L 1 BA 91/19

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Osnabrück (NSB)
Aktenzeichen
S 10 BA 67/18
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 1 BA 91/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Eine Statusfeststellung für eine zum Antragszeitpunkt oder erst danach beendete Tätigkeit ist zwar im Grundsatz, aber nicht schrankenlos möglich.
2. Für die Durchführung und die gerichtliche Überprüfung gelten bei bereits längere Zeit beendeten Tätigkeiten dahingehend gesteigerte Anforderungen, dass die von der Statusfeststellung erfasste Tätigkeit über seine Beendigung hinaus noch eine gegenwärtige Wirkung erzeugen muss. Diese Voraussetzung ist von den Beteiligten des jeweiligen Tätigkeitsverhältnisses auf behördliche bzw. gerichtliche Aufforderung schlüssig darzulegen.
3. Es ist grundsätzlich unerheblich insbesondere wenn die Schwelle der Missbräuchlichkeit nicht überschritten wird -, aufgrund welcher Motivation es zur Einleitung eines Statusfeststellungsverfahrens nach Beendigung einer Tätigkeit kommt.
4. Ein schützenswertes Interesse an der Durchführung des Statusfeststellungsverfahrens liegt nicht erst vor, wenn das Ergebnis für ein laufendes nicht nur beabsichtigtes steuerrechtliches Verfahren verbindlich ist. Es genügt, wenn es unter Berücksichtigung von Äußerungen der Steuerbehörde als Argument von einigem Gewicht Eingang finden soll und die Statusfrage im steuerrechtlichen Verfahren entscheidungserheblich ist.
5. Ein Inhaber einer Steuerberaterkanzlei, der diese samt Mandantenstamm an einen anderen Steuerberater veräußert und danach im Rahmen eines Freie-Mitarbeiter-Vertrages als Steuerberater für den Erwerber ausschließlich umsatzabhängig tätig wird, sich vertraglich eine weitreichende Unabhängigkeit gesichert hat und weiterhin gegenüber Mandanten wie ein Inhaber auftritt, wird als Selbständiger tätig.
6. Kostenprivilegiert ist i. S. des § 183 SGG ist auch ein Beigeladener, der in seiner Eigenschaft als (potenziell) Beschäftigter ein Rechtsmittel einlegt.

Auf die Berufung des Beigeladenen wird der Tenor des Urteils des Sozialgerichts Osnabrück vom 21. August 2019 wie folgt neu gefasst: „Die Bescheide der Beklagten vom 20. September 2018 werden aufgehoben.“.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens darüber, ob der Beigeladene in seiner im Zeitraum vom 1. Juli 2004 bis 7. November 2014 für den Kläger verrichteten Tätigkeit als Steuerberater der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.

 

Der Kläger und der 1946 geborene Beigeladene sind Steuerberater. Der Beigeladene war zunächst Inhaber einer Steuerberaterkanzlei. Im Zuge der beabsichtigten Übertragung der Steuerberaterkanzlei auf den Kläger schlossen sie am 31. Juli 2003 einen „Freie-Mitarbeiter-Vertrag“ (im Folgenden: Vertrag), nach dem der Beigeladene für den Kläger „für dessen Mandanten“ steuerberatende Tätigkeiten übernahm, insbesondere die Erstellung von Buchführungen, Jahresabschlüssen und Steuererklärungen. Der Beigeladene habe diese Arbeiten im Rahmen der vom Kläger gegebenen Richtlinien in eigener Verantwortung durchzuführen (§ 1 Abs. 1 des Vertrages). Der Beigeladene sei nicht an bestimmte Arbeitszeiten gebunden (§ 1 Abs. 2 des Vertrages). Als Vergütung wurde eine „Gebühr“ in Höhe von 12% der an den Kläger gezahlten Netto-Umsätze vereinbart (§ 2 Abs. 1 a des Vertrages). Sofern der Umsatz im Kalenderjahr mehr als 500.000,- Euro betrage und der Anteil der Personalkosten nicht mehr als 33% ausmache, erhöhe sich die Vergütung um 3% (§ 2 Abs. 1 b des Vertrages). Aufwendungen z. B. für Geschäftsreisen, Tagungen, Abwesenheitsgelder sowie Übernachtungskosten würden gesondert vergütet. Die Abrechnung erfolge entsprechend den Pauschalen im Steuerrecht. Fahrtkosten würden vom Kläger grundsätzlich nicht übernommen (§ 2 Abs. 2 des Vertrages). Die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer werde gesondert in Rechnung gestellt (§ 2 Abs. 3 des Vertrages). Der Beigeladene habe bei den von ihm gefertigten Arbeiten, insbesondere bei den Jahresabschlüssen, ein Mitzeichnungsrecht (§ 3 Abs. 1 des Vertrages). Er sei berechtigt, die von ihm gefertigten Arbeiten, insbesondere Jahresabschlüsse, im Namen des Auftraggebers zu unterzeichnen (§ 3 Abs. 2 des Vertrages). Der Beigeladene könne zur Erledigung der ihm übertragenen Aufgaben „bei ihm“ beschäftigte Personen hinzuziehen. Eine Weitergabe des Auftrages an andere freie Mitarbeiter sei unzulässig (§ 4 Abs. 1 und 2 des Vertrages). Der Beigeladene verpflichtete sich, den Kläger von allen Schadensersatzansprüchen – begrenzt auf 250.000,- Euro je Schadensfall - freizustellen, die gegen diesen wegen einer unrichtigen oder unvollständigen Bearbeitung geltend gemacht würden (§ 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 des Vertrages). Der Kläger habe Anspruch auf unentgeltliche Beseitigung etwaiger Mängel (§ 6 Abs. 3 des Vertrages). Der Beigeladene bestätigte, eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung mit einer Versicherungssumme von 250.000,- Euro abgeschlossen zu haben und diese aufrechtzuerhalten (§ 7 des Vertrages). Der Kläger verpflichtete sich, alles zu unterlassen, was die Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Beigeladenen beeinträchtigen könnte (§ 8 Abs. 2 des Vertrages). Der Beigeladene verpflichtete sich, Unterlagen jederzeit, spätestens nach Beendigung des jeweiligen Auftrages, an den Kläger herauszugeben. Ein Zurückbehaltungsrecht des Beigeladenen an Handakten und Arbeitsergebnissen wurde ausgeschlossen (§ 10 des Vertrages). Zudem verpflichtete sich der Beigeladene, während seiner Tätigkeit und drei Jahre nach Beendigung Aufträge von Mandanten, mit deren Angelegenheiten er beschäftigt war, nur mit Zustimmung des Klägers zu übernehmen. Im Falle der Zustimmung war eine Entschädigung zu zahlen, ohne diese eine Vertragsstrafe zu zahlen (§ 11 des Vertrages). 

 

Der Kläger übernahm vom Beigeladenen gegen eine Abfindungszahlung in Höhe von 275.000,- Euro mit Wirkung vom 1. Oktober 2003 die Steuerberatungskanzlei nebst Mandantenstamm. Zugleich nahm der Beigeladene seine Tätigkeit für den Kläger auf. Er war weit überwiegend in einem Büro in den Kanzleiräumen tätig, nutzte die Kanzleiräumlichkeiten, die technische Ausstattung (IT-Ausstattung, Telefon, Telefax, Fachliteratur) der Kanzlei und das beim Kläger angestellte Personal ohne unmittelbare Beteiligung an den Kosten, hätte aber auch gleichermaßen nach eigenem Ermessen in seiner privaten Unterkunft arbeiten können, für die ihm ein Laptop zur Verfügung gestellt war. Gelegentlich suchte der Beigeladene auch Mandanten auf. Die hierfür aufgewendeten Reisekosten wurden ihm mit einer ihm zur Verfügung gestellten EC-Karte beglichen. Die Kosten für Fortbildungen des Beigeladenen trug der Kläger. Im Wesentlichen betreute der Beigeladene Mandanten, die er bereits als Inhaber der Steuerberaterkanzlei betreut hatte, jedoch auch neu gewonnene Mandanten. Die Zuweisung der Mandanten erfolgte durch den Kläger abhängig von den jeweiligen freien Kapazitäten. Der Beigeladene verfügte über einen Schlüssel zur Kanzlei und war berechtigt, diese auch außerhalb der Bürozeiten zu betreten. An betrieblichen Besprechungen nahm er gelegentlich teil. Bei Abwesenheiten vertrat der Kläger den Beigeladenen gegenüber Dritten. Eine Haftpflichtversicherung schloss der Beigeladene nicht ab, weil eine solche bereits für die Kanzlei abgeschlossen war, die bei seiner Tätigkeit entstehende Schäden abdeckte.

 

Der Beigeladene veranlasste in den Jahren 2003 bis Oktober 2008 mit der zur Verfügung gestellten EC-Karte zahlreiche Zahlungen in unterschiedlicher Höhe an sich selbst bzw. Dritte, bei denen es sich im Wesentlichen um wiederkehrende monatliche Zahlungen in Höhe von jeweils 3.000,- Euro zuzüglich Umsatzsteuer handelte, ferner Ausgaben an Tankstellen in unterschiedlicher Höhe. Ab November 2008 erhielt der Beigeladene monatliche Zahlungen in Höhe von 3.500,- Euro zuzüglich Umsatzsteuer, monatliche Zahlungen für „Tanken“ und einzelne zusätzliche Honorarzahlungen, diese teils in fünfstelliger Höhe. Rechnungen erstellte der Beigeladene nicht.

 

Der Beigeladene bezieht seit September 2011 Regelaltersrente.

 

Eine von der Beklagten für den Zeitraum von Januar 2009 bis Dezember 2012 durchgeführte Betriebsprüfung ergab keine Beanstandungen bezüglich der Versicherungs- und Beitragspflicht im Sinne der Sozialversicherung (Schreiben der Beklagten vom 4. Juni 2013). Der Bericht ist an das „Steuerbüro J. K.“ gerichtet.

 

Ab 2013 kam es zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu Meinungsverschiedenheiten über die Höhe der dem Beigeladenen zustehenden Vergütung. Diese führten 2014 zu einer auf Auskunftserteilung über die Höhe der Umsatzerlöse gerichteten, beim Landgericht Osnabrück eingereichten Stufenklage des Beigeladenen gegen den Kläger. In der Klageschrift trug der Beigeladene vor, er habe „Abschläge“ in Höhe von 3.000,- Euro bzw. 3.500,- Euro auf die von ihm zu beanspruchende Vergütung erhalten. Er wurde letztmals am 7. November 2014 für den Kläger tätig. Das Klageverfahren endete mit einem am 24. März 2015 geschlossenen Vergleich. Nach diesem hatte der Kläger an den Beigeladenen einen Betrag von 85.000,- Euro zu zahlen.

 

Auf den Antrag des Beigeladenen vom 12. August 2016, seiner Anhörung und Anhörung des Klägers (Schreiben vom 24. November 2016) stellte die Beklagte gegenüber dem Kläger und dem Beigeladenen fest, dass die Tätigkeit des Beigeladenen als Steuerberater für den Kläger im Zeitraum vom 1. Juli 2004 bis 7. November 2014 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und keine Versicherungspflicht bestehe (Bescheide vom 12. Januar 2017).

 

Auf den Widerspruch des Beigeladenen und erneuter Anhörung des Klägers und des Beigeladenen nahm die Beklagte die Bescheide vom 12. Januar 2017 zurück und stellte die Versicherungspflicht des Klägers als Beschäftigter in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung für den Zeitraum von 1. Juli 2004 bis 31. August 2011 fest (Bescheide vom 20. September 2018).

 

Der Kläger hat am 15. Oktober 2018 Klage zum Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben und sein bisheriges Vorbringen, der Beigeladene sei selbständig tätig geworden, wiederholt und vertieft.

 

Das SG hat „den auf den Widerspruch des Beigeladenen ergangenen Bescheid“ vom 20. September 2018 aufgehoben (Urteil vom 21. August 2019). Zur Begründung hat es ausgeführt, der vor dem Landgericht geschlossene Vergleich stehe der Entscheidung nicht entgegen, da er nur das Rechtsverhältnis zwischen Kläger und Beigeladenem betreffe, nicht aber das Rechtsverhältnis beider zur Beklagten. Der Bescheid der Beklagten sei rechtswidrig, weil der Beigeladene selbständig tätig geworden sei. Für eine abhängige Tätigkeit spreche zwar, dass wesentliche Arbeitsmittel vom Kläger gestellt worden seien und der Beigeladene mit weiteren Mitarbeitern des Klägers zusammengearbeitet habe. Das Fehlen einer eigenen Berufshaftpflichtversicherung könne nicht als Indiz für eine abhängige Beschäftigung gesehen werden, weil der Beigeladene seiner diesbezüglichen vertraglichen Verpflichtung nicht nachgekommen sei. Auch die vom Beigeladenen vorgetragenen festen Arbeitszeiten seien unerheblich, weil die Vertragsgestaltung Raum für geringere Arbeitszeiten gelassen habe. Der Beigeladene habe unzutreffend vorgetragen, keine Kontovollmacht gehabt zu haben, weil er den Besitz der EC-Karte habe einräumen müssen. Die Beklagte sei zu Unrecht von einem Festgehalt ausgegangen. Auch habe ein Unternehmerrisiko bestanden, da der Beigeladene am Erfolg der Kanzlei beteiligt gewesen sei und unterstellt werden könne, dass bei der Höhe der Vergütung die Nutzung der Betriebsmittel durch den Beigeladenen einkalkuliert worden sei. Auch die Vorgeschichte der Tätigkeit des Beigeladenen für den Kläger sei unberücksichtigt geblieben, aus der sich für die Kammer eindeutig ergebe, dass die Beteiligten eine freie Mitarbeit gewollt hätten. Auch der nachträgliche Statusfeststellungsantrag nach nicht einvernehmlicher Auflösung des Vertragsverhältnisses müsse in die Gesamtbetrachtung einfließen.

 

Gegen das ihm am 18. September 2019 zugestellte Urteil wendet sich der Beigeladene mit der am 18. Oktober 2019 eingegangenen Berufung, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er hält die auf seinen Widerspruch ergangene Statusentscheidung der Beklagten für richtig.

 

Der Beigeladene beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

 

  1. das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 21. August 2019 aufzuheben und  

 

  1. die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

 

die Berufung des Beigeladenen zurückzuweisen.

 

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hat seine Ausführungen ebenfalls wiederholt und vertieft.

 

Die Beklagte stellt keinen eigenständigen Antrag.

 

Auf die Verfügung des Senats vom 27. September 2022, mit der die Beteiligten unter Bestimmung einer Ausschlussfrist aufgefordert worden sind, das Interesse für die Statusfeststellung nach Verjährung denkbarer Beitragsansprüche und Abschluss des zivilgerichtlichen Verfahrens darzulegen, hat der Kläger mitgeteilt, ihm sei es nicht zuzumuten gewesen, die Entscheidung der Beklagten hinzunehmen und weitere Maßnahmen der Beklagten abzuwarten. Der Beigeladene sei vielschichtig gegen ihn vorgegangen, so dass er damit habe rechnen müssen, dass dieser ihn gegenüber seinen Mandanten diskreditieren werde. Der Beigeladene hat mitgeteilt, dass noch ein Verfahren beim Finanzamt über die steuerliche Einordnung der Einkünfte aus der Tätigkeit für den Kläger offen sei und das Finanzamt die Würdigung vom Ausgang des Statusfeststellungsverfahrens abhängig machen werde.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat keinen Erfolg.

 

Sie ist zwar zulässig, insbesondere ist sie statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) sowie form- und fristgerecht erhoben worden (§ 151 Abs. 1 SGG).

 

Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht Osnabrück hat der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGG) des Klägers zu Recht stattgegeben.

 

Deshalb war lediglich der versehentlich auf „den […] Bescheid“ vom 20. September 2018 bezogene und damit missverständlich gefasste Tenor des Urteils zu berichtigen. Das SG hat über beide – gleichlautenden – Bescheide entschieden, wie sich bereits aus dem Tatbestand des Urteils vom 21. August 2019 (dort z. B. Seite 4: „Mit zwei Bescheiden vom 20. September 2018 […]“) ergibt. Daneben folgt die Einbeziehung beider Bescheide aber auch aus der Beteiligung des Beigeladenen am Klageverfahren.

 

  1. Der Senat entscheidet gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten dem zugestimmt haben (Schriftsätze vom 19. und 28. Oktober sowie 4. November 2022).
  2. Streitgegenstand ist die von der Beklagten getroffene und zwischen den Beteiligten streitige Feststellung des Status des Beigeladenen in seiner Tätigkeit als Steuerberater für den Kläger als Beschäftigter und der daraus erwachsenden Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung im Zeitraum vom 1. Juli 2004 bis 31. August 2011 sowie die Aufhebung der der jeweils begehrten Feststellung entgegenstehenden Verwaltungsakte.

Klagegegenstand sind zum einen die beiden Bescheide der Beklagten vom 20. September 2018. Obwohl das SGG keine § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VwGO entsprechende Regelung enthält, bedarf es keines Vorverfahrens, wenn – wie hier - ein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung vorliegt und dem Widerspruch des (zunächst) belasteten Adressaten – des Beigeladenen - zulasten des zunächst begünstigten Dritten – des Klägers - stattgegeben wird (B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 78 Rn. 8; Berchtold, SGG, § 78 Rn. 10; Becker, in: BeckOGK, Stand: 1.2.2022, SGG § 78 Rn. 27). Daneben enthalten die Bescheide die erstmalige positive Feststellung der Versicherungspflicht des Beigeladenen als unselbständig Beschäftigter, also eine den Kläger belastende Verfügung.

Klagegegenstand sind damit aber auch die beiden an den Kläger und den Beigeladenen gerichteten Bescheide der Beklagten vom 12. Januar 2017, mit denen sie zunächst den Status des Beigeladenen als Selbständiger feststellte und dessen Versicherungspflicht verneinte. Nachdem der Bescheid vom 20. September 2018 deren Aufhebung verfügte, ist dieser insoweit jeweils gemäß § 86 Halbsatz 1 SGG an deren Stelle getreten.

  1. Die auf den Widerspruch des Beigeladenen ergangenen Bescheide der Beklagten vom 20. September 2018 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Das SG hat sie daher zu Recht aufgehoben. Die Bescheide der Beklagten vom 12. Januar 2017, mit denen sie den Status des Beigeladenen zu Recht als Selbständiger feststellte und eine Versicherungspflicht als Beschäftigter verneinte, sind somit wieder wirksam.

 

  1. Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Statusfeststellung ist § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV (in der bis zum 31. März 2022 gültigen Fassung vom 29. März 2017). Danach können die Beteiligten schriftlich oder elektronisch eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet.

 

  1. Die mit den Bescheiden vom 20. September 2018 getroffene Feststellung der Beklagten ist zwar formell rechtmäßig, insbesondere war die Beklagte für die Durchführung zuständig (hierzu aa.), durfte die Statusfeststellung auch für die zum Antragszeitpunkt bereits beendete Tätigkeit des Beigeladenen für den Kläger als Steuerberater treffen (hierzu bb) und verletzte keine Vorschriften über das Verfahren (hierzu cc.).

         aa. Die Beklagte war - mangels eines bereits anderweitig eingeleiteten Feststellungsverfahrens - für die Entscheidung über den von dem Beigeladenen                    gestellten Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Tätigkeit des Klägers sachlich zuständig.

bb. Der vom Beigeladenen gestellte Antrag, den Status seiner bis zum 7. November 2014 verrichteten – und damit zum Antragszeitpunkt bereits mehr als zwei Jahre beendeten - Tätigkeit für den Kläger festzustellen, war zulässig.

  1. Eine Statusfeststellung für eine zum Antragszeitpunkt oder erst danach beendete Tätigkeit ist möglich. In der Rechtsprechung besteht heute – soweit ersichtlich - Einigkeit, dass eine Statusfeststellung auch für eine bereits beendete Tätigkeit beantragt werden kann. Dieser Auffassung schließt sich der Senat im Grundsatz an.

 

Bereits nach der Gesetzesbegründung sollten auch die Vertragsparteien antragsberechtigt sein, die im Hinblick auf ein bereits beendetes Auftragsverhältnis eine verbindliche Feststellung des Status nach § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV begehren (BT-Drs. 14/1855, S. 7). Das Bundessozialgericht (BSG) hat entschieden (Urteil vom 4. Juni 2009 – B 12 KR 31/07 R –, Rn. 32), die Entscheidung, ob eine bestimmte Tätigkeit als Beschäftigung zur Versicherungspflicht führt, könne sinnvoll auch nach ihrer Beendigung getroffen werden. Verwaltungsakte über das (Nicht‑)Bestehen von Versicherungspflicht könnten unabhängig davon ergehen, ob die in Frage stehende Tätigkeit noch ausgeübt werde (BSG, a. a. O., unter Hinweis auf die Urteile vom 10. August 2000 - B 12 KR 21/98 -, BSGE 87, 53 = SozR 3-2400 § 7 Nr. 15 und vom 14. Juli 2004 - B 12 KR 1/04 R -, BSGE 93, 119 = SozR 4-2400 § 22 Nr. 2). Entscheidungen über das Vorliegen von Versicherungspflicht nach § 7a SGB IV stünden inhaltsgleich und gleichwertig neben den entsprechenden Verwaltungsakten der Einzugs- und Prüfstellen. Für das Statusfeststellungsverfahren könne schon deshalb nichts anderes gelten. Im Übrigen wäre die Frage der sachlichen Zuständigkeit der Beklagten als "Clearingstelle" mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, wollte man sie von den inhaltlichen Fragen des Fortbestehens oder der Dauer der Beschäftigung abhängig machen. Jedenfalls in den Fallgestaltungen, die dem Senat bekannt seien, sei unter anderem gerade die Frage offen gewesen, wie eine nicht ununterbrochen ausgeübte Tätigkeit zu beurteilen gewesen sei. Schließlich berge auch die notwendige Dauer des in § 7a SGB IV ausgestalteten Verwaltungsverfahrens die nahe liegende Möglichkeit, dass allein deshalb die abschließende Entscheidung erst nach Beendigung der Beschäftigung ergehen könne.

 

Mehrere Landessozialgerichte (u. a. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 4. November 2015 – L 8 R 526/13 -, www.sozialgerichtsbarkeit.de; Bayerisches LSG, Urteil vom 14. Oktober 2021 – L 16 BA 164/18 -, juris Rn. 35 m. w. N.) und das Schrifttum (u. a. Zieglmeier, in: Kasseler Kommentar, Stand: 114. EL, § 7a SGB IV Rn. 16; Knospe, in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: Mai 2021, § 7a SGB IV Rn. 33; Marschner, in: Kreikebohm, SGB IV, 3. Aufl. 2018, § 7a Rn. 3) haben sich der Rechtsprechung des BSG angeschlossen (zuvor in diesem Sinne bereits LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. März 2009 – L 11 R 3849/05 -, juris Rn. 62; a. A. Bayerisches LSG, Urteil vom 23. Oktober 2007 – L 5 KR 267/07 -, juris Rn. 15; letzteres aufgehoben durch BSG, Urteil vom 4. Juni 2009, a. a. O.). Auch der Senat hat bereits über zum Antragszeitpunkt beendete Tätigkeiten in der Sache befunden (Urteil vom 27. August 2021 – L 1 BA 51/20 – [Backoffice Call-Center]). Das LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 4. November 2015 – L 8 R 526/13 -, www.sozialgerichtsbarkeit.de) hat ergänzend zur Rechtsprechung des BSG ausgeführt, das Interesse des Auftragnehmers sei auf die Begründung bzw. Erweiterung bestehender Sozialleistungsansprüche oder auf die Beanstandung von Beiträgen gerichtet, während dem Auftraggeber in der Regel daran gelegen sei, Rechtssicherheit im Hinblick auf Betriebsprüfungen zu erhalten, die turnusgemäß im Abstand von vier Jahren von den Trägern der Rentenversicherung durchgeführt würden. Der vornehmlich von dem Auftragnehmer verfolgte Zweck der Begründung bzw. Erweiterung von Sozialleistungsansprüchen würde dem Gesetzeszweck widersprechend verkürzt, wenn diesem nach Beendigung des Auftragsverhältnisses eine Statusfeststellung verschlossen bliebe. Der Senat hält die Erwägungen des BSG und des LSG Nordrhein-Westfalen (jeweils a. a. O.) nach eigener Prüfung und Würdigung für überzeugend und schließt sich ihnen für den Regelfall einer nach Beendigung einer Tätigkeit beantragten Statusfeststellung an.

 

  1. Eine Statusfeststellung für eine beendete Tätigkeit ist nach Überzeugung des Senats allerdings nicht schrankenlos zulässig.

 

Generelle Rahmenbedingung eines Statusfeststellungsverfahrens bleibt, Gewissheit über den sozialversicherungsrechtlichen Status zu erlangen, um dadurch möglichst frühzeitig und weitgehend Vor- bzw. Nachteile sowohl auf Seiten des Auftraggebers/Arbeitgebers als auch des Auftragnehmers/Beschäftigten zu erzielen bzw. zu vermeiden. Das Statusfeststellungsverfahren geht damit im Grundsatz von einer zeitnahen Klärung der Verhältnisse aus (BSG, Beschluss vom 4. April 2018 – B 12 KR 97/17 B -, juris Rn. 12; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. März 2009 – L 11 R 3849/05 -, juris Rn. 62; vgl. auch Marschner in: Kreikebohm, SGB IV, 3. Aufl. 2018, § 7a Rn. 3). Die mit Einführung des § 7a SGB IV verfolgte Intention des Gesetzgebers, ein „schnelles und transparentes Verfahren“ zur Statusfeststellung zu etablieren, ist nur dann realisierbar, wenn eine optionale Statusanfrage zumindest zeitnah nach Beendigung einer Tätigkeit gestellt wird. Andernfalls besteht zu Lasten des Antragstellers die Gefahr, dass die beantragte Feststellung wegen fehlender Beweismittel nicht mehr dargelegt bzw. bewiesen werden kann, zumal der Rentenversicherungsträger auf Grundlage der ihm vorgelegten Unterlagen entscheidet (vgl. Pietrek in: jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 7a SGB IV, 1. Überarbeitung (Stand: 06.09.2022), Rn. 102). Tatsächlich erfolgt in der Praxis die Beantragung einer Statusfeststellung für eine bereits beendete Tätigkeit auch in aller Regel zeitnah. Statusfeststellungsanträge werden insbesondere dann gestellt, wenn zwischen den Beteiligten im Zuge der Beendigung einer Tätigkeit Konflikte auftraten und ggf. wechselseitig Honorar- oder Lohnforderungen geltend gemacht werden (siehe exemplarisch die Sachverhalte bei BAG, Urteil vom 26. Juni 2019 – 5 AZR 178/18 –, BAGE 167, 144; Senatsurteil vom 27. August 2021 – L 1 BA 51/20 – [Backoffice Call-Center]) oder nach Ankündigung eines Insolvenzverfahrens, wenn bislang nicht versicherungspflichtige „selbständige“ Auftragnehmer eine Statusfeststellung beantragen, um ggf. als Beschäftigte z. B. einen Insolvenzgeldanspruch (§ 324 Abs. 3 SGB III) zu erwerben. Daneben ist eine Statusfeststellung umgekehrt aber auch möglich, wenn ein Insolvenzverwalter einen Statusantrag zur „Masseerhaltung“ stellt, um eine insolvenzrechtliche Anfechtung der gezahlten Arbeitnehmeranteile vorzubereiten.

 

Hieraus folgt, dass es grundsätzlich – insbesondere wenn die Schwelle der Missbräuchlichkeit nicht überschritten wird - unerheblich ist, aufgrund welcher Motivation es zur Einleitung eines Statusfeststellungsverfahrens kommt. Damit spielt es aber für die Entscheidung in diesem Verfahren – wovon aber das SG zumindest im Rahmen seiner Hilfsbegründung ausgegangen zu sein scheint - keine Rolle, aus welcher Motivation heraus der Beigeladene den Statusfeststellungsantrag stellte, auch wenn sich für den Senat wie für das SG aufdrängt, dass die mehrjährigen Auseinandersetzungen des Beigeladenen mit dem Kläger eine Rolle gespielt haben. Eine weit überwiegend sachfremde, auf eine Beeinträchtigung oder gar Schädigung des Klägers gerichtete Motivation des Beigeladenen ist weder substantiiert vorgetragen, noch sonst zu erkennen.

 

Aus der grundsätzlichen Zulässigkeit eines rückwirkenden Statusfeststellungsverfahrens folgt jedoch nicht, dass gänzlich unberücksichtigt bleiben müsste, dass diese – zumindest in aller Regel - mit zunehmendem Zeitablauf immer geringere Bedeutung erlangt. Die von ihr ggf. beeinflussten Beitrags- und Sozialleistungsansprüche gehen durch den Ablauf von Ausschluss- oder Verjährungsfristen unter oder sind nicht mehr durchsetzbar. Auch für andere Ansprüche oder sonstigen Interessen ist die Statusfeststellung nicht mehr von Bedeutung, wenn sich auch diesbezügliche Verfahren oder Aktivitäten erledigt haben oder nicht mehr erfolgversprechend durchgeführt werden können.

 

Diese sinkende Bedeutung führt zwar nicht dazu, dass ein Statusfeststellungsantrag automatisch unzulässig wird, wenn die aus der ihr zugrundeliegenden Tätigkeit erwachsenden Beitragsansprüche verjährt sind, weil – wie zuvor aufgezeigt – die Auswirkungen der Statusfeststellung sich nicht allein in der Erhebung von Beiträgen erschöpfen. Allerdings rechtfertigt sie es, für die Durchführung - und die gerichtliche Überprüfung - der Statusfeststellung bei beendeten Tätigkeiten gesteigerte Anforderungen zu stellen. Die personellen Ressourcen der Behörden und der Justiz dienen vorrangig der möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte. Dem folgend sind auf staatliche Feststellungen gerichtete Verwaltungs- und Gerichtsverfahren - auch unter Berücksichtigung des von der Statusfeststellung klar getrennten Beitragsverfahrens – nicht zum Zwecke schlichter Symbolik oder im rein ideellen Interesse durchzuführen, sondern nur dann, wenn die von der Statusfeststellung erfasste Tätigkeit über seine Beendigung hinaus noch eine gegenwärtige Wirkung erzeugt.

 

Dieser Rechtsgrundsatz ist für Feststellungsklagen ausdrücklich in § 55 Abs. 1 SGG verankert, der für die Feststellung von Rechtsverhältnissen ein Feststellungsinteresse erfordert. Dieses geht über ein rechtliches Interesse i. S. des § 256 Abs. 1 ZPO hinaus, weil es weitergehend jedes als schutzwürdig anzuerkennendes wirtschaftliches oder ideelles Interesse einschließt (jurisPK-SGG, § 55 Rn. 64). Damit besteht ein großzügigerer Maßstab als z. B. bei der arbeitsgerichtlichen Statusfeststellung, für die ein Feststellungsinteresse nur besteht, wenn sich aus der begehrten Feststellung Rechtsfolgen für Gegenwart und Zukunft ergeben (BAG, Urteil vom 21. Juni 2000 – 5 AZR 782/98 – m. w. N.). Allerdings ist auch im Sozialrecht ein Feststellungsinteresse für abgeschlossene Rechtsverhältnisse nur zu bejahen, wenn diese über die Beendigung hinaus noch eine gegenwärtige Wirkung erzeugen.

 

Für das Statusfeststellungsverfahren gemäß § 7a SGB IV kann im Kern nichts anderes gelten, soll es – wie eingangs dargestellt - Vor- bzw. Nachteile sowohl auf Seiten des Auftraggebers/Arbeitgebers als auch des Auftragnehmers/Beschäftigten erzielen bzw. vermeiden. Entsprechend dürfen Statusfeststellungsverfahren bei beendeten Tätigkeiten nach der Gesetzessystematik nur dann durchgeführt werden, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass die begehrte Statusfeststellung in naher Zukunft erneut für die Vertragsbeteiligten des Tätigkeitsverhältnisses erforderlich wird (Wiederholungsgefahr), aus der Statusfeststellung Restitutionsansprüche erwachsen (Rehabilitationsinteresse) oder die Statusfeststellung sonst für andere Verfahren von Bedeutung ist (Präjudizialität). Die Statusfeststellung ist also stets nur dann durchzuführen, wenn sie sich auf Beitrags-, Sozialleistungs- oder andere Rechtsansprüche auswirken kann.

 

  1. Diese Voraussetzung für die Durchführung des Statusfeststellungsverfahrens ist von den Beteiligten des jeweiligen Tätigkeitsverhältnisses schlüssig darzulegen. Es stellt – wie auch sonst bei begehrten Feststellungen - keine unzumutbare Erschwerung des Rechtsschutzes dar, wenn von den Beteiligten eines potenziell als Beschäftigungsverhältnis einzuordnenden Rechtsverhältnisses jedenfalls auf behördliche bzw. gerichtliche Aufforderung erwartet wird, die (Fort-)Wirkungen der abgeschlossenen Tätigkeit darzulegen, und keine Entscheidung über den Status einer Tätigkeit zu treffen, wenn solche weder substantiiert vorgetragen werden noch sonst Anhaltspunkte hierfür ersichtlich sind.

 

  1. Dies zugrunde gelegt, durfte das Statusfeststellungsverfahren hier durchgeführt werden, weil Fortwirkungen der abgeschlossenen Tätigkeit des Beigeladenen jedenfalls vom Beigeladenen vorgetragen sind.

Zwar erfolgte die Statusanfrage des Beigeladenen im August 2016 für seine im November 2014 beendete Tätigkeit für den Kläger. Für den Beigeladenen trat mit Bezug der Vollrente wegen Alters ab September 2011 Versicherungsfreiheit ein (so noch der am 16. November 2016 außer Kraft getretene § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI [in der Fassung vom 5. Dezember 2012]). Deshalb kam von vornherein nur eine Versicherungspflicht bis einschließlich August 2011 in Betracht. Diese wurde von der Beklagten auch lediglich bis zu diesem Zeitpunkt festgestellt (Bescheide vom 20. September 2018, Seite 2). Sämtliche bis August 2011 ggf. entstandenen Beitragsansprüche der Beklagten gegen den Kläger waren bereits bei Einleitung des Statusfeststellungsverfahrens im August 2016 i. S. des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjährt; die Erfüllung der Voraussetzungen für die dreißigjährige Verjährung (vorsätzlich vorenthaltene Beiträge, § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV) ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich; vielmehr ist sie schon aufgrund des Verfahrensverlaufs auszuschließen. Auch eine nachträgliche Beitragszahlung ist dem Beigeladenen gemäß § 197 Abs. 1 SGB VI verwehrt. Zugleich bestand für den Kläger kein ernsthaftes Risiko nachteiliger Feststellungen im Rahmen einer Betriebsprüfung und einer dieser nachfolgenden Beitragsforderung der Beklagten. Ebenso waren die zivilgerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zum Antragszeitpunkt durch Vergleich abgeschlossen.

Soweit der Beigeladene vorgetragen hat, das Finanzamt mache seine Würdigung über die steuerrechtliche Behandlung der vom Kläger an ihn gezahlten Vergütung vom Ausgang des hiesigen Berufungsverfahrens abhängig, ist er zwar letztlich jeden Beweisantritt schuldig geblieben. Die vorgelegten Schreiben des Finanzamts dokumentieren allenfalls, dass dieses vor dem Abschluss des Berufungsverfahrens nicht über die steuerrechtliche Behandlung der vom Beigeladenen zivilgerichtlich erstrittenen Abfindungszahlung entscheiden will, nicht hingegen, dass sich das Finanzamt an die Entscheidung des Senats über die Statusfeststellung gebunden fühlt. Eine solche Bindung besteht auch nicht. Der steuerrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist eigenständiger Natur und nach den für das Steuerrecht maßgebenden Grundsätzen auszulegen. Er deckt sich nicht immer mit dem in anderen Rechtsgebieten verwendeten Arbeitnehmerbegriff (Geserich, in: Brandis/Heuermann, Ertragssteuerrecht, 163. EL August 2022, EStG § 19 Rn. 49). Deshalb hat die sozialrechtliche Einordnung für die steuerrechtliche Beurteilung, ob eine selbständige oder unselbständige Tätigkeit vorliegt, keine Bindungswirkung (Bundesfinanzhof [BFH], Urteil vom 23. April 2009 - VI R 81/06 -, BStBl II 12, 262, m. w. N.; Urteil vom 9. Juli 2012 - VI B 38/12 -, BFH/NV 2012, 1968; Geserich, a. a. O.). Entscheidungen des Sozialversicherungsträgers entfalten danach nur Bindungswirkung, als sie ein eigenes Prüfungsrecht der Finanzverwaltung bzw. der Finanzgerichtsbarkeit im Rahmen des § 3 Nr. 62 EStG ausschließen (BFH, Urteil vom 21. Januar 2010 - VI R 52/08 - BStBl. II 2010, 703; BFH, Urteil vom 9. Juli 2012, a. a. O.). Diese Ausnahmekonstellation liegt hier jedoch nicht vor.

 

Dem Beigeladenen ist jedoch zuzugestehen, dass die sozialrechtliche Behandlung einer Frage indizielle Bedeutung für das Steuerrecht hat (vgl. BFH, Urteil vom 21. Oktober 2010 - VIII R 34/08 -, BFH/NV 11, 585, m. w. N.; Geserich, a. a. O., Rn. 51). Zwar muss die Abgrenzung der nichtselbständigen von der selbständigen Arbeit nicht, auch nicht im Regelfall, in beiden Rechtsgebieten zu dem gleichen Ergebnis führen, denn diese sind eigenständig und verfolgen teilweise andere rechtspolitische Zwecke (vgl. BFH, Urteil vom 23. April 2009, a. a. O.; Geserich, a. a. O.). Der Senat sieht unter den hier vorliegenden Rahmenbedingungen jedoch keinen Anlass, die Präjudizialität der Statusfeststellung nur für den Fall anzunehmen, dass das Ergebnis der Statusfeststellung für die Steuerbehörde bindend ist. Vielmehr kann dem Beteiligten an einem Statusfeststellungsverfahren ein schützenswertes Interesse an der Durchführung des Statusfeststellungsverfahrens nicht mehr ohne Weiteres abgesprochen werden, wenn dessen Ergebnis als Argument von einigem Gewicht in ein laufendes – nicht nur beabsichtigtes – steuerrechtliches Verfahren Eingang finden soll und die im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens – wenn auch nur im sozialrechtlichen Kontext – beantwortete Frage im steuerrechtlichen Verfahren tatsächlich entscheidungserheblich ist. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Durch die vom Beigeladenen vorgelegten Schreiben des Finanzamts ist für den Senat hinreichend belegt, dass dieses dem Ausgang des Statusfeststellungsverfahrens zumindest einiges Gewicht beimisst, wenn auch davon auszugehen ist, dass ihm bewusst ist, nicht an diese gebunden zu sein. Ob dies ohne entsprechende Verlautbarungen des Finanzamts angenommen werden kann und ob und ggf. in welchem Umfang die Präjudizialität der Statusfeststellung auch für Verfahren in anderen Rechtsgebieten gilt, muss hier nicht entschieden werden.

 

cc.  Die vorgeschriebene Anhörung ist ebenfalls erfolgt.

 

Gemäß § 7a Abs. 4 SGB IV teilt die L. den Beteiligten mit, welche Entscheidung sie zu treffen beabsichtigt, bezeichnet die Tatsachen, auf die sie ihre Entscheidung stützen will, und gibt den Beteiligten Gelegenheit, sich zu der beabsichtigten Entscheidung zu äußern.

 

Diese Beteiligung erfolgte mit den an den Kläger und den Beigeladenen gerichteten Schreiben der Beklagten vom 24. November 2016.

 

  1. Die mit den Bescheiden vom 20. September 2018 getroffene Feststellung der Beklagten ist jedoch materiell rechtswidrig. Die Beklagte hat mit diesen unzutreffend festgestellt, dass der Beigeladene seine Tätigkeit im Zeitraum vom 1. Juli 2004 bis 7. November 2014 als Steuerberater im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt und deshalb Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden hat.

 

Personen und zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung der Versicherungspflicht (§§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, 25 Abs. 1 SGB III). Die übereinstimmende gesetzliche Voraussetzung einer Beschäftigung ist nicht erfüllt. Der Beigeladene hat seine Tätigkeit nicht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung i. S. des § 7 Abs. 1 SGB IV ausgeübt.

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach Satz 2 sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Eine Beschäftigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (st. Rspr. des BSG, u. a. Urteil vom 29. August 2012 - B 12 R 14/10 R -, Rn. 25; Urteil vom 31. März 2017 – B 12 R 7/15 R ‑, Rn. 21; Urteil vom 16. August 2017 – B 12 KR 14/16 R -, Rn. 17; Urteil vom 14. März 2018 – B 12 KR 13/17 R –, Rn. 16). Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist (BSG, Urteil vom 29. August 2012 - B 12 R 14/10 R -, Rn. 16). Bei der Statusbeurteilung ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen, den die Verwaltung und die Gerichte konkret festzustellen haben. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, so ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind (BSG, Urteil vom 7. Juni 2019 - B 12 R 6/18 R -). Maßgeblich ist also das Vertragsverhältnis, so wie es sich aus den Vereinbarungen ergibt oder sich aus der gelebten Beziehung erschließen lässt (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R -). Dagegen geht eine im Widerspruch zur ursprünglich getroffenen Vereinbarung praktizierte Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung der formellen Vereinbarung nur vor, soweit eine, zumal formlose, Abbedingung rechtlich überhaupt möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen.

Die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbständigkeit erfolgt nicht abstrakt für bestimmte Berufs- und Tätigkeitsbilder. Es ist daher möglich, dass ein und derselbe Beruf - je nach konkreter Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen in ihrer gelebten Praxis - entweder in Form der Beschäftigung oder als selbständige Tätigkeit erbracht wird. Maßgebend sind stets die konkreten Umstände des individuellen Sachverhalts (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 24. März 2016 – B 12 KR 20/14 R ‑, Rn. 25 [Physiotherapeutin] m. w. N.). Insbesondere sind Angehörige freier Berufe nicht stets als selbständig anzusehen. Das Berufsrecht der Steuerberater geht zwar grundsätzlich von einer selbständigen Tätigkeit aus, lässt aber auch den Status als Arbeitnehmer zu. Mit dem Beruf des Steuerberaters ist – worauf das BSG hingewiesen hat (BSG, Urteil vom 7. Juli 2020 – B 12 R 17/18 R –, SozR 4-2400 § 7 Nr 49, Rn. 34) - nicht nur eine freiberufliche Tätigkeit (§ 57 Abs. 3 Nr. 2 StBerG) vereinbar, sondern auch eine Tätigkeit als Angestellter (§ 58 Satz 1 StBerG), insbesondere als Angestellter eines Steuerberaters (§ 3 Nr. 1 StBerG) oder einer Steuerberatungsgesellschaft (§ 3 Nr. 3 StBerG). Zudem hat der Gesetzgeber auf Änderungen in der Wirtschafts- und Arbeitswelt reagiert und zusätzlich die Zulassung eines Syndikus-Steuerberaters, dessen Tätigkeiten auf Hilfeleistungen in Steuersachen (vgl. § 33 StBerG) beschränkt ist, mit bestimmten Beschränkungen ermöglicht (§ 58 Satz 2 Nr. 5a StBerG). Entsprechend hat die Rechtsprechung die Tätigkeit als Steuerberater unterschiedlich eingeordnet (unselbständige Beschäftigung: Senatsurteil vom 9. Juni 2022 – 1 BA 93/19 -, unveröff.; selbständige Tätigkeit: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. Dezember 2017 – L 6 R 133/17 –, juris Rn. 34).

Eine schriftliche Vereinbarung wurde zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen mit dem Freien-Mitarbeiter-Vertrag“ am 31. Juli 2003 abgeschlossen. Betrachtet man die schriftliche Vereinbarung und die tatsächlich gelebte Beziehung, ist festzustellen, dass Letztere hinsichtlich der Vergütung und der Verpflichtung zur Unterhaltung einer Haftpflichtversicherung von der Vereinbarung abweicht. Der Beigeladene hat keine Rechnungen erstellt, sondern nahezu durchgehend monatliche Zahlungen in Höhe zwischen 3.000,- und 3.750,- Euro erhalten. Auch eine Haftpflichtversicherung hat er nicht unterhalten.

 

Deshalb sind im vorliegenden Fall beide Komponenten - Vereinbarung und gelebte Beziehung - zu berücksichtigen und zu bewerten. Der Senat ist hierbei zur Überzeugung gelangt, dass die Merkmale einer selbständigen Tätigkeit gegenüber den Merkmalen einer abhängigen Beschäftigung überwiegen.

 

aa. Bereits die Bezeichnung der Vereinbarung „Freier-Mitarbeiter-Vertrag“ sowie die darin gewählten Begrifflichkeiten - „freier Mitarbeiter“, „Auftraggeber“, „Gebühr“ – sprechen für eine selbständige Tätigkeit des Beigeladenen. Die vertraglich vorgesehene freie Zeiteinteilung (§ 1 Abs. 2 des Vertrages) sowie sein eigenständiges Handeln (§ 3 des Vertrages) sind ebenfalls Indizien für eine selbständige Tätigkeit.

 

bb. Der Beigeladene trug ein wesentliches Unternehmerrisiko. Insoweit kommt es darauf an, ob eigenes Kapital und/oder die eigene Arbeitskraft ggf. auch ohne jeglichen Ertrag eingesetzt wurde, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder personellen Mittel also ungewiss war. Diese Voraussetzung war im Fall des Beigeladenen erfüllt.

 

Zwar war er ausschließlich für den Kläger tätig und trat nicht selbst unternehmerisch am Markt auf. Der Beigeladene erbrachte seine Leistungen an die Mandanten des Klägers jedoch nicht ausschließlich im Namen des Klägers, sondern unterzeichnete die von ihm gefertigten Jahresabschlüsse und Erklärungen selbst und im Namen des Klägers (§ 3 des Vertrages), so dass er auch persönlich als Verantwortlicher und letztlich auch als Repräsentant der Steuerberaterkanzlei auftrat. Er fungierte nicht als Repräsentant des Klägers, sondern trat den Mandanten gegenüber weiterhin wie ein (Mit-)Inhaber der Steuerberaterpraxis auf. Den Mandanten musste sich damit aufdrängen, dass der Beigeladene (weiterhin) als selbständiger Steuerberater fungieren wollte. Dies zeigt sich u. a. auch darin, dass der Bericht über die 2013 durchgeführte Betriebsprüfung (Schreiben der Beklagten vom 4. Juni 2013) an das „Steuerbüro J. K.“ gerichtet wurde.

 

Der Beigeladene beschäftigte zwar kein eigenes Personal und erbrachte seine Leistungen somit nur in eigener Person. Ungeachtet des Umstandes, dass die vertraglichen Vereinbarungen mit dem Kläger den Einsatz eigenen Personals zugelassen hätten, wäre hier allerdings selbst eine eventuelle Verpflichtung des Beigeladenen zur höchstpersönlichen Leistungserbringung oder zumindest eine deutlich formulierte entsprechende Erwartungshaltung des Klägers nur dann als gewichtiges Indiz für eine abhängige Beschäftigung zu sehen, wenn diese nicht den Eigenheiten und besonderen Erfordernissen der Steuerberatung geschuldet wäre. Gerade bei Tätigkeiten, deren Erfolg ein besonderes Vertrauen über einen ggf. längeren Zeitraum oder aber eine besondere Expertise voraussetzt, ist die Leistungserbringung durch eine bestimmte Person häufig als Vertragsinhalt anzusehen (so bereits BSG, Urteil vom 31. März 2017 – B 12 R 7/15 R ‑, Rn. 45). Da gerade die Steuerberatung ein besonderes Maß von Vertrauensbildung zwischen Steuerberater und Mandanten erfordert, hat sich der Senat nicht gedrängt gefühlt, der Frage nachzugehen, ob der Kläger – wofür ein konkreter Anhaltspunkt fehlt - auf eine höchstpersönliche Leistungserbringung hingewirkt hat oder – wofür einiges spricht - der Beigeladene auf die Verpflichtung Dritter schon wegen der bei eingesetztem Personal zwingend erforderlichen Sachkunde und der nach eigenem Bekunden teils langjährigen Mandatsverhältnisse hierauf freiwillig verzichtet hat.

 

Der Beigeladene nutzte zudem die technische Ausstattung und die Arbeitskraft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ohne dass er dafür einen unabhängig von der Anzahl, der Durchführung und der tatsächlichen Vergütung anfallenden finanziellen Beitrag leisten musste. Insoweit setzte er zwar unmittelbar kein eigenes Kapital ein. Jedoch kann hier ausnahmsweise - angesichts der auch auf die entstehenden Personalkosten abhebenden Vergütungsvereinbarung - davon ausgegangen werden, dass dieser Aspekt dem Kläger und dem Beigeladenen bewusst war und sie die auf den Beigeladenen entfallenden Kosten mittelbar, nämlich bei der Kalkulation der Vergütungshöhe, berücksichtigten.

 

Ein Risiko, die eigene Arbeitskraft ggf. auch in vollem Umfang vergeblich einzusetzen, bestand darin, als dem Beigeladenen zu keiner Zeit eine (Mindest‑)Vergütung gezahlt wurde und diese vertraglich auch nicht geschuldet war. Auch wenn der Beigeladene seine Leistungen nicht gegenüber den Mandanten des Klägers in Rechnung stellte, trug er durch seine ausschließliche Beteiligung am Umsatz nicht nur das Zahlungsausfallrisiko des Klägers, sondern auch das der Mandanten. Der Beigeladene war durch die Umsatzbeteiligung auch am wirtschaftlichen Erfolg des Klägers eigenständig und weit überwiegend unabhängig vom Ausmaß des eigenen persönlichen Arbeitseinsatzes beteiligt. Soweit der Beigeladene der Ansicht ist, der Kläger habe ihn zeitabhängig vergütet, vermag der Senat dieser Darstellung nicht zu folgen. Zwar erhielt der Beigeladene über längere Zeit einen gleichbleibend hohen Betrag in Höhe zwischen 3.000,- und 3.750,- Euro zuzüglich der Umsatzsteuer. Der Senat hält jedoch eine vom Kläger und dem Beigeladenen geschlossene Vereinbarung einer zeitabhängigen Vergütung für widerlegt. Zum einen wurde als Vergütung eine „Gebühr“ in Höhe von 12% der an den Kläger gezahlten Netto-Umsätze vereinbart (§ 2 Abs. 1 a des Vertrages). Es fehlt an jedem Anhaltspunkt, dass der Beigeladene und der Kläger nachfolgend eine andere Vereinbarung getroffen haben. Nachdem die Höhe der Netto-Umsätze und deren tatsächliche Liquidierung zum Zeitpunkt der Tätigkeit nicht feststanden, lag vielmehr die Zahlung von Abschlägen auf der Hand. Die – zumindest konkludente – Vereinbarung von Abschlagszahlungen auf die zu erwartende umsatzabhängige Vergütung des Beigeladenen erscheint dem Senat dagegen erwiesen, nachdem der Beigeladene in seiner auf Auskunftserteilung über die Höhe der Umsatzerlöse gerichteten Stufenklage gegen den Kläger selbst in der Klageschrift vortrug, er habe „Abschläge“ in Höhe von 3.000,- Euro bzw. 3.500,- Euro auf die von ihm zu beanspruchende Vergütung erhalten. Insofern ist für den Senat hinreichend belegt, dass die Bezahlung des Beigeladenen in Abhängigkeit vom tatsächlich erzielten Umsatz erfolgte. Nachdem dem Beigeladenen die Höhe der Umsatzerlöse aber offensichtlich über Jahre unbekannt blieben, erscheint es auch folgerichtig, dass er keine Rechnungen mit einer nachvollziehbaren Berechnung seiner Vergütung stellte.

 

Dem Beigeladenen kam auch eine gesteigerte Unabhängigkeit zu. Ihm stand es frei, seine Arbeitszeiten unter Berücksichtigung privater Belange und auch außerhalb der üblichen Bürozeiten zu disponieren. Urlaubs- und Krankheitsvertretungen des Klägers durch den Beigeladenen sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Lediglich der Kläger vertrat den Beigeladenen gegenüber den von diesem betreuten Mandanten; diese beschränkten sich offenbar auch nur auf Ausnahmefälle. Durchsetzbar wäre die Übernahme von Vertretungen des Klägers durch den Beigeladenen ohnehin nicht gewesen, weil entsprechende vertragliche Vereinbarungen nicht getroffen wurden.

 

cc. Für die Einordnung als unselbständige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit erscheint dem Senat unerheblich, dass der Beigeladene seine Leistungen – von Dienstreisen abgesehen – in den Räumlichkeiten der Steuerberaterkanzlei an einem dort für ihn eingerichteten Büroarbeitsplatz erbrachte.

 

Ist keine eigene Betriebsstätte vorhanden, spricht dies als Indiz gegen eine selbständige Tätigkeit und für eine abhängige Beschäftigung, wenn eine solche Betriebsstätte bei Tätigkeiten der fraglichen Art zu erwarten oder notwendig ist. Nachdem der Beigeladene im Rahmen seiner Tätigkeit jedoch wie zuvor als Inhaber „schalten und walten“ konnte, war bei seiner Tätigkeit keine gesonderte eigene Betriebsstätte zu erwarten. Die Einrichtung eigener Betriebsräumlichkeiten wäre unter den hier gegebenen Bedingungen widersinnig gewesen.

 

dd. Der Beigeladene war auch nicht im Rechtssinne in den Betriebsablauf der Beigeladenen eingegliedert. Bei den von ihm verrichteten Diensten höherer Art kann das Weisungsrecht des Arbeitgebers auch eingeschränkt und zur „dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein, wenn der Versicherte nur in den Betrieb eingegliedert ist (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2001 - B 12 KR 10/01 R -).

 

Für die Erfüllung des Merkmals der Beschäftigung ist nicht zwingend erforderlich, dass der Betroffene eine Tätigkeit in einer konkreten Betriebsstätte eines Arbeitgebers ausübt, solange die zu beurteilende Tätigkeit im Wesentlichen fremdbestimmt organisiert wird. Vorliegend ist nur eine äußerst beschränkte Eingliederung in diesem Sinne festzustellen. Der Beigeladene betreute hauptsächlich Mandanten, die er bereits zuvor als Inhaber betreut hatte. Andere Mandanten wurden ihm zwar abhängig von seiner danach verbliebenen Arbeitskapazität zugewiesen. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Gewinnung und Zuweisung zusätzlicher Mandate schon deshalb in seinem Interesse lag, da seine Vergütung vom Gesamtumsatz der Kanzlei abhing.

 

Auch wenn der Beigeladene gewissen Weisungen unterworfen war, lag keine Fremdbestimmung im Sinne einer Beschäftigung vor. Er hatte aufgrund seiner Erfahrungen und Kenntnisse die Aufgabe, steuerberatende Tätigkeiten durchzuführen, insbesondere Buchführungen, Jahresabschlüsse und Steuererklärungen zu erstellen, wobei er die Arbeiten „im Rahmen der vom Auftraggeber gegebenen Richtlinien“ (§ 1 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages) durchzuführen hatte. Das Weisungsrecht des Klägers war allerdings auf ein Minimum reduziert, nachdem § 8 Abs. 2 des Vertrages bestimmte, dass er alles zu unterlassen hatte, was die Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Beigeladenen beeinträchtigen könnte. Damit stand dem Kläger gerade kein Weisungsrecht zu, das die Bestimmung von Inhalt, Ort und Zeit der Leistungserbringung beinhaltet hätte.

 

Unerheblich ist insoweit, ob und ggf. in welchem Umfang der Kläger das ihm zustehende rudimentäre Weisungsrecht – im Sinne der im Vertrag genannten Richtlinienkompetenz - tatsächlich ausgeübt hat. Ein rein faktisches, nicht rechtlich gebundenes und daher jederzeit änderbares Verhalten der Beteiligten ist nicht ausschlaggebend (st. Rspr. des BSG, zuletzt Urteil vom 27. April 2021 - B 12 KR 27/19 R -; Urteil vom 19. September 2019 - B 12 R 25/18 R -).

 

  1. Die Kostenentscheidung folgt für den Kläger und die Beklagte aus § 193 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG.

Der Beigeladene kann trotz seines erfolglos eingelegten Rechtsmittels nicht an den außergerichtlichen Kosten des Klägers beteiligt werden, weil er als potenziell von der Statusentscheidung Begünstigter zu den in § 183 SGG genannten Personen gehört. Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass das Versicherungsverhältnis schon beendet ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 12. Februar 2004 – B 12 P 2/03 R ‑, SozR 4–1500 § 184 Nr. 1; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 183 Rn. 5).

§ 193 Abs. 4 SGG nimmt die Aufwendungen aller Gebührenpflichtigen i. S. des § 184 Abs. 1 von der Erstattungsfähigkeit aus. Die Nichterstattungsfähigkeit gilt nicht nur für Behörden bzw. Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts, sondern auch die Aufwendungen sonstiger natürlicher Personen, soweit sie Kläger oder Beklagte sind und soweit sie nicht zu den nach § 183 privilegierten Personen zählen (B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 193 Rn. 3b). Der Kläger gehört als Arbeit-/Auftraggeber des Beigeladenen nicht zum kostenprivilegierten Personenkreis.

Aus dem Zusammenhang mit § 197a SGG, der auf den Rechtszug abstellt, ergibt sich, dass mit den Bezeichnungen „Kläger“ und „Beklagter“ auf die Parteirollen im jeweiligen Rechtszug abgestellt wird; kostenprivilegiert ist also auch ein Beigeladener, der in seiner Eigenschaft als (potenziell) Versicherter ein Rechtsmittel einlegt (vgl. BSG, Beschluss vom 13. April 2006 – B 12 KR 21/05 B -, SozR 4–1500 § 193 Nr. 2; Beschluss vom 29. Mai 2006 – B 2 U 391/05 B -; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 183 Rn. 10). Die auf Grundlage der § 197a SGG getroffenen erstinstanzlichen Kosten- und Streitwertentscheidungen sind deshalb zutreffend und aufrechtzuerhalten.

  1. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die hierfür in § 160 SGG alternativ bestimmten Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Der Senat übersieht nicht, dass die Frage einer zeitlich begrenzten Zulässigkeit eines Statusfeststellungsverfahrens nach Beendigung der ihm zugrundeliegenden Tätigkeit grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zukommen könnte. Für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung müsste sich jedoch eine Rechtsfrage stellen, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (st. Rspr. des BSG; vgl. nur BSG, Beschluss vom 17. April 2012 - B 13 R 347/11 B – Rn. 17; Beschluss vom 28. Januar 2019 - B 12 KR 94/18 B – Rn. 6 m. w. N.). Bei Rechtsfragen zu bereits außer Kraft getretenem Recht kann eine Klärungsbedürftigkeit nur anerkannt werden, wenn noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage dieses ausgelaufenen Rechts zu entscheiden ist oder wenn die Überprüfung der Rechtsnorm aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung hat. Der Gesetzgeber hat § 7a SGB IV mit Wirkung ab dem 1. April 2022 grundlegend umgestaltet (Fassung vom 16. Juli 2021, im Folgenden: n. F.), so dass die Frage der Zulässigkeit eines Statusfeststellungsverfahrens nach neuem Recht anderen Ausgangsvoraussetzungen folgt. Insbesondere enthält § 7a Abs. 4b und 4c SGB IV n. F. nunmehr besondere Regelungen zu Auswirkungen von Statusentscheidungen und den neu geschaffenen gutachterlichen Äußerungen auf Tätigkeiten Dritter. Zu den bis 31. März 2022 geltenden Fassungen des § 7a SGB IV ist im Senat lediglich noch ein weiteres Verfahren anhängig, dem ein mehrere Jahre nach Beendigung der Tätigkeit gestellter Statusfeststellungsantrag zugrunde liegt. In anderen Senaten anhängige Verfahren sind für den Senat nicht feststellbar.

Rechtskraft
Aus
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