L 10 R 3541/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 1570/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3541/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Notwendigkeit, alle zwei bis drei Stunden eine Toilette aufsuchen zu müssen, rechtfertigt nicht die Annahme, dass die Versicherte nur noch unter betriebsunüblichen Bedingungen arbeiten kann. Auch das Erfordernis, sich (maximal) zweimal am Tag selbst zu katheterisieren, schränkt die berufliche Leistungsfähigkeit nicht ein, da dies außerhalb der täglichen Arbeitszeit erfolgen kann.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18.09.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand


Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung im Streit.

Die 1966 geborene Klägerin machte - ihren eigenen Angaben nach (Bl. 1 VA-ÄT) - von Oktober 1983 bis Juni 1985 eine Ausbildung zur Verkäuferin im Textilbereich und war (zuletzt) von ca. 2009 bis 03.01.2014 als Produktionshelferin versicherungspflichtig beschäftigt. Seither ist sie arbeitsunfähig, respektive arbeitslos (s. u.a. Bl. 85 VA-ÄT) mit Bezug von Krankengeld bzw. Arbeitslosengeld und seit 01.08.2016 von Arbeitslosengeld II. Hinsichtlich der Einzelheiten der zurückgelegten versicherungsrechtlichen Zeiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 14.09.2021 (Bl. 158 ff. Senatsakte) Bezug genommen. 

Bereits im Jahr 2004 wurde der Klägerin wegen einer Harninkontinenz - die Klägerin hat drei Kinder geboren - ein TVT-Band gelegt und wegen Blutungsstörungen und Hypermenorrhoen im Oktober 2009 die Gebärmutter entfernt (Bl. 29 VA-ÄT). Jedenfalls seit September 2014 kam es zu einem Harnträufeln.

Im April 2013 wurde bei ihr eine offene subacromiale Dekompression und Bursektomie im Bereich der rechten Schulter durchgeführt (Bl. 11 f. VA-ÄT).

Seit Januar 2014 klagt die Klägerin über Drehschwindelattacken (s. Bl. 15 ff. VA-ÄT), wegen denen sie sich auch vom 03.03.2014 bis 05.03.2014 zur stationären Abklärung in den Kliniken S in A befand (Bl. 25 ff. VA-ÄT). Dort zeigte sich weder ein klinisch-neurologisches Defizit, noch war - auch unter Lagerungsprobe - ein Schwindel auslösbar. Eine Ursache der geschilderten Schwindelsymptomatik konnte nicht objektiviert werden, weshalb differentialdiagnostisch eine Vestibularisparoxysmie diagnostiziert wurde. Im November 2015 schloss der W u.a. eine Hörstörung aus und äußerte den Verdacht auf (V.a.) einen psychovegetativen Schwindel (Bl. 121 VA-ÄT).

Vom 18.02.2015 bis 25.03.2015 befand sich die Klägerin zur Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Rehaklinik K (Bl. 39 ff. VA-ÄT), aus der sie zwar (noch) arbeitsunfähig, jedoch mit einem sechsstündigen Leistungsvermögen sowohl für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Produktionshelferin als auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen wurde (Diagnosen: Vertigo, Gonarthralgie links, einfache Migräne, Adipositas).

Bereits vom 08.06.2015 bis 07.07.2015 befand sie sich erneut in stationärer medizinischer Rehabilitation, diesmal in der K Klinik Ü am B, einer Klinik für ernährungsabhängige Krankheiten, Innere Medizin und Diabetologie (Bl. 127 ff. VA-ÄT, Diagnosen: Adipositas Grad I - BMI 34,0 kg/m² -, Harninkontinenz, Gonarthrose links bei bekannter Bakerzyste, rezidivierende Migräneattacken, chronischer Drehschwindel), aus der sie arbeitsfähig und mit einem mehr als sechsstündigen Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt - wiederum unter Beachtung qualitativer Einschränkungen (zeitweise im Stehen, zeitweise im Gehen, ständig im Sitzen, ohne psychomentale Funktionen) - entlassen wurde. Im Entlassungsbericht wurde auf einen sekundärer Krankheitsgewinn und ein Rentenbegehren der Klägerin hingewiesen (Bl. 131 VA-ÄT).

U.a. im September 2015 wurde aufgrund eines degenerativen Innenmeniskushinterhornrisses links und einer ausgeprägten Chondromalazie retropatellar (IV. Grades) und medialem Kompartiment eine Arthroskopie im linken Kniegelenk durchgeführt (Bl. 53 f. VA-ÄT).

Am 27.04.2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung (Bl. 55 VA) und begründete diesen mit ständigem Schwindel, Migräne, Knie- und Schultergelenkschmerzen sowie einer Wirbelsäulenverkrümmung (Bl. 5 VA-ÄT). Sie halte sich seit dem 03.01.2014 für erwerbsgemindert.

Die Beklagte ließ sie sodann von E begutachten (Bl. 83 ff. VA-ÄT, Untersuchungstag: 17.05.2016). Sie diagnostizierte u.a. ein chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren, rezidivierende Drehschwindelepisoden unklarer Ursache, Gonalgien links bei fortgeschrittener Chondromalazie, Innenmeniskusläsion, rezidivierende Lendenwirbelsäulen(LWS)- und Halswirbelsäulen(HWS)-Syndrome, eine Belastbarkeitseinschränkung im Bereich des rechten Schultergelenks, eine Migräne sowie eine Belastungsharninkontinenz und schätzte die Leistungsfähigkeit der Klägerin - unter Beachtung qualitativer Einschränkungen (Tätigkeiten abwechselnd im Gehen, Stehen, Sitzen ohne Klettern oder Steigen) - für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf sechs Stunden und mehr ein.

Im Juli 2016 wurde eine arthroskopische Innenmeniskus-Nachresektion und Plica-Resektion am linken Kniegelenk vorgenommen (Bl. 117 VA-ÄT).

Mit Bescheid vom 08.06.2016 (Bl. 159/1 ff. VA) lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mangels Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen ab. Auf den Widerspruch der Klägerin hin (Bl. 3 f. VA-RMG), den sie u.a. damit begründete, dass ihre psychischen Leiden nicht ausreichend gewürdigt worden seien (Bl. 19 f. VA-RMG), holte die Beklagte das Gutachten der N-S ein (Bl. 157 ff. VA-ÄT, Untersuchungstag: 11.01.2017). N-S diagnostizierte eine Dysthymie - mit aktuell leichter depressiver Symptomatik -, eine undifferenzierte Somatisierungsstörung, eine Gonarthrose links und eine Migräne ohne Aura und schätzte die quantitative Leistungsfähigkeit der Klägerin für leichte Tätigkeiten - unter Beachtung qualitativer Einschränkungen (einfacher geistiger Anspruch, ohne Einnahme von Zwangshaltungen, ohne Nachtschicht, ohne erhöhten Zeitdruck und ohne Absturzgefahr) - auf sechs Stunden täglich ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2017 (Bl. 71 VA-RMG) wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 28.07.2017 mit dem Begehren, ihr eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren (Bl. 230 SG-Akte), Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben, eine Verschlechterung der Schwindelproblematik geltend gemacht und u.a. darauf hingewiesen, dass ihr ihre Inkontinenz - sie benötige fünf bis acht Einlagen täglich -, eine Zyste am Kniegelenk, ständige LWS-Beschwerden und ihre psychische Erkrankung zu schaffen machten.

Das SG hat daraufhin die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. W1 (Bl. 26 SG-Akte) hat u.a. eine Belastungsharninkontinenz bei überaktiver Blase mitgeteilt und aufgrund der Blasenproblematik die Leistungsfähigkeit der Klägerin als eingeschränkt angesehen. Allerdings hat er keine Bedenken gegen eine leichte Tätigkeit von drei bis sechs Stunden geäußert. Außerdem hat er einen Entlassungsbericht der Klinik T vorgelegt, wonach bei der Klägerin nach der Diagnose u.a. einer Belastungsinkontinenz II°, einer überaktiven Blase, einer Zystozele I°, eines Deszensus des Scheidenendes I° und einer Rektozele II° am 30.11.2017 auf das ausdrückliche Drängen der Klägerin hin - seitens der Klinik war ihr eine Pessartherapie empfohlen worden (Bl. 30 SG-Akte) - ein operativer Eingriff in Form u.a. einer Sakrokolpopexie und einer Kolposuspension nach Burch durchgeführt worden ist (Bl. 27 f. SG-Akte). F (Bl. 39 f. SG-Akte) hat mitgeteilt, dass sie von einem unsystematischen Schwindel bei psychogener Überlagerung bei einer ängstlich (vermeidenden) Persönlichkeitsstörung ausgehe, keine Motivation der Klägerin für die Bearbeitung der Psychodynamik ihrer neurotischen Erkrankung bestehe und die Klägerin bedenkenlos täglich mindestens sechs Stunden leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben könne. S1 (Bl. 41 f. SG-Akte) hat mitgeteilt, dass die Klägerin an einer depressiven Symptomatik sowie Schwindelbeschwerden ohne organisches Korrelat leide und sie nach Besserung der depressiven Symptomatik in der Lage sei, leichte Tätigkeiten für mindestens drei bis unter sechs Stunden auszuüben. W2 (Bl. 43 f. SG-Akte) hat als Diagnosen eine Inkontinenz, Schwindel, Depression und eine Chondromalazie am linken Kniegelenk mitgeteilt und ist davon ausgegangen, dass die Klägerin - insbesondere aufgrund der Schwindelsymptomatik - nicht mehr leistungsfähig sei. Laut E-K (Bl. 58 ff. SG-Akte) besteht bei der Klägerin u.a. eine vergrößerte Sehnervenaushöhlung bei großen Sehnerven ohne krankhafte Gesichtsfeldausfälle oder Sehminderung. Sie hat von ophthalmologischer Seite keine Bedenken gegen das vollschichtige Verrichten leichter Tätigkeiten geäußert. R (Bl. 70 SG-Akte) hat die Kniebeschwerden der Klägerin als im Vordergrund stehend angegeben und auf die beigefügten Befundunterlagen verwiesen. Die Klägerin könne daher aktuell lediglich kurzzeitig stehende Tätigkeiten ausüben. Tätigkeiten im Sitzen seien ihr mindestens drei bis unter sechs Stunden täglich zumutbar.

Die Beklagte hat daraufhin eine sozialmedizinische Stellungnahme der W-H vom 08.03.2018 vorgelegt (Bl. 90 ff. SG-Akte), in der diese u.a. ausgeführt hat, dass die von der Klägerin behauptete Inkontinenzproblematik aufgrund der unauffälligen Messergebnisse nicht nachvollzogen werden könne. Gleiches gelte für die Schwindelsymptomatik.

Am 28.03.2018 ist bei der Klägerin schließlich eine Kniegelenksprothese mit Retropatellarersatz im linken Knie implantiert worden, woraufhin sie sich vom 06.04.2018 bis 27.04.2018 in stationärer medizinischen Rehabilitation in der B-Klinik Ü befunden hat (Bl. 116 ff. SG-Akte; Diagnosen u.a.: Gonarthrose links, Z.n. Implantation einer KTEP mit Retropatellarersatz links vom 29.03.2018, Gonarthrose rechts). Hieraus ist sie (noch) arbeitsunfähig, jedoch mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen worden.

Das SG hat daraufhin von Amts wegen ein Sachverständigengutachten bei T1 eingeholt (Bl. 97 ff. SG-Akte, Untersuchungstag: 10.07.2018). Der Sachverständige hat auf seinem Fachgebiet eine depressive Symptomatik in leichterer Ausprägung (Dysthymia), eine undifferenzierte Somatisierungsstörung (mit Schwindel) und Migräne diagnostiziert, wobei er deutliche Hinweise auf Aggravation und inadäquates Beschwerdevorbringen gesehen hat. Insbesondere ist es nicht möglich gewesen, den geklagten Schwindel zu objektivieren. Er hat die Leistungsfähigkeit der Klägerin - unter Beachtung qualitativer Einschränkungen (kein übermäßiger Zeitdruck und Akkordanforderung, Tätigkeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen, kein Heben und Tragen von schweren Lasten, keine Arbeit unter Nässe oder Kälte, keine Nachtarbeit, keine Tätigkeiten mit Anforderungen an Gleichgewichtssinn - z.B. Besteigen von Leitern, oder Gerüsten, Arbeiten in Gefahrenzonen oder in der Höhe -, keine Tätigkeiten mit erhöhtem Ausmaß an Kommunikationsfähigkeit oder Sozialkompetenz) - für leichte bis zeitweise mittelschwere Tätigkeiten auf arbeitstäglich sechs Stunden und mehr eingeschätzt. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit hat er verneint (Bl. 112 SG-Akte).

Aufgrund einer Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) am 12.09.2018 ist der Klägerin seit dem 14.06.2018 der Pflegegrad 3 zuerkannt worden (s. MDK-Gutachten Bl. 127 ff. SG-Akte).

Vom 02.01.2019 bis 01.02.2019 hat sich die Klägerin in teilstationärer Behandlung in der Tagesklinik S2 befunden (Bl. 187 ff. SG-Akte, Diagnosen: schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, Agoraphobie mit Panikstörung), aus der sie arbeitsunfähig entlassen und die (erneute) Durchführung einer ambulanten Psychotherapie empfohlen worden ist (Bl. 187 ff. SG-Akte).

Auf Antrag der Klägerin gem. § 109 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein Sachverständigengutachten bei N eingeholt (Bl. 154 ff. SG-Akte, Untersuchungstag: 13.02.2019). N hat psychogene Schwindelbeschwerden (somatoforme Störung), ein mittelgradiges depressives Beschwerdebild (mittelgradige depressive Episode) sowie eine Migräne ohne Aura diagnostiziert und die quantitative Leistungsfähigkeit der Klägerin auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf täglich unter drei Stunden eingeschätzt. Zudem ist er davon ausgegangen, dass die Klägerin mindestens seit Beginn des Jahres 2014 nicht mehr in der Lage sei, täglich viermal eine Gehstrecke von 500 m ohne unterstützende Begleitung zurückzulegen oder selbst mit dem Auto oder Fahrrad zu fahren.

Vom 04.03.2019 bis 12.03.2019 hat sich die Klägerin schließlich in stationärer, integriert neurologischer und psychotherapeutischer Behandlung in den Kliniken S befunden (Bl. 193 ff. SG-Akte). Dem Entlassungsbericht lassen sich als Diagnosen eine rezidivierende depressive Störung - gegenwärtig mittelgradige Episode -, ein somatoformer Schwindel, eine Traumaverarbeitungsstörung und eine Agoraphobie mit Panikstörung entnehmen.

Nach Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme des N1 (Bl. 181 f. SG-Akte) hat das SG bei dem Sachverständigen T1 ergänzende Stellungnahmen zum Gutachten des Sachverständigen N sowie zu den Entlassungsberichten über die teilstationäre und die stationäre Behandlung eingeholt (Bl. 201 ff. und 205 f. SG-Akte). Auf den Inhalt seiner Stellungnahmen vom 29.04.2019 und 03.06.2019 wird Bezug genommen.

Seit Juni 2019 nimmt die Klägerin aufgrund einer Restharnbildung eine Selbstkatheterisierung vor (s. Bl. 208 f. SG-Akte).

Im Juli 2019 hat N1 im Auftrag der Beklagten eine erneute sozialmedizinische Stellungnahme abgegeben (Bl. 219 ff. SG-Akte) und im August 2019 auch W-H. Sie hat ausgeführt, dass die Notwendigkeit eines ein- bis zweimal täglichen Selbstkatheterismus bei verbleibendem Urin am Ende des Wasserlassens in der Harnblase keine quantitative Leistungseinschränkung zur Folge habe, da dieser - soweit er überhaupt erforderlich sei - morgens und abends zu Hause durchgeführt werden könne (Bl. 225 f. SG-Akte).

Mit Urteil vom 18.09.2019 hat das SG die Klage - im Wesentlichen gestützt auf das Sachverständigengutachten des T1 und das Verwaltungsgutachten der N-S sowie auf die sozialmedizinischen Stellungnahmen - abgewiesen. Die Klägerin leide u.a. vornehmlich an einer Dysthymie, einer undifferenzierten Somatisierungsstörung mit Schwindel, einem Z.n. Knie-TEP links im März 2019 und einer Belastungsharninkontinenz II°. Hieraus folge jedoch keine Einschränkung ihrer quantitativen Leistungsfähigkeit entsprechend § 43 Abs. 1 Satz 2 bzw. Abs. 2 Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Das Bestehen einer die Leistungsfähigkeit quantitativ einschränkenden Schwindelproblematik sei bereits nicht nachgewiesen. Zwar habe die Klägerin sowohl bei den Verwaltungsgutachtern, als auch bei den Sachverständigen und auch den behandelnden Ärzten sowie auch in der mündlichen Verhandlung von einer - teilweise sogar permanent bestehenden - Schwindelproblematik berichtet. Diese habe jedoch zu keinem Zeitpunkt objektiviert werden können. Im Rahmen der Begutachtung durch T1 seien sowohl das Gangbild als auch die erschwerten Gangprüfungen - mithin auch der Seiltänzergang, der gerade dazu geeignet sei, Schwindelsymptomatiken hervorzurufen - durchführbar und unauffällig gewesen. Daher bestünden Zweifel an den Angaben der Klägerin, die jedoch die objektive Beweislast für das Bestehen der Tatbestandsvoraussetzungen trage. Hinsichtlich der übrigen Gesundheitsbeeinträchtigungen lägen keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine quantitative Leistungsminderung vor. Weder ließen sich dem Verwaltungsgutachten der N-S noch dem Sachverständigengutachten des T1 psychische Befunde entnehmen, die zu einer quantitativen Leistungseinschränkung bei der Klägerin führen könnten. Sogar F sei von nur leichten depressiven Beschwerden ausgegangen, die einem vollschichtigen Leistungsvermögen nicht entgegenstünden. Auch aus der zwischenzeitlich durchgeführten lediglich achttägigen Akutbehandlung ließen sich keine Rückschlüsse auf ein dauerhaft eingeschränktes quantitatives Leistungsvermögen der Klägerin ziehen, was durch N1 in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme bestätigt worden sei. Gleiches gelte für die Schmerzsymptomatik. Weder N-S noch T1 hätten ein objektives Korrelat für die subjektiv geklagten Schmerzen finden können. Entgegen ihrer eigenen Angaben habe sich die Klägerin im Rahmen der Untersuchungen auch selbstständig ent- und ankleiden können. Eine quantitative Leistungseinschränkung sei auch aus den bei der Klägerin noch bestehenden Beschwerden im Bereich des linken Knies nicht abzuleiten. Der Sachverständige T1 habe weder im Rahmen der Gangprüfungen Auffälligkeiten beschrieben, noch sei die Sensibilität im Kniegelenk durch Druck-, Schmerz- oder Temperaturreize beeinträchtigt gewesen. Ebensowenig sprächen die in der B-Klinik Ü während des Aufenthalts der Klägerin vom 06.04. bis 27.04.2018 beschriebenen Bewegungsmaße von 0-0-100° für eine Funktionseinschränkung mit Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen. Dem stehe auch nicht die Leistungseinschätzung des R entgegen. Schließlich führe auch die bei der Klägerin bestehende Belastungsharninkontinenz nicht zu einer quantitativen Leistungseinschränkung. Zwar sei das Erfordernis eines mehrmals täglich durchzuführenden Selbstkatheterisierens sicherlich belastend, doch gehe dieses nicht mit einer Einschränkung der zeitlichen Leistungsfähigkeit einher. Hierfür spreche auch, dass das Inkontinenzproblem weder in den durchgeführten Begutachtungen, noch im Rahmen der mündlichen Verhandlung zum Tragen gekommen sei. Hingegen könne die Leistungseinschätzung des Sachverständigen N nicht nachvollzogen werden. Auch er habe keine Befunde beschrieben, die die subjektiven Beschwerden der Klägerin erklären könnten. Jedoch müssten sich auch psychische Erkrankungen in dem erhobenen objektiven Befund wiederspiegeln, da andernfalls bereits durch die bloße Behauptung subjektiver Beschwerden seitens der Klägerin - und somit ohne Kontrollmöglichkeit - eine die quantitative Leistungsfähigkeit einschränkende Erkrankung vorläge. Der bloße Umstand, dass sich die Klägerin in psychischer Behandlung befunden habe, reiche für den Nachweis einer entsprechenden Erkrankung hingegen nicht aus. Das Pflegegutachten des MDK führe ebenfalls zu keiner anderen Einschätzung. Zum einen bestehe kein Automatismus zwischen der Feststellung eines Pflegegrades und der Annahme einer Erwerbsminderung, da sich die Frage nach dem Bestehen von Erwerbsminderung allein auf die arbeitsmarktrelevanten Auswirkungen einer Krankheit beziehe. Zwar könnten auch die im Rahmen einer Pflegebegutachtung beschriebenen Befunde Indizwirkung für die Beurteilung von Erwerbsminderung haben. Allerdings habe auch die Pflegefachkraft keine objektiven Befunde beschrieben, sondern lediglich die subjektiven Angaben der Klägerin zugrunde gelegt. Soweit die behandelnden Ärzte der Klägerin zum Teil eine Einschränkung ihrer quantitativen Leistungsfähigkeit mitgeteilt hätten, so seien diese Einschätzungen durch sowohl das Sachverständigengutachten des T1 als auch das Verwaltungsgutachten der S-N widerlegt.
 
Gegen das - ihr am 02.10.2019 zugestellte - Urteil hat die Klägerin am 18.10.2019 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. In ihrer Berufungsbegründungsschrift (Bl. 19 ff. Senatsakte) hat die Klägerin ausgeführt, dass - entgegen der Einschätzung des SG -bereits aus der Schwindel- und depressiven Symptomatik eine Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit resultiere. Sie sei vom 27.01. bis 06.02.2020 nochmals in stationärer, integriert neurologischer und psychotherapeutischer Krankenhausbehandlung in den Kliniken S gewesen (Bl. 23 f. Senatsakte). Dort habe zwar eine leichte Besserung der Symptomatik erreicht werden können, jedoch sei die Ausprägung der Schwindelsymptomatik unverändert stark geblieben mit einer Einschränkung der Gehfähigkeit und Teilhabe am Leben. Wegen der Knie- und Schwindelbeschwerden sei sie auf die Benutzung eines Rollators angewiesen, weshalb keine Wegefähigkeit mehr gegeben sei. Bislang sei auch die bestehende Inkontinenz nicht ausreichend ermittelt worden. Angesichts der durchgeführten Botoxbehandlungen und des zweimal täglich erforderlichen Selbstkatheterisierens sei S-L als sachverständige Zeugin zu vernehmen. Da sie zweimal pro Stunde eine Toilette aufsuchen müsse, sei vom Vorliegen betriebsunüblicher Arbeitsbedingungen auszugehen. Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat die Klägerin ihren Vortrag u.a. dahingehend ergänzt, dass es erneut zu schweren Blasenentzündungen gekommen sei und sie sich vier- bis achtmal pro Tag selbst katheterisieren müsse (s. Bl. 59, 64 und 92 Senatsakte). In ihrer Stellungnahme vom 23.09.2022 hat sie behauptet, sich fünf- bis fünfzehnmal pro Tag katheterisieren zu müssen (Bl. 250 Senatsakte), wozu auch ihre behandelnde Ärztin K1 geraten habe - tatsächlich hat diese laut Attest vom 08.09.2022 zu einer Erhöhung des Selbstkatheterismus auf drei- bis fünfmal pro Tag geraten (Bl. 261 ff. Senatsakte) - und gleichzeitig ein Attest des W2 vorgelegt (Bl. 254 Senatsakte), wonach sie hierbei Hilfe des Ehemannes bzw. einer medizinischen Fachkraft benötige. Es habe auch eine weitere Botoxbehandlung (laut Befundbericht des B1 am 06.04.2020, Bl. 63 Senatsakte) stattgefunden. Außerdem sei es zu einem Bandscheibenvorfall gekommen (laut Befundbericht des R Höhe L5/S1, Bl. 62 Senatsakte). Sie hat ein „Katheter-Protokoll“ für den Zeitraum vom 01.07.2020 bis 31.07.2020 vorgelegt (Bl. 72 ff. Senatsakte), wonach sie täglich innerhalb von 24 Stunden zwischen 6.100 ml und 6.600 ml Urin ausgeschieden habe sowie Atteste ihres Hausarztes W2 von März 2020, wonach sie an ständigem Schwindel leide und es hierdurch schon zu mehreren häuslichen Stürzen gekommen sei, wobei sie sich mehrmals Hämatome und Blessuren zugezogen habe (Bl. 93 Senatsakte), und ihr Mann sie wegen der ständigen Sturzgefahr nicht alleine lassen könne und ganztätig pflege (Bl. 170 Senatsakte). Im Juli 2022 hat sie vorgetragen, ein Jahr zuvor gestürzt und sich hierbei im Bereich des linken Kniegelenks eine laterale Instabilität bei einliegender Knie-TEP zugezogen zu haben (Bl. 184 ff. Senatsakte). Außerdem hat sie einen Abschlussbericht über eine vom 05.07.2019 bis 09.01.2021 u.a. bei
R-N durchgeführte Psychotherapie vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass diese in Ansehung des bestehenden Rentenbegehrens und laufenden Rentenverfahrens vorzeitig beendet worden sei (Bl. 130 ff. Senatsakte). Im August 2021 hat sie mitgeteilt, seitens der Pflegeversicherung einen Treppenlift als das Wohnumfeld verbessernde Maßnahme bewilligt erhalten zu haben (Bl. 143 Senatsakte). Im Oktober 2022 hat sie außerdem ein weiteres Attest der S1 vom 22.09.2022 (Bl. 259 ff. Senatsakte) und eine psychotherapeutische Stellungnahme der R1 vom 21.09.2022 (Bl. 263 Senatsakte) vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18.09.2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 08.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 01.04.2016 Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und verneint weiterhin das Vorliegen einer quantitativen Leistungseinschränkung.

Der Senat hat Beweis erhoben durch die schriftliche Vernehmung der S-L (Bl. 30 ff. Senatsakte) als sachverständige Zeugin. Sie hat in ihrer Zeugenauskunft von Juni 2020 mitgeteilt, dass die Klägerin letztmals im Juni 2019 zu einer Kontrolluntersuchung im Nachgang zu einer im April 2019 durchgeführten Botoxinjektion vorstellig geworden sei. Das Ergebnis der Botoxinjektion sei sowohl subjektiv als auch objektiv als erfolgreich zu bezeichnen. Die Klägerin müsse nun tagsüber nur noch alle zwei bis drei Stunden und nachts maximal ein- bis zweimal zur Toilette. Intermittierend müsse ein Selbstkatheterismus vorgenommen werden. Aus urologischer Sicht sei die Leistungsfähigkeit der Klägerin aufgrund der Botoxtherapie nicht beeinträchtigt. Sie könne leichte Tätigkeiten bis zu sechs Stunden verrichten. Zu einem Urinabgang komme es nicht mehr.

Die Fachärztin K1 hat im Oktober 2020 mitgeteilt (Bl. 81 f. Senatsakte), dass bei der Klägerin eine Mischharninkontinenz mit führender Dranginkontinenzkomponente vorliege. Die Symptome beinhalteten kurze Miktionsintervalle und plötzlich einsetzenden Harndrang mit konsekutivem Urinverlust. Zwar sei es durch die Botoxinjektion zu einer Reduktion der Harndrangsymptomatik und der Inkontinenz gekommen, die Klägerin müsse sich jetzt jedoch in regelmäßigen dreistündlichen Abständen, mindestens fünf- bis sechsmal pro Tag den Resturin mittels Einmalkatheter aus der Harnblase entleeren. Sie sei daher nicht mehr in der Lage, auch nur leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von ca. sechs Stunden täglich zu verrichten. Eine berufliche Tätigkeit sei nur mit einer Toilette in unmittelbarer Nähe - z.B. Homeoffice - möglich.

Die Beklagte hat eine sozialmedizinische Stellungnahme der W-H vom 20.11.2020 (Bl. 101 ff. Senatsakte) - die u.a. darauf hingewiesen hat, dass die Klägerin laut dem Katheterprotokoll im Juli 2020 zwischen 6.100 und 6.600 ml Urin am Tag ausgeschieden habe, weshalb davon ausgegangen werden müsse, dass sie 8.000 ml Flüssigkeit pro Tag getrunken haben müsste, was eine nicht übliche, sehr hohe und beinahe krankhafte Trinkmenge darstelle; überdies hätten die Restharnmengen zwischen 40 ml und 100 ml betragen (durchschnittlich 60 ml), was tolerabel sei, weshalb gänzlich auf einen Einmalkatheterismus verzichtet werden könne, allenfalls sollte dieser einmal pro Tag durchgeführt werden -  sowie der H vom 07.12.2020 (Bl. 104 Senatsakte) vorgelegt, in der sie an der bisherigen Leistungseinschätzung festgehalten haben.

Der Senat hat weiteren Beweis erhoben durch die schriftliche sachverständige Zeugenvernehmung der S1. Diese hat im Februar 2021 mitgeteilt (Bl. 108 Senatsakte), dass der Gesundheitszustand der Klägerin seit ihrer letzten Zeugenauskunft im Januar 2018 im Wesentlichen unverändert geblieben sei.

Sodann hat der Senat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen bei V (Bl. 120 ff. Senatsakte, Untersuchungstag: 25.06.2021). V hat in seinem Gutachten und seinen ergänzenden Stellungnahmen (Bl. 138 ff. und 146 ff. Senatsakte) u.a. einen bakteriellen Harnwegsinfekt mit multisensiblen E.coli-Bakterien und eine Mischharninkontinenz mit führender Drangsymptomatik diagnostiziert, eine Selbstkatheterisierung von maximal zweimal täglich - morgens und abends im Abstand von ca. 12 Stunden - für erforderlich erachtet und die Leistungsfähigkeit der Klägerin - trotz der urologischen Problematik und unter Beachtung qualitativer Einschränkungen (kein Heben und Tragen von mittelschweren und schweren Lasten, kein überwiegendes Stehen und Gehen) - auf arbeitstäglich sechs Stunden und mehr eingeschätzt. 

Der Senat hat außerdem ein Sachverständigengutachten bei D eingeholt (Bl. 191 ff. Senatsakte, Untersuchungstag: 25.03.2022). Der Sachverständige hat eine somatoforme Störung u.a. mit somatoformem Schwindel (Differentialdiagnosen: phobischer Schwindel, Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, V.a. somatoforme autonome Funktionsstörung des urogenitalen Systems), eine Dysthymia, eine einfache Migräne (Differentialdiagnose: Migräne mit Aura) und eine Persönlichkeit mit ängstlich-vermeidenden und asthenischen Zügen (Differentialdiagnose: Persönlichkeitsstörung mit diesen Merkmalen) diagnostiziert, auf Aggravationdstendenzen und einen erheblichen sekundären Krankheitsgewinn der Klägerin hingewiesen und die quantitative Leistungsfähigkeit der Klägerin auf seinem Fachgebiet - unter Beachtung qualitativer Einschränkungen (kein Zeitdruck, keine Verantwortung für Menschen und Maschinen, keine Tätigkeiten mit konfliktbehaftetem Kontakt zu Menschen, keine Tätigkeiten mit hohen Erwartungen an die körperliche Fitness wie z.B. Steigen auf Leitern oder Kurierfahrten mit selbstständigem Lenken eines Pkw) - auf täglich mindestens sechs Stunden eingeschätzt.


Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 08.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin ist im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Ihr steht daher weder eine Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung zu.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI zutreffend dargelegt und gestützt auf das Sachverständigengutachten des T1 und das Verwaltungsgutachten der N-S mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass die Klägerin diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil sie trotz der bei ihr bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten bei Berücksichtigung der aufgeführten qualitativen Einschränkungen zumindest sechs Stunden täglich zu verrichten, und mit diesem Leistungsvermögen weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Ebenso zutreffend hat es dargelegt, dass und warum der entgegenstehenden Einschätzung des Sachverständigen N sowie der behandelnden Ärzte nicht gefolgt werden kann. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Zu einer anderen Einschätzung gelangt der Senat auch nicht nach der im Berufungsverfahren durchgeführten weiteren medizinischen Sachaufklärung. Danach leidet die Klägerin - entsprechend ihres eigenen Vortrags - in erster Linie an Erkrankungen auf neurologisch-psychiatrischem, urologischen und orthopädischem Fachgebiet.

Zur Überzeugung des Senats leidet die Klägerin auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet jedenfalls an einer Dysthymia, einer somatoformen Störung mit psychovegetativem Schwindel und einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeit mit asthenischen Zügen bzw. einer Persönlichkeitsstörung mit diesen Merkmalen sowie einer Migräne, die jedoch die Leistungsfähigkeit der Klägerin lediglich qualitativ (
kein Zeitdruck, keine Verantwortung für Menschen und Maschinen, keine Tätigkeiten mit konfliktbehaftetem Kontakt zu Menschen, keine Tätigkeiten mit hohen Erwartungen an die körperliche Fitness wie z.B. Steigen auf Leitern oder Kurierfahrten mit selbstständigem Lenken eines Pkw) und nicht auch in quantitativer Hinsicht einschränken. Dies entnimmt der Senat dem ausführlichen und nachvollziehbaren Sachverständigengutachten des D, der seine Leistungseinschätzung sowohl unter Heranziehung des von ihm erhobenen psychopathologischen Befundes, des Verhaltens und der Angaben der Klägerin im Rahmen der Untersuchung und unter Würdigung des Akteninhalts begründet hat. Nach dem psychopathologischen Befund ist die Klägerin gepflegt und geordnet mit dunkelrötlich gefärbten Haaren zur Untersuchung erschienen. Sie ist im Kontakt zugewandt und auskunftsbereit, der Rapport ist flüssig und ihre Ausdrucksweise ist ungekünstelt, direkt, manchmal sogar „schnodderig“ und auch „derbe“ gewesen. Sie ist bewusstseinsklar und voll orientiert gewesen und es hat sich keine Störung der Aufmerksamkeit gezeigt. Während der gesamten ca. vierstündigen Untersuchung hat sie eine befriedigende und anhaltende konzentrative Belastbarkeit gezeigt und keine Pausen
oder Unterbrechungen eingefordert. In der vom Sachverständigen veranlassten Unterbrechung zum Zwecke des Ausfüllens der Befindlichkeits-Fragebögen ist die Klägerin dieser Aufforderung ordnungsgemäß und zügig nachgekommen. Im Gespräch selbst haben sich keine Hinweise für eine relevante Beeinträchtigung der Merkfähigkeit oder Gedächtnisstörungen ergeben, obwohl die Klägerin wiederholt darauf hingewiesen hat, sehr vergesslich geworden zu sein. Der Denkablauf hat sich gefühlsbetont, jedoch in sich schlüssig und nachvollziehbar gezeigt. Es hat keine Anhaltspunkte für ein wahnhaftes Erleben, Zwänge oder eine Sinnestäuschung ergeben. Ihre affektive Schwingungsfähigkeit ist voll erhalten gewesen (passend hierzu hat die Klägerin - laut D - immer wieder launige, ironische oder vorwurfsvolle Anmerkungen eingefügt). Während der Untersuchung haben sich - entgegen der anamnestischen Angaben der Klägerin - keine Hinweise für Ängstlichkeit gezeigt. Vielmehr hat sie ein lebhaftes, lebendiges Ausdrucksverhalten, zum Teil hyperexpressiv, demonstriert. So hat sie sehr klagsam insbesondere über heftige, jedoch wenig präzise beschriebene Schwindelbeschwerden sowie über Unterleibs- bzw. Blasenbeschwerden berichtet. Weder hat sich eine Minderung des Antriebs noch der Ausdauer gezeigt. Auch haben keine Hinweise für eine Suizidalität bestanden. Die Klägerin ist selbstbestimmend und durchsetzungsfähig aufgetreten und hat sich in verschiedenen Richtungen vorwürflich gezeigt. Ihre Beschwerden hat sie - so der Sachverständige - ausgeprägt defizitorientiert, dramatisierend und mit aggravatorischen Anteilen vorgetragen. Die Introspektionsfähigkeit ist begrenzt gewesen. Eine quantitative Einschränkung der Leistungsfähigkeit lässt sich aus diesem Befund nicht ableiten, was D überzeugend herausgearbeitet hat. Soweit in dem Entlassungsbericht der Kliniken S über den (kurzen) stationären Aufenthalt vom 27.01.2020 bis 06.02.2020 überhaupt Auffälligkeiten im psychischen Befund beschrieben worden sind (Psychomotorik angespannt und unruhig, reizbar, angegebene Ängste vor Menschenmengen, Agoraphobie, Panikattacken, Stimmung dysphorisch-depressiv, wenig Antrieb) haben sich derartige Auffälligkeiten jedenfalls im Rahmen der Begutachtung durch D nicht (mehr) gezeigt. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus den Attesten der S1 und der R1 aus September 2022, da in beiden Attesten lediglich Diagnosen genannt, jedoch keinerlei Befunde beschrieben werden.

Eine Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit ergibt sich auch nicht aus den seitens der Klägerin subjektiv geklagten Schwindelbeschwerden. Zugunsten der Klägerin geht der Senat zwar - ebenso wie die Sachverständigen T1 und D - davon aus, dass sie auch an einer Somatisierungsstörung mit psychovegetativem Schwindel leidet, obwohl weder im Rahmen einer der zahlreichen Begutachtungen noch in einem der beigezogenen Entlassungsberichte und Befundunterlagen ein solcher Schwindelanfall konkret beschrieben worden ist. Allerdings ist der Senat nicht davon überzeugt, dass dieser Schwindel einen Ausprägungsgrad erreicht hat, der es der Klägerin unmöglich macht, täglich mindestens sechs Stunden leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Zwar hat sie im Rahmen der Begutachtung durch D den Einbeinstand und Bücken wegen Schwindelgefahr nicht durchgeführt und auch den Unterberger Tretversuch mit geschlossenen Augen aus diesem Grund verweigert. Aus demselben Grund hat sie die Provokationsmethoden Kopfschütteln, -nicken und Lagerungsproben verweigert und sowohl bei der Prüfung der glatten Blickfolge und beim Blick nach oben subjektiv Schwindel geklagt, der jedoch vom Sachverständigen nicht objektiviert werden konnte. Allerdings sind die Standproben unauffällig und auch der Unterberger Tretversuch mit offenen Augen möglich gewesen. Gleiches gilt für die Zeigeversuche. Somit bleibt festzuhalten, dass sich aus dem von D erhobenen neurologischen Befund keine objektiven Rückschlüsse auf die geklagten Schwindelbeschwerden ziehen lassen und er auch im Übrigen im Rahmen der ca. vierstündigen Untersuchung keine Auffälligkeiten beschrieben hat, die auf Schwindelbeschwerden der Klägerin schließen lassen. Dies verwundert schon deshalb, als die Klägerin in ihren anamnestischen Angaben gegenüber dem Sachverständigen - wie im Übrigen auch dem Akteninhalt zu entnehmen - wiederholt behauptet hat, dass sie quasi immer - manchmal leichter, manchmal schwerer - an einem Drehschwindel leide, sich dieser „wie besoffen“ anfühle, ihr ganzes Leben beeinträchtige und sie nur noch auf dem Sofa liege und ihr Ehemann den ganzen Haushalt - mit lediglich minimaler Unterstützung ihrerseits - erledige. Ohnehin sind diese Angaben - worauf auch D hingewiesen hat - bereits nicht glaubhaft. Aus dem Therapieabschlussbericht der R-N von Februar 2021, wonach die durchgeführte Psychotherapie bereits nach 34 von 60 geplanten Sitzungen wegen des Rentenbegehrens der Klägerin, das den Therapieerfolg beeinträchtigt hat, abgebrochen worden ist, lässt sich nämlich entnehmen, dass die Klägerin in „Extremsituationen“ sehr wohl in der Lage ist, ihre Schonhaltung aufzugeben und u.a. ihren jüngsten Sohn während der Trennung von dessen Partnerin zu unterstützen, dessen Wohnung in Ordnung zu bringen und den Müll wegzufahren sowie sofort den Notarzt zu rufen, als ihr Ehemann einen Schlaganfall erlitten hat, und diesen anschließend auch selbstständig mit dem Auto im Krankenhaus zu besuchen, obwohl sie - ihren eigenen Angaben nach - aufgrund der Schwindelbeschwerden seit Jahren kein Auto mehr fahren könne. Überdies ist die Klägerin laut diesem Bericht offensichtlich auch in der Lage gewesen, während des Therapiezeitraums vom 05.07.2019 bis 09.01.2021 mit Zug und Bus nach W in den Urlaub zu reisen. Die Angabe gegenüber dem Sachverständigen D, sie sei seit „einer Ewigkeit“ nicht mehr im Urlaub gewesen, ist damit widerlegt. Die Zweifel des Senats am Vorliegen rentenrelevanter Schwindelbeschwerden werden auch nicht durch die zwischenzeitliche Benutzung eines Rollators oder eines Treppenlifts durch die Klägerin ausgeräumt. Denn auch diese Umstände ersetzen weder einen objektiven Befund, noch erklären sie die soeben aufgezeigten Widersprüchlichkeiten (Unterstützung des Sohnes und Ehemannes, Autofahren, Urlaubsreise). Gleiches gilt für den Umstand, dass auch der behandelnde Hausarzt W2 und S1 seit Jahren aufgrund des Schwindels von einer aufgehobenen quantitativen Leistungsfähigkeit ausgehen. Auch an dieser Einschätzung des Senats ändern die Atteste der S1 und der Psychologischen Psychotherapeutin R1 nichts, da diese - wie bereits oben ausgeführt - überhaupt keinen objektiven Befund beschrieben haben.

Soweit bei der Klägerin darüber hinaus auf neurologischem Fachgebiet auch eine Migräne besteht, ergeben sich hieraus ebenfalls keine überdauernden Einschränkungen auf die quantitative Leistungsfähigkeit der Klägerin. Solche werden seitens der Klägerin auch nicht geltend gemacht. Auch dies stützt der Senat auf die Sachverständigengutachten der Dres. T1 und D.

Auch die bei der Klägerin auf urologischem Fachgebiet bestehenden Beschwerden führen nicht zur Einschränkung ihrer quantitativen Leistungsfähigkeit. Auf diesem Fachgebiet besteht bei ihr ausweislich des Sachverständigengutachtens des V und auch der sachverständigen Zeugenauskünfte der S-L und der K1 eine Mischharninkontinenz mit führender Drangsymptomatik und rezidivierende Harnwegsinfektionen mit E.coli-Bakterien. Diese Erkrankungen führen - was sowohl der Sachverständige V als auch W-H in ihren sozialmedizinischen Stellungnahmen, die der Senat als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertet, überzeugend dargestellt haben, lediglich zu qualitativen Einschränkungen - kein Heben und Tragen mittelschwerer und schwerer Lasten, keine überwiegend stehenden und gehenden Tätigkeiten, keine Arbeiten in Kälte, Nässe und Zugluft -, nicht jedoch zu einer Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit.

Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass die Klägerin nicht mehr - entsprechend § 43 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann und ihr somit der allgemeine Arbeitsmarkt verschlossen ist.

Soweit die Klägerin geltend macht, aufgrund der bestehenden Drangsymptomatik zweimal pro Stunde eine Toilette aufsuchen zu müssen, steht dies bereits im Widerspruch zu der sachverständigen Zeugenauskunft der S-L. Diese hat darin ausgeführt, dass die Klägerin nach der Botoxinjektion im Juni 2019 angegeben habe, nur noch alle zwei bis drei Stunden zur Toilette zu müssen und nachts maximal ein- bis zweimal. Auch die K1 hat in ihrer sachverständigen Zeugenauskunft von Oktober 2020 mitgeteilt, dass die Botoxinjektionen zu einer Reduktion der Harndrangsymptomatik und der Inkontinenz geführt haben. Auch aus dem seitens der Klägerin vorgelegten - im Juli 2020 geführten - „Katheter-Protokoll“ lassen sich keine zweimal stündlichen Miktionsintervalle entnehmen. Aus diesem Protokoll ergeben sich deutlich größere Miktionsintervalle von tagsüber ca. eineinhalb bis zweieinhalb Stunden. Überdies hat der Senat ohnehin auch Zweifel an der Richtigkeit dieses Protokolls - tagsüber werden darin ca. zehn Toilettengänge täglich dokumentiert - und der dort dokumentierten Miktionsintervalle. Nach diesem Protokoll hat die Klägerin im Juli 2020 nämlich täglich Urinmengen zwischen 6.100 ml und 6.600 ml ausgeschieden. Danach hätte sie - worauf W-H in ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme von November 2020 zu Recht hingewiesen hat - täglich 8.000 ml Flüssigkeit zu sich nehmen müssen, was einer sehr hohen und geradezu krankhaften Trinkmenge entspricht. Dass sie jedoch krankhaft trinken muss, hat die Klägerin weder vorgetragen, noch hält der Senat dieses übermäßige Trinkverhalten bei einer unter Harninkontinenz leidenden Person für plausibel. Zudem sind die in dem Protokoll dokumentierten Toilettengänge bei einer derartigen übermäßigen Flüssigkeitszufuhr mitnichten außergewöhnlich, worauf W-H ebenfalls nachvollziehbar hingewiesen hat. Auch im Rahmen der Begutachtungen sind keine häufigen Toilettengänge aufgefallen. Sogar während der ca. vierstündigen Untersuchung durch D hat die Klägerin keine Toilette aufgesucht. Selbst den Vortrag der Klägerin als richtig unterstellt, sie sei unmittelbar vor der Untersuchung auf der Toilette gewesen und habe auch, während der Sachverständige D nicht anwesend gewesen sei, eine Toilette aufgesucht, ist die Klägerin - ggfs. unter Zuhilfenahme von Einlagen/Windelhöschen - in der Lage gewesen, den Urin ca. zwei Stunden einzuhalten. Der Senat hat daher keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin tatsächlich öfter als alle zwei bis drei Stunden eine Toilette aufsuchen muss. Dieser Umstand erfordert jedoch keine betriebsunüblichen Bedingungen. Denn die Notwendigkeit von kurzen Pausen, um die Toilette aufzusuchen, ist noch im Rahmen der persönlichen Verteilzeiten möglich.


Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 1 der Arbeitsstättenverordnung in der seit dem 03.12.2016 geltenden Fassung (ArbStättV) i.V.m. Nr. 4.1 Abs. 1 des Anhangs zur ArbStättV Toilettenräume bereitzustellen hat, die sich sowohl in der Nähe der Arbeitsplätze als auch in der Nähe von Pausen- und Bereitschaftsräumen, Wasch- und Umkleideräumen befinden müssen. Nach § 4 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) steht Beschäftigten mit einer Tätigkeit von mehr als sechs Stunden täglich eine Ruhepause von 30 Minuten bzw. zweimal 15 Minuten zu. Neben den betriebsüblichen Pausen werden den Arbeitnehmern in gewissem Umfang auch noch so genannte Verteilzeiten zugestanden für zB den Weg vom Zeiterfassungsgerät zum Arbeitsplatz, das Vorbereiten beziehungsweise Aufräumen des Arbeitsplatzes, den Gang zur Toilette, Unterbrechungen durch Störungen durch Dritte usw. (vgl. Landessozialgericht - LSG - Baden-Württemberg 26.10.2010, L 11 R 5203/09, nach juris; Bayerisches LSG 23.07.2009, L 14 R 311/06, nach juris). Im Übrigen ist zu beachten, dass Kurzpausen von weniger als 15 Minuten alle zwei Stunden bspw im Bereich des öffentlichen Dienstes nicht als Arbeitszeit verkürzende Pausen gelten (vgl Bundessozialgericht - BSG - 16.06.2016, B 13 R 119/14 B, wie - sämtliche höchstrichterliche Rechtsprechung - nach juris; LSG Baden-Württemberg 20.03.2007, L 11 R 684/06, nach juris, m.w.N.). Das Erfordernis eines häufigen und ggfs. dringenden Toilettenbesuchs steht somit einer Arbeitstätigkeit nicht entgegen.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Erfordernis des Selbstkatheterisierens. Der Senat ist nämlich nicht davon überzeugt, dass dieses Erfordernis öfter als zweimal am Tag - wie seitens der Klägerin vorgetragen - besteht und somit auch keine betriebsunüblichen Arbeitsbedingungen erfordert. Der Sachverständige V hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass bei Restharnmengen von unter 100 ml keine Indikation für einen Einmalkatheterismus besteht. Derartig hohe Restharnmengen bestehen bei der Klägerin indes nicht. Laut ihrem eigenen „Katheter-Protokoll“ verbleiben - wie von W-H herausgearbeitet - durchschnittliche Restharnmengen von 60 ml. V hat im Rahmen seiner Untersuchung ebenfalls lediglich eine Restharnmenge von 50 ml messen können. Mithin kommt es nach der Spontanmiktion nicht (mehr) zum Verbleiben einer Restharnmenge von ca. 115 ml bis 120 ml, wie noch von S-L und der K1 in ihren sachverständigen Zeugenauskünften mitgeteilt. Auch W-H hat darauf hingewiesen, dass bei derartig niedrigen Restharnmengen keine Indikation für einen Einmalkatheterismus besteht, zumal dieser immer ein Risiko für Keimverschleppung und Harnwegsinfektion - unter denen auch die Klägerin immer wieder leidet - darstellt. Ungeachtet des Umstands, dass der Senat den Vortrag der Klägerin, sich zwischenzeitlich fünf- bis fünfzehnmal katheterisieren zu müssen und hierfür die Hilfe einer eingewiesenen Person (Ehemann) oder einer medizinischen Fachkraft benötige, als angepasst wertet - bei Berufungseinlegung im November 2019 hat sie noch vorgetragen, sich täglich zweimal, im September 2020 sich täglich vier- bis achtmal und schließlich im September 2022 sich täglich fünf- bis fünfzehnmal katheterisieren zu müssen und zusätzlich Hilfe zu benötigen - und dies im Übrigen auch im Widerspruch zu dem Attest der K1 von September 2022 steht, wonach sie der Klägerin geraten habe, den Selbstkatheterismus auf drei- bis fünfmal täglich zu erhöhen, und der Senat schon allein aus diesem Grunde Zweifel an der Richtigkeit dieses Vortrages hat, ist für den Senat das Erfordernis eines mehr als zweimal täglichen Selbstkatheterisierens morgens und abends in Übereinstimmung mit der gutachterlichen Einschätzung des V nicht medizinisch nachgewiesen. Letztlich kommt es daher auch nicht darauf an, ob sie hierzu Hilfe des Ehemannes benötigt oder nicht, da diese Hilfestellung jedenfalls außerhalb der Arbeitszeit morgens und abends gegeben werden kann. An dieser Einschätzung des Senats ändert auch das Attest der K1 von September 2022 nichts. Daraus ergeben sich keine höheren Restharnmengen, die ein mehr als zweimal tägliches Selbstkatheterisieren erforderlich machen würden. Im Übrigen hält es der Senat selbst bei einem Erfordernis des drei- bis fünfmal täglichen Selbstkatheterisierens für zumutbar, dies außerhalb der täglichen Arbeitszeit durchzuführen.
Auch die bei der Klägerin bestehenden Beeinträchtigungen auf orthopädischem Fachgebiet führen nicht zu einer Einschränkung ihrer zeitlichen Leistungsfähigkeit in rentenrelevanter Weise. Soweit sie über eine laterale Instabilität im Bereich des linken Kniegelenks klagt, ergibt sich diese zwar auch aus dem Bericht der Klinik für Unfallchirurgie, Handchirurgie und Orthopädie V1 von Juni 2022. Aus diesem Bericht ergibt sich jedoch gleichfalls, dass der gelockerte Seitenbandapparat muskulär gut kompensiert werden kann, die Beweglichkeit des linken Kniegelenks bei 0/3/110° liegt und keine wesentlichen Schmerzen beim Durchbewegen bestanden haben. Eine quantitative Leistungseinschränkung ergibt sich aus diesem Befund nicht. Gleiches gilt für den geklagten Bandscheibenvorfall L5/S1. Dieser ist seitens des behandelnden R als lediglich „klein“ und ohne sensomotorische Auffälligkeiten beschrieben worden, weshalb Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin im rentenrechtlichen Sinne ebenfalls nicht erkennbar sind.
Damit ist die Klägerin noch in der Lage, täglich wenigstens sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung der genannten qualitativen Einschränkungen tätig zu sein, weshalb kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI besteht. Ob sie ihre Tätigkeit als Produktionsmitarbeiterin noch ausüben kann, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, denn ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) würde bereits daran scheitern, dass sie erst nach dem Stichtag (02.01.1961, § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) geboren ist, weswegen sie eine solche Rente auch zu Recht nicht geltend gemacht hat.

Schließlich vermag sich der Senat auch nicht davon zu überzeugen, dass die Klägerin auf Grund einer eingeschränkten Gehfähigkeit bzw. der Harninkontinenz nicht mehr wegefähig und damit voll erwerbsgemindert ist.

Zwar kann nur das Leistungspotenzial, das auf dem Arbeitsmarkt konkret einsetzbar ist, als Maßstab für die Fähigkeit eines Versicherten, Einkommen zu erzielen, herangezogen werden. Folglich gehört nach der Rechtsprechung des BSG zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (hierzu und zum Nachfolgenden BSG 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R m.w.N.). Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Risikos, das Defizit führt zur vollen Erwerbsminderung.

Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach dem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, viermal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (weniger als 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen, Rollator) und Beförderungsmöglichkeiten (insbes. die zumutbare Benutzung eines vorhandenen Kfz) zu berücksichtigen.

Die Klägerin ist in ihrer Mobilität nicht in diesem Sinne eingeschränkt. Wie bereits oben ausgeführt, ist der Senat bereits nicht davon überzeugt, dass die Klägerin an einem derart starken Harndrang leidet, dass sie öfter als alle zwei bis drei Stunden eine Toilette aufsuchen muss, so dass auch der Weg zu einer Arbeitsstelle nicht durch Toilettengänge unterbrochen werden muss. Auch ist der Senat nicht vom Vorliegen eines ihre Wegefähigkeit einschränkenden „Dauerschwindels“ überzeugt, so dass ihr auch grundsätzlich das Führen eines Kfz - was sie im Übrigen selbst während des Krankenhausaufenthalts ihres Ehemannes bewiesen hat - und die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus den bestehenden (leichtgradigen) Kniebeschwerden, zumal sie die geklagten Beschwerden gerade mit Hilfe des Rollators überwinden kann. Wegeunfähigkeit besteht somit nicht.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.




 

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