L 19 R 219/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 16 R 328/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 219/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zu den Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente.

 

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 31.03.2020 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger über den 30.11.2017 hinaus einen Anspruch auf Weitergewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung hat.

Der 1963 geborene Kläger erlernte von September 1981 bis Juli 1983 den Beruf eines Industriekaufmanns und war anschließend in diesem Beruf erwerbstätig. Zuletzt war der Kläger nach den vorliegenden Angaben freigestellter Betriebsratsvorsitzender und geschäftsführender Europabetriebsrat eines Großunternehmens der Energiebranche.

Beim Kläger wurde im Juli 2015 vom Zentrum Bayern Familie und Soziales - Region Oberfranken - Versorgungsamt (ZBFS) ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt, der auf eine Depression (Einzel-GdB 30) und eine Trigeminusneuralgie (Einzel-GdB 10) gegründet war. Auf den Antrag des Klägers vom November 2020 stellte das ZBFS fest, dass ab 09.12.2020 der GdB auf 50 anzuheben sei. Im Einzelnen würden vorliegen:
1.     Trigeminusneuralgie rechts (Einzel-GdB 30).
2.     Depression (Einzel-GdB 30).
3.     Schuppenflechte (Einzel-GdB 20).
4.     Schlafapnoe-Syndrom (Einzel-GdB 20).
5.     Funktionsbehinderung des Kniegelenks links (Einzel-GdB 20).
6.     Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenks links (Einzel-GdB 20).
7.     Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10).
Ab 26.08.2022 wurde der Gesamt-GdB weiter angehoben auf nunmehr 70, wobei der Einzel-GdB für die Depression um die Diagnosen Alkoholkrankheit, chronisches Schmerzsyndrom und Leberzirrhose erweitert und auf 50 angehoben wurde.

Beim Kläger besteht nach seinen Angaben seit etwa 2007 eine psychische Erkrankung; seit April 2011 lag Arbeitsunfähigkeit vor. Vom 02.05.2012 bis 19.06.2012 wurde eine Rehabilitationsmaßnahme in der Psychosomatischen Klinik B und vom 11.07.2012 bis 14.08.2012 wurde eine stationäre Behandlung in der Fachklinik für Psychosomatik, in G durchgeführt.

Bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers wohl zum Juni 2014 aufgelöst. Im Anschluss wurde beim Kläger eine Belastung wegen fehlender beruflicher Perspektiven angenommen.

Eine erneute psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme in der Psychosomatischen Klinik B erfolgte vom 03.03.2015 bis 21.04.2015. Im dortigen Entlassungsbericht vom 30.04.2015 wurden für den Kläger eine Einsatzfähigkeit für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit von unter drei Stunden sowie eine Einsatzfähigkeit für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne besondere psychosoziale Belastungsfaktoren im Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich ausgewiesen.

Am 07.05.2015 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Prüfärztin der Beklagten, Frau A, kam am 12.05.2015 zum Ergebnis, dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt derzeit nur drei bis unter sechs Stunden täglich einsatzfähig sei und die Leistungsminderung voraussichtlich bis 11/2017 vorliege. Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger wohl mit einem Bescheid vom 19.05.2015 - ausgehend von einem Leistungsfall am 27.06.2014 - eine arbeitsmarktbedingte Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit für die Zeit vom 01.01.2015 bis 30.11.2017. Dabei erfolgte die Befristung auch wegen medizinischer Gründe.
 
Am 03.07.2017 beantragte der Kläger die Weiterzahlung der Rente wegen Erwerbsminderung über den Wegfallmonat hinaus. Er machte weiterhin das Vorliegen gesundheitlicher Einschränkungen, insbesondere durch Depressionen, geltend. Vorgelegt wurde u.a. ein Bericht des F vom 24.07.2017 über eine fortlaufend durchgeführte psychotherapeutische Behandlung; dieser enthielt die Annahme, dass eine Belastbarkeit des Klägers für berufliche Anforderungen dauerhaft nicht mehr gegeben sei.

Auf Veranlassung der Beklagten erfolgte am 08.11.2017 eine gutachterliche Untersuchung beim Nervenarzt F1, der in seinem Gutachten vom 21.11.2017 folgende Diagnosen aufführte:
1.     Depression in Remission.
2.     Trigeminusneuralgie.
3.     Verdacht auf Plexusläsion rechts nach Sturz.
Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Tätigkeit im Umfang von sechs Stunden täglich und mehr nachgehen.

Diese sozialmedizinische Einschätzung wurde von Medizinaldirektorin P vom ärztlichen Dienst der Beklagten am 28.11.2017 bestätigt: Der Kläger könne ohne zeitliche Begrenzung und ohne zusätzliche betriebsunübliche Pausen mittelschwere Tätigkeiten verrichten, wobei Nachtschicht ausgeschlossen sei.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 08.12.2017 den Antrag des Klägers auf Weiterzahlung der Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit ab 01.12.2017 ab: Die medizinischen Voraussetzungen seien nicht mehr gegeben und der Kläger sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen einsatzfähig.

Hiergegen legte der Kläger am 18.12.2017 Widerspruch ein und machte geltend, dass der Gutachter von falschen Tatsachen ausgegangen und bereits mit einer vorgefertigten Auffassung in das Gutachten hineingegangen sei. Der Kläger sei - auch wenn die berufliche Situation seit 2015 nicht mehr bestehe - weiter nicht in der Lage, seine eigene Belastungsgrenze richtig einzuschätzen und gerate dadurch regelhaft in tiefgreifende Erschöpfungszustände mit depressiv-ängstlichen Reaktionsmustern. Auch die bei dem Kläger in den letzten Jahren auftretende Schuppenflechte spreche eindeutig für weiterbestehende erhebliche psychische Probleme.

Ende Januar 2018 wurde beim Kläger ein operativer Eingriff in der rechten Schulter durchgeführt, auf den vom 20.02.2018 bis 20.03.2018 eine stationäre Anschlussheilbehandlung in der Rehaklinik Bad A folgte. Im Rehabilitations-Entlassungsbericht vom 04.04.2018 sind folgende Diagnosen genannt:
1.     Impingementsyndrom rechte Schulter bei Zustand nach Arthroskopie am 31.01.2018.
2.     Acromyoclaviculargelenksarthrose rechts.
3.     Trigeminusneuralgie rechts (ED 2012).
4.     Psoriasis vulgaris.
5.     Hypercholesterinämie.
6.     Rezidivierende depressive Störung.
Der Kläger sei für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Nachtschicht sowie ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne Über-Kopf-Arbeit, ohne Heben, Tragen und Bewegen schwerer Lasten täglich 6 Stunden und mehr einsatzfähig. Hinsichtlich der psychischen Erkrankungen wurde auf die vorhandenen Gutachten Bezug genommen.

Am 26.04.2018 kam Medizinaldirektor B vom ärztlichen Dienst der Beklagten zum Ergebnis, dass die Behandlung der vorliegenden Nervenschädigung noch nicht abgeschlossen sei. Auch die Behandlung der psychischen Störung sei nicht ausgeschöpft, nachdem keine nervenärztliche Behandlung erfolge. Derzeit sei von einem Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von sechs Stunden und mehr auszugehen. Eine Änderung der Beurteilung sei nicht angezeigt

Daraufhin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2018 den Widerspruch zurück. Auch nach nochmaliger Überprüfung aller vorliegenden Unterlagen habe sich keine relevante Einschränkung des Leistungsvermögens ergeben.

Hiergegen hat der Kläger mit einem auf den 04.06.2018 datierten Schreiben durch seine Bevollmächtigten am 05.06.2018 Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben.

Das SG hat Befundberichte bei den behandelnden Ärzten und Therapeuten eingeholt, so bei dem F am 12.07.2018, bei dem Facharzt für Dermatologie R am 23.07.2018, bei dem Radiologen L am 10.07.2018 und bei dem Allgemeinmediziner E am 16.08.2018 - nach dessen Bericht habe sich der Gesamtbefund beim Kläger in Folge Alkoholabusus wesentlich verschlechtert; es sei eine stationäre Therapie geplant.

Vom 04.07.2018 bis 14.08.2018 hat sich der Kläger erneut in der psychosomatischen Klinik in G befunden; im dortigen Entlassungsbericht vom 31.08.2018 sind als Diagnosen aufgeführt:
1.     Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome.
2.     Trigeminusneuralgie.
3.     Adipositas Grad I.
4.     Hypercholesterinämie.
5.     Psoriasis.
Der Kläger ist als arbeitsunfähig entlassen worden; auf das Vorliegen einer Suchterkrankung beim Kläger ist nicht näher eingegangen worden.

Vor dem Erörterungstermin am 07.11.2018 hat das SG ein Gutachten durch den Arzt für Öffentliches Gesundheitswesen W erstellen lassen. Dieser hat die Gesundheitsstörungen des Klägers folgendermaßen gefasst:
1.     Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome.
2.     Alkoholmissbrauch mit toxischem Leberschaden und Verdacht auf Alkoholabhängigkeit.
3.     Trigeminusneuralgie.
4.     Chronisches Wirbelsäulensyndrom.
5.     Schulterbeschwerden rechts bei degenerativen Veränderungen und Zustand nach Schulterarthroskopie.
6.     Schlafapnoe-Syndrom.
7.     Restless-Legs-Syndrom.
8.     Schuppenflechte.
Aktuell sei die Leistungsfähigkeit aus gutachterlicher Sicht im Sinne der Arbeitsunfähigkeit aufgehoben. Zur Einschätzung durch welche therapeutischen Maßnahmen bis zu welchem Zeitpunkt die Leistungsfähigkeit wiederhergestellt werden könne, werde ein fachpsychiatrisches Gutachten für erforderlich gehalten, das sich sowohl mit der Depression, der Schmerzstörung und dem Verdacht auf Abhängigkeitserkrankung befassen müsse. Die aktuell festgestellte Leistungsunfähigkeit im Sinne einer Arbeitsunfähigkeit bestehe mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ab dem Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme, dem 04.07.2018.

Das SG hat anschließend den Arzt für Neurologie und Psychiatrie G mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser hat den Kläger am 17.01.2019 untersucht und in seinem Gutachten vom 22.01.2019 kritisiert, dass bereits 2015 die sozialmedizinische Beurteilung der Reha-Klinik B nicht überzeugend gewesen sei und die jetzige Gutachtenserstellung bei W daran gelitten habe, dass keine Plausibilitäts- und Konsistenzprüfung vorgenommen worden sei. Dagegen habe die im Rahmen seiner eigenen Begutachtung durchgeführte Plausibilitäts- und Konsistenzprüfung eindeutig gezeigt, dass beim Kläger erhebliche Verdeutlichungstendenzen vorliegen würden und deshalb die Angaben des Klägers nicht ungeprüft der sozialmedizinischen Beurteilung zugrunde gelegt werden dürften. An Gesundheitsstörungen seien aufzuführen:
1.     Periodische Extremitätenbewegung im Schlaf.
2.     Obstruktives Schlafapnoesyndrom.
3.     Trigeminusneuralgie rechts, V 2.
4.     Wirbelsäulensyndrom chronisch mit pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung.
5.     Peripheres Neuropathie-Syndrom (PNP-Syndrom) bei schädlichem Gebrauch von Alkohol.
6.     Depressive Episode mittelschwerer Natur.
Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von täglich mindestens sechs Stunden nachgehen. Die Wegefähigkeit sei gegeben. Auszuschließen seien Nacht- und Wechselschichttätigkeiten, Arbeiten unter Stress und Zeitdruck, wie Fließband- und Akkordarbeiten, Tätigkeiten, die mit Suchtgefahr einhergehen, wie im Gaststättengewerbe und im Brauereigewerbe, längere Nässe- und Kälteexposition, monotone Arbeitshaltungen wie Überkopfarbeiten und bückende Tätigkeiten, schweres Heben und Tragen von Lasten über 15 kg, Tätigkeiten mit Sturzgefahr wie auf Leitern und Gerüsten, Tätigkeiten im Liegen und mehr als nur leichte Anforderungen an Konzentration und psychische Belastbarkeit sowie an Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit und Ausdauer. Weitere Besserungen könnten durch entsprechende Therapien erreicht werden.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 25.03.2019 hat G - wie angefragt - die Schritte der Plausibilitäts- und Konsistenzprüfung erläutert und ist bei seiner sozialmedizinischen Beurteilung verblieben.

Vom 09.05.2019 bis 13.06.2019 hat sich der Kläger ein weiteres Mal zur stationären Behandlung in der psychosomatischen Klinik in G befunden. Dort ist im vorläufigen Bericht unter Benennung einer aktuell mittelgradigen depressiven Episode eine langfristige Weiterführung der ambulanten Psychotherapie angeraten worden. Es sei davon auszugehen, dass weiterhin Arbeitsunfähigkeit bestehe.

Auf Antrag des Klägers hat das SG den Neurologen S mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragt. Dieser hat den Kläger am 05.09.2019 untersucht. In seinem Gutachten vom 06.09.2019 hat er die Gesundheitsstörungen beim Kläger folgendermaßen beschrieben:
1.     Rezidivierende depressive Störung, Zustand nach schwerer Episode ohne psychotische Symptome, aktuell leicht bis mittelschwer ausgeprägt.
2.     Trigeminusneuralgie.
3.     Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr.
4.     Hypercholesterinämie.
5.     Psoriasis.
6.     Schlafapnoe-Syndrom (anamnestisch).
7.     Restless-Legs-Syndrom (anamnestisch) ohne spezifische Therapie.
8.     Alkoholabusus (anamnestisch).
9.     Polyneuropathie bei Alkoholabusus (anamnestisch).
10.     LWS-Syndrom (anamnestisch).
Beim Kläger sei die psychische Belastbarkeit eingeschränkt. Auch seien für ihn Zwangshaltungen ungünstig. Er könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ausüben. Bei durchschnittlicher Belastung und mit betriebsüblichen Arbeitspausen sei dies im Umfang von weniger als sechs, jedoch mindestens drei Stunden täglich möglich. Es liege auf Dauer eine quantitative Einschränkung der Erwerbsfähigkeit von drei bis maximal sechs Stunden vor. Es hätten sich gewisse Hinweise auf nicht oder nicht in dem geklagten Umfang vorhandene Funktionsbeeinträchtigungen ergeben.

Zu dem Gutachten hat die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie H von der Sozialmedizinischen Begutachtungsstelle in N der Beklagten am 26.09.2019 Stellung genommen. Eine Abweichung von der bisher festgelegten Leistungsbeurteilung ergebe sich durch das Gutachten von S nicht; eine nähere Begründung für die Annahme einer quantitativen Leistungseinschränkung sei dem Gutachten nicht zu entnehmen. Die im Gutachten vorgenommenen Beschreibungen würden die Festlegung eines eingeschränkten Leistungsvermögens unplausibel machen: Gemäß dem vorliegenden psychopathologischen Befund sei eher die Diagnose einer leichten depressiven Störung als einer leichten bis mittelschweren depressiven Störung nachvollziehbar. Hinzu komme, dass die therapeutischen Möglichkeiten in keiner Weise ausgeschöpft seien.

Zu dem nachträglich vorgelegten endgültigen Entlassungsbericht der psychosomatischen Klinik in G vom 29.10.2019 hat die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie K von der Sozialmedizinischen Begutachtungsstelle N der Beklagten am 09.12.2019 Stellung genommen: Die Klinik gehe auf den schädlichen Gebrauch von Alkohol trotz auffälliger Laborwerte nicht ein. Eine Änderung der antidepressiven Medikation sei nicht vorgenommen worden. Lediglich ein pflanzliches Mittel (Baldrianpräparat) sei zur Ergänzung eingesetzt worden. Weiter hat K ausgeführt: Die im Gutachten des S vorgenommene sozialmedizinische Beurteilung sei aus ihrer Sicht nicht zutreffend.

Der Kläger hat einen Bericht des Psychologischen Psychotherapeuten F vom 20.01.2020 vorgelegt. Darin sind eine rezidivierende depressive Episode mit somatischem Syndrom gegenwärtig mindestens mittelgradig auf den Boden einer Dysthymia (Double Depression) sowie psychologische Faktoren bei Psoriasis und Trigeminusneuralgie und eine gemischte Angststörung angegeben worden. Jegliche psychosoziale Anforderungssituation, z. B. eine eigeninitiierte versuchsweise Minijobtätigkeit mit acht bis zehn Stunden in der Woche, aber auch bevorstehende Termine und soziale Begegnungen würden große Ängste, Erschöpfungszustände und psychovegetative Störungen auslösen. Die langjährig begleitende Verhaltenstherapie sei auch zukünftig zwingend erforderlich, um einer weiteren Verschlechterung vorzubeugen. Konzentrationsfähigkeit und Durchhaltevermögen seien dauerhaft herabgesetzt.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG am 31.03.2020 durch Gerichtsbescheid entschieden. Es hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf die Feststellungen im Gutachten des G gestützt. Den Ausführungen des S habe es nicht zu folgen vermocht, da die dortigen Inhalte die Festlegung eines eingeschränkten Leistungsvermögens eher unplausibel machen würden. Hinzu komme, dass der Schwerpunkt der Gesundheitsstörung nicht auf neurologischem, sondern psychiatrischem Fachgebiet gelegen habe. Zu verweisen sei auch darauf, dass die Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft seien und erst nach deren Ausschöpfung darüber entschieden werden könne, ob die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet längerfristig von erwerbsmindernder Bedeutung seien. Auch die weiteren Gesundheitsstörungen auf internistischem und orthopädischem Fachgebiet würden nur zu qualitativen Einschränkungen führen.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger durch seine Bevollmächtigten am 27.04.2020 per Telefax Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt.

Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, dass dem Gutachten des S zu folgen sei. Vom SG sei auch unzutreffend angeführt worden, dass der Kläger die therapeutischen Möglichkeiten in keiner Weise ausgeschöpft hätte. Zu verweisen sei insofern auf die regelmäßige psychotherapeutische Behandlung und die Einschätzung seines behandelnden Psychotherapeuten. Auch die letztlich erfolglosen stationären Aufenthalte in der psychosomatischen Klinik in G seien anzuführen. Eine Erwerbsfähigkeit habe durch die stationären Aufenthalte nicht hergestellt werden können. Die Belastbarkeit des Klägers für eine berufliche Reintegration in das Erwerbsleben sei nicht gegeben. Auch habe sich keiner der Gutachter mit der Alkoholabhängigkeit des Klägers und den Auswirkungen dieser Erkrankungen auf die Erwerbsfähigkeit auseinandergesetzt. Es reiche nicht aus, dass lediglich gefordert werde, Tätigkeiten, die mit Suchtgefahr einhergehen, zu meiden.

Vorgelegt hat der Kläger ergänzend ärztliche Unterlagen des Chirurgisch-Orthopä-dischen-Centrums B1 vom 28.07.2020 und der J Klinik S vom 23.07.2020.

Der Senat hat einen Befundbericht des Allgemeinmediziners E eingeholt, dem umfangreiche ärztliche Unterlagen beigefügt waren. Ergänzend hat der Senat einen Befundbericht beim Psychologischen Psychotherapeuten F am 11.02.2021 eingeholt: Danach würde es den Kläger sehr belasten, dass er in den verschiedenen Begutachtungsterminen immer wieder als Simulant hingestellt werde.

Vom 25.02.2021 bis 23.03.2021 ist der Kläger erneut zur stationären Krankenhausbehandlung in der psychosomatischen Klinik in G gewesen. Der dortige Entlassungsbericht vom 03.05.2021 hat eine gegenwärtig mittelgradige Episode bei rezidivierender depressiver Störung ausgewiesen.

Der Kläger hat einen weiteren Arztbrief des Chirurgisch-Orthopädischen-Centrums B1 vom 08.06.2021 vorgelegt, wonach nach Zustand nach LWK 1-Fraktur das Heben schwerer Lasten nur sporadisch und nur bis maximal 5 kg möglich sei. Am 07.09.2021 und 09.09.2021 hat sich der Kläger in fachpsychiatrische Behandlung bei K1 begeben.

Auf Auftrag des Senats ist der Kläger am 15.12.2021 durch den Neurologen und Psychiater H1 untersucht worden. Dieser hat in seinem ebenfalls auf den 15.12.2021 datierten Gutachten vorab berichtet: Der Kläger habe auf den Hinweis, dass in allen stationären Aufenthalten eine Besserung beschrieben worden sei, angegeben, dies habe im ambulanten Setting nie lange angehalten. Der Gutachter hat hierfür eine fehlende fachpsychiatrische Anbindung als mitursächlich angesehen.
An Gesundheitsstörungen beim Kläger hat er benannt:
1.     Trigeminusneuralgie rechts bei Gefäß/Nerven-Kontakt.
2.     Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leicht bis allenfalls mittelgradig.
3.     Polyneuropathie, am ehesten äthyltoxisch.
4.     Gemischte Angststörung.
5.     Obstruktives Schlafapnoesyndrom.
6.     Kniebinnenschaden links mit belastungsabhängigen Schmerzen.
7.     Psoriasis.
8.     Degeneratives LWS-Syndrom ohne sensomotorische Defizite.
Krankheitsbedingt seien die Ausdauer vermindert und Einschränkungen der Leistungsmotivation ersichtlich. Eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens liege beim Kläger nicht vor. Er könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Gehen und Stehen, teilweise im Sitzen, verrichten. Häufige Überkopfarbeiten sowie Einwirkungen von Kälte, Hitze, Zugluft, Nässe ohne ausreichenden Bekleidungsschutz seien auszuschließen. Die therapeutischen Möglichkeiten seien nicht ausgeschöpft; eine Besserung des qualitativen Leistungsvermögens sei innerhalb von drei Jahren unter adäquater Therapie möglich. Der Kläger könne die erforderlichen Wegstrecken zurücklegen; er sei auch - entgegen seiner eigenen Ansicht - in der Lage, einen Privat-Pkw zu nutzen.

Zu dem Gutachten hat die Klägerseite vorgebracht, dass sie sich den Feststellungen nicht anschließen könne. Es seien in dem Gutachten doch erhebliche Einschränkungen festgestellt worden und es sei nicht vorstellbar, dass der Kläger in dieser Verfassung einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von sechs Stunden täglich nachgehen könne. Der hohe Leidensdruck zeige sich regelmäßig in der stationären Behandlung in der psychosomatischen Klinik in G. Auch sei der Kläger in Behandlung in der Praxis J so dass dem Gutachter zu widersprechen sei, wenn er darauf hinweise, dass eine fachpsychiatrische Anbindung nicht erfolgt sei.

In einem daraufhin vom Senat eingeholten Befundbericht der nervenärztlichen Praxis K1 vom 03.03.2022 sind Behandlungstermine im September, Oktober, November 2018, im Januar und November 2020, im September, Oktober, November 2021 sowie im Januar 2022 mitgeteilt worden. Der Kläger habe immer wieder von Schmerzattacken von Seiten der Trigeminusneuralgie berichtet. An Diagnosen seien eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig schwerer Episode zu benennen.

Die Klägerseite hat vorgebracht, dass durch den Befundbericht bestätigt sei, dass sich der Kläger in regelmäßiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung befunden habe. Eine Erwerbsunfähigkeit liege bereits aufgrund der psychischen Erkrankung des Klägers vor, die austherapiert sei. Die Trigeminusneuralgie falle insofern nicht mehr ins Gewicht; auf eventuelle Therapiemöglichkeiten komme es daher nicht mehr an.

In einem Bericht der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie A vom 13.05.2022 ist angeben worden, auf Empfehlung des Hausarztes des Klägers sei vom 25.04.2022 bis 13.05.2022 eine stationäre Entzugsbehandlung durchgeführt worden.
Als Diagnosen sind genannt:
1.     Psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom Alkoholentzugssyndrom.
2.     Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome.
3.     Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren.
4.     Psoriasis.
5.     Trigeminusneuralgie.

Nach dem von der Klägerseite vorgelegten Arztbericht der Gastroenterologischen Klinik des Klinikums A vom 18.05.2022 haben beim Kläger bei der stationären Behandlung vom 13.05.2022 bis 20.05.2022 eine dekompensierte Leberzirrhose, äthyltoxisch, sowie ein Infekt unklarer Genese bei bekannter Alkoholabhängigkeit, eine rezidivierende depressive Störung, ein chronisches Schmerzsyndrom, eine Trigeminusneuralgie und Nikotinabusus vorgelegen. In einem abschließenden Bericht der Psychiatrischen Klinik A vom 15.06.2022 ist von einem Abhängigkeitssyndrom, Entzugssyndrom und akuter Intoxikation bei psychischen und Verhaltensstörungen durch Alkohol, einer alkoholbedingten Leberzirrhose und Aszites berichtet worden. Die stationäre Behandlung habe bis zum 15.06.2022 angedauert.

Die Beklagte hat im Nachgang zu diesen Behandlungen eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation zunächst bewilligt, dann jedoch mit Bescheid vom 23.06.2022 aufgehoben. Grundlage hierfür ist der Arztbrief der S Klinik Bad N vom 21.06.2022 gewesen, die ausgeführt hat, dass aufgrund des akuten Gesundheitszustandes des Klägers bei dekompensierter Leberzirrhose, Aszites, massivem Beinödem, Gerinnungsstörung und weiteren Folgeerkrankungen eine Reha-Fähigkeit nicht vorliege; es werde vielmehr eine Therapie in einer Klinik mit internistischer Fachabteilung für Lebererkrankungen empfohlen.

Der Senat hat einen Versicherungsverlauf des Klägers angefordert. Danach sind nach dem Rentenbezug bis 30.11.2017 beim Kläger keine weiteren rentenrechtlich relevanten Zeiten ersichtlich.

Außerdem hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme beim Gutachter H1 eingeholt, die dieser am 01.10.2022 erstellt hat. H1 hat seine bisherigen Feststellungen im Gutachten dahingehend ergänzt, dass beim Kläger eine lockere nervenärztliche Anbindung mit nicht regelmäßigen Terminen vorliege; als weitere Diagnosen seien Alkoholabhängigkeit und Leberzirrhose zu nennen und nach qualifiziertem Entzug wäre eine Langzeittherapie der Alkoholabhängigkeit zu empfehlen.

Die Klägerseite hat hierzu Stellung genommen, dass der Kläger aktuell ein- bis zweimal pro Woche in der Suchtambulanz des Psychiatrischen Instituts der Sozialstiftung A vorstellig werde und dort engmaschig therapeutisch betreut werde. Nicht berücksichtigt worden sei seitens des Gutachters, dass der Kläger aktuell nicht rehafähig sei. Dem Kläger sei, nachdem der Grundsatz Reha vor Rente in die Leere gehe, nun eine Erwerbsminderungsrente zu gewähren. Es sei auch mehrfach fachärztlich bestätigt, dass der Kläger an einer schweren Depression leide. Der Kläger sei weiter nicht in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein.

Am 05.12.2022 haben die Bevollmächtigten des Klägers vorgebracht, dass der Gutachter H1 den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 28.09.2020 (Az. B 13 R 45/19 B) nicht berücksichtigt habe, indem er festgestellt habe, dass die Behandlungsmöglichkeiten beim Kläger nicht ausgeschöpft seien. Vorgelegt worden ist zugleich ein Attest der psychiatrischen Klinik des Klinikums A vom 11.11.2022, wonach die dortigen Ärzte beim Kläger von einer andauernden Arbeitsfähigkeit von unter 3 Stunden täglich ausgehen würden.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 31.03.2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 08.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über den 30.11.2017 hinaus Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren, hilfsweise Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu einem späteren Zeitpunkt zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 31.03.2020 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akten der Beklagten und der Auszüge aus den beigezogenen Akten des ZBFS Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Weitergewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30.11.2017 hinaus und auch nicht auf eine sich anschließende Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung oder auf eine erneute Erwerbsminderungsrente ab einem späteren Zeitpunkt.

Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre   Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und    
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gelten in gleicher Weise für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Die gesetzlichen Voraussetzungen sind auch bei einem Antrag auf Weitergewährung einer Erwerbsminderungsrente für die Zeit nach Fristablauf sämtlich und in vollem Umfang zu prüfen; es kommt also nicht auf die Frage an, ob eine gesundheitliche Verbesserung zum vorherigen Zeitraum vorliegt und ggf. zu belegen wäre.

Der Kläger hat bei Vorbezug einer Erwerbsminderungsrente die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die - nahtlose - Weitergewährung einer Erwerbsminderungsrente völlig unproblematisch erfüllt.

Für den hilfsweise gestellten Antrag auf eine erneute Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nach Unterbrechung des Rentenbezugs - also für den Fall, dass in medizinischer Sicht für einen gewissen Zeitraum eine Erwerbsminderung für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht bestanden hat, ehe wieder erneut eine Erwerbsminderung eingetreten ist - ergibt sich aus dem vorliegenden Versicherungsverlauf, dass bei Eintritt eines erneuten medizinischen Leistungsfalls im Januar 2020 oder später die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI nicht mehr erfüllt wären.

Auch die Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 241 Abs. 2 SGB VI scheidet aus, nachdem der Kläger zum 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit noch nicht erfüllt gehabt hatte (40 Monate Pflichtbeiträge). Beim Kläger kommen auch zusätzliche Verlängerungstatbestände nach § 43 Abs. 4 SGB VI nicht zum Zuge. Abgesehen davon, dass eine durchgehende Krankschreibung nicht bescheinigt ist, sind beim Kläger nach November 2017 Anrechnungszeiten nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI wegen fehlendem Bezug zur bisherigen Tätigkeit und Überschreiten des Höchstzeitraums von 3 Jahren (vgl. BSG, Urt. v. 25.02.2010, Az. B 13 R 116/08 R, juris) nicht anzuerkennen.

Im Anschluss an die bisherige Rentengewährung ist eine rentenrelevante Erwerbsminderung nicht belegt. Der Kläger ist ab dem 01.12.2017 zur Überzeugung des Senats weder voll noch teilweise erwerbsgemindert gewesen. Der Senat stützt sich auf die Gutachten des F1, des W, des G, des S und des H1. Der Kläger hat eine zeitliche Minderung seines Leistungsvermögens nicht nachgewiesen. Für diesen Nachweis bedarf es der vollen Überzeugung des Gerichts. Ausreichend ist eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Verbleiben begründete Zweifel, so geht dies zu Lasten des Klägers, denn der Rentenbewerber trägt die objektive Beweislast für die gesundheitlichen Einschränkungen bzw. deren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit (vgl. BSG, Urt. v. 20.10.2004, Az. B 5 RJ 48/03 R, juris).

Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI erfordern, dass ein Versicherter nicht mindestens 6 Stunden täglich einsatzfähig ist. Ergänzend führt § 43 Abs. 3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Keiner der Gutachter hat beim Kläger für die Zeit ab Dezember 2017 durchgehend ein Leistungsvermögen von unter 3 Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als gegeben angesehen. Die pauschalen Angaben des behandelnden Psychotherapeuten, dass der Kläger nicht mehr erwerbsfähig sei, vermögen dies nicht zu widerlegen. Die Ausführungen des Hausarztes und der Psychosomatischen Klinik G über fortgesetzte Arbeitsunfähigkeit lassen schon nicht erkennen, ob dort nicht weiterhin auf die zuletzt ausgeübten stark stressbehafteten beruflichen Tätigkeiten des Klägers abgehoben wird. Eine dezidierte sozialmedizinische Beurteilung lässt sich daraus jedenfalls nicht entnehmen. Ob die in jüngster Zeit berichtete Exacerbation der Suchterkrankung bei neuerlicher Untersuchung zu einem anderen Ergebnis führen könnte, kann dahingestellt bleiben, da diese frühestens mit der Behandlung im Klinikum A im Mai 2022 beschrieben wurde und zu diesem Zeitpunkt schon seit längerem die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt waren. Insofern ist auch das aktuelle Attest des Klinikums A vom November 2022 ohne Relevanz für einen neuen Rentenanspruch.

Zwar würde die vom Kläger im Rahmen des Weitergewährungsantrags beantragte Rente wegen voller Erwerbsminderung nach der Rechtsprechung des BSG (Beschl. v. 11.12.1969 - Az. GS 4/69; Beschl. v. 10.12.1976 - Az. GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 - jeweils zitiert nach juris) schon dann in Betracht kommen können, wenn nur eine teilweise Erwerbsminderung vorliegen würde, gleichzeitig aber eine Teilzeitbeschäftigung nicht ausgeübt würde und der Teilzeitarbeitsmarkt für den Kläger als verschlossen anzusehen wäre (s.a. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand Juli 2020, § 43 SGB VI Rn 30 mwN). Dies führt jedoch im Fall des Klägers ebenfalls nicht zu einem Rentenanspruch, weil beim Kläger ab Dezember 2017 zur Überzeugung des Senats keine teilweise Erwerbsminderung im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI vorliegt.

Selbst das Gutachten des S, auf das die Klägerseite insbesondere abhebt, beschreibt beim Kläger ein körperlich ausreichendes Leistungsvermögen, das bei Beachtung der eingeschränkten Arbeitsbedingungen (keine Zwangshaltungen) sogar mehr als nur leichte Tätigkeiten zulässt. Entscheidend sei demnach die Einschränkung der psychischen Belastbarkeit beim Kläger. Auch wenn S in Übereinstimmung mit den übrigen Gutachtern einräumt, dass das Leistungsbild des Klägers durch bewusstseinsnahe Überbetonung verzerrt wird, meint er offensichtlich gleichwohl hinreichende Anhaltspunkte dafür gefunden zu haben, dass ein Ausschluss stressbehafteter oder sonst nervlich belastender Tätigkeiten nicht ausreicht, um eine gesundheitliche Überbelastung des Klägers durch Erwerbstätigkeit zu verhindern. Er hält zusätzlich eine quantitative Einschränkung für erforderlich; ein Restleistungsvermögen von 3 Stunden liege vor. Seine Auffassung, wonach beim Kläger eine zeitliche Einschränkung auf weniger als 6 Stunden erforderlich sei, vermochte den Senat - wie schon das SG - nicht zu überzeugen. Zum einen wird im Fazit ein Restleistungsvermögen von maximal 6 Stunden einbezogen, was formal einem Nichtvorliegen einer quantitativen Erwerbsminderung entsprechen würde; an anderer Stelle im Gutachten wird dagegen eine Einsortierung in die Kategorie von 3 bis unter 6 Stunden tägliches Leistungsvermögen vorgenommen.

Dass quantitative Einschränkungen des Leistungsvermögens des Klägers an ansonsten geeigneten Arbeitsplätzen nicht hinreichend nachgewiesen sind, ist mittlerweile durch die zusätzliche fachärztliche Begutachtung bei H1 noch stärker ersichtlich als im erstinstanzlichen Verfahren. Zu den Auswirkungen der beklagten depressiven Symptome und kognitiven Beschwerden sowie der angegebenen Schmerzen hat H1 überzeugend ausgeführt, dass insbesondere aufgrund der ganz erheblichen Inkonsistenzen die angegebenen Gesundheitsstörungen eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens nicht rechtfertigen.

Entgegen den Annahmen der Klägerseite stützt sich die sozialmedizinische Beurteilung der Gutachter auf deren Feststellungen zum jeweils aktuellen Gesundheitszustand des Klägers und unterstellt nicht zukünftige Besserungen. Dass daneben noch auf nicht ausgeschöpfte Behandlungsmöglichkeiten hingewiesen wird und deren - begrenztes - Besserungsspektrum diskutiert wird, ist insoweit nicht maßgebend, da das Leistungsvermögen des Klägers nach den jeweils bei der Untersuchung festgestellten Funktionseinschränkungen beurteilt wurde, ohne den zukünftigen Eintritt einer Besserung zu Grunde zu legen.

Der Kläger hat auch nicht aus anderen Gründen einen Anspruch auf eine nahtlose Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zwar kann in bestimmten Ausnahmefällen eine Rentengewährung wegen voller Erwerbsminderung selbst dann erfolgen, wenn - wie im Fall des Klägers - eine relevante quantitative Einschränkung seines Leistungsvermögens an geeigneten Arbeitsplätzen nicht (mehr) belegt ist. Dazu müssten allerdings die Voraussetzungen für einen von der Rechtsprechung des BSG entwickelten sog. Katalogfall erfüllt sein, was nicht der Fall ist. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 09.05.2012, B 5 R 68/11 R; Urt. v. 11.12.2019, Az. B 13 R 7/18 R - jeweils nach juris) ist bei der Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, mehrschrittig vorzugehen. Zunächst ist festzustellen, ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen und ergänzend Messen, Prüfen, Überwachen und Kontrollieren von automatisierten Vorgängen.

Aus Sicht des Senats kommen sämtliche Aufgabenfelder grundsätzlich in körperlicher und psychischer Hinsicht in einem Umfang von 6 Stunden täglich und mehr in Betracht. Dass die Ausnahmevorschrift erfüllt wäre, ist damit nicht ersichtlich.

Die ärztlichen Sachverständigen beschreiben auch eine ausreichende Wegefähigkeit beim Kläger.

Beim Kläger scheitert nicht nur eine nahtlose Weitergewährung einer Erwerbsminderungsrente ab Dezember 2017, sondern auch die hilfsweise beantragte erneute Bewilligung einer derartigen Rente zu einem späteren Zeitpunkt. Der Senat sieht - wie ausgeführt - aus den bis Dezember 2021 erstellten Gutachten des F1, des W, des G, des S und des H1 sowie durch die sozialmedizinische Stellungnahme im Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik Bad A den Nachweis einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung nicht geführt. Dies gilt nicht nur für den unmittelbaren Anschlusszeitraum an November 2017, sondern für die gesamte Folgezeit bis hin zur Untersuchung bei H1 im Dezember 2021. Dabei sind in den Gutachten auch die jeweils vorliegenden Unterlagen und Atteste der behandelnden Ärzte mitbehandelt worden.

Etwaige nachfolgende Verschlechterungen in den Jahren 2021 und 2022 können erst recht kein anderes Ergebnis begründen, sondern vielmehr dahingestellt bleiben; sie sind - wie bereits ausgeführt - aus versicherungsrechtlichen Gründen ohne Belang.

Eine Anwendung der Ausnahmevorschrift über einen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) scheitert schon daran, dass der Kläger nicht den von dieser Vorschrift erfassten Geburtsjahrgängen angehört d.h. nicht vor dem 02.01.1961 geboren ist (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 31.03.2020 in vollem Umfang als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

 

 

Rechtskraft
Aus
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