L 5 AS 571/20

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 30 AS 3725/16
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 571/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Eine nach Antragstellung im laufenden Leistungsbezug zugeflossene Zahlung aus einem Zugewinnausgleich ist als einmalige Einnahme auf den Hilfebedarf nach § 11 Abs 3 SGB II anzurechnen. Dabei ist es unerheblich, ob die Scheidung und/oder die Entscheidung über den Zugewinnausgleich durch das Familiengericht vor oder nach Beginn des Leistungsbezuges erfolgt ist.

2. Der Anspruch auf Zugewinn stellt einen schuldrechtlichen Anspruch dar. In der Begleichung einer bereits vor Antragstellung bestehenden Forderung liegt keine bloße Vermögensumschichtung (Anschluss an die stdg Rspr d BSG, zB Urt v 16.05.2012, Az B 4 AS 154/11 R, zur Gehaltsnachzahlung).

 

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Zwischen den Beteiligten ist die endgültige Festsetzung und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im Mai und Juni 2015 streitig.

 

Die 1953 geborene Klägerin heiratete am 14. Juli 1973. Die Eheleute lebten bis zum 1. Juli 1993 im Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Die Ehe wurde durch das Urteil des Amtsgerichts (AG) Stendal vom 4. April 1997 – Zurückweisung der Berufung durch das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg mit Urteil vom 12. Februar 1998 – geschieden. Das AG Stendal verurteilte den Ehemann der Klägerin mit Urteil vom 3. April 2009 zur Zahlung eines (Rest-)Zugewinns von 6.462,01 € nebst Zinsen.

 

Die Klägerin betrieb im Jahr 2014 und 2015 eine Werbeagentur und beantragte am 18. Dezember 2014 die Weitergewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab Januar 2015. Sie gab dabei Kosten der Unterkunft und Heizung von 267 € an (193 € Grundmiete, 37 € Heizkosten und 37 € Betriebskosten). Zudem reichte sie eine Aufstellung zum voraussichtlichen Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit ein. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 7. Januar 2015 vorläufige Leistungen für den Zeitraum von Januar bis Juni 2015 i.H.v. 458,67 € monatlich. Er berücksichtigte dabei ein anrechenbares Einkommen aus der selbstständigen Erwerbstätigkeit i.H.v. 207,33 €. Eine abschließende Entscheidung sei erst möglich, wenn die tatsächlichen Einnahmen feststünden.

 

Am 5. Mai 2015 teilte die Klägerin mit, dass sie im April 2015 von ihrem geschiedenen Ehemann über 4.000 € aufgrund des Zugewinnausgleichs überwiesen bekommen habe. Der Beklagte stellte die laufende Zahlung ab Juni 2015 ein. Am 28. Mai 2015 reichte die Klägerin den Schriftverkehr zu Rechtsstreitigkeiten wegen des Zugewinnausgleichs ein. Aufgrund einer Aufrechnung führte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hierin eine verbliebene Forderung von 4.568,02 € auf. Dieser Betrag war ausweislich eines Kontoauszugs am 27. April 2015 an die Klägerin gezahlt worden.

 

Mit Bescheid vom 30. Juli 2015 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung für Mai 2015 i.H.v. 458,67 € vollständig auf und machte unter Berücksichtigung von § 40 Abs. 4 SGB II (in der Fassung bis zum 31. Juli 2016) eine Erstattung von 329,87 € geltend. Die Klägerin habe eine Restforderung aus dem Zugewinnausgleich i.H.v. 4.568,02 € im April 2015 erhalten. Dieser Zahlungseingang sei als einmalige Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 SGB II zu berücksichtigen. Eine Anrechnung erfolge ab Mai 2015 anteilig für sechs Monate und führe dazu, dass die Hilfebedürftigkeit entfalle. Die Aufhebung beruhe auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Mit weiterem Bescheid vom 31. Juli 2015 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung ab 1. Mai 2015 vollständig auf.

 

Mit Widerspruch vom 11. August 2015 wandte sich die Klägerin gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 30. Juli 2015. Der Zugewinnausgleich sei kein Einkommen, sondern als Vermögen anrechnungsfrei. Es werde lediglich der unterschiedliche Wertzuwachs der Vermögensbestände der Ehegatten bis zur Scheidung ausgeglichen. Am 31. August 2015 erhob die Klägerin zudem Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 31. Juli 2015 und verwies auf die bisherigen Ausführungen.

 

Der Beklagte wies die Widersprüche der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 2015 zurück, der am 25. Oktober 2016 zugestellt wurde. Die Klägerin sei ab Mai 2015 nicht mehr hilfebedürftig gewesen. Dem Gesamtbedarf i.H.v. monatlich 666 € stünden das Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit und das einmalige Einkommen aus dem Zugewinnausgleich entgegen. Letzteres sei aufgrund des Zuflusses im April 2015 ab Mai 2015 mit einem bereinigten Teilbetrag von monatlich 731,33 € anzurechnen. Der Leistungsanspruch sei daher ab Mai 2015 endgültig nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 3 Satz 2 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches - Arbeitsförderung (SGB III) in der Fassung bis 31. Juli 2016 (im Weiteren: a.F.) auf 0,00 € festzusetzen. Die Erstattung betrage daher 458,67 € für Mai 2015, da für Juni 2015 keine Auszahlungen mehr erfolgt sei. Die Reduzierung der Erstattung auf 329,87 € nach § 40 Abs. 4 SGB II sei rechtswidrig, allerdings verbleibe es zu Gunsten der Klägerin bei diesem Betrag.

 

Am 24. November 2016 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Magdeburg erhoben. Sie hat weiterhin darauf abgestellt, dass der Zugewinnausgleich nicht als Einkommen nach § 11 Abs. 3 SGB II zu berücksichtigen sei. Daher habe sich keine Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X ergeben, die zu einer Minderung des Anspruchs geführt haben könnte. Der Zugewinnausgleich sei als Vermögen zu qualifizieren, welches bereits zuvor im Vermögen der Ehegatten vorhanden gewesen sei. Letztlich handele es sich um angespartes Vermögen. Zudem sei der Anspruch auf den Zugewinnausgleich bereits mit dem Urteilsausspruch vom 3. April 2009 und damit vor erstmaliger Antragstellung fällig geworden. Der Beklagte hat an seiner bisherigen Rechtsauffassung festgehalten.

 

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21. September 2020 abgewiesen. Der Beklagte habe zutreffend im Rahmen der endgültigen Entscheidung über den Leistungsanspruch die Bewilligung für die Monate Mai und Juni 2015 nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F. i.V.m. § 328 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB III aufgehoben. Der Zugewinnausgleichsbetrag sei als einmaliges Einkommen zu berücksichtigen. Dabei komme es nicht darauf an, dass der Anspruch der Klägerin auf den Zugewinnausgleich bereits mit dem Urteil des AG Stendal im Jahr 2009 entstanden sei. Maßgeblich sei vielmehr, dass der Zufluss erst im April 2015 erfolgt sei. Es handele sich nicht um angespartes Vermögen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Schadenersatz bei einem beschädigten Vermögensgegenstand sei auf den Zugewinnausgleich nicht übertragbar.

 

Die Klägerin hat gegen das ihr am 1. Oktober 2020 zugestellte Urteil am 1. November 2020 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt. Sie hat auf ihre bisherigen Ausführungen verwiesen und diese vertieft: Der Anrechnung als Einkommen stehe entgegen, dass der Zugewinnausgleichsanspruch im Jahr 2009 und damit vor Antragstellung entstanden sei. Es handele sich daher um eine Umschichtung bereits vorhandenen Vermögens.

 

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Sozialgerichts Magdeburg vom 21. September 2020 die Bescheide des Beklagten vom 30. Juli 2015 über die Aufhebung der Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Mai 2015 sowie die Erstattung der Leistungen nach dem SGB II für nämlichen Zeitraum in der Gestalt der hierzu ergangenen Widerspruchsentscheidungen des Beklagten vom 11. November 2015 aufzuheben.

 

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf sein bisheriges Vorbringen und hält das Urteil des SG für zutreffend.

 

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat das Urteil des OLG Naumburg vom 12. Februar 1998 (3 UF 58/97) sowie die Urteile des AG Stendal vom 4. April 1997 (5 F 398/94) und vom 3. April 2009 (5 F 198/01 GÜ) vorgelegt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

 

1.

Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch statthaft, da sich die Klägerin gegen die endgültige Festsetzung für die Monate Mai und Juni 2015 auf 0,00 € wendet und Leistungsansprüche ohne Berücksichtigung des Zugewinnausgleichs als einmaliges Einkommen (zumindest) in Höhe der vorläufigen Bewilligung von jeweils 458,67 € geltend macht. Damit wird der Beschwerdewert von 750 € nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG überschritten.

 

Einer Entscheidung des Senats stand das Nichterscheinen der Klägerin bzw. ihrer Prozessbevollmächtigten zur mündlichen Verhandlung am 6. Oktober 2021 nicht entgegen. Sie ist mit der Ladung vom 8. September 2021 darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne. Das persönliche Erscheinen der Klägerin war nicht angeordnet worden. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat am 6. Oktober 2021 fernmündlich mitgeteilt, dass sie wegen einer Autopanne den Termin nicht wahrnehmen könne. Einen Verlegungsantrag hat sie nicht gestellt.

 

2.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

 

Die Bescheide des Beklagten vom 30. und 31. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2015 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Dies hat das SG zurecht festgestellt.

 

Die endgültige Festsetzung und Erstattung richtet sich vorliegend nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F. i.V.m. § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III. Dies verfügte der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 11. November 2015. Er hatte Leistungen mit Bescheid vom 7. Januar 2015 für den Zeitraum von Januar bis Juni 2015 i.H.v. 458,67 € monatlich vorläufig bewilligt. Dies beruhte auf dem noch nicht feststehenden Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit der Klägerin. Aufgrund des Zuflusses des Zugewinnausgleichs im April 2015 entfiel der Hilfebedarf ab Mai 2015. Der Beklagte nahm jedoch keine Änderung der vorläufigen Bewilligung für die Zukunft nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor. Nach Ablauf des Bewilligungszeitraums war daher die endgültige Festsetzung zumindest für die beiden hier streitigen Monate zutreffend. Für diese stand fest, dass kein Leistungsanspruch mehr gegeben war, ohne dass es auf das Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit angekommen wäre (vgl. auch BSG, Urteil vom 29. April 2015 - B 14 AS 31/14 R, juris, Rn. 21).

 

Die abschließende Einkommensberechnung und die endgültige Festsetzung für die verbliebenen Monate Januar bis April 2015 erfolgte erst mit Bescheid vom 28. Juni 2016. Dies ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

 

a)

 

Bedenken im Hinblick auf die formelle Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen bestehen nicht. Der Beklagte hatte die Klägerin zwar vor Erlass der Bescheide vom 30. und 31. Juli 2015 nicht angehört. Allerdings ist vor Erlass einer endgültigen Entscheidung über den Leistungsanspruch nach zunächst vorläufiger Bewilligung eine Anhörung nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016 - B 4 AS 60/15 R juris, Rn. 17). Es liegt durch die vorläufige Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II keine Rechtsposition vor, in die der Beklagte durch die endgültige Entscheidung über die Leistungsbewilligung hätte eingreifen können.

 

Die fehlerhafte Angabe der Rechtsgrundlage in den Ausgangsbescheiden (Aufhebung und Erstattung statt endgültiger Festsetzung und Erstattung) berührt die formelle Rechtmäßigkeit der Bescheide nicht. Nach der Rechtsprechung des BSG wird mit einem bloßen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid zwar nicht abschließend über die Leistungsbewilligung entschieden (BSG, Urteil vom 29. April 2015 - B 14 AS 31/14 R, juris, Rn. 25 ff.). Vorliegend hielt jedoch der Beklagte in den Ausgangsbescheiden und klarstellend im Widerspruchsbescheid fest, dass für die streitigen Monate kein Leistungsanspruch mehr bestehe. Insoweit liegt eine endgültige Festsetzung auf 0,00 € vor. Im Übrigen handelt es sich bei der Angabe der Rechtsgrundlage um ein Begründungselement und ein Austausch ist bei identischem Sachverhalt möglich, wenn sich der Wesensgehalt des Bescheides nicht ändert (vgl. BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 - B 4 AS 41/15 R, juris, Rn. 15; Urteil vom 12. Oktober 2016 - B 4 AS 60/15 R juris, Rn. 16). Dies gilt insbesondere in der vorliegenden Konstellation, in der weder ein subjektives Tatbestandselement zu prüfen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X bzw. endgültige Festsetzung) noch Ermessen auszuüben war (§ 40 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III bzw. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 2 und 3 SGB III). Der Beklagte bezog sich sowohl in ursprünglichen Bescheiden als auch im Widerspruchsbescheid auf die geänderte Einkommenssituation durch den Zufluss des Zugewinnausgleichs.

 

b)

 

Nach der Verweisungsnorm des § 40 SGB II sind für das Verfahren nach dem SGB II u.a. die Vorschriften des § 328 SGB III über die vorläufige Entscheidung entsprechend anwendbar (Abs. 2 Nr. 1 a.F.). Hiernach kann über die Erbringung von Geldleistungen u.a. dann vorläufig entschieden werden, wenn zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat. Im Hinblick auf die endgültige Leistungsbewilligung gilt sodann zunächst: „Eine vorläufige Entscheidung ist nur auf Antrag des Berechtigten für endgültig zu erklären, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist“ (§ 328 Abs. 2 SGB III). Weiter ist bestimmt: „Auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen sind auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten“ (§ 328 Abs. 3 Satz 1 und 2 Halbsatz 1 SGB III).

 

Die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Bewilligung im Ausgangsbescheid vom 7. Januar 2015 ist nicht zu prüfen. Dieser ist bestandskräftig geworden. Zudem hat sich durch die endgültige Festsetzung die vorläufige Bewilligung nach § 39 Abs. 2 SGB X auf sonstige Weise erledigt (BSG, Urteil vom 5. Juli 2017 - B 14 AS 36/16 R, juris, Rn. 15).

 

Die endgültige Festsetzung auf 0,00 € für Mai und Juni 2015 ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat durch den Zufluss des Zugewinnausgleichs i.H.v. 4.568,02 € im April 2015 Einkommen erzielt, das nach § 11 Abs. 1 und Abs. 3 SGB II auf den Leistungsanspruch ab Mai 2015 anzurechnen war und diesen entfallen ließ. Es handelt sich nicht lediglich um Vermögen bzw. eine Vermögensumschichtung, die aufgrund der Freibeträge nach § 12 SGB II anrechnungsfrei bleiben könnte.

 

aa)

 

Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II ist nach der ständigen Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält. Vermögen im Sinne von § 12 SGB II ist das, was er vor Antragstellung bereits hatte. Auszugehen ist vom tatsächlichen Zufluss, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgebend bestimmt (modifizierte Zuflusstheorie; vgl. nur BSG, Urteil vom 30. September 2008 - B 4 AS 29/07 R, juris Rn. 18 m.w.N.). Dabei ist das Schicksal einer bereits bestehenden Forderung nicht entscheidend. Denn nach Auffassung des BSG stellt das Gesetz im Fall der Erfüllung einer Geldforderung allein auf die tatsächliche Erzielung von Einnahmen in Geld als Einkommen ab. Dies gelte auch, wenn Einnahmen aus bestehenden Rechtspositionen erzielt werden (z.B. Auszahlung des Gehalts als Erfüllung der Gehaltsforderung). Nicht entscheidend sei, dass die Forderung (z.B. noch nicht erfüllte Gehaltsforderungen für zurückliegende Monate) zum Vermögen des Leistungsberechtigten gehört. Es entstehe keine Konkurrenz dergestalt, dass die Forderung als Vermögen und daneben die Leistung aus der Forderung als Einkommen zu berücksichtigen wären (BSG, Urteil vom 23. August 2011 - B 14 AS 186/10 R, juris, Rn. 13). Ebenso wenig komme es auf den Grund für die Zahlung zu einem bestimmten Zeitpunkt an (BSG, Urteil vom 3. März 2009 - B 4 AS 47/08 R, juris, Rn. 14). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Abgrenzung ist die erstmalige Beantragung von Arbeitslosengeld II bei einem durchgehenden Leistungsbezug.

 

Nach diesen Maßstäben war der tatsächliche Zufluss der (Rest-)zahlung des Zugewinnausgleichs i.H.v. 4.568,02 € am 27. April 2015 (und damit im Leistungsbezug) als Einkommen anzurechnen. Es kommt weder darauf an, dass aufgrund des Urteils des AG Stendal vom 3. April 2009 bereits vor dem Leistungsbezug eine Forderung gegenüber dem geschiedenen Ehemann bestand, noch dass diese fällig gewesen ist. Vielmehr erfolgte die erstmalige Wertstellung im Sinne eines bereiten Mittels im April 2015, so dass die Klägerin erst zu diesem Zeitpunkt über den Betrag verfügen konnte. Es handelt sich auch nicht um bereits erlangte Einkünfte, aus denen Vermögen angespart worden wäre (wie z.B. bei Bankguthaben), so dass diese auch bei einer Auszahlung nicht als Einkommen zu berücksichtigen wären (BSG, Urteil vom 23. August 2011 - B 14 AS 186/10 R, juris, Rn. 13).

 

bb)

 

Entgegen der Auffassung der Klägerin stellen Zugewinnausgleichszahlungen keine Umschichtung innerhalb des Vermögens des ausgleichsberechtigten Ehegatten dar (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juni 2019 - L 7 AS 1391/17, juris, Rn. 24). Insoweit sind die Regelungen des gesetzlichen Güterstandes der Zugewinngemeinschaft, die vorliegend für die Zeit bis zum 1. Juli 1993 (Änderung des Güterstandes durch notariellen Vertrag) anzuwenden waren, bei der Wertung zu beachten. Der Güterstand des Zugewinnausgleichs ist dadurch gekennzeichnet, dass die Ehegatten am jeweiligen Vermögen des anderen während der Ehe nicht partizipieren. Vielmehr findet bei Beendigung des Güterstandes ein Ausgleich statt, indem im Fall der Scheidung dem Ehegatten mit geringerem Zugewinn eine Geldforderung auf die Hälfte des Betrages eingeräumt wird, mit dem der Zugewinn des anderen den eigenen Zugewinn übersteigt (§§ 1372, 1378 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Der Anspruch auf Zugewinnausgleich ist ein schuldrechtlicher Zahlungsanspruch, keine dingliche Beteiligung (Koch in Münchner Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 1363 BGB, Rn. 6). Nach § 1363 Abs. 2 Satz 1 BGB wird zu keinem Zeitpunkt eine Vermögensgemeinschaft der Ehegatten begründet. Die Ausgleichsforderung, die grundsätzlich auf eine bestimmte Geldsumme gerichtet ist, entsteht erst mit der Beendigung des Güterstandes (vgl. § 1378 Abs. 3 Satz 1 BGB). Von der Formvorschrift des § 1378 Abs. 3 Satz 2 BGB abgesehen, kann sich vor der Beendigung des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft kein Ehegatte verpflichten, über die Ausgleichforderung zu verfügen (Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. Juli 2013 -

 

XII ZB 143/12 juris, Rn. 19 ff.). Der schuldrechtliche Anspruch auf Zugewinnausgleich entsteht kraft Gesetzes mit der Beendigung der Zugewinngemeinschaft, bei Beendigung durch Ehescheidung mithin mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils. 

 

Die Scheidung erfolgte ausweislich des Urteils des AG Stendal vom 4. April 1997 und der Berufungsentscheidung des OLG Naumburg vom 12. Februar 1998 bereits vor Inkrafttreten des SGB II zum 1. Januar 2005. Auch die Entscheidung des AG Stendal über den Zugewinn (Urteil vom 3. April 2009) lag vor der erstmaligen Antragstellung. Gleichwohl stellte die teilweise Auszahlung des Zugewinnausgleichs im April 2015 keine bloße Vermögensumschichtung dar. Eine solche Surrogation eines Vermögensgegenstandes ohne wertmäßigen Zuwachs hat das BSG neben der oben genannten Fallgruppe der Auszahlung angesparter Beträge nur bei Schadenersatzansprüchen für bereits vor Antragstellung vorhandene beschädigte Vermögensgegenstände angenommen (BSG, Urteil vom 9. August 2018 - B 14 AS 20/17 R, juris, Rn. 16). Hier sei lediglich der Zustand wiederhergestellt worden, der bereits vor Antragstellung bestanden habe. Dagegen wurden insbesondere mangels einer zweckgerichteten „Ansparung“ etwa nachgezahltes Arbeitsentgelt (BSG, Urteil vom 24. April 2015 - B 4 AS 32/14 R), nachgezahltes Krankengeld (BSG, Urteil vom 16.  Dezember 2008 - B 4 AS 70/07 R), nachgezahltes Übergangsgeld (BSG, Urteil vom 7. Mai 2009 - B 14 AS 13/08 R) oder eine Einkommensteuererstattung (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 48/07 R) als Einkommen qualifiziert. Dabei kam es gerade nicht darauf an, ob die Ansprüche auf Auszahlung bereits vor Antragstellung entstanden waren und damit eine Forderung als Vermögensgegenstand vorlag.

 

Insoweit handelt es sich um eine Einschränkung des Grundsatzes, dass eine Substitution von Vermögensgegenständen nicht als Einkommen berücksichtigt werden könne (vgl. umfassend Hegelhaupt in Hauck/Noftz SGB II, Stand 12/2019, § 11 SGB II, Rn. 204 ff., m.w.N.). Bis auf die genannten Ausnahmen sind daher Zahlungen auf Forderungen als Einkommen zu qualifizieren, wenn der tatsächliche Zufluss nach erstmaliger Antragstellung erfolgt ist. Dies ist ohne weiteres auch auf Zugewinnausgleichszahlungen bzw. Pflichtteilszahlungen im Erbrecht zu übertragen (Hegelhaupt in Hauck/Noftz SGB II, a.a.O.; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22. Mai 2019 - L 13 AS 202/18, juris, Rn. 21; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Mai 2015 - L 4 AS 168/15 NZB, juris, Rn. 18 ff.).

 

c)

 

Da sich die Ausgleichszahlung in einer einmaligen Zuwendung des (Rest-)Betrages aus dem Urteil des AG Stendal vom 3. April 2019 (vgl. Aufstellung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 25. September 2021) erschöpfte, richtet sich die konkrete Anrechnung nach § 11 Abs. 3 SGB II. Danach sind einmalige Einnahmen in dem Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Sofern jedoch für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahmen erbracht worden sind, werden sie im Folgemonat berücksichtigt. Entfiele der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat, ist die einmalige Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen.

 

Da zum Zeitpunkt des Zuflusses am 27. April 2015 die Leistungen für April 2015 bereits ausgezahlt worden waren, erfolgte die Anrechnung ab Mai 2015 mit einem Teilbetrag von 1/6 zutreffend. Unter Berücksichtigung der Versicherungspauschale von 30 € nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-VO) jeweils in der Fassung bis 31. Juli 2016 ergibt sich ein monatlicher Anrechnungsbetrag von 731,34 €. Weitere Absetzungspositionen sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere handelte es sich nicht um ein Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit, so dass weder der Grund- noch Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 2 und 3 SGB II abzuziehen waren.

 

Der anzurechnende Monatsbetrag überstieg den Bedarf der Klägerin von 666 €, bestehend aus dem Regelbedarf von 399 € und den tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung von insgesamt 267 €, so dass kein Leistungsanspruch verblieb.

 

d)

 

Die Erstattung richtet sich nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F. i.V.m. § 328 Abs. 3 Satz 1 und 2 Halbsatz 1 SGB III. Eine Zahlung war für Juni 2015 auf Grund der vorläufigen Zahlungseinstellung nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 331 SGB III nicht mehr erfolgt. Für Mai 2015 hatte der Beklagte 458,67 € gezahlt und hiervon lediglich 329,87 € unter Berücksichtigung der Regelung in § 40 Abs. 4 SGB II in der Fassung bis 31. Juli 2016 zur Erstattung gestellt. Diese Reduzierung hätte nicht vorgenommen werden müssen, da keine vollständige Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, sondern eine endgültige Festsetzung auf 0,00 € vorlag. Gründe für eine noch geringere Erstattung sind nicht ersichtlich, so dass die Entscheidung des Beklagten nicht zugunsten der Klägerin abzuändern war.

 

3.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 SGG). Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage und unter Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Rechtskraft
Aus
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