L 6 U 31/21

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 23 U 85/18
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 31/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein Apophysenabriss bei einem wiederholten Laufschritt eines 100 m-Laufes lässt nicht den Schluss auf die Austauschbarkeit durch eine Alltagsursache zu.
2. Entsteht ein Apophysenabriss bei der relativen Überstreckung im körpernahen Oberschenkelgelenk, folgt aus der ungewollten Überstreckung eine ggf. erforderliche Unfreiwilligkeit des Geschehens.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei einem Apophysenabriss des Klägers beim Sprint im Schulsport um einen Schulunfall handelt.

 

Der damals 15-jährige Kläger stürzte am 20. September 2017 kurz vor dem Ziel eines 100 m-Laufes des Sportfestes seiner Schule, konnte nicht mehr aufstehen und wurde in stationäre Behandlung aufgenommen. Der Vorgang ist Gegenstand der Unfallmeldung des Gymnasiums F. vom 25. September 2017.

 

Nach dem Durchgangsarztbericht der Ärzte der H.-Klinik Z. vom 20. September 2017 und dem Entlassungsbericht dieser Einrichtung vom 22. September 2017 verspürte der Kläger bei dem Sprint ein Knacken und stechende Schmerzen im Bereich des linken Hüftgelenkes und Beckenkammes und konnte nicht mehr laufen. Die behandelnden Ärzte diagnostizierten einen Abrissbruch des linken vorderen oberen Darmbeinstachels (spina iliaca anterior superior). Sie vermerkten, eine äußerliche Gewalteinwirkung habe nicht vorgelegen. Hergang und Befund sprächen nicht gegen die Annahme eines Arbeitsunfalls.

 

Nach entsprechender Rückfrage der Beklagten teilte der behandelnde Oberarzt Dr. F. mit, das Geschehen sei nach entsprechender kritischer Würdigung nicht geeignet gewesen, einen Unfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung herbeizuführen. Vielmehr habe es sich um ein Anlassgeschehen gehandelt. Der Bruch hätte auch bei jedem anderen Ereignis auftreten können.

 

Mit Bescheid vom 21. November 2017 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Versicherungsfall im Sinne eines Schulunfalls ab. Es handele sich um eine Schadensanlage, bei der jedes alltäglich vorkommende äußere Ereignis die Beschwerden zur gleichen Zeit ausgelöst hätte. Der Ursachenzusammenhang eines versicherten Unfalls fehle. Apophysenausrisse seien typische Verletzungen gerade im Alter zwischen 14 und 16 Jahren. Der mit dem Muskelzuwachs einhergehende Kraftzuwachs könne erst allmählich in koordinierte ökonomische Bewegungen eingearbeitet werden.

 

Dagegen legte die Mutter des Klägers am 19. Dezember 2017 Widerspruch ein und teilte mit, vorherige Beschwerden im betroffenen Bereich hätten nicht vorgelegen.

 

Die Beklagte holte eine beratende Stellungnahme ein. Der Radiologe Dr. H. teilte mit, es handele sich nicht um einen Bruch mit Begleitung durch ein entsprechendes Knochenmarködem, sondern um eine Ablösung. Er schließe sich der Auffassung der Beklagten an.

 

Die Beklagte holte ein Gutachten des Chefarztes der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des S. Klinikums D., Dr. Z., vom 10. August 2018 ein, der einen wesentlichen Einfluss des Laufs auf die Verletzung neben wesentlichen Einflüssen der sportlichen Freizeitbetätigung und anlagebedingten Umständen nicht für gegeben erachtete. Apophysen seien Nebenstellen der Verknöcherung (sekundäre Ossifikationszentren) im Ansatzbereich von Sehnen, die im zweiten Lebensjahrzehnt aufträten und im weiteren Verlauf mit den angrenzenden Knochen verschmölzen. In diesem Alter stellten sie einen Ort verminderter Widerstandskraft (locus minoris resistentiae) dar, wobei die beim Kläger abgelöste Struktur am häufigsten betroffen sei. Durch das Längenwachstum der Knochen werde eine hohe Zugspannung auf die den Knochen umhüllende Muskulatur ausgeübt, die eine zunehmende Unausgewogenheit und Verkürzung der Gelenk übergreifenden Muskulatur bewirke. Zusätzlich würde die mechanische Belastbarkeit der Apophysen durch die vermehrte Ausschüttung eines Wachstumshormons vermindert.

 

Apophysenschäden seien meist mit sportlicher Aktivität verbunden. Das vorrangige Auftreten liege zwischen dem 12. und 16. Lebensjahr, wobei Jungen zu neun Zehnteln betroffen seien. Dies liege an der vermehrten Muskelmasse, der besonderen hormonellen Lage in der Pubertät und einer geschlechtstypischen Sportausübung. Sportausübung im Kinder- und Jugendalter führe zu ausgeprägten spezifischen Anpassungserscheinungen mit unausgewogener Muskulatur. Dies beträfe insbesondere hohe Raten von Muskelverkürzung im Beckenbereich bei Fußball- und Tennisspielern – Sportarten, die der Kläger für sich als Freizeitsportarten angegeben hatte. Der Ausriss wie beim Kläger werde meist durch eine ausgeprägte Überstreckungsbewegung des Rumpfes nach hinten bei Streckstellung der Hüfte eines Beines durch Anspannung der Muskeln dieses Bereiches zusammen mit dem Leistenband und der ansetzenden Bauchmuskulatur ausgelöst. Dieser Ablauf finde sich bei Stemmschrittbewegungen wie beim Speerwurf oder Hochsprung oder bei explosiven Laufbewegungen im Sprint und der Mittelstrecke in der Leichtathletik. Neben akuten Auslösungen würden aber auch Schäden durch wiederholende Überlastung diskutiert, wobei die vom Kläger betriebenen Freizeitsportarten besonders belastend seien. Man müsse bei ihm von wiederholten Mikrotraumen ausgehen. Auch liege bei ihm eine Verkürzung der entsprechenden Muskulatur vor. Eine für sein Alter untypische Überstreckung der Hüftgelenke sei bei der klinischen Untersuchung nicht festgestellt worden. Der Schmerz beim Kläger sei nicht zum Zeitpunkt der höchsten Kraftanstrengung, z. B. beim Start zum 100 m-Lauf oder bei einem Absprung entstanden, sondern beim Laufen, für das man eine gleichmäßige Belastung der Bein- und Hüftmuskulatur annehmen müsse. Man müsse insgesamt von einem allein wesentlichen Einfluss der altersspezifischen Anlagen und der regelmäßigen sportlichen Aktivitäten ausgehen, während das zu prüfende Ereignis der Bedeutung nach als Anlassgeschehen zu werten sei.

 

Gegen das Gutachten wandte der Kläger ein, vor dem Unfall sei es nach seinem Eintritt in einen Tennisverein im Jahr zuvor lediglich zu einer Einführung gekommen, während er 2017 keinen Termin wahrgenommen habe. Fußball spiele er nicht im Verein, sondern nur als Gelegenheitsspiel mit Freunden. Eine ausreichende Belastung im Sinne des Gutachtens lasse sich daraus nicht ableiten.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. November 2018 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück, indem er sich dem Gutachten von Dr. Z. als überzeugend anschloss.

 

Der Kläger hat noch im selben Monat Klage zum Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben und seinen Vortrag dahin vertieft, die Verletzung sei durch die besondere Belastung des Sprints hervorgerufen worden.

 

Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Prof. Dr. W., Leiter der Abteilung Endoprothetik am Universitätsklinikum H., vom 9. Oktober 2019 eingeholt, wegen dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 49 - 65 d. A. Bezug genommen wird. Der Sachverständige ist im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, es müsse eine traumatische Ursache für den Apophysenausriss beim Kläger angenommen werden. Bei dem Unfall sei es zu einer erheblichen Muskelkrafteinwirkung gekommen, die deutlich über das alltägliche Maß hinausgegangen sei. Diese sei auf die Apophyse als natürliche und unvermeidliche Schwachstelle getroffen. Diese bestehe aus einer Verbindung zweier Knochenkerne in der Wachstumsfuge allein durch Bindegewebe und sei durch Hormoneinflüsse in der Pubertät männlicher Jugendlicher mit einer verminderten Reißfestigkeit besonders ausgeprägt.

 

Der Abriss sei von einer Ablösung als mehrzeitigem Ereignis zu unterscheiden, das den Unfallbegriff nicht erfüllen könne.

 

Bei der Entstehung von Apophysenschäden gehe es um eine Belastung über den Muskel- und Sehnenapparat, bei der es sich nicht im eigentlichen Sinne um eine äußere Einwirkung handele. Von einer solchen sei nach seinem Verständnis der Rechtsprechung aber auch bei einem gewollten Handeln mit ungewöhnlicher Wirkung auszugehen, die dann unfreiwillig sei.

 

Der Kläger hat ergänzend darauf verwiesen, die Ursache ergebe sich jedenfalls auch aus der Einwirkung des Bodens als Teil der Außenwelt beim Abdrücken des Fußes.

 

Mit Urteil vom 12. März 2021 hat das Sozialgericht unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung das Ereignis vom 20. September 2017 mit einem Apophysenausriss im Bereich der Spina iliaca anterior superior als Arbeitsunfall festgestellt. Es hat ausgeführt, die vom Kläger zur Zeit des Unfalls ausgeübte Verrichtung in Form sportlicher Betätigung während einer Schulsportveranstaltung sei Teil der versicherten Tätigkeit als Schüler gewesen. Es habe auch eine Einwirkung im Sinne von § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII vorgelegen. Auch ein alltäglicher Vorgang wie das Auftreten auf den Boden stelle eine Einwirkung eines Teils der Außenwelt auf den Körper dar. Dazu gehöre auch die erhebliche Kraftanstrengung bei einem Sprint, u. a. beim Endspurt. Unfreiwillig sei dabei nicht die Bewegung als solche, sondern – insoweit ausreichend – die ungewollte physiologische Folge.

 

Das Gericht folge insoweit dem Sachverständigen in seiner Annahme eines traumatischen Ereignisses, das nicht nur zu einer Apophysenablösung, sondern zu einem Apophysenausriss geführt habe. Die dabei ursächliche erhebliche Kraftanstrengung gehe über das alltägliche Maß hinaus, das sich in seinem Einfluss auf die Auslösung von Beschwerden durch jedes alltägliche Ereignis in etwa dem gleichen Zeitraum ersetzen lasse. Die ebenfalls beteiligten Einwirkungen des Wachstumsalters führten nicht zu einer Verminderung des Unfallversicherungsschutzes, weil jeder in dem Zustand versichert sei, in dem er am Arbeits- bzw. hier Schulleben teilnehme. Solche Veränderungen ließen sich nicht als höchstpersönliches Gesundheitsrisiko aus dem Versicherungsschutz ausblenden. Demgegenüber überzeuge das Gutachten von Dr. Z. das Gericht nicht. Denn zunächst habe er die altersbedingten Veränderungen als konkurrierende Ursache angenommen. Ein gesundheitlicher Vorschaden durch sportliche Freizeitaktivitäten sei zudem nicht dokumentiert. Die Annahme sei auch nach den Angaben des Klägers zu seiner Sportausübung in der Freizeit nicht gerechtfertigt. Schließlich seien auch die verantwortlich gemachten Muskelverkürzungen nicht klinisch nachgewiesen. Eine medizinische Beschreibung eines Apophysenausrisses als Folge einer Muskelverkürzung finde sich zudem in der Literatur nicht.

 

Gegen das ihr am 23. März 2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20. April 2021 Berufung eingelegt. Sie verweist darauf, es habe sich bei dem zur Verletzung führenden Ereignis um einen willentlich geplanten Lauf ohne Umstände wie Umknicken, falsches Auftreten, Stolpern oder Ähnliches gehandelt. Dies erfülle auch nach den Ausführungen des Sozialgerichts nicht den Unfallbegriff. Worin die ungewollte Einwirkung liege, führe auch das Sozialgericht nicht aus. Zudem sei das Ereignis bei der Unterstellung der naturwissenschaftlichen Ursächlichkeit nicht wesentliche Ursache gewesen. Dafür seien zum Einen die wachstumsbedingten Anlagen unverzichtbar, zum Anderen die versicherte Verrichtung des Laufens ungeeignet, den Gesundheitsschaden allein zu erklären (Verweis auf Urteil des Senats vom 9. Dezember 2010 – L 6 U 122/07).

 

Auf Hinweise des Gerichts hin hat die Beklagte eine beratende Stellungnahme des Chirurgen, Unfallchirurgen und Sportmediziners Dr. L. vom 18. Januar 2022, Bl. 151 – 155 d. A. vorgelegt. Dieser hat zunächst die Rechtsauffassung vertreten, eine mechanische Wechselwirkung des Körpers mit dem Boden stelle keine äußere Einwirkung dar, soweit sie innerhalb der bestimmungsgemäßen – physiologischen – Grenzen des Körpers verlaufe. Eine gegen Ende eines Laufes eintretende Ermüdung sei ihrerseits physiologisch; eine unkontrollierte Auswirkung – z. B. ein Sturz – müsse nachgewiesen sein. Anderenfalls fehle es an einem für einen Unfall unerlässlichen Störfaktor.

 

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 12. März 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er schließt sich unter näherer Ausführung dem Urteil des Sozialgerichts an.

 

Das Gericht hat eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen vom 8. September 2021 eingeholt, wegen deren Einzelheiten auf Bl. 131 - 134 d. A. Bezug genommen wird. Im Wesentlichen führt der Sachverständige aus, die eigentliche Kraftentfaltung im Apophysenbereich betreffe die Beugung im Hüftgelenk beim Anheben des Beines. Der Abriss ereigne sich nicht in der Kraftentfaltung, sondern bei einer Überdehnung im Zuge einer Überstreckung des Gelenks. Diese geschehe im Gangzyklus nach dem Aufsetzen des betroffenen Beines bei einem Nach-vorne-Schieben des Beckens mit der Folge der Überdehnung der Hüftbeugemuskulatur.

 

Dem Zeitpunkt eines Abrisses innerhalb des 100 m-Laufes ließen sich keine Erkenntnisse hinsichtlich eines Unterschiedes beim Vergleich zu Alltagsbelastungen entnehmen. Es gehe um unterschiedliche Stadien, in denen am Beginn unzureichende Erwärmung und am Ende einsetzende Ermüdung jeweils Unterschiede markierten.

 

Der Berichterstatter hat die Beteiligten auf Veröffentlichungen hingewiesen, aus denen sich ergibt, dass die Kraftentfaltung in einem 100 m-Lauf nicht einheitlich verläuft, sondern erst gegen Ende die höchste Kraftentfaltung vorliegt. Sei der Betroffene mangels entsprechenden Trainings nicht dazu in der Lage, komme stattdessen dem Gesichtspunkt einer Ermüdung im Sinne der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Bedeutung zu. Auf Bl. 145 d. A. wird verwiesen.

 

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schreiben vom 11. April 2022 – die Beklagte – und 22. September 2022 – der Kläger – zugestimmt.

 

Neben der Gerichtsakte hat dem Senat bei der Beratung und Entscheidung die Verwaltungsakte der Beklagten – Az. 2010039031 – vorgelegen.

        

Entscheidungsgründe:

 

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat keinen Erfolg.

 

Der durch das Sozialgericht aufgehobene Bescheid der Beklagten vom 21. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2018 beschwert den Kläger im Sinne von § 157 S. 1, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG, weil die darin ausgesprochene Ablehnung der Anerkennung des Verletzungsereignisses des Klägers als Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung rechtswidrig ist; der Kläger hat auf die Anerkennung Anspruch.

 

Bei dem am 20. September 2017 beim Kläger eingetretenen Apophysenabriss handelt es sich als Arbeitsunfall um einen Versicherungsfall im Sinne von § 7 Abs. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII – G. v. 7.8.1996, BGBl. I S. 1248). Der Unfall erfüllt den Begriff eines Arbeitsunfalls im Sinne von § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII, weil er in unmittelbarer Ausführung der versicherten Tätigkeit als Schüler nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b. SGB VII geschah; die Teilnahme am Sportfest des vom Kläger besuchten Gymnasiums als allgemeinbildender Schule ist eine Wahrnehmung der für die dortigen Schüler bestimmten Veranstaltungen zur schulischen Erziehung.

 

Bei dem Ereignis handelt es sich um einen Unfall im Sinne von § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII. Es handelt sich um ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, weil der zum Schaden des Apophysenabrisses führende Abdruck des Beines vom Laufbahnboden bis in Überstreckung ohne die Gegenwirkung (vgl. BSG, Urt. v. 12.4.2005 – B 2 U 27/04 R – juris, Rn. 14) des Laufbahnbodens in dem Geschehen nicht möglich gewesen wäre. Diesen zum Apophysenabriss führenden Ablauf im Rahmen der Laufbewegung hat der Sachverständige überzeugend beschrieben; dieses aus der allgemeinen Kenntnis solcher Abläufe hervorgehende Verständnis des Geschehens hat die Beklagte auch nicht angegriffen.

 

Das Ereignis war bezüglich seiner äußerlichen Umstände auch unfreiwillig (vgl. BSG, Urt. v. 29.11.2011 – B 2 U 23/10 R – juris, Rn. 17), weil der Kläger seine Beinstreckung nicht bis in eine Überdehnung bringen wollte, für die sein Körper nicht ausgelegt war. Dass er die dabei maßgebliche Grenze nicht gekannt haben wird, steht der Unfreiwilligkeit nicht entgegen. Der Vorsatz des Klägers, seinem Körper nur Schäden vermeidende Impulse zu verleihen, kann beim Fehlen jedes anderen Hinweises als sicher angesehen werden.

 

Zwischen dem Apophysenabriss und dem Sprint besteht ein naturwissenschaftlicher Ursachenzusammenhang. Der maßgebliche Bewegungsablauf kann nicht entfallen, ohne dass die Entstehung der Ablösung zu dieser Zeit auszuschließen ist. Dabei spielt das Fehlen eines Knochenmarködems entgegen der ursprünglichen Aussage von Dr. H. keine Rolle. Denn der Sachverständige stellt dar, dass es sich bei Jugendlichen im damaligen Alter des Klägers in der Apophyse um eine allein durch Bindegewebe hergestellte Verbindung zweier Knochenkerne handele. Die von Dr. H. ursprünglich erörterte Fraktur betrifft dieses Thema nicht. Insoweit ist zwischen dem Sachverständigen und dem beratenden Radiologen auch Einigkeit hergestellt worden, dass es im Fall des Klägers nicht um eine knöcherne Verletzung geht. Folgerichtig sieht der Sachverständige den am Unfalltag im MRT nachgewiesenen Bluterguss (Hämatom) für den Bindegewebsriss als nachweislich an.

 

Entgegen der Meinung des Gutachters Dr. Z. handelt es sich nicht um eine Ablösung der Apophyse innerhalb eines mehrzeitigen Geschehens, sondern um das punktuelle Ereignis eines Risses im Weichteilbereich. Die von Dr. Z. angenommene Abfolge von Mikrofrakturen ist keine Feststellung von Befunden, sondern eine Herleitung aus allgemeinen Erwägungen über die Entstehung solcher Ablösungen, die dem Kläger nicht als tatsächliches Geschehen entgegen gehalten werden kann. Hinweise darauf, dass Fußball und Tennis beim Kläger entgegen seinen späteren Angaben über die Häufigkeit der Ausübung bei ihm eine Rolle gespielt haben, finden sich in Nachweisen oder Angaben über Beschwerden oder Befunde nicht. Dabei hat es angesichts des Umstandes, dass viele Jugendliche solche Sportarten ohne Krankheitsfolgen in der Apophyse ausüben, sein Bewenden.

 

Die Kraftentfaltung beim Sprint ist auch wesentliche Ursache des Risses. Diese medizinisch wertende Entscheidung ergibt sich aus der Abwägung gegen die Anlage bedingten Schwächen in Form noch nicht erfolgter durchgehender Verknöcherung, muskulärer Unausgewogenheit und hormoneller Herabsetzung der Widerstandskraft der Verbindung im Bindegewebe. Diese vorbestehenden Umstände haben nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens im Sinne einer notwendigen Voraussetzung zum Eintritt des Apophysenabrisses beigetragen. Dies ergibt sich jedenfalls aus den Überlegungen des Sachverständigen, wonach insoweit eine erhöhte Gefährdung im Wachstumsalter durch die genannten Umstände bei jedem Apophysenschaden mit zu bedenken und im Sinne der Wesentlichkeit von einer traumatischen Einwirkung abzugrenzen ist. Damit greift er die Überlegung des Gutachters Dr. Z. auf, der die genannten Umstände als Anlage bedingte Ursachen wertet.

 

Nach den gesamten Einflüssen haben diese Umstände aber nicht in so überragendem Maß den Apophysenabriss herbeigeführt, dass dem Einfluss der Kraftentfaltung beim Sprint nur noch die Bedeutung eines beliebigen, durch Alltagsereignisse austauschbaren Einflusses zukäme (zu dieser Voraussetzung BSG, Urt. v. 12.4.05 – B 2 U 27/04 R – juris, Rn. 16). Eine unmittelbare Feststellung jederzeit bestehender Rissbereitschaft aus belanglosen Alltagsanlässen ist nicht möglich, weil keine Befunde oder Vorbehandlungsergebnisse mitgeteilt worden sind, aus denen sich dies ergäbe. Eine entsprechende ärztliche Einschätzung geben der Gutachter Dr. Z. oder der Sachverständige auch nicht ab. Vielmehr leiten sie die Mitverursachung aus allgemeinen Erkenntnissen über altersbedingte Anfälligkeit bei Jugendlichen allgemein ab, die aber keine Aussage zu einer akuten Rissgefahr ohne auffällige Einwirkung beim Kläger ermöglichen. Dass eine beliebige Alltagseinwirkung gerade nicht zur Rissverursachung ausreicht, bekundet Dr. Z. selbst mit seiner Mitteilung, ein solcher Riss erfolge überwiegend bei sportlicher Betätigung.

 

Bei der Abgrenzung der Ursachenbedeutung nach dem Vergleich der Beanspruchung beim Unfall gegenüber irgendeiner Alltagseinwirkung lässt sich die Aussage einer Beliebigkeit nicht treffen. Dagegen spricht, dass der Kläger sich zum Zeitpunkt des Risses in der größten ihm möglichen Kraftentwicklung beim Laufen befand oder diesen Bereich im Sinne nachlassender Frische gerade verlassen hatte.

 

Trainierte Menschen erreichen die Höchstgeschwindigkeit als Ausdruck äußerster Kraftentwicklung nach einer Laufstrecke von 80 Metern und damit im allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend der vom Kläger verwendeten Formulierung schon kurz vor Ende der Strecke von 100 Metern. Aus Studien zum Ablauf eines Sprints ergibt sich dazu, dass der Mensch auf einer Laufstrecke von 100 m die höchste Geschwindigkeit erreicht, die Menschen möglich ist. Die schnellste Teilstrecke liegt bei Sprintern der Weltklasse dabei zwischen 70 und 80 Metern (https:de//Wikipedia.org./wiki/100-Meter-Lauf, Geschwindigkeitsverlauf eines 100 m-Rennens, recherchiert am 5. Dezember 2021). Hier liegt die Spitzengeschwindigkeit von 12,5 m/s deutlich über der Durchschnittsgeschwindigkeit von 10,44 m/s (a.a.O., Eingangsdarstellung). Dürften davon für den Kläger Abstriche insbesondere im Hinblick auf die Dauer seiner Beschleunigung zu machen sein, gewinnt aber die Überlegung des Sachverständigen an Bedeutung, wonach Ermüdung gegen Ende des Laufs eine Rolle gespielt hat. Diese umfasst auch die Kontrollfähigkeit, eine kontrollierte Beinstreckung innerhalb eines unschädlichen Bewegungsmaßes vorzunehmen.

 

Soweit die Beklagte sich für ihre Auffassung auf das Urteil des Senats vom 6. Dezember 2010 – L 6 U 122/07, veröffentlicht bei juris, beruft, enthält dieses Urteil im Unterschied zum vorliegenden Fall keine Feststellung dazu, dass es sich bei der maßgeblichen Bewegung um eine besondere Belastung der betroffenen Körperstruktur gehandelt hat. Es geht vielmehr nach der Lage der Sachverständigengutachten vom Gegenteil aus.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Unterliegen der Beklagten.

 

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nach § 144 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG nicht vor, weil die Entscheidung in der Anwendung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf den Einzelfall beruht.

Rechtskraft
Aus
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