L 4 AS 219/21 NZB

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 4 AS 553/16
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 219/21 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

 

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

 

Gründe:

 

I.

Die Kläger und Beschwerdeführer (im Weiteren: Kläger) begehren die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau (SG) und die Durchführung des Berufungsverfahrens. In der Sache begehren sie für ein Widerspruchsverfahren die Kostenerstattung sowie die Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung ihres Rechtsanwalts.

 

Die Kläger bezogen vom Beklagten und Beschwerdegegner (im Weiteren: Beklagter) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Gegen den Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 15. Dezember 2015 für den Zeitraum von März bis August 2015 legten die anwaltlich vertretenen Kläger Widerspruch ein und trugen vor, die Kosten der Unterkunft seien fehlerhaft ermittelt worden. Im März 2015 sei die Wartung der Heizung erfolgt und im Juni 2015 die Abfallgrundgebühr zu berücksichtigen. Nach Einreichung entsprechender Nachweise im Februar 2016 erließ der Beklagte den Änderungsbescheid vom 1. März 2016 und gewährte den Klägern höhere Leistungen unter Berücksichtigung der Heizungswartungskosten und der Abfallgrundgebühr. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 2016 wies er den Widerspruch der Kläger nach Erteilung des Änderungsbescheids vom 1. März 2016 als unbegründet zurück. Eine Kostenerstattung notwendiger Aufwendungen könne nicht erfolgen, da die zur Neuberechnung erforderlichen Nachweise erst im Widerspruchsverfahren eingereicht worden seien. Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung sei im Hinblick auf die damals vorliegenden Unterlagen rechtmäßig erfolgt.

 

Dagegen haben die Kläger am 1. April 2016 Klage beim SG Dessau-Roßlau erhoben und ausgeführt, die notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren seien vom Beklagten zu erstatten. Diesem sei bekannt, dass der Landkreis zum 1. Juli eines jeden Jahres Abfallgrundgebühren erhebe und die Kläger ihre Heizung einmal jährlich warten ließen. Im Rahmen der Amtsermittlung hätte der Beklagte den Gebührenbescheid sowie die Heizungswartungsrechnung abfordern müssen.

 

Mit Urteil vom 19. Februar 2021 hat das SG die Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Widerspruch der Kläger sei nicht erfolgreich gewesen, da er vollständig zurückgewiesen worden sei. Zwar hätten die Kläger aus formaler Betrachtungsweise obsiegt. Dies beruhe jedoch auf der nachträglichen Erfüllung von Mitwirkungspflichten. Dies stehe einer Kostenerstattungspflicht des Beklagten entgegen. Die Rechtsfragen seien höchstrichterlich geklärt.

 

Gegen das ihnen am 10. März 2021 zugestellte Urteil haben die Kläger am 9. April 2021 Nichtzulassungsbeschwerde beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt erhoben und ausgeführt: Das SG sei von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) abgewichen. Der Beklagte habe bei Erlass des Ausgangsbescheids gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verstoßen. Der Erlass eines endgültigen Bescheids trotz erst künftig ermittelbarer, allenfalls prospektiv schätzbarer Umstände ohne rechtliche Schätzungsbefugnis statt eines vorläufigen Bescheids sei nach der Rechtsprechung des BSG von Anfang an rechtswidrig. Da die Abfallgebührensatzung im Amtsblatt des Landkreises Wittenberg veröffentlicht worden sei, habe der Beklagte diese Gebühren zum Zeitpunkt der Fälligkeit ab öffentlicher Bekanntgabe bewilligen bzw. als Bedarf berücksichtigen müssen. Zudem habe die Entscheidung grundsätzliche Bedeutung. Diese ergebe sich daraus, dass der Beklagte seit vielen Jahren Unterkunftskosten nur auf Nachweis erbringe und damit gegen das Bedarfsdeckungsprinzip verstoße. Nach Auffassung der Kläger sei eine vorläufige Leistungserbringung auf der Grundlage des Vorjahres vorzunehmen. Die Entscheidung des Beklagten wäre aufzuheben und der Klage stattzugeben gewesen.

 

Die Kläger beantragen,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 19. Februar 2021 zuzulassen. 

 

Der Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Er führt aus, keiner der in § 144 Abs. 2 SGG geregelten Zulassungsgründe liege vor. Eine grundsätzliche Bedeutung der Sache sei nicht erkennbar. Es handle sich um eine Einzelfallentscheidung, die das SG auf der Grundlage der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften und in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung getroffen habe. Eine Divergenz liege nicht vor. Das SG habe keinen von der Rechtsprechung des LSG oder BSG abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Auch die Kläger hätten keine abweichende Entscheidung benannt. Zudem liege kein Verfahrensmangel vor, denn ein konkreter Verfahrensverstoß sei nicht gerügt worden.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung des Senats gewesen ist.

 

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

 

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung ist zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdefrist von einem Monat gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gewahrt.

 

Sie ist jedoch unbegründet. Nachdem die Berufung aufgrund des Streitgegenstands nicht bereits gesetzlich eröffnet ist (hierzu unter 1.), hat das SG die Berufung gegen das Urteil vom 19. Februar 2021 zu Recht nicht zugelassen, weil keiner der gesetzlichen Zulassungsgründe (hierzu unter 2.) vorliegt.

 

1.

 

Ohne Zulassung ist die Berufung nur bei wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG), was bei einer Kostenentscheidung im Widerspruchsverfahren nicht der Fall ist. Das Begehren der Kläger überschreitet zudem nicht den Wert von 750 €, ab dem bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, eine Berufung ohne Zulassung eröffnet ist (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG). Denn die Rechtsanwaltsgebühren für ein Widerspruchsverfahren im Rahmen der SGB II-Leistungsgewährung betragen in der Regel deutlich weniger als 750 €.

 

2.

 

Ist die Berufung nicht bereits gesetzlich eröffnet, ist sie gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr.3).

 

a) Der Entscheidung in der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die das SG auf der Grundlage der gesetzlichen Vorschriften und unter Anwendung der dazu ergangenen höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung getroffen hat. Eine grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn ein Verfahren bisher nicht geklärte, aber klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfragen aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Auflage 2020, § 144 Rn. 28). Ungeklärte und rechtserhebliche Rechtsfragen sind weder von den Beteiligten aufgeworfen worden noch aus dem Inhalt der Verfahrensakten für den Senat ersichtlich. Hinsichtlich der geltend gemachten Kosten des Widerspruchsverfahrens existiert hinreichende höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 12. Juni 2013, B 14 AS 68/12 R, juris).

 

Soweit die Kläger eine grundsätzliche Klärung des Umfangs der Amtsermittlungspflicht des Beklagten begehren, handelt es sich um keine klärungsbedürftige Rechtsfrage im Rahmen einer Kostenentscheidung des Widerspruchsverfahrens.

 

b) Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegt nicht vor. Eine Divergenz im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass das SG in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz des LSG oder des BSG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung nicht den Kriterien entspricht, die diese Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn es diesen Kriterien widersprochen, also objektiv andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Eine eventuelle Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, wie eine fehlerhafte Subsumtion oder eine unzutreffende Beurteilung oder das Übersehen einer Rechtsfrage, begründet keine Divergenz i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG; es handelt sich dabei lediglich um einen unbeachtlichen Rechtsanwendungsfehler (vgl. BSG, Beschluss vom 5. Oktober 2010, B 8 SO 61/10 B, juris Rn. 11 zum gleichlautenden § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG). Dementsprechend handelt es sich nicht um eine nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG beachtliche Abweichung, wenn das SG einem vom BSG aufgestellten Rechtssatz folgen will, diesen aber missversteht, in seiner Tragweite verkennt oder sonst Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Einzelfall nicht übernimmt (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Januar 2016, L 4 AS 8/15 NZB, juris Rn. 21). Vorliegend hat das SG keinen von der Rechtsprechung der genannten Gerichte abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt. Vielmehr führt das SG im Urteil aus, dass es den Grundsätzen des BSG zu den Voraussetzungen bzw. Bedingungen einer Kostenerstattung folgt. Ob es diese Grundsätze auch richtig interpretiert und angewendet hat, kann keine Zulassung begründen.

 

Das Begehren des Klägers, der Beklagte möge die Kosten der Unterkunft vorläufig auf der Grundlage der bekannten Vorjahreskosten bescheiden (um im Rahmen der hier streitigen Kostenerstattung keinen Verstoß gegen Mitwirkungspflichten anzunehmen), lässt sich nicht mit dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 SGB II, welcher auf tatsächliche Aufwendungen abstellt, vereinen. Einen Zusammenhang oder gar Divergenz zu den in der zitierten Entscheidung des BSG vom 8. Dezember 2020 (B 4 AS 46/20 R) aufgestellten Rechtssätzen zur Bestimmtheit und Frist der Rücknahme einer Leistungsbewilligung für die Vergangenheit vermag der Senat nicht zu erkennen.

 

c) Schließlich haben die Kläger auch keinen beachtlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG gerügt.  Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift zum Ablauf des sozialgerichtlichen Verfahrens, deren Inhalt zwingend zu beachten ist. Insofern kann die Beschwerde nicht auf einen sachlichen bzw. inhaltlichen Mangel der Entscheidung, sondern nur auf das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg dorthin gestützt werden. Bei der Beurteilung, ob ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensmangel unterlaufen ist, muss von der Rechtsauffassung des SG ausgegangen werden (zum Vorstehenden vgl. Leitherer a.a.O. § 144 Rn. 32 f.).

 

Soweit die Kläger vortragen, der Beklagte habe bei Erlass des Ausgangsbescheids gegen den Amtsermittlungsgrundsatz und das Bedarfsdeckungsprinzip verstoßen, kann es sich allenfalls um einen möglichen Verfahrensfehler im Rahmen des Verwaltungsverfahrens und nicht des Gerichts auf dem Weg zum Urteil handeln.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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