S 11 KG 4/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 KG 4/20
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KG 2/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

Der Bescheid vom 5.2.2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.3.2020 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab Dezember 2019 Kindergeld in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.


Tatbestand

Der Kläger begehrt Kindergeld an sich selbst.

Der 1998 in Afghanistan geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 23.12.2019 Kindergeld für sich selbst. Dazu gab er an, über eine Duldung (Aussetzung der Abschiebung) zu verfügen und sich seit Mai 2018 in einer zweijährigen Ausbildung zur Fachkraft in der Gastronomie zu befinden. Dazu legte er den Berufsausbildungsvertrag mit dem Hotel B. in A-Stadt vor. Der Kläger erklärte, sein Vater sei in 2015 in Afghanistan verstorben. Der Kläger habe im Juli 2015 Afghanistan allein und ohne Eltern verlassen und habe seitdem keinen Kontakt zur Mutter gehabt. Es gebe keine Kontaktmöglichkeiten von Deutschland nach Afghanistan.

Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5.2.2020 mit der Begründung ab, der Kläger habe keine Bemühungen dargelegt, den Aufenthalt der Eltern zu ermitteln.

Mit Schreiben vom 20.2.2020 legte der Kläger Widerspruch ein und machte geltend, vor seiner Flucht aus Afghanistan habe er in der Provinz Kabul, Distrikt Paghmann im Dorf C-Stadt bis Juli 2015 mit seinen Eltern H. und M. A. Sein Vater sei Polizeibeamter und Fahrer des örtlichen Polizeikommandanten gewesen und er sei von den Taliban ermordet worden. Diese hätten Drohbriefe geschickt und nach ihm gesucht, um ihn zu rekrutieren und er habe deshalb das Land verlassen müssen, um sein Leben zu retten. Seine Mutter habe ebenfalls das Dorf verlassen und sei zu ihrem Bruder S. nach Kabul gezogen. Die Adresse dort sei Kabul, Ghahar Rahe, D-Stadt gewesen. Nur selten bestehe die Möglichkeit, mit ihr telefonisch Kontakt aufzunehmen. Wegen der Bedrohung durch die Taliban sage sie nicht den wahren Aufenthaltsort. Das Gespräch sei sehr einseitig und sie frage nur, wie es ihm gehe. Ein Aufgebotsverfahren nach § 19 VerschG müsse an das Amtsgericht Berlin-Schöneberg gestellt werden. Dies sei ein kompliziertes und langwieriges Verfahren. Die Anforderungen der Beklagten an den Bezug von Kindergeld seien zu hoch angesetzt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.3.2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Dazu führte sie aus, gemäß § 1 Abs. 2 BKGG erhalte Kindergeld für sich selbst, wer in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe, Vollwaise sei oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kenne und nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen sei. Berücksichtigt würden also Vollwaisen und Kinder, die den Aufenthalt ihrer Eltern nicht kennen würden. Dem Tod der Eltern sei die Unkenntnis des Kindes von Ihrem Aufenthalt gleichgestellt. Die Unkenntnis des Aufenthalts der Eltern sei nach den subjektiven Maßstäben des Kindes zu beurteilen (Bundessozialgericht -BSG- Urteil vom 8. April 1992,10 RKg 12/91, DBIR3929 BKGG/§ 1). Sei kein Aufgebotsverfahren zum Zwecke einer Todeserklärung beantragt oder kein Aufgebot erlassen worden, müsse zumindest unterstellt werden können, dass das Kind es nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich unterlassen habe, Hinweisen auf den Aufenthalt seiner Eltern nachzugehen. Vom Kind seien daher zumindest die Umstände der Trennung von seinen Eltern sowie eigene oder fremde Bemühungen zur Ermittlung ihres Aufenthaltsortes und Anhaltspunkte für eine Verschollenheit darzulegen und diese Erklärungen möglichst durch Geschwister oder sonstige Verwandte zu bestätigen. Die Voraussetzungen zur Berücksichtigung des Klägers als Vollwaise würden nicht vorliegen. Der Gesetzgeber habe unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Kindergeldes und von gesetzessystematischen Bedenken eine eng begrenzte Ausnahmeregelung unter Härtegesichtspunkten schaffen und Kindergeld für sich selbst nur einem entsprechend eng begrenzten Personenkreis zukommen lassen wollen (BT-DrS.10/2563, Seite 3). Die letztlich beschlossene Gesetzesfassung gehe allerdings über die Beschlussvorlage hinaus, indem die hier allein in Betracht kommende Variante der Unkenntnis des Aufenthaltes der Eltern eingefügt worden sei. Mit der gesetzlichen Regelung habe kein Anspruch auf Kindergeld für sich selbst für den Fall geschaffen werden sollen, dass die Eltern aufgrund eines ständigen Auslandsaufenthaltes keinen Kindergeldanspruch hätten oder dem Kind keinen Unterhalt leisten könnten (vergleiche hierzu Hessisches Landessozialgericht -LSG-, Urteil vom 25.6.2014, L 6 KG 3/11, in juris). In Anbetracht von § 1 Abs. 1 Nr. 1 BKGG in der zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens geltenden Fassung stehe außer Frage, dass Kindergeld im Ergebnis nicht gezahlt werden könne, wenn die Eltern lebten, sich aber im Ausland aufhielten. Dementsprechend habe der Gesetzgeber den engen Anwendungsbereich der aus Härtegesichtspunkten geschaffenen Ausnahmeregelungen nicht auf den bloßen Auslandswohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Eltern ausdehnen wollen. Davon ausgehend könne auch das Unvermögen der im Ausland lebenden Eltern, dem Kind Unterhalt zu leisten, keine Rolle spielen. Mit dem Merkmal hätten Kinder erfasst werden sollen, die mangels Kontakt nicht wüssten, wo ihre Eltern sich aufhalten würden und letztendlich nicht wissen könnten, ob sie noch am Leben seien und jemals die Elternstelle wieder einnehmen könnten. Nur dadurch sei ihrer Gleichstellung mit Vollwaisen erklärbar. Der bloße Aufenthalt der Eltern im Ausland, verbunden mit dem Unvermögen, dem Kind Unterhalt zu leisten (also nicht in der Lage zu sein, den Unterhalt leisten zu können) begründe demnach keinen Anspruch des Kindes auf Kindergeld für sich selbst. Der Umstand, dass sich die Eltern im Ausland aufhalten würden, ohne dass eine konkrete Adresse bekannt sei, die aber bei bestehendem Telefonkontakt durchaus erfragt werden könne, sei mit der Unkenntnis des Kindes vom Aufenthalt seiner Eltern bzw. des überlebenden Elternteils im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BKGG nicht gleichzusetzen. Hierin läge somit eine erweiternde Auslegung der Vorschrift, die im Hinblick auf deren eng begrenzten Ausnahmecharakter nicht in Betracht komme. Für eine analoge Anwendung fehle es an einer planwidrigen Gesetzeslücke. Im Gesetzgebungsverfahren sei gesehen worden, dass die eng begrenzte Ausnahmeregelung auch zu einem Ausschluss von Personen führe, die die Voraussetzungen des entsprechend eng gefassten Personenkreises nicht erfüllten, insbesondere im Falle eines beiderseitigen Auslandsaufenthaltes der Eltern oder eines Auslandsaufenthaltes des allein noch lebenden Elternteils, so dass an im Inland wohnende oder sich gewöhnlich aufhaltende Kinder in Anwendung von § 1 Abs. 2 Nr. 2 BKGG kein Kindergeld gezahlt werden könne (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 5.7.2016, L 3 KG 3/15). Vorliegend kenne der Kläger den Aufenthalt seiner Mutter. Er gebe an, dass diese sich in Kabul aufhalte. Auch habe er angegeben, gelegentlich Kontakt zu seiner Mutter nach Kabul zu haben. Selbst wenn ihm der konkrete Aufenthalt der Mutter unbekannt sein solle, sei es ihm aufgrund des telefonischen Kontakts möglich, den Aufenthaltsort ohne Weiteres zu erfragen. Inwiefern dabei eine Gefahr für die Mutter entstehe, sei nicht hinreichend konkretisiert worden. Daher könne vorliegend, auch wenn sich die Mutter in einem Kriegsgebiet aufhalte, nicht von der Unkenntnis des Aufenthaltsorts ausgegangen werden. Aus dem Grund sei bei enger Auslegung des Gesetzes unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Regelung für Vollwaisen der Kläger nicht zu berücksichtigen.

Hiergegen richtet sich die am 20.4.2020 beim Sozialgericht Kassel eingegangene Klage. Dazu wird geltend gemacht, eine telefonische Kontaktaufnahme des Klägers mit seiner Mutter in Afghanistan sei dem Kläger von Deutschland aus nicht möglich. Nur äußerst selten rufe die Mutter selbst an. Ihren Aufenthaltsort gebe sie nicht preis. Eine Rückrufmöglichkeit bestehe für den Kläger nicht. Er habe keine Möglichkeit, ihren Aufenthaltsort zu ermitteln. Seine Ausbildungsprüfung im Juni 2020 habe er nicht bestanden. Die Ausbildung sei nunmehr um ein halbes Jahr verlängert worden.

In der mündlichen Verhandlung vom 20. 2820 hat die Kammervorsitzende den Kläger zu den näheren Einzelheiten seiner Kenntnis vom Aufenthalt seiner Mutter in Afghanistan befragt. Ebenso ist der den Kläger begleitende ehrenamtliche Betreuer Herr F. befragt worden. Wegen des Inhalts deren Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20.8.2020 Bezug genommen. Der in der mündlichen Verhandlung vom 20.8.2020 geschlossene Vergleich ist von der Beklagten mit Schreiben vom 26.8.2020 widerrufen worden.

Mit Schreiben vom 27.8.2020 hat das Gericht die Beteiligten zur Absicht angehört, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, 

den Bescheid vom 5.2.2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.3.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab Dezember 2019 Kindergeld in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

und nimmt Bezug auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 19.3.2020. Der Vergleich sei zu widerrufen gewesen. Der Kläger kenne den Aufenthaltsort seiner Mutter in Kabul. Er habe auch in der mündlichen Verhandlung nichts dazu vorgetragen, warum sich dieser Aufenthaltsort geändert haben sollte. Eine Unkenntnis des Aufenthalts liege nicht vor. Der Kläger habe alle zwei bis drei Monate telefonischen Kontakt mit der Mutter. Es bestehe keine fehlende Kontaktmöglichkeit. Bei der Behauptung von Repressalien der Mutter durch die Taliban bei Bekanntgabe ihres Aufenthaltsortes und daher der Nichtnennung des Aufenthaltsortes scheine es sich um eine neue Masche zur Erlangung von Kindergeld zu handeln. Die Beklagte gehe davon aus, dass der Aufenthaltsort, unterstellt, er sei überhaupt unbekannt, erfragbar sei. Es entspreche nicht dem Willen des Gesetzgebers, bei Unkenntnis vom Aufenthaltsort und Weigerung der Mutter, einen konkreten Aufenthaltsort mitzuteilen, eine Gleichbehandlung mit Vollwaisen zu bejahen. Die gesetzliche Regelung würde sonst ausgehebelt.  

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, soweit deren Inhalt Gegenstand dieser Entscheidung ist.


Entscheidungsgründe

Der Rechtsstreit konnte ohne mündliche Verhandlung gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entschieden werden, nachdem die Beteiligten zuvor entsprechend angehört worden sind und ihnen eine angemessene Frist zur Stellungnahme eingeräumt wurde. Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt. Darüber hinaus weist die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist geklärt, soweit der für die Entscheidung relevant ist.

Die form- und fristgerecht beim zuständigen Sozialgericht Kassel erhobene Klage ist zulässig und begründet. Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten vom 5.2.2020 und 19.3.2020 (Widerspruchsbescheid) lehnen in rechtswidriger Weise einen Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach § 1 Abs. 2 BKGG für die Zeit ab Dezember 2019 ab und verletzen damit den Kläger in seinen Rechten. Denn entgegen der Auffassung der Beklagten erfüllt dieser die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld an sich selbst, denn er kennt den Aufenthalt seiner Eltern bzw. seiner Mutter nicht und es ist ihm auch kein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Hinblick auf sein Bemühen um Ermittlung des Aufenthaltsortes der Mutter vorzuwerfen.

Nach § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BKGG erhält Kindergeld für sich selbst, wer Vollwaise ist oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt. Im Hinblick auf letzteres Tatbestandsmerkmal werden die Voraussetzungen für eine Kindergeldzahlung, anders als die Beklagte meint, im Falle des Klägers erfüllt. Denn nach dem Vorbringen des Klägers im Antragsverfahren und insbesondere in der durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 20.8.2020 geht die erkennende Kammer davon aus, dass der Vater des Klägers verstorben ist und dem Kläger der Aufenthaltsort der Mutter unbekannt ist. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 20.8.2020 angegeben, dass er in größeren zeitlichen Abständen von seiner Mutter angerufen wird, die sich dabei ausschließlich nach dem Befinden des Klägers erkundigt. Gleichzeitig hat der Kläger erklärt, er habe von seiner Mutter seit ca. drei Monaten nichts mehr gehört. Seit seiner Flucht nach Deutschland in 2015 war es dem Kläger nicht möglich, von sich aus Kontakt mit seiner Mutter aufzunehmen. Die Kontaktaufnahme geht stets von der Mutter aus, ohne dass es dem Kläger gelingt, per Rückruf in Verbindung mit der Mutter zu treten. An welchem Ort sich die Mutter aufhält, ob noch in Kabul, oder an einem anderen Ort in Afghanistan oder gar außerhalb von Afghanistan, ist nach eigenem Bekunden für den Kläger nicht zu ermitteln. Richtig ist der Hinweis der Beklagten, dass der Auslandsaufenthalt der Eltern bzw. des noch lebenden Elternteils allein für die Kindergeldzahlung an den Antragsteller im Rahmen von § 1 Abs. 2 Nr. 2 BKGG nicht ausreicht. Beachtlich ist dies insbesondere dann, wenn Telefonkontakt besteht und der Aufenthalt der Eltern bzw. des Elternteils ohne weiteres erfragt werden kann. Letzteres ist dem Kläger aber nach dessen glaubhaften Bekundungen nicht möglich. Von sich aus kann der Kläger die Mutter nicht erreichen, sie selbst gibt bei ihren seltenen Anrufen nichts über ihren Aufenthalt preis. Dies ist angesichts der Ermordung des Vaters des Klägers durch die Taliban und die sich danach fortsetzende Bedrohung des Klägers und seiner Familie durch die Taliban nachvollziehbar. Zuletzt vor seiner Flucht aus Afghanistan in 2015 kannte der Kläger den Aufenthaltsort seiner Mutter in Kabul. Dem Kläger ist seitdem nicht nur keine Kontaktaufnahme von sich aus mit der Mutter möglich, sondern er weiß auch definitiv nichts über ihren Aufenthalt nach 2015. Dass der Kläger den Aufenthalt seiner Mutter nicht kennt, auch nicht über Dritte oder (vermutlich) noch in Afghanistan lebende Verwandte, wie seine Schwester oder seinen Onkel (Bruder der Mutter) oder über offizielle Institutionen ermittelt hat, ist ihm nicht im Sinne eines rechtsmissbräuchlichen Nichtkennens vorwerfbar. Die von der Beklagten bei der Ablehnung des Kindergeldes insoweit monierte Untätigkeit des Klägers im Hinblick auf die Ermittlung des Aufenthalts seiner Mutter wird vom Gericht anders bewertet. Ausgehend vom Eindruck des Klägers, der sich der erkennenden Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 20.8.2020 vermittelt hat, hält das Gericht dessen Angaben und Ermittlungsversuche zum Aufenthalt der Mutter für glaubhaft. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, wonach diese Angaben nicht zutreffend sein könnten. Unbestreitbar lassen die vom Kläger selbst geschilderten (seltenen) Telefonanrufe seiner Mutter nur den Schluss zu, dass diese noch am Leben ist. Ihr Aufenthalt bleibt dem Kläger gleichwohl unbekannt und ein schuldhafter Vorwurf, diesen nicht zu ermitteln, kann gegenüber dem Kläger nicht erhoben werden. Dabei stützt sich das Gericht auch auf die Angaben des in der mündlichen Verhandlung anwesenden ehrenamtlichen Betreuers des Klägers, Herrn F. Dieser hat zum einen bestätigt, dass dem Kläger selbst eine Kontaktaufnahme zur Mutter ebenso wenig möglich ist wie Ermittlungen zu deren Aufenthaltsort über Dritte. Er hat ferner die Schwierigkeiten der Kontaktaufnahme des Klägers mit Verwandten in Afghanistan bestätigt und außerdem die Möglichkeit der Ermittlung des Aufenthalts mit Hilfe von Behörden oder sonstiger Institutionen und Hilfsorganisationen, auch privater Hilfsorganisationen, ausgeschlossen. Auch die von der Beklagten geforderte Inanspruchnahme von Suchdiensten ist nicht umsetzbar. Wie dem Gericht aus einem parallelen Streitverfahren bekannt ist, werden Anfragen z. B. beim DRK-Suchdienst zur Ermittlung des Aufenthaltsortes der Eltern bzw. eines Elternteils zwecks Durchsetzung von Kindergeldansprüchen ausdrücklich mit dem Hinweis zurückgewiesen, für solche Anfragen stehe der DRK-Suchdienst nicht zur Verfügung. Trotz der berechtigten Annahme, dass die Mutter des Klägers lebt, kann dem Kläger nach Ansicht des Gerichts eine zur Ablehnung der Kindergeldzahlung an den Kläger führende missbräuchliche Nichtkenntnis oder gar ein bewusstes „sich verschließen“ vor der Kenntnis vom Aufenthaltsort der Mutter nicht vorgeworfen werden. Angesichts der Fluchtgeschichte des Klägers und der aktuellen Situation in Afghanistan vermag sich das Gericht daher auch nicht der entwertenden Beurteilung der Beklagten anzuschließen, bei den Angaben des Klägers zur Unkenntnis vom Aufenthalt der Mutter handele es sich um eine „neue Masche“.

Nach alledem sind die Anspruchsvoraussetzungen für eine Kindergeldzahlung an den Kläger selbst für die Zeit ab Dezember 2019, wie beantragt, zu bejahen. Der Kläger steht seit Mai 2018 und nach nicht bestandener Prüfung jedenfalls auch noch für das 2. Halbjahr 2020 in einem Ausbildungsverhältnis. Während der Berufsausbildung besteht der Anspruch auf Kindergeld für sich selbst gemäß § 1 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 2 BKGG auch über das 21. Lebensjahr hinaus bis längstens zum 25. Lebensjahr.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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