1. Bei der Widerlegung einer Mindestmengenprognose nach § 136b Abs. 5 Satz 6 SGB V kommt der vorherigen Anhörung des Krankenhausträgers gemäß § 24 SGB X zu den für die Entscheidung der Krankenkassenverbände erheblichen Tatsachen eine besondere Bedeutung zu, weil es kein Vorverfahren gibt und einer Anfechtungsklage gegen den Widerlegungsbescheid für Prognosen ab dem Kalenderjahr 2023 keine aufschiebende Wirkung mehr zukommt. Daher ist dem Krankenhausträger bereits vor der Widerlegung seiner Prognose Gelegenheit zu geben, erkennbar unvollständige oder unplausible Angaben zu konkretisieren oder zu ergänzen. Anderenfalls bestehen erhebliche Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit des Widerlegungsbescheids.
2. Die Formvorgaben aus § 33 Abs. 3 SGB X gelten auch für einen von mehreren Krankenkassenverbänden gemeinsam erlassenen Widerlegungsbescheid. Enthält ein gemeinsam erlassener Widerlegungsbescheid weder die Unterschrift noch die Namenswiedergabe der einzelnen Behördenleiter bzw. der Vertreter oder Beauftragten, bestehen ebenfalls erhebliche Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit des Widerlegungsbescheids.
3. Materiell-rechtlich müssen sich die seitens der Krankenkassenverbände nach § 136b Abs. 5 Satz 6 SGB V "begründeten erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit" der von einem Krankenhausträger abgegebenen Prognose auch auf das maßgebliche Kalenderjahr dieser Prognose beziehen. Allein der Umstand, dass ein Krankenhausträger die erforderliche Mindestmenge in den beiden Vorjahren nicht erreicht hat bzw. voraussichtlich nicht erreichen wird, reicht als Begründung für erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Prognose für das maßgeblichen Kalenderjahr nicht aus.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 22. November 2022 aufgehoben.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den gemeinsamen Bescheid der Antragsgegner vom 4. Oktober 2022 wird angeordnet.
Die Antragsgegner tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Antrags- und Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert des Antrags- und Beschwerdeverfahrens wird auf jeweils 28.212 Euro festgesetzt.
Gründe:
I
Streitig ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage.
Die Antragstellerin ist Träger der zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen (KKen) zugelassenen S_________ Kliniken.
Am 4. August 2022 teilte die Antragstellerin den Landesverbänden der KKen und den Ersatzkassen (im Folgenden: Krankenkassenverbände) ihre Prognose zur Erreichung der vom Gemeinsamen Bundesausschuss festgesetzten jährlichen Mindestmenge von 50 Kniegelenks-Totalendoprothesen (Knie-TEP) mit. Sie gab an, im Jahr 2021 insgesamt 30 Patienten sowie im zweiten Halbjahr 2021 und ersten Halbjahr 2022 insgesamt 24 Patienten mit Knie-TEP versorgt zu haben; für 2023 prognostizierte die Antragstellerin dennoch mehr als 50 entsprechende Behandlungen. Auf Nachfrage der Krankenkassenverbände begründete sie ihre Prognose ergänzend mit einer Umstrukturierung der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie nebst Neubesetzung der Chefarztposition im Oktober 2021 nach 7monatiger Vakanz, den im ersten Halbjahr 2022 angestiegenen Behandlungsfallzahlen (auf 20 Knie-TEP-Eingriffe), pandemiebedingten Einschränkungen insbesondere von Juni bis August 2022 und dem Umstand, dass in 2022 ca 12 mindestmengenrelevante Knie-TEP-Eingriffe wegen einer pandemiebedingten Schließung der Parkinsonstation über das sogenannte EndoPark-Konzept für Parkinsonpatienten mit Gonarthrose nicht durchgeführt werden konnten (Schreiben vom 12. September 2022).
Im Anschluss widerlegten die Krankenkassenverbände die Mindestmengenprognose der Antragstellerin: Es sei sehr wahrscheinlich, dass – wie bereits in 2021 – die Mindestmenge von 50 Knie-TEP-Eingriffen auch in 2022 unterschritten werde. Dieser Umstand lasse sich dabei nicht mehr auf die schon im Oktober 2021 nachbesetzte Chefarztposition in der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie zurückführen. Gleiches gelte für die pandemiebedingten Einschränkungen bei elektiven Eingriffen, die ebenfalls schon 2020 sowie von Juni 2020 bis Juli 2021 bestanden hätten, obwohl die Antragstellerin in diesem Zeitraum die Mindestmenge für Knie-TEP-Eingriffe erreicht habe. Schließlich sei nicht nachvollziehbar, inwieweit eine etwaige Nutzung der Station für Parkinson-Patienten einen planbaren Einfluss auf die Erbringung von Knie-TEP-Leistungen habe (gemeinsamer und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehener Widerlegungsbescheid der Krankenkassenverbände vom 4. Oktober 2022). Dabei haben die Krankenkassenverbände den Bescheid für sofort vollziehbar erklärt und am Ende (ohne eine Unterschrift oder Namenswiedergabe) mit dem Zusatz versehen: „Dieser Bescheid ist ohne Unterschrift gültig.“
Gegen den Widerlegungsbescheid hat die Antragstellerin am 4. November 2022 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Lübeck erhoben und zusätzlich beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Die Widerlegung der Mindestmengenprognose Knie-TEP für 2023 seitens der Krankenkassenverbände sei rechtswidrig. Zwar sei die maßgebliche Mindestmenge in 2021 unterschritten worden, in 2022 werde sie aber voraussichtlich wieder erreicht. Außerdem hätten die Krankenkassenverbände bei der Widerlegung nicht ausreichend berücksichtigt, dass sich eine positive Prognose auch anhand anderer Umstände (hier: längere Vakanz der Chefarztposition als Hauptoperateur, ansteigende Fallzahlen bei den Knie-TEP-Eingriffen in 2022, anhaltende pandemiebedingte Einschränkungen bei elektiven Eingriffen, Ausfall des EndoPark Konzepts) ergeben könne. Daher überwiege vorliegend das Interesse der Antragstellerin an der Aufschiebung der Vollziehung insgesamt das Vollzugsinteresse der Krankenkassenverbände an der Widerlegung der abgegebenen Prognose.
Das SG Lübeck hat mit Beschluss vom 22. November 2022 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt und zur Begründung zusammengefasst ausgeführt, dass der Widerlegungsbescheid der Krankenkassenverbände vom 4. Oktober 2022 offensichtlich rechtmäßig sei und zudem ein öffentliches Interesse an dessen Vollziehung bestehe. Insbesondere sei nach Änderung der Regelung in § 136b Abs 5 Satz 11 zweiter Halbs Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung in 2021 – wonach Klagen gegen die Widerlegung von Mindestmengenprognosen keine aufschiebende Wirkung mehr entfalteten – der Patientenschutz höher als das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin an der Durchführung von Knie-TEP-Eingriffen zu bewerten. Ein idS vorübergehendes Leistungsverbot führe auch nicht zu einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung auf Seiten der Antragstellerin.
Gegen diesen Beschluss (zugestellt am 24. November 2022) wendet sich die Antragstellerin mit der Beschwerde vom 19. Dezember 2022 und stützt sich dabei im Wesentlichen auf ihren bisherigen Vortrag. Ergänzend weist sie darauf hin, dass die S_______ Kliniken in 2022 die maßgebliche Mindestmenge von 50 Knie-TEP-Eingriffen trotz anhaltender Pandemie knapp erreichen werde und ausweislich des IQTIG-Jahresberichts 2021 insoweit in nahezu allen Qualitätsindikatoren über dem Bundesdurchschnitt liege.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 22. November 2022 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der beim Sozialgericht Lübeck in der Hauptsache anhängigen Anfechtungsklage (gerichtet gegen die Widerlegung der den Krankenkassenverbänden für 2023 mitgeteilten Prognose bei Knie-TEP-Eingriffen) wieder herzustellen.
Die Antragsgegner beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet.
Das SG Lübeck hat es zu Unrecht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache gegen den Widerlegungsbescheid vom 4. Oktober 2022 erhobenen Anfechtungsklage anzuordnen.
1. Nach § 86 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen ganz oder teilweise anordnen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Über das "Ob" einer Anordnung entscheidet das Gericht dabei auf der Grundlage einer Interessenabwägung, wobei das private Interesse des belasteten Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts abzuwägen ist (vgl hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 86b Rn 12 ff mwN). Die Privatinteressen überwiegen regelmäßig, wenn ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder wenn die Vollziehung des angefochtenen Bescheids zu einer unbilligen Härte für den Ast führen würde. Damit lehnt sich der Senat in den Fällen der Widerlegung von Prognosemitteilungen nach § 136b Abs 5 Satz 6 SGB V bei der hier zu treffenden Abwägung wegen der insoweit grundsätzlich vergleichbaren Interessenlage an die Kriterien des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG an.
Vorliegend hat die von der Antragstellerin in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage zwar keine aufschiebende Wirkung (vgl hierzu die Regelung in § 86a Abs 2 Nr 4 SGG iVm § 136b Abs 5 Satz 10 zweiter Halbs SGB V idF des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung <GVWG> vom 11. Juli 2021, BGBl I S 2754). Allerdings geht der erkennende Senat mit der Antragstellerin davon aus, dass derzeit ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von den Krankenkassenverbänden am 4. Oktober 2022 als gemeinsamer Bescheid erlassenen Widerlegung bestehen.
2. Rechtsgrundlage für die Berechtigung der Krankenkassenverbände, die von einem Krankenhausträger abzugebende Prognose (wonach die erforderliche Mindestmenge im jeweils nächsten Kalenderjahr auf Grund berechtigter mengenmäßiger Erwartungen voraussichtlich erreicht wird) durch eine gemeinsame Entscheidung zu widerlegen, ist die Regelung in § 136b Abs 5 Satz 6 SGB V. Danach „müssen“ die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen für Krankenhausstandorte in ihrer Zuständigkeit ab der Prognose für das Kalenderjahr 2023 bei begründeten erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit die vom Krankenhausträger getroffene Prognose durch einen Bescheid widerlegen; dabei obliegt es außerdem dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), mit Wirkung zum 1. Januar 2022 Regelbeispiele für idS begründete erhebliche Zweifel zu beschließen.
Diesem gesetzgeberischen Auftrag ist der G-BA vorliegend allerdings erst durch die Änderung der sogenannten Mindestmengenregelung (Mm-R) mit Wirkung zum 16. Juli 2022 nachgekommen. Diesem Beschluss folgend liegen begründete erhebliche Zweifel an der Richtigkeit einer von einem Krankenhausträger getroffenen Prognose „in der Regel vor, wenn beispielsweise“ die maßgebliche Mindestmenge im vorausgegangenen Kalenderjahr (hier: 2021) nicht erreicht wurde und auch unter Berücksichtigung weiterer Kriterien objektive Umstände der Richtigkeit dieser Prognose widersprechen. Gleiches gilt, wenn die maßgebliche Mindestmenge im vorausgegangenen Kalenderjahr nicht erreicht wurde, sich die vom Krankenhausträger getroffene Prognose ausschließlich auf die erreichte Leistungsmenge im Zeitraum der letzten zwei Quartale des vorausgegangenen Kalenderjahrs und den ersten zwei Quartalen des laufenden Kalenderjahrs stützt und wiederum auch unter Berücksichtigung weiterer Kriterien objektive Umstände der Richtigkeit dieser Prognose widersprechen (§ 4 Abs 4 Satz 2 Mm-R). Jedoch finden diese Regelbeispiele ausdrücklich erst „ab den Prognosen für das Kalenderjahr 2024 Anwendung“ (§ 4 Abs 4 Satz 3 Mm-R). Bei dieser Regelung hat der G-BA dem Umstand Rechnung getragen, dass gemäß § 5 Mm-R die Prognosen für das Kalenderjahr 2023 bereits bis spätestens 7. August 2023 zu erfolgen hatten (vgl hierzu die tragenden Gründe zum Beschluss des G-BA über die Änderung der Mindestmengenregelung vom 16. Juni 2022; Zu § 4 Abs 4 Satz 3). Deutlich wird hieran, dass die Krankenkassenverbände in 2022 aus Vertrauensschutzgründen die Widerlegung einer von einem Krankenhausträger für 2023 abgegebenen Prognose (noch) nicht allein anhand der Regelbeispiele begründen können; erforderlich ist demgegenüber eine eigenständige Beurteilung und ggf Widerlegung der vom Krankenhausträger in der Prognosemitteilung für 2023 angegebenen Gründe für die voraussichtliche Entwicklung im Bereich der jeweiligen Mindestmengenleistung.
a) Entgegen der Auffassung des SG Lübeck ist bei Berücksichtigung dieser Maßgaben der Widerlegungsbescheid der Krankenkassenverbände vom 4. Oktober 2022 nicht „offensichtlich rechtmäßig“; vielmehr bestehen vorliegend ernsthafte Zweifel sowohl an der formellen (dazu aa und bb) als auch an der materiellen (dazu cc) Rechtmäßigkeit des Bescheids.
aa) In formeller Hinsicht ist in der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung zunächst davon auszugehen, dass die Krankenkassenverbände die Antragstellerin nicht ausreichend iSv § 24 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) angehört haben.
Nach dieser Regelung im SGB X ist einem Beteiligten, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der – wie hier – in seine Rechte eingreift, grundsätzlich Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung „erheblichen Tatsachen“ zu äußern. Die Vorschrift dient der Wahrung rechtlichen Gehörs und soll den Adressaten einer Verwaltungsentscheidung insbesondere vor Überraschungsentscheidungen schützen sowie sicherstellen, dass die an einem Verwaltungsverfahren Beteiligten alle für sie günstigen Umstände vorbringen können. Hierzu ist es insbesondere erforderlich, dass die jeweilige Behörde die entscheidungserheblichen Tatsachen dem Betroffenen in einer Weise unterbreitet, dass er sie als solche erkennen und sich zu ihnen – ggf nach einer ergänzenden Anfrage bei der Behörde – sachgerecht äußern kann (vgl hierzu Bundessozialgericht <BSG> Urteil vom 25. März 2021- B 1 KR 16/20 R – juris Rn 26 ff mwN).
Dabei kommt der Anhörung in dem Verwaltungsverfahren zur Widerlegung einer von einem Krankenhausträger abgegebenen Prognose zur möglichen Entwicklung einer Mindestmengenleistung nach § 136b Abs 5 Satz 6 SGB V nach der höchstrichterlichen Rspr eine besondere Bedeutung für das Recht auf ein faires Verfahren zu. Hintergrund ist, dass zum einen ein Vorverfahren nicht stattfindet (§ 136b Abs 5 Satz 11 erster Halbs SGB V) und zum anderen – zumindest ab den Prognosen für das Jahr 2023 – den Klagen gegen die Widerlegungsentscheidungen der Krankenkassenverbände keine aufschiebende Wirkung mehr zukommt (§ 136b Abs 5 Satz 11 zweiter Halbs SGB V). Daher ist einem Krankenhausträgern ggf bereits vor der Widerlegung seiner Prognose Gelegenheit zu geben, erkennbar unvollständige oder unplausible Angaben zu konkretisieren oder zu ergänzen. Das gilt in besonderer Weise, wenn die Widerlegung der von dem Krankenhausträger abgegebenen Prognose von den Krankenkassenverbänden ua mit einer Unplausibilität der Angaben (hier: hinsichtlich der pandemiebedingten Schließung der Parkinsonstation für Parkinsonpatienten mit Gonarthrose nach dem EndoPark-Konzept) begründet wird. Dann müssen die Verbände die ihnen möglichen und zumutbaren Anstrengungen unternehmen, dem Krankenhausträger – ggf unter Setzung einer kurzen Frist – eine Ergänzung des angeblich unvollständigen Vorbringens zu ermöglichen (vgl zu alledem BSG, aaO, juris Rn 29).
Diesen verfahrensrechtlichen Anforderungen sind die Krankenkassenverbände bei der Widerlegung der von der Antragstellerin für 2023 abgegebenen Prognose mindestmengenrelevanter Knie-TEP-Eingriffe nicht gerecht geworden. Zwar ist mit Schreiben vom 29. August 2022 ausdrücklich eine Anhörung der Antragstellerin iSv § 24 Abs 1 SGB X erfolgt; allerdings ist dem Krankenhausträger im Anschluss keine Ergänzungsmöglichkeit hinsichtlich der aus Sicht der Krankenkassenverbände unplausiblen Angaben zur pandemiebedingten Schließung der Parkinsonstation in den S_________ Kliniken und zu deren Auswirkung auf die voraussichtliche Entwicklung der Leistungsmenge an Knie-TEP-Eingriffen in 2023 eingeräumt worden. Das wäre aber schon deshalb erforderlich gewesen, weil die Angaben der Antragstellerin zu diesem Umstand ersichtlich plausibel und allenfalls ergänzungsbedürftig (hinsichtlich des Zeitpunkts einer geplanten Wiedereröffnung der Parkinsonstation) gewesen sind. Insbesondere liegt es auf der Hand, dass die mögliche Wiedereröffnung einer Krankenhausstation, von der nach den Angaben der Antragstellerin im Kalenderjahr durchschnittlich ca 12 Patienten mit einer Knie-TEP versorgt werden müssen, einen signifikanten Beitrag zur Begründung der berechtigten mengenmäßigen Erwartung der hier maßgeblichen Mindestmengenzahl leisten kann.
Da die Krankenkassenverbände zudem die unterbliebene Anhörung der Antragstellerin zu diesem Umstand bislang nicht iSv § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X nachgeholt haben, bestehen schon aus diesem Grund erhebliche Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit des Widerlegungsbescheids vom 4. Oktober 2002.
bb) Aus Sicht des erkennenden Senats bestehen darüber hinaus erhebliche Zweifel daran, dass der Widerlegungsbescheid der Krankenkassenverbände vom 4. Oktober 2022 die nach § 33 SGB X verfahrensrechtlich erforderliche Form aufweist.
Nach dem eindeutigen und einer anderweitigen Auslegung nicht zugänglichen Gesetzeswortlaut in § 33 Abs 3 Satz1 SGB X muss ein – wie hier – schriftlicher Verwaltungsakt als Formerfordernis die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Auch dieser formellen Anforderung wird der Widerlegungsbescheid vom 4. Oktober 2022 nicht gerecht. Zwar werden in der Kopfzeile des gemeinsamen Bescheids die einzelnen Kranken- und Ersatzkassenverbände aufgeführt, sodass die hier in der Mehrzahl erlassenden Behörden ohne Weiteres erkennbar sind. Allerdings fehlt dort – anders als noch in dem Anhörungsschreiben vom 29. August 2022 – eine zumindest namentliche Bezeichnung des jeweiligen Behördenleiters bzw des von ihm beauftragten Mitarbeiters. Stattdessen wird in dem Bescheid lediglich vorangestellt ein Ansprechpartner benannt, dessen Name jedoch mit den Namenswiedergaben der Behördenleiter der Krankenkassenverbände im Anhörungsschreiben nicht übereinstimmt. Insofern kann im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht davon ausgegangen werden, dass der genannte Ansprechpartner Behördenleiter oder Beauftragter der hier beteiligten sechs Kranken- und Ersatzkassenverbände ist.
Damit ist der Widerlegungsbescheid der Krankenkassenverbände vom 4. Oktober 2022, aus dem sich die erlassenden Behörden hinreichend deutlich ergeben, zwar nicht nichtig iSv § 41 Abs 2 Nr 1 SGB X. Jedoch entspricht der Bescheid nicht den vorangestellt dargelegten Formvorgaben aus dem Sozialverwaltungsverfahren; auch insoweit bestehen daher erhebliche Zweifel an dessen formeller Rechtmäßigkeit.
cc) Darüber hinaus ist ebenfalls die materielle Rechtmäßigkeit des Widerlegungsbescheids der Krankenkassenverbände vom 4. Oktober 2022 zweifelhaft. So stützen die Krankenkassenverbände vorliegend die Widerlegung der von der Antragstellerin für 2023 abgegebenen Prognose zur voraussichtlichen Anzahl an Knie-TEP-Eingriffen maßgeblich darauf, dass die S_______ Kliniken weder im vorausgegangenen Kalenderjahr (also in 2021) noch in den letzten beiden Quartalen des vorausgegangenen Kalenderjahrs und den ersten beiden Quartalen des laufenden Kalenderjahrs (also von III/2021 bis II/2022) jeweils die erforderliche Mindestmenge von 50 Knie-TEP-Eingriffen erreicht haben. Das ist zwar zutreffend, allerdings können die vom G-BA in § 4 Abs 4 Satz 2 der Mm-R genannten Regelbeispiele – in denen diese Umstände jeweils als Begründung für erhebliche Zweifel an der Richtigkeit einer abgegebenen Prognose aufgegriffen werden – aus Vertrauensschutzgründen ausdrücklich erst bei der Widerlegung entsprechender Prognosen ab dem Kalenderjahr 2024 (und nicht schon ab dem Kalenderjahr 2023) angewendet werden. Darüber hinaus werden in dem Widerlegungsbescheid der Krankenkassenverbände vom 4. Oktober 2022 auch die von der Antragstellerin nach § 4 Abs 2 Satz 2 Nrn 3 und 4 der Mm-R für die voraussichtliche Leistungsentwicklung der Knie-TEP-Eingriffe in 2023 genannten personellen und strukturellen Veränderungen sowie alle weiteren von dem Krankenhausträger genannten Umstände für die konkrete mengenmäßige Erwartung in der Prognose lediglich hinsichtlich ihrer Bedeutung für die tatsächlichen Fallzahlen in 2021 bzw 2022 beurteilt. Eine – nach den vorangestellten Ausführungen unter Ziffer 2 erforderliche – eigenständige Bewertung und ggf Widerlegung der von der Antragstellerin für das hier allein maßgebliche Kalenderjahr 2023 abgegebenen Prognose lässt sich dem Bescheid hingegen nicht entnehmen. Dazu hätte aber schon deshalb Anlass bestanden, weil die nach der Neubesetzung einer Chefarztstelle und dem Abflauen der Pandemie ersichtlich wieder ansteigende Leistungsentwicklung der S_______ Kliniken bei Knie-TEP-Eingriffen in 2022 es zumindest nahelegt, dass die Antragstellerin für 2023 zurecht von einem Erreichen der entsprechenden Mindestmenge ausgehen könnte.
b) Vor diesem Hintergrund bestehen ernsthafte Zweifel an der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit des hier streitbefangenen Widerlegungsbescheids der Krankenkassenverbände vom 4. Oktober 2022. Bei einer derartigen Konstellation überwiegen regelmäßig die Privatinteressen der Antragstellerin an dem Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung und damit im Ergebnis an der vorläufigen Berechtigung zur Erbringung mindestmengenrelevanter Knie-TEP-Eingriffe in 2023 gegenüber dem öffentlichen Interesse der Krankenkassenverbände an der sofortigen Vollziehbarkeit einer Widerlegungsentscheidung nach § 136b Abs 5 Satz 6 SGB V. Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend von dieser Regelbetrachtung ausnahmsweise abzuweichen wäre, sind weder ersichtlich noch dargelegt.
c) Abschließend weist der erkennende Senat darauf hin, dass auch der von den Krankenkassenverbänden in dem Widerlegungsbescheid vom 4.Oktober 2022 nach § 86a Abs 2 Nr 5 SGG angeordnete Sofortvollzug der Anordnung einer aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache von der Antragstellerin erhobenen Anfechtungsklage nicht entgegensteht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Krankenkassenverbände überhaupt berechtigt sind, einen derartigen Sofortvollzug auch in Verfahren anzuordnen, in denen – wie hier – durch ein Bundesgesetz iSv § 86a Abs 1 Nr 4 SGG bereits vorgeschrieben ist, dass einer Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung zukommt. Zumindest ist derzeit ein die dargelegten Interessen der Antragstellerin überwiegendes öffentliches Interesse (vgl hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, aaO, § 86a Rn 20a und b mwN) an der sofortigen Vollziehung der Widerlegungsentscheidung der Krankenkassenverbände nicht erkennbar.
Die Krankenkassenverbände selbst begründen die Anordnung des Sofortvollzugs in dem Widerlegungsbescheid vom 4. Oktober 2022 damit, dass nach der höchstrichterlichen Rspr bei der Mindestmengenregelung in § 136b SGB V grundsätzlich ein Vorrang des Patientenschutzes vor den Erwerbsinteressen der Krankenhäuser bestehe. Dieser Umstand vermag vorliegend aber schon deshalb keine gesonderte Anordnung iSv § 86a Abs 1 Nr 5 SGG zu rechtfertigen, weil der Bundesgesetzgeber diesem Gesichtspunkt bereits bei der Einführung der Regelung von § 136b Abs 5 Satz 11 zweiter Halbs SGB V – wonach Klagen gegen die Widerlegung einer Prognoseentscheidung keine aufschiebende Wirkung haben – Ausdruck verliehen hat. Daher kann die zusätzliche Anordnung eines Sofortvollzugs allenfalls überhaupt in Betracht kommen, wenn über den allgemeinen Vorrang des Patientenschutzes hinaus in dem konkreten Verfahren besondere Gefahrenmomente (zB in Form von nachgewiesenen Qualitätsmängeln bei zurückliegenden Knie-TEP-Eingriffen) bestehen. Aber auch dafür sind vorliegend Anhaltspunkte weder ersichtlich noch vorgetragen.
3. Nach alledem hat der hier angefochtene Beschluss des SG Lübeck keinen Bestand haben können; außerdem ist die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin in der Hauptsache gegen den Widerlegungsbescheid der Krankenkassenverbände vom 4. Oktober 2022 erhobene Anfechtungsklage anzuordnen gewesen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 dritter Halbs SGG iVm den §§ 154 Abs 1, 159 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 erster Halbs SGG iVm den §§ 47 Abs 1 Satz 1, 52 Abs 1, 53 Abs 2 Nr 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei hat der erkennende Senat auf den von der Antragstellerin im Beschwerdeschriftsatz vom 16. Dezember 2022 unwidersprochen angegebenen Erlöswert von 6.770,90 Euro für den mittleren Behandlungsfall einer Knie-TEP abgestellt. Unter Zugrundelegung der vom Krankenhausträger für 2023 angestrebten Mindestmenge von 50 Behandlungsfällen ergibt sich bei einem jährlichen Gesamtumsatz von 338.545 Euro und einer pauschalierten Schätzung des Gewinns von 25 vH somit ein wirtschaftlicher Vorteil für die Antragstellerin iHv 84.636,25 Euro, wobei der erkennende Senat in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren regelmäßig ein Drittel dieses Betrags als Streitwert heranzieht.
5. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).