L 8 SO 24/22 B ER

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 31 SO 23/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 8 SO 24/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

 

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 19. Mai 2022 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwältin G. als Verfahrensbevollmächtigte gewährt.

 

 

Gründe:

 

I.

Der Antragsteller macht im Wege des einstweiligen Anordnungsverfahrens die vorläufige Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - SGB IX) geltend.

 

Der am 2. August 1989 geborene Antragsteller absolvierte nach Erwerb des Hauptschulabschlusses an einer Förderschule für Lernbehinderte eine rehabilitative Ausbildung zum Beikoch. Seitdem bezieht der Antragsteller vom Jobcenter Salzlandkreis Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II). Seit März 2014 steht er unter Betreuung.

 

Der Antragsteller leidet nach einem Kindheitsunfall an einer ausgeprägten Gesichtsanomalie mit Verlust des rechten Auges. Zudem leidet er an einer leichten geistigen Behinderung und einer Drogenabhängigkeit. Bei ihm ist seit dem 1. November 2011 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 anerkannt, wobei als Funktionsbeeinträchtigung (nur) die operierte Gesichtsstörung rechts berücksichtigt ist (Feststellungsbescheid des Landesverwaltungsamts vom 29. März 2012).

 

Am 31. Januar 2017 beantragte der Antragsteller durch seinen Betreuer Eingliederungshilfe in Form eines Persönlichen Budgets. Er machte Leistungen aus den Leistungsbereichen medizinische Rehabilitation (Organisation und Begleitung von Arztkontakten, Anleitung zur gesunden Lebensführung und Entgiftung/Langzeittherapie Cannabis), Teilhabe am Arbeitsleben (ggf. Eingliederung in den Arbeitsmarkt) und Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (Hilfe bei der Erstellung/Pflege von Persönlichen Beziehungen und ggf. Eingliederung in gemeinschaftliche Aktivitäten) sowie ergänzende Leistungen (Hilfe bei der Führung des Haushalts, Erstellen von Haushaltsplänen, Hilfen beim Einkauf) geltend. Als mögliche beteiligte Leistungsträger gab er die Bundesagentur für Arbeit sowie die Sozialhilfe an. Er beantrage die Bewilligung von Geldleistungen in Form des Persönlichen Budgets.

 

In der Zeit vom 8. bis zum 28. März 2017 befand sich der Antragsteller zur stationären qualifizierten Entgiftungsbehandlung bei bekannter THC- und Amphetaminabhängigkeit in der S. gGmbH, Fachklinikum B. Im Entlassungsbericht vom 7. April 2017 sind folgende Diagnosen genannt:

 

Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide: Abhängigkeits- und Entzugssyndrom,

 

Psychische und Verhaltensstörungen durch andere Stimulanzien, einschließlich Koffein: Abhängigkeitssyndrom,

 

Neurofibromatose.

 

Der Antragsteller habe angegeben, seit ca. neun Jahren täglich Cannabis und seit ca. vier Jahren Crystal zu konsumieren. Er habe bislang viermal stationär entgiftet (zuletzt im Mai 2016). Eine Langzeittherapie in Sotterhausen habe er 2014 vorzeitig abgebrochen. Der psychopathologische Befund wird im Wesentlichen als unauffällig beschrieben. Aufmerksamkeits-, Konzentrationsvermögen und kognitive Funktionen erschienen regelrecht. Bei formalem Gedankengang habe kein Hinweis auf inhaltliche Denkstörungen bestanden. Im Aufnahmegespräch sei der Antragsteller freundlich und kontaktbereit, absprachefähig sowie krankheitseinsichtig gewesen. Es habe kein Anhalt für eine akute Eigen- bzw. Fremdgefährdung bestanden. Unter der medikamentenfreien Drogenentgiftung habe beim Antragsteller eine mäßiggradige vegetative Entzugssymptomatik unter stabilen Kreislaufverhältnissen beobachtet werden können. Klinisch hätten sich keine Hinweise für das Vorliegen einer weiteren psychischen Erkrankung gezeigt. Der Antragsteller sei in das suchtspezifische Therapieprogramm integriert worden und habe dabei zu einer längerfristigen Abstinenz motiviert mitgearbeitet.

 

Die Sachbearbeiterin des örtlichen Sozialhilfeträgers ermittelte am 16. März 2017 im Rahmen eines Hilfeplangesprächs gemeinsam mit dem Betreuer und dem Antragsteller in den Räumlichkeiten der S. gGmbH nach der Anlage A zum Rahmenvertrag nach § 79 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII in der vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung) einen Bedarf von 84 Punkten. Ihr gegenüber habe sich ein abstinenzwilliger junger Mann gezeigt, der die stationäre Aufnahme in die Klinik aufgrund seiner Suchtproblematik selbst initiiert habe.

 

In der amtsärztlichen Stellungnahme vom 26. April 2017 diagnostizierte der Facharzt für öffentliche Gesundheit und Kinderheilkunde Med. Dir. Dr. G1. beim Antragsteller eine leichte geistige Behinderung sowie bekannte Drogenabhängigkeit. Dieser bewohne eine eigene Wohnung, die er nach Aussage des Betreuers nur bedingt allein bewirtschaften könne. Der Antragsteller habe von einer langjährigen Drogenkarriere mit verschiedenen Wirkstoffen und hauptsächlichem Cannabiskonsum berichtet. Es bestehe keine völlige Abstinenz, er habe jedoch von reduziertem Konsum seit der letzten Entgiftungsbehandlung im März 2017 berichtet. Aufgrund des umfänglichen Hilfebedarfs sei eine rechtliche Betreuung eingerichtet worden. Der psychische Befund wird als örtlich, zeitlich und zur Person ausreichend orientiert und ohne Auffälligkeiten beschrieben. Aufgrund der Lernbehinderung bestehe beim Antragsteller ein ausgeprägter Hilfebedarf bei Angelegenheiten mit Behörden und Ämtern. Zudem benötige er Motivation bezüglich der Kontaktaufnahme zur Drogenberatungsstelle. Außerdem sei eine Unterstützung bei der Bewirtschaftung seiner Wohnung und bei der Realisierung seines Wunschs nach weiterer beruflicher Qualifikation notwendig. Der aufgeführte Hilfebedarf (Anlage A zum Rahmenvertrag nach § 79 SGB XII) werde ärztlicherseits bestätigt. Beeinträchtigungen alltagsrelevanter Aktivitäten sah Med. Dir. Dr. G1. im Rahmen des häuslichen Lebens (Einkaufen, Zubereitung von Mahlzeiten, Haushaltsführung und -reinigung), der Kommunikation sowie der interpersonellen Interaktion und Beziehung. Hierbei sei personelle Hilfe/Unterstützung notwendig. Beim Antragsteller liege vorrangig eine geistige Behinderung (Leitsyndrom) sowie begleitend eine seelische Behinderung infolge von Sucht vor. Durch die beantragte Eingliederungshilfe sollten die alltagsrelevanten Aktivitäten gestärkt und der Antragsteller bei der weiteren Berufsfindung motiviert und unterstützt werden.

 

Mit Schreiben vom 29. Mai 2017 wies der örtliche Sozialhilfeträger den Betreuer des Antragstellers darauf hin, vor Gewährung von Eingliederungshilfe seien vorrangig alle Leistungen anderer Kostenträger, d. h. Leistungen der Krankenkasse (Entgiftungsbehandlung) und Leistungen des Rententrägers (Sucht-Rehabilitation/Entwöhnungsbehandlung), auszuschöpfen. Daraufhin teilte der Betreuer des Antragstellers mit, dieser habe bereits mehrfach mehrwöchige Entgiftungsbehandlungen in der S. gGmbH absolviert und nehme Angebote der Suchtberatung wahr. Der Vorrangigkeitsbegriff diene lediglich dazu, den vorrangigen Leistungsträger innerhalb einer Hilfeart zu bestimmen. Alle Formen der Rehabilitation/Teilhabe stünden gleichberechtigt nebeneinander.

 

Am 5. April 2018 schlossen die Beteiligten eine Zielvereinbarung für den Zeitraum vom 1. April 2018 bis zum 31. März 2019, wonach dem Antragsteller ein monatliches Budget i.H.v. 319,67 € erbracht werde. Als Ziele wurden vereinbart:

 

Entgegenwirken der bestehenden Drogenproblematik (Erreichung einer dauerhaften Abstinenz durch Entgiftung, Entwöhnungsbehandlung und Nachsorge wie Suchtberatung)

 

Unterstützung zur Aufnahme einer Beschäftigung (BuFDi-Stelle)

 

Hilfestellung und Anleitung bei Haushaltsführung

 

Unterstützung bei Wohnungssuche.

 

Der Antragsteller sei aufgrund seiner seelischen Behinderung wesentlich in seiner Teilhabe eingeschränkt. Daher würden nach der Zielvereinbarung durch den Antragsgegner als überörtlichen Träger der Sozialhilfe Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erbracht. Der Antragsteller habe Anspruch auf Leistungen in den Lebensbereichen Arbeit und Beschäftigung i.H.v. 99,33 €, lebenspraktische Anleitung i.H.v. 57,60 €, besondere psychosoziale Hilfen i.H.v. 61,44 €, pflegerische Hilfen i.H.v. 78,26 € und Freizeit i.H.v. 23,04 €. Für die Leistungen zur Teilhabe (Eingliederungshilfe) werde monatlich ein Persönliches Budget (Teilbudget) in Höhe von insgesamt 319,67 € erbracht.

 

Mit Bescheid vom 13. April 2018 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller Eingliederungshilfe in Form von ambulanter Betreuung beim Wohnen für den Zeitraum vom 1. April 2017 bis zum 31. März 2018. Die Kosten für die Betreuungsleistungen würden in Form der Sachleistung in Höhe der tatsächlich in Anspruch genommenen Leistungen i.H.v. 2.324,70 € anerkannt. Zudem gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller auf der Grundlage der Zielvereinbarung vom 5. April 2018 für den Zeitraum vom 1. April 2018 bis zum 31. März 2019 Leistungen der Eingliederungshilfe als ambulante Hilfen für die seelische Behinderung in Form eines Persönlichen Budgets in Höhe von monatlich 319,67 €.

 

In der Folgezeit nahm der Antragsteller Fachleistungsstunden im Bereich besondere psychosoziale Hilfen, lebenspraktische Anleitung und in der Gruppe beim Sozialen Fachdienst (So.Fa.) B. in Anspruch. Die Abrechnungen hierüber legte er vereinbarungsgemäß dem örtlichen Sozialhilfeträger vor.

 

Auf den Weiterbewilligungsantrag des Antragstellers schlossen die Beteiligten am 19. Mai 2019 eine gleichlautende Zielvereinbarung für den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. September 2019, wonach dem Antragsteller weiterhin ein monatliches Budget i.H.v. 319,67 € erbracht werde. Die Umsetzung der Leistungsbewilligung erfolgte mit Bescheid des Antragsgegners vom 28. Mai 2019.

 

In der Folgezeit nahm der Antragsteller weiterhin Fachleistungsstunden im Bereich besondere psychosoziale Hilfen, lebenspraktische Anleitung sowie im September 2019 auch im Bereich Arbeit und Beschäftigung beim So.Fa. in Anspruch.

 

Auf den Weiterbewilligungsantrag des Antragstellers gewährte der Antragsgegner diesem mit Bescheid vom 5. Februar 2020 auf der Grundlage der Zielvereinbarung vom 19. Mai 2019 für den Zeitraum vom 1. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020 Leistungen zur Sozialen Teilhabe nach dem SGB IX als Assistenzleistungen auf der Grundlage der Feststellungen im Gesamtplan. Die Eingliederungshilfe werde als Geldleistung i.H.v. 319,67 € in Form eines Persönlichen Budgets erbracht.

 

In der Folgezeit nahm der Antragsteller weiterhin Fachleistungsstunden im Bereich Arbeit und Beschäftigung und besondere psychosoziale Hilfen beim So.Fa. in Anspruch.

 

Am 5. März 2020 erstellte die Mitarbeiterin des Sozialen Fachdienstes des örtlichen Sozialhilfeträgers G2 einen Gesamtplan nach § 121 SGB IX (in der vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Oktober 2022 geltenden Fassung). Als Diagnosen führte sie eine leichte geistige Behinderung sowie eine bekannte Drogenabhängigkeit des Antragstellers auf. Im Rahmen der konkreten Ziele im Leistungsbereich Persönliche Lebensplanung/Gestaltung sozialer Beziehungen/Freizeit habe der Antragsteller clean werden und Absolvieren einer Langzeittherapie angegeben. Indikatoren für die Zielerreichung seien die Inanspruchnahme der Suchtberatungsstelle, die Entgiftung vor der Langzeittherapie sowie die Inanspruchnahme und Beendigung der Langzeittherapie. Da eine Integration in entsprechende Maßnahmen des SGB II-Trägers bisher aufgrund der Drogenproblematik und der damit verbundenen multiplen Problemlagen nicht habe erfolgen können, solle im Leistungsbereich Bildung/Arbeit/Tagesstruktur aus fachlicher Sicht grundlegend geprüft werden, ob noch eine Erwerbsfähigkeit des Antragstellers gegeben sei. Im Leistungsbereich Selbstversorgung/Wohnen erhalte der Antragsteller Unterstützung durch seinen gerichtlich bestellten Betreuer, seine Mutter und seine Schwester. Er könne seinen Wohnraum eigenständig sauber halten. Er befinde sich nicht in regelmäßiger fachärztlicher Behandlung, gehe ein- bis zweimal jährlich zur Entgiftung ins Fachkrankenhaus B. Die Aufenthalte erfolgten freiwillig und nach Absprache mit dem Betreuer, welcher sich um einen entsprechenden Platz kümmere. Im Leistungsbereich Persönliche Lebensplanung/ Gestaltung sozialer Beziehungen/Freizeit habe der Antragsteller angegeben, nicht zu wissen, welche Ziele er im Leben verfolgen möchte und wo er hinmöchte. Er lebe aktuell in den Tag hinein und konsumiere regelmäßig Cannabis und gelegentlich andere Substanzen. Er plane eine erneute Langzeittherapie und habe sich hierzu ein Klinikum in Kelbra angesehen. Die Mitarbeiterin schätzte ein, aus fachlicher Sicht benötige der Antragsteller eine stetige Begleitung sowie intensive Unterstützung in Form individueller Planung, Anleitung und Rückmeldung. Die Suchtproblematik stehe im Vordergrund und wirke sich negativ auf alle Lebensbereiche aus. Ohne permanente Motivation von außen sei er nicht in der Lage, die Suchtberatungsstelle aufzusuchen und erneut eine Langzeittherapie anzugehen. Der tatsächliche Bedarf liege aus fachlicher Sicht deutlich höher und könne nur im Rahmen einer besonderen Wohnform adäquat gedeckt werden, da bislang durch das Persönliche Budget keine beständige Veränderung habe erzielt werden können. Dies lehne der Antragsteller aktuell jedoch ab. Sie schätze ein, mit Unterstützung des Persönlichen Budgets solle der Status quo erhalten werden. Es wurde die Hilfebedarfsgruppe 1 festgestellt. Unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts solle als Leistungsform das Persönliche Budget zur Inanspruchnahme der Dienste des So.Fa. erbracht werden.

 

Am 7. Mai 2020 teilte der Rehapädagogische Fachdienst des Antragsgegners dem örtlichen Sozialhilfeträger mit, der vorgeschlagenen Einstufung des Antragstellers in die Hilfebedarfsgruppe 1 könne nicht zugestimmt werden. Dieser gehöre nicht zur Zielgruppe der Eingliederungshilfe. Er habe einen guten Umgang mit seiner Sucht gefunden und ein Abstinenzwille sei nicht erkennbar. Insofern könne das Ziel der Eingliederungshilfe nicht erreicht werden.

 

Auf den Weiterbewilligungsantrag des Antragstellers gewährte der Antragsgegner diesem mit Bescheid vom 26. Mai 2020 auf der Grundlage der Zielvereinbarung vom 19. Mai 2019 für den Zeitraum vom 1. April bis zum 31. Mai 2020 Leistungen der Eingliederungshilfe als Assistenzleistungen in Form eines Persönlichen Budgets i.H.v. monatlich 319,67 €. Mit Bescheid vom gleichen Tag lehnte der Antragsgegner die Gewährung von Eingliederungshilfe als Assistenzleistung auf der Grundlage der Feststellungen im Gesamtplan ab Juni 2020 ab. Der Antragsteller gehöre nicht zur Zielgruppe der Eingliederungshilfe. Er erhalte seit April 2018 Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Form des Persönlichen Budgets mit dem Ziel des Entgegenwirkens der bestehenden Drogenproblematik und des Erreichens dauerhafter Abstinenz. Er habe in der Vergangenheit bereits die Möglichkeit einer Langzeittherapie genutzt, diese jedoch nach drei Monaten abgebrochen und bereits am Entlassungstag wieder illegale Substanzen konsumiert. Er sei auch aktuell Konsument illegaler Substanzen, ein Abstinenzwille sei nicht erkennbar. Insofern könne das Ziel der Eingliederungshilfe nicht erreicht werden. Zusammenfassend habe die Hilfebedarfsüberprüfung ergeben, dass die beantragten Leistungen der Eingliederungshilfe in Form des Persönlichen Budgets nicht geeignet seien, da dem Antragsteller der Abstinenzwille fehle und dies dem Ziel der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft entgegenstehe.

 

Gegen diesen Ablehnungsbescheid legte der Antragsteller am 11. Juni 2020 Widerspruch beim Salzlandkreis ein und führte zur Begründung aus, er gehöre zum leistungsberechtigten Personenkreis. Zudem sei es widersprüchlich, seinen Abstinenzwillen zu verneinen, obwohl er eine Langzeittherapie beginnen wolle. Sowohl der Amtsarzt als auch die Gesamtplanerin Frau Gottweis hätten die beantragte Hilfe als geeignet eingeschätzt. Er legte die Rechnungen des So.Fa. für deren erbrachte Leistungen im Mai, Juni, Juli und August 2020 vor.

 

Der Antragsgegner wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2022 zurück: Der Antragsteller gehöre zwar zum leistungsberechtigten Personenkreis, die Aufgabe der Eingliederungshilfe könne jedoch nicht erreicht werden. Da nicht von einem aufgehobenen Leistungsvermögen im Erwerbsleben von hinreichender Dauer ausgegangen werden könne, seien die Träger der Renten-, Kranken- oder Arbeitslosenversicherung für die erforderlichen Leistungen der medizinischen und beruflichen Teilhabe zuständig, die den Leistungen des Sozialhilfeträgers vorgingen.

 

Dagegen hat der Antragsteller am 24. Februar 2022 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben (S 31 SO 19/22), über die bislang nicht entschieden worden ist.

 

Zudem hat der Antragsteller am 2. März 2022 beim SG einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und zur Begründung ausgeführt, er leide unter psychischen Verhaltensstörungen und Verhaltensstörungen nach multiplem Substanzgebrauch mit Abhängigkeitssyndrom, einer leichten geistigen Behinderung, grünem Star sowie einer Neurofibromatose Recklinghausen. Seine Probleme seien im Zusammenspiel zwischen geistiger und seelischer Behinderung zu betrachten. Grund für die bislang gescheiterten Langzeittherapien sei neben der seelischen Behinderung auch seine geistige Behinderung, welche es ihm erschwere, eine ausreichende Einsicht in die Notwendigkeit der erfolgreichen Durchführung der Therapien zu entwickeln. Daher sei über einen langfristigen Zeitraum eine ständige Begleitung und Motivation erforderlich. Er sei aufgrund seiner Erkrankung auch nicht erwerbsfähig. Seit der Unterstützung durch den So.Fa im Rahmen der Leistungen des Persönlichen Budgets habe sich zwar seine persönliche und häusliche Situation gebessert. Jedoch seien weiterhin dringend Leistungen erforderlich, um eine weitere Verbesserung der persönlichen und sozialen Situationen zu erreichen bzw. um einen Rückfall in alte Denkmuster zu vermeiden. Andernfalls wäre mit einer erheblichen Verschlechterung seiner Situation bis hin zur Verwahrlosung zu rechnen.

 

Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, der Antragsteller habe weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft machen können. Einen Nachweis für eine zumindest befristete Erwerbsunfähigkeitsrente habe der Antragsteller nicht vorgelegt. Er stehe im SGB II-Leistungsbezug und könne sich in der Häuslichkeit selbst versorgen. Unter Verweis auf eine Entscheidung des 8. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Sachsen-Anhalt vom 27. Januar 2022 (L 8 SO 45/21 B ER) hat er ausgeführt, erst wenn vorrangige Leistungsträger nicht mehr in Frage kämen, weil das Leistungsvermögen nicht mehr vorhanden wäre, käme ein Anspruch gegenüber dem Sozialleistungsträger auf Eingliederungshilfe in Betracht. Die erforderliche Langzeittherapie stelle eine Leistung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V) dar.

 

Mit Beschluss vom 19. Mai 2022 hat das SG den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Anordnungsverfahrens verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab dem 2. März 2022 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 31. Dezember 2022, Leistungen zur sozialen Teilhabe als Assistenzleistungen in Form eines Persönlichen Budgets in Höhe von monatlich 319,67 € zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei zulässig und begründet. Der Antragsteller habe Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Er habe dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß den §§ 90, 99, 113 Abs. 1 SGB IX. Er leide an einer Drogenabhängigkeit und gehöre damit zur Personengruppe der seelisch [wesentlich] behinderten Menschen im Sinne des § 3 Nr. 3 Eingliederungshilfe-Verordnung. Der Umstand, dass der Antragsteller erwerbsfähig sei und Leistungen nach dem SGB II beziehe, stehe einem Anspruch auf Eingliederungsleistungen nicht entgegen. Die begehrten Leistungen der psychosozialen Betreuung seien unproblematisch der Eingliederungshilfe und nicht den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zuzuordnen. Eine wesentliche Änderung der amtsärztlich festgestellten Beeinträchtigungen der alltagsrelevanten Aktivitäten des Antragstellers sei für das Gericht nicht ersichtlich. So sei auch im Bericht zum Gesamtplan vom 5. März 2020 ausgeführt, mit Unterstützung des Persönlichen Budgets solle der Status quo erhalten bleiben. Eine intensivere Form der Hilfe könne der Antragsteller aktuell nicht zulassen. Die hiervon abweichende Einschätzung des Rehapädagogischen Fachdienstes vom 7. Mai 2020, wonach das Ziel der Eingliederungshilfe mangels Abstinenzwillens nicht erreicht werden könne, überzeuge nicht. Ein Abstinenzwille sei bereits daher erkennbar, dass sich der Antragsteller um eine weitere Therapie in einer Klinik in Kelbra bemüht habe. Diesen Wunsch habe er erneut im Oktober 2020 durch seinen Betreuer bekräftigt. Es liege auf der Hand, dass bei einer langjährigen Drogenproblematik eine umfassende und ggf. auch langwierige Hilfe zur Überwindung der Sucht und zur stabilen und langfristigen Wiedereingliederung in die Gemeinschaft erforderlich sei. Die Argumentation des Antragsgegners, erst durch eine Abstinenz des Antragstellers könnten die Ziele der Eingliederungshilfe erreicht werden, stelle einen Zirkelschluss dar. Denn der zu deckende Bedarf bestehe gerade in der intensiven Betreuung und Unterstützung, vor allem hinsichtlich der Motivation, die Suchtberatungsstelle aufzusuchen und weitere Bemühungen zu unternehmen, um eine Langzeittherapie anzugehen, um so einen Weg aus der Sucht und damit die Eingliederung in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Die angestrebte Abstinenz könne gerade nur durch Hilfen im Vorfeld erreicht werden. Zu den Aufgaben der Eingliederungshilfe gehöre es, Behinderungen bzw. ihre Folgen für die Teilhabefähigkeit, insbesondere auch durch Besserung des seelischen Zustands, zu mildern. Die begehrte Leistung sei geeignet und erforderlich, um zunächst den Status quo zu erhalten und damit einen Rückzug aus dem sozialen Leben zu verhindern. Dass zwischen den Beteiligten noch keine Zielvereinbarung abgeschlossen sei, stehe dem Anspruch nicht entgegen. Die Leistungen seien in der bisher erbrachten Höhe von monatlich 319,67 € ausreichend, um den bestehenden Bedarf zu decken.

 

Gegen den ihm am 30. Mai 2022 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 14. Juni 2022 Beschwerde beim LSG Sachsen-Anhalt eingelegt und ausgeführt, nach Einschätzung des Fachdienstes benötige der Antragsteller Hilfe in einer besonderen Wohnform. Dafür spreche, dass die bisherige Hilfe ohne Erfolg geblieben sei. Ohne abgeschlossene Zielvereinbarung hätte das SG allenfalls die Leistung an sich, nicht jedoch in Form eines Persönlichen Budgets gewähren dürfen.

 

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 19. Mai 2022 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

 

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 19. Mai 2022 zurückzuweisen.

Er hält den angegriffenen Beschluss für zutreffend.

 

Der Senat hat am 19. Juli 2022 einen Erörterungstermin durchgeführt. Der Antragsteller hat vorgetragen, er nehme weiterhin die Dienste des So.Fa in Anspruch. Die Leistungen würden derzeit aus seinem Regelbedarf finanziert, da der Antragsgegner das Persönliche Budget trotz Beschluss des SG nicht auszahle. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

 

Im Nachgang zum Termin hat der Antragsteller fortlaufende monatliche Rechnungen des So.Fa. über erbrachte Leistungen von September 2020 bis einschließlich Mai 2022 und Kontoauszüge vorgelegt, wonach er im März 2022 Leistungen in Höhe von 132,00 €, im April 2022 in Höhe von 120,00 € sowie im Mai und Juni 2022 in Höhe von jeweils 96,00 € für Fachleistungsstunden im Persönlichen Budget - Arbeit und Beschäftigung/Psychosoziale Hilfen in Anspruch genommen hat.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen. Diese haben bei der Entscheidungsfindung des Senats vorgelegen.

 

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet.

 

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht die isolierte Anfechtungsklage die zutreffende Klageart ist, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte; einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Nach Satz 4 dieser Vorschrift gelten die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Abs. 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend.

 

Ein Anordnungsanspruch des Antragstellers gegen den Antragsgegner besteht nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung. Zur Begründung verweist der Senat gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die Ausführungen des SG in dem angegriffenen Beschluss, die er sich nach eigener Prüfung zu eigen macht.

 

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es gemäß § 90 Abs. 1 SGB IX (in der ab dem 1. Januar 2020 geltenden Fassung) Aufgabe der Eingliederungshilfe ist, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung soll sie befähigen, ihre Lebensplanung und       -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können. Dabei ist es nach § 90 Abs. 5 besondere Aufgabe der sozialen Teilhabe, die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Abzugrenzen davon ist die Teilhabe am Arbeitsleben, also die Aufnahme, Ausübung und Sicherung einer der Eignung und Neigung der Leistungsberechtigten entsprechenden Beschäftigung sowie die Förderung der Weiterentwicklung ihrer Leistungsfähigkeit und Persönlichkeit. Der Antragsgegner irrt, wenn er meint, aufgrund des SGB II-Leistungsbezugs des Antragstellers sei er für die begehrte Leistung der Eingliederungshilfe nicht zuständig. Zum einen ist fraglich, ob der Antragsteller tatsächlich erwerbsfähig ist. Bereits im Gesamtplan des Sozialen Fachdienstes des örtlichen Sozialhilfeträgers vom 5. März 2020 ist mitgeteilt worden, aus fachlicher Sicht besteht das Prüfungserfordernis, ob noch Erwerbsfähigkeit des Antragstellers vorliege. Soweit der Antragsteller ebenfalls vorträgt, er sei nicht mehr erwerbsfähig, kann er eine Klärung hierüber durch eine entsprechende Erklärung beim SGB II-Träger oder Antragstellung einer Erwerbsminderungsrente beim Rentenversicherungsträger erreichen. Der Rentenversicherungsträger könnte dann die erforderlichen medizinischen Ermittlungen einleiten. Ggf. sollte der Antragsgegner beim SGB II-Träger eine solche Prüfung anregen.

 

Aber selbst wenn man beim Antragsteller nicht von einem aufgehobenen Leistungsvermögen im Erwerbsleben von hinreichender Dauer ausgeht, bleibt der Antragsgegner für die hier begehrten Leistungen der Eingliederungshilfe zuständig. Soweit sich dieser auf die Entscheidung des Senats vom 27. Januar 2022 (L 8 SO 45/21 B ER) beruft, verkennt er, dass der Senat eine vorrangige Zuständigkeit der Renten-, Kranken- oder Arbeitslosenversicherung lediglich für Leistungen der medizinischen und beruflichen Teilhabe, nicht jedoch für Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft angenommen hat. Die Regelungen des SGB II zielen auf die Eingliederung in Arbeit ab und sehen entsprechend im 3. Kapitel neben den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entsprechende Leistungen zur Eingliederung in Arbeit vor. Leistungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft sind in § 28 Abs. 7 SGB II lediglich für Leistungsberechtigte bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres vorgesehen. Darüber hinausgehende Leistungen sind für den Senat nicht ersichtlich, so dass der Antragsgegner für diese Leistungen allein zuständig ist. Zudem hat der Antragsgegner den Antrag auch nicht entsprechend § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX an den seiner Ansicht nach zuständigen Leistungsträger weitergeleitet. Vielmehr hat er mit Bescheiden vom 26. Mai 2020 für die Monate April und Mai 2020 einen Eingliederungshilfeanspruch des Antragstellers bejaht und ab Juni 2020 abgelehnt, ohne dass eine wesentliche Änderung in den persönlichen Verhältnissen des Antragstellers für den Senat erkennbar ist.

 

Nach den Einlassungen des Antragstellers im Erörterungstermin hat der Senat keinen Zweifel an dessen Abstinenzwillen. So hat er im letzten Jahr nach Aufsuchen der Suchtberatungsstelle eine weitere ca. sechswöchige Entgiftung durchgeführt und im Anschluss daran eine Langzeittherapie begonnen. Diese hat er zwar - nach seinen Angaben durch eine coronabedingte Überbelegung der Klinik - abgebrochen. Er steht jedoch sowohl mit der Suchtberatungsstelle als auch mit der Sozialarbeiterin der S. gGmbH in Kontakt und plant erneut eine Langzeittherapie in einer Klinik in E. Die Durchführung der Entgiftung und Langzeittherapie sind Maßnahmen der Krankenbehandlung und Medizinischen Rehabilitation und gehören somit zum Leistungsspektrum anderer Leistungsträger. Diese Leistungen begehrt der Antragsteller auch nicht vom Antragsgegner. Vielmehr begehrt er durch Maßnahmen der psychosozialen Betreuung die Ermöglichung bzw. Erleichterung der gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.

 

Der Antragsgegner verhält sich widersprüchlich, wenn er sich einerseits darauf beruft, der Antragsteller habe einen höheren Hilfebedarf als bisher und gleichzeitig aber die Weitergewährung wenigstens der bisherigen Hilfe ablehnt. Im Rahmen des Hauptsacheverfahrens sollte der tatsächliche Hilfebedarf weiter ermittelt werden.

 

Rechtsgrundlage für den Anspruch des Antragstellers auf die Ausführung von Leistungen in Form eines Persönlichen Budgets ist § 29 SGB IX (in der vom 1. Januar 2018 bis zum 31. Dezember 2023 geltenden Fassung). Danach werden auf Antrag des Leistungsberechtigten Leistungen zur Teilhabe durch die Leistungsform eines Persönlichen Budgets ausgeführt, um den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen (§ 29 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Das Persönliche Budget wird in der Regel als Geldleistung ausgeführt, bei laufenden Leistungen monatlich (§ 29 Abs. 2 Satz 1 SGB IX).

 

Inwieweit ein Persönliches Budget trotz fehlender Zielvereinbarung im Wege des Eilrechtsschutzes oder im Klagewege durchsetzbar ist, ist umstritten. Zwar handelt es sich bei der Zielvereinbarung lediglich um eine formelle Voraussetzung für die Bewilligung von Teilhabeleistungen in Form eines Persönlichen Budgets (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 28. Januar 2021, B 8 SO 9/19 R, juris, Rn. 27). Welche Konsequenzen eine fehlende Zielvereinbarung für das Persönliche Budget hat, ist höchstrichterlich jedoch nicht geklärt (offen gelassen in BSG, a. a. O.; Sächsisches LSG, Beschluss vom 11. November 2021, L 8 SO 39/21 B ER, juris, Rn. 31). Diese Entscheidung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten, wobei zur Überzeugung des Senats ebenfalls zu berücksichtigen sein wird, ob hier Anhaltspunkte für eine Nachwirkung der zuletzt abgeschlossenen Zielvereinbarung bestehen.

 

Zwar ist eine solche Nachwirkung nicht im Gesetz vorgesehen (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. November 2016, L 9 SO 522/16 B ER, juris Rn. 7). Jedoch hat der Antragsgegner selbst seine Bewilligungsentscheidungen vom 5. Februar 2020 und vom 26. Mai 2020 auf die zuletzt abgeschlossene Zielvereinbarung vom 19. Mai 2019 (Zeitraum 1. April bis 30. September 2019) gestützt, obwohl der vereinbarte Geltungszeitraum längst abgelaufen war. Mithin ist nach Auffassung des Senats bei unveränderten Tatsachen eine derartige Nachwirkung ggf. zu prüfen.

 

Soweit der Antragsgegner einwendet, der Antragsteller habe seit der Entscheidung des SG die Leistungen nicht in Höhe des Persönlichen Budgets ausgeschöpft, ist dies nach Auffassung des Senats auf den Umstand zurückzuführen, dass dieses durch den Antragsgegner trotz gerichtlicher Verpflichtung nicht ausgezahlt wurde. Dies macht den Beschluss des SG nicht nachträglich fehlerhaft. Hier bleibt im Hauptsacheverfahren zu klären, wie hoch der Bedarf tatsächlich ist und welche weiteren Leistungen (ggf. nachträglich) zu berücksichtigen sein werden. So hat auch das BSG in seiner Entscheidung vom 28. Januar 2021 (B 8 SO 9/19 R) ausgeführt, bei Beschreiten des Rechtswegs kämen auch im Rahmen des Persönlichen Budgets Leistungen für die Vergangenheit in Betracht.

 

Ein Anordnungsgrund ist ebenfalls glaubhaft gemacht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein, d. h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert. Eine solche Notlage ist bei einer Gefährdung der Existenz oder erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen zu bejahen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG-Kommentar, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 29a). Der Antragsteller bestreitet die Finanzierung der begehrten Eingliederungsleistungen seit der Ablehnung durch den Antragsgegner in reduzierter Form aus seinem Regelsatz. Mithin ist mangels weiterer Einnahmen aktuell sein Existenzminimum gefährdet. Zu Recht hat das SG zudem darauf hingewiesen, dass bei Ablehnung der Leistung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache die Gefahr des sozialen Rückzugs und der Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands des Antragstellers besteht.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Der Antragsteller hat Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten. Er kann als SGB II-Leistungsbezieher nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen. Die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist bereits wegen des Erfolgs im ersten Rechtszug nicht zu prüfen (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).

 

gez. Klamann                         gez. Hüntemeyer                               gez. Dr. Yokota

Rechtskraft
Aus
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