1. Es ist rechtlich geklärt, dass Zahlungserinnerungen keine Verwaltungsaktqualität haben.
2. Soweit der Streitgegenstand in der mündlichen Verhandlung durch den Antrag festgelegt und begrenzt wird, kann man in der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mit der Rüge gehört werden, das Gericht hätte auch über den Streitgegenstand hinaus Prüfungen vornehmen müssen.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Klägerin) begehrt die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts (SG) Dessau-Roßlau und die Durchführung des Berufungsverfahrens zu ihrer Klage, mit der sie sich im Zugunstenverfahren gegen eine Zahlungserinnerung der vormals beklagten Bundesagentur für Arbeit (BA), vertreten durch die Agentur für Arbeit Recklinghausen und Bochum, wendet.
Die im Jahr 1990 geborene Klägerin bezieht vom Beklagten und Beschwerdegegner (im Folgenden: Beklagter) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Der Beklagte hatte die BA mit der Wahrnehmung des Forderungseinzugs gemäß § 44c Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 i.V.m. § 44b Abs. 4 SGB II beauftragt.
Mit bestandskräftigem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23. Oktober 2014 hob der Beklagte die Leistungen für die Monate August und September 2014 in Höhe von 247,30 € auf und forderte von der Klägerin die Erstattung dieses Betrags.
Mit Schreiben vom 16. Januar 2017 mahnte die BA die seit dem 10. November 2014 fällige Forderung des Beklagten in Höhe von 252,30 € (einschließlich 5 € Mahngebühr) an und forderte die Klägerin zur Zahlung bis zum 30. Januar 2017 auf. Sie wies darauf hin, vom Beklagten mit dem Forderungseinzug beauftragt worden zu sein. Bei Fragen zur Entstehung der Forderung solle sich die Klägerin an die in der Aufstellung genannte Dienststelle (Beklagter) wenden.
Mit Schreiben vom 11. Juli 2017 erinnerte die BA die Klägerin an die ausstehende Forderung des Beklagten in Höhe von 252,30 € (einschließlich 5 € Mahngebühr) und forderte die Klägerin zur Zahlung bis zum 25. Juli 2017 auf. Die Klägerin beglich die Forderung nicht.
Mit Schreiben vom 9. Januar 2018 erinnerte die BA die Klägerin erneut an die ausstehende Forderung des Beklagten in Höhe von 252,30 € (einschließlich 5 € Mahngebühr) und forderte die Klägerin zur Zahlung bis zum 23. Januar 2018 auf.
Mit Schreiben vom 24. Januar 2018 (Eingang bei der BA am 25. Januar 2018) beantragte die anwaltlich vertretene Klägerin bei der BA die Überprüfung der Zahlungserinnerung vom 9. Januar 2018.
Mit Bescheid vom 6. Februar 2018 wies die BA den Überprüfungsantrag als unbegründet zurück: Es seien sich keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Zahlungserinnerung zu Unrecht erfolgt sei. Auch sei der Antrag nicht begründet worden.
Den dagegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies die BA mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2018 zurück: Die Zahlungserinnerung habe lediglich der Information gedient und stelle keinen Verwaltungsakt dar, da keine Entscheidung über einen Rechtsanspruch getroffen worden sei. Die Entscheidung über die Mahngebühr von 5 € stamme aus einem bestandskräftigen Bescheid vom 18. Januar 2017, auf den sich der Überprüfungsantrag nicht beziehe.
Dagegen hat die Klägerin unter dem 20. April 2018 Klage vor dem SG erhoben und zur Begründung vorgetragen, für sie sei nicht nachvollziehbar, weshalb ihrem Überprüfungsantrag nicht entsprochen worden sei. Die Rückforderung des Beklagten sei rechtswidrig, weil Verjährung eingetreten sei und die Klägerin kein Verschulden an Berechnungsfehlern des Beklagten treffe. Sie habe alle Unterlagen rechtzeitig eingereicht. Auch die Mahngebühr in Höhe von 5 € hätte nicht erhoben werden dürfen.
Mit Urteil vom 27. August 2021 hat das SG die Klage abgewiesen: Der ablehnende Überprüfungsbescheid sei zu Recht ergangen, da bereits kein Verwaltungsakt vorliege. Mit der Zahlungserinnerung seien Rechte der Klägerin weder begründet noch geändert, entzogen oder festgestellt worden.
Am Montag, dem 8. November 2021, hat die Klägerin wegen der Nichtzulassung der Berufung in dem ihr am 7. Oktober 2021 zugestellten Urteil Beschwerde beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt erhoben und vorgetragen, die Mahngebühr von 5 € gehöre denknotwendig mit dem Bescheid der beklagten BA vom 18. Januar 2017 zusammen, so dass insoweit auch eine Überprüfung stattzufinden habe. Nach ihrer Ansicht liege in Bezug auf die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung vor.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 2021 hat der Beklagte mitgeteilt, er führe das Verfahren nunmehr selbst fort und mache sich die Widerspruchsentscheidung der BA zu eigen. Die Übertragung der Aufgabe „Bearbeitung von gerichtlichen Verfahren im Bereich Inkasso SGB II“ auf die BA sei am 31. Dezember 2021 beendet, so dass ab dem 1. Januar 2022 die gesetzliche Regelung nach § 44b Abs. 1 Satz 2 SGB II einschlägig sei und der Beklagte diese Aufgabe selbst wahrnehme.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 27. August 2021 zuzulassen und das Berufungsverfahren durchzuführen.
Der Beklagte beantragt,
die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der BA ergänzend Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.
II.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung ist zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdefrist von einem Monat gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gewahrt. Die gegen das am 7. Oktober 2021 zugestellte Urteil am Montag, den 8. November 2021, eingelegte Beschwerde ist gemäß § 64 Abs. 1, 3 SGG fristgerecht.
Sie ist jedoch unbegründet. Nachdem die Berufung aufgrund des Streitgegenstands nicht bereits gesetzlich eröffnet ist (hierzu unter 1.), hat das SG die Berufung gegen das Urteil vom 27. August 2021 zu Recht nicht zugelassen, weil keiner der gesetzlichen Zulassungsgründe (hierzu unter 2.) vorliegt.
1.
Ohne Zulassung ist die Berufung bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag von 750 € übersteigt. Die hier streitige Zahlungsaufforderung über insgesamt 252,30 € überschreitet nicht den Wert von 750 €.
Da die Klage auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft, hätte die Berufung der Zulassung durch das SG bedurft.
2.
Ist die Berufung nicht bereits gesetzlich eröffnet, ist sie gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des LSG, des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr.3).
a) Der Entscheidung in der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Eine grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn ein Verfahren bisher nicht geklärte, aber klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfragen aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Auflage 2020, § 144 Rn. 28). Klärungsfähigkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn es auf die als grundsätzlich angesehene Rechtsfrage im konkreten Rechtsfall ankommt, wenn sie also für den zu entscheidenden Streitfall rechtserheblich ist. Nicht klärungsbedürftig ist die Rechtsfrage, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, weil sie sich beispielsweise unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder sie bereits höchstrichterlich geklärt ist (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Dezember 2014, L 1 KR 318/14 NZB, juris). Ungeklärte Rechtsfragen sind weder von den Beteiligten aufgeworfen noch aus dem Inhalt der Verfahrensakten für den Senat ersichtlich.
Dass Zahlungserinnerungen keine Verwaltungsaktqualität in Bezug auf die Hauptforderung haben, ist bereits rechtlich geklärt (vgl. Engelmann in Schütze, Kommentar zum SGB X, 9. Auflage 2020, § 52 Rn. 26; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juni 2020, L 8 AL 3185/19, juris Rn. 35 f.; Sächsisches LSG, Beschluss vom 7. Januar 2021, L 7 AS 726/20 B ER, juris Rn. 30; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. November 2020, L 14 AL 4/20, juris Rn. 38).
b) Das SG weicht mit seiner Entscheidung auch nicht von der Rechtsprechung der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte ab (Divergenz). Der Zulassungsgrund liegt nur dann vor, wenn das Urteil des SG entscheidungstragend auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der von dem zur gleichen Rechtsfrage aufgestellten Rechtssatz in einer Entscheidung eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht. Das SG müsste daher objektiv von einer höhergerichtlichen Entscheidung abgewichen sein.
Das SG hat in seinem Urteil keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der von einer höhergerichtlichen Entscheidung abweicht.
c) Schließlich hat die Klägerin keinen beachtlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG gerügt. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift zum Ablauf des sozialgerichtlichen Verfahrens, deren Inhalt zwingend zu beachten ist. Insofern kann die Beschwerde nicht auf einen sachlichen bzw. inhaltlichen Mangel der Entscheidung, sondern nur auf das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg dorthin gestützt werden. Bei der Beurteilung, ob ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensmangel unterlaufen ist, muss von der Rechtsauffassung des SG ausgegangen werden (zum Vorstehenden vgl. Leitherer a.a.O. § 144 Rn. 32 f.).
Soweit die Klägerin die Fehlerhaftigkeit des der Zahlungserinnerung zugrundeliegenden bestandkräftigen Erstattungsbescheids rügt, kann es sich allenfalls um einen möglichen Rechtsfehler im Rahmen des Verwaltungsverfahrens und nicht des Gerichts auf dem Weg zum Urteil handeln.
Auch der Vortrag, die mit der Erstattungsforderung im Zusammenhang stehende Mahnung einschließlich Mahngebühr hätte im Rahmen des Überprüfungsantrags geprüft werden müssen, betrifft lediglich das Verwaltungsverfahren. Darüber hinaus hat die anwaltlich vertretene Klägerin ausdrücklich lediglich die Überprüfung der Zahlungserinnerung vom 9. Januar 2018 beantragt.
Soweit man das Vorbringen der Klägerin dahingehend als Rüge auslegt, dies hätte im Gerichtsverfahren geprüft werden müssen, so hat die Klägerin selbst den Streitgegenstand durch ihren Antrag in der mündlichen Verhandlung festgelegt und begrenzt.
Weitere Verfahrensrügen lassen sich dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).