Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 11.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2016 verurteilt, bei der Klägerin ab dem 06.05.2016 einen GdB von 30 festzustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1/4.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Bewertung des Grades der Behinderung (GdB) der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin stellte am 06.05.2016 einen Antrag auf Feststellung des Grades der Behinderung und der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs „G“ mit der Begründung, sie leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Nach Beiziehung verschiedener ärztlicher Unterlagen stellte die Beklagte mit Bescheid vom 11.07.2016 den GdB der Klägerin unter Berücksichtigung einer seelischen Störung mit 20 fest. Das Merkzeichen „G“ wurde mit der Begründung abgelehnt, dass kein GdB von 50 bestehe.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und führte aus, es liege eine nachhaltige posttraumatische Belastungsstörung vor, die höher zu bewerten sei.
Nach erneuter Überprüfung des Sachverhalts wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2016 zurückgewiesen.
Dagegen richtet sich die am 16.12.2016 erhobene Klage, mit der die Klägerin die Feststellung eines GdB von mindestens 50 begehrt. Zur Begründung führt sie aus, sie leide an einer massiven posttraumatischen Belastungsstörung mit Panikattacken und massiven Angstzuständen. Sie leide seit Jahrzehnten an nicht behandelten Traumata. Zuletzt habe ihr ein Polizeieinsatz komplett den Boden unter den Füßen weggezogen, als Polizisten sich unbegründet Zugang zu ihrer Wohnung verschafft hätten. Die Bewertung des Leidens mit einem GdB von 20 sei nicht sachgerecht.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 11.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2016 zu verurteilen, bei ihr ab dem 06.05.2016 einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, Art und Ausmaß der Behinderungen seien anhand der aktenkundigen Befundunterlagen zutreffend bewertet worden. Objektive Befunde, welche die Zuerkennung eines GdB von 50 rechtfertigen könnten, lägen nicht vor.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung von Befund- und Behandlungsberichten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Frau T und des Allgemeinmediziners Dr. Q.
Sodann hat das Gericht ein orthopädisches Sachverständigengutachten von Dr. E und ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten von Herrn H eingeholt. Auf Inhalt und Ergebnisse der am 27.06.2017 und 19.09.2017 erstatteten Gutachten wird verwiesen.
Daraufhin hat die Beklagte ein Regelungsangebot unterbreitet und angeboten, den GdB der Klägerin mit 30 zu bewerten. Dieses Regelungsangebot hat die Klägerin nicht angenommen und ein Gutachten von Herrn H2 aus einem familienrechtlichen Verfahren vorgelegt.
Dazu hat das Gericht eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Herrn H eingeholt. Auf Inhalt und Ergebnisse dieser am 09.04.2018 abgegebenen Stellungnahme wird ebenfalls verwiesen.
Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der über die Klägerin geführten Verwaltungsakte der Beklagten, die das Gericht beigezogen hat und deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 11.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2016 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn dieser Bescheid ist insoweit rechtswidrig, als der GdB der Klägerin ab dem 06.05.2016 mit 30 zu bewerten ist. Ein Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30 besteht dagegen nicht.
Nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag den GdB fest. Menschen sind nach § 2 Abs. 1 SGB IX dann behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.
Für die Feststellung des GdB gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG und die in der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung (VersMedV) festgelegten Maßstäbe entsprechend (§ 152 Abs. 1 SGG IX). Danach ist der GdB nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. In der Anlage zu § 2 der VersMedV (Versorgungsmedizinische Grundsätze) sind die Grundlagen für die medizinische Bewertung und die Feststellung des GdB festgelegt.
Nach Beurteilung der gesundheitlichen Situation der Klägerin anhand dieser Vorschriften besteht ein Anspruch auf Feststellung eines GdB von 30.
Dies folgt zur Überzeugung des Gerichts aus den beigezogenen Befundberichten sowie den schlüssig und überzeugend begründeten Gutachten der Sachverständigen Herrn H und Dr. E.
Danach leidet die Klägerin an einer psychischen Störung, welches nach Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem GdB von 30 zu bewerten ist. Danach bedingt eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einen GdB von 30 – 40. Nach den zutreffenden Ausführungen des Sachverständigen Herrn H liegt bei der Klägerin eine solche psychische Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor.
Wie die psychische Störung der Klägerin diagnostisch genau zu bezeichnen ist, die für die Bewertung des GdB nur von untergeordneter Bedeutung.
Nach § 152 Abs. 1 SGG IX ist der GdB nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen zu beurteilen. Ob bei der Klägerin daher die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung vollumfänglich erfüllt sind oder die Gesundheitsstörung als mittelschwere depressive Episode zu bewerten ist, ist nicht von wesentlichem Belang. Entscheidend für die Bewertung des GdB sind die Auswirkungen in allen Lebensbereichen. Im Übrigen würde auch allein die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht zu einem höheren GdB als 30 führen (Beschluss des Sachverständigenbeirates beim BMA vom 06./07.11.2008, März 2014: Mindest-GdB 30 bei gesicherter posttraumatischer Belastungsstörung).
Nach der Befunderhebung des Sachverständigen Herrn H leidet die Klägerin aufgrund der psychischen Störung unter Angstbeschwerden, Schlafstörungen, Rückzugstendenzen und Störungen der Konzentrationsfähigkeit. Die Klägerin selbst berichtet über einen Mangel an Tagesstruktur. Sie ist jedoch noch in der Lage, regelmäßig mit dem Zug eine Psychotherapeutin in I aufzusuchen.
Diese Beeinträchtigungen der Klägerin führen unzweifelhaft zu einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit.
Eine schwere psychische Störung, die einen GdB von 50 bedingen würde, sieht der Sachverständige Herr H jedoch nicht, auch keine Tendenz zu einer schweren Störung, die mit einem höheren GdB als 30 bewertet werden könnte. Ausschlaggebend ist dafür, dass eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Selbst- und Fremdeinschätzung der Klägerin besteht. Der Sachverständige Herr H macht deutlich, dass ein starker Wunsch nach Anerkennung der Leiden bei der Klägerin zu einer akzentuierten Beschwerdeschilderung führt und im eingesetzten Beschwerdevalidierungsverfahren eine Aggravationstendenz nachweisbar ist. Insbesondere spricht auch die Inanspruchnahme medizinischer Ressourcen in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Sachverständigen Herrn H nicht dafür, dass das psychische Leiden als schwere Störung zu bewerten ist. Die Klägerin befindet sich in ambulant psychiatrischer Behandlung mit adäquater psychopharmakologisch antidepressiver Behandlung. Weiterführende stationäre oder teilstationäre Behandlungen aufgrund der psychischen Störung sind nicht erfolgt, was gegen die Annahme einer schweren psychischen Störung spricht.
Die Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Frau T, wonach teilstationäre oder stationäre Maßnahmen bei der Klägerin jetzt nicht greifen können, da sie wegen der Unruhe und mangelnden Strukturfähigkeit nicht sinngerecht an den Behandlungen teilnehmen und einen entsprechenden Gewinn erzielen könne, ist für die Kammer nicht überzeugend. Grundsätzlich stellt eine ambulante Behandlung gegenüber einer stationären das mildere Mittel dar und in der Regel erfolgt eine stationäre Behandlung dann, wenn ambulante Maßnahmen nicht greifen. Wenn die Auswirkungen der psychischen Störung der Klägerin so gravierend sein sollten, dass sie unter starker Unruhe und mangelnder Strukturfähigkeit leidet und selbst in alltagspraktischen Dingen auf Hilfe angewiesen ist, so würde dies nach Auffassung der Kammer eher für als gegen eine intensive stationäre Behandlung sprechen.
Auch das zur Akte gereichte Gutachten von Herrn H2 in einem familienrechtlichen Rechtsstreit ist nicht geeignet, zu einer anderen Einschätzung als die vom Sachverständigen Herrn H vorgenommene zu führen. Dieses Gutachten beschäftigt sich in erster Linie mit der Erwerbsfähigkeit der Klägerin im Rahmen eines Unterhaltsstreites und damit mit einer anderen Fragestellung. Wie oben erläutert, führt allein die Diagnosestellung einer posttraumatischen Belastungsstörung durch Herrn H2 nicht zu der Annahme eines höheren GdB als 30.
Darüber hinaus besteht bei der Klägerin eine Funktionsstörung der Wirbelsäule, die nach Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. E mit einem GdB von 10 zu bewerten ist. Es liegt eine Funktionsstörung der Wirbelsäule mit geringen funktionellen Auswirkungen in Form eines leichten Wirbelsäulensyndroms mit einer schmerzindentierten myostatischen Insuffizienz vor. In der Beweglichkeit ist die Wirbelsäule in den Abschnitten endgradig eingeschränkt.
Des Weiteren leidet die Klägerin an einer Funktionsstörung beider Kniegelenke, die nach Teil B Ziffer 18.4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ebenfalls mit einem GdB von 10 zu bewerten ist. Nach der Befunderhebung des Sachverständigen Dr. E besteht eine Arthrose mit rezidivierenden Reizerscheinungen, die jedoch nicht mit einer Bewegungseinschränkung einhergeht.
Weitere Gesundheitsstörungen, die einen GdB von wenigstens 10 bedingen, liegen nicht vor. Insbesondere bedingt eine Funktionsstörung des linken Rückfußes nach den zutreffenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. E keinen GdB.
Nach Auffassung der Kammer ist das Gesamtausmaß der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Herrn H mit einem GdB von 30 zu bewerten.
Nach § 152 Abs. 3 SGB IX ist bei Vorliegen mehrerer Gesundheitsstörungen, die eine Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft verursachen, der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen.
Gemäß Teil A Ziffer 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB dabei in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Maß der Behinderung größer wird. Eine Addition der Einzel-GdB-Werte ist dabei nicht zulässig. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass gemäß Teil A Ziffer 3 d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Die bei der Klägerin im Vordergrund stehende Gesundheitsstörung ist die psychische Störung mit einem GdB von 30. Nach Teil A Ziffer 3 d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze führen die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule und der Kniegelenke als leichte Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.