Eine wiederholte Patellaluxation ist wesentlich durch ein Ausrutschen verursacht, wenn bei nachgewiesener geringer Fehlform die letzte Luxation 23 Jahre zurückliegt.
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. März 2018 sowie der Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2016 werden aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 3. Dezember 2014 ein Arbeitsunfall mit der Folge einer Kniescheibenverrenkung rechts ist.
Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge und das Vorverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Vorfall am 3. Dezember 2014 als Arbeitsunfall mit der Folge einer Kniescheibenverrenkung bzw. einer Prellung am rechten Knie anzuerkennen ist.
Die Klägerin war am Unfalltag als Laborantin im Krankenhaus beschäftigt. Nach dem
D-Arztbericht von Dr. P. rutschte sie auf dem Weg ins Labor auf dem nass gewischten Flur aus und fiel auf das rechte Knie. Dr. P. konnte eine starke Schwellung im Kniegelenk feststellen. Der Bewegungsumfang war schmerzbedingt stark eingeschränkt mit einer Extension/Flexion von 0/10/40 Grad. Die Kniescheibe stellte sich klinisch zentriert dar. Es bestanden ubiquitär ein Druckschmerz sowie ein intraartikulärer Erguss. Seine Diagnose lautete Kniekontusion rechts.
In dem MRT vom 3. Dezember 2014 wurde von dem Radiologen Dr. B. eine offenbar anlagemäßig sehr flache, schmale Patellagleitbahn mit erhaltenem Knorpelsaum festgestellt. Es zeige sich weiter eine Lateralisierung der Patella um mehr als einen Zentimeter.
Im Weiteren informierte Dr. P. über die Behandlung der Klägerin vom 3. bis 4. Dezember 2014 (Bericht vom 17. Dezember 2014). Er diagnostizierte nun einen Zustand nach Patellaluxation rechts mit vollständiger Ruptur des medialen Retinaculums und der Gelenkkapsel sowie Teilruptur des Innenbandes. Die nachfolgende Röntgen - und MRT-Untersuchung habe eine deutliche Lateralisation der Patella gezeigt. Die Klägerin sei konservativ behandelt worden.
Am Folgetag (4. Dezember 2014) berichtete der Chefarzt der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Krankenhauses G., Dr. J., bei der Klägerin bestehe ein Zustand nach Patellaluxation rechts mit vollständiger Ruptur des medialen Retinaculums und der medialen Gelenkkapsel sowie Teilruptur des Innenseitenbandes. Klinisch finde sich weiterhin eine erhebliche Weichteilschwellung des rechten Kniegelenkes mit Hämatombildung und deutlichem Kniegelenkserguss. Anamnestisch sei zu berichten, dass die Klägerin bereits dreimal rechtsseitig eine Patellaluxation gehabt habe, wobei die letzte 20 Jahre zurückliege.
Im Weiteren teilte die Klägerin mit, sie sei um 5:15 Uhr im Rahmen ihrer Rufbereitschaft wegen eines Notfalls alarmiert worden. Als sie um 5:45 Uhr aus dem Umkleideraum zum Labor gegangen sei, sei sie ausgerutscht. Die Kniescheibe sei sofort raus gewesen. Sie habe sie selbst wieder rein bekommen und sich in das Labor geschleppt. Nach getaner Arbeit habe sie sich dann zu dem D-Arzt im Krankenhaus begeben.
In einem Unfallfragebogen beschrieb die Klägerin den Unfall näher. Sie gab an, es sei alles zu schnell gegangen und sie sei ohne Erinnerung. Sie sei zur Seite gefallen - sicherlich auf das Gesäß. Die Frage, ob sie mit dem Kniegelenk aufgeschlagen sei, verneinte die Klägerin. Beigefügt war eine Fotografie des Knies der Klägerin, auf der ein sehr großer und ausgebreiteter Bluterguss links und rechts unterhalb der Kniescheibe zu erkennen ist. Am 19. Dezember 2014 bekräftigte die Klägerin in einem weiteren Fragebogen, dass sie sicherlich auf das Gesäß gefallen sei. Befragt zu der Haltung der Füße, Beine und des Oberkörpers betonte sie erneut, dass alles sehr schnell gegangen sei und sie ohne Erinnerung sei. 1976 sei die Kniescheibe bei einem Fußballspiel herausgesprungen.
Vom 8. bis 13. Dezember 2014 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in dem Krankenhaus G. Bei der Aufnahmeuntersuchung wurden eine starke Schwellung mit Erguss, eine großflächige Hämatomverfärbung im Bereich des linken Kniegelenkes, Druckschmerzen und eine stark eingeschränkte Beweglichkeit vermerkt. Im Rahmen der Operation am 8. Dezember 2014 erfolgten eine Retinaculumspaltung mit Zügelungsoperation an der Kniescheibe sowie eine Bandplastik am Kniegelenk nahe dem medialen Kollateralband. Während der Operation zeigte sich ein älterer Knorpelschaden. Frische knöcherne Verletzungen fanden sich nicht. Es bestand eine vollständige Verletzung des MPFL-Apparates (mediales patellofemorales Ligament; dies hindert die Kniescheibe daran, aus dem Gleitlager nach außen herauszuspringen).
Am 22. März 2015 führte der Beratungsarzt der Beklagten Dr. L. aus, vorliegend sei eine Kniescheibenverrenkung durch das MRT und die Operation nachgewiesen. Allerdings seien bereits vor dem hier streitigen Vorfall drei weitere Kniescheibenverrenkungen erfolgt. Die Vorschäden, die sofortige und spontane Reposition der verrenkten Kniescheibe und der anlagebedingte Kniescheibenhochstand sprächen dafür, dass es am 3. Dezember 2014 zu einem Rezidiv einer Kniescheibenverrenkung rechts gekommen sei. Eine Teilursächlichkeit des Unfalles ließe sich aber partiell nicht ausschließen. Weitere Ermittlungen seien sinnvoll.
Im Weiteren wurde am 10. April 2015 - wie von Dr. L. angeregt - eine Kniescheibensonderaufnahme rechts durchgeführt. Eine MRT-Untersuchung am 6. Mai 2015 ergab eine partielle Ruptur des hinteren Kreuzbandes und eine ventrale Luxation des Innenmeniskusvorderhorns ohne Rissbildung sowie einen Kniegelenkserguss. Es bestand eine regelrechte Stellung der Patella ohne Nachweis eines Knochenmarködems.
Nach Vorlage dieser Unterlagen wies Dr. L. in einer weiteren beratungsärztlichen Stellungnahme am 16. Mai 2015 darauf hin, dass sich die letzte Kniescheibenverrenkung 1991 ereignet habe. Die jetzt vorliegende Kniescheibensonderaufnahme zeige eine deutliche anlagebedingte Kniescheibenfehlform (Dysplasie) mit einem fast vollständigen Fehlen der inneren Kniescheibengelenkfläche. Darüber hinaus finde sich anlagebedingt eine deutliche Verkürzung des inneren Kniescheibengleitlagers. In Verbindung mit dem ebenfalls anlagebedingten Kniescheibenhochstand lägen damit ganz erhebliche Schadensanlagen vor, die zu einer Kniescheibenverrenkung disponierten. Damit sei nicht der Vorfall, sondern seien allein die ausgeprägten Schadensanlagen sowie die Vorschäden für die Verrenkung der rechten Kniescheibe wesentlich ursächlich. Auch seien keine Zeichen einer stattgehabten Krafteinwirkung auf die übrigen Anteile des Kniegelenkes, sondern nur Veränderungen durch die Verrenkung der rechten Kniescheibe festgestellt worden. Unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit hätten daher nicht vorgelegen.
Mit Bescheid vom 27. Mai 2015 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 3. Dezember 2014 als Arbeitsunfall ab und schloss sich dabei den Ausführungen von Dr. L. an.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und begründete dies überwiegend mit der Person von Dr. L.. Dieser sei parteilich. Die festgestellte Lateralisierung der Patella sei im Rahmen der Patellaluxation zu interpretieren. Das Fehlen eines bone bruise schließe eine Krafteinwirkung nicht aus. Die letzte vorhergehende Patellaluxation vor dem streitigen Unfall habe sich 1991 und damit vor über 20 Jahren ereignet. Im Übrigen sei die Feststellung von dispositionellen Faktoren kein Freibrief für eine Ablehnung der Kausalität.
Am 4. März 2016 erstattete der Radiologe Dr. H. eine Stellungnahme für die Beklagte. Er führte aus, frakturtypische oder verdächtige Veränderungen seien im MRT des rechten Kniegelenkes vom 3. Dezember 2014 nicht zu erkennen. Die Patella scheine etwas lateralisiert gelegen. In der Seitaufnahme finde sich ein normaler Stand der Patella mit einem Quotienten nach Insall und Salvati von 1,09 (Normalbefund zwischen 0,8 - 1,04). Unter anderem am Hoffa‘schen Fettkörper zeigten sich in der seitlichen Aufnahme deutliche Verdichtungen. Im axialen Bild finde sich eine Lateralisation der Patella. Im femoralen Patellagleitlager sei eine Hypoplasie der medialen Gelenksfacette am Condylus medialis dargestellt. Die Knorpeldeckung am Hauptgelenksspalt sei bis auf geringe Signalunregelmäßigkeiten regelrecht. Die digitale Radiografie der Patella vom 10. April 2015 zeige eine Konfiguration nach Wiberg 3 im Sinne einer Dysplasie. Die mediale Gelenkfläche des femoralen Patellagleitlagers sei hypoplastisch.
Der Radiologe wies darauf hin, dass bereits zum Unfallzeitpunkt eine Sklerosierungsvermehrung der subchondralen Grenzlamelle (Bereich zwischen dem Knorpel und dem Knochen) mit Degenerationszysten und beginnenden arthrotischen Ausziehungen nachzuweisen sei. Die Patella stehe normal hoch. Neben diesen vorbestehenden Veränderungen zeige das MRT vom 3. Dezember 2014 eine knöcherne Kontusion am lateralen Femurcondylus sowie eine sehr diskrete an der medialen Patellakante mit einer kompletten Ruptur des medialen Retinaculums und einer Teilruptur des Innenbandes. In der Zusammenschau liege zweifellos bereits zum Unfallzeitpunkt eine Patelladysplasie mit beginnenden degenerativen Veränderungen des Retropatellargelenkes vor. Ebenso zweifellos bestehe eine frische Traumatisierung des rechten Kniegelenkes. Die Ausprägung der Ödeme und der Einblutung sei nach seinen Erfahrungen nicht durch eine sogenannte habituelle Luxation der Patella erklärbar, sondern sicher und zweifelsfrei Ausdruck einer Traumatisierung des rechten Kniegelenkes. Insoweit bestehe ein kombiniertes Schadensbild aus Patelladysplasie, Zustand nach habituellen Luxationen und korrespondierender Arthrose des retropatellaren Gelenkes bei Hyperplasie des femoralen Patellagleitlagers am medialen Femurcondylus. Ebenso zweifellos seien die frischen und massiven Ödeme Zeichen einer posttraumatischen Schädigung. In dieser massiven Form und Ausprägung seien sie nicht im Rahmen einer habituellen und insbesondere rezidivierenden Patellaluxation zu erwarten. Die Rissbildung im medialen Retinaculum und die Teilruptur des Innenbandes bei ausgedehnten Weichteilhämatomen und Ödemen seien unfallbedingt.
Im Auftrag der Beklagten erstattete der Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie sowie Sozialmedizin M. am 26. April 2016 ein fachchirurgisches Gutachten für die Beklagte. Seiner Auffassung nach lag ein mäßiger Hochstand der Patella vor. Der Index nach Insall und Salvati betrage 1,22. Ab 1,25 könne von einem krankhaften Zustand gesprochen werden. Er führte aus, am 3. Dezember 2014 sei es zu einer wiederkehrenden Kniescheibenverrenkung gekommen. Gutachterlich sei es relevant, dass die letzte Kniescheibenverrenkung 23 Jahre zurückliege. Eine Kniescheibenverrenkung sei nur dann möglich, wenn sogenannte verrenkungsbegünstigende Faktoren vorlägen. Als Hauptursachen gälten die mediale Patelladysplasie, die mediale Trochleadysplasie, eine fehlende oder unzureichend ausgebildete Gleitrinne oder ähnliches.
Zunächst stelle sich die Frage, ob das Ereignis grundsätzlich geeignet gewesen sei, eine Kniescheibenverrenkung zu verursachen. Erst dann stelle sich die Frage, ob man aus einer Einblutung und Zerreißung von Bandstrukturen Schlüsse ziehen könne. Auch bei einer Verrenkung aus innerer Ursache könne es zu mittelbaren Schäden der Gelenkkapseln und/oder knöcherner oder knorpliger Strukturen kommen. Ausdrücklich werde in der Fachliteratur ausgeführt, dass auch im Rahmen von gewohnheitsmäßigen Kniescheibenverrenkungen Knorpelknochenfrakturen auftreten könnten.
Hier sei die Klägerin mit dem rechten Fuß auf nassem Untergrund weggerutscht. Ein sogenannter Dreh- oder Verwindungssturz habe nicht stattgefunden. Beim Wegrutschen mit dem Fuß gehe normalerweise der Kraftschluss verloren, so dass ein schädigender Verdrehmechanismus im Kniegelenk nicht mehr wirksam werde. Um sich die Kniescheibe zu verrenken, müsse ein Dreh-Verwindungssturz vorliegen. Die Kniescheibenverrenkung entstehe in der Regel spontan, wenn es bei der Gefahr eines Sturzes zu einer überfallartigen Anspannung der Quadrizepsmuskulatur komme. Dieses überfallartige Anspannen des Musculus (M.) Quadrizeps laufe reflektorisch ab. Ein Betroffener, der zu stürzen drohe, versuche Halt zu gewinnen. Diese reflektorische Anspannung des M. Quadrizeps sei nicht kontrollierbar. Falls ausgeprägte verrenkungsbegünstigende Faktoren vorlägen (z.B. eine Lateralisation der Kniescheibe, eine Dysplasie insbesondere der Gleitrinne, ein vorgeschädigter medialer Kapselbandapparat), könne es allein durch Anspannungen des M. Quadrizeps zur Kniescheibenverrenkung kommen. Folge der Kniescheibenverrenkung sei im vorliegenden Fall der Sturz. Dieser könne erhebliche Kniebinnenschäden verursachen. Das heiße, dass die festgestellten Kniebinnenschäden mittelbare Folge einer gewohnheitsmäßigen bzw. wiederkehrenden Kniescheibenverrenkung seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und vertiefte ihre bisherige Begründung unter Darlegung des Gutachtens von Herrn M..
Hiergegen hat die Klägerin am 6. Juni 2016 Klage erhoben und ihren bisherigen Vortrag wiederholt. Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Chirurgen Dr. K. vom 21. August 2017. Die Beweglichkeit im Kniegelenk war weiterhin eingeschränkt (Strecken und Beugen 0/0/40 Grad). Er hat ausgeführt, nach einer Kniescheibenluxation müsse man bei der Kausalitätsprüfung bedenken, dass die Erstluxation konstitutionell bei Alltagsbelastungen wie z.B. Sport auftreten könne. Diese Einordnung erscheine jedoch nur dann naheliegend, wenn jegliche zusätzliche und physiologische Gelenkbelastung im Sinne einer Distorsion zu verneinen sei und sich der Versicherte in der 2. Lebensdekade befinde. Eine traumatische Luxation werde fast nie durch eine direkte Gewalteinwirkung verursacht. Die Kausalitätsbeurteilung könne sich in aller Regel nur mit dem Erstereignis befassen. Nachfolgende Rezidive könnten versicherungsrechtlich nur in seltenen, besonders zu begründenden Fällen als eigenständige Ereignisse aufgefasst werden. Der langen rezidivfreien Zeit stehe im vorliegenden Einzelfall aber kein herausragendes Trauma gegenüber, so dass die Zusammenhangsfrage eindeutig zu verneinen sei. Insgesamt könne dem Ereignis am 3. Dezember 2014 allenfalls der Charakter eines Anlassgeschehens zugemessen werden.
Es liege aber nach der berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung ein äußerst unbefriedigendes Ausheilungsergebnis vor. Diese Einschätzung sei nicht gleichbedeutend mit der Feststellung, dass diese Heilbehandlung unter Umständen fehlerhaft gewesen sei. Auch eine leitlinienkonforme Nachbehandlung schließe - so Dr. K. - ein ungünstiges Ausheilungsergebnis nicht zwingend aus. Für die aktuelle Situation des rechten Kniegelenkes der Klägerin sehe er daher - unabhängig von einem fehlenden ursächlichen Zusammenhang - eine Zuständigkeit der gesetzlichen Unfallversicherung.
Mit Urteil vom 27. März 2018 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich zur Begründung auf die Ausführungen von Dr. L., Herrn M. sowie des Sachverständigen Dr. K. gestützt. Mangels eines geeigneten Unfallherganges, insbesondere aber wegen der anlagebedingten Fehlform der Kniescheibe der Klägerin sei die Luxation der Kniescheibe nicht Folge des Unfalles. Die unfallunabhängige Luxation habe zu den von Dr. H. festgestellten Begleitverletzungen wie Weichteilschwellung und intraartikulärer Erguss geführt; diese seien daher kein Nachweis einer unfallbedingten Verletzung. Hierauf habe Herr M. eindrucksvoll hingewiesen.
Auch eine mittelbare Unfallfolge gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sei nicht anzuerkennen. Zunächst liege überhaupt kein Versicherungsfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung vor. Zudem werde als Gesundheitsschaden infolge der Durchführung einer Heilbehandlung nicht das ungünstige Ausheilungsergebnis angesehen, sondern der ärztliche Behandlungsfehler bzw. Kunstfehler. Eine fehlerhafte Behandlung liege nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. nicht vor.
Gegen die ihr am 9. April 2018 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 3. Mai 2018 Berufung eingelegt und ausgeführt, es sei unerheblich, ob das ungünstige Ausheilungsergebnis Folge eines Behandlungsfehlers sei. Aufgrund der Durchführung der Behandlung habe die Beklagte die Verantwortung für die Folgen übernommen. Zwischen Ausheilungsergebnis und dem erfolgten operativen Eingriff bestehe ein erkennbarer Zusammenhang. Ohne den Eingriff sei keine Ausheilung zu diskutieren. Der Schaden sei durch den operativen Eingriff entstanden. Neben dem Eingriff seien keine Ursachen festgestellt worden, die geeignet gewesen wären, ein schlechtes Ausheilungsergebnis zu verursachen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. März 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2016 aufzuheben und
das Ereignis vom 3. Dezember 2014 als Arbeitsunfall mit der Folge einer Kniescheibenverrenkung rechts festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Am 25. September 2019 hat Dr. K. im Auftrag des Senats erneut Stellung genommen. Er hat ausgeführt, nach dem D-Arztbericht sei als Erstdiagnose eine Kniekontusion (Prellung oder Quetschung des Knies) festgestellt worden. Dies sei der Gesundheitserstschaden, der auf das Sturzereignis vom 3. Dezember 2014 zurückzuführen sei. Die im Weiteren festgestellten Gesundheitsstörungen (vollständige Ruptur des medialen Retinaculums und der medialen Gelenkkapsel sowie Teilruptur des Innenseitenbandes) seien typische Begleitverletzungen einer Kniescheibenluxation. Ausgehend von einem Sturz mit Kontaktverletzung im Bereich des rechten Kniegelenkes handele es sich bei den festgestellten knöchernen Kontusionen am lateralen Femurcondylus und sehr diskret auch an der medialen Kante der Patella um einen Gesundheitserstschaden.
In einem Erörterungstermin am 19. Oktober 2020 hat die Klägerin nochmals bestätigt, dass sie nach hinten auf das Gesäß gefallen sei.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auch fristgerecht eingelegt worden. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft
(§ 143 SGG).
Die Berufung ist begründet. Der angefochtene Verwaltungsakt ist nicht rechtmäßig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), denn sie hat gemäß
§ 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG einen Anspruch auf Feststellung des Vorfalls am 3. Dezember 2014 als Arbeitsunfall mit der Folge einer Kniescheibenverrenkung rechts.
Nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; zu dem Vorstehenden BSG, 27.11.2018 - B 2 U 28/17 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 68 Rn. 14).
Die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und der „Erstschaden“ müssen im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen (BSG, 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R, juris Rn. 10).
Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin hat infolge (dazu 4.) einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit (dazu 1.) und der damit verbundenen Einwirkung (dazu 2.) einen Gesundheitsschaden (dazu 3.) erlitten.
1. Die von der Klägerin zum Zeitpunkt des Vorfalls ausgeübte Verrichtung - Gang in das Labor - war Teil ihrer nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Tätigkeit als beschäftigte Laborantin in einem Krankenhaus. Diese Verrichtung führte sie auch zum Zeitpunkt des Vorfalls aus.
2. Eine Einwirkung von außen auf den Körper der Klägerin im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII liegt bei dem Ausrutschen vor, bei dem mechanische Kräfte ohne Kontrolle durch die Betroffene auf den Körper gewirkt haben.
a) Ein Sturz direkt auf das Knie ist nach den Schilderungen der Klägerin allerdings unwahrscheinlich. Sie selbst hat dies zeitnah bis einschließlich des Erörterungstermins am Landessozialgericht anders geschildert. Bei einem Heruntergehen einer Rampe mit Ausrutschen auf nassem Boden liegt auch ein Ablauf nahe, bei dem kein Sturz auf das Knie erfolgt ist. Damit liegt für diesen Verlauf kein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit für eine direkte Einwirkung auf das Knie vor, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (siehe hierzu BSG, 27.6.2006 - B 2 U 5/05 B, SozR 4- 5671 § 6 Nr. 2).
b) Allerdings hält der Senat einen Vorgang der Verdrehung oder sonstigen Fehlbelastung für erwiesen, den die beteiligten Ärzte überwiegend im Zusammenhang mit den entstandenen Verletzungen zu Grunde gelegt haben. Entscheidend ist dabei nicht, dass der Ablauf in jedem Bruchteil beschrieben werden kann. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung nach langjähriger Erfahrung im Unfallversicherungsrecht davon aus, dass die genaue Rekonstruktion des streitigen Vorfalles wegen der Rasanz des Vorgangs häufig - so auch hier - unmöglich ist. Dieses bekannte Problem bestätigt die einschlägige Literatur, die zu Recht darauf hinweist, dass der Mechanismus in Sekundenbruchteilen ablaufe und realistischerweise nur selten exakt nachgestellt bzw. ermittelt werden kann (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 645 f). Auch die Klägerin hat in dem genannten Fragebogen betont, es sei alles zu schnell gegangen und sie sei ohne Erinnerung.
Zumindest wirkt bei einem Ausrutschen stets die Schwerkraft auf den Körper ein. Zwar ist es denkbar, dass beim Ausrutschen - wie Herr M. ausführt - der Kraftschluss des Beines der Klägerin mit dem Boden verloren gegangen ist. Dies überzeugt als uneingeschränkte Behauptung aber nicht, weil der Kontrollverlust über die Belastung nach allgemeiner Lebenserfahrung auch dazu führen kann, dass das Körpergewicht das Bein – zunächst als Teil des Rutschvorgangs jedenfalls – weiterhin auf den Boden drückt und dabei verdreht. Dafür spricht hier, dass die Klägerin in einem Unfallfragebogen zeitnah angegeben hat, sie sei zur Seite gefallen. Dr. K. führt in diesem Zusammenhang aus, dass eine traumatische Luxation fast nie durch eine direkte Gewalteinwirkung verursacht wird. Als Unfallmechanismus wird in der Literatur ausschließlich eine indirekte Krafteinwirkung auf die Knie/Kniescheibe als möglicherweise notwendig beschrieben (dazu Ludolph/Schürmann/Gaidzik, Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, VI -1.2.6.1 Kniescheibenverrenkung, Stand 2020, VI -1.2.6.1; auch dabei skeptisch mit der Forderung nach praktikablen Kausalitätskriterien; Schönberger/ Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 645 mit speziellen Ausführungen zu direkten, auf die Innenseite der Patella erfolgenden Krafteinwirkungen). Bei leichter Beugestellung (ca. 30°) im Kniegelenk und leichter Außendrehung des Unterschenkels bzw. Innendrehung des Oberschenkels wird bei voll belastetem Bein durch maximale Anspannung der Streckmuskulatur (Quadrizepsmuskel) die Kniescheibe aus ihrem Lager nach außen verrenkt, wobei der Oberkörper über dem betroffenen Bein nach außen gedreht ist. Wie auch aus der Abbildung 47 bei Ludolph/Schürmann/Gaidzik (a.a.O., VI -1.2.6.1.) plastisch deutlich wird, wird der typische Valgus-Extensions-Außenrotations-Mechanismus bei der Kniescheibenverrenkung durch einen Zug des M. Quadrizeps femoris ausgelöst. Dies entspricht den Ausführungen von Herrn M.. Er beschreibt eine reflektorische Anspannung des M. Quadrizeps nach dem Wegrutschen. Diese Anspannung des M. Quadrizeps geschieht nach den Darlegungen von Herrn M. reflexartig und ist nicht kontrollierbar. Insoweit ist der Senat überzeugt, dass entweder der klassische Verdrehmechanismus vorlag oder jedenfalls der von dem Gutachter M. beschriebene Mechanismus.
3. Das Vorliegen einer Kniescheibenverrenkung ergibt sich zur Überzeugung des Senats bereits aus dem Bericht Dr. P.s vom 17. Dezember 2014; von einer solchen Verletzung gehen auch alle behandelnden Ärzte und die Beteiligten aus.
4. Diese Kniescheibenverrenkung ist als unfallbedingter Erstschaden festzustellen. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erstschaden gilt in der gesetzlichen Unfallversicherung die Theorie der wesentlichen Bedingung, die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditiosinequanon; dazu sogleich bei a). Erst wenn auf dieser sog. ersten Stufe feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier das Ausrutschen - eine naturphilosophische Ursache der Verletzung (hier: Kniescheibenverrenkung) ist, stellt sich auf der sog. zweiten Stufe die Frage, ob die Einwirkung auch rechtlich die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestands fallenden Gefahr ist (BSG, 30.3.2017 - B 2 U 6/15 R, SozR 4-5671 Anl 1 Nr. 1103 Nr. 1, Rn. 16 m.w.N.; dazu bei b).
a) Maßgebend bei dem ersten Schritt der Kausalitätsprüfung ist die Feststellung von wissenschaftlichen Erfahrungssätzen und deren Tragweite. Als maßgeblich sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also - von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen - Konsens besteht (BSG, 30.3.2017 - B 2 U 6/15 R, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 1103 Nr. 1, Rn. 18).
Das zeitliche Zusammentreffen von Ausrutschen und Luxation steht nach den deutlichen Befunden und der sofortigen ärztlichen Vorstellung der Klägerin fest. Dies hat der Radiologe Dr. H. am 4. März 2016 nochmals unter Hinweis auf die frischen und massiven Ödeme als Zeichen einer posttraumatischen Schädigung bestätigt.
Die ärztlichen Einschätzungen belegen den Zusammenhang zwischen dem Ausrutschen und der Kniescheibenluxation mit hinreichender Wahrscheinlichkeit. Der Radiologe Dr. H. fand ausweislich seiner Stellungnahme für die Beklagte bei der Nachbefundung des MRT vom 3. Dezember 2014 Ödeme und Einblutungen an Knochen und Weichteilen, die er als sicheres Zeichen eines frischen Traumas in Abgrenzung zu einer habituellen Kniescheibenluxation ansah.
Der Chirurg M. geht jedenfalls in der Hinsicht von naturwissenschaftlicher Kausalität aus, als er eine unkontrollierbare reflektorische Anspannung der Quadrizepsmuskulatur bei Sturzgefahr mit für die Luxation verantwortlich macht. Dass ein Ausrutschen angesichts der verlorenen Standstabilität eine solche Sturzgefahr birgt, ist offensichtlich. Auch hier besteht eine naturwissenschaftliche Ursächlichkeit zwischen Ausrutschen und Kniescheibenverrenkung. Das Erfordernis der Einwirkung von außen dient der Abgrenzung von unfallbedingten Gesundheitsschäden zu Gesundheitsbeeinträchtigungen aus inneren Ursachen sowie zu Selbstschädigungen (vgl. BSG, 12.4.2005 - B 2 U 27/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, Rn. 7). Nicht geschützt sind Unfälle, die auf aus dem Menschen selbst kommenden Ereignissen beruhen (vgl. BSG, 29.2.1984 - 2 RU 24/83, juris Rn. 15; BSG, 18.3.1997 - 2 RU 8/96, juris Rn. 22, jeweils m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Es handelt sich auch weder um eine von der Klägerin gewollt herbeigeführte Einwirkung und damit um eine bewusste Eigenbewegung (BSG, 29.11. 2011 - B 2 U 10/11 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 42, Rn. 16) noch eine subjektive Fehlvorstellung bzw. -einschätzung (vgl. BSG, 26.11.2019 - B 2 U 8/18 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 71, Rn. 17), was allerdings eine Einwirkung ohnehin nicht ausschließen würde. Vielmehr reagierte die Klägerin reflex- und schreckhaft auf den durch die Glätte und die Schwerkraft verursachten Sturz, d.h. auf ein von außen auf sie einwirkendes Ereignis. Durch das Ausrutschen auf dem nassen Fußboden hat sich ein typisches Unfallrisiko verwirklicht. Ein solcher Hergang kann nicht aus dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung genommen werden.
Aus der Einschätzung von Dr. K. in seinem Gutachten vom 21. August 2017 geht zumindest keine andere Ablehnung der naturwissenschaftlichen Kausalität hervor, wenn er ausführt, die Klägerin habe sich bei dem versicherten Ereignis die Luxation „zugezogen“. Auch der von ihm verwendete Begriff des Anlassgeschehens hat zum Inhalt, dass dieses Geschehen in dem konkreten Fall zum Erfolg beigetragen hat, was für die naturwissenschaftliche Kausalität ausreichend ist. Wenn Dr. K. gleichwohl den Zusatz „ohne Ursachencharakter“ macht, liegt dieser Bewertung keine Trennung zwischen naturwissenschaftlicher Kausalität und der Theorie der wesentlichen Bedingung zu Grunde. Dies zeigt sich deutlich daran, dass er die Frage nach einer wesentlichen Mitverursachung durch Hinweis auf die hier in Rede stehende Einschätzung beantwortet.
Die Einschätzung Dr. L.s steht diesen Feststellungen nicht entgegen, weil er in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen die naturwissenschaftliche Kausalität nicht direkt anspricht und nur die Wesentlichkeit verneint.
2) Unter Abwägung aller Gesichtspunkte sieht der Senat in dem streitigen Vorfall eine wesentliche Ursache.
Die Wesentlichkeit einer (Mit-)Ursache ist eine Rechtsfrage, die sich nach dem Schutzzweck der Norm beantwortet, der auch ergänzend zur Einzelbeurteilung heranzuziehen sein kann (BSG, 6.10.2020 - B 2 U 10/19 R, SozR 4-2700 § 73 Nr. 2, Rn. 32; Becker, MedSach 2007, 92; BSG, 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, Rn. 16). Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes. Gesichtspunkt ist auch der zeitliche Ablauf des Geschehens, wobei eine Ursache nicht allein deswegen wesentlich ist, weil sie die letzte war. Grundlage der Einschätzung sind Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte.
Hier geht der Senat mit Dr. K. davon aus, dass eine frische Luxation vorlag (siehe auch bei a). Allein von diesem Schadensbild kann aber nicht auf die wesentliche Ursache geschlossen werden. Dr. H. legt in seinem Gutachten eingehend dar, dass hier Schäden in massiver Form und Ausprägung vorliegen, die nicht im Rahmen einer habituellen und insbesondere rezidivierenden Patellaluxation zu erwarten sind. Dies ist zumindest insoweit überzeugend, als keine schweren Folgen (mehr) zu erwarten sind, wenn die Kniescheibe in kurzen Abständen luxiert. Herr M. hat aber ebenfalls nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass es auch bei Verrenkungen aus innerer Ursache zu mittelbaren Schäden der Gelenkkapseln und/oder knöcherner oder knorpeliger Strukturen kommen kann (vgl. insoweit auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 646). Zumindest kann festgehalten werden, dass das medizinische Schadensbild dagegen spricht, dass die Kniescheibe der Klägerin regelmäßig luxiert. Dies deckt sich mit den Angaben der Klägerin und den Ermittlungen der Beklagten, wonach die letzte Luxation 23 Jahre zurückliegt.
Ausdrücklich wird auch in der Fachliteratur betont, dass auch eine traumatische Kniescheibenverrenkung ohne eine entsprechende Disposition unwahrscheinlich sei. Als Disposition wird in diesem Zusammenhang auch eine Patelladysplasie aufgeführt (Ludolph/Schürmann/Gaidzik, a.a.O., S. 6, 27).
Hier ist bei der Klägerin auf Basis der Radiografie der Patella vom 10. April 2015 eine Dysplasie der Kniescheibe vom Typ Wiberg 3 festgestellt worden. Nach der Darstellung bei Ludolph/Schürmann/Gaidzik (a.a.O., S. 6) werden die Kniescheibentypen Wiberg 1 bis einschließlich 3 der Normalform zugerechnet, während nur der Typ Wiberg 4 als Dysplasie bezeichnet wird. Auch dort wird bestätigt, dass 10 % der Kniescheiben zum Typ Wiberg I und 65 % zum Typ 2 und 2/3 gehören. Ähnlich heißt es bei Schiltenwolf/Hollo (Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane, 6. Auflage, S. 756), dass der Wiberg-Typ 1-3 häufig anzutreffende „Normvarianten“ sind.
Dr. H. hat weiter einen normalen Stand der Patella mit einem Quotienten nach Insall und Salvati von 1,09 (Normalbefund zwischen 0,8 - 1,04) festgestellt. Dies spricht zumindest nicht für eine stark ausgeprägte Krankheitsanlage. Insoweit überzeugt die Bildinterpretation von Dr. L. und damit auch seine Verneinung der Wesentlichkeit nicht.
Nachvollziehbar wird als Kriterium im Rahmen der Zusammenhangsbegutachtung von Patellaluxationen weiter ausdrücklich das Fehlen einer vorangegangenen Luxation als Gesichtspunkt für einen Unfallzusammenhang aufgeführt (Schiltenwolf/Hollo, Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane, 6. Auflage, S. 755; siehe auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 604). Daraus folgt aber noch nicht, dass es auch notwendige Voraussetzung einer Unfallkausalität ist. Insoweit fehlt für die von Dr. K. (im Einklang mit Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.) aufgestellte Vermutung, wonach im Regelfall nur die Verursachung des Erstschadens von Belang sei, ein rechtlicher Ansatz. Demgegenüber abgrenzend wird in der Fachliteratur ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Feststellung einer Disposition kein Freibrief zur Ablehnung der Kausalität sei (Ludolph/Schürmann/Gaidzik, a.a.O., S. 6, 27). Angesichts der vorangegangenen Luxationen und der Fehlform des Knieapparates auch nach der Einschätzung Dr. H.s steht zwar für den Senat das Vorliegen einer Schadensanlage fest, die auch naturwissenschaftlich mitursächlich geworden ist. Insoweit schließt sich der Senat den vorliegenden Gutachten an. Jedoch ist jeder Versicherte in dem Zustand einschließlich eventueller schwerer Vorschäden versichert, in dem er sich befindet (BSG, 30.1. 2007 - B 2 U 8/06 R, juris; eingehend Becker, SGb 2012, 696).
Es kann sogar mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben, so dass stets eine Einzelfallprüfung notwendig ist. Dies verkennt der Sachverständige K., wenn er für eine Anerkennung verlangt, das vermeintlich schädigende Ereignis müsse eindeutig im Vordergrund gestanden haben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob auch das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es zugleich war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG, 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, Rn. 16).
Bei der Abwägung kann zudem der Schwere des Unfallereignisses eine Bedeutung zukommen (BSG, 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, Rn. 35). Hier handelt es sich nicht um das „Aufstehen vom Stuhl mit gleichzeitiger Drehbewegung in Gehrichtung, das Hochkommen aus der Hocke, ein spielerisches Anrempeln auf dem Schulhof, ein einfacher Richtungswechsel beim Gehen usw.“ (Schönberger/Mehrtens/ Valentin, a.a.O., S. 646), sondern um ein klassisches Unfallgeschehen mit Ausrutschen, bei dem stärkere Kräfte auf den Körper einwirken. Insbesondere ist dies kein alltäglich vorkommendes Ereignis.
Der Senat hält das Unfallereignis für wesentlich; es stellt insbesondere keine sogenannte „Gelegenheitsursache“ oder einen bloßen Auslöser dar (vgl. zu dieser Terminologie BSG, 12.4.2005 - B 2 U 27/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 15 Rn. 11). Danach gilt: Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSG, 12.4. 2005 - B 2 U 27/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 15 Rn. 11). Dies ist hier nicht für gegeben. Die Klägerin hat 23 Jahre keine Patellaluxation gehabt; ein derart langer Zeitraum schließt es zumindest im vorliegenden Fall aus, dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit eine Patellaluxation ausgelöst hätte. Alltäglich vorkommende Ereignisse, die über Jahre nicht vorkommen, sind nicht denkbar (Urteil des Senats, 6.10.2016 - L 6 U 76/14, Rn. 82, juris).
Nach dem Schutzzweck des Unfallversicherungsrechts (BSG, 6.10.2020 - B 2 U 10/19 R, SozR 4-2700 § 73 Nr. 2, Rn. 32; Becker, MedSach 2007, 92) sowie nach der Auffassung des praktischen Lebens (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 33) liegt in dem Sturz hier eine wesentliche Ursache für die Patellaluxation.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Basis der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung.