L 12 AS 452/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 3 AS 3118/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 452/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.01.2020 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren (noch) um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Klägerin im Zeitraum vom 01.05.2019 bis 31.10.2019.

 

Die am 00.00.1994 geborene Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige. Im streitigen Zeitraum lebte sie in nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit Herrn O (im Folgenden Lebensgefährte), geboren am 00.00.1989, und den gemeinsamen Kindern V geboren am 00.00.2013, A geboren am 00.00.2014 und M geboren am 00.00.2015 unter der Anschrift B-Straße 8 in L. Am 00.00.2021 brachte Klägerin ein weiteres Kind, N, zur Welt. Auch der Lebensgefährte und die gemeinsamen Kinder sind bulgarische Staatsangehörige. Eine Eheschließung erfolgte nur nach den Gebräuchen der Roma und ist nicht staatlich anerkannt.

 

Der Lebensgefährte reiste ausweislich der erweiterten Meldebescheinigung der Stadt L vom 30.08.2018 am 26.02.2004 in die Bundesrepublik Deutschland ein und war bis zum 01.12.2015 durchgängig in Deutschland gemeldet, dann wieder ab dem 01.02.2016. Er wurde zum 01.12.2015 von Amts wegen abgemeldet. Unter dem 15.12.2015 unterzeichneten er und die Klägerin beim Standesamt in L eine Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft für die Tochter M.

 

Der Lebensgefährte bezog Leistungen nach dem SGB II zunächst als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft seiner Eltern und ab November 2014 selbst im Rahmen seiner eigenen Bedarfsgemeinschaft.

 

Die Klägerin reiste ausweislich der erweiterten Meldebescheinigung vom 21.06.2022 am 20.01.2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein und war hier durchgehend bis zum 09.02.2013 in L gemeldet. Es erfolgte sodann eine neue Anmeldung in L unter einer anderen Anschrift am 17.03.2013 mit Auszug am 18.03.2013 und eine weitere Meldung in L unter neuer Anschrift am 19.06.2013 bis 20.06.2013. Ab dem 15.09.2015 ist die Klägerin gemeinsam mit ihren Kindern unter der im Rubrum angegebenen Anschrift gemeldet. Der Lebensgefährte der Klägerin ist dort seit dem 01.02.2016 gemeldet.

 

Die Klägerin war im streitigen Zeitraum nicht erwerbstätig und verfügte nicht über eigene Einnahmen oder Vermögen. Für die Kinder bezog die Klägerin Kindergeld in gesetzlicher Höhe. Der Lebensgefährte verfügte (jedenfalls) im streitigen Zeitraum ebenfalls nicht über Vermögen und Einkommen und war auch nicht erwerbstätig.

 

Nach eigenen Angaben lebte die Klägerin mit ihren beiden älteren Kindern und dem Lebensgefährten zunächst noch in der Flüchtlingsunterkunft J-Straße 1 in L. Am 15.09.2015 unterschrieb die Klägerin einen Mietvertrag für die Wohnung im Haus B-Straße 8, Wohnung 01 in L (82,7 qm; 400 € Grundmiete, 180 € Betriebskosten, 120 € Heizkosten, 20 € Warmwasser monatlich) und zog dort mit den Kindern ein. Die Anmeldung erfolgte zum 15.09.2015. Der Lebensgefährte zog nach eigenen Angaben nicht mit in die Wohnung, sondern blieb zunächst noch in der Flüchtlingsunterkunft. Der Umzug zu der Klägerin und den Kindern erfolgte nach eigenen Angaben am 25.11.2015. Hierzu legte der Lebensgefährte eine Wohnungsgeberbescheinigung vom 25.11.2015 vor. Die Aufwendungen für die Wohnung erhöhten sich nach mehreren vorangegangenen Mieterhöhungen ab dem 01.08.2018 auf 850 € monatlich (Grundmiete 460 €, Betriebskosten 200 € und Heizkosten 190 €).

 

Auf den Leistungsantrag des Lebensgefährten vom 18.11.2015 bewilligte der Beklagte zunächst diesem, den Kindern und der Klägerin ab dem 01.11.2015 bis zum 30.04.2016 Leistungen nach dem SGB II (Bescheid vom 07.12.2015; Änderungsbescheid vom 18.03.2016) und auch eine Beihilfe für die Erstausstattung (Bescheid vom 04.12.2015).

 

Im Rahmen der Antragstellung zur Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II vom 19.04.2016 für die Zeit ab dem 01.05.2016 teilte der Lebensgefährte dem Beklagten mit, die Klägerin sei am 16.04.2016 ausgezogen. Aus einem Aktenvermerk vom 14.11.2016 über eine persönliche Vorsprache des Lebensgefährten bei dem Beklagten geht hervor, dass die Klägerin (weiterhin) seit „Frühjahr 2016“ nicht mehr in L wohne. Bei einer persönlichen Vorsprache des Lebensgefährten bei dem Beklagten am 24.01.2017 bekräftigte dieser, dass die Klägerin sich seit dem 16.04.2016 in Bulgarien aufhalte. In einem Aktenvermerk des Beklagten vom 16.06.2017 ist festgehalten, dass der Lebensgefährte die Klägerin wieder angemeldet hat.

 

Entsprechend den Angaben des Lebensgefährten über den Auszug der Klägerin bewilligte der Beklagte ab Mai 2016 zunächst keine Leistungen nach dem SGB II für die Klägerin. Nachdem der Beklagte den Wegfall des Arbeitnehmerstatus des Lebensgefährten zum 31.08.2017 festgestellt hatte und nun (ab dem 01.09.2017) nicht nur der Klägerin, sondern auch deren Kindern keine Leistungen mehr bewilligte (vgl. Bescheid vom 16.08.2017 geändert durch den Bescheid vom 12.09.2017) reichte der Lebensgefährte gemeinsam mit der Klägerin und den Kindern (im Folgenden „Familie“) durch ihre Bevollmächtigte am 18.10.2017 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Sozialgericht Köln (SG) ein (S 6 AS 4109/17 ER). Durch Beschluss vom 27.11.2017 verpflichtete das SG den Beklagten, der Familie ab dem 18.10.2017 bis zum 17.04.2018, jedoch längstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Der Lebensgefährte habe ein Daueraufenthaltsrecht i.S. des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II. Diesen Beschluss führte der Beklagte mit Schreiben vom 13.12.2017 aus.

 

Den am 20.11.2017 gestellten Fortzahlungsantrag der Familie für den Zeitraum vom 01.12.2017 bis 17.04.2018 hat der Beklagte bisher nicht beschieden.

 

Mit Bescheid vom 21.03.2018 lehnte der Beklagte einen Überprüfungsantrag der Familie vom 17.10.2017 ab, mit dem diese eine Überprüfung der ab dem Jahr 2016 gewährten Leistungen im Hinblick auf den Leistungsanspruch der Klägerin begehrt hatte. Die Bescheide vom 18.03.2016, 28.04.2016, 07.11.2016, 15.11.2016, 26.11.2016, 01.08.2017, 14.08.2017, 16.08.2017 und 12.09.2017 seien nicht zu beanstanden.

 

Den Weiterbewilligungsantrag der Familie vom 23.03.2018 lehnte der Beklagte für die Zeit ab dem 18.04.2018 mit Bescheid vom 13.04.2018 ab. Der Lebensgefährte verfüge über ein Aufenthaltsrecht allein zum Zwecke der Arbeitsuche. Er habe trotz mehrfacher Aufforderung eine Bescheinigung über ein Daueraufenthaltsrecht des zuständigen Ausländeramts nicht eingereicht.

 

Ein weiterer auf die Gewährung vorläufiger Leistungen gerichteter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem SG (S 36 AS 1937/18 ER) war erfolgreich. Der Beklagte verpflichtete sich in diesem Verfahren, an die Familie für den Zeitraum vom 18.04.2018 bis 31.10.2018 Leistungen in Höhe des Regelbedarfs unter Anrechnung des Kindergeldes unter Bezugnahme auf den Beschluss des SG vom 27.11.2017 zu dem Az. S 6 AS 4109/17 ER zu zahlen.

 

Mit Widerspruchsbescheiden vom 15.08.2018 wies der Beklagte die Widersprüche der Familie gegen die Ablehnungsbescheide vom 21.03.2018 und 13.04.2018 als unbegründet zurück. Es bestehe ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II. Eine Bescheinigung über ein Daueraufenthaltsrecht des zuständigen Ausländeramtes sei bisher nicht eingereicht worden. Ausweislich der erweiterten Meldebescheinigung sei der Lebensgefährte gerade nicht in den letzten fünf Jahren ununterbrochen in Deutschland gemeldet gewesen.

 

Mit Schreiben vom 05.09.2018 hat der Beklagte neben der Übernahme des Regelbedarfs in dem Zeitraum vom 18.10.2017 bis 31.10.2018 auch eine Übernahme der Bedarfe für Unterkunft und Heizung zur Abwendung eines Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz bis zur Entscheidung in der Hauptsache ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zugestanden.

 

Den Fortzahlungsantrag der Familie vom 24.09.2018 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 18.10.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2019 für den Zeitraum vom 01.11.2018 bis 30.04.2019 ab. Zugleich erklärte er sich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht bereit, der Familie Leistungen nach dem SGB II entsprechend dem Beschluss des SG vom 27.11.2017 im Verfahren S 6 AS 4109/17 ER einschließlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu gewähren.

 

Die gegen die Leistungsablehnung für die Zeiträume vom 01.11.2016 bis 30.04.2019 von der Familie bei dem SG eingeleiteten Klageverfahren waren im Wesentlichen erfolgreich (Urteile vom 29.01.2020, S 3 AS 3450/18 und S 3 AS 697/19). Die von dem Beklagten nur in Bezug auf die Leistungsgewährung für die Klägerin eingelegten Berufungen waren unter den Az. L 12 AS 448/20 und L 12 AS 451/20 bei dem Senat anhängig und sind Gegenstand des Unterwerfungsvergleichs im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23.11.2022.

 

Mit Bescheid vom 08.04.2019 lehnte der Beklagte den Fortzahlungsantrag der Familie vom 22.03.2019 für den hier streitigen Zeitraum ab dem 01.05.2019 bis zum 31.10.2019 ab, gewährte aber zugleich unter Bezugnahme auf das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz (S 6 AS 4109/17 ER) vorläufige Leistungen bis zur Entscheidung in der Hauptsache. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.07.2019 als unbegründet zurück. Einen Nachweis für das Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts habe der Lebensgefährte der Klägerin nicht vorgelegt. Die erweiterte Meldebescheinigung weise Lücken auf, die einem fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalt entgegenstehen würden.

 

Für den nachfolgenden Zeitraum vom 01.11.2019 bis zum 30.04.2020 lehnte der Beklagte ebenfalls eine Leistungsgewährung ab (Bescheid vom 07.10.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2019) unter gleichzeitiger Weitergewährung von Leistungen nach dem SGB II entsprechend den vorherigen Leistungszeiträumen unter Bezugnahme auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (SG Köln, S 6 AS 4109/17 ER). Das hiergegen eingeleitete Klageverfahren hatte Erfolg (Urteil vom 29.01.2020, S 3 AS 4436/19). Das hiergegen allein in Bezug auf die Klägerin geführte Berufungsverfahren des Beklagten war bei dem Senat unter dem Aktenzeichen L 12 AS 453/20 anhängig und ist ebenfalls Gegenstand des Unterwerfungsvergleichs im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23.11.2022.

 

Gegen den Bescheid vom 08.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2019 hat die Familie am 24.07.2019 Klage bei dem SG erhoben, mit der sie ihr Ziel auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für den Bewilligungszeitraum vom 01.05.2019 bis 31.10.2019 weiterverfolgt hat. Sie hat unter Wiederholung ihrer Ausführungen in dem Verfahren S 36 AS 1937/18 ER vorgetragen, dass es entgegen der Auffassung des Beklagten nicht auf eine dauerhafte Meldung ankomme, sondern auf den über fünfjährigen Aufenthalt, der bei dem Lebensgefährten vorliege, da auch in der Zeit der „Meldelücke“ sein gewöhnlicher Aufenthalt in L gewesen sei.

 

Die Familie hat erstinstanzlich schriftsätzlich beantragt,

 

den Bescheid vom 08.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2019 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Klägern die beantragten Leistungen zu gewähren.

 

Der Beklagte hat erstinstanzlich schriftsätzlich beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Er nahm im Wesentlichen auf seine Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden Bezug und betonte, dass der Lebensgefährte trotz mehrfacher Aufforderung ein Daueraufenthaltsrecht nicht nachgewiesen habe.

 

Das SG hat am 18.12.2019 in den Verfahren S 3 AS 3450/18 und 697/19 einen Erörterungstermin durchgeführt und darin den Lebensgefährten angehört sowie die Zeugen S und T zu dem Aufenthalt des Lebensgefährten im Zeitraum Dezember 2015 und Januar 2016 vernommen. Die Sitzungsniederschrift hat es zum hiesigen Verfahren bezogen. Auf deren Inhalt wird verwiesen.

 

Mit Einverständnis der Beteiligten hat das SG ohne mündliche Verhandlung entschieden und den Beklagten mit Urteil vom 29.01.2020 unter Aufhebung des Bescheides vom 08.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2019 verpflichtet, der Familie für die Zeit vom 01.05.2019 bis 31.10.2019 Leistungen nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Familie sei durch die beanstandeten Entscheidungen des Beklagten beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn die Entscheidung des Beklagten sei rechtswidrig. Der Beklagte habe zu Unrecht einen Leistungsanspruch der Familie unter Hinweis auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II in der Annahme verneint, die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II lägen nicht vor. Der Lebensgefährte könne sich zwar nicht auf ein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) i.V.m § 4a Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU berufen, jedoch lägen die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II vor. Er sei seit dem Jahr 2006 bis zum 01.12.2015 durchgängig und dann wieder ab dem 01.06.2016 in Deutschland gemeldet gewesen. Die kurze Unterbrechung im Meldeverlauf habe er schlüssig erklären können und sich zur Überzeugung der Kammer auch während dieser Zeit in der Bundesrepublik Deutschland im Zuständigkeitsbereich des Beklagten aufgehalten. Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU i.V.m § 4a Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU setze jedoch – im Gegensatz zur Regelung in § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II – voraus, dass sich der Unionsbürger seit fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Rechtmäßig i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU sei der Aufenthalt, wenn ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU oder dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vorliege. Allein der fünfjährige Aufenthalt eines Unionsbürgers verbunden mit der im FreizügG/EU enthaltenen generellen Freizügigkeitsvermutung begründe kein Daueraufenthaltsrecht nach §§ 2 Abs. 2 Nr. 7, 4a FreizügG/EU. Der Lebensgefährte sei insbesondere nicht als nichterwerbstätiger Unionsbürger i.S.d. § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt gewesen. Danach hätten nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Der Lebensgefährte sei indes während seines Aufenthalts in Deutschland laufend auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen gewesen und habe somit nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt, um seinen Lebensunterhalt und Krankenversicherungsschutz selbst zu decken. Er könne sich auch nicht auf eine andere materielle Freizügigkeitsberechtigung bzw. ein anderes Aufenthaltsrecht berufen. Er habe eine Bescheinigung über den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nicht beigebracht. Es könne daher dahinstehen, ob eine von einer Ausländerbehörde ausgestellte Bescheinigung über das Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 5 S. 1 FreizügG/EU für die Grundsicherungsleistungsträger und Sozialgerichte überhaupt bindende Wirkung habe.

 

Der Lebensgefährte verfüge damit zwar allein über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei er damit aber dennoch nicht gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II – der Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, vom Leistungsanspruch ausnimmt – vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Denn er könne sich auf die Rückausnahme zum Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II berufen. Abweichend von § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II erhalten hiernach Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach dem SGB II, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Die Frist beginne mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Dies gelte nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt worden sei. Diese Regelung sei jedoch erst mit Wirkung zum 29.12.2016 in Kraft getreten. Der Lebensgefährte sei ausweislich der erweiterten Meldebescheinigung von 2004 bis zum 01.12.2015 durchgängig in Deutschland gemeldet gewesen, dann wieder ab dem 01.02.2016. Seine Abmeldung zum 01.12.2015 sei von Amts wegen erfolgt. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei die Meldelücke für die Frage, ob der Lebensgefährte seit mindestens fünf Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet habe, jedoch nicht entscheidend. Ausgehend vom Wortlaut des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II müsse zum Fristbeginn eine amtliche Wohnsitzmeldung vorliegen. Dagegen könne die Dauer des folgenden Aufenthaltes auch mit anderen Beweismitteln nachgewiesen werden und setze gerade nicht – nur – eine durchgehende, lückenlose melderechtliche Wohnsitzdokumentation voraus. In der Gesetzesbegründung (BR-Drucksache 587/16, S. 9) heiße es nämlich hierzu, dass ausländische Personen, die sich auf die Rückausnahme berufen und einen mindestens fünfjährigen Aufenthalt in Deutschland behaupten, hierfür im Zweifelsfall Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers geeignete Nachweise zu erbringen haben (vgl. § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil <SGB I>). Entsprechend stelle die Vorschrift auf die Dauer des „gewöhnlichen Aufenthaltes" ab und damit auf ein Tatbestandsmerkmal, welches – unabhängig von melderechtlichen Verpflichtungen – gerade die tatsächlichen Umstände berücksichtige. Dass hingegen eine ununterbrochene Wohnsitzmeldung des Ausländers im Rahmen des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II unabdingbare Grundvoraussetzung für den – darauf aufbauenden – Nachweis eines ständigen Aufenthaltes von fünf Jahren wäre, könne dem Wortlaut nicht entnommen werden. Auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts komme es in § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II im Gegensatz zur Regelung des Daueraufenthaltsrechts in § 4a Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU nicht an. Dies ergebe sich auch explizit aus der Gesetzesbegründung, denn dort heiße es, die Frist von fünf Jahren sei angelehnt an den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts, setze im Gegensatz zu diesem aber keine materielle Freizügigkeitsberechtigung voraus (BT-Drucksache 18/10211, S. 14). Soweit der Gesetzgeber also annehme, von einem verfestigten Aufenthalt in Deutschland sei nach Ablauf eines gewöhnlichen Aufenthalts von mindestens fünf Jahren ab Meldung bei der Meldebehörde auszugehen, sei diese Voraussetzung im Falle des Lebensgefährten erfüllt. Nach den glaubhaften Angaben des Lebensgefährten unter Berücksichtigung der von Amts wegen erfolgten Abmeldung des Lebensgefährten, der Bestätigung des Vermieters zum Einzug in die Wohnung B-Straße 8, Wohnung 01 am 25.11.2015 sowie dem Ergebnis der Beweisaufnahme gehe die Kammer davon aus, dass der Lebensgefährte sich durchgängig in Deutschland aufgehalten habe und es eine Unterbrechung des gewöhnlichen Aufenthalts tatsächlich nicht gegeben habe. In einem am 18.12.2019 durchgeführten Erörterungstermin habe der Lebensgefährte glaubhaft versichert, dass er in der städtischen Flüchtlingsunterkunft von Amts wegen abgemeldet worden sei, weil er und seine Eltern dort nicht weiter hätten leben dürfen. Er sei seit 2004 in Deutschland gemeldet, er habe sich nicht selbst abgemeldet. Es erscheine von daher schon nicht sachgerecht, allein den Umstand der Abmeldung als Grund für das Entfallen der Aufenthaltsverfestigung nach einem mehr als 10-jährigen Aufenthalt in Deutschland heranzuziehen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Lebensgefährte am 01.12.2015 Deutschland verlassen habe. Der Vermieter habe bestätigt, dass dieser am 25.11.2015 in die Wohnung B- Straße 8, Wohnung 01 zu der Klägerin und seinen Kindern gezogen sei. Wie sich aus den Verwaltungsakten des Beklagten ergebe, habe es im Zuge des Zusammenziehens sogar intensiven Kontakt mit dem Beklagten gegeben. Letzten Endes habe der Beklagte sogar ein Daueraufenthaltsrecht des Lebensgefährten nach § 4a FreizügG/EU ab dem 09.11.2014 angenommen und in dieser Annahme der Familie ab dem 01.11.2015 Leistungen nach dem SGB II und auch eine Beihilfe für die Erstausstattung bewilligt. Den Aufenthalt des Lebensgefährten in Deutschland würden aber nicht nur die dokumentierten Vorgänge bei dem Beklagten nahelegen, sondern auch die Angaben der Zeugen. Sie hätten einvernehmlich ausgesagt, dass dieser sich durchgängig in Deutschland aufgehalten habe; so habe er auch Silvester 2015 in L gefeiert. Diese Angaben würden insbesondere vor dem Hintergrund glaubhaft erscheinen, dass sich die Familie des Lebensgefährten, seine Eltern und weitere Familienangehörige, wie die Zeugen, zudem aber seine Partnerin und seine Kinder, mit denen er gerade erst zusammengezogen sei, in Deutschland aufgehalten haben. Dafür, dass der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügigG/EU festgestellt worden oder ein darauf gerichtetes Verfahren eingeleitet worden sei, seien – wie schon in den vorangegangenen Verfahren festgestellt – keine Anhaltspunkte, auch nicht im Zuge der Auskunft der Ausländerbehörde in den laufenden Parallelverfahren, gegeben. Damit hätten aber nicht nur die Kinder des Lebensgefährten als seine Familienangehörigen ein Aufenthaltsrecht und einen Leistungsanspruch, sondern auch die Klägerin und zwar aus familiären Gründen. Auch die leibliche unverheiratete Mutter von Kindern, die von ihrem Vater einen Leistungsanspruch ableiten, bilde mit diesen eine Familie im Sinne des Art. 6 Grundgesetz (GG); denn die Kinder seien in gleicher Weise auf die Ausübung der tatsächlichen elterlichen Sorge durch die Mutter angewiesen. Soweit der Bedarf der einzelnen Kläger dadurch gedeckt gewesen sei, dass sie (vorläufig) Leistungen nach dem SGB II erhalten hätten, greife die Erfüllungsfiktion des § 107 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ein.

 

Der Beklagte hat gegen das ihm am 18.02.2020 zugestellte Urteil am 18.03.2020 Berufung eingelegt, mit der er den Antrag auf Klageabweisung nur hinsichtlich der Klägerin weiterverfolgt. Der vom SG angenommene Aufenthaltstitel für die Klägerin aus § 25 Abs.4 S. 2 AufenthG sei nicht nachgewiesen worden. Ein solches Aufenthaltsrecht könne über § 11 Abs. 1 FreizügG/EU ggf. neben ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU treten. Soweit sich Unionsbürger jedoch auf ein solches Aufenthaltsrecht aus dem AufenthG berufen wollten, müssten sie dessen Bestehen, anders als bei den Freizügigkeitsrechten nach dem FreizügG/EU, durch Vorlage eines entsprechenden Aufenthaltstitels der Ausländerbehörde nachweisen. Weitere Aufenthaltsrechte, die über das Freizügigkeitsrecht hinausgingen, seien als sonstige Aufenthaltsrechte durch die zuständigen Ausländerbehörden zu prüfen und in Zweifelsfällen, wie vorliegend nicht geschehen, von diesen zu bescheinigen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.01.2020 zu ändern und die Klage bezüglich der Klägerin abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung, die sie für zutreffend hält. Sie habe Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II aus familiären Gründen. Mit ihrem Lebensgefährten und ihren gemeinsamen Kindern, die jeweils leistungsberechtigt seien, habe sie im streitigen Zeitraum in einer Bedarfsgemeinschaft gelebt. Im Hinblick auf die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge habe sie einen Leistungsanspruch (entsprechend BSG Urteil vom 30.01.2013, B 4 AS 54/12 R). Es sei bekannt, dass eine Daueraufenthaltsbescheinigung von der Ausländerbehörde auszustellen sei, genauso sei bekannt, dass ihr eine solche nicht vorliege und für sie wohl auch nicht ausgestellt werden würde.

 

Die Beigeladene hat keine Anträge gestellt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte, die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten und die beigezogenen Gerichtsakten des SG zu den Verfahren S 6 AS 4109/17 ER und S 36 AS 1937/18 ER sowie den zwischen den Beteiligten geführten Parallelverfahren L 12 AS 448/20, L 12 AS 451/20 und L 12 AS 453/20 Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl für die Beigeladene niemand am Termin zur mündlichen Verhandlung teilgenommen hat. Die Beigeladene ist in der ihr ordnungsgemäß bekannt gegebenen Terminsmitteilung auf diese verfahrensrechtliche Möglichkeit hingewiesen worden (vgl. § 153 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 110 Abs. 1 S. 2, 126 SGG).

 

A. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

 

Zutreffend hat das SG den Beklagten verpflichtet, auch der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren. Die Leistungsablehnung des Beklagten war im streitigen Zeitraum vom 01.05.2019 bis 31.10.2019 rechtswidrig und die Klägerin dadurch in ihren Rechten im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG verletzt, denn die diesbezüglichen Bescheide sind rechtswidrig.

 

Gegenstand des von dem Beklagten als Berufungsführer nur im Hinblick auf die Klägerin eingeleiteten Berufungsverfahrens ist neben der Entscheidung des SG der Ablehnungsbescheid vom 08.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2019. Streitig ist – wie bereits erstinstanzlich – der Zeitraum vom 01.05.2019 bis 31.10.2019. Wegen des in zeitlicher Hinsicht unbegrenzt gestellten Antrags und der vollständigen Leistungsablehnung ist grundsätzlich über den geltend gemachten Anspruch bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (st. Rspr., vgl. BSG Urteil vom 01.06.2010, B 4 AS 67/09 R, Rn. 13, juris, und Urteil vom 17.10.2013, B 14 AS 58/12 R, Rn. 11, juris). Soweit ein Weiterbewilligungsantrag gestellt ist und der Beklagte diesen – wie hier – auch beschieden hat, tritt jedoch eine zeitliche Zäsur ein (vgl. BSG Urteil vom 13.07.2017, B 4 AS 17/16 R, Rn. 13, juris). Im vorliegenden Fall hat die Familie für den Anschlusszeitraum ab dem 01.11.2019 einen weiteren Leistungsantrag gestellt, der mit Bescheid vom 07.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2019 abgelehnt worden ist.

 

Die Berufung des Beklagten ist statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 € übersteigt, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG. Sie ist auch fristgerecht eingelegt, § 151 SGG. Das Urteil des SG vom 29.01.2020 ist dem Beklagten am 18.02.2020 zugestellt worden. Er hat am 18.03.2020 Berufung eingelegt.

 

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

 

I. Die Klage ist zulässig.

 

Die Familie hat sich gegen den Bescheid vom 08.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2019 zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zur Wehr gesetzt, § 54 Abs. 1 SGG.

 

Die Klagefrist nach § 87 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG ist gewahrt. Die Klage ist danach binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides, § 87 Abs. 2 SGG. Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt gem. § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 17.07.2019 hat die Familie am 24.07.2019 und damit innerhalb der Monatsfrist Klage erhoben.

 

Der Klage steht weiter nicht entgegen, dass der Beklagte Leistungen nach dem SGB II bereits ausgekehrt hat. Der Beklagte hat im Bescheid vom 08.04.2019 mit dem maßgeblichen Verfügungssatz die Leistungsbewilligung ausdrücklich abgelehnt. Sodann hat er unter Hinweis auf das frühere einstweilige Rechtsschutzverfahren und mit dem Zusatz, das ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zu tun, angekündigt, weiterhin vorläufige Leistungen erbringen zu wollen. Insofern kann dem Bescheid auch aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers analog §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kein Regelungswillen hinsichtlich einer Leistungsbewilligung entnommen werden, sondern lediglich die Absicht, faktisch weiter entsprechend der früheren Verpflichtung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorläufig leisten zu wollen. Der Sachverhalt ist daher in den Rechtswirkungen einem Ausführungsbescheid vergleichbar, der regelmäßig keine Regelung i.S. des § 31 S. 1 SGB X trifft (vgl. BSG Beschluss vom 18.09.2003, B 9 V 82/02 B, Rn. 6, juris; LSG NRW Urteil vom 19.06.2020, L 13 SB 122/20, Rn. 17, juris; LSG NRW Beschluss vom 23.03.1998, L 10 SVs 15/97, Rn. 18, juris.)

 

II. Die Klage ist auch begründet.

 

1. Das SG hat zu Recht Leistungen dem Grunde nach zuerkannt. Ein Grundurteil ist dann möglich, wenn der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II wahrscheinlich ist (vgl. BSG vom 21.12.2009, B 14 AS 61/08 R, Rn. 10, juris).

 

Dies ist hier der Fall, denn die Familie verfügte im streitigen Zeitraum nicht über eigenes ausreichendes Einkommen und Vermögen, um den Bedarf nach dem SGB II daraus vollständig zu decken. Weder die Klägerin noch ihr Lebensgefährte waren im streitigen Zeitraum oder sechs Monate davor erwerbstätig. Für die Kinder erhielt die Familie Kindergeld in gesetzlicher Höhe. Anhaltspunkte für die Freibetragsgrenzen übersteigendes Vermögen der Klägerin bestehen nicht.

 

2. Rechtsgrundlage für die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ist § 19 Abs. 1 S. 1 und 3 SGB II. Nach dieser Regelung haben erwerbsfähige Hilfebedürftige einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, das heißt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Hilfeberechtigt sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.

 

Die im Jahr 1994 geborene Klägerin hatte im streitigen Zeitraum das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht. Sie war im streitigen Zeitraum erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II. Gegenteilige Anhaltspunkte liegen nicht vor. Die Klägerin hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt im streitigen Zeitraum in Deutschland. Anhaltspunkte, dass sie das Land (erneut) verlassen hat, liegen nicht vor.

 

Die Familie bildet gemäß § 7 Abs. 3 Nrn. 3c, 4 SGB II eine Bedarfsgemeinschaft bestehend aus der in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Klägerin und ihrem Lebensgefährten sowie den gemeinsamen minderjährigen Kindern.

 

Die Familie war im streitigen Zeitraum auch hilfebedürftig im Sinne des SGB II. Gegenteilige, substantiierte Anhaltspunkte liegen nicht vor und werden von dem Beklagten, der sich mit der Berufung allein gegen die Leistungsberechtigung der Klägerin aufgrund von Leistungsausschlüssen nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II wendet und der der Familie durchgehend vorläufige Leistungen erbracht hat, auch nicht geltend gemacht.

 

Die Klägerin und ihr Lebensgefährte waren im gesamten streitigen Zeitraum nicht erwerbstätig. Für die Kinder erhielt die Familie Kindergeld in gesetzlicher Höhe. Die Familie hat im Übrigen durchgehend vorläufige Zahlungen nach dem SGB II von dem Beklagten erhalten, so dass sie hiervon ihren Lebensunterhalt decken konnte.

 

Die Klägerin ist im streitigen Zeitraum auch nicht von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II deshalb ausgeschlossen, weil der Aufenthalt in Deutschland lediglich zur Arbeitsuche bestand. Vielmehr kann sich die Klägerin auf ein von ihren Kindern abgeleitetes Aufenthaltsrecht berufen.

 

Nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II in der Fassung vom 22.12.2016 (bzw. für die Zeit ab 01.08.2019 in der Fassung vom 08.07.2019) sind von den Leistungen nach dem SGB II ausgenommen 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, 2. Ausländerinnen und Ausländer, a) die kein Aufenthaltsrecht haben oder b) deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen, 3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des AufenthaltsG in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 des FreizügigG/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

 

Nach der Rechtsprechung des BSG erfordert die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II regelmäßig eine „fiktive Prüfung“ des Grundes bzw. der Gründe der Aufenthaltsberechtigung. Bereits das Vorhandensein der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindert die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts „allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. b) SGB II (BSG Urteil vom 30.01.2013, B 4 AS 54/12 R, Rn. 23, juris).

 

a. Unstreitig kann sich die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht auf die Ausnahmevorschrift des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II berufen, da sie sich noch nicht länger als fünf Jahre durchgehend in Deutschland aufgehalten hat. Ausweislich der erweiterten Meldebescheinigung ist die Klägerin erst 2012 nach Deutschland eingereist und es bestehen darüber hinaus zwischen den Jahren 2012 und 2015 verschiedene Meldelücken, für welche weder ersichtlich noch unter Beweisantritt vorgetragen ist, dass sich die Klägerin dennoch im Bundesgebiet aufgehalten hat. Darüber hinaus hat sich die Klägerin von etwa April 2016 bis etwa Juni 2017 trotz fortbestehender Meldung nicht im Bundesgebiet aufgehalten. Sofern die Klägerin in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, nur wenige Wochen in Bulgarien gewesen zu sein, ist dies angesichts der eindeutigen Vorsprachen des Lebensgefährten hinsichtlich des Aufenthalts der Klägerin im Ausland und auch den fehlenden Leistungsanträgen in diesem Zeitraum nicht glaubhaft.

 

b. Die Klägerin war nach eigenen Angaben zu keinem Zeitpunkt als Arbeitnehmerin tätig und kann sich damit nicht auf einen Status als Arbeitnehmerin berufen (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügigG/EU, in der Fassung vom 02.12.2014). Ebenso scheidet ein Freizügigkeitsrecht aus den §§ 3, 4 FreizügigG/EU für die Klägerin aus, weil sie nicht über ausreichende Existenzmittel und einen Krankenversicherungsschutz verfügt. Ein Daueraufenthaltsrecht aus § 4a FreizügigG/EU ist aus den vorgenannten Gründen ebenfalls nicht gegeben.

 

c. Die Klägerin kann ferner kein Aufenthaltsrecht nach Art 10 VO (EU) Nr. 492/2011, das sich aus einem Schulbesuch ihrer Kinder ergeben würde, geltend machen.

 

Ein solches könnte frühestens ab dem 01.08.2019 (Schuljahr 2019/2020) in Betracht kommen, denn die im Jahr 2013 geborene Tochter dürfte in diesem Schuljahr in die Grundschule eingeschult worden sein.

 

Nach Art 10 VO (EU) Nr. 492/2011 können Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats (hier aus Bulgarien), der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats (hier in der Bundesrepublik Deutschland) beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht teilnehmen. Dieses Recht auf Gleichbehandlung hinsichtlich des Zugangs zur weiteren Teilnahme am Unterricht (vgl. EuGH Urteil vom 06.10.2020, C-181/19, Rn. 35, juris) vermittelt sowohl den Kindern als auch den sie betreuenden Elternteilen ein materielles Aufenthaltsrecht (BSG Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 43/15 R, Rn. 31, juris; Urteil vom 27.01.2021, B 14 AS 25/20 R, Rn. 17, juris). Das Recht knüpft an den Arbeitnehmerstatus eines Elternteils an, reicht aber zeitlich über die Beschäftigung hinaus (BSG vom 12.09.2018, B 14 AS 18/17 R, Rn. 24, juris). Mit dem Erfordernis der (früheren) Beschäftigung verweist Art 10 VO (EU) Nr. 492/2011 auf den Arbeitnehmerbegriff des Art. 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), wovon auch der EuGH ausgeht (EuGH a.a.0.) und was sich im Übrigen aus der zu Art. 10 gehörenden Abschnittsüberschrift und dem Sinn und Zweck der VO (EU) Nr. 492/2011 ergibt, das Ziel der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu erreichen (Erwägungsgrund Nr. 3 der VO <EU> Nr. 492/2011; vgl. BSG Urteil vom 27.01.2021, B 14 AS 25/20 R, Rn. 17, juris).

 

Ein Freizügigkeitsrecht der Kinder aus Art 10 VO (EU) Nr. 492/2011, von dem die Klägerin ein Aufenthaltsrecht ableiten könnte, kommt jedoch nicht in Betracht, da der Anknüpfungspunkt des Arbeitnehmerstatus eines Elternteils nicht vorliegt. Die Klägerin selbst war zu keinem Zeitpunkt als Arbeitnehmerin oder selbstständig Erwerbstätige in der Bundesrepublik Deutschland tätig. Auch der Lebensgefährte ist weder im streitigen Zeitraum noch in einem zeitlichen Rahmen von sechs Monaten vor diesem Zeitraum noch seit seiner Einreise nach Deutschland für einen Zeitraum von mindestens einem Jahr erwerbstätig gewesen. Aus diesem Grund kann er sich ebenfalls nicht auf einen Arbeitnehmerstatus im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 FreizügigG/EU berufen.

 

d. Die Klägerin verfügt jedoch über eine Aufenthaltsberechtigung aus familiären Gründen, die sich aus dem Zusammenleben der (nichtehelichen) Partner mit einem gemeinsamen Kind oder dem Kind eines Partners ergibt (§ 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU in der Fassung vom 20.07.2017 <a.F.> i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 AEUV; Art. 6 GG; Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention <EMRK>).

 

(1) Der Lebensgefährte der Klägerin kann sich allein auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU berufen. Allerdings greift für ihn der Leistungsausschluss aufgrund der Rückausnahme in § 7 Abs.1 S. 4 SGB II nicht, da er sich – wie sich aus den rechtskräftigen Feststellungen des SG in dem Urteil vom 29.01.2020 ergibt – im streitigen Zeitraum länger als fünf Jahre durchgehend in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat.

 

Diesen Feststellungen des SG ist der Beklagte, der das Urteil ausdrücklich nur hinsichtlich der Klägerin angefochten hat, nicht entgegengetreten. Diese Feststellungen legt aufgrund der Rechtskraftwirkung des Urteils auch der Senat seiner Entscheidung zu Grunde. Gemäß § 141 Abs. 1 SGG binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger. Mit Eintritt der formellen Rechtskraft – also der Unanfechtbarkeit der Entscheidung – tritt auch die materielle Rechtskraft der Entscheidung ein und der Rechtsstreit ist zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits endgültig entschieden. Die Rechtskraft dient der Rechtssicherheit. Ob die Entscheidung inhaltlich richtig – i.S.d. geltenden Gesetzeslage – ist, ist hierbei unerheblich (Schütz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage 2022, § 141 SGG (Stand: 15.06.2022), Rn. 17).

 

Der Anspruch des Lebensgefährten auf Gewährung von Leistungen zur Sicherheit des Lebensunterhalts nach dem SGB II aufgrund von § 7 Abs.1 S. 4 SGB II ist somit zwischen den Beteiligten rechtsverbindlich festgestellt.

 

Selbst wenn Rechtskraft nicht eingetreten wäre, ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Der Senat macht sich die zutreffenden Ausführungen des SG in dessen Urteil vom 29.01.2020 nach eigener Prüfung zu eigen und nimmt auf diese Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Der Lebensgefährte der Klägerin hat für die Meldelücke vom 01.12.2015 bis 01.02.2016 glaubhaft dargelegt, dass er sich auch während dieses Zeitraums in Deutschland aufgehalten hat. Dies wird zusätzlich durch die von dem Lebensgefährten und der Klägerin am 15.12.2015 unterzeichnete Urkunde über die Vaterschaftsanerkennung belegt, die neben anderen ein weiteres Indiz für den Vortrag des Lebensgefährten darstellt.

 

(2) Von dem Leistungsanspruch des Lebensgefährten können auch dessen, mit ihm in einem Haushalt lebenden minderjährigen Kinder, für die er gemeinsam mit der Klägerin das Sorgerecht ausübt, einen Leistungsanspruch als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ableiten (§ 7 Abs.1 S. 4 SGB II)

 

(3) Die Klägerin bildet mit ihrem Lebensgefährten und den gemeinsamen Kindern eine Familie i.S.d. des Art. 6 GG und der §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1, 29 und 32 AufenthG; sie kann sich ferner auf den Schutz aus Art. 8 EMRK berufen (so BSG Urteil vom 30.01.2013, B 4 AS 54/12 R, Rn. 34, juris, im Fall einer schwangeren Unionsbürgerin 4 Monate vor der Geburt mit Blick auf die bevorstehende Familiengründung). Von der Schutzpflicht des Staates aus Art. 6 GG ist insbesondere die Rechtsposition der betroffenen Kinder sowie deren Anspruch auf Ermöglichung bzw. Aufrechterhaltung eines familiären Bezugs zu beiden Elternteilen betroffen (vgl. BVerfG Beschluss vom 08.12.2005, 2 BvR 1001/04, Rn. 17ff, juris; BVerfG Beschluss vom 23.01.2006, 2 BvR 1935/05, Rn. 17, juris zum Familienschutz; BVerfG Beschluss vom 18.04.1989, 2 BvR 1169/84, Rn. 32, juris). Die von Art. 6 GG ausgehende Schutzwirkung soll verhindern, dass das betroffene Kind von der Erziehungsleistung eines seiner Elternteile ausgeschlossen wird. Für die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG ist dabei nicht vorrangig auf formalrechtliche familiäre Bindungen, sondern auf die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern im Wege einer Einzelfallbetrachtung abzustellen (vgl. BSG Urteil vom 30.01.2013, B 4 AS 54/12 R, Rn 32-36, juris, unter Verweis auf BVerfG Beschluss vom 08.12.2005, 2 BvR 1001/04, Rn. 18, juris).

 

Aus der hiernach gebotenen verfassungskonformen Auslegung i.S.d. Art 6 GG und des Art. 8 EMRK folgt ein Aufenthaltsrecht der Klägerin aus § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU a.F. i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 AEUV (zustimmend: LSG NRW Beschluss vom 30.10.2018, L 19 AS 1472/18 B ER, Rn. 28 ff., juris; LSG NRW Beschluss vom 01.08.2017, L 19 AS 1131/17 B ER, Rn. 42 ff., juris; LSG NRW Beschluss vom 26.09.2017, L 6 AS 380/17 B ER, Rn. 42, juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 29.06.2016, L 25 AS 1331/16 B ER, Rn. 5, juris; SG Kassel Beschluss vom 20.04.2021, S 6 AS 30/21 ER, Rn. 44, juris; SG Frankfurt Urteil vom 20.09.2022, S 16 AS 1321/20, Rn. 27ff, juris; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 11 FreizügG/EU, Rn. 102 f.; Oberhäuser in NK-AuslR, 2. Auflage 2016, § 11 FreizügG/EU, Rn. 57 f.; ablehnend u.a.: LSG NRW Beschluss vom 27.07.2017, L 21 AS 782/17 B ER, Rn. 44ff, juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 22.05.2017, L 31 AS 1000/17 B ER, Rn. 2, juris; Hessisches LSG Beschluss vom 21.08.2019, L 7 AS 285/19 B ER, Rn. 45, juris; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 04.07.2019, L 4 AS 246/19 B ER, Rn. 32, juris; SG Berlin Urteil vom 09.07.2018, S 135 AS 23938/15, Rn. 47, juris; SG Duisburg Urteil vom 09.08.2019, S 41 AS 2408/18, Rn. 12, juris) § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU a.F. bestimmt, dass das – grundsätzlich nur noch für Drittstaatsangehörige geltende – AufenthG weiterhin auch auf Unionsbürger Anwendung findet, wenn es eine günstigere Regelung vermittelt als das FreizügG/EU. Bei dem anzustellenden Günstigkeitsvergleich ist keine abstrakt wertende Betrachtung in Bezug auf die gesamte Rechtsstellung anzustellen. Vielmehr knüpft der Vergleich i.S. einer den konkreten Einzelfall in den Blick nehmenden Betrachtung an einzelne Merkmale an (BSG Urteil vom 30.01.2013, B 4 AS 54/12 R, Rn. 32, juris).

 

Die Auffangklausel in § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU a.F. stellt sicher, dass das AufenthG immer dann Anwendung findet, wenn es im Einzelfall eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das FreizügG/EU, sodass es nicht zu einer Schlechterstellung von Unionsbürgern gegenüber deutschen Staatsangehörigen und sonstigen Ausländern kommen kann (BT-Drs. 15/420, 106). Dabei handelt es sich um eine Meistbegünstigungsklausel, die auf einem allgemeinen Grundsatz des Freizügigkeitsrechts beruht, wonach günstigere innerstaatliche Vorschriften durch die Freizügigkeitsregelungen nicht verdrängt werden, sondern auch für den Unionsbürger und seine Angehörigen gelten, um Diskriminierungen gegenüber der aufenthaltsrechtlichen Position von Drittstaatsangehörigen zu vermeiden (Hessischer VGH Urteil vom 16.11.2016, 9 A 242/15, Rn. 20, juris).

 

Die Meistbegünstigungsklausel stellt Unionsbürger und ihre Familienangehörigen mit sonstigen Drittstaatsangehörigen, die unmittelbar dem AufenthG unterfallen, gleich. Weder das FreizügG/EU noch das dem zugrundeliegende Unionsrecht enthalten ein Verbot für Unionsbürger, einen Aufenthaltstitel nach nationalem Aufenthaltsrecht zu erwerben, wenn dieser Aufenthaltstitel dem Freizügigkeitsberechtigten im Freizügigkeitsrecht nicht vorgesehene rechtliche Vorteile bietet (Dienelt in Bergmann/Dienelt, 14. Auflage 2022, FreizügG/EU, § 11, Rn. 88). Damit können Unionsbürger grundsätzlich auch einen Aufenthaltstitel des AufenthG beanspruchen, den sonst nur Drittstaatsangehörige erhalten (Hessischer VGH, a.a.O., Rn. 21, juris).

 

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist das sich aus der Günstigkeitsregelung ergebende Aufenthaltsrecht von der Klägerin nicht durch Vorlage einer Bescheinigung der Ausländerbehörde „nachzuweisen“. Unabhängig davon, dass nicht erkennbar ist, wie die Klägerin im vorliegenden Fall eine solche Bescheinigung erwirken sollte, da sich der Lebensgefährte (und die Kinder) zwar auf einen Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II, nicht aber auf ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU berufen kann, handelt es sich bei dem Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen um eine auf tatsächlichen Grundlagen basierende rechtliche Wertung, die das Tatsachengericht in eigener Prüfungskompetenz vorzunehmen hat. Die eigene Prüfungskompetenz der Fachgerichte hat letztlich wohl auch der Gesetzgeber anerkannt. Während im ursprünglichen Gesetzentwurf  zur Anpassung von u.a. § 11 FreizügG/EU die tatsächliche Erteilung des Aufenthaltstitels vorgesehen war (§ 11 Abs. 14 S. 2 FreizügG/EU; Drs. 19/21750, S. 12), ist auf Vorschlag des Bundesrates von einer entsprechenden Änderung abgesehen worden. Die Begründung des Bundesrates in der Drucksache vom 03.07.2020 (Ds. 263/20) lautet wie folgt:

Zu Artikel 1 Nummer 11 (§ 11 Absatz 14 FreizügG/EU)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren die vorgesehene Neuregelung der Anknüpfung der Leistungsberechtigung von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern an das Bestehen eines Aufenthaltstitels zu überprüfen. Dabei sollte insbesondere die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und vieler Sozialgerichte berücksichtigt werden, die über die Konstruktion der „fiktiven Prüfung“ des Aufenthaltsrechts Unionbürgerinnen und Unionsbürger Leistungen zugesprochen hat, wenn sie einen objektiven Aufenthaltsgrund hatten. Es erscheint sinnvoll, diese Möglichkeit zu erhalten.

 

Begründung:

Die im Gesetzesentwurf vorgesehene Regelung würde bedeuten, dass Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die einen objektiven Aufenthaltsgrund hätten, von Leistungen ausgeschlossen wären. Dies stünde im Widerspruch zur Rechtsprechung: Die bisherige Ausschlussregelung erfordert demnach bei Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern regelmäßig eine "fiktive Prüfung" des Grundes oder der Gründe ihrer Aufenthaltsberechtigung. Bei einem fiktiven Aufenthaltsrecht besteht nach Auffassung der Sozialgerichtsbarkeit (so etwa das Bundessozialgericht im Urteil vom 30. Januar 2013, Az.: B 4 AS 54/12 R) ein Anspruch auf Leistungen nach SGB II und SGB XII, da ein anderes Aufenthaltsrecht als etwa das zum „Zweck der Arbeitssuche“ (§ 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 SGB II) zu bejahen sei, sodass die Leistungsausschlüsse nicht anwendbar sind. Es erscheint sinnvoll, diese in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze im Rahmen der Gesetzgebung zu berücksichtigen.

 

Infolgedessen ist es nicht zu dieser Änderung gekommen. Vielmehr ist § 11 Abs. 14 S. 2 FreizügG/EU in der Fassung seit dem 24.11.2020 mit dem alten § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU identisch, ohne dass der zunächst geplante S. 2 aufgenommen worden wäre (vgl. dazu die Hinweise zum Gesetzgebungsverfahren in Sächsisches LSG Beschluss vom 10.05.2021, L 7 AS 342/21 B ER, Rn. 44, juris). Daher genügt für einen Unionsbürger weiterhin das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG, um nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen zu sein (zu § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU vgl. insb. BSG Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 43/15 R, Rn. 27, juris; BSG Urteil vom 20.01.2016, B 14 AS 35/15 R, Rn. 24, 26, 28, juris; BSG Urteil vom 30.08.2017, B 14 AS 31/16 R, Rn. 26, juris; BSG Urteil vom 09.08.2018, B 14 AS 32/17 R, Rn. 18 f., juris; BSG Urteil vom 12.09.2018, B 14 AS 18/17 R, Rn. 17, juris; BSG Urteil vom 21.03.2019, B 14 AS 31/18 R, Rn. 16, juris), und bedarf es hierfür keiner Erteilung eines Aufenthaltstitels durch die Ausländerbehörde (vgl. Janda in ZESAR 2021, S. 3, 9). Das Erfordernis eines Aufenthaltstitels ist bei Unionsbürgern vor allem auch deshalb zu verneinen, weil dies im Rahmen des EU-Freizügigkeitsrechts generell nicht erforderlich ist und jede Verpflichtung, eine behördliche Entscheidung einzuholen, gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen würde. Denn solche Verpflichtungen werden Deutschen nicht auferlegt werden. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, S. 2 AufenthG ist daher europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass Leistungen nach dem SGB II für Unionsbürger nicht von der Vorlage oder Erteilung eines Aufenthaltstitels abhängig gemacht werden können. Dafür spricht auch, dass der Ausländerbehörde insoweit kein Ermessen zukommt und die Aufenthaltserlaubnis ohne Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfolgen muss (§ 28 Abs. 1 S. 2 AufenthG).

 

Eine solche, der Klägerin günstigere Regelung vermittelt § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG. Dieser sieht vor, dass einem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge – auch ohne Existenzsicherung i.S.v. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG – eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.

 

Zwar gilt die Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur für Elternteile deutscher Staatsangehöriger. Aufgrund des in Art. 18 AEUV statuierten Gleichbehandlungsgrundsatzes findet § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG zur Überzeugung des Senats jedoch auch auf minderjährige Unionsbürger und ihre Eltern Anwendung (vgl. LSG NRW Beschlüsse vom 30.11.2015, L 19 AS 1713/15 B ER, Rn. 15, juris; vom 01.08.2017, L 19 AS 1131/17 B ER, R. 41, juris; vom 30.10.2018, L 19 AS 1472/18 B ER, Rn. 28ff, juris; LSG für das Saarland Urteil vom 07.09.2021, L 4 AS 23/20 WA, Rn. 29ff, juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 29.06.2016, L 25 AS 1331/16 B ER, Rn. 5, juris).

 

Der Senat verkennt nicht, dass § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG seinem Wortlaut nach die Aufenthaltserlaubnis des ausländischen Elternteils eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge regelt. Die Anwendung dieser Vorschrift auf Unionsbürger ergibt sich jedoch unter Berücksichtigung des in Art. 18 AEUV statuierten Inländergleichbehandlungsgebotes. Die Kinder der Klägerin, die sämtlich in Deutschland geboren sind, halten sich als Unionsbürger in Ausübung ihres Rechts aus Art. 20, 21 AEUV formal rechtmäßig in Deutschland auf und verfügen aufgrund des verfestigten Aufenthalts des Vaters über einen gesetzlichen Leistungsanspruch aus § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II. Auch die Tochter V der Klägerin, geb. am 00.00.2013, hält sich ihrerseits im streitigen Zeitraum bereits seit mehr als fünf Jahren im Bundesgebiet auf. Im Rahmen der Anwendung des § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG i.V.m der europarechtlichen Vorschrift des § 11 Abs. 11 FreizügG/EU a.F. ist es daher geboten, den Begriff des „deutschen“ minderjährigen Kindes durch den Begriff des minderjährigen Kindes mit europäischer Staatsangehörigkeit zu ersetzen.

 

Die teilweise vertretene Auffassung, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG gelte nur für Drittstaatsangehörige, nicht jedoch für Unionsbürger, lässt sich zum einen dem Wortlaut der Regelung nicht entnehmen und würde zum anderen dem Gebot der Inländergleichbehandlung zuwiderlaufen.

 

Die Klägerin übte im streitigen Zeitraum das Sorgerecht für ihre minderjährigen Kinder, zusammen mit ihrem Lebensgefährten, dem Vater der Kinder, aus. Aus dieser Rechtsstellung konnte sie unter Berücksichtigung des in Art. 18 AEUV statuierten Inländergleichbehandlungsgebotes ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU a.F. i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG ableiten, da die Kinder ihrerseits ein materielles Aufenthaltsrecht hatten, das sie zum Bezug von Leistungen nach dem SGB II berechtigte. Denn die gemeinsamen Kinder hatten ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehörige nach § 3 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU von ihrem Vater. Dieser besaß seinerseits ein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU und einen Leistungsanspruch über § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II.

 

Die Verweigerung existenzsichernder Leistungen an die nichteheliche, das Sorgerecht wahrnehmende Mutter (oder des sorgeberechtigten Vaters) der im Inland leistungsberechtigten Kinder wäre zur Überzeugung des Senats mit dem grundrechtlich statuierten Schutz der Familie aus Art. 6 GG nicht vereinbar.

 

Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen, Art 6 Abs. 3 GG. Die Familie im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG ist die Gemeinschaft von Eltern und Kindern (vgl. Burghart in Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 83. Lieferung 04.2021, Art. 6 GG, Rn. 60). Der Verfassungsgeber respektiert, dass die Kernfamilie bestehend aus Eltern und Kindern zusammenleben kann. Das Aufenthaltsrecht ist im Lichte dieser verfassungsrechtlichen Entscheidung zu konkretisieren. Ein Leistungsausschluss eines die Personensorge ausübenden Elternteils von dem Leistungssystem des SGB II hätte zur Konsequenz, dass die Mutter entweder die Möglichkeit hätte, sich von der Familie zu trennen und in das Heimatland Bulgarien zurückzukehren oder bei der Familie zu verbleiben, aber mangels eigenem Leistungsanspruch von den Leistungen der anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu leben mit der Folge, dass das Existenzminimum aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nicht nur vorübergehend unterschritten würde. Eine dauerhafte Unterdeckung des Existenzminimums wäre ein offenkundiger Verstoß gegen Art. 6 GG (so auch LSG für das Saarland Urteil vom 07.09.2021, L 4 AS 23/20 WA, Rn. 37, juris).

 

Soweit die Auffassung vertreten wird, es stehe auch den übrigen Mitgliedern der Familie frei, gemeinsam mit dem von den Leistungen ausgeschlossenen Elternteil aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen und so den Fortbestand der Familie zu sichern, vermag diese Auffassung nicht zu überzeugen. Die Möglichkeit, das Land zu verlassen und in das Heimatland zurückzukehren, ist naturgemäß immer eine Option für Unionsbürger, sofern im Inland die Existenz nicht gesichert werden kann. Eine ganze Familie jedoch auf die Ausreise in ihr Heimatland zu verweisen, obgleich weder eine entsprechende Verlustfeststellung der Ausländerbehörde ausgesprochen worden ist und obwohl die minderjährigen Kinder (und ein Elternteil) ein Bleiberecht sowie einen Grundsicherungsanspruch haben, kann nicht das Ergebnis des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf Existenzsicherung und Familienschutz sein.

 

Es spricht darüber hinaus einiges für die Annahme, dass eine Ableitung des Leistungsanspruches auch ohne materielles Aufenthaltsrecht der Kinder in Betracht kommt. Denn der Gesetzgeber geht entsprechend den Gesetzesmaterialien davon aus, dass nach Ablauf des in § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II genannten Fünfjahreszeitraumes von einer Verfestigung des Aufenthaltes auszugehen sei; ein Leistungsanspruch entsteht dann (auch) ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung (vgl. BT-Drucks. 18/10211, S. 14). Ein solcher Aufenthalt dokumentiert eine Verbindung zum Inland, die Voraussetzung für eine Verfestigung des Aufenthalts ist, die ihrerseits eine Leistungsgewährung rechtfertigt (Leopold in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 7 <Stand: 29.11.2021>, Rn. 162 m.w.N.).

 

Da § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II sich nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut – anders als etwa § 7 Abs. 1 S. 3 SGB II – ausdrücklich auch auf Familienangehörige erstreckt, ist auch diese Regelung verfassungskonform im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG auszulegen und geeignet, Grundlage für einen eigenen Leistungsanspruch der sich im Inland aufhaltenden sorgeberechtigten Mutter des leistungsberechtigten Kindes zu sein. Das BVerfG hat entschieden, dass die Pflicht des Staates zum Schutze der Familie nach Art. 6 GG die bestehenden familiären Bindungen eines Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, berücksichtigen muss (vgl. BVerfG Beschluss vom 10.05.2008, 2 BvR 588/08, Rn. 11, juris). Von einer solcher Aufenthaltsberechtigung der minderjährigen Kinder der Klägerin kann bereits auf Grundlage des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II wegen der damit einhergehenden – vom Gesetzgeber ausdrücklich gebilligten – Aufenthaltsverfestigung ausgegangen werden.

 

Nach alledem liegt ein Leistungsausschluss der Klägerin nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2b SGB II nicht vor.

 

(4) Ob sich ein Aufenthaltsrecht der Klägerin auch aus der Ermessensvorschrift des § 22 AufenthG ergeben könnte, braucht nach der hier vertretenen Auffassung nicht entschieden werden.

 

Nach § 22 AufenthG kann einem Ausländer für die Aufnahme aus dem Ausland aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Eine Aufenthaltserlaubnis ist zu erteilen, wenn das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat oder die von ihm bestimmte Stelle zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme erklärt hat.

 

Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen würde sich ein Aufenthaltsrecht der Klägerin entsprechend den vorstehenden Ausführungen aus dringenden humanitären Gründen zum Schutz der Familie bzw. zur Wahrung von Art. 6 GG ergeben können.

 

Sofern man von der Anwendbarkeit des § 22 AufenthG ausgeht, wäre das dem Beklagten zustehende Ermessen zur Leistungsgewährung auf Null reduziert.

 

Der Gesetzgeber hat dem Lebensgefährten der Klägerin aufgrund des fünfjährigen Aufenthaltes ein verfestigtes Aufenthaltsrecht zugebilligt, das diesen zum Bezug von Leistungen nach dem SGB II berechtigt (§ 7 Abs. 1 S. 4 SGB II). Hiervon abgeleitet steht auch den minderjährigen Kindern als Familienangehörige ein verfestigtes Aufenthaltsrecht und ein Leistungsanspruch zu. Eine andere (Ermessens)Entscheidung als diejenige, unter diesen Voraussetzungen auch der sorgeberechtigten Mutter einen den Leistungsanspruch begründenden Aufenthaltsstatus zu gewähren, würde der Intention des Art. 6 GG bzw. des Art. 8 EMRK, wie dargelegt, zuwiderlaufen.

 

7. Der Bedarf der Klägerin – und damit ihr Leistungsanspruch – im Zeitraum vom 01.05.2019 bis zum 31.10.2019 setzt sich aus dem Regelbedarf nach § 20 SGB II i.H.v. 382 € monatlich zzgl. der kopfanteiligen Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II i.H.v. 1/5 von 850 € monatlich zusammen. Bei dem Lebensgefährten der Klägerin und den Kindern sind im Rahmen der Berechnung des Gesamtbedarfes der Familie ebenfalls der gesetzliche Regelbedarf sowie die (kopfanteiligen) Unterkunftsbedarfe zu berücksichtigen. Bedarfsmindernd ist das Einkommen der Kinder aus Kindergeld zu berücksichtigen. Auf die vorläufigen Bewilligungen des Beklagten, die zutreffend berechnet und von der Klägerin nicht beanstandet worden sind, wird Bezug genommen.

 

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

C. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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