widerspruchsverfahren bleibt es bei der Grundentscheidung im Widerspruchsbescheid.
Die Revision war mangels Vorliegen von Revisionsgründen nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).