L 8 AY 55/21

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Asylbewerberleistungsgesetz
1. Instanz
SG Braunschweig (NSB)
Aktenzeichen
S 20 AY 17/18
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 8 AY 55/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Durch einen allein passiven Widerstand gegen eine Abschiebungsmaßnahme (hier die Erklärung am Flughafen, nicht zur Ausreise bereit zu sein) wird die Aufenthaltsdauer in Deutschland nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst iSd § 2 Abs. 1 AsylbLG.
2. Der Aufenthalt im sog. offenen Kirchenasyl, um eine Überstellung nach der Dublin-III-VO abzuwenden, stellt keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer in Deutschland nach § 2 Abs 1 AsylbLG dar (Anschluss an BSG, Urteil vom 24.6.2021 - B 7 AY 4/20 R - juris).

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 5. November 2019 aufgehoben, der Bescheid des Beklagten vom 14. September 2017 sowie die konkludent durch Auszahlung erfolgten Bewilligungen von Geldleistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit von September 2017 bis November 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2018 geändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit von September 2017 bis November 2018 höhere Geldleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. dem SGB XII zu gewähren.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Im Streit sind höhere Geldleistungen nach dem AsylbLG für September 2017 bis November 2018, insbesondere wegen des Vorwurfs eines rechtmissbräuchlichen Verhaltens i.S. des § 2 AsylbLG aufgrund der Vereitelung einer Abschiebungsmaßnahme und der Inanspruchnahme von Kirchenasyl.

 

Der 1985 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehörigkeit und suchte unmittelbar nach Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Oktober 2015 (u.a. über Griechenland und Kroatien) um Asyl nach. Während des Asylverfahrens war er der im Kreisgebiet des Beklagten liegenden Gemeinde H. zugewiesen (Bescheid der Landesaufnahmebehörde - LAB - Niedersachsen vom 7.1.2016). Nachdem die Republik Kroatien die Zuständigkeit für das Asylverfahren anerkannt hatte, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den (förmlichen) Asylantrag vom 22.7.2016 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Kroatien an (Bescheid vom 1.11.2016). Der vom Kläger deswegen beim Verwaltungsgericht (VG) Braunschweig gestellte Eilantrag hatte keinen Erfolg (Beschluss des VG vom 22.11.2016 - 2 B 369/16 -).

 

Die am 25.1.2017 beabsichtigte Überstellung des Klägers nach Zagreb über den Flughafen Köln/Bonn fand letztlich nicht statt. Dem liegt nach dem Vermerk der LAB Braunschweig vom 26.1.2017 folgender Sachverhalt zu Grunde: Nach Eintreffen der Vollzugsbeamten der LAB Braunschweig in der Unterkunft gegen 3.45 Uhr erklärte der Kläger - verbal sehr aggressiv und fluchend - mehrfach, er werde nicht ausreisen. Nach dem Packen seiner Habseligkeiten, wobei er von Mitbewohnern der Unterkunft unterstützt wurde, trat er die ohne Zwischenfälle verlaufende Fahrt zum Flughafen an (Ankunft um 9.50 Uhr). Die Vollzugsbeamten der LAB übergaben den Kläger in die Zuständigkeit der Bundespolizei Köln und checkten das Gepäck ein. Im Anschluss wurden sie darüber informiert, dass der Kläger auf Befragen der Bundespolizei seine Bereitschaft zum Fliegen verneint und der zuständige Dienstgruppenleiter aus diesem Grund die endgültige Übernahme des Klägers abgelehnt hatte; es fehle ein Beschluss für das Verbringen des Klägers zum Flugzeug mittels Zwangsanwendung. Nach dem Auschecken des Gepäcks und einer kurzen Raucherpause war von den Vollzugsbeamten der LAB die gemeinsame Rückfahrt beabsichtigt, doch der Kläger blieb vor dem Auto trotz mehrfacher Aufforderung still stehen. Da ein gerichtlicher Vorführungstermin für eine eventuelle Abschiebungshaft nicht mehr realisierbar und der Kläger als „freier Bürger“ nicht mit Zwang in den Wagen zu verbringen war, traten die Vollzugsbeamten nach Rücksprache mit der Ausländerstelle des Beklagten und dem Landeskriminalamt Hannover allein die Rückfahrt an. Nach Einschätzung der Vollzugsbeamten sprach einer eigenen Rückreise des Klägers nichts entgegen, insbesondere weil er über ausreichende Barmittel verfügte. Ihm wurde eine Anlaufbescheinigung für den Landkreis Peine ausgehändigt.

 

Der einen Tag später zur Fahndung ausgeschriebene Kläger meldete sich am 1.2.2017 bei der Ausländerstelle des Beklagten und wurde taggleich in einer Einrichtung der Caritas in I. vorläufig festgenommen. Die zunächst bis zum 10.3.2017 zur Sicherung der Abschiebung angeordnete Haft (Beschluss des Amtsgerichts Peine vom 1.2.2017 - 11 XIV 1099 B -) wurde auf die Beschwerde des Klägers am 20.2.2017 (vorzeitig) beendet, u.a. weil sein insgesamt lediglich passives Verhalten schon begrifflich den Verdacht nicht begründen könne, er würde sich einer (weiteren) Abschiebung durch Flucht entziehen. Das Unterlassen gebotener Mitwirkungshandlungen reiche hierfür nicht aus. Nach den gegebenen Umständen sei der Kläger nach der gescheiterten Abschiebung auch nicht bis zum 1.2.2017 „untergetaucht“ (Beschluss des Landgerichts - LG - Hildesheim vom 14.2.2017 - 5 T 29/17 -).

 

Nach Mitteilung der am 2.3.2017 beabsichtigten Überstellung durch die Ausländerstelle des Beklagten nahm die evangelisch-lutherische Stiftskirchengemeinde in J. den Kläger u.a. wegen bereits 2016 attestierter psychischer Beeinträchtigungen (vgl. das Attest und den Bericht des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie K., I., vom 2.12.2016; dazu auch gleich) in das sog. offene Kirchenasyl auf (Beschluss der Kirchengemeinde vom 22.2.2017). Der Kläger informierte hierüber das BAMF und die Ausländerstelle des Beklagten einen Tag später und teilte seinen Aufenthaltsort mit.

 

Nach Ablauf der Überstellungsfrist (am 22.5.2017) nahm das BAMF das innerstaatliche Asylverfahren auf und lehnte den Antrag auf Asylanerkennung nach (erneuter) Anhörung des Klägers in der Sache ab (Bescheid vom 12.4.2018). Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des VG Braunschweig vom 21.6.2018 - 2 A 229/18 -, rechtskräftig seit 31.7.2018). Auf die Aufforderung der Ausländerstelle des Beklagten vom 10.10.2018, sich um die Ausstellung eines Reisepasses oder eines Passersatzpapieres (Laissez-Passer o.Ä.) zu bemühen und einen Nachweis über die Bemühungen vorzulegen (eine erste Aufforderung vom 26.9.2017 war unter der Anschrift des Klägers postalisch nicht zustellbar), reichte der wegen fehlender Heimreisepapiere seit dem 20.8.2018 mit einer Wohnsitzauflage betreffend die Gemeinde H. geduldete Kläger eine Bescheinigung des Generalkonsulats der Islamischen Republik Iran in Hamburg vom 14.12.2018 über die Beantragung einer (Zweit-)Ausstellung einer Geburtsurkunde ein, deren Vorlage für die Ausstellung eines iranischen Reisepasses vorausgesetzt werde.

 

Seinen Lebensunterhalt sicherte der einkommens- und vermögenslose Kläger durch Leistungen nach dem AsylbLG, vom Beklagten bewilligt für Januar 2016 in monatlicher Höhe von 304,62 € zzgl. Sachleistungen für Unterkunft und Heizung nach § 3 AsylbLG durch Bescheid vom 19.1.2016. Im Weiteren erfolgte die Leistungsgewährung ohne schriftlichen Bescheid durch Auszahlung von Geldleistungen am Monatsanfang bzw. am Ende des Vormonats, u.a. für September 2017 bis November 2018 in monatlicher Höhe von 334,00 € (von der Summe der Bedarfssätze nach § 3 AsylbLG a.F. von 354,00 € wurde ein Betrag von 20,00 € je Monat wegen der in der Unterkunft zur Verfügung gestellten Haushaltsenergie abgezogen). In dieser Zeit war der Kläger wegen seiner psychischen Beeinträchtigungen dreimal mit der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) basierend auf Gewalterfahrungen im Iran in fachärztlicher Behandlung (vgl. das nervenärztliche Attest des Facharztes K. vom 22.1.2018). Diese Beeinträchtigungen sowie Suizidversuche waren 2019 Hintergrund von zwei stationären Aufenthalten in dem AWO Psychiatriezentrum, L., bei denen u.a. eine rezidivierende depressive Störung (ICD-10 F33.2) und eine PTBS (ICD-10 F43.1) diagnostiziert wurden (vgl. die Entlassungsberichte vom 13.5. und 26.9.2019).

 

Am 12.9.2017 beantragte der Kläger, der kurze Zeit später zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet wurde, beim Beklagten die Gewährung von sog. Analog-Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. dem SGB XII, im Ergebnis ohne Erfolg. Zur Begründung führte der Beklagte aus, der Kläger habe seine Aufenthaltsdauer durch seine Weigerung, das zu seiner Abschiebung bereitstehende Flugzeug zu betreten, rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst (Bescheid des Beklagten vom 14.9.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2018, dem Kläger bekannt gegeben am 28.11.2018).

 

Die hiergegen am 28.12.2018 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Braunschweig u.a. mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe seine Aufenthaltsdauer in Deutschland durch das Vereiteln der Abschiebungsmaßnahme rechtsmissbräuchlich beeinflusst. Sein Verhalten habe sich nicht darauf beschränkt, dass er seiner vollziehbaren Verpflichtung zur Ausreise nicht nachgekommen sei, sondern er habe aktiv seine Abschiebung verhindert, indem er nach der Vorbereitung einer erfolgreichen Abschiebung schließlich nicht in das bereitstehende Flugzeug einstieg und nachfolgend den Flug auch ohne selbst veranlasste Schwierigkeiten absolvierte. Diese Weigerung sei objektiv als ein grob vorwerfbares und sozialwidriges Verhalten und ein schwer wiegender Verstoß anzusehen. Dieses Verhalten sei dem Kläger subjektiv vorzuwerfen, auch wenn die Vollzugsbeamten keine Zwangsmittel ergriffen haben (Urteil vom 5.11.2019).

 

Gegen diese dem Kläger am 25.11.2019 zugestellte Entscheidung richtet sich seine Berufung vom 19.12.2019 (Aktenzeichen zunächst - L 8 AY 49/19 -), mit der er nach einer Beschränkung des Streitgegenstandes die Zahlung höherer Bedarfssätze bzw. Geldleistungen nach § 2 AsylbLG für September 2017 bis November 2018 begehrt (Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 3.2. und 12.5.2020). Er macht geltend, er habe sich nicht rechtsmissbräuchlich i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG verhalten, weder durch die passive Weigerung, den Abschiebeflug anzutreten, noch durch die Inanspruchnahme von Kirchenasyl. Außerdem sei eine Leistungskürzung durch das dauerhafte Vorenthalten von sog. Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG und der damit einhergehenden Absicherung im Krankheitsfall auf dem Niveau der Gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V) bzw. eine nachträgliche Bestrafung von Fehlverhalten nicht mit der Rechtsprechung des BVerfG zu den Sanktionen nach dem SGB II (Urteil vom 5.11.2019 - 1 BvL 7/16 -) und der Verfassung (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) vereinbar.

 

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

 

das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 5.11.2019 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 14.9.2017 sowie die konkludent durch Auszahlung erfolgten Bewilligungen von Geldleistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit von September 2017 bis November 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2018 zu ändern und

 

den Beklagten zu verurteilen, ihm - dem Kläger - für die Zeit von September 2017 bis November 2018 höhere Bedarfssätze nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. der Anlage zu § 28 SGB XII, hilfsweise nach § 3 AsylbLG, zu gewähren.

 

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

 

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (Schriftsätze vom 9.2. und 11.10.2022).

 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungs- und Ausländerakten (jeweils e-Akte) des Beklagten sowie der ebenfalls beigezogenen Vorgänge des BAMF (zwei Hefter) Bezug genommen. Diese Akten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

EnTscheidungsgründe

 

Mit dem Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 SGG).

 

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere ohne Zulassung statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) Berufung ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

 

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 14.9.2017 sowie die konkludent durch Auszahlung erfolgten Bewilligungen von Geldleistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit von September 2017 bis November 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2018 (§ 95 SGG), mithin die Bewilligung von Geldleistungen nach dem AsylbLG für die Zeit vom 1.9.2017 bis zum 30.11.2018. Der Streit um Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG (hier i.d.F.v. 31.7.2016, BGBl. I 1939, a.F.) i.V.m. dem SGB XII anstelle von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG (hier bezogen auf die Geldleistungen nach § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG i.d.F.v. 10. und 23.12.2014, BGBl. I 2187 und 2439, i.V.m. der Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales v. 26.10.2015, BGBl I 1793, und nach § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG i.d.F.v. 11.3.2016, BGBl. I 390, jeweils a.F.; zur Verfassungswidrigkeit dieser Leistungen vgl. Senatsbeschluss vom 26.1.2021 - L 8 AY 21/19 - juris, anhängig beim BVerfG - 1 BvL 5/21 -) ist nach der Rechtsprechung des BSG ein - wenn auch nicht typischer - Höhenstreit, also über einen Anspruch auf höhere Geldleistungen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 2.2.2010 - B 8 AY 1/08 R - juris Rn. 10). Die Frage der Leistungsberechtigung nach § 2 AsylbLG ist einem sog. Grundlagenbescheid nicht zugänglich (anders im Rahmen der Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2013 - B 7 AY 7/12 R - juris Rn. 14 ff.). Der Antrag des Klägers vom 12.9.2017 auf Gewährung von sog. Analog-Leistungen war danach im Verwaltungsverfahren nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz (zur Berücksichtigung dieses Grundsatzes bei der Auslegung von Rechtsbehelfen Senatsurteil vom 7.7.2022 - L 8 SO 277/18 - juris Rn. 16 m.w.N.) als (fristgerechter) Widerspruch gegen die konkludent durch Auszahlung von 334,00 € am 5.9.2017 erfolgte Leistungsbewilligung für September 2017 auszulegen. Der diese Bewilligung in der Sache bestätigende Ausgangsbescheid vom 14.9.2017 sowie alle nachfolgenden Bewilligungen, die monatsweise ebenfalls konkludent durch Auszahlung der Geldbeträge am Monatsanfang (für Oktober bis Dezember 2017 sowie Februar, März und September 2018) bzw. am Ende des Vormonats (für Januar, April bis August sowie Oktober und November 2018) erfolgt sind (vgl. im Einzelnen den mit Schriftsatz des Beklagten vom 23.9.2020 übermittelten Auszug des Fallkontos), sind nach § 86 SGG (analog) in das Vorverfahren miteinbezogen worden (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 17.6.2008 - B 8 AY 11/07 R - juris Rn. 10); in zeitlicher Hinsicht erstreckt sich die Verwaltungsentscheidung mithin bis Ende November 2018 (Widerspruchsbescheid vom 22.11.2018). Die für Dezember 2018 und später ergangenen Bewilligungen sind hingegen nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Gerichtsverfahrens geworden, weil die Leistungen nicht zeitlich unbegrenzt, sondern jeweils befristet - Monat für Monat - bewilligt worden sind (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - juris Rn. 13).

 

Die mit dem Ziel, über die bislang gemäß § 3 AsylbLG a.F. gewährten Geldleistungen hinaus unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt höhere zu erhalten, erhobene (kombinierte) Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4, § 56 SGG) ist in statthafter Weise gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils i.S. des § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG (zur Zulässigkeit BSG, Urteil vom 26.6.2013 - B 7 AY 6/11 R - juris Rn. 11 und Urteil vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R - juris Rn. 10). Dabei hat der Kläger den Gegenstand der Klage beschränkt betreffend einen Anspruch auf höhere Geldleistungen nach den für die Jahre 2017 und 2018 geltenden Regelsätzen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. i.V.m. der Anlage zu § 28 SGB XII, hilfsweise nach Bedarfssätzen gemäß § 3 AsylbLG a.F. in verfassungsmäßiger Höhe (vgl. dazu wiederum Senatsbeschluss vom 26.1.2021 - L 8 AY 21/19 - juris). Andere bzw. sonstige (Sach-)Leistungen, etwa für Unterkunft und Heizung oder nach § 6 Abs. 1 AsylbLG, sind nicht im Streit.

 

Die auch im Übrigen zulässige Klage ist in dem Sinne begründet, dass dem Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum Geldleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. i.V.m. §§ 27, 28 SGB XII und der Anlage zu § 28 SGB XII (Regelbedarfsstufe 1) zustehen, konkret für September bis Dezember 2017 in monatlicher Höhe von 409,00 € und für Januar bis November 2018 von 416,00 € je Monat. Dabei ist es dem Grunde nach nicht zu beanstanden, dass der Beklagte für die von ihm dem Kläger in der Unterkunft zur Verfügung gestellte Haushaltsenergie eine abweichende Festsetzung der Leistungen nach § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB XII vornimmt (dazu später).

 

Der beklagte Kreis ist als nach Landesrecht sachlich zuständige Behörde (§ 10 AsylbLG i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 1 des Niedersächsischen Gesetzes zur Aufnahme von ausländischen Flüchtlingen und zur Durchführung des AsylbLG - AufnG - vom 11.3.2004, Nds. GVBl. S. 100) nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG (i.d.F.v. 20.10.2015, BGBl. I 1722) auch örtlich zuständig für die geltend gemachten Leistungen, weil der Kläger der im Kreisgebiet liegenden Gemeinde H. zugewiesen worden ist (Bescheid der LAB Niedersachsen vom 7.1.2016) und er nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens beim VG Braunschweig (Urteil vom 21.6.2018 - 2 A 229/18 -) ab August 2018 aufgrund einer (auch) mit Duldung des Beklagten vom 20.8.2018 verfügten Wohnsitzauflage (§ 61 Abs. 1d AufenthG) verpflichtet gewesen ist, an diesem Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt bzw. Wohnsitz zu nehmen.

 

Der Kläger ist im streitgegenständlichen Zeitraum leistungsberechtigt nach dem AsylbLG gewesen, nach Aufnahme des innerstaatlichen Asylverfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung des VG Braunschweig (Urteil vom 21.6.2018 - 2 A 229/18 -, rechtskräftig seit 31.7.2018) als Inhaber einer Aufenthaltsgestattung (§ 55 AsylG) gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG, bis zum 19.8.2018 als vollziehbar Ausreisepflichtiger nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG und mit Erteilung einer Duldung (§ 60a AufenthG) am 20.8.2018, deren Wirksamkeit im Weiteren verlängert worden ist, gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG.

 

Sein Leistungsanspruch für die streitige Zeit beurteilt sich nach § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. i.V.m. SGB XII. Danach ist abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 15 Monaten (die Frist ist zum 21.8.2019 auf 18 Monate verlängert worden, vgl. BGBl. I 2019, 1294) ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Nach der Rechtsprechung des BSG (grundlegend: Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - juris Rn. 32 ff.) setzt ein rechtsmissbräuchliches Verhalten i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG in objektiver Hinsicht ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus, das in subjektiver Hinsicht vorsätzlich im Bewusstsein der objektiv möglichen Aufenthaltsbeeinflussung getragen ist. Dabei genügt angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Art, Ausmaß und Folgen der Pflichtverletzung wiegen für den Betroffenen so schwer, dass auch der Pflichtverletzung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein erhebliches Gewicht zukommen muss. Daher kann nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation einer ausländischen Person in Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), zum Ausschluss von Analog-Leistungen führen. Die Angabe einer falschen Identität stellt einen typischen Fall des Rechtsmissbrauchs dar (BSG, a.a.O., Rn. 34). Nicht entscheidend ist, ob der Missbrauchstatbestand aktuell andauert oder die Annahme rechtfertigt, er sei noch kausal für den derzeitigen Aufenthalt des Ausländers (BSG, a.a.O., Rn. 41). Eine Ausnahme ist zu machen, wenn eine etwaige Ausreisepflicht des betroffenen Ausländers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum des Rechtsmissbrauchs nicht hätte vollzogen werden können (BSG, a.a.O., Rn. 44). An diesen höchstrichterlichen Maßgaben hat sich auch durch die am 1.3.2015 in Kraft getretene Neuregelung zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums für den Anwendungsbereich des AsylbLG (Gesetze vom 10. und 23.12.2014, BGBl. I 2187 und 2439) nichts geändert (BSG, Urteil vom 24.6.2021 - B 7 AY 4/20 R - juris Rn. 16 f.). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.

 

Bezogen auf den Zeitraum ab „Antragstellung“ im September 2017 hat sich der Kläger seit seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Oktober 2015 ununterbrochen fast zwei Jahre - also mehr als 15 Monate - in Deutschland aufgehalten, ohne seine Aufenthaltsdauer bis November 2018 rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst zu haben. In Bezug auf den Vorwurf eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens sind in zeitlicher Hinsicht vier Sachverhalte zu unterscheiden: die gescheiterte Rückführung des Klägers nach Kroatien am 25.1.2017, sein (den Behörden) unbekannter Aufenthaltsort im Anschluss an diese Maßnahme bis zum 1.2.2017, sein Aufenthalt im Kirchenasyl ab dem 22.2.2017 über das Ablaufen der Überstellungsfrist am 22.5.2017 hinaus und schließlich die Art und Weise der Mitwirkung des Klägers im aufenthaltsrechtlichen Verfahren nach rechtskräftigem Abschluss des Klageverfahrens beim VG Braunschweig (Urteil vom 21.6.2018 - 2 A 229/18 -) ab August 2018. Bei keinem dieser Sachverhalte weist das womöglich auf eine Verlängerung der Aufenthaltsdauer gerichtete Verhalten des Klägers - isoliert betrachtet - in objektiver Hinsicht ein so schweres Ausmaß auf, dass es als rechtsmissbräuchliches Verhaltens i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG anzusehen ist. Auch die Würdigung seines Verhaltens in der Gesamtheit rechtfertigt diesen Vorwurf nicht.

 

Der im Vordergrund stehende Vorwurf der Vereitelung der Abschiebung am 25.1.2017 durch die Weigerung am Flughafen Köln/Bonn, das für die Ausreise nach Zagreb bereitstehende Flugzeug zu besteigen, ist zwar ohne Zweifel geeignet, die Aufenthaltsdauer in Deutschland zu beeinflussen bzw. - wie hier mit Erfolg - zu verlängern. Das allein passive Verhalten des Klägers - genauer seine Erklärung auf die Befragung eines Vollzugsbeamten der Bundespolizei Köln, er sei nicht bereit, den Flug anzutreten - bedeutet in objektiver Hinsicht aber kein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten, dem im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein so erhebliches Gewicht zukommt, dass von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG ausgegangen werden kann. Nach der Rechtsprechung des BSG zu der sog. „Ehrenerklärung“, also der für die Einreise in ihr Heimatland erforderlichen Erklärung von Angehörigen bestimmter Staaten (z.B. Mali, Somalia oder Iran), sie würden aus freien Stücken einreisen, ist es der betroffenen Person leistungsrechtlich - sowohl bei einer Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG als auch im Rahmen des § 2 Abs. 1 AsylbLG - nicht vorzuwerfen, wenn sie diese Erklärung nicht abgibt, weil sie den entsprechenden Willen nicht besitzt (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2013 - B 7 AY 7/12 R - juris Rn. 26-29; hierzu kritisch wegen der möglichen Fernwirkung auf asyl- und aufenthaltsrechtliche Fragen Berlit, jurisPR-SozR 22/2014 Anm. 3). Auf Grundlage dieser Rechtsprechung, der sich der Senat angeschlossen hat (vgl. u.a. Beschluss vom 16.1.2020 - L 8 AY 22/19 B ER - juris Rn. 16), ist auch das Unterlassen der Mitwirkung an einer Abschiebung allein durch passives Verhalten bzw. die (wahrheitsgemäße) Erklärung, nicht ausreisen zu wollen, in der Regel - soweit wie hier keine weiteren Umstände hinzutreten - kein rechtsmissbräuchliches Verhalten i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG, weil dies in seinem Unwertgehalt nicht mit einem aktiven Entziehen von der Abschiebung gleichzusetzen ist. Diese Bewertung des Verhaltens steht mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung im Einklang, nach der ein passiver Widerstand gegen eine Abschiebung - wie auch hier - nicht zu einer Verlängerung der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) führt, weil darin kein gezieltes „sich Entziehen“ von den für die Durchführung der Überstellung zuständigen nationalen Behörden gesehen werden kann, um die Überstellung zu vereiteln (vgl. allg. EuGH, Urteil vom 19.3.2019 - C-163/17 - <Jawo> juris Rn. 70; konkret zum bloß passiven Widerstand VG Würzburg, Beschluss vom 26.3.2020 - W 10 K 19.50533 - juris Rn. 5 f. m.w.N.; zur Heranziehung dieses Aspektes vgl. BSG, Urteil vom 24.6.2021 - B 7 AY 4/20 R - juris Rn. 18 a.E.).

 

Dass sich der Kläger im Anschluss an diese (gescheiterte) Maßnahme vom 26.1. bis zum 1.2.2017 an einem der Ausländerstelle des Beklagten bzw. dem BAMF unbekannten Ort aufgehalten hat, stellt ebenfalls keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer in Deutschland dar. Nach der Rechtsprechung des Senats stellt zwar ein sog. „Untertauchen“ (innerhalb des Bundesgebiets), durch das sich der an sich vollziehbar Ausreisepflichtige der für eine Abschiebung oder Überstellung zuständigen Behörde entzieht, in der Regel ein rechtsmissbräuchliches Verhalten i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG dar (Senatsbeschluss vom 27.4.2020 - L 8 AY 20/19 B ER - juris Rn. 21 sowie vom 19.11.2019 - L 8 AY 1/19 B ER - juris Rn. 20; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 6.11.2017 - L 7 AY 2691/15 - juris Rn. 37; zu einem Ausnahmefall nicht sozialwidrigen „Untertauchens“ vgl. Senatsbeschluss vom 1.2.2018 - L 8 AY 16/17 B ER - juris Rn. 26). Von einer zielgerichteten Beeinträchtigung aufenthaltsbeendender Maßnahmen durch „Untertauchen“ kann hier nach den Umständen des Einzelfalles aber keine Rede sein. Der Kläger ist von den Vollzugsbeamten der LAB Braunschweig am Flughafen Köln/Bonn allein zurückgelassen worden und hat die Reise mit eigenen Barmitteln (nach dem Abschlussbericht der LAB Braunschweig vom 26.1.2017 wohl i.H.v. 50,00 €) angetreten. Es liegen schon keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger vom 26.1.2017 bis zu seiner Vorsprache bei der Ausländerstelle des Beklagten am 1.2.2017 nicht (postalisch) unter der Anschrift der ihm zugewiesenen Unterkunft in H. erreichbar gewesen ist (ebenso LG Hildesheim, Beschluss vom 14.2.2017 - 5 T 29/17 - S. 5).

 

Nach der Rechtsprechung des BSG stellt auch der Aufenthalt im sog. offenen Kirchenasyl, um eine Überstellung nach der Dublin-III-VO - hier nach Kroatien - abzuwenden, keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung bzw. Verlängerung der Aufenthaltsdauer in Deutschland dar, weil der Staat während eines offenen Kirchenasyls auf Grundlage der mit den Kirchen getroffenen Absprachen den weiteren Aufenthalt im Inland faktisch und generalisierend akzeptiert (BSG, Urteil vom 24.6.2021 - B 7 AY 4/20 R - juris Rn. 14 ff., 18 f.). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an (in diese Richtung bereits für das sog. offene Kirchenasyl ausführlich Senatsbeschluss vom 27.4.2020 - L 8 AY 20/19 B ER - juris Rn. 18 ff.). Dem Kläger ist auch insoweit nicht der Vorwurf eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG zu machen.

 

Schließlich hat er seine Aufenthaltsdauer in Deutschland bis November 2018 nicht durch ein Fehlverhalten im aufenthaltsrechtlichen Verfahren rechtsmissbräuchlich beeinflusst. Ein solcher Vorwurf kann bei einer nachhaltigen Verletzung von Mitwirkungspflichten i.S. des § 48 Abs. 3 AufenthG (u.a. zur Beschaffung eines Identitätspapiers) berechtigt sein (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 22.7.2020 - L 4 AY 8/17 - juris Rn. 43; Sächs. LSG, Urteil vom 26.2.2020 - L 8 AY 5/14 - juris Rn. 25; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.1.2009 - L 11 AY 2/08 - juris Rn. 21). Zweifel an der Identität des Klägers bestehen wegen der Vorlage seines iranischen Personalausweises, der ihm nach den Angaben bei der Anhörung beim BAMF vom 16.1.2018 von seinem Bruder aus dem Iran zugeschickt worden sein soll, im Asylverfahren nicht. Über einen gültigen Reisepass soll der Kläger nicht verfügt haben. Nachdem die zunächst unter dem 26.9.2018 verschickte Aufforderung der Ausländerstelle des Beklagten, sich um die Ausstellung eines Reisepasses oder eines Passersatzpapieres (Laissez-Passer o.Ä.) zu bemühen und einen Nachweis über die Bemühungen vorzulegen, postalisch nicht übermittelt werden konnte, ist der Kläger auf die entsprechende Aufforderung vom 10.10.2018 hinreichend durch die Vorlage einer Bescheinigung des Generalkonsulats der Islamischen Republik Iran in Hamburg vom 14.12.2018 über die Beantragung einer Ausstellung einer iranischen Geburtsurkunde nachgekommen. Eine zielgerichtete Verschleppung des aufenthaltsrechtlichen Verfahrens ist unter diesen Umständen nicht anzunehmen.

 

Auch eine Würdigung der Gesamtumstände (bis November 2018) rechtfertigt nicht den Vorwurf eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG, obwohl der Kläger für das Verstreichen der Überstellungsfrist nach Kroatien am 22.5.2017 in besonderer Weise (mit-)verantwortlich ist (durch passiven Widerstand bei dem Überstellungsversuch am 25.1.2017 sowie die Inanspruchnahme von Kirchenasyl ab dem 22.2.2017). Hierbei berücksichtigt der Senat die individuelle Situation des Klägers, die insb. durch nicht unerhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen geprägt gewesen ist, sowie die Zäsur des asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahrens durch die Aufnahme des innerstaatlichen Asylverfahrens Mitte 2017, in dessen Zuge der Kläger im September 2017 vom Beklagten sogar zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet worden ist. Vor dem Hintergrund, dass iranische Staatsangehörige zur Rückreise in ihr Heimatland eine sog. „Ehrenerklärung“ (dazu bereits oben) abgeben müssen (vgl. etwa Hess. LSG, Beschluss vom 23.6.2022 - L 4 AY 13/22 B ER - juris), ist eine spätere Aufenthaltsbeendigung - ungeachtet weiterer Mitwirkungen des Klägers im aufenthaltsrechtlichen Verfahren - auch ungewiss gewesen.

 

Der einkommens- und vermögenslose Kläger ist nach Maßgabe von § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. i.V.m. §§ 82 ff., 90 SGB XII nicht in der Lage gewesen, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.

 

Beurteilt sich der Leistungsanspruch des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum nach § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. i.V.m. dem SGB XII, ist es dem Grunde nach nicht zu beanstanden, dass der Beklagte (auch) in Umsetzung des Grundurteils eine wertmäßige Kürzung der Geldleistungen nach §§ 27, 27a, 28, 29 SGB XII i.V.m. der Anlage zu § 28 SGB XII wegen der im Rahmen der Unterbringung des Klägers vom Beklagten zur Verfügung gestellten Haushaltsenergie vornimmt. Insoweit ist eine abweichende Festsetzung des Regelsatzes nach § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB XII möglich, weil hier ein durch die Regelbedarfe abgedeckter Bedarf (an Haushaltsenergie; Abteilung 4 der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe - EVS - 2013, vgl. § 5 Abs. 1 RBEG, hier i.d.F.v. 22.12.2016, BGBl. I 3159, RBEG 2017, vgl. auch BT-Drs. 18/9984, S. 38) nicht nur einmalig, sondern für eine Dauer von voraussichtlich mehr als einem Monat nachweisbar vollständig oder teilweise anderweitig gedeckt ist. Zur Bestimmung der Kürzungsbeträge kann orientierend auf die Einzelbeträge der Abteilungen der EVS für die jeweilige Regelbedarfsstufe nach dem SGB XII zurückgegriffen werden, auch wenn diese Werte für die (Einzel-)Bedarfe keine (konkreten) Berechnungspositionen darstellen, anhand derer die rechtmäßige Höhe des verbliebenen Teils der Geldleistungen exakt bestimmt werden könnte. Auf der Grundlage dieser Beträge sind die Abzüge realistisch zu schätzen (§ 287 ZPO in entsprechender Anwendung). Eine Kürzung der Geldleistungen ist der Höhe nach auf denjenigen Anteil des Bedarfes begrenzt, der auf die konkrete Sachleistung entfällt (zum Vorstehenden vgl. auch Senatsbeschluss vom 26.1.2021 - L 8 AY 21/19 - juris Rn. 33-35 m.w.N.). Nach diesen Maßgaben begegnet eine Kürzung der Geldleistungen um 20,00 € je Monat wegen der vom Beklagten kostenfrei zur Verfügung gestellten Haushaltsenergie, die in den Jahren 2017 und 2018 mit einem Anteil von über 30,00 € in dem Regelbedarf einer erwachsenen, alleinstehenden Person (Regelbedarfsstufe 1) berücksichtigt worden sind (vgl. Schwabe, ZfF 2017, 1, 9 sowie ders., ZfF 2018, 1, 7), auch der Höhe nach keinen durchgreifenden Bedenken, weil sie jedenfalls nicht in rechtswidriger Weise zum Nachteil des Klägers erfolgen würde.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zuzulassen.

Rechtskraft
Aus
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