L 10 R 1429/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 36/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1429/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Hat das SG zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung verurteilt und legt nur die Beklagte Berufung ein, ist ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28.04.2022 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1960 geborene Kläger erlernte von Mitte August 1976 bis Ende Januar 1980 den Beruf eines Energieanlagenelektronikers. Anschließend war er - mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitsunfähig- und Arbeitslosigkeit - in diesem Beruf bzw. als Lagerverwalter (s. S. 57 Senats-Akte) respektive als Servicetechniker (u.a. im Außendienst) beschäftigt, zuletzt von Anfang Juli 2012 bis zu seiner Aussteuerung Ende Juni 2020 bei der Fa. G-Service in K im Bereich Alarmanlagen. Ende Januar 2019 trat bei ihm Arbeitsunfähigkeit ein und er bezog ab Mitte März 2019 zunächst Krankengeld, dann von Juni 2020 bis Juni 2022 (vgl. S. 21 Senats-Akte) Arbeitslosengeld. In seinem Versichertenkonto sind für den Zeitraum vom 27.06.2020 bis 31.12.2021 Beitragszeiten mit Pflichtbeiträgen für eine Pflegetätigkeit ausgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten der zurückgelegten rentenrechtlichen Versicherungszeiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 08.06.2022 (S. 24 ff. Senats-Akte) Bezug genommen. Bei dem Kläger ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt.

Vom 09.07. bis 13.08.2019 nahm der Kläger an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik Z in W - Abt. Psychosomatik - teil, aus der er ausweislich des ärztlichen Entlassungsberichts zwar arbeitsunfähig, aber mit einem zeitlichen Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr täglich für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten (ohne Nachtschicht) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie als Servicetechniker entlassen wurde (Diagnosen: rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode; Panikstörung; Adipositas Grad III; arterielle Hypertonie; Prostatahyperplasie; Migräne, nicht näher bezeichnet).

Am 23.04.2020 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog ärztliche Befundunterlagen bei und holte bei H das Gutachten nach Aktenlage vom 07.05.2020 ein. Diese beschrieb eine depressive Störung mit Panik, ein als Migräne vorbeschriebenes Kopfschmerzsyndrom sowie ein obstruktives Schlafapnoesyndrom an der Grenze zur Schwergradigkeit bei Adipositas. Mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, auch solche eines Energieanlagenelektronikers, könne der Kläger noch mehr als sechs Stunden täglich verrichten. In qualitativer Hinsicht seien besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, z.B. höchste Verantwortung, ständig fordernder Publikumsverkehr, Akkord oder Tätigkeiten in Sicherheitsbereichen, sowie berufsmäßige Fahrtätigkeiten zu vermeiden.

Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 18.05.2020 und der Begründung ab, dass der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und als Energieanlagenelektroniker tätig sein könne, sodass er weder erwerbsgemindert noch berufsunfähig sei. Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine Auskunft der Arbeitgeberin ein, auf diese wird Bezug genommen (S. 91 ff. VerwA), zog zudem weitere ärztliche Unterlagen bei und ließ diese sozialmedizinisch durch H auswerten (sozialmedizinische Stellungnahme vom 22.08.2020, Diagnosen: depressive Störung mit Panik, als Migräne vorbeschriebenes Kopfschmerzsyndrom, obstruktives CPAP-behandeltes Schlafapnoesyndrom), die nunmehr eine Arbeit als Energieanlagenelektroniker mit Außendiensttätigkeit im Hinblick auf regelmäßige Überstunden und Zeitdruck nicht mehr als leidensgerecht erachtete; mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts in wechselnder Körperhaltung (ohne Zeitdruck, z.B. Akkord, ohne Verantwortung für Menschen und Maschinen, ohne berufsmäßige Fahrtätigkeiten, ohne regelmäßige Notwendigkeit von Überstunden, ohne Nacht- bzw. unregelmäßige Wechselschicht respektive Wochenend- und Feiertagsarbeit sowie ohne höchste Anforderung an Dauerkonzentration und Aufmerksamkeit) seien ihm hingegen noch sechs Stunden und mehr täglich zumutbar. Darauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 09.12.2020 zurück, da weiterhin keine Erwerbsminderung vorliege und er gesundheitlich und sozial zumutbar (u.a.) auf eine Tätigkeit als Poststellenmitarbeiter oder Registrator verwiesen werden könne, sodass auch keine Berufsunfähigkeit vorliege.

Hiergegen hat der Kläger am 05.01.2021 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) mit dem Begehren, ihm eine „Rente wegen voller Erwerbsminderung“ zu gewähren (s. S. 2, 11 SG-Akte), Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht, dass er auf Grund seiner im Vordergrund stehenden psychischen Erkrankung mit Angst- und Panikattacken nicht mehr in der Lage sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder in den genannten Verweisungstätigkeiten regelmäßig vollschichtig erwerbstätig zu sein.

Das SG hat die behandelnden Therapeuten des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. F hat mitgeteilt (Auskunft vom 15.03.2021), beim Kläger bestünden bei in der Ausprägung wechselnden Beschwerdeangaben rezidivierende depressive Episoden, eine schwergradige generalisierte Angststörung, eine Panikstörung, eine Migräne sowie ein obstruktives Schlafapnoesyndrom und eine Adipositas. Er halte den Kläger im Hinblick auf „Beobachtungen aus dem täglichen Leben im häuslichen Umfeld“ nicht in der Lage, täglich sechs Stunden zu arbeiten. Der Kläger habe seinen Vater zur Pflege zu Hause und seine demente Schwiegermutter lebe ebenfalls im Haus, was den Kläger regelhaft an die Grenzen seiner Belastbarkeit bringe. Dies sei eine Art Belastungserprobung im häuslichen Umfeld und es sei nicht vorstellbar, dass der Kläger im Berufsleben „nochmals über den Zeitraum von 6 Stunden“ auch einer wenig belastenden nervlichen Tätigkeit nachgehen könne. F (Auskunft vom 29.03.2021) hat u.a. über eine erhebliche Erschöpfungsproblematik mit Stimmungseinbrüchen berichtet. Es bestehe eine chronifizierte schwere depressive Symptomatik mit schwerer Angststörung und Überforderung. Er halte den Kläger nicht mehr für „berufsfähig“.

Die Beklagte ist dem mit der sozialmedizinischen Stellungnahme der R vom 19.04.2021 entgegengetreten. Der von dem F angenommene Schweregrad der depressiven Erkrankung sei bereits deshalb nicht plausibel, weil der Kläger sich um seinen pflegebedürftigen Vater kümmere. Nämliches gelte hinsichtlich der Einschätzung des Dipl.-Psych., zumal der Kläger die dortigen 50-minütigen psychotherapeutischen Sitzungen problemlos absolviere, was bei schwerwiegenden kognitiven Einschränkungen und einem schweren Antriebsmangel nicht möglich wäre.

Nach Stellungnahme des Klägers (s. S. 31 ff. SG-Akte), in der er u.a. geltend gemacht hat (S. 33 SG-Akte), dass die Pflege seines Vaters (Durchführung der „morgendlichen bis zur abendlichen Toilette“, Saubermachen und Wechseln der Windeln, waschen, rasieren, bei Bedarf Haare und Fingernägel schneiden, „ihn frisch machen“, Katheter mehrmals spülen, mit seinem Vater über „Gott und die Welt reden“) keine große körperliche Belastung sei, hat das SG auf seinen Antrag nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bei T ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige hat nach Untersuchung des Klägers Mitte August 2021 eine depressive Störung in Form einer mittelgradigen depressiven Episode bei rezidivierend depressiver Erkrankung sowie eine Angststörung mit Panikattacken diagnostiziert. Seiner Einschätzung nach seien dem Kläger auf Grund der häufigen, oft mehrmals täglich auftretenden Panikattacken keine Tätigkeiten über drei Stunden täglich mehr zumutbar. Es bestünden insoweit auch Einschränkungen bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel bzw. beim Führen eines Pkw.

In ihrer Stellungnahme für die Beklagte vom 25.11.2021 hat R darauf hingewiesen, dass schon auf Grund der vom Sachverständigen dokumentierten Beschwerdeangaben allenfalls die Diagnose einer Panikstörung, nicht jedoch die einer mittelgradigen rezidivierenden depressiven Störung bzw. einer generalisierten Angststörung nachvollziehbar sei. Der von ihm mitgeteilte psychopathologische Befund bestehe im Übrigen im Wesentlichen allein aus den subjektiven Beschwerdeangaben des Klägers. Auch habe der Sachverständige weder die Wirksamkeit der dem Kläger verordneten Medikation validiert, noch überhaupt die Therapietreue kritisch überprüft. Seine Leistungsbeurteilung sei nicht plausibel, zumal eine Beschreibung relevanter Funktionseinschränkungen und eine Plausibilitäts- und Konsistenzprüfung fehle.

Nach Vorlage des Arztbriefs der M vom 17.02.2022 (Befund: suffiziente CPAP-Einstellung) hat das SG mit Urteil vom 28.04.2022 den Bescheid der Beklagten vom 18.05.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.12.2020 „aufgehoben“ und die Beklagte (antragsgemäß) verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung „seit dem 23.04.2020 (Antragstellung)“ zu gewähren; außerdem hat es angeordnet, dass die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten hat. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass das zeitliche Leistungsvermögen des Klägers unter drei Stunden täglich liege, sodass ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.05.2020 zu gewähren sei. Dabei hat es sich hauptsächlich auf das Gutachten des Facharztes T sowie auf die Angaben des Klägers gestützt, die „authentisch“ seien. Zwar bestehe der vom Sachverständigen mitgeteilte psychopathologische Befund im Wesentlichen aus einer reinen Wiedergabe der anamnestischen Angaben, dies reiche der Kammer jedoch auch im Hinblick auf den von ihr in der mündlichen Verhandlung gewonnenen „Eindruck“ vom Kläger aus. Die Ausführungen der Beratungsärztin R gingen am Thema vorbei, auch wenn das Sachverständigengutachten „methodisch aufgrund fehlender Bausteine angreifbar sein möge“. Ob die Voraussetzungen für eine Berufsunfähigkeitsrente vorlägen, brauche nicht weiter eruiert zu werden.

Gegen das ihr am 10.05.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.05.2022 Berufung eingelegt. Sie hat im Wesentlichen unter Hinweis auf die sozialmedizinische Stellungnahme der Fachärztin R ausgeführt, dass das Gutachten des Sachverständigen erhebliche Mängel enthalte und die Angaben des Klägers nicht plausibel seien. Für einen Rentenbeginn am 23.04.2020 fehle ohnehin eine Grundlage und eine Dauerrente komme auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht in Betracht.


Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28.04.2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt (S. 19 Senats-Akte),

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat das angefochtene Urteil verteidigt. Die letzten beiden „öffentlichen“ Panikattacken seien im Rahmen der beruflichen Wiedereingliederung (im Anschluss an die Rehabilitationsmaßnahme, s. S. 49 Senats-Akte) - die er „eigenständig auf 3 Wochen begrenzte“ (s. Klägerschreiben vom 11.07.2020, unblattiert ÄT-VerwA) -, u.a. bei einem Kunden, aufgetreten, was ihm sehr peinlich gewesen sei. Jedenfalls habe er einen
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, was auch Gegenstand der Klage gewesen sei.

Der Senat hat von Amts wegen das Sachverständigengutachten des B vom 30.08.2022 eingeholt. B hat beim Kläger nach Untersuchung von jeher vorbestehende Persönlichkeitsakzentuierungen mit sicherlich auch nur begrenzter Konfliktfähigkeit und Stressresistenz, eine (seit über 20 Jahren bekannte) agoraphobisch gefärbte Panikstörung mit Einsicht in die Psychogenese der Beschwerden ohne Vermeidungsverhalten, ein suffizient behandeltes Schlafapnoesyndrom ohne Anhalt für assoziierte neuropsychiatrische Komplikationen, eine Adipositas permagna sowie ein seit 2010 remittiertes Kopfschmerzleiden diagnostiziert. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, an unmittelbar gefährdenden Maschinen und in regelmäßiger nervöser Anspannung, etwa durch Zeitdruck, ohne Arbeiten mit besonderen Anforderungen an die Konfliktfähigkeit, mit fordernden sozialen Interaktionen bzw. mit Stressfaktoren wie Nacht- und Wechselschicht respektive mit direktem Publikumsverkehr) seien dem Kläger noch vollschichtig möglich. Die Einschätzung des Sachverständigen T sei nicht nachvollziehbar, ebenso wie die Annahme schwerer seelischer Störungen seitens der behandelnden Therapeuten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.


Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Beklagten, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig und auch begründet.


Zulässiger Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 18.05.2020 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 09.12.2020, dies indes nur insoweit, wie das SG diese Bescheide „aufgehoben“ (richtig: abgeändert, vgl. dazu sogleich) und die Beklagte zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI -) „seit dem 23.04.2020“ verurteilt hat. Hiergegen hat sich die Beklagte gewandt und nur sie hat Berufung eingelegt. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist mithin (s. dazu auch z.B. Senatsurteil vom 28.05.2020, L 10 R 2666/19), ob der Kläger (auch) mit Erfolg Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) beanspruchen kann. Darüber hat das SG ausdrücklich nicht entschieden und der rechtskundig vertretene Kläger hat ausdrücklich allein einen Berufungszurückweisungsantrag gestellt (s. S. 19 Senats-Akte). Seine Ausführungen zu einem (vermeintlichen) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gehen mithin - worauf er vorab vom Senat hingewiesen worden ist (s. S. 21 Senats-Akte) - ins Leere. Sie sind auch nicht als konkludente Erhebung einer (Anschluss-)Berufung (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 524 der Zivilprozessordnung - ZPO -) auszulegen. Dem steht bereits entgegen, dass sich Derartiges gerade nicht aus dem ausdrücklich und allein auf die Zurückweisung der Berufung der Beklagten gerichteten Rechtsmittelantrag (s.o.) ableiten lässt (vgl. dazu nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 143 Rn. 5e m.w.N.). Unter Zugrundelegung dessen kann offenbleiben, ob eine Anschlussberufung des Klägers nicht ohnehin unzulässig wäre, weil mit ihr ein neuer, eigenständiger Streitgegenstand (s. zu den Renten nach § 43 und § 240 SGB VI sowie zum jeweiligen Streitgegenstand nur Senatsurteile vom 28.05.2020, L 10 R 1902/19 und vom 15.12.2016, L 10 R 878/15, m.w.N., auch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -) eingeführt würde, der über den prozessualen Anspruch der Hauptberufung der Beklagten hinausginge (s. dazu nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 143 Rn. 5d m.w.N.).

Das SG hat den Bescheid vom
18.05.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.12.2020 zu Unrecht abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Denn er ist im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen (§ 43 SGB VI) weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weshalb ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung weder aus gesundheitlichen Gründen noch wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts zusteht. Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. In Ansehung dessen kann auf sich beruhen, dass der Urteilsausspruch des SG zum Rentenbeginn („seit dem 23.04.2020“) gegen § 99 Abs. 1 SGB VI verstößt, dass dieser Rentenbeginn nicht mit den Entscheidungsgründen („ab dem 01.05.2020“) übereinstimmt und dass in der Begründung auch jegliche Ausführungen zu § 102 Abs. 2 Satz 1 und 5 SGB VI fehlen, obgleich das SG die Rente (aus gesundheitlichen Gründen, also unabhängig von der Arbeitsmarktlage) ausweislich des Tenors ohne zeitliche Befristung zugesprochen hat; gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit indes auf Zeit geleistet und Satz 5 der Regelung bestimmt, dass Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, nur unter bestimmten weiteren Voraussetzungen unbefristet geleistet werden. Denn das angefochtene Urteil kann insgesamt keinen Bestand haben, zumal das SG seine Überzeugung (vgl. § 128 Abs. 1 SGG) auch maßgeblich auf den „Eindruck“ vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestützt hat, obgleich eine entsprechende medizinische Fachkompetenz der erkennenden Kammer des SG nicht zu erkennen ist (vgl. dazu nur BSG 31.01.2008, B 2 U 311/07 B, zitiert - wie alle nachfolgenden höchstrichterlichen Entscheidungen - nach juris, Rn. 6; Senatsurteil vom 12.12.2019, L 10 R 2401/19), weswegen sich das SG auch veranlasst gesehen hat, ein ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen, was auch nach § 109 Abs. 1 SGG nicht in Betracht gekommen wäre, wenn es auf ärztlichen Sachverstand gar nicht ankäme (vgl. dazu nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 109 Rn. 10a m.w.N.).

Rechtsgrundlage für die dem Kläger vom SG zugesprochene Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 SGB VI. Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie (u.a.) voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat 10.12.1976, GS 2/75 u.a.) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist aber nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger indes nicht, weil er zur Überzeugung des Senats trotz der bei ihm bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch in der Lage ist, jedenfalls leichte berufliche Tätigkeiten unter Berücksichtigung der von dem Sachverständigen B angeführten qualitativen Einschränkungen (
keine Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, an unmittelbar gefährdenden Maschinen und in regelmäßiger nervöser Anspannung, etwa durch Zeitdruck, keine Arbeiten mit besonderen Anforderungen an die Konfliktfähigkeit, mit fordernden sozialen Interaktionen bzw. mit Stressfaktoren wie Nacht- und Wechselschicht respektive mit direktem Publikumsverkehr) mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, wobei der Senat zugunsten des Klägers seiner Beurteilung auch die von H zuletzt zusätzlich aufgeführten qualitativen Einschränkungen (keine höchsten Anforderungen an Dauerkonzentration und Aufmerksamkeit, keine Verantwortung für Menschen und Maschinen, keine berufsmäßigen Fahrertätigkeiten) zu Grunde legt. Mit diesem Leistungsvermögen liegt weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vor.

Beim Kläger stehen Gesundheitsstörungen von psychischer Seite ganz im Vordergrund. Insoweit leidet er an
von jeher vorbestehenden Persönlichkeitsakzentuierungen mit nur begrenzter Konfliktfähigkeit und Stressresistenz sowie an einer (seit über 20 Jahren bekannten) agoraphobisch gefärbten Panikstörung mit Einsicht in die Psychogenese der Beschwerden ohne Vermeidungsverhalten, wobei diese Anomalien, soweit objektivierbar, indes lediglich zu den o.a. qualitativen Einschränkungen nicht jedoch zu einer zeitlichen Leistungslimitierung führen. Dies hat der Sachverständige B in seinem für den Senat erstatteten Gutachten auf der Grundlage des von ihm erhobenen klinischen Befunds, der ihm vom Kläger geschilderten noch möglichen Alltagsaktivitäten und erhaltenen Interessen sowie unter Berücksichtigung der objektivierbaren Beschwerdeangaben in jeder Hinsicht überzeugend dargelegt.

Bei der über dreieinhalbstündigen Untersuchung durch den Sachverständigen, zu der der Kläger überpünktlich und äußerlich gepflegt erschienen ist, hat bei ihm eine lebendige Antriebslage ohne Anzeichen einer Erschöpfung oder Ermüdung vorgelegen. Seine Konzentration ist - entgegen seinen Beschwerdeangaben, so B - uneingeschränkt und nicht nachlassend gewesen, ebenso wie seine Auffassung, Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit oder Gedächtnisleistung. Der Kläger hat eine ausgeglichene Grundstimmung mit unbekümmertem Tonfall („gemütlich und humorvoll plaudernd“) bei affektiv und inhaltlich sehr guter Auslenkbarkeit und sehr guter Mitarbeit gezeigt. Er ist durchweg ausgesprochen liebenswürdig, humorvoll und in der Lage gewesen, präzise und klar zu antworten (z.B. beim Erklären von Einzelheiten seiner Smartwatch). Ein erkennbarer Leidensdruck hat nicht vorgelegen, ebenso wenig die Notwendigkeit einer Pause während der mehrstündigen Exploration. Er ist bewusstseinsklar, sicher in allen Qualitäten orientiert, im Denken formal geordnet sowie sofort spontan im Kontakt und im Gespräch gewesen. Hinweise auf eine hirnorganische Leistungsstörung, intellektuelle Defizite, kognitive Störungen, Wahrnehmungsstörungen, Ich-Störungen, psychotische Anzeichen oder paranoide Inhalte haben nicht vorgelegen.


Gegenüber dem Sachverständigen hat der Kläger angegeben, ein großer Hundefreund zu sein, zweimal am Tag mit seinem Schäferhund Gassi zu gehen („schon so 20-30 Minuten unterwegs“, auch morgens zum Bäcker), gerne zu kochen (namentlich zu bestimmten Anlässen, z.B. Leber, die ein Freund gerne esse) und zu essen, Haushaltstätigkeiten zu erledigen, regelmäßig Auto zu fahren (wenn auch lange, unbekannte Strecken nur ungern, zu Hause aber „ganz normal“, z.B. zur Tochter nach K, zum Einkaufen, zum Arzt, seine Frau „ins Geschäft“), eine sehr gute Beziehung zu seiner Tochter, seiner Frau und zu seinem ebenfalls im Haus wohnenden Neffen zu haben, mit seinen zwei Enkeltöchtern (die auch bei ihm und seiner Frau übernachten) „rumzutoben“, zu malen, gemeinsam Bilderbücher anzuschauen, diese auch in W zu besuchen („mal mit Frau, mal auch alleine“, jeweils mit dem Auto hin), mit den Enkelkindern gerne Ausflüge zu unternehmen (z.B. „Känguru-Farm“, Freizeitparks, Schwimmbad, auswärts essen gehen), im eigenen Pool zu schwimmen, den über 90-jährigen Vater (Pflegegrad IV), zu dem er ebenfalls eine „wirklich sehr gute“ Beziehung habe, zu pflegen (namentlich: Umlagern vom Bett in den Rollstuhl, Fahren des Vaters mit dem Rollstuhl in den Hof bei schönem Wetter, Windeln wechseln, wickeln nach Abgang von Stuhlgang in die Hose bzw. ins Bett, Essen zubereiten und mundfertig herrichten, sich auch nachts um ihn kümmern, wenn ihm z.B. etwas herunterfällt), wobei die Frau koche und wasche, für den Rest sei er „zuständig“, den Rasen zu mähen, auswärts essen zu gehen bzw. ins Café („morgens irgendwo schön auswärts frühstücken“), gemeinsam u.a. mit seiner Frau im Garten zu sitzen, sich dort zu unterhalten („trinken ein bissl was“) oder mit dem Tablet zu „schmökern“, „was man kaufen könne“ (namentlich im Bereich Elektrotechnik und Computer), gemeinsam mit seiner Frau oder auch getrennt fern zu sehen, zwei bis drei Stunden am Tag am Computer zu sitzen (YouTube schauen, z.B. „Dashcam-Videos“, Snooker, Formel 1) sowie zu lesen („richtig abtauchen“ in gute Bücher). Er habe nach wie vor einen guten Freundeskreis, so treffe er sich beispielsweise täglich mit einem Freund bei ihm daheim und mit den anderen Freunden ein- bis zweimal im Monat, gehe gemeinsam ins Café oder essen. Auch halte er noch Kontakt zu ehemaligen Kollegen (WhatsApp), so sei er z.B. vor einem halben Jahr „einfach mal selbst vorbeigefahren“, um „Hallo“ zu sagen (16 km). Elektroniker sei sein Traumjob gewesen und das sei auch weiterhin sein Hobby, z.B. helfe er Freunden, wenn bei einer Installation was schiefgelaufen sei. Ein Urlaub an den bayerischen Seen oder an der mecklenburgischen Seenplatte würde ihn interessieren, er könne aber wegen der Pflege des Vaters nicht in Urlaub.

Zwar hat der Kläger gegenüber B angegeben, dass er einmal am Tag eine Panikattacke erleide. Zugleich hat er aber darauf hingewiesen, dass er die Stärke der Anfälle und die Art, wie er damit umgehe, durch die Psychotherapie habe bessern können. Schwächere Anfälle schaffe er, „wegzukriegen“, indem er sich eine Arbeit suche (etwa im Hof Knochensteine legen, ein Regal an die Wand schrauben oder Bastelarbeiten). Als die Beklagte „Einspruch“ eingelegt habe, habe er „sofort“ einen schweren Panikanfall erlitten, den letzten dann am Abend vor der Untersuchung durch den Sachverständigen, wobei er „mittlere“ Anfälle jeden Tag habe und sich der letzte schwere vor einer Woche ereignet habe, als er über seine Zukunft nachgedacht habe (s. S. 69 Senats-Akte, dazu auch noch sogleich).

Dass B in Ansehung all dessen, insbesondere auch vor dem Hintergrund einer erheblichen Diskrepanz zwischen dem Beschwerdevorbringen und dem im Wesentlichen unauffälligen objektiv-klinischen Befund respektive der widersprüchlichen Beschwerdeangaben (namentlich: einerseits letzter schwerer Anfall am Abend vor der Untersuchung durch B, andererseits Angabe, der letzte schwere Anfall habe sich vor einer Woche ereignet, s. S. 69 Senats-Akte; gegenüber dem Sachverständigen T Angabe, dass „
oft mehrmals täglich“ Panikattacken, vgl. S. 73 SG-Akte, hingegen gegenüber B: „einmal am Tag, maximal 15 Minuten“, S. 67 Senats-Akte, obgleich keine Panikattacke während der gesamten Rehabilitationsmaßnahme in W, s. dazu schon den entsprechenden Hinweis der dortigen Ärzte, s. Bl. 2 Seite 5 des Entlassungsberichts; ebenfalls gegenüber dem Sachverständigen T Angabe, Migräneattacken „ca. zweimal im Monat, s. S. 57 SG-Akte, gegenüber dem Sachverständigen B hingegen: „Migräne in den Jahren 1982 bis 2010 gehabt“, von da an „nicht mehr aufgetreten“, „jetzt für ihn wirklich kein Problem mehr“, s. S. 71 Senats-Akte) sowie der vielfältigen außerberuflichen Aktivitäten des Klägers mit Pflege des Vaters lediglich leichte Störungen von psychischer Seite angenommen und insbesondere ein panikstörungsassoziiertes Vermeidungsverhalten verneint hat, ist für den Senat in jeder Hinsicht schlüssig und nachvollziehbar.

Nachdem der Kläger gegen die Einschätzung des Sachverständigen B keine Einwände erhoben, sondern sich zu dem Gutachten vielmehr überhaupt nicht (mehr) geäußert hat, besteht keine Veranlassung, die Befunderhebung des B, der - wie dargelegt - lediglich leichtgradige Funktionsdefizite ohne Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen hat objektivieren können, und die daraus von ihm überzeugend abgeleitete Leistungsbeurteilung in Frage zu stellen; die entgegenstehende Leistungseinschätzung des Sachverständigen T und die der behandelnden Therapeuten F und F1 ist damit widerlegt.

Lediglich ergänzend merkt der Senat daher noch Folgendes an:

Die Leistungseinschätzung des Sachverständigen T kann bereits deshalb nicht überzeugen, weil sie - worauf bereits die Fachärztin R in ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme vom
25.11.2021 (als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertbar) zu Recht - und nicht wie das SG gemeint hat, „am Thema vorbei“ - hingewiesen hat, nicht befundgestützt ist, sondern im Wesentlichen auf den subjektiven Beschwerdeangaben des Klägers beruht, die der Sachverständige seiner Einschätzung ohne kritisches Hinterfragen und ohne Validierung zu Grunde gelegt hat. Dass die Beschwerdeangaben des Klägers indes nicht Grundlage der Beurteilung sein können, folgt bereits daraus, dass sie mit dem objektiv-klinischen Befund (s.o.) nicht in Übereinstimmung zu bringen und inkonsistent sowie widersprüchlich sind. Von einer „authentischen“ Beschwerdeschilderung kann entgegen dem SG mithin nicht die Rede sein.

Die Leistungseinschätzung des Facharztes F (in seiner Auskunft gegenüber dem SG) überzeugt schon deshalb nicht - Nämliches gilt hinsichtlich der ohnehin nur pauschal gebliebenen Einschätzung des F1 (Auskunft gegenüber dem SG), der ohnehin kein Facharzt für Psychiatrie ist -, weil er von höhergradigen seelischen Störungen, ebenfalls maßgeblich gestützt auf die Angaben des Klägers, ausgegangen ist, die beim Kläger indes - wie oben dargelegt - nicht vorliegen. Ohnehin hat der Arzt verkannt, dass es nicht darauf ankommt, ob der Kläger neben der bzw. im Anschluss an die Pflege seines Vaters noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts unter Beachtung qualitativer Einschränkungen im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich verrichten kann, sondern allein maßgeblich ist, ob der Kläger unabhängig von der Pflegetätigkeit - und auch ansonsten losgelöst von Alltagsaktivitäten respektive Belastungen im häuslichen bzw. privaten Umfeld - gesundheitlich dazu in der Lage ist. Dies ist entsprechend der obigen Ausführungen der Fall. Soweit der Kläger relativierend gemeint hat (s. seine persönliche Stellungnahme im SG-Verfahren, S. 33 SG-Akte), die Pflege sei „keine große körperliche Belastung“, ist dies in Ansehung der von ihm selbst geschilderten umfangreichen pflegerischen Tätigkeiten, für die zu seinen Gunsten als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson auch Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt werden (§ 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI), nicht nachvollziehbar, worauf R ebenfalls zutreffend hingewiesen hat (sozialmedizinische Stellungnahme vom 19.04.2021). Ohnehin hat der Kläger selbst - worauf B zutreffend aufmerksam gemacht hat (s. S. 27, 87, 92 Senats-Akte) - eine berufliche Tätigkeit unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen gar nicht ausgeschlossen.

Sonstige Gesundheitsstörungen, die Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen haben könnten, liegen beim Kläger nicht vor. Dies stützt der Senat hinsichtlich der seit 2010 remittierten Kopfschmerzleiden (s.o.) auf das Sachverständigengutachten des B, hinsichtlich des Schlafapnoesyndroms auf den Arztbrief der M vom 17.02.2022, die von einer suffizienten CPAP-Therapie berichtet hat, sowie ebenfalls auf das Gutachten des B, der Nämliches beschrieben (namentlich Angabe des Klägers, dass er mit der Maske „klar kommt“ und ausreichend schlafen kann, s. S. 73 Senats-Akte) und keinen Anhalt für assoziierte neuropsychiatrische Komplikationen zu erkennen vermocht hat, sowie hinsichtlich der internistischen Störungen (Adipositas permagna, arterielle Hypertonie, Prostatahyperplasie) auf den Entlassungsbericht der Ärzte in Waldachtal; Abweichendes hat sich im hiesigen Verfahren nicht ergeben.
Unter Zugrundelegung all dessen hat der Senat - entgegen dem SG - keinerlei Zweifel, dass der Kläger noch in der Lage ist, jedenfalls leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung der oben genannten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, sodass er nicht erwerbsgemindert ist (§ 43 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB VI). Dabei ist es unerheblich, ob ein dem Leistungsvermögen entsprechender Arbeitsplatz vermittelt werden kann, weil nach § 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VI die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.


Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist vorliegend nicht erforderlich (vgl. BSG 14.09.1995, 5 RJ 50/94, auch zum Nachfolgenden). Denn nach der Rechtsprechung des BSG steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist. Nur ausnahmsweise ist für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten wie dem Kläger mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. In der Rechtsprechung des BSG sind bestimmte Fälle anerkannt (z.B. Einarmigkeit, vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.), zu denen der vorliegende Fall aber nicht gehört. Vielmehr braucht eine Verweisungstätigkeit erst benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG a.a.O.; BSG 27.04.1982, 1 RJ 132/80). Denn ein Teil dieser Einschränkungen stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Arbeit überein; dies gilt insbesondere für die geminderte Fähigkeit, Lasten zu bewältigen und die geringe Belastbarkeit der Wirbelsäule (BSG a.a.O.) mit den hierauf beruhenden Einschränkungen. Diese zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze sind auch für Ansprüche auf Renten wegen Erwerbsminderung nach dem ab dem 01.01.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (vgl. zuletzt BSG 11.12.2019, B 13 R 7/18 R). Nicht anders liegt der Fall des Klägers. Auch bei ihm wird den qualitativen Einschränkungen (s.o.) im Wesentlichen bereits dadurch Rechnung getragen, dass ihm nur noch leichte Arbeiten zugemutet werden.

Unerheblich ist dabei, dass beim Kläger die Schwerbehinderteneigenschaft anerkannt ist. Denn der Schwerbehinderteneigenschaft eines Versicherten kommt hinsichtlich seiner zumutbaren beruflichen Einsetzbarkeit keinerlei Aussagekraft zu (BSG 19.09.2015, B 13 R 290/15 B). Ebenso unmaßgeblich für den erhobenen Anspruch ist, ob der Kläger weiterhin wegen Krankheit oder Behinderung behandlungsbedürftig oder - auch häufig - arbeitsunfähig ist (vgl. nur BSG 31.10.2002, B 13 R 107/12 B).
Der Senat stellt schließlich noch fest, dass beim Kläger auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung in Gestalt einer Einschränkung seiner Wegefähigkeit (vgl. dazu nur BSG 12.12.2011, B 13 R 79/11 R, Rn. 20 m.w.N.) vorliegt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger entsprechend seiner Angaben gegenüber dem Sachverständigen B (s.o.) vielfältig sein Kfz nutzt. Demgemäß hat B auch keine Einschränkung der Wegefähigkeit gesehen. Soweit der Sachverständige T dem gegenüber gemeint hat, eine Regelmäßig- und Verlässlichkeit sei insoweit nicht gegeben, widerspricht dies gerade den Angaben des Klägers gegenüber B.

Nach alledem ist das angefochtene Urteil des SG im Rahmen des Berufungsantrags der Beklagten aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Abschließend merkt der Senat lediglich noch am Rande an, dass der Kläger entsprechend seinem oben festgestellten Leistungsvermögen auch nicht berufsunfähig ist, sodass er selbst bei einem zulässigen (Anschluss-)Rechtsmittel (s.o.) eine solche Rente nicht mit Erfolg beanspruchen könnte. Denn die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit (u.a.) eines Poststellenmitarbeiters würde auf der Grundlage namentlich des Sachverständigengutachtens des B einen für ihn sozial und gesundheitlich zumutbaren Verweisungsberuf (s. dazu bzw. zu den gesundheitlichen Anforderungen im Einzelnen nur Senatsurteil vom 13.12.2018, L 10 R 411/15, in juris, Rn. 46 ff. m.w.N.) darstellen.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.





 

Rechtskraft
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