L 8 SO 343/22 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 SO 163/22 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 343/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Kosten für eine behinderungsbedingt angeordnete Untersuchung der Eigung zum Führen eines Kfz können im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Sozialen Teilhabe zu übernehmen sein. Voraussetzung ist dabei auch eine vorherige Antragstellung

 

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 15. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


G r ü n d e :

I.

Streitig ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, ob der Antragsteller (ASt) die Erstattung der Kosten für eine Eignungsuntersuchung zum Führen eines Kraftfahrzeugs (Kfz) beanspruchen kann.

Der 1972 geborene ASt, bei dem ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt und der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sein soll, beantragte am 12.09.2022 beim Landratsamt Ostallgäu die Übernahme der Kosten für eine von der Führerscheinstelle angeordnete Kfz-Eignungsuntersuchung aus Mitteln der Eingliederungshilfe. Der Untersuchung habe er sich nicht verweigert. Es hätte hinreichend mildere Mittel gegeben als die erzwungene fachärztliche Untersuchung. Die erheblichen Kosten seien als behinderungsbedingte Kosten zu erstatten. Er habe sich den Geldbetrag von seiner Verfahrensbevollmächtigten kurzfristig leihen müssen (Schreiben vom 08.09.2022).

Das Landratsamt leitete den Antrag unter dem 26.09.2022 zuständigkeitshalber an den Antragsgegner (Ag) weiter.

Auf eine Anfrage des Ag wurde ein Formularantrag auf Sozialhilfe, eine Vollmacht sowie eine Bestätigung der Bevollmächtigten des ASt übersandt (Schreiben vom 28.10.2022), dass sie dem ASt die Kosten für das D-Gutachten vorgestreckt habe. Der ASt sei seit 16.09.2022 leistungsberechtigt, erhalte aber Arbeitslosenggeld, weil notwendige Verdienstbescheinigungen nicht ausgestellt worden seien. Nach dem Antrag besitzt der ASt zudem ein Kfz Baujahr 2001 im Wert von ca. 500 EUR. Das Kfz sei notwendig zur Aufnahme von Berufstätigkeiten.

Mit Bescheid vom 24.11.2022 lehnte der Ag die Kostenerstattung für die vom Landratsamt angeordnete Eignungsuntersuchung zum Führen eines Kfz ab. Infolge der Weiterleitung habe der Ag über die beantragte Leistung umfassend nach Sozialrecht zu entscheiden. Im Rahmen der Leistungen zur Mobilität könne auch Hilfe zur Erlangung eines Führerscheins gewährt werden. Nicht vorgesehen sei die Übernahme der Kosten einer angeordneten Eignungsuntersuchung zum Führen eines Kfz. Auch die übrigen Voraussetzungen der Kfz-Hilfe seien nicht dargelegt. So sei mangels Angaben nicht belegt, dass dem ASt die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar sei.

Am 02.12.2022 hat der ASt beim Sozialgericht Augsburg (SG) Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und zugleich Klage gegen den Bescheid vom 24.11.2022 erhoben (Verfahren S 6 SO 165/22). Die im Bescheid vom 24.11.2022 zitierte Rechtsprechung entspreche dem Teilhabegedanken der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in keiner Weise. Gesellschaftliche Teilhabe umfasse alle Bereiche des gesamtgesellschaftlichen Lebens.

Das SG hat mit Beschluss vom 15.12.2022 den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Der Antrag sei zulässig als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, er sei aber unbegründet. Dem Antrag stehe bei noch offener Widerspruchsfrist betreffend den Bescheid vom 24.11.2022 nicht die Unzulässigkeit der gleichzeitig erhobenen Klage entgegen. Der ASt habe aber bereits keinen Anordnungsgrund, also eine Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht. Nach den Angaben des ASt seien die Kosten bereits bezahlt worden. Der Ausgleich privater Schulden könne regelmäßig nicht im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt werden. Ferner sei nicht erkennbar, worauf ein Anspruch des ASt gestützt werden könnte. Streitig sei vorliegend ein Anspruch auf Leistungen zur sozialen Teilhabe. Dazu gehörten auch Leistungen zur Mobilität. Diese umfassten Leistungen zur Beförderung, insbesondere durch einen Beförderungsdienst sowie Leistungen für ein Kfz, darunter auch Leistungen zur Erlangung der Fahrerlaubnis. Vorliegend könne dahingestellt bleiben, ob zu den Hilfen zur Erlangung eines Führerscheins im Einzelfall nicht auch die für eine angeordnete Wiederholungsprüfung anfallenden Kosten gehören könnten. Es fehle bereits daran, dass die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nach Art und Schwere der Behinderung unzumutbar sein müsse, wobei infrastrukturelle Nachteile ohne Belang seien. Hier lägen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der ASt aufgrund seiner Behinderung auf die regelmäßige Nutzung eines Kfz angewiesen sei.

Dagegen hat der ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Der Schriftsatz des Ag sei ihm erst mit Beschlussverkündung zugänglich gemacht worden, so dass sein Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. Das SG habe zu Unrecht von einer "Anordnung des Amtsgerichts" gesprochen und "ins Blaue hinein" entschieden. Ob die Leistungen vor- oder nachrangig seien, sei für den zu klärenden Sachverhalt unerheblich, da es darum gehe, seine Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Dies gelinge nur mit einer Fahrerlaubnis. Als unter Schlafapnoe leidender Asthmatiker sei er auf die Möglichkeit angewiesen, stets ohne die Pflicht zum Tragen einer Maske im ÖPNV zu Vorstellungsgesprächen und einem späteren Arbeitsplatz zu gelangen. Soziale Teilhabe umfasse auch die selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung. Der Erhalt der Erlaubnis zum Führen eines Pkw sei dafür ein existenzieller Baustein. Dabei unberücksichtigt zu lassen, ob er aus anderen Gründen wie einer ungünstigen Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel auf die Nutzung eines Kfz angewiesen sei, lasse auf eine entsprechende Einstellung des SG schließen, die er nicht weiter kommentieren wolle. Vereinbar mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) oder der "europäischen Behindertenkonvention" sei sie nicht. Dort, wo er wohne, hätten 95% der Einwohner einen Führerschein. Es werde indirekt eine Ausgrenzung aus wirtschaftlichen Gründen zu seinen Lasten befürwortet. Die Kfz-Hilfe-Verordnung richte sich an alle Rehabilitationsträger. Stelle jemand einen Antrag auf Kfz-Hilfe, sei nicht einfach nur ein Anspruch zu verweigern, sondern darzulegen, welcher alternative Anspruchsträger zuständig sei. Dies habe der Ag unterlassen, indem er den Anspruch verneint habe, weil nur ein schwerst-mehrfach-gehbehinderter Mensch Anspruch auf diese Teilhabeleistung habe. Dazu, dass der Ausgleich privater Schulden regelmäßig nicht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt werden könne, fehle jeder Beleg. Gerade Privatschulden seien Ehrenschulden und deren zeitnahe Begleichung ein Ausdruck selbstbestimmter Lebensführung.

Der Ag hat noch mitgeteilt, dass ihm kein Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.11.2022 vorliege.

Auf Nachfrage des Gerichts hat der ASt einen Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.11.2022 mit einer Faxbestätigung vom 23.12.2022 sowie zwei Quittungen der D vom 31.08.2022 über die Einzahlung von 975 EUR und 165 EUR durch den ASt übersandt.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig (§§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG), insbesondere ist sie statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 EUR überschreitet (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Nach den vom ASt im Beschwerdeverfahren vorgelegten Quittungen über 975 EUR und 165 EUR - der Gesamtbetrag entspricht dem Begehren des ASt (dazu gleich) - ist die Schwelle von 750 EUR überschritten.

Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist das Begehren des ASt nach Erstattung der von ihm aufgewandten Kosten für eine Eignungsuntersuchung zum Führen eines Kfz i.H.v. 1.140 EUR. Bei der vom ASt angegebenen Untersuchung dürfte es sich um ein (fachärztliches) Gutachten nach § 11 Abs. 2 bzw. §§ 13 f. der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) handeln. Nach dem Vortrag des ASt ist nicht klar, ob die ärztliche Untersuchung dazu dienen sollte, Zweifel an seiner Eignung zum Führen eines Kfz vor (Wieder)Erteilung einer Fahrerlaubnis auszuräumen oder aber zu einem späteren Zeitpunkt, zu dem er bereits im Besitz einer Fahrerlaubnis war. Dies kann jedoch dahin stehen. Gemäß § 2 Abs. 8 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i.V.m. § 11 Abs. 2 bzw. §§ 13 f. FeV kann von der Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen sowohl über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis als auch über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens durch den Bewerber angeordnet werden. Die Kosten eines solchen Gutachten hat der Betreffende zu tragen, da er die Untersuchung in Auftrag gibt (§ 11 Abs. 6 Satz 5 FeV). Weiter ist davon auszugehen, dass sich die Kosten des hier im Raum stehenden Gutachtens auf insgesamt 1.140 EUR belaufen und der ASt gerade die Erstattung dieses Betrages geltend macht. Er hat nämlich auf eine diesbezügliche Nachfrage des Gerichts zwei Quittungen der D vom 31.08.2022 über die Einzahlung von 975 EUR und 165 EUR übersandt. Dies deckt sich insoweit auch mit der Angabe der Bevollmächtigten des ASt im Verwaltungsverfahren, dass sie ihm die Kosten für "das D-Gutachten" vorgestreckt habe (Schreiben vom 28.10.2022).

Mit diesem Inhalt ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zwar zulässig, in der Sache aber nicht begründet.

Gemäß dem hier einschlägigen § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG - angestrebt wird eine Erweiterung der Rechtsposition - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt und der dem Streitgegenstand eines Hauptsacheverfahrens entspricht - sowie eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - voraus. Die Angaben hierzu müssen glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO), wobei als Beweismittel auch eine eidesstattliche Versicherung (§ 294 Abs. 1 ZPO) möglich ist. Hinsichtlich des Beweismaßstabes genügt also die überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - SGB X), verbleibende Zweifel sind unschädlich (vgl. Burkiczak in jurisPK-SGG, Stand: 04.12.2019, § 86b Rn. 415).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage in dem vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Im Beschwerdeverfahren trifft das Beschwerdegericht unter erneuter summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage eine neue Entscheidung, ohne auf die Überprüfung der Ausgangsentscheidung beschränkt zu sein (vgl. Karl in jurisPK-SGG, Stand: 14.09.2021, § 176 Rn. 11). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Regelungsanordnung wie bei der Anfechtungs- und Leistungsklage der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 86b Rn. 42).

Nach diesen Maßstäben besteht im Fall des ASt weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund.

Dass kein Anordnungsanspruch gegeben ist, folgt noch nicht daraus, dass kein Raum für eine einstweilige Anordnung besteht, weil der Bescheid des Ag vom 24.11.2022 bestandskräftig wäre (vgl. Keller, a.a.O., § 86b Rn. 26d; Binder in Berchtold, SGG, § 86b Rn. 32). Mit diesem Bescheid hat der Ag umfassend, d.h. alle Gruppen von Teilhabeleistungen i.S.d. § 5 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) betreffend und nicht nur in Bezug auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 SGB IX, Leistungen abgelehnt. In der Begründung des Bescheids wird nämlich ausgeführt, dass der Ag infolge der Weiterleitung über die beantragte Leistung umfassend nach Sozialrecht zu entscheiden habe. Somit war sich der Ag seiner aufgrund des Regimes von § 14 SGB IX begründeten (vorläufigen) Pflicht zur Prüfung aller in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2019 - B 8 SO 12/17 R - juris) bewusst und wollte dementsprechend umfassend (ablehnend) entscheiden. Der Senat geht aber im Rahmen des vorliegenden Verfahrens zugunsten des ASt davon aus, dass dieser - nach dem angefochtenen Beschluss des SG vom 15.12.2022 - noch fristgemäß Widerspruch gegen den Bescheid des Ag vom 24.11.2022 eingelegt. Der Ag hat zwar unter dem 04.01.2023 mitgeteilt, dass ihm kein Widerspruch vorliege. Der ASt hat aber ein Widerspruchsschreiben vom 23.12.2022 sowie einen Faxbericht übersandt, ebenfalls datierend vom 23.12.2022 und gerichtet an die Faxnummer des Ag, wenngleich nicht ersichtlich wird, was konkret der ASt gefaxt hat. Allerdings können im hiesigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Zweifel noch zurückgestellt und angenommen werden, dass der Widerspruch vom 23.12.2022 doch innerhalb der offenen Widerspruchsfrist beim Ag eingegangen ist.

Auch ist - entgegen der im Bescheid vom 24.11.2022 geäußerten Ansicht des Ag - eine Grundlage für einen Anspruch des ASt durchaus denkbar. Nach dem Vortrag des ASt, dass er seine Fahrerlaubnis benötige, um seine Arbeitslosigkeit - nach seinen Angaben ist er seit Mitte September 2022 arbeitslos - zu beenden, und dass er über einen GdB von 40 verfüge sowie gleichgestellt sei, kommen neben Leistungen zur sozialen Teilhabe (§ 5 Nr. 5 SGB IX) ebenso und vorrangig (§ 91 Abs. 1, § 102 Abs. 2 SGB IX) Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben infrage (§ 5 Nr. 2 SGB IX). Deren Gewährung richtet sich nach § 112 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. den §§ 49 ff. SGB IX. Sie beinhalten gemäß § 49 Abs. 1 und 3 Nr. 1 SGB IX auch Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes bzw. einer betrieblichen Qualifizierung und umfassen gemäß § 49 Abs. 8 Nr. 1 SGB IX auch Leistungen der Kfz-Hilfe nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV). Diese wiederum sieht in § 8 Abs. 2 KfzHV vor, dass die Kosten für behinderungsbedingte Untersuchungen, Ergänzungsprüfungen und Eintragungen in vorhandene Führerscheine in vollem Umfang übernommen werden. Hierunter dürften auch die Kosten für Gutachten nach den §§ 11 ff. FeV zu fassen sein, wenn diese auf Umstände zurückzuführen sind, die in einem Behinderungsleiden des Betreffenden begründet sind. Angesichts dieser gesetzlichen Regelung kann die ehedem getroffene Entscheidung des BSG (Urteil vom 06.12.1983 - 11 RA 72/82 - juris), dass eine Erstattung von Kosten für Eignungsuntersuchungen zur Überwachung der Fahrtüchtigkeit nach dem Erwerb eines Führerscheins keine Leistung zur Rehabilitation sei und dass der Versicherte für solche Kosten selbst aufzukommen habe, heute keine Geltung mehr beanspruchen. Diese Entscheidung ist zu nicht mehr in Kraft befindlichen Rechtsnormen bzw. den früheren Kfz-Richtlinien ergangen.
Der Senat kann offen lassen, ob Hilfen nach § 8 Abs. 2 KfzHV tatsächlich auch im Rahmen der sozialen Teilhabe (§ 102 Abs. 1 Nr. 4, § 113 Abs. 2 Nr. 7 und Abs. 3, § 83 Abs. 3 SGB IX) in Betracht kommen, obschon nach § 114 Nr. 2 SGB IX die Vorschriften der §§ 6 und 8 KfzHV nicht maßgeblich sind.

Sowohl die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den §§ 49 ff. SGB IX als auch Leistungen der Kfz-Hilfe im Rahmen der sozialen Teilhabe nach Teil 2 des SGB IX setzen eine vorherige Antragstellung voraus. Für die Eingliederungshilfe folgt dies aus § 108 Abs. 1 SGB IX und für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den §§ 49 ff. SGB IX ergibt sich dies aus § 7 Abs. 1 SGB IX i.V.m. den §§ 323 f. SGB III, da die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß § 3 Abs. 1 SGB III zu den Leistungen der Arbeitsförderung zählen. An einer vorherigen Antragstellung fehlt es aber hier. Nach den vom ASt vorgelegten Quittungen der D hat er spätestens am 31.08.2022 die Kosten für die Begutachtung einbezahlt. Leistungen beantragt bzw. Erstattung geltend gemacht hat er jedoch erstmals mit seinem Schreiben vom 08.09.2022, welches erst am 12.09.2022 beim Landratsamt Ostallgäu eingegangen ist. Auch bei einer Rückwirkung auf den Monatsersten (§ 108 Abs. 1 SGB IX, § 325 SGB III sieht dies für die hier interessierenden Teilhabeleistungen ohnehin schon nicht vor), hier 01.09.2022, wäre der Antrag somit zu spät gestellt worden.

Das gleich Ergebnis folgt, selbst wenn man annähme, dass hinsichtlich der hier interessierenden Kfz-Hilfe das Antragserfordernis durch § 10 KfzHV modifiziert würde. Demnach sollen Leistungen vor dem Abschluss eines Kaufvertrages über das Kfz und die behinderungsbedingte Zusatzausstattung sowie vor Beginn einer nach § 8 KfzHV zu fördernden Leistung beantragt werden. Die "Soll-Regelung" beinhaltet aber, dass dies der Regelfall ist und nur in Ausnahmefällen davon abgesehen werden könnte. Für einen solchen Ausnahmefall ist vorliegend aber nichts ersichtlich. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Anordnung einer Eignungsbegutachtung durch die Führerscheinstelle einen gewissen Vorlauf hatte und der ASt daher ohne Weiteres in der Lage war, frühzeitig, d.h. vor Begleichung der Kosten, hierfür Leistungen zu beantragen. Daher kann der Vortrag des ASt, er habe sich das Geld kurzfristig leihen müssen, den Senat nicht davon überzeugen, dass ihm für eine - zumal formlose - Antragstellung nicht mehr ausreichend Zeit geblieben ist. Ein Abgehen vom Erfordernis der vorherigen Antragstellung ist daher nicht gerechtfertigt.

Auf den Verweis des ASt auf die EMRK bzw. die "Behindertenrechtskonvention" kommt es daher nicht mehr an, weil ein materieller Anspruch schon an der fehlenden rechtzeitigen Antragstellung scheitert. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Antragserfordernis eine nach der EMRK, dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung oder nach dem Grundgesetz unzulässige Hürde schaffen würde. So ist es jedenfalls in § 108 SGB IX gerade als Ausdruck einer Kehrtwende weg von einem sich aufdrängenden Fürsorgeprinzip anzusehen (Scheider in Schellhorn/Hohm/Scheider/Busse, SGB XII, 21. Aufl., § 108 SGB IX Rn. 1). Ohnehin zeigt das Verfahren, dass es dem ASt möglich war, eine Antrag zu stellen.

Darüber hinaus ist auch kein Anordnungsgrund gegeben. Dazu nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Beschluss (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Auch im Beschwerdeverfahren ist nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich worden, dass dem ASt das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar wäre, zumal seine Bevollmächtigte, welche ihm das Geld vorgestreckt haben will, offenbar weitere nicht unerhebliche Zahlungen für den ASt geleistet hat.

Nach alledem ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

 

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