L 5 AS 108/22 NZB

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 6 AS 1520/20
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 108/22 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Es handelt sich nicht um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage, wenn die nicht ausreichende Prüfung der Erforderlichkeit eines Umzugs durch das Sozialgericht behauptet wird.
2. Ein Verfahrensmangel durch Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsermittlung setzt voraus, dass der Sachverhalt und/oder der Beteiligtenvortrag Nachforschungen im Rahmen der Amtsermittlung nahelegen.

 

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 10. Februar 2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

 

Gründe:

 

I.

Die Kläger begehren die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Magdeburg. In der Sache geht es um die Bewilligung höherer Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im Zeitraum von Dezember 2019 bis Mai 2020.

 

Die Kläger waren zum 1. Dezember 2018 umgezogen und hatten als Bedarfsgemeinschaft eine Gesamtmiete i.H.v. 701 € im Dezember 2019 und i.H.v. 706,76 €/Monat ab Januar 2020 zu zahlen. Der Beklagte hatte zuvor mit Bescheid vom 24. Oktober 2018 die beantragte Zusicherung zum Umzug abgelehnt, weil die Kosten der neuen Wohnung für vier Personen unangemessen seien.

 

Der Kläger zu 2. erzielte Erwerbseinkommen in unterschiedlicher Höhe. Die Klägerin zu 1. nahm am 9. März 2020 eine Beschäftigung auf.

 

Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 19. November 2019 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 1. und 3. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juli 2020 für Dezember 2019 bis April 2020 vorläufige Leistungen; für Mai 2020 bestehe vorläufig kein Leistungsanspruch. Dabei legte er als Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) 617,28 €/Monat zugrunde.

 

Dagegen haben die Kläger Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg erhoben und gerügt, die Miete habe sich zum Januar 2020 erhöht.

 

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. Juli 2021 abgewiesen. Zutreffend habe der Beklagte die KdUH in Höhe der rechtswirksamen Unterkunftsrichtlinie geleistet. Dem Vorbringen der Kläger sei nicht zu entnehmen, inwiefern der Umzug zum 1. Dezember 2018 erforderlich gewesen wäre oder dass keine vergleichbaren Wohnungen zur Verfügung gestanden hätten.

 

Die Kläger haben am 30. August 2021 mündliche Verhandlung beim Sozialgericht Magdeburg beantragt. Dieses hat die Klage mit Urteil vom 10. Februar 2022 abgewiesen und sich - mangels weiteren Vortrags - auf den Gerichtsbescheid bezogen. Das Sozialgericht hat die Berufung nicht für zulässig gehalten.

 

Gegen das Ihnen am 28. Februar 2022 zugestellte Urteil haben die Kläger am 9. März 2022 Nichtzulassungsbeschwerde beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt erhoben. Es liege ein Verfahrensmangel, ggf. grundsätzliche Bedeutung vor. Das Sozialgericht wolle nur die alten Unterkunftskosten nach dem Umzug anerkennen. Es führe aber selbst aus, dass eine Begrenzung nur zu erfolgen habe, wenn der Umzug nicht erforderlich war. Zur Erforderlichkeit des Umzugs führe das Sozialgericht nichts aus.

 

Der Beklagte hat Gelegenheit erhalten, zur Beschwerde Stellung zu nehmen, davon jedoch keinen Gebrauch gemacht.

 

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

 

II.

 

1.

 

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht gemäß § 145 Abs. 1 SGG eingelegt worden. Sie ist auch statthaft, da die Berufung nicht kraft Gesetzes zulässig und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden ist. Die im Klageverfahren begehrten höheren KdUH (weitere 83,72 €/Monat für Dezember 2019 und 89,48 für Januar bis April 2020 = 447,40 €) liegen unter dem Berufungsstreitwert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Wiederkehrende oder laufende Leistungen von mehr als einem Jahr stehen nicht im Streit.

 

2.

 

Die Beschwerde der Kläger ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Berufung gegen das Urteil vom 10. Februar 2022 zu Recht nicht zugelassen.

 

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor. Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2.) das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

 

(1.)

 

Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Diese ist gegeben, wenn die Rechtsfrage ungeklärt ist und eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (vgl. BSG, Beschluss vom   25. September 2002, B 7 AL 142/02 B [6]). Klärungsbedürftigkeit ist nicht gegeben, wenn sich die entschiedene Rechtsfrage unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nur eine Anwendung höchstrichterlicher Rechtssätze auf den Einzelfall darstellt (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG,     13. Auflage, § 144, Rn. 28).

 

Die Kläger haben keine klärungsbedürftige Rechtsfrage genannt. Die Behauptung, das Sozialgericht habe die Erforderlichkeit des Umzugs nicht ausreichend geprüft, betrifft keine Rechtsfrage, sondern die Würdigung des Sachverhalts.

 

(2.)

 

Es besteht auch keine Divergenz des erstinstanzlichen Urteils zu einer Entscheidung der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Spruchkörper. Divergenz liegt vor, wenn das erstinstanzliche Gericht einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG benannten Gerichte aufgestellt hat (vgl. BSG, Beschluss vom 25. September 2002, B 7 AL 142/02 B [13]). Eine Abweichung in diesem Sinne liegt nicht schon dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien der Rechtsprechung dieser Gerichte genügt. Vielmehr muss das erstinstanzliche Gericht diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt haben (vgl. BSG, Beschluss vom 4. Dezember 2007, B 2 U 165/06 B [6]). Dies erfordert, dass das Sozialgericht zweifelsfrei in den Gründen seiner Entscheidung wenigstens mittelbar und (im Ergebnis) eindeutig einen abweichenden Rechtssatz aufstellen wollte (vgl. BSG, Beschluss vom 27. Januar 1999, B 4 RA 131/98 B [12]).

 

Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Sozialgericht vorliegend keinen divergierenden Rechtssatz aufgestellt.

 

(3.)

 

Auch ein Zulassungsgrund im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG liegt nicht vor. Unter einem Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt, zu verstehen. Die inhaltliche Unrichtigkeit eines Urteils kann insoweit nicht mit Erfolg gerügt werden, da es im Rahmen des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht um die Richtigkeit der Entscheidung, sondern um das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil geht. Aus den vorgetragenen Tatsachen muss sich schlüssig ergeben, welche Verfahrensvorschrift als verletzt angesehen wird und warum das Urteil darauf beruhen kann. Bei der Beurteilung, ob ein die Berufung rechtfertigender Verfahrensmangel vorliegt, ist von der Rechtauffassung des Sozialgerichts auszugehen (Leitherer, a. a. O., § 144, Rn. 32, 32a).

 

Die Kläger machen geltend, das Sozialgericht habe seine Pflicht zur Amtsermittlung verletzt und die Erforderlichkeit des Umzugs nicht geprüft.

 

Ein solcher Verfahrensmangel liegt jedoch nicht vor. Für die Frage, ob das Sozialgericht seine Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, verletzt hat, kommt es darauf an, welche Ermittlungen es von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus noch hätte anstellen müssen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 1969, 11 RA 154/69 [9], Juris). Dabei hat es im Rahmen der Untersuchungsmaxime (§ 103 SGG) lediglich solche Ermittlungen anzustellen, die nach „Lage der Sache“ erforderlich sind. Es hat also nur, aber auch stets zu ermitteln, soweit der Sachverhalt und der Beteiligtenvortrag Nachforschungen nahelegen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995, 5 RJ 26/94 [24], Juris).  

 

Ermittlungen hinsichtlich einer Notwendigkeit des Umzugs hat das Sozialgericht zu Recht nicht durchgeführt. Ein Fall der Deckelung auf die bisherigen KdUH gemäß § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II liegt nämlich nicht vor. Darüber hinaus waren mangels Sachvortrags keine Ermittlungen zur Erforderlichkeit des Umzugs möglich.

 

3.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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